Hermann Sudermann
Jons und Erdme
Hermann Sudermann

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22

Die Erdme will sich ins Bett legen, denn die Beine tragen sie nicht.

Da tritt der Nachbar Witkuhn zu ihr in die Kammer. Er hat seinen Mantel auf dem Arme und sagt: »Bis heute waren die Töchter da. Ich könnte ja jetzt die Magd bei dir schlafen lassen, aber vor Gericht glauben sie ihr am Ende nicht, weil sie doch von mir abhängig ist. Und wenn ich auch ein alter Mann bin, da ich nun einmal mit dir im Verdacht stehe, so möchte ich dir das künftige Leben nicht erschweren, indem ich mit dir zur Nacht allein unter einem Dache verweile. Oder doch so gut wie allein. Ich werde darum den Nachbar Smailus um eine Schlafgelegenheit bitten und darin fortfahren, solange dein Ruf es verlangt.«

Da sieht die Erdme ein, daß sie kein Dach mehr über dem Kopfe hat, denn den Nachbar aus seinem Hause vertreiben, das kann sie nicht.

Weil sie aber weiß, daß er von seiner Meinung nicht abzubringen sein wird, so willigt sie zum Scheine darein, gibt ihm auch ihre Danksagung mit auf den Weg und sagt, sie wird gleich zur Ruhe gehn.

Sowie er aber weg ist, ergreift sie den Stock, auf den sie sich stützen muß, – und siehe da! jetzt tragen die Beine sie wieder.

Der Magd sagt sie, sie will an die frische Luft, und damit verläßt sie den Hof.

Es ist ein lieblicher Abend, nur – Gott sei's geklagt – sie weiß nicht, wohin.

Dem Moorvogt hat sie geschworen: ins Torfloch. So ein Schwur ist leicht gegeben, will man ihn aber erfüllen, dann fällt es einem recht schwer.

Trotzdem wird es ja wohl das Torfloch sein müssen,, denn was bleibt ihr sonst übrig?

Auf dem Knüppelweg hält sie an und blickt noch einmal nach ihrem Eigenen hinüber.

»Es ist merkwürdig«, denkt sie, »daß man nie etwas von ihm sieht oder hört.« Seit sie ihm das Pferd gestohlen haben, kann er nicht mehr wegfahren. Und zu Fuß kommt er auch nicht vorbei. Selbst die Petruschka ist wie in die Erde gesunken.

Sie wirft einen Blick auf die Quitschenbäume, deren Beeren schon halb und halb rot sind, und auch den Garten besieht sie von ferne. Viel erkennt sie nicht mehr, denn die Dunkelheit ist schon im Fallen, aber daß die Sonnenblumen im Aufblühen sind und daß der Wind die Stangen der Zuckerschoten umgeschmissen hat, das bemerkt man auch von dem Weg her.

»Wenn ich nicht so kreuzlahm wäre«, denkt sie, »so würd' ich nachher über den Zaun klettern und sie noch aufrichten.«

Und dann macht sie sich auf – nach dem Torfloch.

Die Ziegel, die schwarz und wie mit Fett übergossen an seinem Rande stehen, hat sie noch selber gestochen. Aber nicht mehr allein wie einst in den Jahren der Jugend. Mit der Magd waren sie drei, so wie es die Regel verlangt. Und der Jons hatte den schwersten, den Stechplatz.

Der Abendschein liegt feuerrot auf dem Wasser.

»Wenn ich jetzt hier 'reinspringe«, denkt sie, »dann wird er sein Lebtag glauben, ich sei mit dem Nachbar Witkuhn im Verschwiegenen einig gewesen. Denn wer soll es ihm sagen? Will der Nachbar ihn anreden, so schlägt er ihn tot.«

Und dabei fällt ihr auf, daß das Totgeschlagenwerden gar nicht so schlimm ist. Hier 'reinspringen ist schlimmer.

»Wie wär's«, denkt sie weiter, »wenn ich vorher noch mit ihm spreche und alles ins klare bringe? Mehr als mich totschlagen kann er ja auch nicht.«

Und so froh wird ihr dabei zumut, als wenn das noch ein Segen wär'. Bloß hier nicht 'reinspringen müssen!

Darum macht sie sich gleich auf den Rückweg.

Um die weggelaufenen Töchter klagt sie schon gar nicht mehr, nur daß das Vieh weg ist, erfüllt sie mit Kummer.

»Hätt' ich bloß eine einzige Kuh an die Leine zu nehmen«, denkt sie, »dann könnte ich mich schon vor ihm sehen lassen. Aber so ganz als Bettlerin auf seiner Schwelle zu stehen, fällt doch recht schwer.«

Und nun möchte sie wieder lieber ins Torfloch. – –

Wie sie von neuem am Quitschenweg steht, ist es schon Nacht, aber richtig Nacht wird es im Juli ja doch nicht.

»Find' ich ihn nicht zu Hause«, denkt sie, »so setz' ich mich an die Feuerstelle und warte, bis er zurückkommt.«

Und so geht sie langsam den Zufahrtsweg hinauf und bis an das Hoftor. Der Kettenhund rührt sich nicht. Ja richtig, den hat er vergiftet, weil er sich losgemacht und die Petruschka zerbissen hat. So hat es der Magd die Smailene erzählt.

