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Theterli vom Wendelsee

An der untern Gerechtigkeitsgasse zu Bern hatten Weiber und Kinder etwas zu gaffen. Meister sogar und Gesellen, die unter den Laubenbögen werkten, ließen ihre Hämmer ruhen; und drüben, am Säßhaus der Augustiner-Chorherren von Interlaken, lag der dicke Schaffner, zwischen die schlanken gotischen Fensterflügel gezwängt, und glotzte mit seinen Triefaugen nach dem Eingang zu Meister Urs Werders, des Glasmalers, Werkstatt. Dort hielt im glahrigen Frühlingssonnenschein der Knappe Jakob Erken drei Rosse. Zwei davon gaben ihm zu schaffen, sein eigenes, ein brandschwarzer Erlenbacher-Münch, und der feuersprühende graue Normännerhengst seines Herrn. Die mit blauweiß geschmücktem Lederzeug versehenen Tiere warfen die Köpfe und schlugen mit ihren neuen Eisen Funken aus dem holperigen Pflaster. Auch das dritte, leichtere Pferd war hübsch gezäumt und sah gut aus; aber es hielt mausstill und ließ den Kopf hängen. Auf seinem Sattel saß ein zierlich Jungfräulein, dem aus den traurigen Braunaugen ab und zu ein Tränlein über die gesunden Backen herunterlief. Auf einmal richtete es sich höher auf, warf die feuerrote Flut seiner Locken ins Genick und blickte stolz hinauf nach den grünen Höhen, die 14 über die Dächer herein grüßten. Was brauchten die müßigen Gaffer zu merken, daß ihr das blutjunge Herz an diesem silberhellen Lenztag zu brechen drohte? Das Kind hatte gut sich wehren. Was erfahrenere Leute waren, da auf der Gasse, die ahnten es doch: Hier geschieht etwas.

Drinnen, in der Werkstatt, streifte ein kraftstrotzender, schlanker Rittersmann in hirschledernem Wams mit seinem Scheitel die bunt bemalten Unterzüge der Stubendecke. Das wetterharte Antlitz war mit gebieterisch strengem Blick auf den kleinen, klugen Meister gerichtet, der mit seinen träumenden Augen einen Aufriß auf einen leeren Pergamentbogen zu werfen schien. Seine geschickten Hände entrollten und wendeten den Bogen, indes er des Ritters Auftrag entgegennahm.

«Kennt ihr die Geschichte von Jephthah, dem jüdischen Feldhauptmann, und seiner Tochter?» fragte der Junker.

«Der ein Gelübde tat, sein leibhaft Kind auf dem Altar zu verbrennen, wenn Gott ihm Sieg über seine Feinde verlieh», fuhr der Meister fort.

«Eben die meine ich. Diese Geschichte will ich in einem Fenster meiner Kapelle zu Spiez gemalt haben. Und der Jephthah muß mein eigen Angesicht tragen und seine Tochter das Ebenbild meines armen Kindes. Könnet uns beide konterfeien; aber ich hab wenig Zeit dran zu geben. Das Kind muß heut noch... muß heut noch... Nun ja, das geht niemanden keinen Deut an. 15 Also drauf? Reißet uns auf den Bogen. Aber daß mir das höllisch Feuer, so mir im Herzen brennt, aus den Augen lecke, Meister? Denn das tut weh, wie kein vergifteter Pfeil. Und des Kindes Bildnis muß schön sein wie eines Engels, damit die nach mir kommen wissen: Er hat ein teuerwert und schmerzenreich Opfer gebracht.»

«Am guten Willen soll's nit fehlen, Herr.»

«Und was das andere Zeug ist, der sonstig Zierat an dem Fenster, so kennt Ihr meine Farben und Wappen, Helmzier und Spruch.»

«Kenn ich wohl, Junker. Wer in Bern soll's nit kennen? Euer Haus hat unsrer Stadt des Guten zu viel getan.»

«Laßt nur das Rühmen, Meister. Es stehet euch Bernern übel an. Ich wollt mich nit vermessen an unseres hochgelobten Heilands Seiten zu stehen; aber wie die Juden heut Hosiannah gebrüllet und morgen ihr ‹Kreuzige!›, so streichen die Bärenmutzen einander den Balg und beißen sich morndes in die Hammen. — Habt gut lachen, Meister. Ich hab's erfahren.»

«Haringegen auch, daß der Berner Ungunst nit lang währt und daß sie trotz aller Unart für Gold achten, was Gold ist. — Aber nun laßt mich Euer Jungfräulein sehen, Herr.»

«Macht Euren Bogen zurecht, Meister. Ich will es Euch holen. Aber Ihr sollt's nit grämlich malen, wie es heut ausschaut, sondern lieblich wie die Mutter-Gottes.»

16 Damit ging der Junker hinaus und hob sein Kind aus dem Sattel. Und alles, was Augen hatte, blieb an dem Bilde hängen. Ihrer keines hatte je einen schönern Kriegsmann ein so holdseliges Kind in den Armen halten sehen. Kam da gerade der Leutpriester zu St. Vincenzen mit dem Hochheiligen gegangen; aber niemand wollte auf die Knie. Alle hatten sich an Vater und Tochter vergafft und liefen den zweien mit ihren Blicken in den finstern Hausgang nach, also daß der Meßner mit dem Glöcklein, auf dessen Schreibimmeln niemand achten wollte, der nächstbesten Frau Gevatterin eins auf den dünnen Haarboden gab und wetterte: «Wisset ihr nit mehr, was ihr dem Herrgott schuldet, ihr narrochtigen Gassenstengel?»

«So», sagte der Junker, als er sein Kind zu einem Schemel am Werkstattfenster führte, wobei er sich fest auf die Lippen biß, «jetzt mach mir aber ein holdselig Gesicht, Theterli, sonst wird's ein Griesgram von einer Helgen und wird nie kein rechter Mensch glauben, daß du es gewesen seiest.»

Theterlein aber liefen fürder die Tränen aus den verschwollenen Augen, obwohl der Meister mit ihr tat, als wäre sie eines Königs Tochter.

«Je, was wird das werden!» dachte er im Gedanken an des Junkers Zorn über ein schlechtes Bild.

Der Farbenreiber an der Werkbank verschoß sich flugs in die schöne Gestalt des Edelfräuleins 17 und warf darob einen Ölhafen vom Herd. Der Meister ergrimmte zur Rotglut und hieb dem Gesellen einen Klapf auf das Brotläublein, daß die Zähne wackelten und der junge Bursch das Flennen zuvorderst hatte.

Da lachte das Fräulein unter den Tränen, worüber dem Meister ein Sonnenlicht aufbrach. «Es gibt doch nichts Schöneres auf dieser Welt als ein reines Lachen unter Tränen», sagte er sich, nahm eilends die Kohle zur Hand und den Pinsel und wußte kaum, was seine geschickten Finger taten. Aber seine Künstlerseele genas unter stillem Frohlocken eines Engeleins, so schön und lieb, daß selbst Jephthah, der Unerbittliche, sein Gelübde darob gebrochen hätte.

Danach warf er des Vaters harte Züge auf einen Bogen, zeichnete und malte, bis ihm selber eine brennend heiße Träne auf die zitternde Hand fiel. «Mein Gott, mein Gott?» seufzte der Meister, «solch ein Herzeleid hab ich noch in keines Mannes Aug erschaut. Das schreit hinter stählernem Visier, denn dieses Antlitz ist unbeweglich wie geschmiedetes Eisen.»

