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Zum fünfzigjährigen Bestehen der Nationalliberalen Partei

Rede, gehalten bei der in der Wandelhalle des Reichstages veranstalteten Gedenkfeier am 28. Februar 1917

 

Verehrte Parteifreunde! Die Rede unseres verehrten Parteiführers Friedberg war in das Meer der Erinnerungen getaucht. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, über Gegenwart und Zukunft unserer Partei zu sprechen, und doch muß ich zuerst der Vergangenheit gedenken, denn auch in den politischen Parteien baut sich die Gegenwart auf dem geschichtlich Gewordenen auf.

In der heutigen waffenklirrenden Zeit steht für uns zunächst die Frage auf, ob wir daran mitgewirkt haben, die Waffen für den Verteidigungskampf zu schmieden. Ohne Selbstlob, aber mit ruhigem Gewissen können wir diese Frage bejahen. Nach zwei Richtungen hin hat die Nationalliberale Partei diese Gegenwartsarbeit geleistet. Ihre ganze Lebensarbeit war Erziehungsarbeit am deutschen Volke. Wir sind in unserer Nationalliberalen Objektivität vielleicht sogar, wenn wir der Vergangenheit gedenken, manchmal zu sehr geneigt, das zu unterschätzen, was an nationalliberaler Arbeit in der Geschichte des deutschen Volkes steckt. Wir nennen Bismarck den Reichsgründer und wissen, daß wir seiner genialen Diplomatie, daß wir seiner Politik von Blut und Eisen die Einheit in erster Linie verdanken. Aber vergessen wollen wir doch nicht, daß die Grundlage für dieses einige Deutsche Reich das deutsche liberale Bürgertum gelegt hat, daß die Grundlage gelegt worden ist von den Männern des Nationalvereins, die das unsterbliche Verdienst haben, den Gedanken der Einheit Deutschlands so fest in die Herzen und Hirne in Süd und Nord hineingehämmert zu haben, daß aus der Schlacht von Sedan das einige Reich entstehen konnte, daß Bismarck der Testamentsvollstrecker dieser liberalen Gedanken zu werden vermochte.

Wie diese Arbeit der Erziehung zur Einheit, diese Überwindung der in uns Deutschen steckenden partikularistischen Eigenart unsere Arbeit gewesen ist, so haben wir auch für die Gegenwart des gewaltigen Weltkrieges unsere Erziehungsarbeit geleistet. Wir haben dem deutschen Philister die Schlafmütze von den Ohren gezogen, wir haben sein Gewissen als Staatsbürger erweckt, wir haben bewußt eine Anteilnahme des Volks an den großen Fragen der Auslandspolitik verlangt.

Friedberg hat vorhin darauf hingewiesen, daß der große Kanzler dem Parlament nur einen geringen Einfluß auf die Fragen der Auslandspolitik vergönnte. Er hat uns getadelt, daß wir in der Caprivischen Zeit nicht verstanden haben, auf die Entwicklung der auswärtigen Politik mehr acht zu geben. Ich darf wohl für uns in Anspruch nehmen, daß für die Jahre, die dem Weltkriege vorangingen, das, was mit Recht über die Caprivische Zeit gesagt worden ist, nicht mehr gilt. Unser Führer Bassermann, dessen wir soeben gedachten, war einer der ersten Parteiführer im Deutschen Reichstage, der Jahr für Jahr beim Etat des Auswärtigen Amtes sein Recht in Anspruch nahm, als Führer der Partei zu den großen Fragen der Auslandspolitik Stellung zu nehmen, und wenn wir heute seine Reden über Auslandspolitik lesen – – so manches hat er besser erkannt als diejenigen, die berufen waren, die deutsche Auslandspolitik zu führen! Er hat erkannt, daß die großen weltwirtschaftlichen Verflechtungen des Deutschen Reiches die Reibungsflächen vermehrten gegenüber denen, denen wir lästige Wettbewerber auf dem Weltmarkt geworden waren. Er hat erkannt, daß es zu einem ernsten Zusammenstoß kommen könnte, er hat auch erkannt, daß die neue Zeit neue Mittel verlangte für die Führung der auswärtigen Politik. Die Modernisierung unserer Diplomatie, die Verbesserung des Nachrichtendienstes – – wie oft sind diese Forderungen in seinen Ausführungen zum Ausdruck gekommen. Wie oft ist aus seinem Munde das Wort ertönt, das der Reichskanzler in der Gegenwart wieder übernommen hat, das er in die Form gebracht hat: Freie Bahn dem Tüchtigen, das in dieser oder anderer Formulierung so oft von uns zum Ausdruck gekommen ist, wenn beispielsweise Bassermann einmal sagte, daß das Volk ein Recht darauf hätte, von den Fähigsten der Nation regiert zu werden und nur von diesen, unbeschadet um Rang und Titel, unbeschadet um diejenigen Sphären, aus denen sie entstiegen waren.