Das Tor steht offen. Warum auch nicht? Das Vieh ist längst fort, das hat sie ja selber gestohlen.

Ob er wenigstens die Haustür verschlossen hat?

Aber wie kann er? Sie selber hat ja den Schlüssel.

So drückt sie also die Klinke auf zum Vorflur.

Da kommt aus dem Finstern was Helles gesprungen und riecht an ihr hoch und riecht und riecht und stellt sich dann vor sie hin und fängt an zu heulen, wie ein Mensch heult.

Heult er vor Freude? Heult er vor Jammer? Wer kann es wissen?

Ihre Augen haben sich schon an das Dunkel gewöhnt, und wie der Jons in seinen Kleidern aus der Stubentür tritt, erkennt sie ihn deutlich. Sie sieht auch gleich, daß er nüchtern ist. Bloß verschlafen scheint er zu sein.

Und wie er fragt, wer da ist, gibt sie gar nicht erst Antwort, sondern fällt vor der Feuerstelle zusammen. Sie denkt, nun wird er die Schaufel nehmen oder die Axt.

Aber was tut er?

Er macht die Haustür weit auf, damit er sie besser besehen kann, und dann stellt er sich neben sie hin und fragt: »Ist es noch immer das Kreuz, daß du nicht aufkannst?«

Nein, das Kreuz ist es nicht mehr, auch die Angst ist es nicht mehr, jetzt sind es die Tränen, daß sie nicht aufkann.

Und sie kniet vor der Feuerstelle und legt die Stirn auf die Kante und weint und weint, weil sie da ist und weil er die Axt nicht nimmt oder die Schaufel.

Wie wird sie's ihm aber bloß beibringen von dem Sparkassenbuch und dem Vieh? Und dann auch, wie sie mit dem Nachbar steht und gestanden hat, treu nach der Wahrheit?

Und weil sie nicht weiß, was sie reden soll, liegt sie da und weint.

Da sagt der Jons: »Die Marjellens sind ja, Gott sei Dank, auch weg.«

»Das weißt du?« sagt sie und richtet sich auf.

»Ich hab' ja alles aufladen sehen heute mittag«, sagt er.

»Und du hast sie nicht zuschanden geprügelt?«

»Ich hab' schon eine zuschanden geprügelt«, sagt er und setzt sich neben sie auf den Herd.

Da hebt sie den Kopf und legt ihn ihm zwischen die Knie, und er legt die Hand auf ihr Haar, und so sitzen sie lange.

Aber endlich muß sie es ihm doch sagen – das mit dem Nachbarn zuerst.

Sie druckst und druckst, doch es will nicht recht losgehen. »Der Nachbar –« sagt sie, »der Nachbar –« und dabei bleibt es.

»Is ja alles egal mit dem Nachbarn«, sagt er, »wenn du bloß da bist.«

Nun weiß sie, daß er ihr alles verziehen hat, wenn es auch noch so schlimm wäre. Aber sie will es nicht auf sich sitzen lassen – nicht eine Stunde mehr.

Und da kann sie mit einem Male ganz fix in die Höhe und setzt sich neben ihn und erzählt ihm von dem Gesangbuch – wie wundertätig sich das in der Jugend an ihr erwiesen hat. Nun aber sind sie längst angejahrt und drüber hinweg. Und daß der Nachbar heut für die Nacht zum Nachbarn Smailus gegangen ist, erzählt sie ihm auch.

Er sagt: »Wenn du bloß da bist.« Und sonst sagt er nichts. –

Nun wollen sie schlafen gehen. Doch es sind keine Betten da.

»Ich lieg' sonst auf dem Stroh«, sagt er »und bedecken tu' ich mich mit dem Woilach.«

Das Pferd ist weg, aber sein Woilach dient weiter. »Wie wir anfingen«, sagt sie und schämt sich, »da hatten wir wenigstens Bettzeug.«

»Ach Gott«, sagt er, »das Vieh ist ja weg und viel von dem Hausrat und alles Gesparte« – wie er sagt »alles Gesparte«, da schluckt er doch, und ihr zerreißt es das Herz –, »aber die schönen Gebäude sind da, und die Wiese haben wir auch, und die Kartoffeln gedeihen – und der Moorvogt sagt: ›Das Pferd wird sich finden‹, und fürs übrige leiht er. Wir fangen eben noch einmal von vorne an, das ist alles.«

Wie er das sagt, da kommt die Erdme sich wieder ganz jung vor.

Und dann kriechen sie still in das kahle Bett und decken sich zu, soviel die kurze Pferdedecke nur hergibt. Und sie frieren auch nicht, denn die Nacht ist ja mild, und sie können sich gegenseitig erwärmen.

Wie die Erdme da liegt, denkt sie: »O Gott, o Gott, wie liegt es sich schön hier!« Und ihr Kreuz wird bald heil sein, und dann wird sie arbeiten wieder für dreie. Und der Segen wird kommen, wie er das erstemal kam. Nein, er ist schon gekommen, denn der Jons liegt ja bei ihr und sagt halb im Schlaf: »Wenn du bloß da bist.«

Die Petruschka hat den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt und träumt von einer Wanne mit lauwarmem Seifenwasser und einem tüchtigen Schrubber.

Und wie ich die Erdme kenne, wird der Traum sich morgen erfüllen. –

 


 


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