Auguste Supper
Der Mönch von Hirsau
Auguste Supper

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In dem Hause an der Mauer
Ist es still, so still geworden.
Wohl zieht durch die offnen Läden
Rosenduft wie alle Jahre,
Malven und Levkojen blühen
Und die Laube grünet üppig.
Doch was hilft es, wenn im Herzen
Trübe Sorgen gramvoll nisten?
Muhme Evas freundlich Antlitz
Scheint um manches Jahr gealtert,
Denn ihr Kind, ihr süßer Liebling
Will in wen'gen, kurzen Wochen
Mit dem Bruder ziehn zum Kloster
Fern am heil'gen Rochusberg.
Tausend Bitten, tausend Klagen,
Thränen, Worte, stilles Härmen, –
Alles konnte nicht die Trude
Vom gefaßten Vorsatz bringen.
Immer, immer wieder sprach sie:
»Muhme, quälet mich nicht länger!
Glaubt mir, es ist Gottes Wille,
Und ich muß, ich muß gehorchen,
Oder dran zu Grunde gehn.«
Da, als letztes Rettungsmittel
Hat die Muhme an den Kaspar,
Dessen neues Haus am Wasser 135
Beinah' fertig ist, die Margret
Abgesandt, daß sie ihn bitte,
Heute abend vorzusprechen.
Drinnen ist er in der Stube,
Und der Star, er rief ihm freudig
Seinen muntern Gruß entgegen.
Doch kein Lächeln dankt dem Vogel:
Bleichen Mundes sitzt der Krämer
Lange bei der Muhme Eva,
Und gar bitter zuckt es öfters
Um die bärt'gen Lippen, als die
Alte Frau den Freund bestürmet,
Doch die Trude zu bewegen,
Von dem Klosterplan zu lassen.
»Geht doch zu ihr in die Laube,
Bittet sie bei Eurer Minne,
Euer Eheweib zu werden!«
Und er gehet durch den Garten,
Setzt sich zu ihr auf das Bänkchen,
Das so manchesmal Knecht Konrads
Und der Margret Liebesschwüre
Schon belauscht in diesen Monden.
Still und freundlich hat die Trude
Ihn begrüßt, dann fährt sie ruhig
Fort, an ihrem Tuch zu nähen.
Kaspar beugt sich zu ihr nieder,
Legt die Hand auf ihren Scheitel,
Den sie heut so tief gesenkt hält.
Und er spricht mit seiner guten,
Ruhig-ernsten Stimme: »Trude,
Sieh mich an, ich möcht' ein wichtig
Wort mit dir jetzt gerne reden.«
Trude blicket auf, ein helles
Rot steigt in die schönen Züge,
Denn sie ahnt, was kommen möge.
»Trude, als vor siebzehn Jahren
Berthold kam zu mir gelaufen 136
Mit der Kunde, daß ein liebes
Schwesterlein ihm sei geboren,
Freute ich mich dieser Botschaft.
Als das Mägdlein größer wurde,
War, statt Berthold's, dessen wilder
Sinn nach andern Dingen strebte,
Ich es, der des Kindes erste
Schritte lenkte und vor manchem
Schweren Fall es oft bewahrte.
Den erwachs'nen Jüngling führte
Sein Beruf für lange Jahre
In die weite Welt, und Berthold,
Der geliebte Freund der Jugend,
War der treueste Genosse.
Wenn die beiden heimwärts dachten,
War es stets ein kleines Mägdlein,
Dessen frohes Kinderlachen,
Dessen glänzend braunes Haar dann
Ihnen vor die Augen trat.
Und sie kamen heim. Das Mägdlein
War erblüht, so zart und sittig.
Damals fing es an, mich ruhlos
Umzutreiben, jenes Etwas,
Das der Born der herbsten Schmerzen
Werden kann, wie aller Wonnen,
Allen Glückes sel'ge Quelle.
Lang verbarg ich meine Minne,
Denn noch warest du ein Kind fast,
Und so süß in deinem frohen,
Harmlos stillen Dämmerleben.
Doch, an jenem Tag, du weißt es,
Als die Rosen duftend blühten,
So wie heut, und du mit hellem
Jubel über eine Spange,
Die ich dir geschenkt, so stürmisch
Mir bist an den Hals geflogen, –
An dem Tage floß es über 137
Was das Herz schon lange füllte,
Und ich sagte dir, wie innig
