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Nochmals eine Ankunft im Schlosse.

Criminaluntersuchungen, in denen von vornherein Alles im Dunkeln liegt, pflegen schwierig und verwickelt zu werden und können den Richter, der sie zu führen hat, nach manchen Seiten hin compromittiren; sie werden um so dorniger und unangenehmer, wenn sie gegen vornehme Personen zu führen sind. Die älteren Mitglieder eines Criminalgerichts schieben sie dann gern von sich ab, und der Dirigent des Gerichts überträgt sie einem jüngeren Richter, mit der wohlwollenden Versicherung, er finde dabei Gelegenheit, sich auszuzeichnen und Carriere zu machen.

Ein junger Assessor des Criminalgerichts wurde mit der Führung der Untersuchung über den allenfalls gegen die Freifrau von Falkenburg verübten Giftmord beauftragt. Ein alter, erfahrener Gerichtsschreiber und ein handfester und entschlossener Executor wurden ihm beigegeben.

Der Assessor war funfzehn Minuten nach seiner Ernennung zum Inquirenten mit den beiden anderen Beamten auf dem Wege zur Falkenburg.

Keiner von den drei Beamten war jemals auf dem Schlosse Falkenburg gewesen, selbst die Gegend umher war ihnen unbekannt. So kannte man auch sie dort nicht, und sie konnten um so vorsichtiger und sicherer ihre Operationen einleiten.

Der junge Assessor hatte schon in früheren Untersuchungen gezeigt, daß er ein eben so gewandter wie vorsichtiger Inquirent sei. Er erkannte auch jetzt die ganze Schwierigkeit seiner Aufgabe. Eine Untersuchung wegen Giftmordes ist immer eine besonders schwierige. Das Gift wird heimlich beigebracht, es wirkt heimlich; in den wenigsten Fällen ist nur eine Spur von ihm aufzufinden; animalische und vegetabilische Gifte lassen sich in ihrer Substanz gar nicht herstellen. Die Untersuchung mußte in dem vorliegenden Falle eine doppelt, dreifach schwierige werden, bei dem Mangel an jeglichem Anhalt; bei der völligen Unbekanntschaft des Inquirenten mit Gegend, mit Bewohnern, mit Zuständen des Schlosses Falkenburg; bei allen jenen Widersprüchen in der anonymen Denunciation. Der Besitzer des Schlosses sollte seine Gattin ermordet haben, die wieder nicht seine Gattin war, und er selbst sollte kein Freiherr von Falkenburg, also wieder nicht der rechtmäßige Besitzer des Schlosses sein!

Aber war denn wirklich ein Mord verübt? Konnte nicht eben sowohl hierüber eine Mystifikation vorliegen, gerade mit der nichtswürdigen, ruchlosen Absicht, das Criminalgericht in Schloß Falkenburg hineinzuwerfen, und hier, vielleicht allerdings besonderen, eigenthümlichen Verhältnissen und Zuständen gegenüber, den Frieden und die Ruhe des Hauses zu stören?

Der Inquirent konnte nicht vorsichtig genug verfahren; er mußte bei jedem Schritte, den er that, auf seiner Hut sein.

Das Schloß Falkenburg lag fünf Meilen von dem Orte des Gerichts entfernt. Der Kutscher, der die Beamten fuhr, kannte den Weg dahin, freilich nur bis zu dem letzten Dorfe vor dem Schlosse. Das Schloß sollte noch etwa eine halbe Meile weiter liegen, mitten in einer waldigen Gegend; so hatte er gehört, er selbst war noch nicht dagewesen.

Die Beamten erreichten das Dorf. Der Assessor ließ am Kruge halten. Er hatte den beiden anderen Beamten und dem Kutscher auf das gemessenste befohlen, Niemandem zu sagen, woher sie kämen, wohin sie wollten.

Er ließ sie im Kruge zurück und ging selbst in das Dorf hinein.

Es war ein Kirchdorf, das nächste beim Schlosse Falkenburg; vielleicht war dieses hier eingepfarrt, trotzdem das anonyme Schreiben von einem Schloßgeistlichen gesprochen hatte. Der Pfarrer des Dorfes mußte dann nothwendig von dem Tode der Herrin des Schlosses Kunde haben. Dies war indeß auch dann zu erwarten, wenn das Schloß nicht zu der Pfarre gehörte. Das Schloß gehörte zu dem Gute der »Herrschaft« Falkenburg; zu einem Begräbnisse der Freifrau waren unzweifelhaft sämmtliche Pfarrer der Herrschaft eingeladen. So dachte der Assessor.

