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XII.

So seltsam auch der Zusammenfluß von Umständen war, welche meinen Scheintod und meine wirkliche Beerdigung herbeigeführt hatten, so war doch die Verkettung der Ereignisse, welche mit meiner Ausgrabung und mit meiner Wiedererweckung zum Leben endigten, bei weitem merkwürdiger. Zu den untergeordneten Ursachen, welche das letztere Resultat begünstigten, gehörte die glückliche Thatsache, daß Doktor Linnel, der erst spät nach Hause kam und noch mehre Briefe zu lesen hatte, noch nicht zu Bette war, als Hodges an der Glocke schellte und ihm einen eiligen Bericht von Dem gab, was vorgefallen war, so daß er im Stande war, zu mir zu eilen, und kurze Zeit, nachdem er meinen Auftrag ausgerichtet, schon wieder an meiner Seite kniete.

»Sprechen Sie kein Wort«, war seine erste Anrede, »Sie haben keine Kraft zu sprechen. Ueberlassen Sie Alles mir; ich will für Sie sorgen.«

Er ließ eine Matratze kommen, erwärmte sie an dem Feuer und legte mich darauf; Flaschen mit heißem Wasser wurden an meine Fußsohlen gelegt; in meinen Mund flößte er eine Herzstärkung. Später wurde ich so lange mit warmem Flanell gerieben, bis meine beiden Operateure in profusen Schweiß geriethen, und ich selbst eine merkliche Gluth durch meinen ganzen Körper fühlte.

»Alles geht gut«, sagte der Doktor; »aber ich muß Sie in meinem eigenen Hause und unter meinen eigenen Augen haben, sonst kann ich nicht für Ihre Wiedergenesung einstehen. Wir müssen Sie noch vor Tages Anbruch fortbringen. Schafft mir sogleich ein paar Decken herbei.«

Nachdem diese aufgefunden und am Feuer aufgehängt worden waren, bis sie sich hinreichend erwärmt hatten, wurden sie sorgfältig um mich herumgeschlagen, worauf der Doktor und Hodges, beides kräftige Männer, mich auf ihre Schultern nahmen und mich in die Wohnung des ersteren trugen, wo ich in ein eigenes Bett gelegt und noch immer in heiße Decken gewickelt wurde. So behutsam ich auch getragen worden war, so hatte mich doch die Bewegung ganz erschöpft, und ich lag ausgestreckt, ohne sprechen oder meine Lage verändern zu können, bis ich ermattete und nach und nach in einen sanften Schlaf verfiel.

Alles, was durch hinreichende Geschicklichkeit, verbunden mit unermüdeter und innigster Freundschaft, geschehen konnte, wurde jetzt ins Werk gesetzt, und mit solchem Erfolg, daß ich selbst über die Schnelligkeit meiner Erholung staunte, obgleich ich zuweilen noch einer mildern Form der heftigen Anfälle, die meiner Ekstase vorhergingen, unterworfen war. Linnel hatte ausdrücklich bestimmt, daß meine wunderbare Errettung jetzt noch ein tiefes Geheimniß bleiben sollte.

»Sie können nicht wieder zu Ihren Rechten gelangen«, behauptete der verständige Mann, »Sie können Ihre Stellung in der Gesellschaft nicht einnehmen ohne wirksame Bemühungen und ohne sich gesellschaftlichen und häuslichen Untersuchungen auszusetzen, die so aufregender, um nicht zu sagen beunruhigender Art sind, daß Sie ihnen in Ihrem gegenwärtigen kritischen Zustande nicht ungestraft entgegengehen würden. Eine heftige Gemüthsbewegung könnte einen Rückfall veranlassen – eine Gefahr, gegen die wir uns ganz besonders verwahren müssen. Wenn Sie stark genug sind, wieder in die Welt zu treten, so will ich es Ihnen nicht allein wissen lassen, sondern Ihnen auch zur Seite stehen und Sie in Ihrem Unternehmen unterstützen.«

Nichts wurde vernachlässigt, was sowohl zur Erheiterung meines Gemüths als zur Förderung meiner Gesundheit beitragen konnte. Dazu brachte mir mein theurer Freund, der meine Tochter öfters sah, solche befriedigende Nachrichten von ihrem tiefen und aufrichtigen Kummer über meinen muthmaßlichen Tod, daß ich mich herzlich sehnte, das liebe Mädchen einmal wieder an mein Herz zu drücken. Linnel wollte dieß indessen nicht vor drei Wochen erlauben. Nachdem diese verflossen waren, trat er in mein Zimmer und sprach:

»Hier ist ein Brief von Ihrer theuren Sarah, die mich um Erlaubniß bittet, heute um 12 Uhr mich wegen einer wichtigen Angelegenheit um Rath zu fragen. Wenn Sie mir nun versprechen, Ihre Gefühle zu bemeistern, so weit Sie es vermögen, so sollen Sie auf dem Lehnsessel in meinem kleinen Gesellschaftszimmer versteckt werden und unsere Unterredung mit anhören; und nachdem ich sie für die erschreckende Nachricht gehörig vorbereitet habe, will ich ihr Ihre Wiederbelebung ankündigen und sie von Ihrer Anwesenheit in Kenntniß setzen.«

Alles geschah, wie er angeordnet hatte; aber obschon ich versprochen hatte, bis zum Schluß ihrer Unterhaltung perdu zu liegen, konnte ich doch nicht vermeiden, einen flüchtigen Blick auf sie zu werfen, als sie in das Zimmer trat. Ihr tiefer Kummer und ein Zug von Sorge auf ihren Zügen verliehen ihrer Schönheit noch einen höheren Reiz. O, wie liebenswürdig erschien sie mir in diesem Augenblicke! O, wie zitterte mein Herz, als ich die ersten Laute ihrer sanften und einnehmenden Stimme hörte!

Nachdem sie von der langen und innigen Freundschaft gesprochen hatte, die zwischen mir und Linnel bestanden und sie als Entschuldigung für die Beschwerde angeführt hatte, die sie ihm verursache, fuhr sie fort:

»Sie wissen, daß ich durch den letzten Willen meines theuren Vaters ein schönes unabhängiges Leben mit bitterer Armuth vertauschen muß, wenn ich Herrn Mason heirathe.«

»Allerdings; und hatte mein Freund mich über die Sache um meinen Rath befragt, würde ich ihm gesagt haben, es sei ein thörichter und nicht zu rechtfertigender Akt. Welch möglichen Einwurf konnte er haben gegen einen solchen Mann wie Mason?«

»Ich glaube er hatte keinen, aber ich bin überzeugt, daß er aus den besten Absichten handelte. Er dachte, die Tochter eines so reichen Mannes müsse auch eine vornehme Verbindung eingehen.«

»Mit anderen Worten, er wollte seine eigene Ehrbegierde befriedigen auf Ihre Kosten. Leider ein sehr gewöhnliches Gefühl, aber eben nicht sehr väterlich.«

»Ich hatte meinem theuren Vater versprochen, so lange er lebte, Herrn Mason ohne seine Beistimmung nie zu heirathen; und nichts würde mich haben bewegen können, dieses Versprechen zu brechen; aber jetzt, wo ich verlassen – jetzt, wo ich allein bin – jetzt, wo ich unglücklicher Weise keinen, keinen –« Dem guten Mädchen versagte die Stimme, so war sie bewegt, und sie hielt einen Augenblick inne, ehe sie wieder fortfahren konnte. »Glauben Sie, Doktor, – ich frage Sie als seinen ältesten und besten Freund – glauben Sie, es würde von Mangel an Ehrfurcht gegen meines Vaters Andenken zeugen, wenn ich nach Verlauf von zwei Jahren diesen vortrefflichen, exemplarischen, untadelhaften Mann noch heirathete?«

»Nein, wenn Sie ihn dieses Opfers werth halten und Mason Ihnen gestattet, es zu bringen.«

»Das war, was ich fürchtete. Da ich die Tiefe und Zartheit seiner Zuneigung und die uninteressirten Rücksichten für mein Wohl kannte, so zweifelte ich, ob ich seine Beistimmung erhalten würde; aber er nahm den Vorschlag mit der Freimüthigkeit eines gebildeten und edlen Geistes an. »Wären die Verhältnisse umgekehrt«, sagte er, »so sagt mir mein Herz, daß ich keinen einzigen Augenblick anstehen würde, Ihnen dieses Opfer zu bringen; und ich stehe deßhalb auch nicht einen Augenblick an, von Ihnen dieses Opfer anzunehmen. Wir werden immer noch ein mittelmäßiges Einkommen haben, und ob ich gleich jung bin, habe ich doch genug von der Welt gesehen, um zu wissen, daß Reichthum ohne Glück Armuth, und Armuth mit Glück Reichthum ist.«