Wir dürfen für uns in Anspruch nehmen, daß wir den Begriff des Auslandsdeutschtums und seine Verflechtung mit der Heimat erkannten, daß wir für Schule und Erziehung da draußen in der Welt, wo Deutsche waren, nicht nur die Mittel bereitgestellt haben, sondern daß wir hinausgingen über das, was man in Kärglichkeit und Kleinlichkeit seitens des Reichs für diese großen Fragen zur Verfügung stellte.

Wer einmal von uns, wie der Kollege van Calker, der Kollege List, der Abgeordnete Bassermann und andere, im Orient war, der empfindet es doch manchmal mit brennender Scham, daß wir mit unseren türkischen Bundesfreunden uns auf französisch unterhalten müssen, weil dieses Deutsche Reich nicht großzügig genug war, mehr als 26 deutsche Schulen in einem Lande zu unterhalten, in dem Frankreich 546 Schulen zur Pflege französischer Kultur unterhalten hat.

Man hat unsere Politik auf diesem Gebiete eine imperialistische genannt. Über das Wort mag man streiten, aber ich glaube, das eine prägte sich in dieser Äußerung aus, daß wir nie begriffen, warum England überall ein Gibraltar, Deutschland aber nirgends eine Kohlenstation für seine Flotte, nirgends einen Schutz für seinen gewaltigen Welthandel haben durfte. Wir begriffen den großen deutsch-englischen Gegensatz. Wir nahmen Stellung zu der Frage in unserem deutschen Volk: Pazifismus oder Rüstung?, und wir beantworteten diese Frage in dem Sinne, daß wir eine Rüstung schufen, die uns in die Lage setzen sollte, auch dem stärksten Anprall zu widerstehen. Hierzu gehören alle Fragen, die uns heute vielleicht allzuschnell als Selbstverständlichkeiten erscheinen, was gar nicht immer so selbstverständlich ist, unser Kampf für Heer, für Flotte, für Kolonien. Ist es denn schon so lange her, daß man uns angriff wegen unserer »uferlosen Flottenpläne«? Sollen wir denn die Augen davor verschließen, wie ein Bismarck noch hat kämpfen müssen für die Entwicklung des kolonialen Gedankens, wie früher wegen kleiner Heeresvorlagen an das Volk appelliert wurde, wie die Entwicklung gewesen ist bis zu jener Zeit, wo die letzte große Wehrvorlage mit ihrer damals unerhörten Forderung von einer Milliarde mit großer Mehrheit und fast ohne aufregende Debatte vom Reichstag bewilligt wurde? Wir dürfen dabei das eine sagen: diese letzte Wehrvorlage, dieses letzte Glied in der Rüstung unseres Landheeres hat nicht der Kriegsminister v. Heeringen dem deutschen Volke gebracht, das hat in erster Linie mit die Nationalliberale Partei gebracht, das hat Bassermann gebracht, der damals von Ost nach West, von Süd nach Nord zog, Sonntag für Sonntag, um zu predigen, daß es nicht so weiter ginge mit der Vernachlässigung der Rüstung des deutschen Volkes. Deshalb können wir das eine von uns sagen, daß wir unsere Pflicht getan haben gegenüber dieser großen Forderung der Gegenwart.

Und auf ein anderes wies Friedberg hin. Was war es denn, das uns in der Vergangenheit zerriß und ohnmächtig machte? Das war die Hilflosigkeit der alten nationalliberalen Partei, von ihren: nationalen und liberalen Standpunkt aus einen Standpunkt zu finden, von dem aus man auch so etwas treiben konnte wie nationalliberale Wirtschaftspolitik. Das Heidelberger Programm, das vielgerühmte, war doch ein negatives, bestand eigentlich darin, daß diese Fragen von der Partei ausgeschieden werden sollten. Ist es nicht für uns in der Gegenwart ein beruhigendes Bewußtsein, daß wir aus diesem Gebiete die Freiheit nicht mehr brauchen, weil wir die Einheit in der Beurteilung dieser großen Fragen gefunden haben? Ist es für uns nicht auch eine tiefe innere Befriedigung, daß bei dem letzten großen gesetzgeberischen Werk über die deutsche Wirtschaftspolitik die Nationalliberale Fraktion der Kern des Wirtschaftsblockes war, der uns zu dem Zolltarif und zu den Handelsverträgen brachte, die uns in die Lage versetzt haben, auch einem Aushungerungskrieg Englands zu begegnen? Damals hat Fürst Bülow im Reichstag gesprochen von den zwei Leuchttürmen, zwischen denen die deutsche Wirtschaftspolitik hindurchsteuern müßte, das sei einmal die Erhaltung der vollen Leistungsfähigkeit unserer Landwirtschaft und ihre Fortentwicklung, das sei zweitens die Erhaltung und Fortentwicklung unseres großen Außenhandels. Als Phrase ist das damals belacht worden und hat sich doch als Wirklichkeit erwiesen. Das unlösbare Problem war lösbar, die produktiven Kräfte im Innern wie die gewaltigen Kräfte, die nach außen strebten, gleichmäßig stark zu entwickeln. Damals kamen aus den großen Städten die heftigsten Proteste mancher Wähler, die uns vortrugen, was man heute den reinen Konsumentenstandpunkt nennt. Danken wir es unseren Führern in der damaligen Zeit, daß sie sich nicht beirren ließen, daß sie den richtigen Weg des Ausgleichs zwischen Stadt und Land, des Hindurchsteuerns zwischen den Extremen fanden, die uns entweder zu dem Zusammenbruch unserer Ernährungspolitik oder aber zu einem Zollkrieg mit anderen Ländern gebracht hätten.