Eine halbe Stunde später sah man die drei Reiter über die Aarbrücke hinausreiten, Vater und Tochter dicht hintereinander, der Knecht mit dem Abstand, den ihm der beiden schmerzliches Geheimnis gebot. Als sie die Hochebene des Breitfeldes erreichten, hieß der Junker sein Kind an seine Seite vorrücken. Er hatte sich dies und 18 jenes ausgedacht, um der Kleinen Mut einzuflößen; aber wie wohl er sich die Worte zurechtgelegt, brachte er doch ihrer kein halbes Dutzend über die Lippen. Sie darf es mir nit anmerken, sagte er sich, daß mir das Herz zittert, sonst rinnt mein eigen Leid zu dem ihren, und das würde zuviel für ihre junge Brust. So blieb es recht still zwischen ihnen. Nur was im Reiten die Rosse zu bereden gaben, kam zur Sprache. Nicht einmal von der bräutlichen Blust der Obstgärten und dem leuchtenden Golde der Wiesen ward gesprochen, geschweige denn von dem Gruß, den die gottesherrlichen Schneeberge von ferne herübersandten — war es doch vielleicht der allerletzte, den des Fräuleins umflorte Augen auffingen. — Wend ab, wend ab dyn Angesicht den Freuden dieser Welt! Wie mit gefalteten Händen standen die hohen Tannen im Grauholz, als sie schweigend den kleinen Reiterzug passieren ließen. Ein ander Gelände tat sich auf; aber es war nicht ärmer an Lenzeslust und Maienpracht. — Jungfräulein, sprich, was schleiert vor dynen Äugelein?

Die Sonne stand schon recht tief, als der Junker vor dem Hoftor der Zisterzienserinnen-Abtei zum Brunnen der glückseligen Jungfrau Maria anhielt und mit verhaltener Stimme dem Knechte befahl: «Fahr mit den Rossen zur Herberge und laß Hafer aufschütten!» Dann hob er sein müdes Kind aus dem Sattel. Er tat's, als 19 geschäh es einer Prinzessin am Hofe zu Dijon, wo er einst die Weise der Ritter erlernt. Und also auch führt er das kleine Fräulein über den weiten Hof zur Pforte des Konvents. Weh, wie schrillte die Glocke durch die summende Abendstille! Eine Nonne erschien am Gitterfenster:

«Gelobt sei Jesus Christ!»

«Nun und in Ewigkeit, Amen», antwortete es hinter der verschlossenen Türe.

«Ehrwürdige Schwester, geruhet der Frau Äbtissin zu melden, hier sei Adrian von Bubenberg mit seiner Tochter Dorothea.»

Die Nonne verschwand, und bald erschien an ihrer Stelle eine viel ältere. Die schloß auf und führte mit niedergeschlagenen Augen Vater und Kind durch einen hallenden Gang in ein weiß-getünchtes Gemach und hieß sie hier warten. Es währte nicht lange, so erschien in Begleit zweier streng blickenden Schwestern die vornehm ausschauende Frau Äbtissin. Der Junker bog seine Knie und begrüßte die hohe Frau mit allem ihr zukommenden Respekt. Dann zog er Thea an sich und sagte in mannhaft bemeistertem Ton: «Gnädige Frau Äbtissin, ich fahre zum Heiligen Grabe. Derweil übergeb ich Eurer Obhut meine erstgeborene Tochter. Haltet Eure segensreiche Hand über sie.» Mit dem nahm er Theas Haupt in seine derben Hände, als wollt er's nochmals an seine Lippen heben, wie er es allezeit in froher Laune getan. Aber es geschah diesmal nur, um 20 ihr die feinen Ohren zu verhalten, indem er seinem Anliegen beifügte: «Und wenn es geschehen sollte, daß ich die Heimat nimmer schaue, so sei in Gottes Namen mein Gelübde eingelöst und das Kind seinem Erlöser vermählt, wie Ihr es seid, ehrwürdige Frau!»

Nun hob er Thea vollends an seine Lippen und wollte sie der Äbtissin übergeben. Aber es kostete seine starken Reiterhände viel Mühe, die Ärmlein von seinem Nacken zu lösen, ohne ihnen wehzutun.

Die Äbtissin breitete ihre Arme aus, um das anvertraute Kind mütterlich willkommen zu heißen. Der Junker schob es ihr zu und wandte sich rasch ab. Wer doch ihm jetzt die Ohren zugedrückt hätte, als er, den Gang entlang schreitend, ein jämmerlich Wehgeschrei hinter sich hörte, aus dem die Worte: «Vater! Vater, verlaß mich nit!» wie Funkengarben ans harte, kalte Gewölbe auffuhren!

Aufrecht schritt er durch den Hof und trat von außen in die Kirche. Vor dem Altar der Jungfrau kniete er hin und empfahl der Himmelskönigin sein Opfer. Dazwischen murmelte er in sich hinein: «Jakobe, Jakobe, nimm dich deines Kindes an! Du weißt alles. Auf dich verlaß ich mich.»

Gleichen Abends noch ritt Herr Adrian in scharfem Trabe Bern zu, im bubenbergischen Säßhaus an der Junkerngasse den letzten Schlaf 21 auf heimischem Boden zu tun. Und am andern Morgen brach er blutenden Herzens mit seinem treuen Jakob Erken auf zur Fahrt ins Heilige Land. Bei Sternenschein ritten sie aus dem Tor. Es brauchte ihn keiner seiner Neider und Verfolger zu sehen. Überdies war's ihm auch recht, daß eine finstere Nacht ihn hinderte, nochmals nach der Stadt zurückzublicken, die ihm ja doch so tief im Herzen lag wie ein Kind, das man unter aller Not zu edlem Leben großgezogen.

*  *  *

Auf der einsamen Straße durch das Grauholz ritt zur Zeit, da die neuen Triebe hellgrün aus den finstern Tannen brachen und der Welt zu verstehen gaben, daß das alte Holz noch kräftig am Leben sei, ein junger Herr auf wohlgepflegtem Pferde. Er trug ein grünes Wams von feinem Stoff, mit edlem Rauchwerk verbrämt. Das mit einer starken Adlerfeder in goldener Agraffe geschmückte Barett saß gar gefällig auf dem schmalen, eher blassen Haupt. Ein blonder Flaumbart stand auf der leichtbeweglichen Lippe, und ein Paar blaue Augen blickten lebensfroh über die Ohrspitzen des schwarzgelb gezäumten Pferdes, das auf Brust und Kruppe kleine runde Wappenschilder, ein schwarzes Mühlrad auf goldenem Grunde, trug. Herr Hans Albrecht von Mülinen war's, der da seines Weges Bern zu ritt. Vederemo. Das Wort lag ihm beständig 22 auf den Lippen. Wo immer er auf der Reise aus dem untern Aargau angekehrt, war es auf alle Fragen sein vorsichtiger Bescheid gewesen. «So, so», hatte der eine Burgherr zu ihm gesagt, «nach Bern wollt Ihr fahren, junger Freund? Seid wohl auf Eurer Hut! Der Bär ist ein gefräßig und grobschlächtig Tier. Er verachtet feine Art. Die gäb ich nit preis an Eurer Statt. Gott weiß, ob nit bald der Kaiser wieder holt, was ihm der Bär entrissen. Dann wird er nach den Sprößlingen der habsburgischen Dienstmannen fragen. Bedenkt's, junger Herr!»

Ein anderer aber, der Herrn Hans zu Gast geladen, lobte sein Vorhaben und meinte: «Das ist klug gehandelt. Bei Sankt Mauriz! Ihr habt recht. Dies Bern hebt sein Haupt hoch übers Land. Es ist eine neue Zeit, und jung Volk muß sich in neuer Zeit zurechtfinden.»

Auf beides hatte der Junker geantwortet: « Vederemo.» Und so hatte er's im Sinn. Einen aufrechten, selbstbewußten Mann wollte er den Herren in Bern zeigen. Von seiner feinen Art gab er kein Tüttelchen her. «Junker bin ich, Junker bleib ich und will wohl sehen, ob ich nit Fuß fassen kann bei dieser neuen Herrschaft, ohne mir etwas vergeben zu müssen. Lernt uns erst kennen, und ihr werdet unser noch froh werden, ihr struppigen Bärengrinde.»

