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V.

In diesem verlassenen Zustande und mit dieser schrecklichen Aussicht vor mir kündigte mir das dämmernde Licht und das Zwitschern der Vögel, welches lieblich zu meinen Ohren drang, den jungen Tag an. In der ersten Frühe erschien meine Tochter wieder in meinem Zimmer, fuhr schaudernd zurück, indem sie mich auf den Mund küßte, und rief mit bewegter Stimme: »Kalt, ganz kalt! ich fürchte, es ist keine Hoffnung mehr. Armer theurer Vater!« Dem ohngeachtet verzweifelte sie nicht; denn sie kniete nochmals nieder und betete inbrünstig für meine Wiederherstellung; darauf verließ sie weinend das Zimmer. Es war dieser Beweis kindlicher Zuneigung unendlich rührend für mich, obschon nicht ohne Beimischung von Vorwürfen, denn ich fühlte, daß mein Benehmen gegen das arme Mädchen in der jüngsten Zeit mich wenig zu einer solchen zärtlichen Aufopferung berechtigte.

Verschiedene Klänge drangen nun von außen zu mir herein: das Pfeifen des in Acker fahrenden Bauers, das Wetzen der Sense, das Brüllen des Viehs, das Krähen der sich gegenseitig zurufenden Hähne; und während ich mit Wohlgefallen diesem ländlichen Chor lauschte, sah ich – vermöge meiner Art von Clairvoyance, von welcher ich keine weitere Rechenschaft geben kann – ganz deutlich und lebendig die ganze Morgenlandschaft, so weit sie durch die Fenster meines Zimmers übersehen werden konnte. Die Blätter der weißen Aeschen, in den Sonnenstrahlen schimmernd, glichen ebenso vielen blinzelnden Augen; die in der Luft schwankenden Fichten und Pappeln schienen sich auszustrecken, als wollten sie den Schlaf abschütteln; der Fluß, bewegt durch die Luft, vertheilte Seitenblicke über jede Blume, vor der er vorbeizog, die vergoldeten Spitzen der fernen Hügel glänzten in dem blauen Himmel, während ihre Grundfläche noch in Nebel gehüllt war, der allmählig in die Höhe stieg, und Alles wurde hell und prächtig, als feierten Himmel und Erde ihren Hochzeittag. Wie lange ich so auf diesem schönen Bilde mit meinen Blicken verweilte, weiß ich nicht, aber wahrscheinlich mußten einige Stunden darüber hingegangen sein, denn der Tag hatte bereits Fortschritte gemacht: da wurde meine Aufmerksamkeit durch die Eröffnung des Sprechzimmers gefesselt, und ich hörte die wohlbekannten Fußtritte meines Sohnes Georg.

Als er an mein Bett trat, betrachtete er mich einige Sekunden stillschweigend, worauf er mit gefühlloser Ueberraschung ausrief: »Man soll mich hängen, wenn man in des Gouverneurs Aussehen eine auffallende Veränderung sieht; vielleicht ein wenig blasser, und nichts weiter.« Er legte, seine Hand auf meine Wange und dann auf mein Herz, indem er fortfuhr: »Keine Pulsation! und das kalte, klebrige Gesicht einer Leiche! Ja, ja, er ist wirklich todt. Zu bewundern ist nur, daß er so lange ausgehalten hat.« Ach, wie sehr wünschte ich jetzt plötzlich zu erwachen, um aus dem Bette springen, ihn bei der Brust fassen und laut schreien zu können: »Spitzbube! betheuertest Du nicht immer, daß ich schnell genesen solle, wenn ich nur doppelte Dosen von Deinem höllischen Restaurativ schlucken wolle? Und nun wunderst Du Dich, daß es mich nicht früher tödtete?«