Dir die ganze, volle Minne
Dieses Herzens sehnend zuflog.
Damals, Trude, sahst du fröhlich
Und vertrauend mir ins Auge
Und du gabst mir deine Hände,
Sagtest, daß in Treu und Minne
Du dereinst, wenn du bei Jahren,
Wollest mein sein, frohen Herzens.
Wenig hab' von jenem Tag an
Ich von Minne dir gesprochen,
Wenig auch verlangt; denn süßen
Frieden gab mir das Bewußtsein,
Daß du mein, und daß ich dein sei.
Trude,« fährt er fort und plötzlich
Schwankt die Stimme, »weil ich niemals
Davon sprach hast du vergessen,
Was du mir seit je gewesen?
Trude, soll mir das entschwinden,
Darauf ich, als auf den Felsen,
Der nicht wankt, mein Leben baute?
Trude,« – und des Mannes Stimme
Zittert wie von innern Thränen, –
»Soll ich heute es dir sagen,
Wie du all mein Glück, mein Leben,
All mein Traum und all mein Hoffen,
Wie bei meiner schweren Arbeit,
Wie bei meinem stillen Leben,
Wie in Freud, und Leid mein ganzes
Denken dir, nur dir gehörte.
Trude, Kind, o wenn du könntest
In dem Mannesherzen lesen,
Gingst du nimmermehr von dannen!«
Totenbleich sitzt bei des Freundes
Flehenden, gebrochnen Worten
Trude da, die schmalen Hände 138
Wie in herber Qual gerungen.
Brennend blicken ihre Augen
Auf zu Kaspar, dessen Züge
Fast verzerrt sind von den Schmerzen,
Die so lange schon in seiner
Breiten Brust verschlossen ruhten.
Leis und tonlos sagt jetzt Trude:
»Glaubt mir, Kaspar, wenn ich immer
Schweres Leid Euch muß bereiten, –
Schwerer, nein, so schwer ist's doch nicht,
Wie die Qual, die ich getragen
Und so lange tragen werde,
Bis in grauem Nonnenschleier
Letzter Wunsch und letzte Unrast
Ewiglich zur Ruh' gebettet.
O, Ihr wißt nicht, niemand weiß es,
Warum nie und nie nach allem
Ich die Eure dürfte werden.
Dringt nicht in mich! schonet meiner!
Glaubt mir, glaubt mir aus Erbarmen!«
Kaspar stehet auf, ein rascher
Strahl blitzt auf in seinen Augen.
Mit dem breiten Rücken lehnt er
An die Thüre und spricht grollend:
»Glaubt mir! sagst du! Habe ich nicht
All die langen, langen Jahre
Dir geglaubt, und all mein Glauben
War ein Wahn, ein Traum des Thoren,
Habt Erbarmen! bittest du mich?
Wer hat denn mit mir Erbarmen,
Wenn ich nun nicht Knabenträume,
Sondern des gereiften Mannes
Lebensziel und -zweck begrabe?
Trude, höre was ich sage:
Nichts, nichts kann dich mir entreißen,
Nichts, was du nur magst erdenken,
Keine Schuld, und wär's die schwerste. 139
Trude, glaube meiner Liebe:
Alles will ich mit dir tragen,
Alles, alles dir vergeben
Ohne Beichte, ohne Buße.
Komm nur wieder an mein Herze,
Wie dereinst vor manchem Jahr.«
Ueberwältigt legt den Arm jetzt
Er um Trudes weißen Nacken,
Preßt das blasse Köpfchen an sich,
Und er streichelt mit der Linken
Sanft die schmale, zarte Wange.
Weinend sinkt da Trude nieder,
Lehnt mit bitterlichem Schluchzen
Ihren Kopf an Kaspars Kniee,
Und sie faßt die treue Rechte.
Stöhnend flüstert sie: »So höret
Denn das Eine, was sonst niemand
Noch gehört, und was, ob keine
Schuld es wäre, mich doch ewig,
Ewig von Euch trennen würde;
Wißt: ich liebe einen Andern!«
Hastig, mit erglühtem Antlitz
Fährt sie fort: »Als ich vor Jahren
Euch gelobte, treu zu bleiben,
Wußt' ich nicht, was ich versprochen;
Wußte nichts von heißer Minne,
Die mit Sturmgewalt daherbraust.
Damals wußt' ich nur, wie teuer
Mir der Freund, und wie sein Antlitz
Mir, dem Kinde, würde fehlen,
So ich je ihn missen sollte.
