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Neue Zeiten

Rede am 27. März 1917 im Reichstag

 

Meine Herren, seitdem wir zum letzten Male hier über die auswärtige Politik gesprochen haben, sind Ereignisse eingetreten, die eine weltpolitische Hochspannung ohne gleichen erzeugt haben. Wir freuen uns dessen, daß wir auf militärischem Gebiete heute zu Lande und zur See dem Feinde das Gebot des Handelns vorschreiben. Dem anfänglichen Jubel über den strategischen Rückzug der deutschen Truppen im Westen ist Unruhe und Besorgnis bei unseren Gegnern gefolgt. Der große Meister der deutschen Feldherrnkunst wählt sich selbst das Schlachtfeld der künftigen Kämpfe, mag er vorwärts oder rückwärts gehen. Heer und Volk sehen der großen Entscheidung, die ihm vorbehalten ist, in dem Gefühl absoluter Ruhe und Zuversicht entgegen, das für Deutschland in dem einen Namen Hindenburg liegt.

Wir führen zur See seit etwa zwei Monaten den unbeschränkten U-Boot-Krieg. Mit großer Freude und Genugtuung wird im ganzen Volke das aufgenommen werden, was uns heute der Staatssekretär v. Capelle über seine Wirkung mitteilen konnte. Wenn es uns möglich war, in den ersten vier Wochen seit der Anwendung dieser Waffe gegen 800 000 Tonnen Schiffsraum zu versenken, so ergibt sich daraus das eine, daß für England bei längerer Fortdauer des Krieges der Verlust seiner ganzen, für Handelszwecke überhaupt verfügbaren Flotte auf dem Spiele steht. Wir sehen aus den Ergebnissen dieser ersten Wochen weiter, daß die Verluste wachsen, die sich auf die feindlichen Handelsflotten beziehen, daß prozentual die Verluste zurückgehen, an denen neutrale Schiffe beteiligt sind. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß die mittelbare Wirkung des Unterseeboot-Krieges die gewesen ist, daß es auf den Hochstraßen des Welthandels von Monat zu Monat einsamer wird, und daß jetzt die Insel England, die sich wegen ihrer insularen Lage militärisch unangreifbar fühlte, doch die wirtschaftliche Achillesferse dieser Insellage zu spüren bekommt. Es will etwas bedeuten für den Ausgang dieses Weltkrieges und für den Ausgang des Weltwirtschaftskrieges, wenn wir erfahren, daß allein in den ersten Monaten seit Beginn des unbeschränkten U-Boot-Krieges die Einfuhr nach England um 40 Prozent gesunken ist. Wir sehen, daß jetzt in England als Folge dieser Verhältnisse eine wirtschaftliche Maßnahme der anderen folgt, nachdem der leitende Staatsmann dort hat erkennen müssen, daß die Vorräte Englands »katastrophal gering« sind. Wenn jetzt unsere Gegner selbst derartig wirtschaftlich zu leiden beginnen, dann schwindet die letzte Hoffnung der Entente, im Zeichen der eigenen Wirtschaftsfestigkeit über die nach ihrer Meinung wirtschaftlich zusammenbrechenden Mittelmächte zu siegen.

Wie hier die Unmöglichkeit, auf wirtschaftlichem Gebiete diesen Weltkrieg zu beenden, unseren Gegnern vor Augen stehen müßte, so auch auf militärischem Gebiete. Größer als Deutschland ist das Gebiet, das heute von deutschen Truppen okkupiert ist. Der Traum des Angriffs auf Hamburg und Kiel ist ein Traum geblieben. Aber deutsche Seestreitkräfte sieht man an den Küsten Englands und deutsche Luftschiffe über Englands Städten. Die deutschen Luftschiffe waren just vor einigen Wochen wieder einmal über Englands Hauptstadt, als wir hier den Mann zur Ruhe trugen, der der Schöpfer dieser Waffe gewesen ist, der Mann, dessen Name auf ewig mit dem Kampf gegen England verbunden sein wird: Graf Zeppelin. Sein ganzes Leben ist ein Bild deutscher Beharrlichkeit, deutschen Siegerwillens auf dem Gebiete der Technik. Er hat dem alten Ikarustraum der Menschheit Wirklichkeit gegeben. Wie manche haben ihn verspottet, ehe die Erfolge ihm recht gaben. Seine Waffe hat jetzt den Wahn der unangreifbaren englischen Insel zerstört. Wir werden dem Manne, dessen jugendfrisches, heißes Herz bis zum letzten Augenblick Deutschlands Sieg zu erleben hoffte, als einen der Großen aller Zeiten über das Grab hinaus die Treue im ganzen Volke halten.

Durch den unbeschränkten U-Boot-Krieg ist eine schwierige Lage für die neutralen Mächte geschaffen worden. Aber wir sind uns auch vor unserm Gewissen darüber klar, daß diese schwierige Lage nicht durch uns veranlaßt worden ist. Der unbeschränkte U-Boot-Krieg wäre vielleicht vermeidbar gewesen, wenn die Neutralen durch ihren Zusammenschluß die völkerrechtswidrige Seetyrannei Englands vorher zurückgewiesen hätten. Was aber haben die neutralen Mächte von England alles stillschweigend erduldet! War und ist denn eine einzige neutrale Macht heute noch Herr im eigenen Hause? Ich erinnere Sie daran, daß bei Beginn des Weltkrieges gerade von seiten unserer Gegner unser Bundesgenosse Österreich-Ungarn die heftigsten Angriffe deshalb erfuhr, weil Österreich angesichts der Bluttat von Serajewo das Verlangen stellte, bei den Gerichten, die über diesen Fall zu urteilen hätten, auch durch eigene Beauftragte, durch eigene Beamte mitzuwirken. Damals war in den Auslassungen der Entente zu lesen, daß ein Staat, der noch irgendein Gefühl für eigene politische Selbständigkeit, der noch das Gefühl der Achtung vor sich selber hätte, niemals einem anderen Staate die Möglichkeit geben dürfe, derartig in seine eigenen Hoheitsrechte einzugreifen. Und was sehen wir jetzt? Jetzt sehen wir englische Zollkontrolleure, englische Postzensoren, kaufmännische Überwachungspersonen Englands in allen Ländern. Allerdings können sich die Neutralen darüber nicht allein beschweren; sie können sich damit trösten, daß es ja England seinen Verbündeten gegenüber ebenso treibt. Steht doch ganz Rußlands Verwaltung unter englischer Kontrolle, englische Beamte stellen die Pässe aus, die dem Russen erlauben, sein Land zu verlassen, englische Beamte weisen die Zahlungen an, die in russischen Ministerien gemacht werden, England behandelt seinen großen Verbündeten wie ein Gläubiger, der zum Schutze eines gewährten Darlehns die Verwaltung des Eigentums des Schuldners sich übertragen läßt.