Ein neues Problem ist aufgetaucht und reicht in unsere Gegenwart und leuchtet in unsere Zukunft: das ist das große Problem der deutschen Sozialpolitik. Die Nationalliberale Fraktion hat in den letzten Jahren treu gestanden in ihrem Bekenntnis zum Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter und Angestellten und hat treu gestanden in ihrem Bekenntnis zu einem Ausbau der deutschen Sozialpolitik. Sie hat dieses beides ebenso wenig zu bereuen, auch wenn der Dank nicht immer in den Stimmzetteln zum Ausdruck kam, wie sie es etwa zu bereuen hätte, daß sie sich immer gewehrt hat gegen irgendeine Politik der Ausnahmegesetzgebung gegen die Organisationen der deutschen Arbeiterschaft. Wenn wir heute auf dem Pluskonto unserer Entwicklung eine Versöhnung der Arbeiterorganisationen mit dem Staatsgedanken buchen können, wenn die Einheit des ganzen Volkes in der Mächtigkeit zum Ausdruck kam, wie wir sie erlebt und durchgehalten haben im Kriege, wenn es uns möglich gewesen ist, gegenüber den destruktiven Tendenzen des Geburtenrückganges trotzdem ein wachsendes Volk zu bleiben durch die Bekämpfung der Sterblichkeit, durch die gewaltige Entwicklung der Hygiene in den Großstädten, durch die gewaltige Entwicklung des Gesundheitszustandes unserer ganzen Bevölkerung, so sehen wir doch hier ein Stück Kulturarbeit im besten Sinne getan, an der wir unser Teil mit haben, dem wir uns nicht verschlossen haben, wenn auch manchmal Strömungen auftraten, die uns auf eine falsche Bahn zu lenken gedachten.

Wir haben endlich verstanden, in den großen Finanzfragen dem Reiche zu geben, was des Reiches ist, aber daneben auch den Standpunkt der sozialen Gerechtigkeit zu wahren. Das war der Kampf um die Erbschaftssteuer, der damals den Block sprengte, als dessen Kern wir uns betrachteten, der damals den Kanzler stürzte, dem wir nahe standen, in dem Kampfe, dem wir aber nicht ausweichen konnten, weil unser Gewissen nicht zuließ, diesem Gesichtspunkt der ausgleichenden Gerechtigkeit in den großen finanziellen Fragen nicht Rechnung zu tragen. Wir haben es wieder bewiesen bei den letzten großen Fragen um den Wehrbeitrag.

Man nannte uns und nennt uns manchmal draußen die Partei der Besitzenden. Vielleicht sind wir es in mancher Beziehung, obwohl es sich in den Parteibeiträgen nicht so ausspricht, wie man es erwarten sollte. Aber wenn wir die Partei der Besitzenden genannt wurden und es sind, so können wir doch das eine von uns sagen, daß wir auch stets das nobile officium des Besitzes anerkannt und unterstrichen haben, sich im Falle vaterländischer Not an die Front zu stellen, wo es sich um die Leistungen des Besitzes handelt.

So dürfen wir zusammenfassend sagen, daß wir die militärische Bereitschaft gesichert, die wirtschaftliche Grundlage für ein wachsendes landwirtschaftliches und industrielles Deutschland mit geschaffen, die sozialpolitische Versöhnung mit angebahnt haben, und können mit Genugtuung auf das Erreichte zurücksehen.

Und nun die Gegenwart des Tages. Diese Gegenwartsaufgabe kann sehr schwer parteipolitisch umschrieben werden, denn angesichts der gewaltigen Symphonie dieses Weltkrieges hat das Parteilied zu schweigen. Deshalb stand der Reichstag sehr wohl auf der Höhe der Erfassung der Situation, als er in den ersten Augusttagen 1914 sich selber zum Teil ausschaltete und die Befugnisse des Bundesrates erweiterte.

Trotzdem fordert auch diese Situation bei der Länge des Krieges unsere Wachsamkeit. Alles entwickelt sich jetzt bei uns zu Extremen. Wir sehen auf der einen Seite eine militärische Allgewalt, die die Grenzen überspringt und die vielfach zeigt, daß derjenige, dem alle Gewalt in die Hand gegeben wird, dazu neigt, Willkür zu üben, weil eine Kontrolle über seine Gewalt nicht geübt wird; wir sehen auf der anderen Seite eine Entwicklung zum Staatssozialismus, die vieles niederdrückt, die vieles in der Entwicklung hemmt, was in seiner freien Entwicklung uns erst die Größe des wirtschaftlichen Deutschland in der Gegenwart gegeben hat.

