August Strindberg
Die Inselbauern
August Strindberg

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Drittes Kapitel

Der Knecht legt den Trumpf auf den Tisch, wird Herr auf dem Hof und duckt die jungen Hähne.

Der Blei laichte, der Wachholder knospete, der Faulbeerbaum blühte und Carlsson säete Frühlingssaat in die erfrorene Herbstsaat, schlachtete sechs Kühe, kaufte trockenes Stallheu für die andern, damit die wieder auf die Beine kommen und in den Wald gelassen werden konnten. Er rüstete und er ordnete, er arbeitete selber für zwei: er hatte eine Fähigkeit, die Leute in Bewegung zu setzen, die allem Widerstand trotzte.

Auf einer Fabrik in Wärmland geboren, von ziemlich unbestimmten Eltern stammend, zeigte er schon früh eine entschiedene Unlust zu körperlicher Arbeit, dagegen ein unglaubliches Erfindungsvermögen, sich dieser unangenehmen Folge des »Sündenfalls« zu entziehen.

Zugleich von einem Verlangen getrieben, alle Seiten menschlicher Tätigkeit kennen zu lernen, blieb er nicht unnötig lange auf einer Stelle sitzen. Sobald er gelernt, was er wollte, suchte er einen neuen Wirkungskreis. Auf diese Weise war er vom Schmiedehandwerk zur Landwirtschaft übergegangen, hatte sich im Stalldienst versucht, beim Kaufmann gehandelt, war Gärtnerbursche, Bahnarbeiter, Ziegelstreicher und schliesslich Reiseprediger gewesen !

Durch diese Wandlungen war sein Wesen geschmeidig geworden, hatte er die Fähigkeit erworben, sich in alle Verhältnisse und alle möglichen Menschen zu schicken, ihre Absichten zu verstehen, ihre Gedanken zu lesen, ihre geheimen Wünsche zu erraten. Er war mit einem Wort eine Kraft, die ihre Umgebung überragte. Seine mannigfachen Kenntnisse machten ihn fähiger, ein Ganzes zu leiten und zu ordnen, als einem ihm Unterlegenen zu gehorchen; er wollte sich nicht als ein Rad dem Wagen einfügen, sondern sich von dem Wagen tragen lassen.

Durch einen Zufall in seine neue Stellung geworfen, sah er sofort ein: hier konnte er von Nutzen sein, hier vermochte er mit seinen Fähigkeiten das jetzt Wertlose zum Ertrag zu bringen, hier werde er deshalb bald geschätzt und schliesslich unentbehrlich sein. Er hatte jetzt ein festes Ziel für sein Streben vor sich; und dass die Belohnung in einer verbesserten Lebensstellung auf ihn warte, hatte er hinter sich als sichere Hoffnung und treibende Kraft. Er arbeitete für die anderen, scheinbar und unleugbar; aber zugleich schmiedete er sein eigenes Glück. Und wusste ers so anzustellen, dass es aussah, als widme er Zeit und Kraft fremdem Vorteil, so zeigte er damit, dass er klüger als mancher war, der es gern ebenso gemacht hätte, es aber nicht konnte.

Das grösste Hindernis, dass sich ihm in den Weg stellte, war der Sohn. Bei dem bestimmten Geschmack des Fischers und Jägers für das Ungewisse, für Ueberraschungen, hatte der einen entschiedenen Widerwillen für alles Geordnete, alles Sichere. Ackert man, meinte der, so kriegt man allerhöchstens so viel, wie man berechnet hat; niemals mehr, oft aber viel weniger. Setzt man dagegen Netze, so kriegt man einmal nichts, aber das nächste Mal das Siebenfache von dem, was man erwartet. Fuhr man aus, um Aale zu fangen, geschah es zuweilen, dass man einen Seehund schoss; lag man einen halben Tag in den Schären, um auf Jägergänse zu lauern, konnte es vorkommen, dass einem Eider vor den Flintenlauf kamen. Immer war es etwas, und oft etwas anderes, als man erwartet hatte.

Uebrigens galt die Jagd noch, auch nachdem sie als Vorrecht von den oberen Klassen zu den unteren gekommen war, für vornehmer und protziger, als hinter Pflug oder Dungwagen herzugehen. Das war den Leuten so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man keinen Knecht dazu bringen konnte, mit einem Paar Ochsen zu fahren; wohl auch weil der Ochse beschnitten, »verändert«, war; vor allem aber, weil das Pferd, besonders die Stute, von alters her in abergläubischem Ansehen stand.

Ein zweiter Stein auf dem Wege war Rundqvist. Eigentlich war es ein alter Schelm, der auf seine Art das irdische Paradies wieder zu gewinnen suchte, ein Paradies ohne schwere Arbeit und mit langen Mittagsschläfchen und vielen Schnäpsen, indem er Kenntnis von verborgenen Dingen vorspiegelte; indem er allen Ernst, besonders grobe Arbeit, fortscherzte; indem er, im Notfall, durch Vortäuschung geistiger Schwäche und körperlicher Uebel Mitleid zu erwecken wusste, besonders wenn dieses sich in einer Tasse Kaffee mit Branntwein oder einem halben Pfund Schnupftabak äusserte. Er verstand Schafe zur Ader zu lassen und Ferkel auszuschneiden; glaubte mit der Wünschelrute Quellen finden; behauptete, den Barsch ins Netz locken zu können; heilte allerlei leichte Uebel bei andern, behielt aber seine eignen; sagte bei Neumond schönes Wetter voraus, wenn es einen halben Monat geregnet hatte; opferte fremdes Geld unter einem grossen Stein am Strande, wenn der Strömling kommen sollte.

Er konnte aber auch eine Menge Schlechtigkeiten, wie er behauptete: Täschelkraut aufs Feld des Nachbars bringen, die Kühe gelt machen, Hexenschüsse austeilen und so weiter. All das umgab seine Person mit einer gewissen Furcht, so dass man ihn gern zum Freund haben wollte.

Seine Verdienste, denn die besass er auch und ihretwegen war er unentbehrlich, bestanden darin, dass er schmieden und tischlern konnte. Aber seine unglaubliche Fähigkeit, alles zu machen, was auffiel, erhob ihn zu einem gefährlichen Nebenbuhler; denn was Carlsson unter dem Stalldach oder draussen auf dem Felde tat, fiel nicht so sehr auf.

Blieb Norman, ein tüchtiger Arbeiter; der musste Gustavs mächtigem Einfluss entrissen und der regelmässigen Feldarbeit wieder gewonnen werden.

Carlsson hatte also ein gehöriges Stück Arbeit zu leisten und ausserdem nicht geringe Schlauheit zu entwickeln, um durchzudringen; da er aber der klügste war, siegte er.

Mit Gustav nahm er den Kampf gar nicht erst auf; den liess er laufen, nachdem er dessen Bundesgenossen Norman durch allerlei Vorteile von ihm fortgelockt hatte. Das war nicht so schwer, denn Gustav war, gerade herausgesagt, etwas geizig und behandelte Norman auf den Jagden meist als Ruderer, der nie den ersten Schuss tun durfte; kriegte er wirklich einen Schnaps, nahm Gustav heimlich deren drei. So brachten die Vorteile, die Carlsson dem Norman auswirkte, höherer Lohn, neue Strümpfe, ein Hemd und andere Kleinigkeiten, diesen bald zum Abfall; zumal Carlssons steigende Macht mehr versprach als Gustavs sinkende.

Durch Normans Abfall wurde auch die Jagdlust des Sohnes herabgesetzt, denn allein umher zu fahren, war kein Vergnügen. Infolge dieses Mangels an Gesellschaft schloss sich Gustav den andern bei der Arbeit an.

Rundqvist zu schuppen, war etwas schwerer; dieser Fisch war sowohl hässlich wie alt; aber Carlsson kriegte ihn auch bald in den Fischkasten.

