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II. Die letzten Dinge

Das wirksamste Mittel, das die Franziskaner- und Dominikanerprediger anwandten, die Gemüter zu erschüttern, war, wie wir gesehen haben, der Hinweis auf den Tag des Jüngsten Gerichtes, auf das Paradies und die Hölle. Gleichwohl nun sind uns anschauliche Beschreibungen der ewigen Freuden und Qualen, abgesehen von den Gedichten Giacominos, in der italienischen Literatur des 13. Jahrhunderts nicht erhalten, und wir können uns nur aus den künstlerischen Darstellungen selbst einen Begriff von der Art, wie die Predigt geschildert hat, machen. Gerade aber der Umstand, daß etwa seit 1300 neben den Bildern des Jüngsten Gerichtes umfängliche Einzeldarstellungen der Hölle und des Paradieses beliebt werden, weist auf eine neue populäre und sinnliche Anschauung der zukünftigen Dinge hin, die offenbar von den Bettelmönchen lebhaft befördert worden ist. Zuerst ist es Giotto gewesen, der im Palazzo der Signoria Inferno und Paradiso in großen Kompositionen dargestellt hat, seinem Beispiele folgte Orcagna in der Kapelle Strozzi in S. Maria novella und nach Vasaris Bericht in S. Croce; ein unbekannter Meister schuf neben dem Jüngsten Gericht im Camposanto zu Pisa das Fresko der Unterwelt, und ein andrer namenloser Künstler das Paradies und die Hölle in S. Francesco zu Terni.

Gegenüber Jessens Annahme von einem prädominierenden Einfluß byzantinischer Kunst im Abendlande haben Springer und Voß überzeugend nachgewiesen, daß die abendländische Kunst die Komposition des Jüngsten Gerichtes fast durchaus unabhängig entwickelt hat, und daß auch von einem allgemeinen Typus innerhalb derselben nicht die Rede sein kann P. Jessen: Die Darstellung des Weltgerichts. Berlin 1883. – A. Springer Repert. f. Kunstw. 1884. VII, S. 375 f. – Georg Voß: Das j. Gericht. Leipzig. Seemann 1884. – F. X. Kraus: Die Wandgemälde der S. Georgskirche zu Oberzell. Freiburg 1884.. Mehr als andere Darstellungen mußte das großen Raum beanspruchende Gericht kompositionell von der ihm angewiesenen Örtlichkeit bedingt sein. In Italien repräsentieren vor Giotto das Fresko in S. Angelo in Formis, dasjenige in Toscanella, die Reliefs des Niccolò Pisano und das Mosaik des Tafi im Florentiner Baptisterium die originale einheimische, das Mosaik in Torcello die eingewanderte byzantinische Auffassung. Giotto nun ist in seinem mächtigen Bilde der Kapelle in Padua im wesentlichen der ersteren gefolgt, der zweiten hat er nur den vom Weltenrichter ausgehenden Feuerstrom der Hölle entlehnt. Sein Christus in der von Engeln umgebenen Glorie öffnet die Rechte, weist mit der Linken ab, wie es schon in S. Angelo, dann in Florenz dargestellt war. Niccolò Pisanos Beispiel folgt er, wenn er darunter in der Mitte zwischen den Ketzern und Verdammten zwei Engel das Kreuz halten läßt, das, hier deutlich als das Kreuz, an dem Christus gestorben, charakterisiert, jene oben besprochene Form des T mit der Tafel darüber zeigt. Kommen ferner auch die zur Seite Christi thronenden Apostel schon früher vor, so zeigt ihre freiere Anordnung, wie die einheitliche Raumauffassung des ganzen Bildes überhaupt doch die neuen, bedeutenden Prinzipien von Giottos Kunst. Neu ist auch die Gestaltung der in gedrängten Massen – ›schiere‹, wie Jacopone sagt – über den Aposteln fliegenden gewappneten Engel, die recht im Geiste der Zeit das Kriegsheer des Himmelskönigs bilden. Maria im Strahlenglanze leitet ihre Mutter Anna, umgeben von einer Schar von Heiligen, links aufwärts zum Heiland, darunter führen Engel die betenden Geretteten, zu denen sich noch andere kleine, eben der Erde entsteigende Selige gesellen. Daneben überreicht Enrico Scrovegni das Modell der Kapelle drei Frauen, in denen wohl die drei Kardinaltugenden: Glaube, Liebe und Hoffnung zu sehen sind. Rechts inmitten des Feuers aber, in dem zahllose Unselige die verschiedensten Martern erleiden, sitzt Lucifer und verschlingt die Verdammten.

Zeigt sich dann auf Orcagnas Bilde in S. Maria novella ein Fortschritt, insofern die Hölle gesondert dargestellt und nur die verschiedene Wirkung des Richterspruchs auf die Ketzer und Verdammten geschildert wird, so erreicht diese einheitlichere Komposition ihre volle Ausbildung in dem Fresko des Camposanto, dessen gewaltige Leidenschaft immer von neuem das größte Staunen erregt. Wohl nur aus der gesteigerten Verehrung, die man der Himmelskönigin entgegenbrachte, ist es zu erklären, daß hier Maria in einer Glorie ebenbürtig neben dem König Christus erscheint. Demütig, wie eine, die, selbst erhöht, vor Beschämung nicht die Bestrafung anderer anzusehen vermag, senkt sie den Blick. Gleich zornigen Gedanken des Herrn fahren die gewappneten Engel auf die verzweifelt rechts sich zusammendrängenden Verdammten ein, während nur ein Gefühl der innigen Verehrung die Schar der Heiligen und Seligen links zu Christus aufschauen läßt. In banger Erwartung und Schmerz verharren die zwölf Apostel, über denen Engel die Leidenswerkzeuge tragen, zuseiten Christi und Mariä. Unter letzteren aber schwebt die wunderbare, von vier Engeln gebildete Kreuzesgruppe.

