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Ein schreckliche Nacht.

Sie waren in die Rentmeisterei eingetreten. Ein anderer alter Mann kam ihnen im Hause entgegen.

»Was wünschen die Herren?«

»Ein Zimmer zum Protokolliren,« sagte der Assessor, indem er sich nannte.

Von Inquiriren sprach er nicht. Dem alten Manne gaben seine Worte dennoch einen Stich ins Herz. Oder war es der Anblick des vornehmen Herrn, der die Beamten hergeführt hatte? Er sah ihn scheu an und schien dann über Etwas nachzusinnen. Er hatte schnell einen Entschluß gefaßt.

»Herr Assessor,« sagte er zu diesem, »hätten Sie die Güte, vorher, zu allererst mich zu hören?«

Der Assessor sah den alten Mann, er sah den ältlichen Herrn an. Jener sah so treu und ehrlich aus; der andere hatte ein widerwärtiges, falsches Gesicht, er schien in seiner Vornehmheit so anmaßend.

»Ihr Name?« fragte der Assessor den alten Mann.

»Rentmeister Buchholz.«

»Ich folge Ihnen. – Mein Herr, Sie werden die Güte haben, mich einstweilen zu entschuldigen.«

Der ältliche Herr verbeugte sich unmuthig. »Der Inquirent hat überall zu befehlen,« sagte er nur.

Der Rentmeister führte ihn in ein Zimmer. Dann ging er mit dem Assessor und Actuar in die Rentstube, die gegenüber lag. Der Gerichtsdiener blieb auf seinem Posten im Flur zwischen den beiden Zimmern.

»Und nun, Herr Rentmeister?« fragte der Assessor.

»Herr Assessor, hat sich Ihnen der Herr genannt, der Sie hierher führte?«

»Nein.«

»Es ist der Freiherr Oswald von Falkenburg,«

»Ich hatte es geahnt.«

»Sie haben also schon von ihm gehört?«

»Ah –! Herr Assessor, die Freifrau ist an Gift gestorben.«

»So war dem Criminalgericht angezeigt.«

»Und ihr Mörder ist dieser Freiherr Oswald.«

»Haben Sie Beweise?«

»Haben Sie die Güte, mir zuzuhören. Der Freiherr Oswald wäre Herr der reichen Herrschaft Falkenburg, ohne einen Prozeß« –

Der Assessor unterbrach den Rentmeister.

»In welchem von seinem Gegner ein Meineid geschworen wurde oder geschworen sein soll.«

»Ah,« sagte der Rentmeister noch einmal, »Sie wissen auch das?«

»Und auch,« unterbrach ihn der Assessor noch einmal, »daß der Name des Freiherrn Oswald schon vor mehr als fünfundzwanzig Jahren mit dem Tode der damaligen Freifrau von Falkenburg auf dem Schlosse Falkenburg in Verbindung gebracht wurde.«