Demgegenüber war es unsere Aufgabe, der wir auch gerecht geworden sind, einzutreten für den Schutz der persönlichen Interessen gegen jede Willkür. Ich erinnere Sie an die Kämpfe um das Schutzhaftgesetz, ich erinnere Sie an die Kämpfe um die Freiheit der Meinungsäußerung gegenüber einer einengenden Zensur. Es war unsere Aufgabe, einzutreten für die Erhaltung der Einzelpersönlichkeit gegenüber einem Schematismus des Organisationsgedankens, der das Beste an Lebensfreiheit, an Lebensentwicklung auf wirtschaftlichem Gebiete in uns zu ersticken drohte.

Dazu kam die Fortsetzung der Erziehungsarbeit aus der Friedenszeit, kam ein Eintreten für die Kriegsziele, die Deutschlands Zukunft nur in seiner eigenen Stärke gewährleistet sah, ein Kampf gegen die Traumgebilde der Menschheitsversöhnung, das manche auf den Grundlagen des Verzichts und getrieben von deutscher Sentimentalität bis in die letzten Stunden noch aufrecht zu erhalten gedenken. Wir mußten es bekämpfen, nicht weil wir es als Ideal zurückwiesen, wir mußten es bekämpfen auf Grund der Erfahrungen, der einer Politik von 25 Jahren, die viele von uns miterlebt haben und die uns zeigte, daß alle die Träume und Illusionen, die manchmal die Besten der Deutschen dazu trieben, die Hand zur Versöhnung auszustrecken, uns nichts anderes eingebracht haben als den Haß der Welt und einen Weltkrieg, in welchem die Zahl der Feinde gegen uns immer größer geworden ist. Wenn durch Verzicht auf weltwirtschaftliche Expansion, wenn durch eine Politik der Versöhnung der Weltfrieden gewährleistet werden könnte und die Sympathie der Völker erworben werden könnte, dann müßte Deutschland das am meisten geliebte Land der Welt sein, denn nichts anderes ist der Inbegriff unserer Politik in dem letzten Vierteljahrhundert gewesen. Wer so aus einem Traum erwacht, wie wir erwachen mußten, der hat nicht mehr das Recht, weiter zu träumen, der muß aus den Illusionen hinaus den Blick in die harte reale Gegenwart richten.

Lassen Sie mich den Blick auch richten auf die Zukunft, die uns bevorsteht. Es erscheint mir sehr wahrscheinlich, daß dieser Riesenkörper Deutschlands nach der Revolutionierung der Geister durch diesen Weltkrieg noch schwere Erschütterungen aushalten muß. Zweifeln wir nicht daran: dieser Krieg bringt uns ein anderes Volk, als es vor dem Kriege gewesen ist. Er hat in den Schützengräben eine politische Erziehungsarbeit geleistet, die Jahrzehnte übersprang in dem, was an solcher Arbeit bis dahin geleistet worden war. An der Front und hinter der Front ist das Verhältnis des einzelnen Bürgers zum Staat der Gegenstand jahrelangen Nachdenkens für Hunderttausende und für Millionen geworden. Nie ist dem Deutschen, der in jeder Stunde seinen Körper hinhalten mußte für Deutschland, so die Frage vorgelegt worden: was ist Dein Leben gegenüber dem Staatsgedanken?, wie in diesen Jahren. Nie ist den Menschen hinter der Front, auch den Frauen und Kindern die Frage: weshalb mußt Du leiden und Dich einschränken, weshalb ist dieser deutsche Gedanke größer als das Recht Deiner Einzelpersönlichkeit?, so vor Augen geführt worden als in diesem Weltkriege, der zum ersten Male nicht ein Kampf der Heere, ein Kampf der Flotten allein ist, der ein Kampf ganzer Völker gegen andere Völker ist, wie ihn die Welt noch niemals gesehen hat. Deshalb glaube ich, wird ein verächtliches Reden von Massen und von Masseninstinkten nach dem Kriege nicht mehr möglich sein. Ob das Wort gefällt oder nicht, das ich jetzt ausspreche, ich möchte es doch dahin aussprechen, daß nach dem Kriege eine große Welle demokratischen Empfindens durch Deutschland gehen wird, nicht im Sinne, daß das Volk sich demokratischen Parteien mehr als bisher zuwenden wird, aber es wird größere Achtung und Berücksichtigung seiner Volksempfindungen fordern, gleichgültig, ob es im gegebenen Moment sich gegen rechts oder gegen links wendet.

Das schließt den Einfluß starker Persönlichkeiten nicht aus. Kein Volk ist so geneigt wie das deutsche, Führernaturen zu folgen. Es verlangt nur, daß sie auch starke Führerqualitäten ihrerseits haben. Es ist nicht wahr, daß der Masseninstinkt nivelliere und lediglich Mittelgrößen aufkommen lasse. Kein Kaiser besaß ein größeres Vertrauen als Bismarck einst. Kein Kaiser besaß ein größeres Vertrauen als Hindenburg. Deshalb glaube ich, daß, wenn diese Grundempfindung der Millionen, daß sie als Volk mehr gewertet sein wollen als bisher, an uns herantritt, wir uns diesen Wünschen und diesem Streben nicht nur nicht zu widersetzen brauchen, sondern wir sollen Führer sein in dieser Entwicklung.

