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XXII.

»Lasset zu den Heerespauken alle Drommeten aufblasen«, befahl, am Boden neben dem Feuer ausgestreckt und das von einem Degenstich beschädigte Bein auf einen Sattel gebettet, Herr Jörg, der Truchseß. »Heut kann das Kriegsvolk fröhlich und guter Dinge auf der Walstatt lagern, wir haben den Sieg hier und allenthalben!«

Er hielt einen erbrochenen Brief in der Hand, den ihm ein Bote gebracht, und ein finsteres Lächeln überlief sein Gesicht, wie er zu den sich neugierig um ihn drängenden Großen aufsah. In denen allen wogte und zitterte noch die Erregung des Kampfes nach. Zwar die Panzer hatten sie abgelegt und Lanze und Schwert den Buben gegeben, die ihnen in die damastenen Schauben und kostbaren Pelze halfen. Aber die Flammen beschienen verwilderte, verwüstete Gesichter. Die mörderischen Wochen zwischen Ostern und Pfingsten hatten ihre Spuren darin eingegraben, wie ein Widerschein des stromweise vergossenen Blutes spiegelte sich das Lagerfeuer auf den roh gewordenen, von ungepflegtem Haar umbuschten Zügen der weltlichen Edeln, auf den grausam kalten, scharfgeschnittenen Köpfen der hohen Pfaffheit.

Noch einmal blickte der verwundete Bauernjörg in der Runde über alle die schweratmend ihn umstehenden Gestalten, hünenhafte Ritter und abgezehrte Mönche, schmächtige, junge Grafen, feiste Deutschherren und massige Kirchenfürsten. »Lobet den Herren!« sprach er feierlicher, als sonst die Art des rauhen Kriegsgewaltigen war. »Mit seiner Hilfe ist die jämmerliche und gefährliche Rebellion des gemeinen Bauersmannes nunmehr gestillt. In Schwaben und Franken haben wir heute den Ernst so richtig fürgewendet, daß die aufrührerischen Gesellen sich verloren, verloffen und verzettelt haben, ihr oberster Prinzipal aber, der Florian Geyer, vor Tag und Tau in jenem Wäldchen seine Seele Gott befehlen muß. Aus Thüringen aber schicken mir die Sachsenherzöge eben eine geschwinde und frohe Zeitung: Bei Frankenhausen sind sie unter ihr mutwillig Volk gefallen, haben solcher Bauern an die elf Mille erlegt, die anderen auseinandergetrieben, und Thomas Münzer, den verkehrten Pfaffen, gefangen und gerichtet. Und ebenso trefflich hat der hochwürdige Fürstbischof von Salzburg wider die Seinen gehandelt. Ehe der Mond um ist, steht die Obrigkeit wieder aufrecht und unverzagt vom Thüringer Walde bis Tirol!«

Rings im Lager, durch das eilends die Botschaft der Feldherrn lief, gellten und schmetterten die Trompeten, in donnerndem Wirbel hallten die Pauken zu Trommelgerassel und Schwertergeklirr, ein tausendstimmiges, rauhes Jubelgebrüll rollte in mächtigen, sich immer erneuernden Wogen durch die Nachtluft dahin. Nicht nur die Edeln und ihre Knappen jauchzten und falteten die noch vom heißen Schwertschwung zitternden Finger. Auch die Landsknechte johlten. Feuergarben knatterten aus den Fähnlein der Bundesschützen zum Himmel auf, und ganz in der Ferne, vom Troß her, klangen Gezeter, schrille Stimmen und Hundegekläff zusammen.

In all dem Lärm sahen es die Edeln plötzlich mit Erstaunen, daß ein Weib in ihrer Mitte stand. Ein blondes, junges Weib hier im Feldlager, an dessen Rande schon das Grauen der Walstatt begann und Blutdunst und Pulverqualm über zertrampelten Gefilden brüteten, das war so seltsam, daß alle die grimmen Kämpen in der Runde verstummten, neugierig, was des Freiherrn von Wolframsteins Witwe in der Nacht, nur von einem geringen Troßbuben begleitet, in die Runde der Männer trieb.

»Frau!« sagte der greise Graf von Montfort ärgerlich, »was ficht Euch an? Das Frauenzimmer und der Krieg – das schickt sich eins nicht ins andere. Habt Ihr vergessen, wie ich heute morgen gesprochen hab': ›Es setzt einen heißen Tag! Bleibt in Eurem Zelte in der Wagenburg und betet für uns um Sieg!‹«

»Ich hab' gebetet den ganzen Tag!« erwiderte Madlene. »Aber nehmt es günstig, ihr Herren: für euch so wenig wie für die anderen! – Nur für einen hab' ich gebetet.«

Der Truchseß richtete sich halb am Boden auf. »Daß man den Geyer fängt? Da seid allerdings frohgemut! Der schwarze Haufen wird keine Weibertreu mehr stürmen und dem Adel kein anderes Weinsberg bereiten. Sie haben ihr Teil dahin! Euer Herr und Eure Brüder, für die Ihr mit uns gezogen seid, die sind gerächt dort drüben im Ingolstadter Schloßlein.«

»Ich weiß!« Madlene atmete schwer. »Um Mittag war's, da entstand in der Wagenburg das Geschrei: ›Es geht hitzig wider die Geyerschen! Die Geyerschen haben sich in einem alten Gemäuer verterraßt und wollen sich gutwillig nicht geben, sondern der Handel hat ein strenges und hartes Ansehen!‹ Da hab' ich nicht hinschauen mögen, sondern mich hingeworfen aufs Stroh und die Hände gerungen und gebetet in meiner Not, bis daß es Abend ward!«

»Frau! Euer Gebet war uns fruchtbarlich!« nickte spöttisch der Truchseß.