Aber ach! was meine körperlichen Kräfte anging, war ich ja wirklich eine Leiche. »Ich muß meine Einsicht in seinen letzten Willen haben«, waren die nächsten Worte, die ich vernahm. »Der Vater sagte mir vor einiger Zeit seinen Inhalt; fast Alles hinterläßt er mir: aber Sehen ist Glauben. Ich würde es in dem kleinen Schubfach des schwarzen Schreibtisches finden, sagte er.« Er begab sich nun unverzüglich nach diesem Möbel, das in dem anstoßenden Sprechzimmer stand; da aber die Thüre zwischen beiden Zimmern offen stand, so war ich im Stande, Alles zu überwachen, was er vornahm, und seine Bemerkungen dazu zu hören. Nachdem er meinen letzten Willen aus dem Fache genommen, öffnete er die Fensterladen, setzte sich an das Fenster und überlief ihn langsam, indem er dabei von Zeit zu Zeit ausrief: »Ganz recht – ganz recht – Alles, mein – es versteht sich und kann nicht anders sein; ein einziger Sohn. Aber wo in der Welt dachte mein Vater hin, daß er Sarah so viel hinterließ? Was brauchen die Weiber Geld? Es macht sie ja nur zur Beute von Glücksjägern. Gut ist es nur, daß sie ausgeschlossen ist, wenn sie den armen Pfarrer heirathet. Wir brauchen keine Bettler oder Bettlersbrut in der Familie, die uns immer um Unterstützung quälen. Aber, was ist das? noch eine Schrift!« Indem er dieß sagte, öffnete er das Codicill, überlas es, und rief, als er es ganz erstarrt geendigt hatte: »Verdammt! das ist eine schöne Geschichte! – Alles ist dem Landkrankenhause verfallen, wenn ich Julie Thorpe heirathe, das einzige Mädchen in der ganzen weiten Welt, welches ich zu heirathen wünsche, ein Mädchen, das mir so leidenschaftlich zugethan ist und die – es würde ein offenbarer Raub sein! Nie hörte ich von einer solchen Grausamkeit, von so etwas Abscheulichem und Unnatürlichem. Aber ich werde mich einer solchen Plünderung nicht unterwerfen; nein, ich bin kein solcher Esel. Ich werde Julie bekommen, und das Vermögen dazu, so wahr ich Georg heiße; und was mehr ist, ich werde keinen Augenblick weiter verlieren, mir beide zu sichern. Der Gouverneur dort kann nicht klagen, denn todte Leute erzählen keine Geschichten; ebenso wenig kann es ein verbranntes Codicill, so gehe es denn ins Feuer.« Bei diesen Worten schloß er die Fensterläden wieder, verschloß die innere Thüre, so daß er nicht beobachtet und überrascht werden konnte – warf das Codicill in das Feuer, indem er genau auf dessen Verbrennung achtete, und sagte dann, spöttisch nach dem Bette hinschauend, im triumphirenden Tone: »Gut, alter Herr! bei diesem Kniff hast Du nicht viel gewonnen. Das Vermögen wird mein sein, und Julie wird mein sein, und alle Codicille in der Welt können mir sie nicht nehmen. Den Gouverneur haben wir tüchtig angeführt. Ha! ha! ha!«

Dieses Lachen erschien mir unbeschreiblich häßlich und empörend, ja ich möchte sagen teuflisch; es kam von einem nichtswürdigen Menschen, der seinem Opfer gegenüberstand, und dieses Opfer war sein Vater, der ihm nie eine Bitte versagt hatte! Der Verrath in seinem von mir vernommenen Selbstgespräch und seine schändliche Vernichtung des Codicills hatte allen Glauben an seine Unschuld, an dem ich so beharrlich festgehalten hatte, verscheucht, und ich konnte nicht länger der Ueberzeugung entsagen, daß er recht gut die giftige Wirkung des Restaurativs gekannt, und daß er es wahrscheinlich mit seinen eigenen vatermörderischen Händen zusammengebraut habe. Die erfolgreiche Vernichtung schien ihn in einen Zustand von Trunkenheit und Aufregung versetzt zu haben, denn er warf seine Arme wild umher, ging rasch im Zimmer auf und ab, schritt in das Schlafgemach, schnappte triumphirend mit den Fingern und sprach in unzusammenhängender Weise, er wolle sogleich seine Julie heirathen, seine Freunde in Newmarket zur Hochzeit einladen, Jagdhunde anschaffen und seine Keller mit den seltensten Weinen füllen, die nur zu haben wären. Mitten in diesen schwelgerischen Phantasien hörte man ein Geräusch an der Thüre des Sprechzimmers. Sogleich verwandelten sich die strahlenden Züge seines Gesichtes in die der Unruhe; auch seine Stimme verrieth Unruhe. »Wer ist da? – wer ist da? was wollt Ihr?« rief er.