Und wie er abermals trutziglich sein vederemo vor sich hinsummt, da deucht ihn, er hätte im 23 Vorübertraben etliche Schritte abseits zwischen den Tannen einen einfallenden Sonnenstrahl auf etwas Rotem gesehen, das nicht wohl ein Fliegenschwamm sein konnte. Er wendet sein Pferd und guckt ins Dickicht. Und sieh, da liegt ein Mägdlein hingestreckt. Der Sonnenstrahl brennt auf seinem roten Käpplein, also daß sein Angesicht noch desto blasser erscheint. Es liegt in tiefem Schlaf. Und ist wahrlich kein gewöhnlich Waldblümelein. Von edlem Wuchse scheint es dem Junker zu sein, seidenlockig und zart. Das Roß weiß nicht, wozu es stillstehen soll, bläst durch die Nüstern und stampft. Darob schlägt das Mädchen seine braunen Augen auf und erschrickt, denn so aus dem Moosbettlein herauf gesehen, erscheinen Roß und Reiter ungeheuerlich groß. Da ist's aber auch schon auf den flinken Füßen und schlüpft ins Dickicht.

Doch so ein junger Reitersmann ist nicht minder schnell aus dem Sattel. Das Pferd läuft nicht ohne ihn. Er kann's an den jungen Tanntrieben rupfen lassen und ruft in den Wald: «Dirnlein, Dirnlein, was ist's mit dir?» Aus dem Dickicht antwortet's: «Ich komm nit wieder.»

«Nur keine Furcht nit, Kleine. Will dir zu Diensten sein.»

Da denkt das Mägdlein, es wär ein Wunderknab, gesandt ihm von seiner Mutter vom Paradiese her. Brombeerranken helfen ihm ja und haben wie auf Geheiß der Fliehenden Röcklein 24 mit hundert Dornen gefaßt. Erst zittert die Kleine ob den schweren Tritten des Junkers. Aber wie er die Dornen aus dem Gewändlein windet, so sorgsam und säuberlich, denkt das Mägdlein schon, das tät ein Bösewicht anders. Und des Junkers Angesicht ist eitel Güte, dazu hübsch, wie sie an Vaters Tafel, wo doch so viele schon sich gütlich getan, noch keines gesehen.

«Sag mir, Kleine, weß bist du? — Hast dich verlaufen?» Derweil er das fragt, denkt der Junker: «Rütlein, Rütlein, aus dir könnt ein herrlich Bäumlein werden und möcht gar süße Äpfel einst pflücken, wer dich in seinen Garten setzte.»

Das Dirnlein aber antwortet schon ganz zutraulich: «Ich bin das Theterli vom goldenen Hof am Wendelsee.»

Und wie der Junker dreinschaut, als wäre er just vom Himmel gefallen, lacht es hell: «Ei doch, vom goldenen Hofe zu Spiez.»

«Du wirst mir doch nit angeben wollen, du seiest ein Fräulein von Bubenberg?»

«Des Herrn Adrian älteste Tochter bin ich.»

Und er glaubt's. Denn so wie das Persönchen in seinem zerrissenen Kittelein dasteht, das Köpflein in den schlanken Nacken wirft und den Junker anschaut, so kann's nur ein Reis aus dem edelsten Stamme.

«Aber wie um des Himmels willen kommst du in diesen Wald?»

25 «Das wüßt ich wohl zu sagen, aber wo ich herkomme, dahin will ich nimmer.»

«Aber hier bleiben kannst doch auch nit. Hier fressen dich Wölf und Bären.»

«Das glaubt Ihr selber nit, Junker. Der Vater schimpft alleweil, um eine Bärenhaut müßte man schon in den Tschingel hinauf oder ins Gasterental und dazu noch Glück und Geduld haben.»

«Komm du mit mir, Theterli!»

«Gan Bern hinein will ich aber nit.»

«Warum denn nit?»

«Dort wohnt die Stiefmutter.»

«Oho. — Ja, so sag mir zumindest, wie du hieher gekommen bist.»

«Wenn Ihr mich nit verklagen wollt.»

«Wirst du mir dann folgen?»

«Bis ans End der Welt.»

« Vederemo

Und sie meint, das wär lateinisch und wäre so gut wie ein Schwur, daß er sie nie und niemandem verriete.

«Komm jetzt, Kind, ich muß zu meinem Rosse sehen, und du hast Hunger, ich seh dir's an. Ich will dir zu essen geben lassen. Und damit du auch weißt, daß ich kein Räuber bin, so sag ich dir meinen Namen, ich bin der Junker Hans Albrecht von Mülinen und komme von der Burg Wildenstein herauf.»

Da ward das Jungfräulein getrost, denn der 26 Name hatte zu Spiez guten Klang. Es hub an zu erzählen, wie es vor einem Jahr ins Kloster Fraubrunnen gebracht worden und gestern abend durch die Pforte des Krautgartens entwischt sei, als die alte Schwester Advokata nach Maulwurfsgrillen grub.

«Ja, aber, und dein Vater...?»

«Ist ans Heilige Grab gefahren.»

«Warum bist du denn fortgelaufen? Haben sie dich geschlagen?»

«Gar nit. Sie waren alle gut zu mir. Aber gestern hat mir die Lehrschwester gesagt: ‹Thea, wenn du immer so brav bist, so kannst du dein Leben lang bei uns bleiben und eine Braut des lieben Heilands werden.› Das will ich aber nit. Möcht wohl eines hübschen Junkers Braut sein, aber nie eines armen hölzinen Herrgotts.»

«Ei, ei. Was wird dann aber dein Vater sagen?»

«Mein Vater hat mich lieb.»

«Wenn er aber im Gelobten Land ist, wohin willst du denn? Soll ich dich gan Spiez bringen?»

«Nein.»

«Warum nit?»

«Dort wohnt die Großmutter.»

«Ja, wohin wollen wir denn?»

«Zum Joneli.»

«Wer ist der Joneli?»

«Der Landsvenner in Aeschi.»

Der Junker denkt, das sei eine wunderliche 27 Sache. Ein großer Glücksfall für ihn wär's, daß er des Herrn Adrian Töchterlein gefunden und den wilden Tieren entrissen; aber nun sei es in Gottes Namen doch Ritterpflicht, es wieder dorthin zu bringen, wo der Vater es in Obhut gegeben. Es werde wohl seinen guten Grund haben, warum er es weder der Stiefmutter noch der Großmutter überließ. Sollt er es gar zur Nonne bestimmt haben...?

«So komm», sagte er nach kurzem Überlegen, «wir wollen sehen, was zu machen ist.» Er schwang sich in den Sattel und half dem Jungfräulein mit kräftigem Arm auf seine Fußspitze. Aber sie saß schon vor ihm auf des Pferdes Widerrist, eh er sich dessen versah.

«Ei der tausend», lacht er, «ich merke wohl, daß du Reitens gewohnt bist.»

Sie lag ihm gut im Arm und schaute ganz munter um sich, bis sie vor dem Walde draußen waren. Als er aber übers Moos abschwenkte, fühlte er ein paar ernste, fragende Augensterne auf sich gerichtet. Und nach einer Weile fragte das Jungfräulein: «Junker, wohin des Wegs?»

«Das wirst du gleich sehen.»

«Junker, wohin des Wegs?»

Da setzte er die Sporen ein, und hopp, hopp, hopp ging's: «Das — wirst du — gleich — sehen.» Und enger lag ihr des Reiters Arm um den schlanken Leib.

Sie ritten durch Urtenen. Dem Jungfräulein 28 kam's vor, als hätt es dies Brücklein schon einmal überritten. Bauernweiber standen am Hag und sagte die eine zur andern: «Das ist nit geheuer. Der hat sich ein schön Meitli gestohlen. Man sollt's dem Herren zu wissen tun. Hast gesehen, wie es flennt?» Und die andere sagte zu der einen: «Es geschieht ihm nichts. Es ist nur wieder eins, das der Welt entsagen soll.»