Er nahm seinen Weg zu der Kirche des Dorfes. Neben der Kirche mußte das Pfarrhaus liegen, zu dem Pfarrhause mußte ein Garten gehören, in dem Garten mußte seine Laube sein, in der Laube –

Es war ein heller warmer Nachmittag in den ersten Tagen des September. Der Assessor war ein junger, hübscher, gewandter, lebensfroher Mann. Darf das nicht auch ein Inquirent sein, und darf er, wenn er mit Gift und Mord zu thun hat, an gar nichts Anderes denken, als an Gift und Mord?

In der Laube konnten ein paar hübsche Töchter des Pfarrers sitzen. Einsame Pfarrerstöchter auf dem Lande sind neugierig, sie mußten auf ihn neugierig werden, wenn er an dem Garten, an der Laube vorbeiging, und wenn ein junger, gewandter Mann einmal die Neugierde junger hübscher Damen erweckt hat, so müßte es gar sonderbar zugehen, wenn er nicht bald in ein Gespräch mit ihnen verwickelt wäre. Das Gespräch, in das vielleicht der alte Pfarrer, der Vater, selbst sich hineinmischte, mußte dem Inquirenten, ohne daß er sich im geringsten verrieth, Alles liefern, was er vorläufig über das Schloß Falkenburg und über dessen Bewohner, Zustände und Ereignisse erfahren wollte. So dachte er weiter.

Er kam zu der Kirche. Neben der Kirche lag das Pfarrhaus in einem reizenden Garten, und in diesem Garten war eine reizende Laube, aber in der Laube saßen keine hübschen, neugierigen Pfarrerstöchter.

Dagegen wurde dem Assessor eine Ueberraschung zu Theil.

In dem Garten ging ein Mann spazieren. Es war kein alter Pfarrer, aber ein junger Mann, etwa in demselben Alter, in dem sich der Assessor befand. Und wie er sich den jungen Mann näher ansehen wollte, kam dieser schon eilig auf ihn zu, und indem Jeder den Namen des Anderen rief, hatten sich ein paar Universitätsfreunde wiedergefunden, die seit den Universitätsjahren nichts von einander gehört hatten.

»Du bist Pfarrer hier?«

»Seit anderthalb Jahren. Und Du bist?«

»Assessor beim Criminalgericht ebenfalls seit anderthalb Jahren.«

»Und was führt Dich hierher?«

Da stand der Inquirent so auf einmal, wie von selbst, an dem Ziele seiner Wünsche, das er nur mühsam und langsam, durch Fragen und Winden erreichen zu können gemeint hatte. Dem Freunde konnte er sich, der Freund konnte ihm vertrauen. Er war indeß doch noch ein vorsichtiger, peinlicher Mann. Der rechte Criminalrichter ist es meist. Die Theologen, hm, sie sind es – nicht so oft.

»Zu Dir? der Zufall,« sagte der Assessor.

»Zu mir? Aber in dieses Dorf? In diese Gegend?

»Hm –»

»Ah, Du willst doch nicht zur Falkenburg?«

»Was wüßtet Du davon?«

»Nun, Du ist Criminalrichter, wie Du mir sagst, und dort –«

»Und dort auf der Falkenburg?«

»Sollen sonderbare Geschichten passirt sein.«

»Sollen? Du hast nur davon gehört?«

»Ich selbst war nie da.«

»Das Schloß gehört nicht zu Deiner Pfarre?«

»Nein. Sie sind katholisch dort. Freilich der Schloßherr –

»Was ist's mit ihm?«

»Er war ein paarmal hier bei mir in der Predigt.«

»Du kennst ihn also?«

»Ich habe ihn von meiner Kanzel aus in der Kirche gesehen, weiter nicht.«

»Wie sieht er aus?«

»Wie ein vornehmer Herr in unserem Alter – im Anfange der Dreißiger ist er wohl – aussieht; freilich dabei etwas sehr blaß, sehr finster, sehr unglücklich.«

»Und seine Frau? Er ist doch verheirathet?«

»Er war es. Aber gesehen hat seine Frau kein Mensch, und wenn Du wissen willst, wie sie aussah – indeß, Freund Assessor, ich glaube, Du willst Komödie mit mir spielen. Heraus Deinerseits mit der Sprache, wenn Du von mir etwas erfahren willst. Geht Deine Reise nach der Falkenburg und was hat Du dort vor?«