Die politische Vertretung des Volkes ist der deutsche Reichstag. Damit wirft sich die Frage nach seiner Stellung auf, eine Frage, lebhaft erörtert in unseren Reihen gerade in der letzten Zeit, eine Frage, auch auf die Formel gebracht: Kaisergewalt hier, Parlamentsgewalt dort.

Ich glaube nicht, daß man sie auf diese Formel bringen kann, sondern man zieht da auch Imponderabilien in unsere Betrachtung. Die Zeiten Friedrichs II., in denen ein Mensch den Staat durch seine Persönlichkeit überhaupt noch zu leiten vermochte, sind vorüber. Heute kann der Monarch nicht mehr der wirkliche Lenker des Staates sein. Was in ihm, in seinen Regierungsakten sich widerspiegelt, ist doch schließlich der Ausfluß der Beeinflussung, die auf ihn durch diejenigen ausgeübt wird, die ihm nahe stehen, und das sind nicht einmal immer seine verantwortlichen Minister. Ich meine, zwischen den beiden Gedanken: Ausstrahlung persönlich-monarchischer Gewalt, starker monarchischer Gewalt und Parlamentar-Gewalt liegen doch viele Nuancen, die die Möglichkeit geben, in der Fortentwicklung, der Stärkung des Einflusses des Parlaments weiterzugehen, ohne damit den Gedanken zu vertreten, von heute auf morgen eine Parlamentsherrschaft im Reiche oder in den Bundesstaaten zu begründen.

Ich darf Sie daran erinnern, daß wir bereits diesen Weg gegangen sind. Haben wir nicht in der Blockzeit im Reichstag jene Bestimmungen der Geschäftsordnung geschaffen, die einmal in den kleinen Anfragen und in den Abstimmungen nach den Interpellationen ein größeres Recht des Reichstages als bisher schufen? Waren wir nicht einig in dem Bestreben, einen eigenen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu schaffen, der das Recht haben sollte, kraft eigener Machtvollkommenheit jederzeit zusammenzutreten und zu großen Auslandsfragen Stellung zu nehmen, eine nationalliberale Anregung, aus der dann das Kompromiß herauskam, daß die Budgetkommission jederzeit selbst zusammentreten kann? Hat nicht unser verehrter Führer Friedberg auch im Preußischen Abgeordnetenhaus es als dringende Pflicht ausgesprochen, daß eine stärkere Fühlung zwischen den Ministern und dem Parlament sich herausbilde, als sie heute bestünde? Hat er nicht mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß es nicht mehr geht, daß unsere Minister lediglich vom reinen Ressortstandpunkt aus an die Dinge herantreten, ohne die großen politischen Gesichtspunkte zu würdigen, und so tadellose Ressortarbeit leisten, aber die ganze politische Situation in einer Weise durcheinanderbringen, wie uns das die letzten Wochen mit ihren Vorgängen im Preußischen Abgeordnetenhause, die dann in unsern Reichstag hinüberspielten, ja zu unserm eigenen Bedauern gezeigt haben? Und wenn man davon spricht, daß diejenigen, die eine stärkere Einflußnahme des Parlaments wünschten, damit an der alten historischen Kaisergewalt rüttelten, so, glaube ich, verkennt man die Dinge. Selbst unter vollem parlamentarischen System braucht ein Kaiser nicht ein Schattenkaiser zu sein. Einer unserer größten Gegner, der die Einkreisungspolitik in der Welt gegen Deutschland betrieben hat, war wahrscheinlich kein Schattenkaiser, auch wenn er seinem Parlament den entscheidenden Einfluß einräumte. Auch hier wird schließlich die Persönlichkeit diejenige sein, die sich Bahn zu brechen vermag, sei es in gutem, sei es in weniger gutem Sinne.

Uns muß meiner Meinung nach eine staatsbürgerliche Erziehung im deutschen Volke vorschweben, die das Verhältnis des einzelnen zum Staate in ganz anderer Weise auffaßt, als es bisher gewesen ist, die dem einzelnen Bürger sagt, daß er aufzuhören hat mit der alten Philisterweisheit, daß der Bürger der Gegner des Staates sein müsse, die ihm sagt: der Staat, das bist du selbst; du bist ein Glied dieses Ganzen; wenn du das Ganze schädigst, so schädigst du dich mit. Wenn er versteht, sich als Glied dieses großen deutschen Ganzen zu fühlen, wenn wir ihn dann mit auch zu dem Bewußtsein dessen erziehen, was dieses große Deutschland von ihm verlangt auch an Opfern und Entbehrungen, um selber groß und mächtig zu sein und dadurch die Wohlfahrt im Innern fördern zu können, dann werden wir einen Imperialismus schaffen, der den Kaiser hoch stellt über ein großes freies Deutschland und dem Glanz der Kaiserwürde dadurch nichts nimmt, daß sie sich aufbaut auf einem freien Volke, das aus freier Überzeugung mitarbeitet, das aber nicht lediglich von der Stelle der Krone und der Stelle der Beauftragten der Krone diejenigen Gesichtspunkte allein entgegenzunehmen wünscht, an denen mitzuarbeiten es seinerseits für sein gutes Recht hält.

