Hermann Sudermann
Jons und Erdme
Hermann Sudermann

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6

Wie macht man einen Herd? Wie baut man einen Ofen? Der Boden trägt ja nichts. Willst du ihm was Schweres anvertrauen, so gibt er nach und schluckt es langsam unter.

Aber der Witkuhn weiß Rat. Er kennt alle Nücken und Tücken des Moores. Und er ist immer da, wenn man ihn brauchen kann. Aber nicht etwa von selber kommt er. Wie ein furchtsamer Hund schleicht er sich um die Baustatt herum und wartet, daß man ihn herruft. Und ruft man ihn nicht, so geht er von dannen.

Seine Frau ist wirklich ein Kummergewächs. Schleppt sich 'rum und tut ihre Arbeit mit Wehklag'. Wenn die flinke Ulele nicht hülfe, wäre das Nötigste oft nicht getan.

Und nun ist ja auch die Erdme da. Die knapst sich manche Viertelstunde ab, um für sie Hausarbeit zu tun, während der Mann draußen auf dem Felde ist.

»Wenn mein Kindchen noch lebte«, sagt sie, »dann könnte es mir schon in manchem behilflich sein.«

Aber das war ja schon in der Geburt gestorben und hatte dabei der Mutter den Leib zerrissen, so daß er nie mehr ganz heil ward.

Und nun kann sie ihrem Mann keine Frau mehr sein und ihrem Haus keine Wirtin.

Und dann ist noch das Unglück da, von dem sie nicht spricht und er nicht spricht und das man doch gleichsam riecht, wenn man dem Hof nur in die Nähe kommt.

»Ja also«, sagt der Witkuhn eines Tages, »den Herd baut man so: Man kauft sich« – er sagt »kauft«, »holen« sagt er nicht – »man kauft sich den Wurzelstubben von einer Tanne. Eine Kiefer darf es nicht sein, denn deren Wurzel ist geformt wie ein spitzer Pfahl und sinkt unter, als wäre er nicht gewesen. Eine Tanne muß es sein – deren Wurzel hat Querläufer nach allen Seiten – die legen sich wie Riegel vor, wenn der Stubben einsinken will. So trägt er vielleicht den Herd, und ein anderer trägt auch den Ofen.«

Der Jons streift also nachts durch die Wälder und sucht die Stellen, wo Tannen gerodet werden. Solche Stellen sind selten, denn die Tanne ist ein kostbarer Baum, nicht so gemein wie die Kiefer.

Er sucht, und er findet. Und wieder leiht der Taruttis den Handwagen, und beide ziehen aus bis nach dem Norkaiter Forst, wohl zwei Meilen weit. Der preußische Staat ist reich. Ob der einen Stubben mehr oder weniger hat, was macht ihm das? Und auch den zweiten kann er noch leidlich entbehren.

Aber noch mehrere müssen daran glauben, denn die Schlammschicht ist tief. Einer muß über den anderen gelegt werden, und dann erst hält der Grund so fest, daß man mit Ziegeln und Lehm darauf arbeiten kann.

Aber die Ziegel kann man leider nicht »holen«, denn der Herr Ökonomierat, dem der große Ringofen gehört, hält sich einen Wächter und hält sich auch Hunde. Ja, der kennt seine Leute.

Vielleicht versucht man es also mit Betteln. Denn weit und breit weiß jeder, welch ein guter und wohlmeinender Herr der Herr Ökonomierat ist.

Mit Zittern, und Zagen stehen sie vor ihm in dem großen Saal, der mit Bücherregalen gefüllt ist von einem Ende bis zum anderen. Man kann sich nicht vorstellen, daß es so viele Bücher gibt auf der Welt. Aber es ist kein »Bagoszius« – kein Geldprotz –, der zu ihnen spricht, sondern er ist freundlich und leutselig und wischt sich mit der Zunge über die Zähne und schmunzelt sie an. Aber seinen Augen ist nicht zu trauen. Die sehen einen durch und durch.