Statt Geldstücke zu opfern, liess Carlsson die Netze ausbessern und neue Leinen in alle Schleppzüge ziehen; und siehe da, der Strömling blieb besser hängen als früher. Statt mit der auf einem andern Baum gewachsenen Mistel nach neuen Quellen zu suchen, liess Carlsson den alten Brunnen füttern und reinigen, baute eine Wanne darum und steckte einen Pumpenstock hinein; damit war die Mistel auf den Kehrichthaufen geworfen. Statt die Kühe zu besprechen und Feuer über sie zu schlagen, liess er sie putzen und gab ihnen trockene Streu. Konnte Rundqvist Hufnägel schmieden, zog Carlsson Haken; konnte Rundqvist eine Egge schnitzen, tischlerte Carlsson sowohl Pflug wie Walze.

Als Rundqvist sich aus allen seinen Maulwurfslöchern verjagt sah, griff er zu Mitteln, die mehr in die Augen fielen. Er begann rings ums Haus aufzuräumen; schaffte weg, was man den Winter über aus Nachlässigkeit oder infolge der Dunkelheit hatte »fallen« lassen; machte Hühnern und Katze den Hof; setzte eine neue Klinke an die Tür.

– Nein, wie nett Rundqvist geworden ist! Hat uns eine neue Klinke an die alte Tür gemacht! Ja, er kann nett sein, wenn er nur will.

So hörte Carlsson die Mägde in der Küche sprechen.

Aber Carlsson war wie ein Pfeil hinter ihm her. Eines Morgens war der Herd weiss gestrichen; eines andern Morgens waren die Wassereimer grün angemalt, mit schwarzen Rändern und weissen Herzen; wieder eines andern Morgens lag das Holz unter einem Dach, das er hinter der Vorratskammer aufgeschlagen. Carlsson hatte vom Feind gelernt, die Grossmacht der Küche zu gewinnen; mit dem neuen Pumpenstock war er unwiderstehlich geworden.

Rundqvist war jedoch zäh und hinterlistig; in einer Sonnabendnacht strich er den Abtritt grell rot.

Carlsson aber war ihm gewachsen; er gewann Norman mit einem Viertel Branntwein, und in der Dreifaltigkeitsnacht hörte die Alte, wie es um die Wände des Hauses tuschelte und raschelte; da sie aber zu verschlafen war, um aufzustehen, sah sie erst am Morgen, dass die ganze »Stuga« rot angestrichen war und weisse Fensterpfosten und weisse Dachrinnen hatte.

Damit war es mit Rundqvists Kraft, einen für sein Alter gar zu anstrengenden Kampf fortzusetzen, zu Ende. Man lachte jetzt über seinen köstlichen Geschmack, die Verschönerungen mit dem Abtritt zu beginnen. Norman, als echter Abtrünniger, machte einen Witz über ihn, der lange im Schwange blieb:

– Man muss am rechten Ende anfangen, sagte Rundqvist und strich zuerst den Abtritt an.

Rundqvist ergab sich, legte sich aber auf die Lauer, um noch einmal neue Schliche zu versuchen oder einen vorteilhaften Frieden zu schliessen.

Gustav liess sie gewähren; er sah zu und fand gut, was geschah.

– Pflügt ihr nur, dachte er; ich werde schon kommen und einheimsen.

 

Bisher hatte Carlssons Tätigkeit noch nicht Zeit genug gehabt, um es zu greifbaren Ergebnissen zu bringen. Das Geld, das für den Verkauf der Kühe eingenommen war, hatte allerdings einige Tage im Sekretär gelegen, nachdem es bei der Aufzählung einen ausgezeichneten Eindruck gemacht; es war aber bald wieder ausgegeben worden und hatte die Leere des Vermissens zurückgelassen.

Es ging gegen Mittsommer. Carlsson hatte viel zu bestellen gehabt und wenig Zeit zu Spaziergängen gefunden. Eines Sonntagsnachmittags ging er aber die Höhe hinauf und guckte sich um. Da fiel ihm die grosse Stuga in die Augen, die mit herabgelassenen Rollgardinen verödet dastand. Neugierig, wie er war, ging er hin und fand die Tür offen. Er trat in den Flur und entdeckte eine Küche; ging weiter und kam in ein grosses Zimmer, das wirklich herrenmässig aussah: weisse Gardinen, Himmelbett mit Messingbeschlägen, ein Spiegel mit geschnitztem und vergoldetem Rahmen und geschliffenem Glas – das war fein, das wusste er! – Sofa, Sekretär, Kachelofen; alles genau wie auf einem Herrenhof. Auf der andern Seite des Flurs war ein ebenso grosses Zimmer mit Kamin, Esstisch, Sofas, Wanduhr ...

Er war erstaunt und empfand Respekt. Bald aber begann er die Besitzer, die so wenig Unternehmungsgeist besassen, zu bemitleiden und zu verachten; besonders als er sah, dass das Haus noch zwei Kammern mit mehreren gemachten Betten hatte.

– Oh, oh, oh, dachte er laut; so viel Betten und keine Badegäste.

Von dem Gedanken an die künftige Einnahme berauscht, ging er sofort zur Alten hinunter und hielt ihr vor, es sei Verschwendung, die Stuga nicht an Sommergäste zu vermieten.

– Ach was, wir finden niemand, der hier wohnen will! wehrte sich die Alte.

– Wie wisst Ihr das? Habt Ihr versucht? Habt Ihr die Stuga in der Zeitung angezeigt?

– Das heisst nur Geld in die See werfen! meinte Frau Flod.

– Man wirft auch Netze in die See, antwortete Carlsson. Und das muss man tun, wenn man was erhalten will.

– Versuchen kann mans ja; aber Badegäste kriegen wir nicht, schloss die Alte, die nicht mehr an die Erfüllung von Wünschen glaubte.

Acht Tage später kam ein feiner Herr über die Wiese und sah sich um. Er kam näher. Als er in den Hof eintrat, wurde er allein von dem Hund empfangen, weil sich die Leute, nach ihrer Gewohnheit, aus Schüchternheit oder Feingefühl, in Küche und Stube verborgen hielten, nachdem sie vorher in einem Knäuel draussen gestanden und den Besuch angegafft hatten. Erst als der Herr in die Tür trat, kam Carlsson als der Mutigste ihm entgegen.

Der Kömmling hatte eine Anzeige gelesen.

– Ja ja, das ist hier!

Carlsson führte ihn nach der Grossstuga hinauf.

Der Herr war ziemlich zufrieden. Carlsson versprach alle Verbesserungen, wenn sich der Herr sofort entscheide; denn der Bewerber seien viele und die Jahreszeit sei vorgeschritten.

Der Fremde schien von der schönen Lage des Hauses gefesselt zu werden und beeilte sich, abzuschliessen.

Nachdem beide Teile sich nach den gegenseitigen Verhältnissen, wirtschaftlichen sowohl wie Familien-, erkundigt hatten, entfernte der Fremde sich wieder.

Carlsson begleitete ihn bis zur Feldtür. Dann stürzte er in die Hütte zurück und legte vor Hausfrau und Sohn sieben Scheine zu je zehn Kronen und einen zu fünf auf den Tisch.

– Aber es ist nicht richtig, den Leuten soviel Geld abzunehmen, murrte die Alte.

Gustav aber war zufrieden; zum ersten Mal sprach er Carlsson seine Anerkennung aus, als dieser erzählte, wie er durch den Hinweis auf viele Bewerber den Herrn gedrängt habe.

Geld auf den Tisch, das war ein Trumpf für Carlsson. Nach diesem Stückchen, bei dem ihm seine Erfahrung in Geschäftssachen zugute gekommen war, sprach er in einem höheren Ton.

Es sei nicht bloss das bare Geld für die Miete, das ihnen in den Schoss gefallen; es werde auch indirekte Einkünfte regnen.

Und Carlsson malte die Aussichten den lauschenden Zuhörern in raschen Zügen aus.

