Hermann Sudermann
Jons und Erdme
Hermann Sudermann

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14

Wie kann der Frühling so unbarmherzig sein!

Je wärmer die Tage werden, desto frostigere Nebel haucht das durchkältete Moor; je heller die Sonne scheint, desto mehr Elend bringt sie zutage.

Der Jons ist von seiner Lungenentzündung aufgestanden und schleicht am Stock wie ein nichtsnutziger Greis. Im Kreislazarett hat er gelegen, und Erdme mitsamt den Marjellen ist derweilen bei Fremden in Pflege gewesen.

Nun sich das Wasser verläuft, können die Moorleute endlich wieder zurück.

Aber Gott behüte uns vor dem, was sie da finden!

Das Wohnhaus, das Jons und Erdme vor fünfzehn Jahren erbauten, das steht zwar noch – aber nur dem Scheine nach steht es. Wenn einer stark schüttelt, dann fällt die Kabache zusammen. Tritt man ein, so stinkt es nach Moder und Verwesung. Der Estrich ist aufgequollen, der Herd auseinandergespellt, und was von dem Ofen übrig blieb, sieht aus wie ein mächtiger Maulwurfshaufen. Die ganze Stube füllt es mit Lehm und mit Ziegeln bis in die Tischecke hin.

Ein Wohnen darin ist unmöglich.

Darum beschließt die Erdme, mit dem noch krankenden Mann und den Töchtern zum Stall hinüberzusiedeln. Das Vieh ist von den Pionieren geholt worden, die an jenem Tage im Extrazug aus Königsberg kamen. Und das Pferdchen fand sich richtig auf dem Chausseedamm. Die müssen sich alle mit der linken Seite behelfen, die rechte, wo früher die Schweine hausten, wird Wohnung.

Jons ist mit allem zufrieden, aber die Marjellen wollen nicht 'ran. In einem Schweinestall zu wohnen, hätten Besitzerstöchter nicht nötig. Das sei eine Entwürdigung. Besonders wenn man dicht vor der Fräuleinschaft steht.

Doch das Bösesein hilft ihnen nichts, und der trostlose Zustand dauert nicht ewig. Denn dort, wo vor jenen Zeiten Jons und Erdme sich mühten, um mit Hilfe der Nachbarn aus vier Kieferstangen und vier Dutzend Schwarten ein Haus zu errichten, rücken eines Tages die Zimmerleute an, und langgestreckte Gefährte bringen Balken und Bretter.

Das ist nun freilich ein anderer Hausbau als damals! – Der Raiffeisenverein hilft, und was noch fehlen mag, liegt auf der Sparbank.

Der Meister hat einen Grundriß gemacht für eine Große und eine Kleine Stube, für Kammern und Klete, und statt des lehmbeschmierten Ziegelgestells wird ein glitzernder Kachelofen herrlich erstehen.

In die gleiche Zeit fällt ein Ereignis, das den Stolz der Familie noch weiter in die Höhe hebt.

Das Unglück, das dem Moor widerfuhr, ist in der weiten Welt nicht unbemerkt geblieben. Die Zeitungen der Hauptstadt haben lange Schilderungen gebracht, und sowohl die rettende Arche Noah als auch die Frauenleiche im schwimmenden Bett sind beschrieben und abgebildet gewesen. Wenn die arme Frau Witkuhn, die auf Erden so lange und so still gelitten hat, vom Himmel herabschauen könnte, so sähe sie sich zu ihrem Erstaunen als eine Berühmtheit gefeiert.

In den großen Städten haben die schönen jungen Damen zugunsten der Überschwemmten getanzt, gegessen, gesungen und Theater gespielt. Haben Bonbons, Ansichtskarten, Hutnadeln, Schaumwein und Küsse verkauft und sind, wenn das Glück gut war, dabei zu einem Gatten gekommen.

Vor allem aber hat man seine Schränke durchwühlt und dabei vielerlei Sachen gefunden, die den ihrer Habe beraubten Moorleuten von höchstem Werte sein mußten. Festkleider von vor sechs Jahren, durchgescheuerte Unterröcke, zerpliesertes Pelzwerk, Sportjacken mit Mottenlöchern, vertanzte Seiden-, vertretene Lackschuhe, gespenstische Bademäntel und zu alledem Hüte für jede Jahreszeit, verblaßt, verbogen, verbeult, verregnet, aber jenen Hinterwäldlern gewiß der Inbegriff aller irdischen Pracht.

Auch die feinen Herren haben das Ihre getan. Die einen haben alte Hochgebirgskostüme geliefert, weil ihnen etwas vom Hochmoor erinnerlich war. Die anderen haben weißen Flannell bevorzugt, weil so ein Moor doch nahe am Seestrand liegt. Aber fast alle haben dem ländlichen Wesen der Notleidenden entsprechend ihren Gaben den Charakter der Sommerfrische gegeben. Nur einzelne meinten, so auf gute Weise ihr altes Ballzeug loswerden zu können.

Kisten und Kisten wurden verfrachtet und gingen per Eilzug an den Heydekrüger Frauenverein. Endlich, endlich werden die armen, nackten Moorleute was anzuziehen kriegen!