Lange Jahre hielt die blöde
Maid dies gläubig für die Minne,
Bis mir plötzlich wie ein Blitzstrahl
Kam ein grell und klar Erkennen.«
Unbewußt erstrahlen Trudes
Augen jetzt beim Weitersprechen: 140
»Oft hört' auch aus Eurem Munde
Ich ihn rühmen. Lang schon ehe
Ich ihn sah zum ersten Male
Flog ihm warm mein Herz entgegen.
Und er kam, und damals, Kaspar,
Fing es an, an jenem Tage.«
Kaspar lehnet bleich am Tische.
Trude, immer auf den Knieen,
Fähret fort: »Es war so selig
Und so kurz: ich wußte bald schon,
Daß er für das Kleid des Priesters
Sei bestimmt seit Kindheitstagen,
Und daß überdies sein hoher
Stand ihn ewig hindern würde,
Sich zum schlichten Bürgermägdlein
Je in Minne herzuneigen.
Doch – mit klammerndem Verlangen
Hing mein Herz an seinem Traum.
Ach, ich konnte nicht die letzte
Stille Hoffnung fahren lassen,
Und mit sündbethörtem Herzen
Lehnte ich mich auf dagegen,
Ihn dem Herrn dahinzugeben.«
Tiefauf seufzt die Maid: »O, wäre
Ich vor jener bösen Christnacht
Doch gestorben! denn bis dahin
War ich thöricht und verblendet;
Aber in die schwere Sünde,
Die mich fast zermalmet hätte,
Fiel ich erst, als zum Altare
Vor den Abt ich ihn sah schreiten.
Da kam's wie ein Rausch der Hölle
Ueber mich, und meine Seele
Schrie in mir: Ich will's nicht dulden;
Ob es Engel oder Teufel
Hört und thut, – er soll nicht schwören,
Soll nicht hoffnungslos für immer 141
Mir verloren gehn, ich lieb' ihn!«
Trude zittert, und die Blässe
Jagt das Rot auf ihrer Stirne:
»Und ein Teufel hat's gehöret! –
Eh' das fluchbeladne Beten
Recht der Seele war entstiegen,
Knisterten die Flammen schrecklich
Am Altar, und unsres Heilands
Heilig Bild schmolz hin im Feuer;
Und die echte Windel Christi
Sah ich glimmen. Jeder Funken
Rief mir zu: Du hast's verschuldet!«
Das Entsetzen jener Christnacht
Liegt auf Trudes schönen Zügen.
Kaspar bleibet stumm, da fährt sie
Fort: »Wie ich in Krankheitsgluten
Lag von jenem schlimmen Tag an,
Wißt Ihr. – Gott in seiner Gnade
Wollte nicht, daß ich in Sünden
Fahre hin, er ließ mich langsam,
Langsam wiederum genesen,
Und was Gott in Fieberträumen
Mich ließ schauen, hören, glauben,
Hat er wahr gemacht: nicht länger
Ist durch mich der Graf von Sponheim
Von dem Weg des Heils geschieden.
Seine Kutte ist mir Zeichen,
Daß die Schuld von Gott vergeben.
Was ich böse wollte machen,
Gott hat es gekehrt zum Guten,
Und mir bleibet nur das Eine
Noch zu thun: die Zeit des Lebens,
Die mir ferner zugemessen,
Gott zu weihn, wie ich beschlossen.«
Ruhiger hat sie gesprochen,
Und sie stehet auf vom Boden,
Blickt zu Kaspar hin, der finster 142
In die grünen Ranken starret:
»Kaspar, es war eine Beichte,
Die sonst niemand darf vernehmen.
Zürnt nicht länger, drängt nicht länger,
Mein Geschick muß sich erfüllen.«
Düster spricht der Mann: »Einst bat ich
Auf gefahrvoll weiter Reise
Einen, daß er seine Arme
Und sein Schwert zum Schutz der Güter,
Die wir führten, leihen möge;
Und er schützte unsre Wagen,
Und er stahl mir meine Liebe. –
Wir sind quitt! – Sagt, stimmt die Rechnung?
Trude, lebet wohl! Nicht länger
Quäl' ich Euch; es ist vorüber!«
Trude starrt ihn an; er gehet
Mit gar müden, schweren Schritten.
Als die Gartenpforte zufällt,
Sinkt sie auf die Bank und weinet,
Weinet bitterlich und lange. 143

 

 


 


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