Sie trabten durch Jegistorf. Da kannte Thea den dicken Turm mit dem bösen Dach, wovon Herr Adrian im Vorbeireiten gesagt: «Der Erlacher hat einen schlechten Dachnagler.» Sie wandte sich um, daß der Junker meinte, sie wollt ihm untenaus entwischen. Desto enger umfaßte er sie. Aber sie schlüpfte nach oben, und auf einmal hatte er die schönen Ärmlein wie eine weiche Halsberge um den Nacken, die krausen Löcklein flirrten ihm vor den Augen, daß er des Weges bald nicht mehr gewahr werden konnte. Das heiße Gesichtlein lag ihm an den Backen, und die Tränlein netzten ihm den Schnauz. Fast wollte ihm die Ritterpflicht sauer werden, denn er fühlte an jedem Fädelein des armen, schönen Kindes gottsjämmerliche Herzensnot, und es deuchte ihn wohl bitter, solche liebe Last ins Kloster zu tragen. Aber was sein muß, muß sein. Er mühte sich, das Bitten und Schreien aus den Ohren zu schütteln.

Mittlerweil kamen sie in den Hambühlwald, und das Mägdlein trachtete aus dem engen Arm zwischen die Tannen hinauszukommen, die ihm 29 ihre breiten Fächer zu Schuh und Schirm darboten. Es merkte aber wohl, daß es kein Entrinnen gab. Und dort, vor dem Wald, spießte ja, helf mir Gott, schon der Dachreiter der Klosterkirche aus den Bäumen in den weißen Wolkenhimmel. Da schreit sie zum letztenmal: «Junker, ich will nit», und wird still. Aber ihn deucht, es hätt ihn eine Natter in die Gurgel gestochen. Ist's der Teufel, der ihn auf die Probe stellt? Es sticht fürder. Das Jungfräulein ist's, das ihm mit der ganzen Kraft seiner Herzensnot die gesunden, scharfen Zähne ins Fleisch hängt. Nicht anders als dem Adler ist ihm, der das Frettlein an der Brust hängen hat und aus der goldenen Sonnenluft nieder muß ins Gras. Das ist — das ist die Liebe, so den Ritterstolz zu Boden bringt. «So kann ich nimmer reiten.» Er krümmt die Faust ein, und der Gaul steht bockstill.

Da läßt sie ab.

«Du! Bist du vom Teufel besessen?» fragt er. Und sie, in den Braunaugen ein heißes Lodern von Not und Siegerfreud, von Liebe und Flehen, und in den lieblichen Mundwinkeln des Junkers Herzblut in roten Tropfen: «Ich beiß dich tot, eh wir an der Pforte stehen.» Und wie er staunt und lacht, fährt sie fort: «Mach mit mir, was du willst, aber lebend bringst mich nimmer ins Kloster.»

«Närrin», schilt er, «du weißt doch, daß es deines Vaters Wille ist. Und den muß ich vollbringen.»

30 «Ist nit wahr. Er hat bloß nit gewußt, wohin mit mir. Hat mich der Stiefmutter nit gönnen mögen und nit der Großmutter. Hab's doch wohl gesehen, wie er sich Gewalt antat und das Herzweh verwürgt, als er mich zu den Frauen bracht. Den ganzen Weg hat er nit reden mögen.»

«So gönnt er dich mir erst recht nit, wenn er dich seiner eigenen Frau und Mutter nit lassen will.»

«Ei, wohl doch. Wenn er weiß, wie Ihr seinen Willen achtet. Ihr wäret ein Mann nach seinem Herzen, und größeren Dienst könnt Ihr ihm nit tun, als wenn Ihr mein pfleget. Will er's dann anders haben, wenn er heimkommt, so ist's, mein ich, noch früh genug, eine Nonne aus mir zu machen. Aber er soll's und nit Ihr. Seid Ihr ein Edelmann, so laßt's sehen?»

Da kam das Lachen über ihn. Er wischte mit dem Handrücken die Gurgel, und leckte ihn.

«Wart, Junker», sagte sie und nahm ihr Tüchlein aus dem Brustlatz und wischte ihm gar zierlich Hals und Hand. «Gelt, gelt, jetzt reiten wir aber abendwärts?» Und sie wendet sich, setzt sich ordentlich hin und reißt am Zügel das Pferd herum: «Hü!»

Er ließ es geschehen, gab einen Schenkeldruck dazu und dachte, es wär doch immer die alte Geschichte, könnte aber wohl gut werden, wenn eine in so jungen Jahren schon dergestalt Weg und Ausweg wüßt.

31 «Aber wohin jetzt des Wegs?» fragte er mit Lachen.

«Zum Joneli.»

«Weiß nit, wo dein Joneli hauset.»

«Ich find ihn schon.»

«So reit in Gottes Namen!»

Und wie das Pferd dem spitzen Dachreiter mit seinem langen Schweif «gehab dich wohl» zuwinkt, war's, als hätten die zwei auf seinem Sattel allem Leid den Rücken gekehrt und wüßten von nichts mehr als Sonnenschein und Rosen. Die alten Tannen im Hambühl schüttelten ihre Häupter ob solchem Hin- und Wiederreiten; aber die jungen Leutlein meinten, die Bäume lachten mit ihnen. Das Jungfräulein saß auf dem Sattelknopf wie die Lerch auf dem Zwiesel und wähnte, es habe den Gaul in seiner Hand, während der Junker ihn mit den Schenkeln leitete und die Hände wie Thronlehnen um die Singende vorstreckte. Zuweilen feckelte sie mit den Ellenbogen gegen die Hände: «Weg da! Brauch euer nit», wenn sie ihr etwa zu sorglich nahe kamen. Das machte ihm erst recht Spaß, also, daß ein lustig Spiel daraus ward und er zuletzt die Händ in die harzduftende Luft reckte und dazu mit der Kleinen um die Wette sang. Wie dann aber der dicke Turm zu Jegistorf aus dem Boden heraufkam, dachte der Junker: «Halt, so reit ich nit mit dir daran vorbei, sonst möchten die Leut mir nachreden, ich hätte die Zügel wohl früh aus den 32 Händen gegeben.» War ihm doch, als könnt es geschehen, daß man auch in spätern Tagen den Junker Hans Albrecht mit der Dorothea von Bubenberg eines Weges fahren sähe.

«Thea», sagt' er, «hast du nit Hunger und Durst?» und nahm ihr sachte die Riemen aus den Händen.

«Nit bis wir ennet der Aar sind.»

Da lacht' er: «Fürchtest wohl, mich könnt noch einmal das Umkehren ankommen? Sei nur ruhig. Aber wenn's dir schwinden sollt ob dem langen Fasten und Reiten, so wüßt ich mir nit Rat und müßt mit dir unter gastlichem Dach ankehren.»

«Nit eh wir ennet der Aar sind.»

«Wie soll ich über die Aar, ohne durch die Stadt zu reiten?»

«Junker, Ihr wißt noch nit Bescheid in Üchtland. Darum laßt mir die Zügel. Wir nehmen den Weg über das Hirzenfeld um Reichenbach und Bremgarten, dann halten wir über die hölzin Brück auf Neu-Bubenberg. Dort hütet Hutzli, meines seligen Herrn Großvaters Jagdknecht.»

«Thea, Thea, du redst, als wärst du Königin in Üchtland.»

«Eine Kammermaus bin ich nit, Junker. Das Bernerland ist meine Spielstuben, und mein Vater fegt ihr die Spinnwubben aus.»

So fuhren sie mit Schimpf und Glimpf nach der Burg ob Schliern und regierte sie das Maul und er die Weichen des Rosses, und meinte das 33 Tier, es säße nur eins im Sattel. Als sie aber vor Neu-Bubenberg den Kastellan anriefen und das Jungfräulein vom Pferde glitt, waren ihr die Glieder steif und der Magen so leer, daß ihr übel zumute ward. Sie wollte es jedoch nicht gelten lassen und lachte den Junker an: «Euer Sattelknauf ist ein schlecht Spreuersäcklin.»