Wie die Vorstandsdamen den bunten Tand vor sich liegen sehen, schlagen sie voll Entsetzen die Arme über dem Kopf zusammen und meinen, ihn ihren Pflegebefohlenen gar nicht erst anbieten zu dürfen. Sie kramen alles heraus, was sich allenfalls brauchen läßt, und wollen das andere verstecken. Aber da kennen sie unsere Moorleute schlecht.

Kaum haben die erfahren, was für Herrlichkeiten für sie ins Land geflogen sind, da stürmen sie den Schmidtschen Speicher und suchen mit List und Gewalt das Feinste des Feinen für sich zu erraffen. Wunder auch! Wer, der sein Lebtag mit schmutzigen Lumpen behängt den schwarzen Erdenschlamm knetet, wird es sich nehmen lassen, des Abglanzes fernhin leuchtender Paradiese teilhaftig zu werden?

Ein neidisches Hadern erhebt sich um jeden flittrigen Fetzen. Wer was Warmes und Dunkles in Händen hält, fühlt sich verachtet, betrogen. Schandworte fliegen herum, und draußen kommen Tauschgeschäfte zustande, die wohl zehnmal zurückgehen und erst mit sinkender Nacht in einer Tracht Prügel ein Ende nehmen.

Auf dem Heimwege ziehen viele schon an, was das Glück ihnen zuschanzte, und haben ein Aussehen, als kämen sie stracks aus dem Tollhaus. Manche spiegeln sich nach jedem hundersten Schritt im Wasser der Gräben, und alle fürchten sich voreinander, denn keiner ist sicher, ob ihm in der Dämmerung nicht was weggegrapscht wird. Den alten Raubmörder will einer gesehen haben, wie er, gegen einen Chausseebaum gelehnt, barhäuptig dastand und einen geheimnisvollen Zylinderhut bald auf der Brust plattdrückte, bald wieder nachdenklich hochknallen ließ.

Auch die Erdme und ihre zwei Töchter kommen reich beladen nach Hause. Sie haben die lichten und leichten Gewebe verschmäht und sich mehr an das Schwere und Feierliche gehalten, denn Erdme war ihres alten Schwures gedenk, daß ihre Kinder dereinst in Samt und Seide einhergehen sollen.

Und das können sie fortan wirklich.

Da ist unter anderem ein Kleid von himmelblauem Samt, tiefausgeschnitten und mit glitzernden Perlen bestickt.

Das soll die Katrike zur Einsegnung tragen und damit selbst die vornehmsten Töchter der Deutschen ausstechen, die immer zum Ärger des Volkes in weißen Mullkleidern um den Altar herumstehen.

Da die frühere Eigentümerin von mächtigem Leibesumfang gewesen sein muß, so können beim Zurechtschneiden so viele Breiten herausgenommen werden, daß sich auch für die Urte ein Staatskleid ergibt. Und als das fertig ist, bleiben noch immer Streifen und Flicken genug, daß Erdme die eigene Bluse reichlich damit besetzen kann.

So fahren sie also am Einsegnungstage alle drei in himmelblauem Samt zur Kirche. Und die Heydekrüger sind neidisch und lachen hinterher.

Aber wer nicht lacht, das ist die Frau Pfarrerin.

Kaum kriegt sie die Katrike zu sehen, die lichterziehend und wie ein Paradiesvogel bunt in dem Haufen der Einsegnungskinder auftaucht, da packt sie sie an dem Samtschlafittchen und schiebt sie ins Pfarrhaus.

»Wie hat deine Mutter sich unterstehen können, Marjell, dich in solchem Aufzug vor den Altar Gottes treten zu lassen?«

Und sie will sie wahrhaftig nach Hause schicken.

Aber wie die Katrike bittet und weint, da fühlt sie ein menschliches Rühren, holt aus dem Schranke ein schwarzwollenes Tuch und wirft es ihr um die Schultern.

Und so kann sie denn eingesegnet werden.

Gleich auf einer der vordersten Bänke sitzen die Baltruschats, von neidischem Staunen umgeben. Nur des Jons muß man sich etwas schämen, weil er nicht fein genug ist.

Die Erdme fühlt sich wohl bitter enttäuscht, wie sie den Stolz der Familie zu schwarzer Unscheinbarkeit verdammt hinter dem Pfarrer herkommen sieht, aber sie tröstet sich bald.

Steckt auch der Glanz noch in schlichtem Futteral, er ist doch schon da. Und das ganze kommende Leben soll nur dazu dienen, ihn zu entfalten.

Sie umfaßt die Urte, deren Augen noch blauer sind als der Samt, den sie anhat, und denkt beim Singen und Beten an die künftigen Bräutigams.

Und der Jons denkt beim Singen und Beten an das wachsende Haus, dessen glatt behobelte Wände schon über das Moor hinleuchten.

Wer hätte vor jenen Jahren an so viel Pracht zu denken gewagt?

Und alles durch fleißiger Hände Arbeit aus dem Moorschlamm herausgeholt, der zäh und unfruchtbar über dem schwarzen Grundwasser lagert, bereit zu verschlingen, was sich ihm anvertraut.

Die Erdme faßt unter dem Tisch dem Jons seine zerarbeitete Hand und denkt: Hat es zwischen uns keinen Hader gegeben, als wir es schwer hatten, haben wir selbst die große Not einträchtiglich überstanden, – wo sollte er herkommen, nun es leichter und leichter wird?

Und beide fühlen in Seligkeit, daß ihr Erntetag nahe ist.

 


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