Je weiter wir gehen in unserer ganzen wirtschaftlichen Entwicklung, je mehr wir darauf angewiesen sind, bis in die letzten Arbeiterkreise hinein den Gedanken dieses Deutschlands und seiner Lebensnotwendigkeit zu tragen, um so mehr müssen wir das Fundament verbreitern, auf dem die deutsche Krone ruht, um so weniger wird sie darunter leiden, wenn dieses Fundament vergrößert wird.

Dazu werden viele andere große Aufgaben in Zukunft kommen. Ich glaube, wir werden die alten Gegensätze weiter haben, die da bestehen in unseren Gedanken der Aufrechterhaltung einer friedensichernden Rüstung gegenüber der Traumpolitik des ewigen Friedens, wie sie uns am heutigen Nachmittag aus den Reichstagsdebatten wieder entgegentrat. Ich habe manchmal in diesen Tagen an das alte Goethe-Wort aus dem Faust gedacht:

Träumt Ihr den Friedenstag?
Träume, wer träumen mag.
Krieg heißt das Losungswort,
Sieg, und so klingt es fort.

Das war so, solange die Welt bestand, das wird so bleiben. Das Verhältnis der Völker wird sich nie in Paragraphen vom Weltbund einschnüren lassen, denn die Paragraphen werden gesprengt werden in dem Augenblick, wo Lebensinteressen einer großen starken Nation in Frage stehen.

Hier auf der Wacht zu stehen für diese Ideen, das wird auch stets unsere Aufgabe sein – ich glaube nicht, daß sie durch diesen Weltkrieg erfüllt ist –, und ihr wird zur Seite stehen ein Arbeiten auf sozialem Gebiete, ein Bekämpfen der Klassenunterschiede, die uns anhaften wie ein altes Kleid, das nicht mehr in unsere heutige Zeit hineinpaßt. Die Achtung vor ehrlicher Arbeit, die Achtung vor politischer Überzeugung, die Idee, für die wir kämpfen als grundlegende liberale Idee, von der wir so weit entfernt sind wie früher, daß weder die politische Überzeugung, noch das Religionsbekenntnis, noch die Stellung außerhalb jedes Religionsbekenntnisses irgendein Hindernis der politischen Betätigung in Staat und Gesellschaft sein darf, das muß gelten gegenüber dem Zentrum, wie gegenüber den Sozialisten, wie gegenüber den Atheisten und wem immer sonst. Ich glaube, daß wir nach dieser Richtung gerade nach den Ergebnissen dieses Weltkrieges, wo auch jeder ohne Unterschied dieses persönlichen Denkens und Fühlens sein eigenes Leben zur Verfügung gestellt hat, auch verlangen können, daß die Folgerungen aus dieser Hingabe jedes einzelnen an den Staat gezogen werden.

Wir werden daran denken müssen, daß ein freiheitlicherer Ausbau unseres Verfassungslebens sich nicht umgehen läßt.

Ich habe volles Verständnis dafür, daß das preußische Wahlrecht, soweit seine Einzelheiten in Frage kommen, eine Frage des preußischen Landtages ist. Aber ich habe doch immer auch die feste Überzeugung, daß es eine deutsche Frage erster Ordnung ist, eine Frage, von der in Deutschland unser Verhältnis zu großen Gruppen unseres Volkskörpers so abhängig ist, daß ich nicht verstehe, wie man hier die Grenzlinien zwischen partikularistischen Interessen und Reichsinteressen zu ziehen vermag. Ich habe die feste Überzeugung, daß unsere Freunde in dem größten deutschen Bundesstaat sich der Haltung entsinnen werden, die unsere Freunde in Sachsen eingenommen haben, als es sich damals darum handelte, im Frieden dem sächsischen Volke ein anderes Wahlrecht zu geben, wo sie in dem Augenblick, wo unter der günstigsten Konstellation, die es gab, das Dreiklassenwahlrecht mit geheimer Wahl unter Umständen eine nationalliberale Mehrheit gewährleistet hätte, sich zu der großzügigen Auffassung bekannten, selbst auf diese Mehrheit zu verzichten, um der Gerechtigkeit willen und um der Volksversöhnung willen. Daß sie dabei nicht schlecht gefahren sind, und daß das sächsische Volk das verstanden hat, beweist der Umstand, daß wir nach jahrzehntelanger konservativer Herrschaft heute in unserem verehrten Präsidenten Vogel dem sächsischen Landtag wieder den Präsidenten stellen und in Sachsens ganzem Leben den Einfluß gewinnen konnten, der uns vordem versagt war. Ich bin so überzeugt von der Werbekraft unserer nationalliberalen Ideen, von der Werbekraft der kulturellen Erziehungsarbeit, die unsere preußische Landtagsfraktion geleistet hat, daß ich glaube, daß sie auch unter freiheitlichstem Wahlrecht mit voller Zuversicht dem Kampf um die Zukunft entgegengehen kann, daß, was sie auf der einen Seite verliert, sie auf der andern gewinnt, und daß jedenfalls der Gesamteinschlag liberalen Denkens nur größer und stärker werden wird nach einer solchen Reform und dadurch nur größer und stärker werden wird die Stellung, die wir selber einnehmen in unseren Kämpfen im Reich.