Wenn 2½ Jahre hindurch die neutralen Länder all das ertragen haben, ohne sich gegen Englands Seetyrannei irgendwie zu wehren, dann dürfen sie jetzt nicht für sich, können sie nicht für sich beanspruchen, daß wir unsererseits davor zurückschrecken, eine Waffe zu gebrauchen, auch wenn sie eine schwierige Lage für sie schafft. Im Kriege sind die Fehler, die aus Gutmütigkeit entstehen, nach Clausewitz, die schlimmsten. – Wir haben volles Verständnis für die schwierige Lage der neutralen Staaten, und wir werden alle Bemühungen der Reichsregierung unterstützen, diese Lage nach Möglichkeit zu erleichtern. Wir freuen uns dessen, daß es der Reichsregierung gelungen ist, in Abmachungen mit den neutralen Staaten Vereinbarungen zu treffen, die diese Erleichterungen schaffen, freuen uns dessen, angesichts der traditionell freundschaftlichen Beziehungen, die uns mit all diesen neutralen Ländern bisher verbunden haben. Soweit es ohne irgendeine Einengung unserer Seerechtssperre möglich ist, den wirtschaftlichen Austausch von Gütern zwischen neutralen Ländern und uns aufrecht zu erhalten oder ihn über das Aufrechterhalten hinaus zu vergrößern, wird die Regierung dabei stets der vollen Zustimmung des Parlaments sicher sein. Im übrigen kann die neutrale Schiffahrt unseren U-Boot-Krieg ertragen; denn je mehr feindliche Schiffe wir versenken, um so mehr steigt der Wert der neutralen Tonnage für die Zeit nach dem Kriege. Und schließlich ist das U-Boot doch nur ein Mittel zur Erzwingung des Friedens, nach dem ein tiefes Sehnen durch die ganze Welt geht, ein Sehnen, das auch von den Ländern und Völkern geteilt wird, die heute noch nicht an diesem Kriege beteiligt sind, denen das Geschick es gegeben hat, aus diesem Weltkrieg herauszubleiben. – Es könnte vielleicht unrecht erscheinen, davon zu sprechen, daß es in der Hand der Neutralen gelegen habe, sich von der englischen Seetyrannei zu befreien, denn der kleine Staat ist nicht in der Lage gegen den größten Herrscher auf dem Gebiete der Meere allein aufzutreten. Ein Land war da, ein Land so groß wie ein Weltteil, in dessen Händen hätte es gelegen, für die Freiheit der Meere einzutreten vom ersten Augenblick des Weltkrieges an, wenn es ihm mit der Freiheit der Meere irgendwie ernst gewesen wäre, und das waren die Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn ein derartiges Weltreich mit einer Einwohnerzahl von mehr als 100 Millionen, mit diesen gewaltigen Werkstätten, die ja im wesentlichen die Munitionswerkstätten unserer Gegner gewesen sind, nachdem es sich schon auf den Standpunkt gestellt hatte, daß die Munitionslieferung völkerrechtlich erträglich gewesen wäre, zum mindesten das Recht seiner Schiffe, nach London und Liverpool zu fahren, auch davon abhängig gemacht hätte, mit seinen Schiffen nach Hamburg und Bremen zu kommen, um den wirtschaftlichen Verkehr mit uns aufrecht zu erhalten, so wäre die Freiheit der Meere gesichert gewesen, so hätte Herr Wilson Gelegenheit gehabt, all die großen Ideen von Menschlichkeit und Neutralität durchzuführen, zu denen er sich mit den Lippen bekennt, denen seine Taten niemals entsprochen haben. Täuschen wir uns nicht, so stehen wir vor einer weiteren Verschärfung des Bruches mit den Vereinigten Staaten. Wir wollen den Krieg mit den Vereinigten Staaten nicht, wie wir es überhaupt nicht irgendwie wünschen oder innerlich ohne Erregung ertragen können, daß der Ring der Kämpfenden in diesem Welthandel sich immer noch erweitert. Wir wollen den Krieg nicht, aber wir fürchten ihn auch nicht, wenn er kommt. Wir wissen, daß es ums Ganze geht; da müssen wir alles einsetzen, müssen es politisch, militärisch und auch wirtschaftlich ertragen, was daraus für uns wird. Ich bin der festen Überzeugung, daß eine Kriegserklärung der Vereinigten Staaten an uns nur möglich ist, nur möglich sein kann durch eine Irreleitung der öffentlichen Meinung der Verein. Staaten selbst. Amerika kann bei einem Kriege gegen uns gar nichts gewinnen. Amerika hat keine Veranlassung, irgendwie Deutschland niederzwingen zu wollen, selbst wenn es die Macht dazu hätte. Nein, was man dort aufgebauscht hat gegen uns, das beruhte auf einem Zerrbilde Deutschlands, das allerdings nicht nur in den Vereinigten Staaten, das auch in vielen anderen Ländern der Welt von Deutschland besteht. Das ist dieses Zerrbild Deutschlands, manchmal unterstützt durch falsche Anwendung von Schlagworten im eigenen Vaterlande, das Zerrbild des Deutschlands des Absolutismus, das Zerrbild des Deutschlands des Militarismus, dasselbe Zerrbild, das uns vor Augen steht, wenn wir hören, daß man heute in Rußland überhaupt die Frage erwägt, ob Deutschland etwa das Schwert ziehen würde, um im Interesse des Zaren den Absolutismus in Rußland wiederherzustellen. Meine Herren, ich kann es dabei nicht ohne Kritik aussprechen, daß es unsere Schuld, unsere große Schuld ist, wenn in der Welt draußen ein solches Zerrbild Deutschlands entstehen konnte. Unsere Schuld nach verschiedenen Richtungen. Einmal unsere Schuld nach der Richtung, daß gewisse Erscheinungen sich im Innern zeigten, die mit Recht der Kritik auch bei uns unterlagen, einer Kritik, die aber ihrerseits vielfach die Grenze des Erlaubten überschritt. Unsere Schuld aber auch nach der Richtung, daß wir niemals großzügig genug gewesen sind, um diejenigen Mittel bereitzustellen, die notwendig waren, der Propaganda des Reuterbureaus, der großen Propaganda Englands auch eine deutsche Propaganda gegenüberzustellen, wie wir bei dieser Gelegenheit aber auch erkennen mußten, daß für den großen Gedanken, die öffentliche Meinung der Völker als Machtfaktor einzustellen in den Rahmen der Politik, auch bei unseren leitenden Stellen nicht das volle Verständnis vorhanden gewesen ist. Wir sehen, daß es gerade angesichts dieser Unterlassungssünden möglich gewesen ist, derartig die Welt gegen uns in Waffen zu rufen, wie wir das jetzt erleben; Amerika auf der Seite unserer Gegner, mindestens in der Form des Abbruchs der Beziehungen, China, wenn auch unter Zwang, denselben Weg gehend. Einen Weltbrand zündet England an, um sein eigenes Haus zu schützen, aber wir hoffen, daß letzten Endes die Flammen doch über dem Brandstifter zusammenschlagen werden.

Durch den Abbruch der Beziehungen mit China, mit den Vereinigten Staaten, taucht die Frage auf über die Sicherung derjenigen großen wirtschaftlichen Werte, die uns deutscherseits mit diesen Ländern verbinden, und ich wäre dem Herrn Staatssekretär des Äußern dankbar, wenn er im Laufe der Besprechung uns darüber Auskunft geben würde, ob der von der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« ausgesprochene Gedanke, daß unsere Konsularverträge mit China bestehen bleiben, trotz des Abbruchs der Beziehungen, sich aufrecht erhalten hat, oder ob wir damit rechnen müssen, daß sowohl China wie den Vereinigten Staaten gegenüber auch derjenige Wirtschaftskampf beginnt, den wir ja vermeiden würden, wenn die Abmachungen vom Jahre 1829 zwischen den Vereinigten Staaten und uns bestehen blieben.

Die größte Umwälzung hat sich in Rußland gezeigt. Der Herr Kollege Spahn hat die Frage aufgeworfen, ob vielleicht auch hier Englands Hand mit im Werk gewesen ist. Wir können das heute nicht mit Sicherheit feststellen. Aber eins können wir feststellen: ein entthronter Zar und vier Könige im Exil, das sind bisher die Folgen monarchischer Bündnisse mit England in diesem Weltkrieg gewesen. Wer sich mit England verbündet, der stirbt daran. Vielleicht wird man sich das auch einmal in Rom überlegen, ehe die Verhältnisse stärker sind als die Menschen. Wir können gegenwärtig den Umfang der russischen Umwälzung noch nicht übersehen. Aber die Nichtwiederkehr der zarischen Autokratie scheint doch sicher zu sein. Es gibt in Deutschland niemanden, weder eine Partei noch irgendeine größere Gruppe von bedeutenden Persönlichkeiten oder einflußreichen Personen, die irgendwie Sympathien für den Zaren Nikolaus II. zum Ausdruck gebracht hätten.