»So war es,« sagte der Rentmeister, »und ich kann also weitere Einleitungen sparen und sofort zur Sache kommen. Der Freiherr Oswald ließ sich seit mehreren Wochen hier wieder sehen. Dann war er wieder fort, ohne daß man etwas von ihm erfuhr. Vor drei Tagen war er wieder da, auf einmal, offen, so wie er sich heute Abend Ihnen gezeigt hat, freilich, um dann doch wieder geheim und verborgen sich einzuschleichen. Er kam zuerst zu mir. Es war am vorigen Sonnabend. Wir haben heute Dienstag, und am Sonntag ist die Freifrau gestorben. Ich bitte, genau die Tage zu bemerken. Es war gegen Abend, als er erschien. Er bat mich, ihn bei dem Freiherrn anzumelden. Was er bei ihm wolle, sagte er nicht. Ich ging zu dem Freiherrn. Er nahm nach kurzem Besinnen den Oheim an. Die Beiden waren lange beisammen, bis tief in die Nacht, und – ich bitte jetzt auf die Stunden zu achten, die ich Ihnen nennen werde. Ich war aufgeblieben, um die Rückkehr des Freiherrn Oswald auf dem Schlosse zu erwarten; ich hatte keine Ruhe, bis der unheimliche Mann wieder fort war. Ich hatte ihn selbst zu dem Zimmer des Freiherrn geführt; es war gegen halb neun Uhr; als ich ihn hinführte. Die Zimmer des Freiherrn liegen im rechten Flügel des Schlosses, zwei Treppen hoch; die Fenster gehen nach dem Park hin. Der Abend war schön. Ich setzte mich unter den Fenstern auf eine Bank und saß dort an drei Stunden. Von meinem Sitze aus konnte ich zugleich wahrnehmen, was sich auf dem Schloßhofe ereignete. Die Glocke auf dem Schloßthurm schlug halb zwölf, und ich hatte bis dahin nichts bemerkt. Die Fenster im Wohnzimmer des Freiherrn waren hell geblieben. Auf dem Schloßplatze hielt noch immer ruhig der Wagen, in dem der Freiherr Oswald gekommen war. Ich schloß daraus, der Freiherr und sein Oheim müßten noch immer beisammen sein. Da sah ich, wenige Minuten nachdem die Glocke halb zwölf geschlagen hatte, die Fenster in dem Wohnzimmer des Freiherrn dunkel werden, und unmittelbar darauf die in seinem nebenan liegenden Schlafgemach sich erhellen. Der Freiherr begab sich also zu Bett; der Freiherr Oswald war demnach nicht mehr bei ihm. Aber er war auch nicht auf den Hof zurückgekehrt, sein Wagen hielt noch immer da. Wo konnte er denn sein? Ich mußte es wissen, deshalb ging ich auf den Hof, zum Schloßportal. Es stand offen, der Portier Andreas saß darin auf einem Stuhl. Ich fragte ihn, ob der Freiherr Oswald noch nicht zurück sei.

»Nein,« war die Antwort. »Ich warte noch auf ihn.«

»Aber der Herr ist schon in seinem Schlafzimmer.«

Auch der Portier verwunderte sich.

Ich kam auf den Gedanken, der Herr sei vielleicht nur auf einen Augenblick in seinem Schlafzimmer gewesen. Ich kehrte zum Schloßflügel zurück, um danach zu sehen. Alle Fenster waren dunkel, der Herr war also schon zu Bett gegangen. Ich ging wieder zum Portal. Während ich über den Hof schritt, hörte ich den Wagen des Freiherrn Oswald abfahren. Er hatte in der Nähe des Einahrtsthores zum Schloßhofe gehalten. In dem Augenblicke schlug es Mitternacht. Der Portier wartete im Portale auf mich.

»So eben fährt er ab,« sagte er mir.

»Er kam aus dem Schlosse?«

»Die große Treppe herunter.«

»Allein?«

»Ganz allein.«

»Wo mag er so lange gewesen sein?«

»Ich weiß es nicht.«

Wir wußten es beide nicht. Aber am folgenden Sonntag Abend war die Freifrau todt, und die alte Amme Rose erzählte mir mit Schrecken Folgendes: Die alte Amme war die Kammerfrau der Freifrau, zugleich die Wärterin des Kindes. Sie allein betrat neben dem alten Kammerdiener Theodor die Zimmer der Herrin, sie schlief auch in der Nähe der Herrin. Die Zimmer liegen so: Zuerst der Salon, in dem sich jetzt die Leiche befindet, daneben das Wohnzimmer der Freifrau, neben diesem ihr Schlafzimmer, neben dem Schlafzimmer das Gemach, in welchem die Amme mit dem Kinde schlief. Die Zimmer sind sämmtlich durch Thüren mit einander verbunden, jedes hat außerdem eine besondere, auf den Corridor führende Thür.

Auch in jener Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag hatte die Amme in der Stube des Kindes bei diesem geschlafen, die Thür zu dem Schlafzimmer der Herrin war nur angelehnt gewesen. Die gnädige Frau war leidend, sie hatte einen Husten, der sie oft des Nachts beunruhigte; um auf ihren ersten Ruf bei der Hand zu sein, hatte die Amme die Thür nicht verschlossen.