Man werde Fische, Milch, Eier, Butter verkaufen; Feuerung brauche man nicht umsonst zu liefern; nicht zu sprechen von den Fahrten nach dem Badeort Dalarö, für die man jedesmal eine Krone nehmen könne. Und dann könnte man ein Kalb, ein Schaf, ein Huhn, Kartoffel und Gemüse absetzen. Oh, da sei etwas zu machen! Und es sei ein feiner Mann!

Am Mittsommerabend langten die erwarteten Goldfische an. Es waren Mann und Frau, eine Tochter von sechzehn und ein Sohn von sechs Jahren, dazu zwei Dienstmädchen.

Der Herr war Geiger der Hofkapelle, lebte in guten Verhältnissen, war ein Mann des Friedens, stand am Eingang der Vierziger. Er war von deutscher Geburt und konnte die Inselbauern nicht gut verstehen; darum beschränkte er sich darauf, zu allem, was sie sagten, beifällig zu nicken und »schön« zu sagen; so kam er rasch in den Ruf, ein sehr netter Herr zu sein.

Die Dame war eine ordentliche Hausfrau, die ihr Haus und ihre Kinder pflegte und sich durch ihr würdiges Benehmen bei den Mägden in Respekt zu setzen wusste, ohne zu wettern oder zu bestechen.

Carlsson nahm sich sofort als der am wenigsten Schüchterne und am meisten Sprechende der Fremdlinge an. Dazu hatte er ja auch ein Vorrecht, da er sie hergebracht. Auch besass niemand von den andern weder die unternehmende Lust noch die gesellige Gabe, ihm seinen Platz streitig zu machen.

 

Die Ankunft der Städter unterliess nicht, ihren Einfluss auf Sinne und Sitten der Inselbauern auszuüben. Täglich Menschen vor sich zu sehen, die festtäglich gekleidet waren, jeden Tag zum Sonntag machten, ohne Ziel spazieren gingen und ruderten, badeten und musizierten; sich die Zeit vertrieben, als gebe es keinen Kummer, keine Arbeit in der Welt – das erregte anfangs keinen Neid sondern nur Erstaunen; Erstaunen darüber, dass das Leben sich so gestalten könne; Erstaunen über Menschen, die ihr Dasein so angenehm und ruhig, so rein und fein vor allem einzurichten vermochten, ohne dass man sagen konnte, sie hätten andern Unrecht getan oder Arme geplündert.

Ohne sich dessen bewusst zu werden, fingen die Inselbauern an, sich stillen Träumen hinzugeben; verstohlene Blicke nach der Grossstuga zu werfen. Sahen sie ein helles Sommerkleid auf der Wiese aufleuchten, blieben sie stehen und weideten sich an dem Anblick wie an etwas sehr Schönem. Gewahrten sie einen weissen Schleier um einen italienischen Strohhut, ein rotes Seidenband um einen schlanken Leib, in einem Boot auf der Bucht, zwischen den Fichten des Waldes, wurden sie still und andächtig vor Sehnsucht nach einem unbekannten Etwas, das sie nicht zu hoffen wagten, zu dem sie sich aber hingezogen fühlten.

Gespräch und Lärm unten in der Küche und der alten Stuga nahmen eine stillere Art an. Carlsson erschien beständig in reinem, weissem Hemd, hatte auch wochentags eine blaue Tuchmütze auf und nahm allmählich das Aussehen eines Verwalters an; hatte einen Bleistift in der Brusttasche oder hinterm Ohr und rauchte oft eine leichte Zigarre.

Gustav zog sich dagegen zurück, hielt sich so abseits wie möglich, um nicht zu Vergleichen Anlass zu geben; sprach bitter von Städtern im allgemeinen; musste sich und andere öfters als früher an das Geld auf der Bank erinnern; machte weite Bogen, um an der Grossstuga vorbeizukommen und den hellen Kleidern auszuweichen.

Rundqvist ging mit finsterm Gesicht umher, hielt sich meist in der Schmiede auf und erklärte, er frage den Teufel nach der ganzen Welt, und sei es die Königinwitwe selber.

Norman dagegen holte seine Soldatenmütze hervor, schnallte den Hungerriemen über das Wams und schlug Haken um den Brunnen, wohin die Mägde der Herrschaft morgens und abends zu kommen pflegten.

Am schlimmsten kamen Clara und Lotte weg; die sahen bald alle Mannsleute feige abfallen, um zu den Mägden der Herrschaft überzugehen, die sich auf Briefen Fräulein nennen liessen und im Hut nach Dalarö, dem Badeort, fuhren. Clara und Lotte mussten barfuss gehen; im Viehstall war es so schmutzig, dass sie ihre Stiefel bald verdorben hätten; auf der Wiese und in der Küche war es zu heiss, um beschuht zu sein. Sie trugen dunkle Kleider und konnten sich nicht einmal eine weisse Passe erlauben, infolge von Schweiss, Russ, Spreu. Clara machte einen Versuch mit Manschetten, kam aber übel an; sie wurde sofort entlarvt, und man lachte lange über sie, dass sie sich in Wettstreit eingelassen. Doch am Sonntag hielten Clara und Lotte sich schadlos; da legten sie einen Eifer für den Kirchgang an den Tag, wie man seit Jahr und Tag nicht gesehen; nur um ihre besten Kleider anziehen zu können.

Carlsson machte sich immer etwas beim Professor zu schaffen; blieb stets am Vorbau stehen, wenn jemand dort sass; fragte nach dem Befinden; sagte schönes Wetter voraus; schlug Ausflüge vor; gab Ratschläge und Aufschlüsse über die Seefischerei. Dann und wann bekam er ein Glas Bier oder einen Kognak. Die anderen beschuldigten ihn bald, halblaut, er schmarotze.

Am Sonnabend, wenn die Köchin der Herrschaft nach dem Badeort Dalarö fuhr, um einzukaufen, entstand ein Meinungsaustausch, wer sie rudern solle. Carlsson entschied die Sache ganz einfach zu seinen Gunsten, denn das kleine, schwarze, weisshäutige Mädchen hatte es ihm angetan. Als die Alte ihm Vorstellungen machte, der erste und wichtigste Mann auf dem Hof dürfe sich nicht mit solchen kleinen Diensten befassen, antwortete Carlsson, der Professor habe ihn eigens gebeten, weil wichtige Briefe zur Post müssten. Gustav verriet wider Willen, dass auch ihm daran gelegen sei, den Boten zu machen, indem er vorschlug, die Briefe sollten ihm anvertraut werden. Carlsson aber erklärte bestimmt, er könne unmöglich zugeben, dass der Hausherr Knechtesdienste verrichte; das gebe den Leuten nur Stoff zum Klatschen. Und dabei blieb es.

Den Dalaröboten zu machen, hatte seine Vorteile, die der findige Knecht im voraus aufgespürt. Zuerst war man allein mit einem Mädchen auf See und konnte ungestört mit ihr schwatzen und schäkern. Dann folgten Bewirtung und Trinkgelder. Und im Badeorte konnte er sich alle Kaufleute verpflichten, indem er ihnen einen Kunden verschaffte; das brachte immer einen Händedruck ein, einen Schnaps hier, eine Zigarre dort; auch fiel ein gewisser Schein von Ansehen auf den, der Aufträge vom Professor zu besorgen hatte, am Wochentag fein gekleidet war und sich in Gesellschaft eines Fräuleins von Stockholm befand.

Die Fahrten nach Dalarö fanden jedoch nur einmal in der Woche statt und hatten keinen störenden Einfluß auf den regelmäßigen Gang der Arbeit. Carlsson war nämlich so pfiffig, die Tage, an denen er fort war, den Burschen die Arbeit in Akkord zu geben: sie mussten so und so viele Klafter entwässern, so und so viele Aecker pflügen, so und so viele Bäume fällen; dann waren sie frei. Die Leute gingen mit Vergnügen darauf ein, denn auf diese Weise konnten sie schon zur Vesperzeit fertig sein.