»Du wirst mich nicht verrathen, Freund?«

»Sei kein Thor!«

»Ja, ich will zur Falkenburg. Dem Criminalgerichte kam die Anzeige von dem Tode der Freifrau.«

»Ah, und von wem?«

»Anonym!«

»Ich hatte es gedacht.«

»Was hattest u gedacht?«

»Nichts, nichts – oder nachher. Wie lautet die Anzeige? Ich erzähle dann Dir.«

»Die Anzeige lautet, die Freifrau von Falkenburg auf Schloß Falkenburg sei gestorben, sie sei vergiftet und ihr Mörder sei ihr Gemahl; der Geistliche und eine alte Amme im Schlosse würden das Nähere bekunden. Es werde dabei zugleich ermittelt werden, daß die Verstorbene keine Freifrau von Falkenburg gewesen, daß ihr Gemahl kein Freiherr von Falkenburg sei, und daß mithin auch dem Kinde der Beiden keine Rechte eines Freiherrn von Falkenburg zustehen.«

Der Pfarrer nickte mit dem Kopfe, als wenn er so den Inhalt der anonymen Anzeige erwartet habe.

»Du kennst den Einsender?« fragte ihn der Assessor.

»Gott bewahre mich.«

»Aber Du stimmst dem Inhalte bei?«

»Gott bewahre mich auch davor.«

»So erzähle Du jetzt.«

»Du wünschest zunächst Auskunft über die Freifrau zu erhalten?«

»Gewiß. Die Frau ist todt?«

»Seit vorgestern Abend.«

»Ist sie schon begraben?«

»Die Beerdigung soll morgen früh sein.«

»So käme ich noch zeitig genug.«

»Wozu, mein Freund?«

»Wäre dort kein Verbrechen vorgefallen?«

»Verbrechen vielleicht mehr als genug. Ob aber gerade ein Giftmord –? Freilich, es gibt allerlei Morde.«

»Da sprichst in Räthseln. Erzähle nur endlich. Was werde ich in dem Schlosse finden? Was ist dort geschehen?«

»Du frägst viel in den wenigen Worten, und es ist Dir nur wenig zu antworten. Was Du im Schlosse finden wirst? Vor allem eine todte Frau, die bisher von allen Menschen der Gegend vielleicht nur drei Bewohner des Schlosses gesehen haben, nämlich ihr Mann, der alte Kaplan, die alte Amme.«

»Und warum Niemand sonst?«

»Doch wohl, weil sie sich sonst vor Niemandem sehen ließ oder sehen lassen durfte.«.

»Und warum das nicht?«

»Das weiß ich nicht. Aber laß mich fortfahren Die Frau ist todt, von ihr wirst Du nichts erfahren, als vielleicht, daß sie noch jung und schön war, – was die Leute zwar glauben, wovon aber Niemand etwas weiß, – wahrscheinlich auch, daß sie leidend und unglücklich genug gewesen sein mag, was man ebenfalls glaubt, weil man nichts darüber weiß. Du wirst ferner den Freiherrn finden, den blassen, finsteren, menschenscheuen Mann, den ich Dir schon beschrieben habe. Er kann noch reden, aber aus seinem verschlossenen Munde wirst Du kein Wort vernehmen. Die alte Amme wirst Du finden, die seine, des Freiherrn, Amme war. Sie ist eine alte Vertraute der Personen und Ereignisse des Schlosses, aber sie ist stumm, wie das Grab. Der alte Schloßkaplan dann, er weiß wohl noch mehr als die Amme; aber er ist stummer als das Grab, er ist Beichtvater. Ein alter Rentmeister ist noch da; Dein anonymes Schreiben erwähnt seiner nicht. Er weiß gewiß ebenfalls Manches, aber was er weiß, sagt auch er nicht. Solche alte Beamte eines alten Hauses sind treuer als Gold, sie begehen Verbrechen, wenn es sein muß, um ihre Herrschaft nicht zu verrathen, um sie nur nicht bloßzustellen. Außerdem wirst Du nur Diener finden, die von nichts wissen, die kaum das Schloß betreten durften. Ich fürchte, Deine Mission, ein Verbrechen dort zu entdecken, wird eine vereitelte sein.«

»Aber glaubst Du an ein Verbrechen?« fragte der Assessor.

»Höre mir zu, ich werde Dir erzählen, was sich im Schlosse zugetragen hat. Ich muß etwas weit zurückkehren und ich weiß nur Allgemeines, was man sich in der Gegend erzählt, eigentlich nur, was sich meine Herren Confratres erzählen und mir erzählt haben.

