August Strindberg
Die Inselbauern
August Strindberg

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Einleitung

Das Inselmeer von Stockholm, die »Schären«, aus welcher Gegend ich Szenerien und Motive für dieses Buch geholt habe, hat immer eine besondere Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Vielleicht weil meine engere Heimat, Stockholm und Umgebung, selbst einen Teil dieser Schären bildet. Der Mälar war ja ursprünglich ein Meeresarm, der durch die Wasserläufe bei Södra Telje und Stocksund bei Stockholm in Verbindung mit dem Meer stand; die Kettenschäre, der jetzige Ritterholm, erinnerte ja durch ihren Namen an ihre älteste Natur, die einer Schäre; wie man noch bei einer Fahrt durch den Mälar mit seinen Tausenden von Inseln und Holmen an die Landschaft erinnert wird, die, eine Mischung von Land und Wasser, östlich von der schwedischen Hauptstadt sich etwa sieben Meilen ins Meer hinaus erstreckt.

Dieser ganze zerrissene Küstenstrich ruht zum allergrössten Teil auf der Urformation: Gneis, Granit und Eisenerzen; von den letzten hat man nur die von Utö reich genug gefunden, um sie zu bearbeiten. Die Granitvarietät Pegmatit tritt zuweilen in so grossen Mengen auf, dass sie des Feldspats wegen gewonnen wird, den die Porzellanfabriken benutzen.

Die Abwesenheit der jüngeren Formationen, mit ihren horizontalen Lagerungen in hellen, leichten Farbentönen, verleiht der Schärenlandschaft diesen Zug von Wildheit und Düsterkeit, der die Urformation begleitet. Die Landschaftskontur wird durch die losgerissenen, rohen, unregelmässigen Blöcke kamm- und wogenförmig auf den Höhen; flach, höckerig, holperig, wo das Meer seine Schleifarbeit ausgeführt hat. Die partielle Schieferhaltigkeit des Gneises setzt auch die Strandklippen so der Sprengarbeit des Eises aus, dass Grotten, Höhlungen und tiefe Spalten das Wilde des Landschaftscharakters steigern; der wird dadurch niemals einförmig wie die Kalk- oder Sandsteinfalaises der französischen Nordküste.

Diese Wildheit wird jedoch jäh unterbrochen durch die reiche Erde von der Quartärperiode mit Moränenschutt und Glaciallehm, Schneckensand, Mooshumus und Tangverwandlungen; deren Fruchtbarkeit wird oft durch Abfall von den Grossfischzügen der Jahrtausende, die reichen Schlamm auf den Versandungen bilden, und draussen auf den Kobben durch den Guano der Seevögel vermehrt. Auf dieser Erdschicht wachsen Kiefer und Fichte, obwohl die Gotik der Fichte der Natur der inneren Schären ihren mehr hervortretenden Charakter verleiht, während die Kiefer abgehärteter ist und ganz weit hinaus bis an den Meeresrand geht, sich auf den letzten Klippen nach dem am meisten herrschenden Wind drehend.

In den Niederungen wird der Wiesenboden besonders prachtvoll durch Anschlämmungen und Salzwasser, und die natürliche Wiese bietet eine reiche Blumenflora mit allen wilden Prachtpflanzen des mittleren Schwedens, von denen vielleicht die Orchideen und das Adonisröschen die vornehmsten sind. An den Ufern leuchten Lythrum und Lysimachia, in den Wäldern wächst die Blaubeere, auf den offenen Felsenplatten die Preisselbeere, und in den Mooren ist die Multbeere nicht selten. Tiefliegende Inseln mit besserem Boden nehmen durch den Reichtum an Laubbäumen und Büschen einen besonders lächelnden Charakter an. Die Eiche belebt hier mit ihren weichen Linien und ihrem sehr hellen Laub die Nadelholzlandschaft. Und der Hag, diese Eigentümlichkeit des Nordens, eine Kreuzung von Wald, Unterholz und Wiese, ist vielleicht das Lieblichste, das man sehen kann, wenn unter einer Mischung von Birke und Nadelbaum die Haselbüsche eine Laube über dem Fahrweg bilden; er trägt hier den Namen »Drog«. Es sind Stücke eines englischen Parks, durch die man spaziert, bis man auf die Strandklippe mit ihren Fichten und Kiefern stösst, auf Torfmoos und die Sandniederlage der Meeresbucht mit ihrem Tanggürtel. Schiebt sich eine Bucht weiter ins Land hinein, ist sie immer von Erlen und reichen Schilfbänken schön eingefasst.