Wie kann man überhaupt in Rußland auf den Gedanken kommen, daß irgendwo in Deutschland sich eine Bewegung regte, dem Zarentum oder dem Zaren zu Hilfe kommen zu wollen, soweit persönliche Momente überhaupt die Politik großer Völker beeinflussen? Wie sollten wir eine Verpflichtung fühlen zur Dankbarkeit gegenüber einem Zaren, der die Erhaltung der Macht Rußlands der Haltung Deutschlands im Kampfe Japans gegen Rußland verdankt und der uns den Dank abgestattet hat in diesem Weltkrieg durch die russische Mobilisierung, die diesen Krieg herbeiführte? Wie sollten wir aber auch anderseits, die wir in der Mehrheit des Volkes selber für eine Neuordnung der Dinge kämpfen, auch nur auf den Gedanken kommen, den deutschen Einfluß, geistigen, politischen oder militärischen Einfluß, einsetzen zu wollen für ein russisches Zarentum? Von seiten der deutschen Regierung, von seiten des Herrn Reichskanzlers ist schon bei früherer Gelegenheit darauf hingewiesen worden, daß wir vollkommen auf dem Standpunkt der Nichteinmischung in die Verhältnisse anderer Völker stehen. Ich habe bei anderer Gelegenheit, als Herr Wilson glaubte, auf die politischen Verhältnisse in Europa als Präzeptor einwirken zu können, ihm das Wort entgegengerufen: Hand weg von unserem inneren politischen Leben! Wenn es sich darum handelt, bei uns Dinge zu ändern, bei uns eine neue politische Ära herbeizuführen, so würde es das Demütigendste sein, was irgendein deutsches Herz empfinden könnte, darüber Verhaltungsmaßregeln von einem andern Staate oder einem andern Staatsoberhaupt entgegenzunehmen. Meine Herren, mit demselben Rechte kann aber auch das russische Volk erwarten, daß die Entwicklung der Dinge in Rußland ihm überlassen wird. Wir können Rußland jede Freiheit und Entwicklung von Herzen gönnen, von der sich das russische Volk etwas Gutes für seine Zukunft verspricht. Jedes Volk macht sich seine Gesetze, schafft sich seine Verfassung, jedes Volk trägt dafür die Verantwortung vor seiner eigenen Geschichte.

Meine Herren, ich möchte das eine noch hinzufügen: Im deutschen Volke ist vor diesem Kriege, und ich darf auch sagen, während dieses Krieges, gegenüber dem russischen Volke nie das Gefühl des Hasses lebendig gewesen, wie wir überhaupt diesen Krieg nicht führen gegen andere Völker. Das ist des Deutschen Objektivität, daß er sich stets vor Augen führt, daß der Feind, an welcher Grenze er auch stände, jeden Quadratmeter seines Bodens, das sein Vaterland ist, ebenso als Vaterlandsfreund verteidigt, wie wir das von unseren Soldaten mit Freuden feststellen. Nichts ist deshalb falscher als anzunehmen, daß im deutschen Volke irgendeine andere Empfindung lebendig wäre als diejenige, mit der Großmacht im Osten, mit der uns früher, wenn auch unter anderen politischen Verhältnissen, Jahrhunderte hindurch Bündnisse und freundschaftliche Beziehungen verbunden haben, sobald wie möglich wieder in Frieden und Freundschaft zu leben. Die Möglichkeit dazu ist denen gegeben, die unser Friedensangebot zurückgewiesen haben, und an denen es jetzt ist, das Wort zu nehmen, wenn sie ihrerseits diese ihre Haltung zu revidieren gedenken.

Meine Herren, ich möchte daraus allerdings kein Hehl machen, daß ich es für tief bedauerlich halte, wenn wir aus dem Munde des Herrn Kollegen Noske hören mußten, daß unsere militärische Zensur es hier in Deutschland unmöglich macht, daß Ausführungen, die hinausgehen auf Friedensbestrebungen, auf eine Beendigung des Weltkriegs, veröffentlicht werden. Wenn hier das Auswärtige Amt, das doch in erster Linie berufen ist, diese Dinge auf ihre weltpolitische Bedeutung zu prüfen, kein Bedenken dagegen hat, innerlich vielleicht sogar die Empfindung hat, daß hier etwas auf das Pluskonto der Politik gebucht werden könnte, dann ist es unerträglich, sich vorzustellen, daß diejenigen, denen dieses Sachverständnis nicht gegeben ist, derartig in unsere Politik hineinpfuschen und dadurch Empfindlichkeiten draußen und drinnen wecken, die in ihrer Wirkung sehr bedauerlich sein könnten.