Der Vater des Freiherrn, dessen Gattin morgen beerdigt werden soll, der Freiherr Max von Falkenburg, war der zweite Sohn seines Vaters; sein älterer Bruder hieß, oder heißt noch, Oswald von Falkenburg. Der Vater der Beiden besaß hier die reiche Herrschaft Falkenburg, und im Oesterreichischen das Gut Hammersdorf, zwar ebenfalls ansehnlich, aber mit Falkenburg gar nicht zu vergleichen. Sämmtliche Besitzungen waren sein freies, allodiales Eigenthum; er konnte darüber unter seinen beiden Söhnen verfügen, wie er wollte. Er hatte dennoch zum öftern davon gesprochen, daß der ältere Sohn Oswald Falkenburg, der zweite Max Hammersdorf nach seinem Tode erhalten solle. So war es auch früher in der Familie gewesen, und nur durch das Aussterben der jüngeren Linie im Oesterreichischen waren die sämmtlichen Güter in eine Hand gekommen. Der alte Herr starb, sein Testament wurde eröffnet. Es enthielt andere Bestimmungen, als man erwartet hatte: die große und reiche Herrschaft Falkenburg war dem jüngeren Max zugetheilt, der ältere Oswald war mit dem vielleicht um Neunzehntel geringeren Gute Hammersdorf abgefunden. Die Leute steckten schon damals die Köpfe zusammen. Der Freiherr Max war wenige Monate vor dem Tode seines Vaters von seinen Reiter nach Hause zurückgekehrt, der Freiherr Oswald befand sich noch auf Reisen. Der Freiherr Max setzte sich in Besitz von Falkenburg. Man war neugierig auf die Rückkehr des Freiherrn Oswald. Er wurde erwartet, es ging ihm kein guter Ruf voraus. Er sei ein roher Wüstling, ein gemeiner, zu jeder Gewaltthätigkeit und Schlechtigkeit fähiger Mensch, hieß es von ihm; so habe er sich in der Welt herumgetrieben. Schon in seiner Jugend auf Schloß Falkenburg hatte er sich als ein Taugenichts gezeigt. Das war freilich auch sein jüngerer Bruder Max gewesen, und man wollte von diesem auch in späterer Zeit nicht viel Anderes, als von dem älteren Bruder gehört haben; er sei nur ein heuchlerischer Lump, während der ältere ein offener sei, der gar mit seiner Rohheit und Gemeinheit renommire.

Der Freiherr Oswald kam zurück. Wenige Wochen nachher war ein Prozeß zwischen den beiden Brüdern anhängig. Oswald forderte von Max die Herrschaft Falkenburg heraus. Er behauptete, der jüngere Bruder habe das Testament des Vaters gefälscht. Der Prozeß konnte nur durch einen Eid entschieden werden. Der Freiherr Max leistete den Eid, daß er das Testament nicht gefälscht habe. Er behielt Falkenburg und die Leute sagten, daß er einen Meineid geschworen habe.

Ein paar Monate später starb seine schöne, brave junge Frau; die Leute sagten, das sei die Strafe Gottes für den von dem Freiherrn geleisteten Meineid. Andere Leute sprachen nicht von dem Freiherrn Max und nicht von einer Strafe Gottes, sondern von dem Freiherrn Oswald und von Rache.

Darauf begann das einzige Kind des Freiherrn Max, der jetzige Freiherr Carl zu kränkeln und auf unerklärliche Weise dahin zu schwinden. Erkennt Ihr nun die Strafe Gottes? sagten die Leute. Das Geschlecht des Meineidigen soll aussterben; er darf die Früchte seines Verbrechens nicht genießen. Andere Leute dachten wieder an den Freiherrn Oswald und daß dessen Nachkommen doch die Herren auf der Falkenburg würden, wenn der Freiherr Max ohne Nachkommenschaft sterbe.

Der Freiherr Max aber verließ mit seinem Kinde die Falkenburg und Deutschland und ging in die weite Welt, und da die Welt sehr weit ist, wußte kein Mensch, wo er war. Es hieß nur, er sei um des kränkelnden Kindes willen nach dem Süden gegangen. Die Gelder für ihn wurden an ein Frankfurter Bankierhaus geschickt, und auch dieses wußte nicht, wo er war; es mußte sich nur wieder mit Bankierhäusern in andern Ländern in Verbindung setzen.