Bei solchen Gelegenheiten, wenn die Arbeit zugemessen und die geleistete geprüft werden musste, kam der Bleistift und das jetzt eingeführte Notizbuch zu Ehren. Carlsson gewöhnte sich daran, als Verwalter aufzutreten und allmählich die Arbeit auf andere Schultern gleiten zu lassen.

Gleichzeitig richtete er sich auf der Kammer wie in seinem eigenen Junggesellenzimmer ein. Tabakrauchen war längst eingeführt; auf den Tisch am Fenster hatte er ein grünes Taschentintenfass, Federhalter, Bleifeder, einige Bogen Postpapier aufgetischt und mit Leuchter und Streichholzgestell geordnet: es sah aus wie ein Schreibtisch. Das Fenster ging nach der Grossstuga; daran sass er in seinen Erholungsstunden und beobachtete die Bewegungen der Herrschaft; auch konnte er hier zeigen, dass er zu schreiben verstand.

Abends machte er das Fenster auf, legte die Ellbogen aufs Fensterbrett und schmauchte eine Pfeife oder einen Zigarrenstummel, den er aus der Westentasche hervorsuchte. Oder er las ein Wochenblatt. Von unten sah das so aus, als sei er der Hausherr selber.

Wenn es aber dämmerig wurde und er Licht ansteckte, legte er sich aufs Bett und rauchte. Dann kamen die Träume, Pläne vielmehr; die bauten sich auf Umstände auf, die zwar noch nicht eingetreten waren, aber durch eine kleine Befingerung sich vielleicht einstellen konnten.

Als er eines Abends so auf dem Rücken lag und »Schwarzen Anker« qualmte, um die Mücken zu betäuben, während seine Augen sich auf das weisse Laken hefteten, das die Kleider bedeckte, liess dieses plötzlich los und fiel zu Boden. Wie den Schatten einer Reihe Soldaten sah er die ganze Garderobe des Verstorbenen an der Wand Flankenmarsch machen; gegen das Fenster und zurück zur Tür, je nachdem das Licht im Zuge flackerte. Carlsson glaubte den Toten in all den Gestalten zu sehen, welche die Kleider auf die karrierte Tapete zeichneten. Da kam er in Joppe aus blauer Boi und in grauen Tuchhosen, in denen Knie waren, da er mit denen im Trebel am Steuer gesessen, wenn er mit Fischen nach der Stadt segelte, um dann in der »Messingstange« mit dem Fischkäufer Toddy zu trinken. Hier kam er in schwarzem Gehrock und langen, flatternden Hosen: so ging er zur Kirche, wenn Beichte war; so war er auf Hochzeit, Begräbnis, Kindstaufe gekleidet. Dort hing die schwarze Jacke aus Schaffell; die hatte er an, wenn er im Herbst und Frühling am Strand stand und Zugnetz zog. Dort brüstete sich der grosse Seehundpelz, der noch Spuren vom Weihnachtsschmaus trug. Der Reisegurt, mit grünem, gelbem, rotem Wollgarn gestickt, ringelte sich wie die grosse Seeschlange bis auf den Boden hinab.

Carlsson wurde warm unterm Hemd, wenn er sich in den schönen, seidenweichen Pelz hineindachte; sich vorstellte, wie er auf einem Schlitten übers Eis schoss, eine Kappe aus Seehundsfell auf dem Kopf; wie die Nachbarn den Weihnachtsgast am Strande mit Feuern und Büchsenschüssen empfingen; wie er in der warmen Stube den Pelz auszog, um dann im schwarzen Tuchrock dazustehen; wie der Pastor ihn mit du begrüsste und er ganz oben an der Schmalseite des Tisches sitzen durfte, während die Knechte an der Tür standen oder sich aufs Fensterbrett geschwungen hatten.

Die Vorstellungen von den erwünschten Seligkeiten wurden so lebhaft, dass sie Carlsson auf die Beine brachten; ehe er sich dessen bewusst wurde, war er in den Pelz geschlüpft und strich mit der Hand über die Pulswärmer; und es schauerte ihn, als der Kragen seine Backe kitzelte.

Dann zog er den schwarzen Gehrock an und knöpfte ihn zu; stellte seinen Rasierspiegel auf den Stuhl und sah nach, wie der Rock im Rücken sass; steckte die Hand unter den Aufschlag und ging im Zimmer auf und ab. Ein Gefühl von Reichtum verbreitete sich von dem seidenweichen Tuch; etwas Geräumiges, etwas Rundliches, als er zur Probe den Schoss spaltete und sich auf den Bettrand setzte; so tuend, als sei er auf Besuch.

Während er so ganz in berauschenden Träumen versunken war, hörte er von draussen Stimmen, die plauderten; als er aufhorchte, merkte er, wie sich Idas (das war die hübsche Köchin) und Normans Stimmen verflochten, zusammenfielen, Seite an Seite gingen, sich gleichsam schnäbelten. Das gab ihm einen Stich; mit einem Griff hatte er Gehrock und Pelz unter die Kleider hinter das Laken gehängt; bewaffnete sich mit einer neuen Zigarre und ging die Treppe hinunter.

 

Mit ernsten Zukunftsplänen beschäftigt, hatte Carlsson bisher alle Händel mit Mädchen vermieden. Einmal wusste er, wieviel Zeit dabei draufging; dann fühlte er, im selben Augenblick, in dem er das Feuer nach dieser Seite eröffnete, gab es keine Sicherheit mehr; er konnte sich eine Blösse geben, die schwer zu verteidigen war; und war er einmal auf diesem Feld geschlagen, war es aus mit Respekt und Ansehen.

Als sich jetzt aber die anerkannte Schönheit dem Wettstreit aussetzte, und der Sieger allzuviel zu gewinnen hatte, fühlte er sich veranlasst, die Sporen zu benutzen und den Kamm zu erheben; mit dem festen Entschluss, der Hahn zu werden, ging er auf den Holzplatz hinunter, wo das Spiel schon in vollem Gang war. Es ärgerte ihn nur, dass er sich mit Norman messen musste; wäre es wenigstens Gustav gewesen! Aber dieser Tropf Norman! Nun, der sollte mal sehen!

– Guten Abend, Ida! begann er, ohne von dem Nebenbuhler Notiz zu nehmen, der unwillkürlich seinen Platz am Zaun verliess.

Carlsson nahm diesen Platz sofort ein und begann das Spiel. Während Ida Holz und Späne in das Holztragetuch las, machte er von seiner überlegenen Beredsamkeit einen solchen Gebrauch, dass Norman kein Wörtchen anbringen konnte.

Ida aber war launenhaft wie beim Mondwechsel; sie warf Norman Seitenworte zu, die Carlsson jedoch im Fluge aufgriff und zurücksandte, hübsch verziert und schön ausgemalt.

Aber die Schöne fand Gefallen an dem Kampf und bat Norman, ihr etwas Kienholz zu spleissen. Ehe der Glückliche bis zur Tür kam, war Carlsson schon über den spitzen Zaun gestiegen, hatte sein Klappmesser gezogen und begann einen trocknen Fichtenstamm zu spleissen. In wenigen Minuten legte er die Spähne in das Holztragetuch, fasste alles mit dem kleinen Finger zusammen und trug es direkt in die Küche, in die ihm Ida folgte. Dort blieb er am Türpfosten stehen, indem er sich so breit machte, dass niemand weder hinaus noch herein kommen konnte.

Norman, dem es nicht gelang, irgend ein Anliegen zu erfinden, umkreiste zuerst einige Male den Holzplatz, um milzkrank darüber nachzusinnen, wie leicht der Unverschämte im Leben vorwärts kommt; bis er schliesslich für gut fand, abzuziehen. Er setzte sich auf den Brunnenrand und stöhnte seine Klage in einem Schottischen aus, den er aus der Handharmonika holte.