Diese Abwechslung von Düsterm und Lächelndem, von Aermlichem und Reichem, von Lieblichem und Wildem, vom Binnenland und Meeresküste macht Schwedens östliches Inselmeer so fesselnd. Dazu kommt, dass die meist steinigen Ufer das Wasser rein und durchsichtig halten; auch wo der Sand ins Meer hinausgeht, ist er so schwer und so rein, dass ein Badender sich nicht zu ekeln braucht, wie an der französischen Nordküste, wo ein Meerbad ein Schlammbad ist. Man entgeht hier den meisten Unannehmlichkeiten des offenen Meeres und geniesst die meisten Vorteile des Binnenlandes; ein Vorzug, den das östliche Inselmeer vor der zerklüfteten öden Westküste hat.

Die wilde Tierwelt weist keine Raubtiere beunruhigender Natur auf. Fuchs, Luchs, Hermelin sind die grimmigsten. Glänzende Jagdgelegenheiten bietet der Elch, der hierher geflüchtet ist und in den Sümpfen und Wäldern der grössern Inseln sein Standquartier aufgeschlagen hat. Dachs, Hase, Otter, Seehund lassen auch ihr Fell, und die Hasenjagd auf der Bischofsinsel ist berühmt.

Von den Vögeln des Waldes sind Birkhuhn und Auerhuhn sehr zahlreich, können aber von den Eingeborenen nicht gejagt werden; die haben keine Hunde der rechten Art und widmen sich ausschliesslich dem Schiessen von Seevögeln, am liebsten mit dem Balban; dabei wird die streichende Eider nicht geschont, die brütende dagegen sorgsam gepflegt, wenn auch das eine oder das andere Ei bei einer längeren Jagdtour Proviant liefern muss. Aus dem Holk nimmt man meist der Sägegans Eier fort, die sich geduldig als Leghenne benutzen lässt.

Das Fleisch der Eider wird gut, wenn man die fette Haut abzieht und den Vogel eine Nacht in Milch legt. Es schmeckt dann wie Renntierbraten und hat allen Trangeschmack verloren. Ebenso werden auch Sägegans, Kolbentaucher und Samtente behandelt, die recht schmackhaft sind, besonders wenn sie gleich der Ente mit Petersilie gespickt werden.

Der schlimmste Raubvogel ist der Fischadler, der unter den Hechten in dem seichten Wasser der Schilfbucht Verheerungen anrichtet. Der Seeadler ist seltener zu sehen und jagt am liebsten am offenen Meer.

Unangenehm und zuweilen gefährlich ist die häufig vorkommende Natter, die man sowohl im Blaubeerbusch wie am Strand trifft, beinahe überall kann man sagen; und ihre Kühnheit draussen auf den äusseren Schären ist so gross, dass sie sich auf dem Schwanz erhebt und durch Hiebe Fischer hindern will, aus dem Boot zu steigen. Das Volk schont sie nicht, obgleich es glaubt, sie sauge Gift aus der Erde, und eine Ehrfurcht vor der anderswo angebeteten Natter zeigt der Schärenmann nicht.

In dieser Provinz von umflossenen Inseln lebt nun eine Bevölkerung, die man nach den Vermögensverhältnissen in drei Klassen einteilen könnte: die Landwirtschaft treiben, meist auf den grossen Inseln wohnend; die den Boden bebauen und fischen, oder die Mittelklasse; und schliesslich die eigentlichen Schärenmänner, die meist vom Fischen und Jagen leben, daneben aber eine Kuh, ein Schaf, einige Hühner füttern.

Die Landwirtschaft ist dort, wo sie betrieben werden kann, durchaus nicht schlecht. Prächtiger Lehmboden gibt einen guten Weizen, und auch der kleine Bauer hat doch immer etwas Spelt zum Hausbedarf übrig. Die Salzseeweide ist berühmt, und die Butter wird ausgezeichnet von den kali- und natronhaltigen Strandgewächsen, ausser denen die Kühe ja immer die grenzenlose Salzlake zur Verfügung haben. Das Fleisch des Hammels wird von dem kurzen Gras der hohen Weideufer fest und lecker, wie das französische pré salé auf ähnlichem Boden.