So waren einige zwanzig Jahre verflossen; da kam die Nachricht, daß er gestorben sei, ich glaube in irgend einer kleinen Stadt des südlichen Frankreichs.

Sein einziger Sohn, der Freiherr Carl, dem die Frau jetzt vergiftet sein soll, war nun der Herr von Falkenburg. Auch von ihm erfuhr man nichts, weder wo er sei, noch was er treibe. Es hieß nur, daß nicht viel an ihm sei. Warum nicht, das wußte kein Mensch. Vielleicht hatte zu dem Gerede der Umstand Veranlassung gegeben, daß der Rentmeister ihm doppelt so viel Geld schicken mußte, wie früher dem Vater.

Vor etwa einem Vierteljahre auf einmal war der Freiherr Carl auf Schloß Falkenburg. Er war plötzlich gekommen; erst wenige Stunden vor seiner Ankunft hatte ihn ein Brief angemeldet. Er kam mit Familie, einer Frau, einem Kinde, einem Bedienten – das war Alles.

Und nun, was sich seit der Ankunft des Freiherrn im Schlosse zugetragen, wie sie lebten. Das war eigentlich gar kein Leben. Die beiden Gatten bezogen sofort in der Stunde ihrer Ankunft jedes eine besondere Etage in dem großen weitläufigen Schlosse und sie haben sich seitdem nicht wieder gesehen und nicht wieder mit einander gesprochen, wenn es nicht etwa in den letzten Augenblicken vor dem Tode der Frau geschehen ist, was ich nicht weiß. Außer ihnen und dem Kinde und dem alten Diener Theodor wohnen in dem ganzen Schlosse nur der alte Schloßkaplan und die alte Amme. Sämmtliche andere Bewohner des Schlosses, auch der Rentmeister Buchholz, mußten bei der Ankunft des Freiherrn das Schloß verlassen und in die Nebengebäude ziehen. Der Freiherr hatte es befohlen. Was jene fünf Menschen – mit dem Kinde sind es freilich sechs – in dem weiten Gebäude, das fünfhundert Menschen fassen könnte, thun und treiben, und jammern und grollen, und lieben und zürnen, das mag der liebe Gott im Himmel wissen, der den Menschen auf Erden Liebe und Leiden, Haß und Jammer schickt.

Gestern Morgen wurde bekannt, daß die Freifrau am Abend vorher gestorben sei, daß sie krank gewesen sei, habe ich nicht gehört.

Die Leute, die von ihrem Tode sprachen, munkeln von Gift. Die Leute reden viel. Als die Mutter des Freiherrn starb, sprachen sie im Gegentheil von einer Strafe Gottes.

Und jetzt noch zwei Bemerkungen.

Die erste ist, daß seit der Ankunft des Freiherrn bis zum Tode der Freifrau sich in dem Leben des Schlosses nicht die geringste Veränderung zugetragen hat; man weiß namentlich von keinem einzigen Besuche irgend eines Menschen im Schlosse.

Dagegen zweitens hat sich seit einigen Wochen ein fremder alter Herr in der Gegend des Schlosses heimlich umhergetrieben, in welchem ältere Leute den Freiherrn Oswald wiedererkannt haben wollen.

Und jetzt, Freund Criminalrichter,« schloß der Pfarrer seine Mittheilungen, »weißt Du Alles.«

»Und eigentlich nichts,« sagte der Assessor.

»Es ist nicht meine Schuld.«

»Aber ein paar Fragen habe ich noch.«

»Sprich sie aus.«

»Du hast den Freiherrn hier in Deiner Kirche gesehen. Welchen Eindruck machte er auf Dich?«

»Das läßt sich schwer sagen. Er war unbemerkt eingetreten, er hatte nicht bemerkt sein wollen; so hatte er sich auch hinter einen Pfeiler gestellt. Mit den ersten Leuten war er wieder fort. Er sah blaß und leidend aus, finster und in sich gekehrt. Die Predigt hörte er sehr aufmerksam an, als wenn es ihm ein Bedürfniß sei, das Wort Gottes zu hören. Und dabei fiel mir etwas ein.«

»Was war es?« fragte der Assessor.