Meine Herren, wenn ich mich nunmehr den innerpoIitischen Fragen zuwende, dann lassen Sie mich Sie daran erinnern, daß die Kämpfe um eine Verfassung in Deutschland auch zu einer Zeit einsetzten, in der ein großer Krieg zu Ende ging und in der das preußische und deutsche Volk von diesem Kriege nicht nur die Befreiung vom fremden Joch, sondern auch eine Erneuerung seines eigenen politischen und geistigen Lebens erwartete, das waren die Freiheitskriege von 1813 und 1815. Damals hat der König von Preußen sein Wort gegeben, seinem Volke eine Verfassung zu geben, und damals ist es der Einfluß Rußlands gewesen, der in der Heiligen Allianz zum Ausdruck kam, der gerade die Entwicklung eines preußischen Verfassungswesens beeinträchtigt hat. Manche Bitterkeit wäre uns erspart geblieben in der preußisch-deutschen Geschichte, wenn damals die russische Reaktion nicht geglaubt hätte, von sich aus Preußen bevormunden zu müssen. Meine Herren, die damaligen Verhältnisse, die Männer, die damals Preußens Erneuerung wünschten, die stehen einem gerade gegenwärtig vor Augen, wenn man derartige Debatten liest, wie sie gestern im preußischen Herrenhause stattgefunden haben. Es ist vorhin von seiten der Herren Kollegen von der äußersten Rechten mit »Sehr richtig« unterstrichen worden, daß doch schließlich der militärische Absolutismus Preußen und Deutschland groß gemacht hätte. Ich weiß nicht, worin die Geschichte diese Auffassung begründet. Ich will das Jahr 1806 nicht lediglich als einen Niederbruch des militärischen Absolutismus hinstellen, es war vielleicht ein Niederbruch der diplomatischen Staatskunst, daß es überhaupt dazu kam, daß das kleine Preußen diesen Kampf zunächst allein ohne jede Koalition führte. Aber lassen Sie uns doch die Augen davor nicht verschließen, daß es die Abwendung von dem früheren Charakter des preußischen Militarismus war, der doch unzweifelhaft die Erfolge der Kämpfe von 1813 bis 1815 mit entschieden hat. Der Mann, der uns das Volksheer gegeben hat, das Volksheer, zu dem wir uns alle bekennen und das uns die Gegner draußen als Militarismus nicht irgendwie umbilden sollen, Scharnhorst, hat damals an seinen König Friedrich Wilhelm III. geschrieben: »Es sind nicht immer die stehenden Heere gewesen, die Thron und Krone gerettet haben, meist war es die Liebe eines für König und Vaterland begeisterten Volkes.« Das war der Mann, der damals das preußische Heer in eine ganz andere Form gebracht hat, der aufgeräumt hat mit den Ideen, die doch vielleicht militärischer Absolutismus waren. Und ich denke an einen anderen, einen der größten, den man schließlich mit Bismarck in dieser Beziehung in einem Atemzuge nennen kann, den Mann, der seine genialischen Kräfte Preußen nur ein Jahr zur Verfügung stellen konnte und in diesem einen Jahre eine Arbeit geleistet hat, die ein Jahrhundert überdauerte, den Freiherrn v. Stein. Wenn ich denke, wie heute die Bewegung des Partikularismus sich hervorwagt, dann denke ich an den Ausspruch Steins: »Ich kenne nur ein Vaterland, und das heißt Deutschland, deshalb bin ich auch nur ihm und nicht einem seiner Teile mit Liebe ergeben.« Wenn Sie in der damaligen Zeit daran denken, wie ein Mann wie Blücher, der nicht nur der Polterer, der ungrammatische Mann gewesen ist, sondern der ein feines Empfinden hatte auch für politische, auch für innerpolitische Fragen, wie er es damals bedauert hat, daß so bald nach diesen Freiheitskriegen sich auf alle diese großen Bewegungen der innerlichen Erneuerung wieder der Meltau legte, wenn Sie daran denken, wie damals Gneisenau und Fichte sprachen, so muß ich sagen, es ist doch betrüblich, wenn 100 Jahre seitdem in die Welt gegangen sind und heute aus den Kreisen des preußischen Adels Töne klingen, als wenn diese ganze Zeit an ihnen vorbeigegangen wäre. Ich finde kein Verhältnis von dem Empfinden des deutschen Volkes in dieser Zeit zu denjenigen Empfindungen, die aus den Reden der Herren v. Kleist, Yorck v. Wartenburg und Roon herausklingen. Es klingt ja sehr gut, wenn man das Wort ausspricht: Hand weg von dem alten Preußen! Meine Herren, ich glaube, in preußischen Kreisen wird es vielfach verkannt, daß man die große Stellung Preußens in der Geschichte Deutschlands überall und auch da voll anerkennt, wo man an inneren Einrichtungen Preußens Kritik übt. Dieses volle Verständnis für Preußen als Kern Deutschlands, als das staatenbildende Element – Bülow sagte: hier wurde der Staat geboren –, das ist weit in die politisch linksstehenden Kreise, das ist weit auch in allen Empfindungen von Süddeutschland verankert, und man versteht auch vollkommen, daß schließlich in diesem Preußen die überragende Stellung des Monarchen sich länger erhielt als wie in irgendwelchen anderen Staaten. Dieser Staat dankt wie kaum ein anderer seinen Monarchen Unendliches. Wie haben diejenigen Fürsten, die hier die Gewalt ganz in ihrer Hand hatten, sich als Diener des Staates gefühlt und diesen Staat zur Größe geführt! Ein Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst, Friedrich Wilhelm I., ein Friedrich der Große, wie leben wir noch heute von dem, was sie geschaffen haben! Man versteht es, daß auch die Bureaukratie, die sie schufen, die sie anhielten zu jener außerordentlichen Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit, die mit ihrem Könige dieses Preußen zur Größe durchhungerte, sich in einem Treuverhältnis zu ihrem Monarchen fühlt. Aber, meine Herren, die Zeiten Friedrichs des Großen sind nicht mehr. Heute kann der Monarch gar nicht mehr persönlich der Führer des Staatsschiffes in dem Sinne sein, wie es damals möglich war. Heute ist vieles, was Sie Kommandogewalt des Kaisers nennen, ist vieles, was im Namen des Königs geschieht, eine Formel geworden, weil es nicht mehr möglich ist, daß von der Persönlichkeit selber das auch nur ausstrahlen kann, was hier mit diesem Begriffe verbunden wird. Heute ist das, was mit dem Namen Kaiser und König gedeckt wird, doch manchmal nur das Ergebnis der Anschauungen eines kleinen Kreises, der sich zufällig zu dieser Zeit in den beratenden Stellungen um den Kaiser und König befindet. Deshalb sollte man auch nicht daran festhalten, zu sagen, daß nun dieses alte Preußen so bleiben müßte, wie es war. Es ist nicht mehr das alte Preußen. Das preußische Herrenhaus entsprach in seiner Zusammensetzung vielleicht schon damals, als es so gebildet wurde, nicht mehr dem Bilde, das die Wirtschafts- und Geisteskräfte Preußens damals gaben. Wer hat denn die bitterste Kritik an dem Herrenhause geübt? Lange, ehe es ein Liberaler getan hat, hat es Fürst Bismarck getan, und einer, der doch schließlich konservativer Geschichtsschreiber ist im besten Sinne des Wortes, nicht im Parteisinne, ein Mann, der jeder Demagogie abhold war und der nichts mit Demokratie zu tun hatte, ein Mann wie Treitschke hat das schärfste Urteil über das preußische Herrenhaus ausgesprochen, das jemals ausgesprochen werden konnte.

Hand weg vom alten Preußen! soll doch auch heißen: rüttelt hier nicht irgendwie an der Verfassung wie sie gegenwärtig ist, rüttelt auch nicht am preußischen Herrenhaus! Ja, sollen wir denn blind vorbeigehen an all der großen wirtschaftlichen Entwicklung, die seitdem vor sich gegangen ist, blind daran vorbeigehen, daß die Wirtschaftskräfte dieses Preußens heute ganz andere sind als die rein landwirtschaftlichen? Sollen wir denn daran vorbeigehen, daß nun diese große, mächtige Arbeiterbewegung eingesetzt hat, daß sie dank der Erziehung durch diesen Weltkrieg doch ein Fundament unseres Volkslebens gewesen ist, an dem zu rütteln heute bedeutet, diesen ganzen Staat mit in Gefahr zu bringen?

Meine Herren, es ist unmöglich, sich in dieser Beziehung eine Binde vor die Augen zu legen, und es ist nicht erträglich, wenn man im Herrenhause nun nicht nur das Bestehende bewahren will, sondern wenn in einer politisch so gespannten Atmosphäre wie in derjenigen, in der wir uns heute befinden, ein Mitglied des Herrenhauses nun unbekümmert um alle Fensterscheiben, die es einschlägt, von einer Reform des Reichstagswahlrechts in seinem Sinne spricht, wenn es glaubt, hier diesem Reichstag sagen zu müssen, daß das deutsche Volk einen besseren Reichstag verdient hätte, wenn es davon spricht, daß hier ein Reichsoberhaus zur Kontrolle über diesen Reichstag bestellt werden müßte, über diesen Reichstag, meine Herren, der, als der Weltkrieg begann, sich selber seiner Rechte begeben hat, in dem vollen Bewußtsein, daß es jetzt zunächst darauf ankäme, die Rechte der Regierung zu stärken, der nicht danach gefragt hat, ob dadurch Schwierigkeiten für ihn selbst entständen, ob ihm dadurch das Recht der Kritik eingeschränkt würde, sondern der alles auf die eine Formel stellte, der Regierung soviel Gewalt wie möglich zu geben, um ihr die Möglichkeit zu verschaffen, diesen Krieg zum siegreichen Ende zu bringen.