Dazu kommt ein verhältnismässig mildes Klima, das bedeutend von dem des Binnenlandes auf gleichem Breitengrad abweicht. Der Frühling kommt später, oft vierzehn Tage später als in Stockholm, so dass der Sommergast zweimal das Ausschlagen der Bäume im selben Jahr erleben kann; und der Herbst tritt später ein, weil das Meer dann erwärmt ist und als Heizapparat dient. Eine Unannehmlichkeit beim Klima der Schären hat man bemerkt; das ist der trockene Vorsommer und der regnerische Nachsommer; dadurch leidet die Säe- und Wachszeit unter Trockenheit, die Mäh- und Erntezeit unter Regen. Besonders mildes Klima hat die Gegend von Nynäs, wo der Efeu wild überwintert und der Wein oft am Spalier reift.

Für den Fischer oder den eigentlichen Schärenmann sind natürlich die Früchte des Meeres von grösserer Bedeutung, und den Grossfischfang bildet der Strömling, der Häring der Ostsee; in ungeheuern Netzen wird er gefangen, die auf tiefliegendem Grund im Frühling und Herbst verankert werden. Sonst wird Hecht und Barsch im Schleppgarn gefangen, der Hecht auch mit Legangel und der Barsch im Netz. Die Flundern, die von geringerm Wert sind, werden im Netz gefangen, der Aal wird gestochen oder in die Reuse gelockt. Die Quappe wird mit einer Keule geschlagen bei durchsichtigem Eis, durch das man das schleimige hässliche Ding bemerken kann, wie es auf dem Boden liegt.

Gegenstand eines ganz besonderen Sports, der Badfischen heisst, ist der Kühling. Wenn das Wasser im Nachsommer in den Buchten erwärmt ist, kommt nämlich der Kühling in die Höhe, um zu baden, wie mans nennt. Zu dieser Zeit wird auf den Landzungen von Baumwipfeln Ausguck gehalten; wenn der Beobachter merkt, dass das Wasser sich belebt, gibt er den Kameraden ein Zeichen; die kommen nun mit ihren flachen Kähnen von beiden Landzungen, die Ruderschäfte mit wollenen Strümpfen gut umwunden, damit der Fisch nicht verscheucht wird; dann spannt man das Netz über die Mündung der Bucht, mit der Wirkung, die es haben kann.

Die Bevölkerung dieser isolierten, gut versteckten kleinen Welt, die keine regelmässigen Verkehrsverbindungen hat, scheint in mehr als einer Hinsicht sehr gemischt zu sein. Eine beständige Auslese hat sich nämlich immer von selbst vollzogen, dergestalt, dass der intelligenteste Teil der Jugend zur Flotte, zum Lotsenamt, zum Zoll gegangen ist. Die zurückbleibenden, sesshafteren, ruhigeren Geister haben das Gewerbe der Väter fortgesetzt oder sind nach Stockholm gegangen oder haben im Innern des Landes einen Dienst gesucht; die Schären sind kein sicherer Ort gewesen, wo man Familien und Grundbesitz begründen konnte, da das Land dem Feinde offen liegt und Eigentumsrecht und Leben nicht gerade den Schutz des entfernt wohnenden Rechtspflegers geniessen. Es fehlt darum jede Spur von Lokalpatriotismus, wenn auch der Einwanderer die gewöhnlichen Schwierigkeiten zu bekämpfen hat.

Nach Ortsnamen, Typen, Gewohnheiten zu urteilen, scheint dieses Inselmeer eine Art Zufluchtsort für allerlei Leute aus dem Innern des Landes gewesen zu sein, die aus der einen oder der andern Ursache die Einsamkeit aufsuchten. Eine eigentliche Mundart ist nicht zu spüren, aber eine Mischung von vielen, und viele einfache Sitten und Rechtsbegriffe aus dem Naturstadium deuten darauf, dass sich hier draussen, weit entfernt von der Gesellschaft, ungesellige, für geordnetes Zusammenleben schwer zugängliche Freiluftliebhaber oder ganz einfach praktische Gegner des geordneten Kriegsdienstes und des Zollwesens zusammengefunden haben. Die Geschichten, wie gewisse Inseln erworben wurden, scheinen sich auch um Kapern, merkwürdige Seetaten, auch Privatdienste für königliche Personen zu drehen; und die Grundbücher sollen an gewissen Stellen nicht recht sicher sein, ob der Boden der Krone gehört oder zinspflichtig ist.