»Mason ist ein kluger Mann, und Sie ein gefühlvolles Mädchen; aber wenn Ihr Plan in Ihrer Seele reif ist, warum wollen Sie denn erst nach zwei Jahren heirathen? warum nicht, sobald die Trauerzeit vorüber ist?«

»Weil ich von Mason nicht fordern wollte, mich ohne alle, wenn auch kleine Mitgift zu nehmen. Wenn ich zwei Jahre lang den größeren Theil des hübschen Einkommens zusammenspare, das mir mein Vater in seinem Testament hinterlassen hat, so werde ich im Stande sein, etwas zum Bau und zur Einrichtung eines kleinen Hauses und noch mehr zurück zu legen, und so wird uns die Liebe in einer Hütte vereinigen, und wir werden auch unerwartete Bedürfnisse befriedigen können.«

»Liebe Sarah, ich muß nochmals wiederholen, daß Sie ein ungewöhnlich gefühlvolles Mädchen sind, und ich billige Alles, was Sie gethan haben oder noch thun wollen, obgleich ich es nicht für nöthig halte, Ihre Vermählung zwei Jahre lang aufzuschieben; und wenn Sie eine lange Geschichte, eine Erzählung von seltsamen und fast unglaublichen Ereignissen anhören können, so will ich Ihnen auch sagen warum.«

Mit außerordentlichem Takt und der äußersten Vorsicht begann er dann seine Zuhörerin auf die ergreifenden Enthüllungen, die er ihr zu machen hatte, vorzubereiten. Zuerst erinnerte er sie, daß ich Unterbrechungen der Lebensthätigkeit ausgesetzt gewesen war, von denen einige mehre Stunden gedauert hatten; er fügte hinzu, daß es wohlbegründete Fälle von Ohnmacht gegeben habe, die so lange dauerten, daß diejenigen, die daran litten, begraben worden wären, sogar nachdem man sie, wie gewöhnlich, eine ganze Woche über der Erde behalten hätte, und daß sie wirklich wieder zum Leben zurückgekehrt seien, wie es sich mehre Male durch die darauffolgende Untersuchung der Särge und Gewölbe erwiesen habe. »Nun«, fuhr er fort, »ist Ihr armer Vater, wie ich wohl weiß, gegen Ihre dringenden und ernsten Vorstellungen schändlicher Weise drei Tage nach seinem Tode ins Grab gesenkt worden. Unter diesen ungewöhnlichen Umständen würde es nichts Unwahrscheinliches haben, wenn er wieder erwacht wäre, es würde nicht unwahrscheinlich sein, wenn er aus seiner traurigen Lage befreit worden wäre, – ja, es ist keineswegs unmöglich, daß er in diesem Augenblicke sich von den Wirkungen seiner frühen Beerdigung erholt, und –«

»Bei Gott im Himmel, spielen Sie nicht mit meinen Gefühlen«, sagte Sarah, indem sie in die heftigste Bewegung gerieth und sich an des Doktors Hand anklammerte. »O, wenn Sie mich lieben, sagen Sie mir, o sagen Sie mir – ist noch eine Aussicht eine Hoffnung, eine Möglichkeit vorhanden, daß mein lieber theurer Vater noch am Leben ist – daß ich ihn wieder umarmen kann – daß ich mich seiner Wiederherstellung widmen, ihm meine Liebe, meine Pflicht und meine unbegränzte Dankbarkeit beweisen kann –«

Unfähig die zärtlichen und leidenschaftlichen Gefühle meiner Seele länger zurück zu halten, brach ich seufzend in die Worte aus:

»Mein Kind! mein Kind! mein einziges theures Kind!« Als sie meine Stimme erkannte, stieß sie einen Schrei der Freude aus, rannte in das Besuchzimmer, schlang ihre Arme um mich, drückte mich verschiedene Male an ihr Herz und küßte mich ein über das andere Mal in inniger Begeisterung.


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