Plötzlich in der Nacht erwacht diese. Es ist ihr, als sei sie von einem Schrei erwacht. Sie hatte fest geschlafen. Sie hört gleich darauf ein Geräusch in dem Schlafzimmer der gnädigen Frau. Sie horcht danach, sie vernimmt eine unterdrückte Frauenstimme, die sie für die der Herrin hält. Sie hört den Schritt eines Mannes und kann sich nur denken, daß es der alte Theodor sei. Wer anders könnte in der Nacht in das Schlafzimmer der gnädigen Frau kommen? Der Herr war noch nie da gewesen. Aber was machte der alte Kammerdiener da? Von der Herrin gerufen konnte er nicht sein, er schlief zwar an demselben Corridor, aber in einem an dessen Ende gelegenen entfernten Gemache; die Freifrau hätte aufgestanden sein müssen, ihn zu rufen. Darüber wäre die Amme wach geworden. Aus welchem Grunde und zu welchem Zwecke auch hätte die Freifrau den entfernt schlafenden Diener und nicht die unmittelbar neben ihr befindliche Dienerin rufen sollen? Die Amme wollte weiter horchen. Da nahete Jemand sich der angelehnten Thür, und diese wurde zugemacht und abgeschlossen.

Die Amme hörte deutlich, wie der Schlüssel im Schlosse umgedreht wurde. Das konnte nur um ihretwillen geschehen, sie sollte nicht in das Zimmer der Herrin kommen können. Es müsse der Herr sein, meinte sie jetzt, der mit seiner Frau etwas Besonderes und Geheimes zu verhandeln habe. Es wunderte sie zwar, aber es kümmerte sie nicht. Sie versuchte, wieder einzuschlafen, doch dies war ihr unmöglich.

Rings umher im ganzen Schlosse herrschte die tiefste Stille, unwillkürlich mußte sie aufmerksamer lauschen. Aber sie vernahm nichts, keinen Laut; auch nicht mehr in dem Schlafzimmer der Freifrau, das unmittelbar neben dem ihrigen lag, in dem jetzt ein Dritter war, von dem sie nicht wußte, wer es sei, der jedenfalls in ungewöhnlicher, auffallender Weise sich darin befand. Sie war gewohnt, jeden Laut, nur das geringste Geräusch aus dem Zimmer zu hören, auch wenn sie schlief, auch wenn die Herrin allein darin war. Und jetzt diese vollkommene Stille! Was geschah dort?

Auf einmal hörte sie etwas. Es war ein leises Weinen, ein unterdrückter Jammerton. So hatte sie oft ihre Herrin in den Nächten weinen hören. Aber dann war die Herrin allein gewesen. Indeß wer anders, als sie, konnte es jetzt sein? Eine Frauenstimme erkannte die Amme deutlich. Und sicher mußte auch der Herr bei ihr sein. In wessen Gegenwart sonst hätte sie so geweint? Und allein war sie nicht. Der Schritt hatte sich nicht entfernt, keine Thür war geöffnet.

Die Amme konnte nicht mehr mit Verwunderung, sie mußte mit Schrecken weiter horchen.

Zwischen dem Weinen der Frau hörte sie plötzlich die leise sprechende Stimme eines Mannes, und es schien ihr nicht die Stimme des Freiherrn zu sein und auch nicht die des alten Kammerdieners Theodor.

Wer um des Himmels willen, wer war denn mitten in der Nacht heimlich in das Schlafzimmer der Herrin gedrungen, hatte die Thür abgeschlossen, rief ihre Thränen, ihr Jammern hervor?

Die Amme wollte aus ihrem Bette aufspringen, in den Corridor eilen und Lärm machen.

Aber konnte es nicht doch der Freiherr sein, oder der alte Theodor, der der Vertraute der Freifrau war, und an dessen Seite sie diese oft genug weinend angetroffen hatte? Es wurde so leise drinnen in dem Zimmer gesprochen, es war nur ein Gemurmel, das sie vernahm. Einer von Beiden mußte es sein. Wer sonst hätte so leise mit ihr reden können? Gegen wen sonst hätte sie nicht laut Hülfe herbeigerufen?

Sie stand auf; geräuschlos schlich sie nach der Thür und lauschte. Sie hörte noch das leise Sprechen des Mannes, das stille Weinen der Frau, welches von Zeit zu Zeit durch Husten unterbrochen wurde.

Der Mann sprach noch immer, aber so leise, daß kein Wort zu verstehen war und der Ton der Stimme klang bald drohend, bald bittend, bald erzählend.

Die arme, kranke Frau weinte nur dazwischen, und die alte Amme mußte voll Mitleiden mit weinen.