Meine Herren, ich bin weiter der Überzeugung, daß wir auch nicht daran vorbei können, die Sozialdemokratie zur Mitarbeit zu den Staatsaufgaben bewußt heranzuziehen, weil wir als wachsender Industriestaat nicht daran vorbei können, die Beziehungen zwischen dem Staat und der großen Zahl der Arbeiter auch auf diesem Gebiete enger zu knüpfen. Wogegen wir uns wehren müssen, das wird sein, daß ein Monopol irgendwelcher gewerkschaftlicher Organisationen eintritt, die in dem Augenblick, wo sie zur Macht gelangen, unduldsam werden gegen andere und denen gegenüber wir die Freiheit jeder Betätigung ebenso in Schutz nehmen müssen, wie wir das Koalitionsrecht der Gewerkschaft von unserem liberalen Standpunkt aus in Schutz genommen haben, als sie selber sich in der Minderheit befanden.

Auch auf anderen Gebieten, da wo es uns selbst gilt, werden wir dafür sorgen müssen, daß das Wort von der freien Bahn dem Tüchtigen aus der Phrase in die Wirklichkeit übersetzt wird. Wir brauchen damit gar nicht zu warten bis in die Zeit nach dem Kriege. Wir haben die Pflicht, uns darum zu kümmern, daß in der großen Verwaltung der okkupierten Gebiete nicht wieder lediglich bestimmte Gesellschaftsschichten und gewisse politische Schichten allein berufen erscheinen, hier die Verwaltungsbeamten zu stellen, daß wir für die Gleichberechtigung der liberalen, für die Gleichberechtigung jeder politischen Anschauung mit aller Entschiedenheit da eintreten, wo wir der Überzeugung sind, daß andere Schichten genau so in der Lage sind, fähige Persönlichkeiten zu stellen wie diejenigen, die doch heute nicht immer den Beweis erbracht haben, daß sie die besten Männer gaben, um in dem größten Entscheidungskampf der Welt zu bestehen.

Wir werden dann auf dem Gebiet der kulturellen Aufgaben vielleicht weiter gehen müssen als bisher, werden den Aufstieg befähigter Elemente, die über andere emporragen, auch durch ein großzügiges Entgegenkommen fördern müssen, auch in der Hochschule, daß da vom Staat aus ihnen die Mittel gegeben werden müssen, sich diejenige Bildung anzueignen, die ihnen heute zu erlangen vielfach versagt ist. So, wie jeder Körper eine gesunde Blutmischung haben muß, wie das neu einströmende Blut das alte ersetzt, so braucht ein Staatskörper neue Elemente, die aus der Tiefe aufsteigen, die dann in der Lage sind, mit ihren Ideen auch die alten Ideen zu verjüngen, die somit diejenigen Elemente schaffen, die er braucht, um den vielfachen Aufgaben zu begegnen, vor denen wir stehen. Wie weltgeschichtliches Erleben ehrfürchtig macht, so muß es auch ehrfürchtig werden vor manchem Neuen, was aus der Tiefe emporgestiegen ist, was sich als groß gezeigt hat in diesen Tagen. Deshalb sollten wir keine Angst haben auch vor neuen Wegen, die einzuschlagen sind, wir sollten den Dingen ins Auge sehen und uns auch darüber klar sein, daß der Siegeszug des Organisationsgedankens in unserem deutschen Volke uns ganz neue Bahnen der Werbearbeit für unsere nationalliberale Partei eröffnet, die wir gehen müssen, daß wir die Parteiarbeit auf breitester Grundlage organisieren müssen, denn es wird ein Kampf um die Seele des ganzen Volkes sein, den wir zu führen haben, sobald einmal wieder der Aufruf zur Wahl kommt.

Ein alter verdienter sächsischer Parteifreund sprach einmal davon, wir seien die Partei der Resignation. Nein, meine Herren, das sind wir nicht und das dürfen wir nicht sein. Dazu haben wir keinerlei Veranlassung. Weder sind wir eine Partei der Resignation, noch wollen wir nur die Gralshüter der vergangenen großen Zeit sein. Wir wollen das nicht sein, was Bismarck von den Liberalen in Österreich sagte: die »Herbstzeitlosen«, mit denen er die liberale Partei verglich, die damals niedersank von ihrer einstigen Größe und Macht. Was uns erfüllen muß, muß sein der Hunger nach Macht und Einfluß nicht für Personen, sondern für unsere Ideen. Das ist ja schließlich der Inbegriff des politischen Ideals, dafür zu kämpfen, daß die Ideen, die uns als richtig erscheinen für Staat und Gesellschaft, sich durchsetzen gegen jeden Widerstand, größer und mächtiger werden von Jahr zu Jahr, daß sie nach Geltung ringen und sich Geltung zu verschaffen haben gegen jeden Widerstand, mag er von oben, mag er von unten kommen.