Meine Herren, es ist ein sehr gefährliches Wort, das Wort vom militärischen Absolutismus. Meine politischen Freunde sind der Meinung, daß vieles, was wir allein unter dem Gesetz über den Belagerungszustand erlebt haben, unerträglich ist, überhaupt für den einzelnen noch weiter zu dulden. Wir haben bei den Verhandlungen über Elsaß-Lothringen und über die Schutzhaftfälle schon Einzelheiten erfahren, die rein vom menschlichen Standpunkt aus einem manchmal das Blut in den Adern erstarren ließen darüber, wie wenig Verständnis für die magna charta der persönlichen Freiheit bei manchen militärischen Stellen vorhanden ist, wie man rücksichtslos über den einzelnen hinwegging, als wenn ihm nicht zugleich mit den Pflichten als Staatsbürger auch das Recht seiner Person durch die Verfassung und ihre Befolgung gewährleistet sein müsse. Meine Herren, den Schutz der persönlichen Freiheit gegen Willkür predigen uns heute manche Verhältnisse so eindringlich, daß ich nicht verstehe, wie man demgegenüber als ein Allheilmittel gegen Schwierigkeiten, die sich ergeben könnten, an den militärischen Absolutismus hier irgendwie appellieren kann. Unterschätzen Sie das eine nicht und mißverstehen Sie es nicht: das Volk liebt das Heer und vergöttert seine siegreichen Heerführer, will aber nichts von militärischem Absolutismus wissen.

Meine Herren, ich finde es sehr bedauerlich, wenn ohne Veranlassung auch der preußische Herr Landwirtschaftsminister glaubte, sich an dem Reichstag reiben zu müssen. Der Herr Landwirtschaftsminister ist von dem Herrn Kollegen Scheidemann angegriffen worden. Das hat er mit dem Herrn Kollegen Scheidemann und seiner Partei auszumachen. Es ist sein gutes Recht, sich dagegen zu wehren. Es liegt aber keine Veranlassung vor, bei dieser Gelegenheit vom Deutschen Reichstage zu sagen: Gott sei Dank, daß der Reichstag noch nicht in der Lage ist, preußische Staatsminister abzusetzen. Zunächst ist Herr Kollege Scheidemann nicht der Deutsche Reichstag; enden aber die Dinge so, daß der gesamte Deutsche Reichstag in vollem Widerspruche zu den Ansichten eines preußischen Staatsministers stände, dann wäre das jedenfalls ein so wenig wünschenswerter Zustand, dann gäbe das zu derartigen Reibungen Veranlassung, daß es schwerwiegender zu betrachten und mit mehr Ernst zu erledigen wäre als mit einer so wegwerfenden Bemerkung über die Vertretung des deutschen Volkes. Der Herr Reichskanzler hat den Reichstag gegen die Angriffe verteidigt, die gegen ihn gerichtet worden sind, und wir danken ihm dafür. Wir können nur mit Bedauern sehen, daß heute wieder gewisse partikularistische Strömungen an die Oberfläche kommen; wir bekämpfen sie, ob sie nun im Süden oder im Norden entstehen. Wenn aber irgend etwas aus diesem Sturme des Weltkrieges gefestigt hervorgeht, so ist es der deutsche Reichsgedanke, so ist es der Gedanke, daß dieses Reich, diese Zentralgewalt, in der großen Zeit, in der wir dem Ansturm der halben Welt gegenüberstehen, gestärkt aus diesen Tagen hervorgehen müsse. Deshalb freuen sich meine politischen Freunde über die Entscheidungen, die in der Kanalfrage gefallen sind, sie freuen sich auch der Entscheidungen in Eisenbahnfragen, und sie sind der Meinung, daß auch die Bundesstaaten verstehen müssen, daß ihre Stellung gegenüber dem Reiche doch die des untergeordneten Faktors sein muß. Wenn wir das aussprechen, meine Herren, so wollen wir dabei keineswegs verkennen, daß unsere bundesstaatliche Verfassung, zu der sich ja das Herrenhaus überflüssigerweise ausdrücklich bekannt hat, auch für uns dasjenige ist, auf dem unsere Reichsverfassung beruht. Was die Bundesstaaten uns bedeuten: ihre Stätten als Kulturzentren für das deutsche geistige Leben, das wollen wir erhalten, wir wollen in jeder Weise daran mitarbeiten, die schwierige Stellung, in der sie sich nach diesem Kriege befinden, zu befestigen. Aber darüber wollen wir keine Zweifel lassen: erst kommt das Reich, und der Reichsgedanke steht uns höher als bundesstaatliches Empfinden.

Aber wir wollen auch darüber keinen Zweifel lassen: Die neue Zeit fordert ihr neues Recht. Wenn wir wieder einen Fehler machen würden in der inneren Politik, wie er im Jahre 1815 gemacht worden ist, dann würde das uns und unsere zukünftige Entwicklung auf das allerschwerste schädigen. Wir freuen uns der Ausführungen, die der Herr Reichskanzler im preußischen Abgeordnetenhause gemacht hat unbeschadet der Stellungnahme zur auswärtigen Politik, in der wir nicht immer einer Meinung mit ihm waren. Ich glaube, es gibt jetzt niemanden unter uns, der sich nicht herzlich des Bekenntnisses gefreut hätte, das innere Erleben dieses Weltkrieges umzusetzen in eine Neuordnung der Dinge in der Zukunft. Aber wir sind der Meinung, daß man damit nicht zu warten braucht bis zu der Zeit nach dem Kriege. Ich bin mir dabei bewußt, daß das im Widerspruch steht zu der Haltung, die wir bisher eingenommen haben. Aber ich kann das eine sagen: wenn wir bei Beginn des Krieges, wenn wir in einzelnen Abschnitten der Verhandlungen des Reichstags mit dem Reichskanzler der Meinung waren, daß diese Fragen hinter die kriegerischen Verhältnisse zurückzutreten haben, so hat uns dabei stets die Hoffnung vor Augen gestanden, daß dieser Krieg ein frühes Ende nehmen werde. Nun aber stehen wir vor der Tatsache, daß er uns die größten wirtschaftlichen Umwälzungen gebracht hat, daß wir Opfer verlangen müssen, die man früher für unerträglich gehalten hat, daß aber – nicht im Zusammenhange mit diesen Opfern – jetzt Fragen der Klärung zudrängen, von denen wir nicht verstehen, weshalb sie nicht auch während der Kriegszeit gelöst werden können. Deshalb ist es die Meinung meiner politischen Freunde, es ist die Meinung meiner Fraktion, daß die Zeit gekommen ist, um an eine Neuordnung der Dinge in Deutschland und seinen Bundesstaaten heranzugehen. Darin befinden wir uns, wie ich glaube, jetzt in Übereinstimmung mit dem Herrn Reichskanzler. Ich glaube, der Herr Reichskanzler hat seine Auffassung auch geändert. Während er uns früher sagte, daß das alles erst nach dem Kriege geschehen solle, hat sein Vertreter im Herrenhause, Herr v. Breitenbach, zum Ausdruck gebracht, daß in bezug auf die polnischen Enteignungsgesetze die Staatsregierung in Erwägung eingetreten sei, um sie zu ändern. Ich nehme nicht an, daß in einer so hochpolitischen Frage, wie der polnischen, die Worte »in Erwägung treten« rein formal gemeint sein sollen. Das kann nur bedeuten, daß wir auf diesem Gebiete in eine Neuordnung eintreten wollen. Wenn dies eintreten soll und kann während des Krieges auf dem Gebiete des Enteignungsgesetzes, dann ist nicht einzusehen, warum es nicht auch eintreten kann auf anderen Gebieten, ist nicht einzusehen, warum nicht auch in dem führenden Bundesstaate im Reiche die Frage der Stellung des Parlaments zur Reichsregierung, die Frage des Wahlrechts gelöst werden kann. Selbstverständlich, meine Herren, nicht in dem Sinne der Anträge à la Bernstein und Genossen. Dann könnte ja jeder von uns sein Parteiprogramm in Druck geben und als Antrag einbringen. Nein, das liegt uns ganz fern, daß jetzt nun die Programme der einzelnen Parteien auf ihre Durchführbarkeit in allen verfassungsrechtlichen Fragen durchgeprüft werden sollen. Aber wir betrachten es als Pflicht und Aufgabe des Parlaments, die großen staatsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragen schon jetzt zu behandeln, zu denen die Gegenwart auffordert. Diese Fragen werden ja auch aufgerührt durch den fortschrittlichen Antrag und andere Anregungen, beispielsweise das von dem Herrn Abgeordneten Noske erwähnte Gebiet der Änderung der Reichstagswahlkreise, der Änderung vielleicht überhaupt derjenigen Zusammensetzung des Hauses, wie sie sich heute auf Grund der alten Bevölkerungsziffer ergibt. Ich darf darauf hinweisen, daß meine politischen Freunde in einem Antrage Bassermann schon früher eine Neuordnung der Reichstagswahlkreise verlangt haben.