Die leise sprechende Mannsstimme war plötzlich still, die Thür, die aus dem Schlafzimmer der Freifrau in den Corridor führte, wurde leise geöffnet und wieder zugemacht. Unmittelbar nachher vernahm sie deutlich den Schritt eines Mannes in dem Corridor, der sich schnell und leise entfernte.

Die Amme horchte noch eine Weile. Es blieb Alles still.

Ihre Angst vermehrte sich; sie mußte in das Zimmer, zu der Herrin, doch konnte sie jetzt nur vom Corridor aus dahinkommen. Sie ging zu der Thür, die aus ihrem eignen Zimmer in den Corridor führte, leise kaum hörbar öffnete sie dieselbe; da erblickte sie eine menschliche Gestalt.

Die Gestalt kam näher. Der alte Freiherr Oswald war es, sie erkannte ihn deutlich.

Ein Entsetzen ergriff sie, ihr ganzer Körper bebte. War der alte Freiherr bei der Herrin gewesen und zu welchem Zweck? Wollte er wieder zu ihr?

Er kam näher, er hielt vor der Thür des Schlafzimmers der Herrin. Die Thür wurde geöffnet und wieder zugemacht.

In dem Zimmer der Herrin wurde wieder leise gesprochen. Der Mann sprach, die Frau sprach, verstehen konnte die Amme kein Wort. Aber der Ton beider Stimmen schien ihr ein ruhiger zu sein. Nur ein paarmal vernahm sie wieder die leisen Klagetöne der Frau, aber weinen hörte sie diese nicht mehr.

Dann kam plötzlich der Augenblick, der das Blut in den Adern der alten Amme erstarren machte.

Es war eine halbe Minute ganz still in dem Zimmer geworden, plötzlich hörte man den Klang eines Glases, welches mit einem anderen gläsernen Gegenstande in Berührung gebracht wurde.

Es wurde aus letzterem etwas hineingegossen, aber nur langsam, wie tropfenweise – die Amme glaubte die einzelnen Tropfen fallen zu hören.

Was konnte das-sein?

In dem Schlafzimmer der Freifrau befand sich nur eine Wasserkaraffe mit einem Wasserglase. Beides stand auf einem kleinen Tische neben dem Bette der Freifrau.

Das Wasserglas konnte geklungen haben, in dasselbe konnte eingegossen sein.

Aber mit der Wasserkaraffe war nicht an das Glas gestoßen; aus der Karaffe war nichts ausgegossen. Diese war von geschliffenem Krystall und ihr Berühren mit dem Glase hätte einen vollen, klingenden Ton hervorbringen müssen, auch konnten aus ihrer weiten Oeffnung nicht einzelne Tropfen ausgegossen werden. Der Klang, den die Amme gehört hatte, war ein dünner, klappernder gewesen, wie etwa das Berühren des Glases mit einer kleinen Arzneiflasche oder einer ähnlichen Phiole ihn gab, und auch nur aus der engen Oeffnung einer kleinen Phiole konnte in einzelnen Tropfen ausgegossen werden.

Welche Flüssigkeit war in das Glas geschüttet?

Die Amme hielt den Athem an, um weiter zu hören.

Die Freifrau trank, man hörte es deutlich, denn das Trinken mußte ihr schwer werden, wie ein öfteres Schlucken und Würgen bewies.

»Oh!« sagte sie, klagend, stöhnend, und ein heftiger, anhaltender Husten unterbrach sie, nachdem sie das Glas geleert hatte. Es wurde still in dem Zimmer, kein Laut war mehr darin zu hören.

Das dauerte einige Minuten. Dann näherte sich der Mann der Thür, an der die Amme stand und die vorhin abgeschlossen war. Der Schlüssel darin wurde gedreht, das Schloß aufgeschlossen, unmittelbar darauf wurde die in den Corridor führende Thür des Schlafzimmers der Freifrau geöffnet und wieder zugemacht und der Schritt des unheimlichen Besuchers entfernte sich rasch im Corridor.

Die Amme war horchend an der Thür stehen geblieben.

Sie hörte die Freifrau wieder still weinen. Ein Husten unterbrach das Weinen, der Husten kam der Amme anders vor wie sonst, schärfer, trockener.