Die Antwort konnte ich nicht vernehmen, aber die Thüre wurde aufgeschlossen und geöffnet; meine Tochter trat ein, mit der Frage, weßhalb er sich eingeschlossen habe, worauf er aber keine Antwort gab, sondern nur begierig fragte:

»Wann, sagtest Du, daß Doktor Linnel zurückkäme?«

»Uebermorgen.«

»So bald! verteufelt unglücklich!«

»Ich dachte, Du würdest Dich freuen, daß wir ihn Freitag Nachts oder Sonnabend Morgens sehen würden.«

»Sarah, die Beerdigung muß am Freitag stattfinden – hörst Du – am Freitag.«

»Lieber Georg, wie kannst Du so unvernünftig sprechen! Mein armer Vater würde dann erst drei Tage todt sein. Welchen Grund giebt es in der Welt, weßhalb man das Begräbniß so vor der gewöhnlichen Zeit beeilen sollte?«

»Welchen Grund? Tausend – zehntausend; jeder stärker als der andere. Ich denke, Du bist wenigstens überzeugt, daß unser Vater todt ist?«

»Ach leider kann ich daran nicht länger zweifeln.«

»Und Du wirst, denke ich, zugeben, daß, wenn wir ihn noch sechs Monate aufheben, er dann nicht weniger todt sein wird als jetzt?«

»Das ist kein Grund für eine so unschickliche Eile und für einen so gänzlichen Mangel an kindlichem Gefühl und Ehrfurcht. Was würde die Welt zu Deinem Benehmen sagen? und welchen Grund würdest Du ihr gegenüber angeben?«

»Die Welt vermag einen Mann nicht zu kritisiren, der jährlich sieben- bis achttausend Einkommen hat; und wenn meine Gründe mich selbst zufrieden stellen, dann ist es genug. Höre, Sarah! Bevor ich Newmarket verließ, erhielt ich einen unverschämten und schlauen Brief von Doktor Linnel, worin er mir fünfzig Fragen über Raby's Restaurativ stellt. Ich habe nicht nöthig Dir zu sagen, was für ein halsstarriger, argwöhnischer Bursche er ist, und daß er etwas darin sucht, die Todesursache irgend eines Menschen aufzufinden. Es ist sein Steckenpferd, seine Monomanie, und deßhalb habe ich nicht den geringsten Zweifel, daß er auf einer Sektion der Leiche bestehen wird. Du weißt aber, welchen unüberwindlichen Widerwillen unser Vater gegen eine solche Art von Verstümmelung hatte. Auch meine eigenen Gefühle sind gegen ein solches barbarisches und unehrerbietiges Verfahren; und so habe ich denn, um allen Streit und allen Verdruß zu vermeiden, beschlossen, daß die Beerdigung sogleich vorgenommen werde.«

»Aber warte doch die Rückkehr des Doktors ab, wenn Du auch keine Nachsicht mit Dem hast, was Du seine Monomanie nennst.«

»Das könnte einen schlimmen Verdacht erregen und zu tausend Vermuthungen und Anspielungen Anlaß geben, die man besser vermeidet.«

»Mir scheint es, daß eine solche ungewöhnliche Uebereilung mehr geeignet ist, unangenehme Bemerkungen hervorzurufen.«

»Liebe Sarah, Du weißt nichts von solchen Dingen. Ich bin einziger Exekutor, ich kann thun, was mir beliebt; ich will, daß mein Vater am Freitag beerdigt wird, und ich habe befohlen, daß der, welcher die Leiche besorgt, diesen Nachmittag hier ist, um meine Befehle zu erwarten; und nun sprich kein Wort mehr über die Sache.«


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