Es ist aber auch die Frage zu prüfen, ob das System der Verhältniswahl nicht überhaupt in ganz anderer Weise unserem politischen Leben der Gegenwart entspricht, ob nicht für das Reich das System der Kreiswahlen, die ein Verhältnis zwischen Abgeordneten und Kreis voraussetzen, das für den Landtag in allen den Fragen, die dort zur Beratung stehen und die vielfach lokaler Natur sein mögen, gegeben ist, an seiner Bedeutung einigermaßen eingebüßt hat bei einem Parlament, das die großen Fragen der Außenpolitik, der Wirtschaftspolitik, der sozialen Gesetzgebung, der großen Verfassungsgesetze berät, bei denen das Interesse des einzelnen Kreises gar nicht in Betracht kommt. Wir würden uns allerdings dagegen wehren, einen Schematismus einzuführen, der das ganze Reich als einen einzigen Wahlbezirk ansieht. Aber die Frage zu prüfen, inwieweit den handgreiflichen Ungerechtigkeiten, die heute in dieser Beziehung bestehen, dadurch Abhilfe geschaffen werden kann, daß die Provinzen Preußens und die einzelnen Bundesstaaten des Reichs als große Wahlbezirke anzusehen sein würden, die ihrerseits dann die Abgeordneten in den Reichstag entsenden, das scheint uns doch wünschenswert einmal zu erörtern. Wir werden weiter die Frage der Verantwortlichkeit der Reichsminister, der Neugestaltung der Stellung der Staatssekretäre etwa in ähnlicher Weise, wie sie beispielsweise in England besteht, wo auch die Staatssekretäre den Weisungen des Premierministers zu folgen, aber bei den Amtshandlungen, die in ihren Amtsbereich fallen, die Verantwortung für sich zu übernehmen haben, zu prüfen haben, ebenso die Frage, wieweit überhaupt das Verhältnis der Volksvertretung zur Regierung auf eine andere Grundlage zu stellen ist.

Meine politischen Freunde haben niemals das parlamentarische System als Parteiforderung erhoben. Wir haben darüber sehr lebhafte Auseinandersetzungen in unseren eigenen Reihen. Aber die Erfahrungen des Weltkrieges müssen uns doch zur Überprüfung unseres Regierungssystems veranlassen. Es erscheint mir auch fraglich, ob wir das Recht haben, auf die demokratisch regierten Länder gewissermaßen herabzusehen, als wenn sie nicht in der Lage wären, die Aufgaben, die sie sich staatlich gestellt haben, ebenso zu erfüllen wie wir. Aus der Debatte des Herrenhauses klang ein Entsetzen heraus über die Begriffe, parlamentarisches System, Stärkung der Rechte des Parlaments. Man sagte, das bringe die Kronrechte in Gefahr, und führe zur Republik. Bestenfalls spricht man auch in unseren bürgerlichen Kreisen davon, daß das ein System der Gleichmacherei, ein System der Advokatenregierung wäre, das schließlich zu innerer Fäulnis und zum Niederbruch führte. Wenn das richtig wäre, dann müßte Frankreich in diesem Weltkrieg schon längst niedergebrochen sein. Wenn das richtig wäre, dann hätten wir nicht so um unser Leben mit England zu ringen. Wenn das richtig wäre, dann könnten doch die Dinge nicht so gegangen sein, daß England ein großes System von Bündnissen mit allen möglichen Völkern gelingt, während wir Völker als Gegner gegen uns fechten sehen, mit denen wir mehr als drei Jahrzehnte hindurch verbündet waren, so daß wir schließlich den Krieg diplomatisch verloren hatten, als er militärisch erst begann.

Nein, meine Herren, die Dinge liegen doch so, daß wir in diesem Weltkrieg haben erleben müssen, daß das parlamentarische System einen engen Kitt und Zusammenhang zwischen Volk, Regierung und Staat schafft, wie ich das im Frieden für die Zeit eines die Grundlagen der Staaten erschütternden Krieges nicht für möglich gehalten hätte. Es scheint mir auch, daß die politischen und diplomatischen Amateure, die aus diesem System hervorgingen, unseren zünftigen Diplomaten an diplomatischer Geschicklichkeit nicht nachgestanden haben, daß wir aber sehen müssen, daß ihnen auch in der Organisation ihres eigenen Landes Erfolge beschieden gewesen waren, die uns zu großen Kraftanstrengungen zwangen, um uns den Sieg nicht aus den Händen gleiten zu lassen.

Meine Herren, ich bitte mir da zu gestatten, auch auf eins hinzuweisen, was unser verehrter Führer Bassermann wiederholt in unserem Kreise ausgeführt hat, wenn er über diese Ideen sprach. Das ist der große Gegensatz in den letzten Jahrzehnten, der in Deutschland besteht zwischen der gewaltigen Entwicklung unserer Wirtschaftskräfte und unserer geistigen Potenzen im Innern auf der einen Seite und den damit nicht Schritt haltenden politischen Erfolgen auf der anderen Seite. Dieses Deutschland hat in seinen letzten Jahrzehnten diese gewaltige wirtschaftliche Entwicklung durchgemacht, steht an der zweiten Stelle des Welthandels, ist das erste Industrieland der Welt. Seine Industriekapitäne, Persönlichkeiten ersten Ranges, überall wo sie bekannt sind, weit über unsere Grenzen hinaus als solche anerkannt, unsere Technik, unsere Chemie, unsere Geisteswissenschaften, auch unsere Landwirtschaft in bezug auf das, was sie dem Boden mehr abringt – alles an der Spitze der Entwicklung. An Persönlichkeiten kann es uns also doch in Deutschland nicht fehlen, und trotzdem sehen wir, daß gegenüber dieser glanzvollen Entwicklung, die doch schließlich den Neid der anderen hervorrief, die politischen Vorteile meist auf seiten unserer Gegner waren, daß sie es ganz anders verstanden, sich Sympathien zu erwerben, daß sie es verstanden, uns einzukreisen, daß wir einen Existenzkampf kämpfen müssen, wie wir ihn heute hier durchmachen. Wenn wir gegenüber dieser glanzvollen Entwicklung im Innern doch politische Niederlagen nach außen und im Innern trotz unserer vorbildlichen Sozialpolitik ein stetiges Anwachsen der radikalen Elemente sehen, dann muß irgendwo ein politischer Systemfehler sein, und dann muß man einmal nachforschen, ob es da nicht Dinge gibt, die der Änderung bedürfen. Dann kommt man über so große Fragen nicht mit dem Satz hinweg: Hand weg von dem alten Preußen!