Mit diesen Fresken in Padua und Pisa ist der Darstellung des Jüngsten Gerichtes bis auf Michelangelo die weitere Entwicklung vorgeschrieben: befreit von der störenden Zutat des Inferno und Paradiso gewinnt sie an Kraft und Bedeutung. Dagegen sterben die losgelösten Teile allmählich ab. Nur Fra Angelico vermag sich noch nicht ganz von den älteren Anschauungen loszureißen, die sonstige Kunst des Quattrocento verschmäht es, warnend die künstlerisch doch unmöglichen Höllenstrafen und Lucifer dem Volke vorzuhalten.

Wie Berthold von Regensburg in seinen Predigten im wesentlichen nur von einer Art des Leidens in der Hölle: von dem Feuer zu erzählen weiß, so hat die germanische Kunst, wie Jessen bemerkt, nicht, gleich der italienischen, Höllendarstellungen hervorgebracht. Daraus läßt sich umgekehrt wiederum mit großer Wahrscheinlichkeit schließen, daß gerade die italienischen Bettelmönche mit ungestümer Phantasie die höllischen Qualen ihren Hörern einzeln auseinandergesetzt haben. Darauf weist ja auch Giacominos Gedicht mit seiner drastischen Erzählungsweise hin. Volkstümliche Anschauungen vom Satan mögen so eine bestimmte Form erhalten haben: der struppige, riesige Teufel mit dem tierischen Kopfe, der die Verdammten verschlingt und der, wie Giacomino schaurig komisch erzählt, sich wohl gar über die schlechten Braten beschwert, die verschiedene Art der Bestrafung der sieben Todsünden, die klar gegliedert auf dem Fresko in Pisa erscheinen, die Hervorhebung einzelner großer teuflischer Charaktere, wie Mahomet und andere. Solche Anschauungen sind sicher Gemeingut des italienischen Volkes gewesen und von Dante ebensowohl wie von Giotto künstlerisch gestaltet worden. Die Höllendarstellungen des letzteren in Florenz und in Padua gehen zeitlich der Divina commedia voraus. Hält sich dann Andrea Orcagna in S. Maria novella genau an Dantes Beschreibung, so äußern sich unabhängig von dieser die allgemein gültigen Ideen vom Inferno wiederum in Pisa und in Terni. Nicht in den Werken der großen Kirchenschriftsteller des 13. Jahrhunderts, die man vergeblich daraufhin untersucht Man vgl. z. B. Bonaventuras Opusculum: Diaeta Salutis. Bd. VIII. Für das Jüngste Gericht werden die 15 Vorzeichen des Hieronymus erwähnt, die Öffnung der Bücher, die sententia und executio. Die Hölle nicht bildlich geschildert. Das Paradies als apokalyptische Stadt und die himmlische Gemeinschaft als Hofstaat., sondern in den leider nicht auf uns gekommenen Predigten von Männern, wie Hugo de Bareola, der »Wunderlinge von dem himmlischen Hof, das heißt: der Glorie des Paradieses, und Entsetzliches von den höllischen Strafen zu sagen wußte«, werden wir die Erklärung, die Quelle der Darstellungen des Inferno finden Salimbene. Chronik S. 97..

Der »himmlische Hof«, diese Benennung bezeichnet aber auch treffend die Auffassungen des Paradieses Vgl. dazu unten: Maria als Himmelskönigin. Auch die von Palermo publizierte Allegorie: La corte di Dio. Palermo: Allegorie cristiane dei primi tempi della favella. Firenze 1856. – Ferner: La cour du Paradis bei Barbazan-Méon: Fabliaux et contes. Paris 1805. III, S. 128. – La ballata del Paradiso bei Sorio: opuscoli religiosi, Modena (t. V.) habe ich leider nicht einsehen können.. Vermögen wir uns von Giottos Komposition im Palazzo Signoria kein deutliches Bild mehr zu machen, so bietet uns doch Orcagnas Fresko einen Ersatz. Ein Seitenstück zur Krönung Marias, versetzt es uns mitten in den himmlischen Palast des Königs Christus und dient so gleichsam zur Illustration jener Auffassung des Berthold, die wir oben kennengelernt. Auf hohem Throne sitzen feierlich, die Kronen auf dem Haupt, Christus und Maria, und links und rechts in regelmäßigen Reihen hintereinander geordnet umgibt sie der Hofstaat von Heiligen und Engeln. Die von Gold und Edelstein schimmernden Mauern des himmlischen Jerusalems, die im frühen Mittelalter das Paradies bezeichnen, haben wir hinter uns gelassen und sind bis zur Curia selbst durchgedrungen. Für das Volk, das sich von dem höchsten Ideal des Glanzes und der Herrlichkeit: von dem Hofe des irdischen Kaisers erzählen ließ, ward auch das himmlische Paradies als ein Kaiserhof dargestellt, zu dem aber ein jeder, selbst der Ärmste, Zutritt hat, befolgt er die Gebote des Herrn hier auf der Erde. Das Paradies des Dante war für eine andere höher gebildete Klasse der Menschheit geschrieben.


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