Der Hutzli traute seinen alten Augen nicht recht, als er des Herrn älteste Tochter erkannte, hatte doch das Gesinde längst auf Herrn Adrians Gütern die Mär herumgetragen, daß «unser Theterli» ins Kloster gewandert sei. Es dauerte eine Weile, bis er das Tor entriegelt und die Brücke niedergelassen hatte. Junker Hans hatte Mühe, den Alten zu verstehen. Er sprach oberländisch und besaß nur noch wenige Zähne. Thea ließ ihm wenig Zeit zum Besinnen und hieß ihn auftragen, was er an Speis und Trank zur Hand habe. Danach wollte sie die alte Fuchrmäre gesattelt haben, die Herr Adrian dem Hutzli gelassen. Da ward er verlegen und berichtete, die Märe sei lahm und das Sattelzeug in der Stadt.

Nun wußte der Junker Rat. «Thea», sagte er, «leg dich ein Stündlein schlafen. Derweil reit ich nach Köniz, zum Teutschritter-Comthur, und erbitte mir ein handlich Pferd für dich.» Deß war sie zufrieden und ließ ihn ziehen. Kaum aber war er von dannen, kam dem Fräulein in Sinn, Hutzli möchte sie verraten und Bericht nach Bern senden, denn er hatte hinter dem Junker wohl 34 verriegelt und den Querbaum in die Mauernut geschoben. «Steckst du mir den Riegel», dachte sie, «steck ich dir den deinen», und fing an freundlich zu ihm zu tun. Sie litte grausamen Durst, klagte sie und befahl ihm, einen Krug Ryf-Wein zu holen, was er auch gerne tat. Dann kredenzte sie dem Alten einen Becher, nippte jedoch kaum einen Tropfen. Er aber ward an seines Herrn lustiger Tochter zum Narren und tat ihr Bescheid, so oft sie's haben wollte. Fast ward ihr bange, denn der Hutzli soff wie ein Weidenbaum in der Dürre. Als der Krug leer und der Jäger noch nicht voll war, wußte sich Thea nicht mehr zu helfen, denn ein Saufgelag anrichten wollte sie doch nicht. Aber wem das Glück einmal hold ist, dem zeigt es sich nicht karg. Ein schlechter Knecht, dachte Hutzli, der auf seines Herrn Wohl nur trinkt, wenn er dazu aufgefordert wird. Er stieg in den Keller und tat ungeheißen Bescheid, bis ihn der Schlaf zwischen die Läger setzte. Über dem Warten aber sank droben in der tiefen Fensternische auch das Edelfräulein in einen erquickenden Schlummer.

Unterdessen war Junker Hans von dem Comthur von Hohen-Rechberg gastfreundlich empfangen worden. Der Mülinen hatte vom Singen und Lachen einen ritterlichen Durst und tat den Weißröcken weidlich Bescheid. Das gefiel dem Comthur gar wohl, und es fehlte nicht viel, er hätte seinen Gast für den Orden gewonnen. Zuletzt 35 aber, als die Sonne im Forst niederging, hieb sich der Junker mit der flachen Hand aufs Knie: « Corpo di Bacco! Das wär mir ein Streich, des Morgens eine Maid aus dem Kloster holen und abends selber auf einen Orden einschwören.» Er bat um seine beiden Pferde und wollte reiten. Aber der Comthur wehrte es ihm. «Es liegt ein ander Faß noch im Keller, junger Freund.»

Der Mond wanderte über den Längenberg, als Junker Hans im Hofe der Commende vor zwei gesattelten Rossen stand und im ersten Augenblick nicht mehr recht wußte, ob seine Augen uneins geworden oder ob es wahrhaftige zwei Tiere seien. Da ihn jedoch von der Brust des einen sein Wappenschildlein im Mondlicht anlachte, kam er wieder zurecht und schwang sich in den Sattel. Der Comthur befahl zweien Ordensherren, ihm das Geleite zu geben, soweit es dem Gast beliebte. Er mußt's leiden, denn zu dieser Stunde machte das Land hinter dem Gurten ein finster Gesicht. Uhu und Fuchs wußten besser Bescheid als die Menschenkinder. Der Weg schloff unter den Tannen dahin. Die Äste wehrten dem Mond und peitschten die heißen Gesichter der drei Reiter. Den Junker nahm's wunder, wohin die Teutsch-Ritter ihn führten, denn er war eines andern Weges gekommen, und die Ritter nahm's nicht minder wunder, was ihr Gast in dem unwirtlichen Gemäuer von Neu-Bubenberg zu holen hätt. Wären nicht Bach und Weg dahinten eins, 36 sie würden sich nimmer zurecht gefunden haben. Aber das Bächlein nahm den Mondenschein, machte daraus eine Fackel und sang dazu von Liebeslust und -leid. Die Rosse freilich dachten, sie kämen hier mitsamt ihren bewehrten Reitern nicht gegen Geißen auf. Endlich scharten sich zwischen den Tannen die Sterne. Es weitete sich, und auf einmal stand die Mauer von Bubenberg im Mondlicht. Sie ritten rings herum bis an die Brückschwelle, und hier hatte die Reis' ein Ende. Die Brücke war aufgezogen. Da stellten sich die drei Mannen an ein Bündel und brüllten mitsammen — eins, zwei, drei: «Hutzli harus!» Und der Wald ringsum antwortete: «Harus.» Kam aber kein Hutzli heraus, ob sie wohl schon ein dutzendmal gerufen. So huben sie halt «Kindsköpf» aus dem Boden und warfen sie an das Tor. Jetzt gaben die Hunde Laut, aber sonst rührte sich kein Federlein in der Burg. «Gehet ihr hierherum, werte Herren», bat Junker Hans, «und schaut nach einem Fenster.» Er selber ging auf der Seite herum, wo der Mond die Mauer beschien. Da deucht ihn, er säh an einem offenen Fensterlein ein bloß Ärmchen und darüber einen Krauskopf. Flugs macht der Junker mit seinen Händen einen Trichter und flötet erst sachte, dann lauter: «Thea, Thea!» — Und siehe da, der Haarbüschel rührte sich, und ein verwundert Gesichtlein schaut in die Mondnacht. «Sankta Maria, Junker, seid Ihr's?»

37 «Thea, jag deinen Hutzli aus dem Stroh, er soll aufmachen.»

Derweil kamen die Teutsch-Herren um die Burg herum, hatten nicht Tür noch Fenster gefunden und wunderten sich über des Junkers Zuversicht, daß nun bald die Brücke fallen werde. Sie warteten an der Anfahrt und warteten, bis sie alle beide einschliefen, der eine zur Linken, der andere zur Rechten des Wegs. Der Mülinen hingegen behielt die Brücke im Auge, bis er endlich ein feines Stimmlein durch das Guckloch hörte: «Junker, ich kann nit aufmachen. Der Sperrbaum ist mir zu schwer, und der Jäger ist voll wie eine Brente im Leset. Weiß auch nit, wo seine Leute liegen.»

«So hilft nichts denn warten, bis es taget.»

Der Junker löste seine beiden Pferde und führte sie sachte abseits, tief ins Gebüsch, und setzte sich Theas Fenster gegenüber unter einen Baum, bis ihm die Burgmauer das Morgenlicht in die Augen warf. Die beiden Ritter, als sie erwachten, meinten, ihr Gast wäre seines Weges gezogen, sintemal weder Roß noch Reiter da waren, und ritten zur Frühmette nach Köniz hinunter, ohne die Maid gesehen zu haben. Jetzt schlug der Junker abermals Lärm, und Thea brachte mit einer Gelten kalten Wassers aus dem Burgsood den Jäger zum Erwachen und Aufsperren. Der schämte sich seines Suffes und tat den beiden zulieb, was sie begehrten. Auch 38 zeigt er ihnen ein gut Stück weit den Weg, als sie gelabt und ausgeruht, nun jedes auf seinem Pferde, dem Oberlande zuritten.