Meine Herren, wo diese Fehler lagen, das ist ja heut auch von anderen Rednern gesagt worden, ist auch von uns oft zum Ausdruck gebracht worden: Dieses mangelnde Verständnis für die Seelenstimmung anderer Völker, das mangelnde Verständnis für die Seelenstimmung des eigenen Volkes, mangelndes Verständnis für die Wirkung politischer Maßnahmen; glänzende Ressortminister, die eine vorzügliche Ressortarbeit leisten, denen aber manchmal der politische Blick mangelt. Das Fideikommißgesetz – habe ich mir sagen lassen – sei juristisch ein Meisterwerk, aber politisch war es das Unsinnigste, was in diesem Augenblick das Licht der Öffentlichkeit erblicken konnte. Wenn bei uns ein engerer Zusammenhang zwischen Parlament und Regierung bestünde, dann wäre es doch das geringste gewesen, was noch gar nichts mit parlamentarischem System zu tun hat, daß der Herr Reichskanzler einmal die Parteiführer zu sich kommen läßt und ihnen sagt: ich habe die Pflicht, in nächster Zeit grundlegende Gesetze dem Parlament vorzulegen; ich möchte mit Ihnen Fühlung nehmen, ehe ich es tue, damit ich die politischen Wirkungen abschätze. Wenn ein solches Zusammenarbeiten stattfindet, wenn auch ein Parlament gestärkt wird, so daß nach außen hin die Verantwortung mehr auf seinen Schultern ruht, dann sehe ich darin keine Schmälerung der Rechte der Regierung, auch keine Schmälerung der Kronrechte. Kein Monarch ist stärker nach außen hin als derjenige, der darauf hinweisen kann, daß hinter ihm und seiner Regierung die Mehrheit seines Volkes steht. Daß Deutschland für eine Entwicklung in der Richtung der Stärkung parlamentarischer Rechte nicht reif wäre, das, meine Herren, kann doch niemand behaupten. Die Erziehungsarbeit des Krieges hat uns auch politisch weitergebracht. Die Menschen draußen und die Menschen drinnen haben nun bald drei Jahre lang Zeit, von Tag zu Tag nachzudenken über das Verhältnis des einzelnen zum Staat. Sie haben ihre Pflicht als Staatsbürger erfüllt, sie haben manchmal Unerträgliches ertragen, weil der Staatsgedanke in ihnen mächtig war. Und wenn man fürchtet, daß irgendwie in diesem Parlament vielleicht gerade nach diesem Kriege sich große demagogische Kräfte geltend machen könnten, die auch gegen das Altbewährte anstürmten, dann umgürte man das Parlament mit größerer Verantwortlichkeit, und man wird die Demagogie zum Teufel jagen. Wer für das, was er zu vertreten hat, verantwortlich ist, ist in ganz anderer Weise fähig, Gesetzesarbeit zu tun, als wenn jemand, unverantwortlich, in der Lage ist, Opposition zu machen, ohne jemals in die Lage versetzt zu werden, das von ihm theoretisch Vertretene auch praktisch zu vertreten. Weil diese Fragen unserer Meinung nach alle im Fluß sind, dazu drängen, daß wir uns mit ihnen beschäftigen, weil die Regierung nicht die Initiative ergreift und sie deshalb der Reichstag ergreifen muß, deshalb haben wir auch unseren Antrag auf Bildung eines Verfassungsausschusses gestellt. Wir bitten, an diesen Verfassungsausschuß diejenigen Anträge zu verweisen, die sich auf die Fragen der Verfassung beziehen, und hoffen, daß wir in dem neuen Ausschuß nützliche praktische Arbeit werden leisten können.

Nun darf ich mit einigen Worten zu dem fortschrittlichen Antrage kommen, der sich auch mit den bundesstaatlichen Wahlrechten befaßt. Die Einzelheiten der bundesstaatlichen Wahlrechte werden wir den Parlamenten dieser Bundesstaaten überlassen müssen. Aber, meine Herren, darüber ist für mich und meine politischen Freunde kein Zweifel: das preußische Wahlrecht ist eine deutsche Frage; es kann nicht lediglich unter preußischen Gesichtspunkten bewertet werden. Und ich sehe darin auch gar nicht etwas für einen Preußen Niederdrückendes. Nein, im Gegenteil, dieses Preußen ist so der Kern Deutschlands, daß alle Fragen, die Preußen angehen, auch Deutschland betreffen. Man möge in einem kleinen unbedeutenden Bundesstaate ohne Verfassung regieren, es mögen manche Unzuträglichkeiten bestehen; schließlich geht man darüber hinweg, weil große deutsche Aufgaben nicht berührt werden. Der größte Staat, der Kern Deutschlands in dem Staatengebilde ist Preußen. Was in ihm vorgeht, ob in ihm die Arbeiterschaft und wichtige Schichten des Bürgertums gebührende Vertretung finden, das ist eine Frage, die auch für unsere politischen Reichskämpfe von großer Bedeutung ist. Eines der größten Probleme in der Zukunft ist die Stellung der Sozialdemokratie zum Staatsgedanken. Daß für die Sozialdemokratie die Möglichkeit, auf der Basis der Politik vom 4. August zu bleiben, davon abhängig ist, wie die Dinge in Preußen laufen, das muß doch schließlich der Blindeste einsehen: Will man, daß diese Politik auf dieser Basis bleibt, dann kann man nicht an diesem Wahlrecht festhalten wollen, damit macht man jenen diese Politik unmöglich. Da aber schließlich unsere ganze innere Politik doch auch wieder davon mit berührt ist, ob eine Partei, die der Wählerzahl nach die stärkste ist, in die frühere Opposition zurückgeht oder sich zum Staatsgedanken bekennt, wie kann man angesichts dessen darüber zweifeln, daß das die eminentesten Fragen der deutschen Politik sind, die hier zur Debatte stehen? Ist doch auch, wie wir gesehen haben, die Beurteilung der Politik des Herrn Reichskanzlers von dieser Frage mit abhängig. Ich möchte ihm als preußischen Ministerpräsidenten doch den dringenden Wunsch aussprechen, diese große politische Reform sobald als möglich in die Wege zu leiten. Meine Herren, wenn irgendwo zwischen Staat und Volksvertretung und den verschiedensten Parteien Spannungsmomente bestehen, dann tut man gut, wenn man sich einmal zu großen politischen Reformen bekennt, auch selbst kühn die Initiative zu ergreifen. Je eher man das tut – um so eher ist auch der preußische Ministerpräsident in der Lage, Bestrebungen, die seiner Meinung nach gegen das Staatsinteresse verstoßen, die zu weit gehen, entgegenzutreten, als wenn er derjenige ist, der sich der Initiative anderer gegenüber sieht und dem man für seine Initiative Dank nicht mehr schuldig ist.

Die nationalliberale Partei und insbesondere ihre preußische parlamentarische Vertretung hat die Reform des preußischen Wahlrechts seit Jahren gefordert; sie wird daran mitarbeiten und erwartet davon eine Freimachung der Kräfte im Innern. Ich darf auf die Haltung meiner politischen Freunde verweisen, die auch besonders in der Reform des preußischen Herrenhauses erst kürzlich durch den Antrag Friedberg nach anderer Richtung die Initiative ergriffen haben. Wir wünschen eine Neuordnung der Dinge über diese Fragen hinaus darin, daß wir als die Grundlage einer solchen Neuordnung die Gleichberechtigung aller Parteien in Staat und Verwaltung fordern. Wir vertreten stets den Grundsatz, daß die politische Überzeugung nicht Hinderungsgrund im Staate oder in der Verwaltung sein darf. Wir verlangen diese Freiheit nicht für uns allein, obwohl es auch bitter zu ertragen ist, zu sehen, wie die großen geistigen Kräfte des liberalen Bürgertums in der preußischen Verwaltung bisher mißachtet worden sind, obwohl sie doch mit die Träger der wirtschaftlichen und geistigen Entwicklung Preußens gewesen sind, wie sie in einem großen Teile Preußens nicht die Möglichkeit hatten, auch nur den kleinsten Landratskreis zu verwalten, geschweige denn davon, daß sie etwa an der Spitze von Provinzen oder großen Bezirken standen. Auch im Kreise meiner politischen Freunde ist mit Bedauern festgestellt worden, daß bei der Besetzung der Stellen in den okkupierten Gebieten das alte preußische System der Einseitigkeit vielfach angewandt worden ist, daß wir da den Grundsatz: »Freie Bahn dem Tüchtigen« nicht in der Weise in die Praxis überführt sahen, wie uns das vorschwebte. Aber wir fordern die Gleichberechtigung nicht nur für uns. Wo die Sozialdemokratie berufen ist, in Staat und Verwaltung mitzuarbeiten, da sollte sie ebenfalls willkommen sein. Wir verstehen nicht, warum man auch hier die Intelligenzen brachliegen läßt, die schon vorher in den Friedensjahren für das Reich nützliche Arbeit hätten tun können.