Sie zögerte nicht länger mehr und öffnete die Thür.

»Befehlen die gnädige Frau etwas?« fragte sie in das Zimmer hinein.

»Nein!« war die Antwort.

Die Amme mußte sich wieder in ihr Gemach zurückziehen, doch hatte sie einen spähenden Blick in das Zimmer werfen können. Eine Veränderung hatte sie darin nicht bemerkt. Das Nachtlicht brannte, Wasserglas und Wasserkaraffe befanden sich auf dem kleinen Tische neben dem Bett, und ein Stuhl stand vor letzterem. Alles war, wie die Amme es verlassen hatte, als sie die Herrin zu Bette brachte und dann in ihr Schlafgemach nebenan ging.

Und doch lag ihr die Ahnung so schwer auf dem Herzen, als wenn ein ungeheures Unglück geschehen sein müsse.

Sie konnte nicht einschlafen. Sie mußte nach jedem Geräusch in dem anstoßenden Zimmer lauschen.

Nur kurze Zeit blieb es dort still, dann hörte sie die Freifrau unruhig werden, schwerer athmen; der Husten unterbrach das Athmen ganz, kehrte öfter wieder, war heiser, trockner, als er vorher gewesen war. Die Freifrau mußte öfter trinken, sie schenkte selbst das Glas aus der Karaffe voll und die Amme überzeugte sich um so vollständiger, wie jener Ton, als vorhin in das Glas eingeschüttet wurde, ganz anders geklungen hatte.

Die Amme hielt sich lange still, aber der Zustand der Herrin schien ihr von Viertelstunde zu Viertelstunde schlimmer zu werden. Es wurde ihr endlich so unheimlich, daß sie abermals ungerufen in das Zimmer trat, mit der Frage, ob die gnädige Frau nichts befehle.

Diesmal erhielt sie keine verneinende Antwort.

»Frisches Wasser, Rose!« bat die Freifrau.

Aber das war eine sonderbare Stimme, so trocken, so heiser und doch so scharf, und wieder so matt.

Die Amme erschrak. Sie sollte noch mehr erschrecken.

Sie ging an das Bett der Freifrau. Die Wasserkaraffe war völlig leer und doch war sie eine große Flasche. Das war ein unnatürlicher Durst, den die Herrin hatte löschen müssen. Und dieser unnatürliche Durst dauerte noch fort, er schien die Kranke innerlich zu verzehren, zu verbrennen.

»Recht frisches Wasser, Rose!« sagte sie zu der Amme, »recht kaltes!«

Sie sprach es hastig mit der scharfen, heiseren Stimme, mit der trockenen Zunge, die am Gaumen fest klebte. Ihre Augen waren so groß, so hohl geworden; durch ihr mageres Gesicht flog eine dunkle Röthe; ihr Athem war kurz, hastig, glühend heiß.

»Um des Himmelswillen, gnädige Frau, was ist Ihnen?« rief die Amme.

»Hole mir nur Wasser! Schnell! schnell!« drängte die Kranke.

Die Amme durfte nicht mehr fragen, sie mußte gehen. Aber wie sie nach der Karaffe langte, ergriff sie ein neuer Schreck. Der kleine Nachttisch, auf dem Karaffe und Glas standen, war mit einer weißen Decke belegt. In der Decke sah sie dunkle, braune Flecke. Die Flecke waren am Abend noch nicht da gewesen, die Amme wußte es genau, denn sie selbst hatte die Decke rein hingelegt. Wie waren sie hineingekommen? Was bedeuteten sie? Waren sie verschüttet bei jenem Ausgießen aus der Phiole in das Wasserglas? Was war in der Phiole gewesen?

Sie mußte es wissen und half sich rasch, indem sie mit der Karaffe das Wasserglas von dem Tisch nahm.

»Ich werde es reinigen, gnädige Frau,« sagte sie.

»Eile nur, Rose!« rief die Kranke.

In einer Nische des Corridors gibt ein Hahn das frischeste, klarste Trinkwasser. Die Amme eilte dahin und füllte die Karaffe Sie hatte ein Licht mitgenommen und besah beim Scheine desselben das Glas. In dem Glase war eine dunkle Flüssigkeit gewesen und hatte einen eigenthümlichen Geruch, wie von Safran und Wein oder Alkohol zurückgelassen.