Bei den Chorherren zu Ansoltingen gab es guten Trunk und gebackenen Hecht. Danach ritten sie frohgemut über Wimmis nach Äschi, zweimal durch wildes Bergwasser.

Als sie nun abends um die Betzeit vor Jonelis stattlichem Haus anhielten, lief das Dörflein zusammen, wo doch das Jungvolk zum Rosenkranz in die Kirche sollte. Der Landsvenner wollte sie wegscheuchen; aber es ging keins mehr vom Fleck. Eins rief dem andern zu, vom Dorfbrunnen bis in die Gaden hinauf: «Theterli, unser Theterli ist wieder da.»

«Gelobt sei Jesus Christ!» grüßte Thea, «grüß euch allesamt. Aber ich will euch nit vom Rosenkranz abhalten. Junker, nun wir glückhaft aller Fahr entronnen sind, wollen wir doch unsrer allerheiligsten Jungfrau Dank erstatten.» Also schritten sie allem Volk voran und sangen etliche Dutzend Ave und Ora mit ihnen.

Auf dem Rückweg von der Kirche zogen Junker Hans und Thea den Landsvenner ins Vertrauen und baten ihn, er möchte Thea in Schutz und Schirm nehmen bis zur Heimkehr ihres Vaters. Da schlug der biedere Joneli ein Kreuz, kraute sich in den grauen Haaren und sagte: «Junker, Junker, Herbergen tu ich das Edelfräulein gern, und es soll ihm nichts mangeln; 39 aber bei Sankt Batt, ich tu's nit ohne unseres gnädigen Herrn Geheiß. — Das könnt eine böse Suppe geben, wollt ich ihn hintergehen.»

«Ich nehm's auf mich.»

«Liebwerter Herr, das wär recht und gut; aber ich weiß nit einmal, wer Ihr seid, noch wie Ihr zu dem Fräulein kommt. Wird wohl mit rechten Dingen zugehen. Aber warum, wenn dem so ist, kann das Fräulein nit ins Schloß zu Spiez?»

«Lebenden Leibes bringet Ihr mich nimmer dorthin, Joneli», trotzte Thea flammenden Auges. «Eh mein Vater heim ist, weich ich nimmer von Eurem Dach.»

«Euer Vertrauen ist mir viel Ehr, liebes Fräulein, aber sie werden Euch bald herunterholen.»

«Es soll keine Katz in Spiez wissen, daß ich da bin.»

«Dann hättet Ihr aber nit am hellichten Tag bei mir einkehren sollen. Schon morgen läuft es mit Brenten, Hutten und Säumern dem See zu: ‹Unser Theterli ist wieder da›.»

«Nun», meint der Junker, «Euch will ich nit ins Unglück bringen. Ich nehm's auf mich. Will doch sehen, ob ein aufrechter Edelmann nit etwas gilt.»

«So gehet zur alten Frau von Bubenberg, Herrn Adrians Mutter, und bittet ihr's aus. Ist sie einverstanden, so tu ich Euren Willen.»

40 «Gut, Venner.»

«Tut's nit, Junker, tut's nit!» flehte Thea. «Meine Großmutter vermöget Ihr nie und nimmer zu überreden.»

« Vederemo

«Ich leid es aber nit, Junker.» Die braunen Augen sprühten Feuer, und die kleinen, harten Hände krallten sich in des Junkers Wams.

«Theterli, Theterli, da hilft kein Beißen und kein Schlecken. Wir sind es Herrn Adrian schuldig.»

Jetzt erschien die Frau Vennerin auf der Laube: «Liebe Leut, ihr redet's heut nimmer zu End. Das Kirschmus steht auf dem Tisch.» Das galt Thea, denn in der Kirschenzeit war sie in den Jahren ihrer Kindheit immer blau wie ein Salbentopf aus den Hütten der Bauern heimgekommen.

Sie setzten sich unterm Kienspan in der Küche um den Tisch. Aber das Fräulein vom goldenen Hof tat, als wär das Mus mit den gerösteten Brotbrocken nur zum Betrachten da. Die Jonelin meint's gut und mahnte, wenn das Fräulein sich nicht dazu hielte, so könnte das Mus wohl ohne sie alle werden. Da schmiß das Jungfräulein seinen runden Holzlöffel in die Gebse, daß der Brei ungelöffelt den Weg in die Gesichter fand. «Ins Kloster geh ich nit.»

«Nein, Thea», lachte der Junker, «das laß meine Sorge sein. Und zum Zeichen deß, daß du mir Vertrauen schenkst, gönn der Frau Vennerin die Ehr und iß!»

41 Da warf das Fräulein dem Junker einen bösen Blick; aber die Hand zuckt bis an den Löffelstiel hin. Sie rührt in der Gebse herum, wie zum Zeitvertreib. Dann, wie von ungefähr, kommt der Löffel zu ihren schmollenden Lippen heran, und zu guterletzt ist sie es, die den Gebsenboden ans Licht bringt.

Wie sie andern Tags erwachte und die Sonnenpfeile schon scharenweise silbern in den blauen See prasselten, stampfte nur noch das Teutsch-Herren-Roß unter des Venners Dach.

«Wo ist der Junker?»

Die Frau Vennerin deutete mit ihren guten alten Mütterleinaugen stumm nach Spiez, und wie es dem Jungfräulein über die Wangen zu perlen anhub, nahm sie's stillschweigend bei der Hand und führte es in die Kirche, allwo sie selbander einen ganzen Rosenkranz um ein willig Ohr bei der Großmutter im goldenen Hof beteten.

Nicht lange hernach küßte Junker Hans Albrecht der alten, hoffärtigen und gestrengen Frau Änneli von Bubenberg, so eine Roseneck aus dem Bistum St. Gallen war, ehrerbietig die Hand. Er hatte sich auf dem Weg eine Mär ausgesonnen, die Dame zu überlisten. Wie er aber den Troßbuben, der sein Pferd im Hofe hielt, einem harthörigen Knecht ins Ohr säuseln hörte: «Das ist des jungen Herrn, so Theterli heimgebrungen», dacht er: Gradaus lohnt baß, und erzählte bis 42 auf die Nagelprobe der Wahrheit, was Glücks ihm widerfahren.

Da schlug Herrn Heinrichs Wittib ein Kreuz, macht Augen wie Sankt Battens Höhle, so tief und Wunders voll, und sagt: «O heilige Kümbernuß! Das gehet übel wider meines Sohnes Will und Gelübden. Habet Dank, junger Herr, für Eure Müh, aber ich will ohne Verzug einen Trupp Mannen rüsten, das verlüffen Kind gen Fraubrunnen zu schaffen.»

Sie war auch schon aufgestanden, durchs Fenster zu rufen, da bog Junker Hans sein Knie und hob die Hände, bittend, daß sie davon ließe: «Um Eure Mutterlieb, edle Frau, tut nit also! Ihr brächtet zweier Menschen Glück zu Grab.»

Hei, wie schnellte da Frau Änneli vom Fenster zurück! «Stehet es so um Euren Ritterdienst? — Dann weiß ich Euch nit bessern Rat, denn eine Fahrt ans Heilige Grab, damit Ihr Eurer törichten Liebe desto leichter genesen könnt. Nie und nimmer darf Dorothea eines Mannes Weib werden. Sitzet her und laßt Euch sagen, warum.»