Unsere nationalliberale Partei wird in diesen Kämpfen selbstbewußt und selbständig ihren Weg gehen können. Es ist mir immer als das Demütigendste für uns vorgekommen, daß bis in unsere eigenen Reihen hinein jeder sich für berechtigt und verpflichtet hält, den einzelnen zu fragen, ob er mehr rechts oder mehr links stehe, ob er mehr ein Bündnis mit den Konservativen oder mehr ein Bündnis mit den Fortschrittlern für richtiger erachte, als wenn es gar keine nationalliberale Partei gäbe, als wenn wir nichts wären als entweder ein Anhängsel der Konservativen oder ein Anhängsel der Fortschrittler. Wir sind weder das eine noch das andere, wir sind eine nationalliberale Partei, aus eigenen Gedanken heraus geboren, mit ihren eigenen Gedanken über Wehrpflicht, Kolonien, ihren eigenen Gedanken über Sozialpolitik, über Wirtschaftspolitik, und nach alle dem, wie diese Gedanken sich im Kampfe der Jahrzehnte bewährt haben, brauchen wir nicht Anlehnung zu suchen, so weit wir sie nicht selber von uns aus, von unseren nationalliberalen Gedanken aus im gegebenen Falle für richtig erachten. An sich aber können und sollen wir unseren Weg gehen und sollen diejenigen, die daran zweifeln, doch darauf hinweisen, daß über 1¾ Millionen deutscher Wähler sich zum nationalliberalen Gedanken bekannt haben, ohne den einzelnen danach zu fragen, ob er nach dieser oder jener Richtung hin sich neigt.

Fünfzig Jahre, auf die wir zurücksehen – eine lange Zeit. Fünfzig Jahre der Geschichte der Fraktion. Sind es nicht eigentlich mehr Jahre, sind es nicht beinahe hundert Jahre, seitdem das, was wir nationalliberale Ideen nannten, zum ersten Male im deutschen Volke sich regte? War es nicht im Gasthof zur Tanne in Jena, wo die Gedanken der Einheit und Freiheit Deutschlands zum ersten Male in dem jungen burschenschaftlichen Deutschland sich regten, auch nach einem großen weltgeschichtlichen Erleben, nach dem Freiheitskampf der damaligen Zeit? Um die Kindheit unserer Partei wehte der Glanz der schwarz-rot-goldenen Begeisterung der deutschen Burschenschaft. Über die Paulskirche hinweg führte unser Mannesalter zum Spiegelsaal von Versailles. Bismarck und Bennigsen schufen dann das Deutsche Reich. Ideal- und Realpolitik verbündeten sich in dieser gewaltigen Schöpfung, und ein gerader Weg führt vom Nationalverein Bennigsens zu der Politik Bassermanns, den unsere Gedanken grüßen in dieser Stunde. Was damals die Alten erstrebt, erhofft und ersehnt hatten, was dann geschaffen war in dem Aufbau des Deutschen Reichs, was unsere Väter ausgebaut hatten in dem, was man das Heldenzeitalter der nationalliberalen Partei nannte, das hatten wir zu bewahren in dem Kampf der letzten Jahre, das haben wir jetzt neu aufzubauen, und wir bauen auf im Hinblick auf die große Vergangenheit, wenn wir kämpfen für das größere, wenn wir kämpfen für das freiere Deutschland der Zukunft. Im Wettersturz des Weltkrieges leuchtet uns diese Zukunft entgegen. Kein heißerer Wunsch entströmt unseren Herzen in dieser Stunde, als daß diese Zukunft uns die Erfüllung der Wünsche bringt, mit denen wir dem Ausgang des großen Ringens entgegensehen. Nicht darum handelt es sich für uns, daß Frankreich wieder erstehe, oder daß Belgien wieder erstehe, sondern daß in erster Linie das Deutschland wieder erstehe in all seiner großen Macht, in all seiner Volksmacht und Wirtschaftsmacht, in der es dastand unter den Völkern, als dieser Krieg begann, und daß darüber hinaus für all das Blut der Hunderttausende, jetzt vielleicht der ersten Million, für all das, was geschändet ward am deutschen Namen in den afrikanischen Kolonien, in Dahome und an anderen Orten, für all das, was da niedersank an deutschem Unternehmergeist in der Welt, für erlittene Unbill, uns eine Entschädigung gegeben werde –, eine Entschädigung, die wir auffassen als den Gedanken des größeren Deutschlands, das wir verdient haben nach den Taten unserer Heere in diesen Kämpfen. Ihm gilt unsere Arbeit, ihm weihen wir unsere Gedanken, dem größeren, dem freieren Deutschland der Zukunft. Daran mitzuarbeiten ist unsere Aufgabe. Fassen wir sie in diesem Sinne auf, hoffen wir, daß das deutsche Volk sie versteht, hoffen wir, daß es unserer Fahne weiter folgt, wenn es sich darum handelt, erneut einzutreten für unsere alten nationalen und liberalen Ideale. Lassen Sie uns in diesem Sinne unsererseits das Gelöbnis erneuern zu der Partei, zu den Ideen, die unser Leben erfüllen. Die nationalliberale Partei jetzt und in alle Zukunft hoch!



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