»Gift?« rief es unwillkürlich in der alten Frau.

Sie schauderte; sie zitterte, daß sie kaum das Glas halten konnte. In ihrer Verwirrung wusch und reinigte sie es dennoch, daß die dunkle Farbe aus dem Grunde verschwand, der Geruch sich verlor.

Dann kehrte sie zu der Herrin zurück.

Die Kranke verlangte schon nach ihr. Sie verschlang mit einer wilden Hast den kühlenden Trunk und zwar Glas auf Glas.

»Verlasse mich nicht,« bat sie dabei die Amme. »O, lasse mich nicht allein!«

Ihr Gesicht war röther geworden, eine furchtbare Fieberhitze glühte darin, es zeigte eine ungeheure innere Angst; und die Augen starrten erschrocken umher. Nur der Husten hatte nachgelassen und kam immer schwächer.

Die Amme konnte nicht von ihrer Seite weichen, sie saß in unsäglicher Angst da.

»Soll nicht zu einem Arzte geschickt werden, gnädige Frau?« fragte sie.

»Nein!« war die kurze, bestimmte Antwort.

»Soll ich nicht Theodor rufen?«

»Nein.«

»Aber die gnädige Frau haben ein heftiges Fieber.«

»Ich habe nur Durst. Es wird vorübergehen.«

Auch die zweite Wasserflasche war geleert und die Amme mußte eine dritte holen. Draußen im Corridor faßte sie sich ein Herz. Die Stube des alten Theodor lag nicht weit von dem Wasserkrahn. Sie eilte hin und weckte den alten Diener.

»Herr Theodor, die gnädige Frau ist plötzlich krank geworden.«

»Was fehlt ihr?«

»Sie liegt in schrecklicher Fieberhitze, in ungeheurer Angst.«

»Ist etwas vorgefallen in der Nacht?« fragte er.

»Es war Jemand um Mitternacht im Zimmer der gnädigen Frau.«

»Wer war es?«

»Ich meinte, es sei der Herr gewesen; aber –«

»Aber, Rose?«

»Die gnädige Frau ist gerade seitdem krank. Sie hat etwas genossen, und – es muß heraus, Herr Theodor – ich glaube, sie ist vergiftet.«

Der alte Diener war heftig erschrocken. Sie mußte ihm Alles erzählen.

Er hörte ihr schweigend zu, unterbrach sie mit keinem Worte, mit keiner Silbe, auch als sie fertig war, sagte er nichts. Er widersprach auch nicht ihren Vermuthungen darüber, wer im Zimmer gewesen sei, sondern seufzte nur tief und schwer auf, als wenn er sagen wolle, meinte die Amme, er habe schon lange befürchtet, daß es so kommen werde.

Vor dem Zimmer der Freifrau machte er Halt.

»Rose,« sagte er zu der alten Frau, »wenn Ihnen das Glück und die Ehre dieses Hauses lieb sind, in dem Sie nur Wohlthaten genossen haben, dann sagen Sie keinem Menschen irgend ein Wort von dem, was Sie mir mitgetheilt haben.« Hierauf ging er mit ihr in das Zimmer.

Die Kranke schien ruhiger geworden zu sein. Ihr Gesicht war weniger glühend, ihr Athem weniger heiß, aber sie war sichtlich matter. Sie hatte vorher noch das Glas halten können, wenn sie trank. Jetzt mußte die Amme es ihr halten.

Während sie trank, sah sie den alten Diener, der hinter der Amme eingetreten war.

»Du hast ihn doch gerufen!« sagte sie. »Aber es ist gut, Du hast Dich beinahe die ganze Nacht mit mir gequält. Lege Dich jetzt zur Ruhe; Theodor wird bei mir bleiben.«

Es war ein Befehl für die Amme, sie ging in ihr Schlafgemach, nachdem sie vorher noch einen Blick auf die Decke des Nachttisches geworfen hatte.

Bei dem Lichte des Morgens, der unterdeß angebrochen war, sah sie deutlich die dunkelbraunen Flecke in der weißen Damastleinwand und es kam ihr vor, als hätten sie etwas Glänzendes.