»Die freiherrliche Familie ist streng katholisch. Sollte er es nicht sein? Und wenn er es nicht war, gehörte er dann überhaupt zu der freiherrlichen Familie?«

»Wie?« sagte der Assessor, »auch Du zweifelst daran?«

»Mir fiel eigentlich nur ein Gerede der Leute wieder ein. Wenige Tage nach seiner Ankunft wurde erzählt, die alte Amme sei erschrocken, als sie ihn wieder gesehen; sie habe etwas an ihm gefunden oder nicht gefunden, was nicht zu dem Kinde passe, das sie an ihrer Brust genährt und Jahre lang gewartet habe. Freilich, nachher hat man nichts wieder darüber gehört – bis zu Eurem anonymen Schreiben.«

Der Assessor sprach seine zweite Frage aus:

»Glaubst Du an einen Mord au dem Schlosse?«

»Hm,« antwortete der Pfarrer, »außergewöhnliche Zustände pflegen ein außergewöhnliches Ende zu nehmen.«

»Du glaubst also an einen Mord?«

»Eher ja, als nein. Ich kann nicht dafür.«

»Und wen möchtest Du für den Mörder halten?«

»Hm, Freund, da hast Du als Criminalrichter die Wahl. Die Frau kann sich selbst das Leben genommen haben. Der Freiherr Oswald kann dem Neffen die Frau genommen haben – denn, es fällt mir da noch ein, daß vor mehreren Jahren, als der Vater des Freiherrn Carl noch lebte, die Rede von einer Verbindung des letzteren mit der Tochter des Freiherrn Oswald gewesen war, um die beiden Familien wieder zu vereinigen. Aber, wie gesagt, Du hast die Wahl.«

»Und mit der Wahl die Qual nach dem Sprichworte,« sagte der Assessor. »Und mit Wahl und Qual werde ich Dich verlassen. Der Tag neigt sich und ich möchte noch vor Abend auf Schloß Falkenburg sein.«

»Du mußt also jetzt hin?«

»Nach Deinen Nachrichten, ja.«

»Und was, oder eigentlich wie wirst Du dort beginnen?«

»Gott weiß es.«

Die beiden Freunde trennten sich.

 

Der Assessor fuhr mit seinen Beamten weiter, nach Schloß Falkenburg hin.

Sie fuhren von jenem Kirchdorfe an fast ununterbrochen in einem großen, wohlerhaltenen Walde. Nach einiger Zeit war die Gegend zugleich hügelig geworden. Als sie die Höhe eines der Hügel erreicht hatten, blickten sie in ein reizendes Thal zu ihren Füßen; es war rings vom Walde umgeben. In seiner Mitte erhob sich eine kleinere Anhöhe, und auf dieser war ein großes Schloß, weiß und roth in dem Renaissancestyl der Zeit Ludwig des Vierzehnten aufgeführt. Weitläufige Nebengebäude lagen umher. Das Ganze wurde von einem Park eingeschlossen, der das Thal füllte und in der Waldung umher sich verlor.

Das Alles war großartig anzusehen und war reich, prachtvoll, wohlerhalten.

Der Assessor sah mit einem eigentümlichen Gefühle auf den Sitz des Reichthums und er Pracht eines alten adeligen Geschlechts hinunter, wo er einem schweren Verbrechen nachspüren, den Verbrecher der Strafe überliefern sollte.

Der Wagen fuhr weiter. Ein Fahrweg, eben und glatt wie eine Chaussee, führte mitten durch den Park. Der Weg endete an einem hohen, weiten Einfahrtsthor. Das Thor führte in einen geräumigen Schloßhof.

Links am Hofe lag das freiherrliche Schloß, rechts und hinten am Ende waren die Nebengebäude.

Das Einfahrtsthor stand offen.

Der Wagen fuhr auf den Schloßhof, nach dem großen Portale des Schlosses hin. Das Portal war in der Mitte der langen Front des Gebäudes.

Es war noch heller Tag, aber die Sonne stand schon tief; in einer Viertelstunde mußte sie nicht mehr sichtbar sein.

Aus dem weiten Schloßhofe herrschte die tiefste Stille. Man sah keinen Menschen. Auch im Schlosse und in den Nebengebäuden ließ sich Niemand sehen. War Alles hier ausgestorben? Oder wollte man von den Angekommenen keine Kenntniß nehmen? Oder was war es sonst?

Der Wagen hielt an dem großen Portale des Schlosses.

Es zeigte sich kein Mensch, auch der Portier war nicht da.

Der Assessor stieg aus dem Wagen. Sein Actuar und Executor thaten desgleichen.

Niemand erschien; kein Laut wurde ringsum hörbar.

»Gehen wir in das Schloß;« sagte der Assessor zu seinen Beamten. Sie folgten ihm dahin.

Das Herz mochte ihm doch klopfen; den beiden anderen auch wohl.



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