Der Junker setzte sich auf eine Truhe, dieweil Frau von Bubenberg auf ihrem erhöhten Fenstersitz zu spinnen begann und ihm erzählte: «Am Bonifazi-Tag verwichen sind es just sechszehn Jahr worden, daß meines Sohnes erste Ehegemahlin Jakobe — des Grafen von Aarberg Tochter — ins Kindbett kam. Es setzte ihr übel zu, und wir alle vermeinten, sie werd's nit überstehen. 43 Adrian aber hing mit ganzem Herzen an ihr und könnt sich's nit denken, wie er ohne sie des Lebens wieder froh werden sollt. Da lief er in seiner Not in die Kirche, warf sich vor unsrer lieben Frau Altar nieder und tat ein Gelöbnis, daß das Kind Gottes sein sollt, wenn seine Ehegemahlin am Leben erhalten würd, es sei ein Jungknab oder ein Mägdlein. So ist Dorothea unsrem Herrn verlobet, ehe sie nur das Licht dieser Welt erschaut. Jakobe hat's überstanden; aber im dritten Monat darauf ist sie dem Fieber erlegen. Sie hat nie erfahren, welch Gelübde Adrian über dem Kindlein getan. Daß die gute Frau so bald schon von ihm gegangen, hat er nimmer verwunden, bis auf diesen Tag nit; er trug sie minniglich im Herzen. Aber um des Namens und Guts willen hat er ein andre Ehefrau genommen, die von Lassarraz. Die hat ihm Sohn und Tochter geschenkt, sind ihm aber nit was die Thea. Wir haben's oftmals gemerkt, daß ihn des Gelübdes fast gereut, und hat einst der Kaplan drüben gemeint, er wollt dem Herrn zurecht helfen. Er sagt ihm, das Gelübde gelte nichts, sintemalen ihm seine Ehefrau so bald weggestorben. Da stieg ihm das Blut zu Kopf und fuhr ihm ein hart Wort von der Zunge. Er brauche keinen Pfaffen, ihn zu lehren, was eines Ritters Wort gelte. Das gab dem Kaplan übel zu kauen und sann der gekränkte Priester, wie er's seinem Burgherrn heimzahlen könnt. Er 44 dacht: ‹so bhäb's›, hielt etliche Wochen drauf eine Predigt über die Geschichte von Jephthah und behärtete, wie das ein Mann gewesen wär, der Wort zu halten vermocht. Adrian hat nichts merken lassen, aber des Kaplans Red ist ihm liegen blieben. Schon zu selber Zeit hat er davon geredt, daß er ans Heilige Grab fahren wollt. Inzwischen aber rief ihn sein Jugendfreund, der Graf von Charolais, zu Hülf wider den König von Frankenreich. Er ist mit einem Fähnlein Knechte aus der Herrschaft zogen und hat des Königs Volk bös heimgeschickt. Die zu Bern aber waren's übel zufrieden, dieweil sie ein Bündnuß mit dem König geschlossen hatten. Wie er nach verrichteter Sach heimkam, haben sie Herren und Knechten viel Buß auferlegt und allesamt in Kefi tan. — Ja, Junker, so danken die zu Bern für meines seligen Mannes Dienste. Darauf, so sagt Adrian, jetzt wär's ihm genug, und ist in Gottes Namen gefahren. Zuvor aber wollt er sein Wort einlösen und bracht Thea gan Fraubrunnen. Hat ihm fast das Herz abdrückt, wußt aber auf all unser Raten keinen andern Bescheid als: ‹Ein Mann ein Wort.›

So wisset Ihr nun, Junker, wie es um Dorothea steht. Gan Fraubrunnen zurück muß sie, eh die Wochen um ist.»

«Weh mir», seufzte der Junker, «so steht's um Dorothea. Aber nun, gnädige Frau, wisset auch, wie es um mich steht. Mich hat das 45 Schlänglein in die Gurgel gebissen, und daran muß ich sterben.»

Da kam ein Lachen in die Augen der alten Frau. «Ein wachsamer Rittersmann läßt sich nit beißen», sagte sie, «aber jung Blut verwindt's.»

«Spottet mein nit, edle Frau. Kann nimmer sein ohne mein Lieb.»

«Mein Lieb!» lacht sie. «Mein Lieb! Und ist noch ein jung Kind, weiß nit, was Lieben und Leben heißt.»

«Ja, edle Frau, weiß noch nit, was Lieben und Leben heißt und soll im Kloster sterben!»

«Fahret erst ein Stück durch die Welt, Junker, und Ihr werdet bald ein ander Blümlein ans Herz drücken. Wer wüßt nit, wie jung Blut es treibt!»

«Ich nit, wohledle Frau. Will drei Jahr in Knechtsdienst um sie werben, wenn's anders nit geht. — Tut mir die Gnad und behaltet das Fräulein in Eurer Hut, bis der Ritter vom Heiligen Grabe kommt. Dann mag er sein Urteil fällen. Schickt er Thea ins Kloster zurück, so fahr ich selbigen Tags nach Köniz, auf den Orden einzuschwören.»

«Junker», antwortete darauf Frau Änneli, «es ist meine Sach nit, meines Sohns Wort zu biegen. Ist Eure Liebe zu dem Kinde so heiß, wie Ihr sagt, so wird sie nit erkalten, bis der Ritter heimkehrt. Alsdann redet mit ihm. Unterdessen muß Thea dahin, wohin sie gehört.»

46 Der Junker sah, daß weiteres Bitten nichts mehr nützte, behielt aber doch einen Funken Hoffnung im Herzen und verabschiedete sich von der strengen Frau. Als er bergan ritt, folgten ihm drei Knechte vom Schloß mit Wehr und Waffen, das Jungfräulein zu holen.

Tief bekümmert überlegte er, wie er Thea den Bericht versüßen könnte. Es wollte ihm aber nichts Schickliches einfallen. «Wie werde ich dastehen, wenn ich das Kind den Knechten übergeben muß?» So fragte er sich, indem er langsam hinter dem Hondrich-Wald emporstieg. Als sie den Bergkamm erreichten, an dessen letztem Vorsprung die Kirche von Äschi in der Mittagssonne schimmerte, schien ihnen, als wäre da droben ein Laufen und Rufen. Und siehe da! Auf der Gasse zwischen den Häusern stand ungeduldig das Fräulein inmitten des Geläufs und rief: «Junker, Junker! Habt Ihr's gehört? Habt Ihr ihn gesehen?»

«Was? Wen?»

Und jetzt redete alles durcheinander und wollte jeder am meisten wissen. «Glaub's wohl», rief der alte Joneli zwischen Furcht und Freude, «Ihr rittet just hinterm Wald, als der erste Hornstoß vom Turm zu Spiez dröhnte wie des Jüngsten Tags Posaune. Höret! — Hört! — Noch einmal!» Ein Echo lief den Hängen entlang und kam von Sankt Columbans Kapelle zurück, als bliese dort der Waldbruder Antwort. 47 «Wir haben ihn gesehen», wurde jetzt weiter berichtet, «wie er über die Kander geritten kam. Ja, ja, er war's, unser Herr Adrian mit dem Jakob Erken.» Das ganze Völklein zappelte vor Ungeduld, die Börder hinunterzulaufen. Man wollte ihn doch sehen, den Ritter, der sich mit Mohren und Türken herumgehauen. Ein altes Weib wollte gesehen haben, daß ein Lichtglanz um sein Haupt geschienen, als er von der Kander herauf ritt.

Den Lichtglanz aber, der mitten unter ihnen aus zwei Augen brach, sahen sie nicht. Des Jungfräuleins Stimme hingegen schuf sich Gehör. «Jetzt laßt mich machen!» rief sie dem Junker zu. «Reitet ans Bord unter Sankt Columban und merket auf! Wann ein rot Fähnlein vom Turm leckt, ist's Zeit für Euch.»

« Vederemo

Er half Thea in ihren Sattel und wandte sein Roß nach der angegebenen Richtung. Wie eine junge Königin ritt sie in ihrem zerrissenen Gewändlein bergab, gefolgt von den Knechten und dem vor Neugier sich fast überkugelnden Dorfvolk.