Es muß mit dem Standpunkt gebrochen werden, daß zum Beispiel in einem Reichsamt ein Mann nicht sein kann, weil er Sozialist ist. Warum soll ein Mann wie Calver nicht Präsident des Statistischen Amts sein können, warum ein Mann wie Schippel nicht an der Vorbereitung der Handelsverträge mitarbeiten können? Wir sehen, daß jetzt zum Beispiel Dr. August Müller mit Herrn v. Batocki zusammenarbeitet. Wer hätte früher daran gedacht, daß in einem großen Reichsamt der Vertreter der sozialdemokratischen Konsumvereine – irre ich nicht –, des Zentralverbandes der sozialdemokratischen Konsumvereine, mit einem ostpreußischen Oberpräsidenten zusammenarbeiten konnte? In dem Augenblick, wo diese Mitarbeit gesichert wird, werden wir in den großen Fragen, die uns in der Zeit nach dem Kriege bevorstehen und die vielleicht zu heftigen Erschütterungen im Innern führen können, werden wir diese Fragen viel reibungsloser erledigen, als wenn wir starr an den Prinzipien festhalten, die nicht mehr aufrecht zu erhalten sind.

Der Herr Staatssekretär hat dem Herrn Kollegen Gröber auf seine Anfrage zugesagt, daß volle Parität zwischen Katholiken und Protestanten gewährleistet werden solle. Das entspricht durchaus der Auffassung meiner politischen Freunde. Wir wünschen, daß diese ganzen konfessionellen Grundsätze aus den Erwägungen der Besetzung der Ämter ausgeschaltet werden. Wir müssen aber auch von unserem liberalen Standpunkte das auch auf jeden ausdehnen, auch auf die Dissidenten, z. B. wenn sie es verdienen, Offizier zu werden, wenn sie ihre soldatische Pflicht getan haben. Der Dissident, der sich frei und offen dazu bekennt, daß er innerlich mit der Kirchengemeinschaft nicht übereinstimmt, ist mir sittlich höherstehend als derjenige, der um äußerer Vorteile willen nach außen sich zu einer Kirchengemeinschaft bekennt, mit der er im Innern längst gebrochen hat. Daß in bezug auf das Heer nur der gute Christ auch ein guter Soldat sei, sollte man angesichts des Preußens Friedrichs des Großen nicht zu behaupten wagen.

Meine Herren, wir glauben, daß wir mit diesen Anregungen in bezug auf die Neuregelung und den Ausbau unserer verfassungsmäßigen Rechte den besten Traditionen unserer Partei folgen. Der Herr Reichskanzler hat sein Wehe über den Staatsmann ausgesprochen, der die Zeichen der Zeit nicht beachtet. Meine Herren, dieselben Worte stehen in dem grundlegenden Programm der nationalliberalen Partei. Wir stehen mit diesen Anregungen auf dem Boden der nationalliberalen Partei. Ich erinnere an die Arbeit v. Bennigsens bei der Reichsverfassung, an die Stellung, die er eingenommen hat, als er die verantwortlichen Reichsminister forderte, ich darf hinweisen auf unsere Mitarbeit bei früheren – wie ich mit Herrn Müller-Meiningen anerkenne – kleineren Fragen der Geschäftsordnung, hinweisen auch auf die Frage der Schaffung eines ständigen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. Ich darf hinweisen auf die Initiative unserer preußischen Freunde zur Reform des preußischen Herrenhauses, die sich deckt mit der Initiative unserer sächsischen Freunde zur Reform der sächsischen Ersten Ständekammer. Meine Herren, wir glauben, namentlich in den großen Fragen: Heer, Flotte, Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik, bisher die richtigen Wege gegangen zu sein, die sich im Kriege bewährt haben. Wir glauben, daß in bezug auf die Fragen der Sozialpolitik eine Weiterführung auf dem Gebiete der Arbeiterschutzgesetzgebung innerhalb des Rahmens der Weiterentwicklung unserer Wirtschaftsinteressen einmal unerläßlich ist. Wir glauben aber zweitens, daß auf dem politischen Gebiet auch hier die Schranken fallen müssen, die einer freien Entwicklung der Arbeiter- und Angestelltenorganisationen entgegenstehen, in denen wir durchaus einen kulturfördernden Faktor erkennen, weil jede Bewegung für eine Höherhebung eines Standes letzten Endes eine Kulturarbeit am eigenen Volke ist. Wir werden allerdings auch stets für die Freiheit jeder Organisation eintreten und uns gegen jeden Terror wenden, der gegen den Grundsatz der Organisationsfreiheit verstößt.

Meine Herren, wir sind auch bereit, unsere Ansichten da zu revidieren, wo der Weltkrieg nach anderer Richtung neue Bahnen erfordert. Wenn das Jesuitengesetz fällt, wenn wir darüber mitzubestimmen aufgerufen werden, dann werden meine politischen Freunde, wie ich annehme, sich nicht dafür einsetzen, daß dieses Ausnahmegesetz weiter besteht. Wir sind damit einverstanden, daß in bezug auf das Enteignungsgesetz und bei anderen damit in Zusammenhang stehenden Fragen aus den Erlebnissen, die uns der Weltkrieg gebracht hat, die Folgerungen gezogen werden. Denn nichts würden wir mehr begrüßen, als eine Heilung der konfessionellen Zerklüftung in unserem Vaterlande, nichts mehr als ein einheitliches Zusammengehörigkeitsgefühl aller Bürger des Reichs, unbeschadet ihrer Sprache und ihrer Nationalität.

Meine Herren, es sind vielfach neue Wege, die wir beschreiten wollen. Wir fürchten uns nicht vor ihnen. Das natürliche Gefühl des Volkes bahnt sich diesen Weg. Ich darf mich auch hier auf Treitschke berufen, der einmal ausgesprochen hat, daß es Zeiten gibt, in denen das natürliche Gefühl der Massen eine Macht wird im Leben des Staates. Wir wünschen, daß das natürliche Gefühl der deutschen Massen nicht nur eine Macht im Staate wird, sondern eine Macht in der Hand des Staates, daß Staat und Volk zu einer Einheit sich zusammenschweißen, daß wir mit der philisterhaften Ansicht aufräumen müssen, daß der einzelne Bürger der gegebene Gegner des Staates sei, daß wir vielmehr den Staatsbürger fühlen und empfinden lassen, daß er ein Glied des Staates ist, dessen Vorwärtsschreiten ihn ebenso vorwärts bringt, wie sein Niederbruch seinen eigenen Niederbruch herbeiführt. Das ist aber nur möglich, wenn Regierung und Volksvertretung und Volk ein einheitliches Ganzes bildet, nur möglich, wenn das Volk nicht die Empfindung hat, daß eine Kluft besteht zwischen der Regierung und dem in den Parlamenten nicht genügend zum Ausdruck kommenden Volke. Überbrücken Sie diese Kluft, dann wird das Staatsgefühl des deutschen Volkes, das sich in diesem Kriege so herrlich bewährt hat, das sicherste Fundament werden für unsere gesamte deutsche Zukunft.



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