»Schenken werd' ich euch die Ziegel nicht«, sagt er, als sie ihre Bitte vorgebracht haben, »denn wer sich Häuser baut, der ist kein Pracher. Aber verkaufen werd' ich sie euch.«

Sie machen lange Gesichter. Dazu hätten sie ja einfach aufs Kontor gehen können.

»Und ich werde euch auch gleich den Kaufpreis sagen.«

Der Jons hält sein Beutelchen fest und denkt: Vielleicht probiert man es doch mit dem »Holen«.

Sie verstehen seine Frage erst nicht, obwohl er litauisch spricht, beinahe so gut wie sie selber. Zweimal muß er sie wiederholen. Da erst lachen sie hell auf.

Ob sie singen können!

»Könnt ihr auch Märchen erzählen?«

Fünfhundert können sie erzählen. Tag und Nacht und noch einmal Tag und Nacht lang können sie erzählen.

»So viel will ich gar nicht wissen«, sagt er. »Singt mir zehn Lieder und erzählt mir zehn Märchen. Vielleicht, daß ich was Fremdes darunter finde. Und dann könnt ihr euch Ziegel auf die Karre laden, soviel ihr braucht.«

Er gießt ihnen auch noch einen Schnaps ein, damit sie den nötigen Mut bekommen, und dann geht's los.

Die ersten drei kennt er, die dürfen sie gleich wieder abbrechen. Aber das vierte ist ihm neu, das schreibt er sich auf. Und von den Märchen, die die Erdme erzählt, schreibt er sich sogar zweie auf.

Dann gibt er ihnen einen Zettel für seinen Ziegelmeister, und damit haben sie sich Feuerstatt und Ofen ehrlich erworben. Der zugehörige Lehm muß ja freilich doch noch gemaust werden, aber den liefert zur Nachtzeit die Grube des Ökonomierats ohne viel Fragen, und das Strauchwerk, das als Halt in die Brandmauer gepackt werden muß, kann man sich ringsum von den Weidenbüschen schneiden.

So steigt die Mauer bald bis zur Decke.

Auf der einen Seite lehnt sich die Feuerstelle daran, auf der anderen der Ofen. Sehr schön sieht er nicht aus. Einer aus glasierten Kacheln würde sich sicher weit besser machen, und gerade steht er ja auch nicht, aber wärmen wird er vielleicht, wenn erst die Torfstücke drin prasseln.

Nun aber der Schornstein! Denn sonst erstickt man im Rauch.

Das Loch in der Zimmerdecke ist längst schon geschnitten. Wenn man nur weiter wüßte!

»Bei Schmidt auf dem Hofe«, sagt der Witkuhn, »liegt ein Haufen von rostigen Kannen. In denen ist früher Petroleum gewesen. Da kostet jede zehn Pfennig. Davon kauft euch ein Dutzend.«

Sie kaufen sich zehn und schmuggeln zwei noch mit durch.

Aber nun weiter!

Und der Witkuhn zeigt ihnen, wie man aus Latten eine vierseitige Röhre macht und sie mit dem Blech so dicht beschlägt, daß der Rauch durch die Ritzen nicht durchkann. Diese Röhre wird durch das Deckenloch geschoben und so hoch geführt, daß sie die Sparren noch überragt. Dann wird unten von Latten ein Mantel schräg darangenagelt, – und siehe da! der Schornstein ist fertig.

Das Anheizen will ausprobiert werden. Ach, wie qualmt das – und stinken tut es nicht weniger – vor allem nach Leim und Petroleum, aber das wird sich schon legen.

Und als der Rauch sich einige Zeit besonnen hat, findet er schließlich den richtigen Weg und entfernt sich gefälligst dorthin, wo es schnurgerade in den Himmel geht. Wenn er es im Winter ebenso macht, ist die Stubenwärme gesichert.

Vorausgesetzt natürlich, daß Hauswand und Dach das Ihrige tun. Die Hauswand – das ist nun gar ein schwieriges Stück, und wäre der kluge Witkuhn nicht zur Stelle, man brächte sie niemals fertig.

Aber wie können kluge Leute so ängstlich sein? Er wartet ja bloß darauf, daß die Erdme ihn ruft. Aber bitten läßt er sich doch.