Die weichen Töne der Blechzungen drangen doch durch die dicke Abendluft, am Türpfosten vorbei, und erreichten den Thron der Barmherzigkeit am Küchenherd: Ida erinnerte sich jetzt, sie müsse zum Brunnen gehen, um für den Professor Trinkwasser zu holen.

Carlsson folgte ihr; dieses Mal aber fühlte er sich doch etwas unsicher in dem Kampf auf einem Feld, das ihm ganz fremd war. Um die Wirkung des zauberischen Lockrufs aufzuheben, nahm er Idas Kupferflasche und flüsterte zärtliche Worte; in einem so schmachtenden und wohlklingenden Ton, wie er nur irgend vermochte; als wolle er der verführerischen Musik Worte unterlegen und das Solo zu einer untergeordneten Begleitung herabsetzen.

Aber gerade als sie zum Brunnen kamen, rief die Hausmutter oben aus der Hütte. Sie rief Carlsson, und in ihrem Ton war zu hören, dass es sich um etwas Wichtiges handelte.

Zuerst wurde Carlsson böse und wollte nicht antworten; da aber fuhr der Teufel in Norman: mit schallender Stimme rief der:

– Hier, Tante! Er kommt sofort!

Indem er den falschen Spielmann zur Hölle wünschte, riss sich der Sieger aus den Armen der Liebe und liess die halb errungene Beute dem Schwächern, der sein Liebesglück nur einem Schicksal zu verdanken hatte.

Die Alte rief noch einmal; mit zorniger Stimme antwortete Carlsson, er komme so schnell, wie er nur könne.

– Will Carlsson näher treten und eine Halbe nehmen, empfing die Alte ihn im Vorbau, mit der Hand die Augen beschattend, um die leichte Sommerdämmerung zu durchdringen und zu sehen, ob er allein komme.

Carlsson hätte sonst gern eine Halbe genommen, aber in diesem Augenblick wünschte er allen Kaffee und Branntwein zur Hölle; doch konnte er nicht nein sagen; während Normans Norrköpinger Scharfschützenmarsch siegesstolz und hohnvoll von der Quellwiese heraufklang, musste er in die Stuga hinein.

Die Alte war milder als gewöhnlich; Carlsson aber fand sie älter und hässlicher als gewöhnlich. Je freundlicher sie sich zeigte, desto mürrischer wurde er; das machte die Alte schliesslich beinahe zärtlich.

– Die Sache ist die, Carlsson, sagte sie schliesslich, während sie ihm Kaffee eingoss: wir müssen für nächste Woche zur Mahd aufbieten. Darum möchte ich natürlich erst mit ihm sprechen.

Die Harmonika verstummte mitten in den schmelzenden Akkorden des Trios; Carlsson erstarrte und horchte, um schliesslich einige Worte ohne Klang und ohne richtigen Zusammenhang hervorzubringen:

– Jaja, also die Mahd in nächster Woche !

– Und da möchte ich, fuhr die Alte fort, Carlsson soll am Sonnabend mit Clara hinfahren und aufbieten; dann kommt er etwas unter die Leute und kann sich zeigen, denn das ist immer gut.

– Aber am Sonnabend kann ich nicht, antwortete Carlsson mürrisch; da muss ich für Professors nach Dalarö.

– Einmal könnte wohl Norman die Fahrt machen, wendete die Alte ein und drehte dem Knecht den Rücken, um seine Miene nicht sehen zu müssen.

In diesem Augenblick brachte die Harmonika einige weiche, von Pausen unterbrochene Sätze hervor, die sich zu entfernen schienen, um draussen in der Sommernacht, wo die Nachtschwalbe schon an ihrem surrenden Rocken spann, zu verhallen.

Carlsson schwitzte Todesschweiss, goss den Kaffeebranntwein hinunter, fühlte Steine auf der Brust, Nebel um den Kopf, eine allgemeine Schwäche in den Nerven.

– Das kann Norman nicht, stiess er hervor; Norman kann die Geschäfte des Professors nicht besorgen – und – er wird auch nicht damit betraut.

– Aber ich habe den Professor gefragt, schnitt die Alte den Faden ab; und er sagte, er habe für diesen Sonnabend nichts.

Es war wie verhext für Carlsson; die Alte hatte ihn wie eine Maus gepackt; es war kein Loch mehr vorhanden, in das er schlüpfen konnte.

Und seine Gedanken gingen nach so verschiedenen Richtungen, dass er sie kaum zu einer Gegenwehr sammeln konnte. Das sah die Alte auch, und sie wollte darum kneten, solange der Teig gärte.

– Hör er mal, Carlsson, sagte sie; er muss sichs nicht zu Herzen nehmen, wenn ich ihm was sage; denn ich meine es gut mit ihm.

– Tante mag meinetwegen sagen, was zum Teufel sie will; denn jetzt ist es mir doch ganz einerlei, brach Carlsson los, der die zärtlichen Töne der Harmonika im Hag verklingen hörte.

– Ich wollte nur sagen, Carlsson müsse sich für zu gut halten, um mit den Mädchen zu spielen; das nimmt nur ein schlimmes Ende. Ja, ich weiss; ich kenne das; und es ist gut gemeint von mir, Carlsson. Solche Stadtmädchen müssen immer einen Tross Männer hinter sich haben, damit es nach was aussieht; und dann wird hier scherwenzelt und dort gehänselt; und gehen sie in den Wald mit Einem, laufen sie in den Hag mit dem Andern. Und wenns schief geht, so nehmen sie den, ders am besten tragen kann. So ists bestellt!

– Was kümmerts mich, wies die Burschen treiben.

– Nicht übel aufnehmen, tröstete die Alte. Aber ein Mann wie Carlsson sollte ans Heiraten denken, nicht solchen Mägden nachlaufen. Hier in den Schären gibt es viele reiche Mädchen, kann ich ihm sagen; und ist er klug und macht er seine Sache gut, so kann er, früher als er glaubt, sein eigener Herr werden. Darum muss Carlsson nicht eigensinnig sein, sondern auf das hören, was ich ihm sage, wenn ich ihn bitte, zu den Nachbarn zu fahren und sie zur Mahd zu laden. Bedenke er doch, nicht Jeden hätte ich aufgefordert, im Namen des Hofes zu fahren; und der Junge wird wohl auch über mich herfallen. Aber daran kehre ich mich nicht: halte ich mich an einen, so stütze ich ihn auch; darauf kann er sich verlassen.

Es begann in Carlssons Innern ruhig zu werden; es leuchtete ihm ein, dass es seine Vorteile haben müsse, den Hof zu vertreten; aber er war noch zu sehr gereizt, um seine Flamme gegen etwas Ungewisses zu vertauschen; er hatte ein Bedürfnis, zuerst etwas Handgeld zu erhalten, ehe er sich auf das Geschäft einliess.

– So wie ich hier bin, kann ich nicht gehen, und saubere Kleider habe ich nicht, warf er seine Schnur aus.

– So schlimm ist es mit den Kleidern wohl nicht, meinte die Alte; wenn aber weiter nichts fehlt, so werden wir schon Rat schaffen.

Weiter mochte Carlsson in dieser Richtung nicht gehen; dafür wollte er lieber das angedeutete Versprechen gegen ein anderes, bestimmtes, auswechseln. Nach verschiedenen Einwendungen der Alten gelang es ihm auch, zu erreichen, dass Norman, als unentbehrlich beim Schleifen der Sensen und Ausbessern der Heuwagen, zu Hause bleiben sollte, während Lotte Ida nach Dalarö fuhr.

 

Es war drei Uhr morgens eines Julitages im Anfang des Monats. Es raucht schon aus dem Schornstein, der Kaffeekessel ist aufgesetzt; das ganze Haus ist wach und in Bewegung; draussen auf dem Hof ist ein langer Kaffeetisch gedeckt.