Weit offen gähnte das Burgtor, und der Hof stand voll Volks und Gesinde, in ihrer Mitte, von hundert Fragen umschwirrt, Jakob Erken. Die Frau Großmutter erteilte oben an der Freitreppe Befehle. Noch hatte sie die junge Reiterin nicht bemerkt, als diese schon zur Erde geglitten und im Getümmel verschwunden war.

48 «Wo ist mein Vater?»

«In der Kapelle drüben.»

Wie ein Wiesel wischt Theterli über den innern Hof in die kleine Kirche. Dort kniet er vor dem Altar, und die farbigen Lichter der hohen Fenster funkeln auf seiner Rüstung. Helm und Schwert liegen vor dem Ritter auf den Chorstufen. Tief hängen die schwarzen Locken ihm vom gebeugten Haupte.

Auf leisen Sohlen schleicht das Jungfräulein bis dicht hinter den Betenden. Das Herz will ihr fast entzwei brechen. Sie hält sich nicht mehr. Dicht heran ist sie. Und auf eins ist des Kriegsmanns Hals in weiche Arme gebettet — wie damals im Kloster, als er sich von ihr losriß. Kaum hat sie einen Kuß auf seinen Nacken gedrückt, so schnellt er auf. Doch bleibt er auf den Knien, und muß sich Küsse und Tränen gefallen lassen.

Aber jetzt steht er da, aufrecht, mit riesengroßen Augen — Jephthah — und das Kind vor ihm kniend mit bittenden Händen.

«Kind, wie kommst du hieher?»

«Frag nit, Vater! Frag nit! — Gelt, ich darf bei dir bleiben?»

«Armes Kind, du weißt doch...?»

«Ich weiß, daß du mich dem lieben Heiland versprochen hast. Und sein will ich sein mein Leben lang, Vater, aber nit so wie du's gemeint hast. Viel besser und viel mehr noch will ich des 49 Herrn Magd sein. Mitten unter den Menschen ihm das Kreuz tragen helfen. Lieben und Leiden ist mehr denn Singen und Geißeln.»

«Lieben und Leiden...!» Er sagt nicht, daß er in Rom gewesen beim Heiligen Vater und daß er seines Gelübdes enthoben worden. Wiewohl er erleichtert aus den Toren der ewigen Stadt geritten und den Vorsatz gefaßt, in Fraubrunnen anzukehren, war er bald wieder andern Sinns geworden, dieweil ihm Jakobea nachts im Traum erschienen war und gesagt hatte: «Ob es auch das Haupt der Christenheit gesprochen, es ist Menschenklugheit und nit Gott's Wort.»

Unterdessen war Herrn Heinrichs Wittib in das Kirchlein getreten und sah ihren Sohn vor den Stufen stehen, umgürtet mit den schlanken Armen Dorotheas, die mit bang bittenden Augen zu ihm aufschaute. Er selbst hatte sein Antlitz auf das Bild der Gottesmutter gerichtet, als wollt er fragen: «Was sagst du dazu?» Am Gewölb war ein Flimmern von Goldkringeln, so der Seespiegel durch ein Fenster hinaufwarf. Ist wie ein froh Getümmel himmlischer Heerscharen, dachte sie und fing an mit dem Rosenkranz zu spielen. Darob erwachte Herr Adrian und wandte sich seiner Mutter zu. Und ehe sie ein Wort der Verwunderung herausbrachte, sagte der Ritter zu ihr: «Mutter, mir ist, mein ich, durch Kindesmund eine Antwort von Gott geworden. Die 50 gefällt mir baß, denn die Weisheit der römischen Gelehrten, so mich des Gelübdes entbunden. — Lieben und Leiden! Gott schenk dir Kraft und Mut dazu! Ich geb dich frei.» Damit nahm er des Kindes Haupt in seine Hände, nicht um ihm die Ohren zu verhalten, und küßt es inniglich auf den Scheitel.

Darauf trugen sie im Schloß dem Ritter vom Heiligen Grab Speis und Trank auf. Er erzählte ihnen von Mohren und Sarazenen, die allenthalben lauerten, aber einem Ritter ohne Furcht nichts anhaben könnten. Thea hingegen erzählte von Wölfen und Bären, die über ein schlummernd Edelfräulein nichts vermöchten, sofern nämlich ein Junker ihnen zuvorkäme. Also ward dem Ritter kund, wie sein Kind unversehrt gen Spiez gekommen und kein ander Ungeheuer ihm den Weg verlegt, denn der Durst des Jägers, den es in seiner Not zu Hilfe gerufen.

Wie nun Herr Adrian durch solche Mär und Speis und Trank erquickt und lustig geworden, rief Theterli: «Gebt mir ein rot Fähnlein!»

«Was willst du mit einem roten Fähnlein?»

«Den Junker zur Tafel rufen.»

«Welchen Junker?»

«Der mir hierher so sicher Geleit gab.»

«Theterli, Theterli! Hab kein rot Fähnlein, im ganzen Hause nit. — Laß den Junker kommen, wann es Zeit sein wird.»

Thea schlich sich aus dem Saal und stieg auf 51 den Turm. Dort löste sie ihre Flechten und ließ ihr Haupthaar im Winde flattern.

Der Junker verstand das Zeichen und kam eilends geritten. Herr Adrian dankte ihm frohgemut für seine Ritterdienste und lud ihn zu Gast. Als dann aber der junge Edelmann um Dorotheas Hand anhielt, sagte der Ritter: «Gut Ding will Weile han, Junker. Tut eine Fahrt ans Heilige Grab. Das stählt Geduld und Liebe. Und zur Kurzweil auf der langen Reis' geb ich Euch auf, zu überdenken, ob Ihr mein Bedingnuß anzunehmen gewillt seid. Herz, Leib und Gut meiner Tochter sei Euer eigen, soviel ihre Liebe Euch schenkt; aber ihre unsterbliche Seel gehört Gott allein, und soll ein Edelmann acht haben, daß er Gott nit um die teuer erkaufte Seel seines Weibes betrüge. Will Thea Gott zu Ehren in Liebe leiden, so soll es Euer aufrichtigstes Trachten sein, ihr darin den Bügel zu halten nach Ritterart.»

«Ich will's», rief Junker Hans und bot Herrn Adrian die Rechte.

Der aber antwortete: «Wann Ihr vom Heiligen Grab kommt, schlag ich ein.»

Der Junker war's zufrieden. Gleichen Tags trat er die Heimreise an und bald darauf seine Wallfahrt ins Gelobte Land.

Damit hub in Theterlis Liebe das Leiden an. Täglich ging sie, in Sonnenbrand oder Schneesturm, hinüber und betete in der Sankt Columbanskapelle 52 um eine glückhafte Heimkehr ihres Geliebten. Am heißesten aber hat sie um ihn gelitten, da er nach Jahren als würdiger Eidam an Herrn Adrians Seite in Murtens Mauern wider die Burgunder stritt.

*  *  *

Was aus Urs Werders Kunstwerk geworden sei? — Eines Tags, bald nach Herrn Adrians Heimkehr, kam der Meister in großer Betrübnis nach Spiez und klagte: «Gnädiger Herr, habt Geduld mit mir. Ich kann den Rank nit finden. Eure holdselige Tochter will sich mir nit auf den Scheiterhaufen schicken.» Wohl ein halb Dutzend Entwürfe breitete Werder auf den Tisch. Da lachte der Ritter: «Laßt gut sein, Meister. Mein Kind hat einen bessern Rank gefunden, einen, so man nit malen kann. Malet mir lieber eine baufällige Kilchen und eine darob ausgehende Sonnen.» Urs Werder traute seinen Ohren nicht recht. Lange blickten sich Ritter und Meister fragend in die Augen. Endlich schien Urs zu verstehen; aber mehr als ein feines, zustimmendes Lächeln gestattete er sich nicht.

*  *  *


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