Der alte Kammerdiener verschloß die Thür des Zimmers hinter ihr. Sie solle ruhen, schlafen, hatte die Herrin gesagt. Aber sie konnte es nicht.

Sie mußte horchen, was sich weiter begeben werde; sie mußte fast noch angelegentlicher horchen, als bisher.

Die Freifrau und der Diener sprachen lange mit einander, aber die Herrin mit ihrer schwachen und der alte Diener mit seiner vorsichtigen Stimme sprachen so leise, daß die Amme kein Wort verstehen, aus dem Tone der Stimme nicht einmal auf den Inhalt des Gespräches schließen konnte. Nur als darauf Beide schwiegen, glaubte sie etwas errathen zu können.

Sie vernahm in der Nähe des Bettes der Herrin ein Geräusch, als wenn gewaschen und gerieben werde. Der Kammerdiener sucht die braunen Flecke in der Decke des Nachttisches zu vertilgen, dachte sich die Amme. Aber warum dies? Das blieb ihr wieder ein Räthsel.

Sie hörte weiter nichts, auch kein Reden. Die Herrin war wahrscheinlich endlich eingeschlafen; vom Wachen ermüdet, schlummerte die alte Frau endlich selber ein.

Es war sieben Uhr Morgens, als der alte Kammerdiener sie weckte und sie aufforderte, der Herrin das Bett zu machen.

Sie ging in das Zimmer. Die Freifrau lag im Bett; sie sah entsetzlich blaß aus, und ihr Gesicht war entstellt. Sie war so schwach, daß sie nicht aufstehen konnte und die Amme mußte ihr das Bett zurecht machen, während sie darin blieb. Sie überzeugte sich dabei, daß aus der Decke des Nachttisches die braunen Flecke verschwunden waren; die Spuren des Waschens und Reibens waren noch zu sehen. Aehnliche Spuren zeigte das Kopfkissen, aus dem die Freifrau lag.

Warum hatte der alte Diener die Flecke vertilgt?

Die Freifrau genoß nichts. Nur zuweilen verlangte sie wieder nach Wasser und trank dann mit Hast.

Sie lag still, mit geschlossenen Augen und sprach nur, wenn sie Wasser begehrte; ihre Stimme war matt, heiser. Sie selbst schien immer schwächer zu werden.

»Soll kein Arzt herkommen, gnädige Frau?« fragte die Amme noch einmal.

»Nein,« lautete wieder die Antwort. »Er kann mir nicht helfen.– – Ich sterbe,« sagte sie nach einer Weile von selbst. »Ich überlebe den Tag nicht.«

Ihr Kind war erwacht. Die Amme mußte mit demselben bei ihr bleiben. Sie wurde schwächer und schwächer.

Der alte Theodor kam öfter herein. Die Kranke ließ ihn an das Bett treten, er mußte ihr die Hand reichen und sie nahm sie stumm, während er still weinte.

»Soll nicht zu einem Arzt geschickt werden?« fragte die Amme auch ihn.

»Sie will es nicht,« antwortete der alte Mann unter seinen Thränen. »Und er kann ihr ja auch nicht mehr helfen.«

»Was fehlt ihr denn, Herr Theodor? Wie ist es denn plötzlich so schlimm mit ihr geworden?«

Der alte Diener antwortete nicht.

Gegen Mittag war sie eingeschlafen, in zunehmender Schwäche; wie es schien. Sie schreckte oft im Schlafe auf, aber sie schlummerte mehrere Stunden so. Als sie erwachte, schien wenigstens ihr Geist freier geworden zu sein. Die Amme mußte ihr abermals das Kind bringen, sie küßte es und sah es mit so inniger und doch so schmerzlicher Liebe an.

»Für Dich, für Dich war es ja Alles!« sagte sie zu dem Kinde.

Dann war es, als wenn ein plötzlicher Schreck sie ergreife, als wenn sie das Kind nicht mehr bei sich behalten, nicht mehr ansehen könne.

»Nimm es!« sagte sie zu der Amme. »Laß mich allein.«

Die Amme wollte mit dem Kinde gehen, doch die Kranke rief sie zurück.

«Bleibe, bleibe! Nein, nein! Nicht das arme Kind! – – Mir ist geworden, was ich verdiente!«

Die Amme mußte ihr das Kind wieder reichen. Sie küßte es und weinte dabei so bitterlich.