Die Schnitter sind am Abend vorher gekommen und haben auf Heuboden und Scheune geschlafen. Zwölf stattliche Männer aus den Schären, in weissen Hemdärmeln und Strohhüten, stehen in Gruppen vor der Stuga, mit Sensen und Wetzsteinen bewaffnet.

Da ist der Alte aus Owassa und der Alte aus Swinnokar, deren Rücken vom Rudern bucklig geworden sind; da ist der von Aspö mit seinem langen Heldenbart, einen Kopf höher als die andern, mit tiefen, traurigen Blicken von der Einsamkeit draussen am offnen Meer, von Kummer ohne Namen und ohne Klage; das ist der Fjällonger, eckig und halb gedreht, wie eine Meerkiefer draussen auf der letzten Schäre; der von Fiversätra, mager, durchweht, lebhaft, trocken wie eine Kaffeehaut; die Quarnöer, Bootbauer von Ruf; die von Longskär, die ersten Seehundschützen; der Bauer von Arno mit seinen Jungen.

Und um ihnen, zwischen ihnen bewegten sich die Mädchen, in Hemdärmeln, mit Brusttüchern über den Busen, in hellen Kleidern aus Baumwolle, mit Tüchern auf dem Kopf. Die Harken, die in allen Farben des Regenbogens frisch bemalt waren, hatten sie selber mitgebracht. Sie sahen aus, als gingen sie zu einem Fest, und nicht zu einer Arbeit. Die Alten klopften sie mit den Fingerknöcheln auf die Taille und sagten ihnen vertrauliche Worte. Die Burschen aber hielten sich so früh am Morgen beiseite; sie warteten den Abend mit Dämmerung, Tanz und Musik ab, um ihre Liebesspiele zu spielen.

Die Sonne war seit einer Viertelstunde aufgegangen, aber noch nicht so weit über die Wipfel der Kiefernhöhe gekommen, um den Tau aus dem Gras zu lecken. Die Bucht lag spiegelblank da, von dem jetzt blassgrünen Schilf eingefasst; das Piepen der eben ausgebrüteten jungen Enten war zwischen dem Schnattern der Alten zu hören; die Möwen fischten dort unten Uckeleis, segelnd, gross, flügelbreit, schneeweiss wie die Gipsengel der Kirche; in der Kellereiche waren die Elstern erwacht und schwatzten und kicherten von den vielen Hemdärmeln, die sie unten auf dem Haushügel gesehen; der Kuckuck rief im Hag, brünstig, rasend, als sei die Zeit des Begehrens zu Ende, wenn er den ersten Heuschober erblickte; die Wiesenknarre arpte und schnarpte unten im Roggenfeld; aber auf dem Hügel sprang der Hund und begrüsste alte Bekannte.

Hemdärmel und Leinenpassen glänzten im Sonnenschein, streckten sich über den Kaffeetisch, auf dem Tassen und Schüsseln, Gläser und Kannen klirrten: die Bewirtung hatte begonnen.

Gustav, sonst schüchtern, machte den Wirt; sich unter den alten Freunden seines Vaters sicher fühlend, setzte er Carlsson in Schatten und handhabte selber die Branntweinflasche.

Carlsson aber, der auf seiner Einladungsfahrt Bekanntschaften geschlossen, benahm sich, als sei er zu Hause, wie ein älterer Angehöriger oder Gast, und liess sich den Hof machen. Da er vor Gustav zehn Jahre voraus hatte und ein männlicheres Aussehen besass, stach er diesen aus; zumal Gustav für die Männer, die sich mit seinem Vater geduzt, kaum etwas anderes als »der Junge« werden konnte.

Der Kaffee war getrunken, die Sonne stieg, die Veteranen setzten sich in Bewegung, um nach der grossen Wiese hinunter zu ziehen, die Sensen auf den Schultern; die Jungen und die Mädchen folgten.

Das Gras reichte den Männern bis an die Schenkel und stand dicht wie ein Fell. Carlsson musste über die neue Bewirtschaftung der Wiese Bescheid geben; wie er Laub und Gras vom vorigen Jahr abräumte, die Maulwurfshaufen ausglich, in die Frostflecken säete, mit Jauche begoss.

Dann verteilte er wie ein Hauptmann seine Truppe; gab den Alten und Vermögenden Ehrenplätze und ging selber an letzter Stelle; verlor sich also nicht im Haufen.

Und so begann die Schlacht. Zwei Dutzend weisse Hemdärmel in einem Keil, ziehenden Schwänen gleich, die Sensen Ferse an Ferse; und hinterdrein, in zerstreuter Ordnung, wie ein Volk Fischschwalben, launenhaft hin und herspringend, aber doch zusammen haltend, die Mädchen mit ihren Harken; jede ihrem Mäher folgend.

Es sauste um die Sensen, und das tauige Gras fiel in Büscheln. Seite an Seite lagen alle Blumen des Sommers, die sich aus Wald und Hag heraus gewagt: Gänseblume und Kuckucksblume, Pechnelke und Labkraut, Kälberkropf, Heidenelke, Erve, Steinsame, Pestwurz, Kleeblatt; und alle Gräser und Halbgräser der Wiesen. Es duftete nach Honig und Gewürzen; Bienen und Hummeln flohen in Schwärmen vor der mörderischen Schar. Die Maulwürfe verkrochen sich in die Eingeweide der Erde, als sie es in ihrem gebrechlichem Dach krachen hörten. Die Ringelnatter schlüpfte erschrocken in den Graben und verschwand in ein Loch, das nicht grösser als ein Tauende war. Aber über das Schlachtfeld in die Höhe schwang sich ein Lerchenpaar, dessen Nest ein Absatzeisen zertreten hatte. Als Nachhut trippelten die Stare, um allerhand Getier, das in den brennenden Sonnenschein geraten war, aufzulesen und aufzupicken.

Die erste Bahn war bis zum Feldrain abgemäht. Die Kämpfer hielten inne und betrachteten, auf ihre Sensenschäfte gestützt, das Werk der Zerstörung, das sie hinter sich gelassen. Sie wischten sich den Schweiss aus dem Mützenstreifen und nahmen eine neue Prise Schnupftabak aus den Messingdosen. Inzwischen hatten sich die Mädchen beeilt in die Frontlinie zu kommen.

Dann geht es wieder auf das grüne Blumenmeer los, das unter der wachsenden Morgenbrise wogt; bald bunte leuchtende Farben zeigt, wenn die steiferen Stengel und Köpfe der Blumen sich in den Wellen des weichen Honiggrases behaupten; bald sich in einem einzigen Grün wie ein See in Windstille ausbreitet.

Es ist Fest in der Luft und Wetteifer in der Arbeit; man würde lieber am Sonnenstich niederstürzen, als die Sense fortstellen.

Carlsson hat Ida zur Harkerin, und da er der Letzte in der Reihe ist, kann er, ohne die Waden zu gefährden, sich prahlerisch umdrehen, um ihr ein Wort zuzuwerfen. Aber Norman hat er unter strenger Bewachung schräg vor sich; sobald dieser einen Blick nach Südosten tun will, hat er Carlssons Sense an den Hacken und hört einen eher unfreundlichen als wohlwollenden Warnungsruf:

– Die Füsse in acht nehmen !

Als die Uhr acht ist, liegt die Quellwiese wie ein eben geeggter Acker da, glatt wie eine Hand, und das Heu in langen Schwaden. Jetzt wird das Werk beschaut und die Schläge geprüft. Ueber Rundqvist sitzt man zu Gericht; man kann sehen, wo er gegangen ist; es sieht aus, als hätten Elfen dort getanzt. Aber Rundqvist verteidigt sich: er habe nach dem Mädchen sehen müssen, das man ihm gegeben; denn es sei nicht gestern gewesen, dass ein Mädchen ihm nachgelaufen.