Die viereckigen Moorfladen, die man an die Bretterwand preßt, halten wohl fest, solange sie feucht sind; trocknen sie aber, so fallen sie ab, wie Sandbrocken fallen.

Da baut der Witkuhn aus dem Abfall der schlechtesten Latten noch eine zweite Wand – fünf bis sechs Zoll von der ersten entfernt. Die ist ganz luftig, nicht dichter als etwa ein Zaun. In dem Raum zwischen den beiden sackt sich die Moorschicht und kriegt Halt und lernt auf sich selber beruhen.

Nach ein paar Wochen kann man die Latten wieder entfernen. Nur zur besseren Sicherung läßt man ein paar zwischen Dachwand und Erde geklemmt, denn es werden die Winterstürme kommen, und der Sturzregen wird wühlen und der Rauhfrost klaffende Spalten hindurchziehen.

So warnt der kluge Witkuhn, der alles weiß und alles kennt, und sieht an Erdme vorbei, und das Kinn zittert ihm so, daß die Zähne oft klirren.

Wenn sie mit ihm allein ist – und das geschieht fast alltäglich –, dann hat sie stets ein Gefühl aus Mitleid und Neugier gemischt, zu dem noch was anderes hinzukommt, das ihr das Herz beklemmt. Es ist, als hätte sie Angst vor seiner Angst, denn Angst hat er immer, das ist ganz klar. Wenn man nur wüßte, wovor. –

Aber dem Jons sagt sie nichts. Sie will sich den guten Nachbar erhalten.

Nach der Hauswand das Dach!

»Jons, bring Rohr!« Es können auch Binsen sein – oder beides zusammen. – An Rohr und Binsen ist die Gegend wahrhaftig nicht arm, wenn auch das Moor selbst sie nicht liebt – oder sie nicht das Moor, was auf dasselbe herauskommt. Ein Strom wächst ringsum aus dem anderen, und alle sind sie mit Röhricht umstanden.

Dem Taruttis sein kleiner Handwagen hat leichte Last, wenn er hochgetürmt vom Rußufer daherkommt, und der Gendarm fragt nicht viel, denn daß man sich dergleichen nimmt, wo man es findet, versteht sich von selber.

In der Julihitze trocknet das Rohr auch leicht, so daß man bald ans Dachdecken gehen kann. Der Taruttis borgt seine Leiter, die Querstangen werden genagelt, und nun steht Erdme Tag für Tag hoch auf den Sprossen und legt ein Bündel dicht neben das andere und preßt es zusammen und sichelt die Enden. Und unten lauert die kleine Ulele und reicht ihr zu, denn eine Mannsperson kann man dazu nicht brauchen, es sei denn der eigene.

O Gott, o Gott, du glaubst es nicht! Nun sieht es schon bald aus wie ein Haus. Aber noch fehlen die Türen, die Fenster – kein Mensch kann sich ausdenken, was noch alles fehlt.

Doch wer den Jons etwa für dumm nimmt, der irrt sich. Eines Tages bringt er zwei Fenster an, hellblau gestrichen und sogar mit Glas drin, nur daß die Rauten gebrochen und die Rahmen angekohlt sind. Vorige Nacht hat es nämlich in Trackseden gebrannt. Darauf ist er zu dem Besitzer gegangen und hat gesagt: »Verkauf mir den Kram für zwei Stof Schnaps. Dem Versicherungsinspektor erzählst du, es ist dir beim Retten verschwunden, und dann kriegst du Neues dafür.«

Dem Abgebrannten leuchtet der Vorschlag ein, er hilft sogar dem Jons in der Nacht darauf die noch stehenden Türgerüste ausbrechen und auf den Handwagen laden.

Das Schlimme ist nur, sie riechen auf zwanzig Schritt nach Feuersbrunst, und wer ihm begegnet, der lacht ihn an, denn er denkt, er habe es aus dem Brandschutt gestohlen.

So kann man selbst bei dem ehrlichsten Handel in schweren Verdacht kommen.

 


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