Es hatte sie angegriffen, sie verfiel wieder in ihren unruhigen Schlaf, aber nach einer halben Stunde fuhr sie mit einem Schrei aus demselben auf. Eine heftige, fliegende Unruhe zeige sich an ihr, verließ sie nicht. Sie verlangte nach dem Schloßkaplan, um die letzten Sacramente zu empfangen. Der Kaplan kam, er verrichtete die heilige Handlung und erst als er diese vollendet hatte, war sie ruhiger.

Theodor mußte jetzt ihren Gatten zu ihr bitten. Sie hatte den ganzen Tag nicht nach ihm verlangt, nicht von ihm gesprochen.«

Der Rentmeister machte eine Pause in seiner Erzählung, dann fuhr er fort: »Ob er nach ihr gefragt, ob er von ihrem Zustande Kenntniß gehabt hatte, weiß ich nicht. Die alte Amme konnte mir nichts davon sagen. Der alte Theodor ist auch gegen mich verschlossen. Der Freiherr war zwei Stunden bei ihr. Was sie in dieser Zeit gesprochen haben, ich weiß es nicht. Sie starb um sieben Uhr des Abends in seinen Armen.

Und nun, Herr Assessor,« schloß der Greis, »erlauben Sie mir ein paar Bemerkungen. Zuerst, Sie glauben, wie ich, an eine Vergiftung?«

»An eine Vergiftung durch Laudanum,« sagte der Assessor. »Die braunen Flecke, der Saffrangeruch, der große Durst der Kranken, ihre Beängstigung, dann der schreckhafte Schlummer, die schnelle Abnahme der Kräfte, Alles weist auf eine solche Vergiftung hin. Der Tod pflegt freilich in der Regel nicht in so kurzer seit einzutreten. Aber bei der Schwäche der Armen, die schon so lange gelitten hatte, kann auch der schnell erfolgte Tod nicht auffallen.«

»Sie werden in dem Allem Recht haben,« meinte der Rentmeister. »Ich verstehe es nicht. Es kommt dann vor Allem darauf an, wer der Frau das Gift beigebracht, wer in der Nacht bei ihr am Bette gewesen? Wer das erste, wer das zweite Mal? Der Freiherr Oswald? Oder ihr Mann, der Freiherr Carl? der das eine Mal der Eine, das andere Mal der Andere? An einen Dritten ist, meines Erachtens, vernünftiger Weise, nicht zu denken. Aber wie ist ihr denn am Ende das Gift beigebracht? Heimlich oder mit ihrem Willen? Hier liegt eben Alles im Dunkel-.

Damit mußte auch der Assessor sich einverstanden erklären.

»Hätte wohl,« fragte er nur noch, »der Freiherr Oswald jene Anzeige an das Gericht gemacht und sich in Person jetzt hier eingefunden, wenn er der Thäter wäre?«

»Wer kennt die Pläne schlechter Menschen?« erwiderte der Rentmeister. »Was ihn vor der That leitete, wird ihn auch jetzt leiten. Haß, Rache, Hoffnung auf Succession in die Güter –«

»Auf Succession? Existirt ja doch in dem Kinde ein Erbe,« meinte der Assessor.

Der Rentmeister zögerte mit der Antwort.

Der Assessor mußte daran denken, daß nach der anonymen Anzeige an das Gericht dem Kinde des Freiherrn und der Verstorbenen nicht Namen und Rechte eines Freiherrn von Falkenburg zustehen sollten.

»Haben Sie Zweifel,« fragte er den Rentmeister, »über die Person des Freiherrn, über das Kind?«!

Der Rentmeister antwortete nicht.

»Hören Sie den Freiherrn Oswald,« sagte er. »Sie wissen jetzt Alles, was Sie vorher zu seiner Vernehmung wissen mußten, Alles, was man in dieser dunklen Angelegenheit wissen kann. Ich schicke Ihnen den Mann herein.«

Der Rentmeister entfernte sich. Der Assessor erwartete gedankenvoll den Freiherrn Oswald.

Klarer als vorher sah er auch jetzt in dieser Sache nicht. Sollte er durch den Freiherrn neues, helleres Licht erhalten? Er mußte es.



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