Jetzt halloht Clara oben von der Höhe zum Frühstück; die Branntweinflasche funkelt in der Sonne und der Anker Dünnbier ist angestochen; der Kartoffeltopf raucht auf der Felsplatte, der Strömling dampft in den Schüsseln, die Butter ist aufgelegt, das Brot ist geschnitten; die Schnäpse werden eingegossen, und das Frühstück ist im Gang.

Carlsson hat Lob erhalten und ist siegestrunken; Ida ist ihm auch gewogen, und er wartet ihr mit einer Aufmerksamkeit auf, die auffällt; aber sie ist auch die Schönste des Tages.

Die Alte, die mit Schüsseln und Tellern aus und einläuft, streicht oft an den beiden vorbei; zu oft, um nicht von Ida bemerkt zu werden; doch nicht eher von Carlsson, als bis sie ihm mit dem Ellbogen sanft in den Rücken stösst und flüstert: – Carlsson muss Wirt sein und Gustav helfen; er muss tun, als sei er hier zu Hause !

Carlsson hat nur Augen und Ohren für Ida und antwortet der Alten mit einem Scherz. Jetzt aber kommt Lina, das Kindermädchen des Professors, und erinnert Ida daran, dass sie nach Haus muss, um aufzuräumen.

Aufregung und Trauer bricht unter den Männern aus, aber die Mädchen sind nicht sehr betrübt

– Wer soll denn für mich aufnehmen, wenn ich kein Mädchen mehr habe? ruft Carlsson mit gespielter Verzweiflung aus, die den wirklichen Verdruss verbergen soll.

– Dann muss es Tante wohl tun? antwortet Rundqvist, der Augen im Rücken haben soll.

– Tante muss harken! rufen die Männer im Chor. Tante muss kommen und harken.

Die Alte schlägt abwehrend mit der Schürze:

– Was soll ich alte Frau unter den Mädchen? Nein, niemals, niemals! Ihr seid wohl närrisch !

Aber der Widerstand reizt.

– Nimm die Alte, flüsterte Rundqvist, während Norman sich aufheitert und Gustav finster wie die Nacht wird.

Es blieb keine Wahl; unter Lärm und Lachen eilt Carlsson ins Haus, um die Harke der Alten zu holen, die irgendwo oben auf dem Boden liegen muss. Hinter ihm drein läuft die Alte, die schreit:

– Nein, um Gottes willen, er darf nicht in meinen Sachen kramen.

So verschwinden die beiden, während die Zurückbleibenden laute und beissende Bemerkungen machen.

– Ich finde, unterbricht Rundqvist schliesslich das Schweigen, das entstanden ist, sie bleiben etwas lange aus! Geh, Norman, und sieh nach was geschehen ist!

Stürmischer Beifall ermuntert den Ehrgeizigen, fortzufahren.

– Was mögen sie oben nur machen? Das ist doch zu arg! Ich werde wirklich unruhig, wisst ihr.

Gustavs Lippen wurden dunkelblau, aber er zwang sie zu einem Lachen, um sich nicht von den andern abzusondern.

– Gott verzeihe mir meine Sünden, fuhr Rundqvist im selben Ton fort; jetzt aber halte ichs nicht länger aus; ich muss nachsehen, was die beiden vorhaben.

In diesem Augenblick kommt Carlsson mit der Alten aus dem Vorbau und bringt die gesuchte, Harke. Die ist fein, mit zwei Herzen bemalt, »Anno 1852« gezeichnet; es war einmal die Brautharke der Alten, die Flod selber angefertigt. Sie hatte Erbsen im Schaftknauf, die klapperten, wenn man die Harke rührte.

Die Erinnerung an vergangene Freuden scheint den frischen Sinn der Alten in eine muntere Stimmung zu versetzen; ohne eine Spur von krankhafter Empfindsamkeit zeigt sie auf die Jahreszahl und sagt:

– Das war nicht gestern, als der Flod mir die Harke machte ...

– Und du ins Brautbett stiegst, Tante, fiel der von Svinoker ein.

– Kannst es wohl noch einmal, meinte der aus Owassa.

– Sechs Wochen alten Ferkeln und zwei Jahre alten Witwen kann man nicht trauen, neckte der Fjällonger.

– Je trockener der Zunder, desto schneller fängt er Feuer, brannte der von Fiversätra los.

Und jeder warf seinen Scheit aufs Feuer. Die Alte aber schmunzelte und wehrte sie ab, machte gute Miene zum bösen Spiel und scherzte mit; böse zu werden, hatte keinen Zweck.

Dann gings auf die Bruchwiese hinunter. Da standen Segge und Schachtelhalm so hoch wie ein Kiefernwald und das Wasser ging den Männern bis an die Stiefelschäfte. Die Mädchen zogen Strümpfe und Schuhe aus und hingen sie auf den Feldzaun.

Die Alte harkte hinter Carlsson so fleissig, dass sie es den andern zuvortat. Manches Scherzwort über das junge Paar, wie sie genannt wurden, fiel.

So ward es Mittag und so wurde es Abend.

Der Spielmann war mit seiner Geige gekommen; die Tenne war geräumt und gekehrt, die schlimmsten Astlöcher waren mit Pech verkittet. Als die Sonne unterging, begann der Tanz.

Carlsson eröffnete ihn mit Ida; deren schwarzes Kleid war viereckig ausgeschnitten, hatte eine weisse Krause und einen Maria-Stuart-Kragen; wie eine beneidete Dame stand Ida unter den Bauernmädchen da; die Alten betrachteten sie mit Furcht und Kälte, die Jungen mit Verlangen.

Carlsson konnte allein den neuen Walzer; darum nahm Ida ihn gern, ein Mal nach dem andern, nachdem ein Versuch mit Norman misslungen war. Als der so aus dem Felde geschlagen wurde, verfiel er auf den unglücklichen Gedanken, zu seiner Handharmonika zu greifen; um sein gequältes Herz auszuschütten und vielleicht mit einer letzten Leimrute den feinen und unbeständigen Vogel zu fangen; vor einigen Wochen glaubte er ihn in der Hand zu haben, bald aber sass er wieder auf dem Dache und schnäbelte mit einem andern.

Carlsson fand indessen die Begleitung überflüssig, da er eigens einen wirklichen Spielmann gedungen; und die engbrüstige Harmonika hielt mit der leichtfüssigen Geige nicht Schritt, sondern störte den Takt und brachte Unordnung in den Tanz. Die gute Gelegenheit, den Nebenbuhler abzutun, lockte Carlsson, zumal die Meinung, die Harmonika störe nur, allgemein zu sein schien. Er nahm also den Mund etwas voll und schrie dem unglücklichen Liebhaber, der sich in einer Ecke verkrochen hatte, über die Tenne hinüber zu:

– Höllu, schnür den Lederbeutel, du! Mach, dass du hinauskommst, und lass die Luft aus, wenn du aufgeblasen bist.

Die allgemeine Meinung verurteilte den Sünder mit einem zustimmenden Lachen. Norman aber waren einige Schnäpse zu Kopf gestiegen, und Idas Krause hatte ungeahnte Kräfte hervorgezaubert: er dachte deshalb nicht daran, der Aufforderung zu folgen.

– Höllu! ahmte er Carlsson nach, der unversehens in seine Mundart verfallen war, die auf Hochschweden lächerlich wirkte. Komm nur hinaus auf den Hof, dann werde ich dir schon die Flöhe aus dem Schweinepelz lausen!

Carlsson fand seine Stellung noch nicht so bedroht, um zu den Fäusten übergehen zu müssen, sondern hielt sich auf dem unschuldigeren Gebiet des Zungenkampfes.

– Was ist das für ein merkwürdiges Schwein, das Flöhe im Pelz hat?

– Das stammt wohl aus Wärmland, glaube ich! antwortete Norman.