Andere Zeichen finden sich auch, die auf Einwanderungen oder vielleicht nur Landungen von Finen, Esthen, Russen und dergleichen Morgenländer deuten. Besonders hegt man noch heute einen entschiedenen Widerwillen gegen die Esthen, diese Schattenfiguren, die, an sich grau, in grauen Fahrzeugen, die wie aus alten zerfallenen Planken zusammengeschlagen sind und ein Takelwerk aus geflickten Kohlensäcken haben, ausgespukt kommen. Wenn ein solcher fliegender Holländer auf einer Kobbe an Land geht, rudert der Fischer gern hinaus und sieht nach, ob das Feuer auch gut gelöscht ist; und er appelliert lieber an die Branntweinflasche als an die Flinte solchen Vagabunden des Meeres gegenüber, von denen man, mit oder ohne Grund annimmt, dass sie Salz nach Russland schmuggeln.

Vermögende Schärenleute gibt es, aber viele sind der Armut nahe, und einige äusserst arm, des Winters von Salzlake, Heringsköpfen und Kartoffeln lebend. Das Gewerbe des Fischers, das dem des Spielers gleicht, erzieht nicht zur Sparsamkeit. Ein Fang macht ihn heute vermögend, und der Glaube ans Glück entsteht sofort mit seinen gefährlichen Folgen.

Vom Pfleger der Gerechtigkeit weit entfernt, hat der Schärenmann in der Notwehr sein eigenes Lynchgesetz, und aus wirtschaftlichen Gründen spricht er lieber frei, als dass er verurteilt; auch in der Hoffnung, selbst freigesprochen zu werden, wenn sein Unglück kommt. Diese Nachsicht mit den Verbrechen anderer habe ich nie schöner ausdrücken hören als damals, wie die Nachbarn erzählten, ein Mörder habe einmal, als er seine Frau ertränkte, einen »Fehltritt« begangen.

Der Schärenmann ist ein Einsiedler; hat weit zum Gericht, weit zur Kirche, weit zur Schule; weit zu den Nachbarn und weit zur Stadt. Der Badeort ist sein nächster Kulturmittelpunkt; dort aber lernt er den Luxus kennen und beneidet Menschen, die er drei Monate Feste feiern sieht; denn die arbeitenden Mitglieder, die in der Stadt sind, sieht er nicht. In der Einsamkeit würde er Denker werden, wenn er Anleitung hätte; statt dessen wird er Phantast, und wie geschickt er in seinem Gewerbe sein kann, wie klarsehend im Alltagsleben, wird er leicht ein Raub subjektiver Wahrnehmungen, wird »fernsichtig«, ein Sonderling; macht fehlerhafte Schlussfolgerungen, sehr oft Ursache und Wirkung verwechselnd; z. B. wenn es sich gut fischt, nachdem das Geldstück unter den Stein gelegt worden, ist das Geldstück die mächtige Ursache. Er ist abergläubisch, und das Heidentum sitzt so tief in ihm, dass die Symbole der christlichen Kirche für ihn noch gleichbedeutend mit Beschwörungen, Besprechungen, Zauberei sind.

Die Familie baut sich selbst nach alter Sitte und den einfachen Forderungen der Natur auf, wo nicht wirtschaftliche Berechnung als Faktor mitspricht. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist ungezwungen; die Ehe wird gewöhnlich mit dem Kind geschlossen, wenn das Mädchen Wort hält und zur Gründung einer Familie geneigt ist. Ist das aber nicht der Fall, entstehen zuweilen schwere Verwicklungen, die mit dem vollständigen Verschwinden des Kindes und andern Geschichten enden können; die kommen der ganzen Welt zu Ohren, nur nicht dem Länsman, der übrigens nichts machen kann, da er keine Zeugen findet.

Beginnen, weit entfernt von Nachbarn, die Familienbande zu zerreissen und werden starke Leidenschaften lange unterdrückt, erfolgen zuweilen unheimliche Ausbrüche der Naturkräfte; da nimmt es der an Tod und Verderben gewöhnte Schärenmann mit den Mitteln nicht so genau. Dann werden dort draussen stille Trauerspiele aufgeführt, von denen man nur Andeutungen zu hören bekommt; in einigen meiner Erzählungen habe ich davon gemunkelt. Da reissen Blutsbande entzwei, verbotene Schranken werden übersprungen; die Natur ergreift mit harter Hand, was sie kriegen kann; und für Hunger und Liebe existieren nicht mehr Rücksicht noch Gesetze.

Das Lichte, Lächelnde im Leben der Schärenleute, wenn es sich licht gestaltet, habe ich in diesem Roman »Die Inselbauern« geschildert; in den Novellen »Das Inselmeer« habe ich die Halbschatten gegeben; vielleicht kann ich später, wenn die Verhältnisse für die Literatur günstiger werden, auch die Schlagschatten geben (»Am offnen Meer«), die nicht fehlen dürfen, soll das Bild vollständig sein.


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