Das verletzte die Nationalehre; noch im letzten Augenblick nach einem vernichtenden Wort suchend, das sich aber nicht einstellte, ging Carlsson auf den Feind los, packte ihn bei der Weste und riss ihn auf den Hof hinaus.

Die Mädchen stellten sich in die Türöffnung, um dem Zusammenstoss zuzusehen; niemandem fiel es ein, dazwischen zu treten.

Norman war klein und untersetzt, aber Carlsson war gröber gebaut und höher gewachsen. Im Nu warf er den Rock ab, um den er bange war, und die Kämpfer rannten zusammen. Norman mit dem Kopf voran, wie ers von den Lootsenburschen gelernt hatte. Carlsson aber packte ihn, zielte einen hässlichen Fusstritt nach dem Unterleib, und wie ein zusammengerollter Igel fiel Norman auf den Dunghaufen.

– Rallbuse! schrie er, ausser stande, sich weiter mit den Fäusten zu verteidigen.

Carlsson schäumte; vergebens nach Schimpfwörtern suchend, setzte er Norman das Knie auf die Brust und ohrfeigte den Geschlagenen. Der spuckte und biss um sich, bekam aber schliesslich eine Handvoll Streu in den Mund.

– Jetzt werde ich dir das ungewaschene Maul putzen! schrie Carlsson und rieb den Geschlagenen mit einem Strohwisch, den er aus dem Dunghaufen gerissen, so, dass die Nase blutete.

Aber das öffnete dem wutschnaubenden Norman den Mund: seinen ganzen Vorrat von Schimpfworten schleuderte er dem Sieger ins Gesicht, der die Zunge des Besiegten doch nicht binden konnte.

Die Musik war verstummt, der Tanz hatte aufgehört. Die Zuschauer hatten ihre Bemerkungen über die Wendungen des Wortstreites und Faustkampfes gemacht und mit demselben gleichmütigen Interesse zugehört und zugesehen, wie sie einem Schlachten oder einem Tanz zusahen. Doch fanden die Alten, Carlssons Angriff sei nicht ganz regelrecht, nicht nach alter Sitte gewesen. Plötzlich aber war ein Schrei zu hören, der den Haufen sprengte und alle aus der Feststimmung riss:

– Er zieht ein Messer! schrie einer; man konnte nicht unterscheiden, wer.

– Ein Messer! wurde im Haufen geantwortet. Keine Messer! Fort mit den Messern!

Und die Kämpfer wurden umringt; Norman, dem es gelungen war, sein Klappmesser zu öffnen, wurde entwaffnet und auf die Füsse gestellt, nachdem man Carlsson von ihm losgerissen.

– Raufen könnt ihr euch, Burschen, aber nicht messern, schloss der Alte von Svinnokar die Schlägerei.

Carlsson zog seinen Rock an und knöpfte ihn über seine zerrissene Weste; aber Norman hing der eine Hemdärmel wie ein Fetzen aufs Bein herab. Im Gesicht übel zugerichtet, schmutzig, blutig, hielt ers fürs Beste, sich um die Ecke zu entfernen, um seine Niederlage nicht den Mädchen zu zeigen.

Mit der frohen Zuversicht des Siegers und des Stärkern trat Carlsson wieder auf die Tanzbahn, um, nach einem tüchtigen Schluck, das Spiel mit Ida von neuem zu beginnen, die ihn mit Wärme, ja beinahe Bewunderung empfing.

Der Tanz ging los wie ein Dreschwerk. Die Dämmerung war hereingebrochen. Der Branntwein machte die Runde, und man widmete dem Tun und Lassen des Nächsten geringere Aufmerksamkeit. Darum konnte Carlsson mit Ida aus der Tenne heraus kommen und das Hagtor erreichen, ohne dass jemand naseweise Fragen stellte. Aber gerade als das Mädchen über den Zauntritt gestiegen war und Carlsson auf dem Feldzaun stand, hörte er durchs Halbdunkel die Stimme der Alten, ohne wen sehen zu können.

– Carlsson! Ist Carlsson da! Komm er und tanz eine Runde mit seiner Harkerin.

Aber Carlsson antwortete nicht, sondern glitt hinunter und schlüpfte in den Hag, leise wie ein Fuchs.

Die Alte hatte ihn jedoch gesehen, und obendrein noch Idas weisses Taschentuch, das diese um den Leib geknüpft, um ihr Kleid vor den schweissigen Händen zu schützen. Als sie noch einmal gerufen, ohne Antwort zu erhalten, ging sie nach, über den Zauntritt, in den Hag.

Der Weg unter den Haselbüschen lag vollständig im Dunkel; sie sah nur etwas Weisses, das in dem Schwarzen ertrank und schließlich auf den Boden des langen Tunnels sank. Sie wollte nachlaufen; da aber waren neue Stimmen am Zauntritt zu hören, eine gröbere und eine klingendere; aber beide gedämpft und, als sie näher kamen, flüsternd. Gustav und Clara stiegen über den Zaun, der unter den etwas unsichern Schritten des Burschen knackte; und von zwei starken Armen gehoben, sprang Clara hinunter.

Die Alte versteckte sich in den Büschen, während das Paar Arm in Arm vorbeizog; halbsingend, küssend dahintanzte, wie sie selber einst getanzt, gesungen und geküsst hatte.

Noch einmal knackte der Zauntritt, und wie ein junger Stier kam der Quarnöer Bursche mit dem Fjellonger Mädchen angesprungen. Als sie hoch oben auf dem Zaun stand, das Gesicht vom Tanz gerötet und mit ausgelassenem Lachen die weissen Zähne zeigend, legte sie die erhobenen Arme über Kreuz hinter den Nacken, als wolle sie sich fallen lassen; und mit schnaubendem Lachen und aufgeblähten Nasenflügeln warf sie sich dem Burschen in die Arme; der empfing sie mit einem langen Kuss und trug sie in die Dunkelheit hinein.

Die Alte stand hinter den Haselbüschen und sah Paar nach Paar kommen, gehen, wiederkehren; ganz wie in ihrer Jugend; und altes Feuer glühte wieder auf, das unter der Asche von zwei Jahren versteckt gewesen.

Währenddessen war die Geige allmählich verstummt. Es war über Mitternacht, und die Morgenröte stand im Norden bereits schwach über dem Wald. Die Stimmen auf der Tenne wurden lauter und einzelne Hurrahrufe von der Wiese gaben an, dass sich die Tanzgesellschaft zerstreut hatte und die Heimfahrt für die Mäher bevorstand.

Die Alte musste zurück, um beim Abschied zugegen zu sein.

Als sie in den Hohlweg kam, wo sich die Dunkelheit so zu lichten anfing, dass man das grüne Laub unterscheiden konnte, sah sie Carlsson und Ida ganz hinten auf der Höhe kommen, Hand in Hand, als wollten sie einen neuen Tanz beginnen. Fürchtend, hier im »grünen Gang« getroffen zu werden, kehrte sie um und eilte über den Zauntritt, um nach Haus zu kommen, ehe die Gäste gingen.

Aber auf der andern Seite des Zauntritts stand Rundqvist und schlug die Hände zusammen, als er die Alte erblickte, die ihr Gesicht in der Schürze verbarg, um nicht zu zeigen, wie sie sich schämte.

– Nein, ist die Tante auch im Wald gewesen? Ich sage ja, auf die Alten ist doch nicht mehr Verlass als auf ...

Sie hörte nicht mehr, sondern eilte, so schnell sie konnte, der Stuga zu.

Dort hatte man sie schon gesucht und empfing sie jetzt mit Hurrahrufen, Händeschütteln und Dankesworten für gute Bewirtung, um sich dann zu verabschieden.

Als alles wieder still geworden und die Flüchtlinge aus Hag und Wiese herbeigerufen waren, ohne dass sich alle einstellten, ging die Alte zu Bett: Lange aber lag sie wach und lauschte, ob sie nicht Carlsson die Treppe zur Kammer hinaufgehen hörte.


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