»Da kam Hans Waldvogel, der Bub', zurück,« fuhr Madlene fort, »und sprach: ›Den Florian Geyer können sie nicht erlangen, viele liegen tot in Ingolstadt, aber es ist kein Ritter darunter.‹ Da hab' ich tief Luft geholt und die Gnade des Herrn gepriesen. Die hat mir den am Leben bewahrt, für den ich alles auf mich genommen hab', Kriegsnot und Schrecken und Mühsal, und die Lüge zu Euch, als wollt' ich wie eine wütige Heidin und nicht wie eine Christin zuschauen, wie Ihr die Bauern straft! Nein, Herr Jörg, das hab' ich für den allein getan, den jetzt, wie ich berichtet bin, dort im Wäldchen Eure Reisigen mit den letzten Geyerschen bewachen, für den Felix von Trugenhoffen!«

Zorniges Gelächter und höhnende Zurufe der erhitzten Edlen ringsum war die Antwort. Der Truchseß gebot mit der Hand Schweigen. »Ihr wäret besser im Kloster geblieben –« sagte er kurz, »als uns hier in diesen beschwerlichen Läuften mit Liebeshändeln zur Last zu fallen. Trauert um Euren Herrn! Das gebührt sich. Aber es gebührt sich nicht, daß Ihr um den Trugenhoffer trauert, wird der morgen im Wäldchen ergriffen, so hat er verspielt, mag's Euch leid sein oder nicht!«

Da lachte Madlene, daß der Ritter Montfort neben ihr sich entsetzte und meinte, der Schrecken habe ihr den schönen Kopf verwirrt. Aber sie war ganz ruhig.

»Er hat nicht verspielt,« sagte sie zum Truchseß, »darum, Herr Jörg, bin ich ja eben hier, um es zu hindern!«

»Ihr seid unsinnig, Frau! Womit denn?« Madlene beugte sich über ihn. Er sah unter dem Gewirr goldener Strähnen ihre blauen Augen frohlockend auf ihn herabglänzen.

»Mit Eurem eigenen Wort, Truchseß!«

Der Bauernjörg antwortete ihr nicht. »Man soll kein Weib in Männerhändel hineingeraten lassen,« sagte er zu den Umstehenden, »der Weiber Vernunft ist zu schwach! Sie fassen's nicht und kommen jämmerlich zu Schaden!« Und sich zu Madlene wendend fuhr er barsch fort: »Schwatzet Ihr nicht in den Tag, wie der Dimpel dampelt, sondern meldet mir klipp und klar: wann hab' ich's Euch versprochen, daß dem Trugenhoffer nichts widerfahren sollte?«

»Vorgestern!« erwiderte Madlene. »Als ich am Wege gestanden bin und Euch gebeten hab', in Eurem Zuge mitreisen zu dürfen gen Würzburg. Da habt Ihr mich getröstet und Euch vernehmen lassen, wie's der Montfort und viele Herren von des Vundes Rennfahne gehört haben: ›Die Euren sollen gerächt werden!‹ habt Ihr mir zugesagt, ›Ihr habt Schweres von den Bauern erlitten. Darum, wenn wir einen treffen, der mit bei Weinsberg unter den Bauern war, der sich feindselig gehalten hat zu Eurem Herrn und Euren Brüdern oder Euch selbst gekränkt, dem soll die Strafe werden, die Ihr bestimmt und schätzet!‹«

Der Truchseß schüttelte den Kopf. »Was um Jesu willen hat das mit dem Trugenhoffen zu tun?«

»Ei – war er nicht mit bei Weinsberg unter den Bauern?« fragte Madlene erstaunt. »Hab' ich ihn doch selbst gesehen im kurzen Haar und Bettlerkleid! Hat er sich nicht böslich zu meinem Herrn und meinen Brüdern verhalten, ihnen auf dem Heidelberger Marktplatz recht wie ein unsinniger Mann vor Seiner Gnade, des Pfalzgrafen, Augen den Handschuh hingeworfen und Fehde angesagt? – Und hat er mich nicht bitter gekränkt und ist mir bei Nacht und Nebel zu den Bauern entritten und hat doch gewußt, wie ich ihm in meinem Herzen gesinnt bin! Also, wie Ihr's gewollt habt, so hat er gehandelt, und es ist mein gutes Recht!«

»Nein!« sagte der Bauernjörg. »Das ist es nicht. Ich hab' von der Strafe gesprochen und nicht von der Gnade. Die ist jetzt nicht am Platz!«

»Glaub's gern,« Madlene kniete neben ihm nieder, »daß die Obrigkeit jetzt sich nicht glimpflich halten darf. Ich aber bin bloß ein Weib und halte es mit Herrn Jesus Christus, unserem Seligmacher. Der aber, wie mich die Klosterfrauen schon als junges Kind gelehrt haben, hat sich niemals und an keinem gerächt, sondern seinen Feinden verziehen!«

Darauf wußten die Ritter einen Augenblick nichts zu erwidern. Der Bischof von Eichstätt aber legte seine Hand auf Madlenes Schulter. »Ihr seid da wohl belehrt, liebe Tochter,« sprach er, »aber daß Ihr der Lehre rechten Sinn begreift, also wisset –«

Madlene wandte flüchtig den Kopf zu ihm empor: »Ihr habt Blutstropfen auf Eurer Kutte, Ehrwürdiger, Günstiger!« sagte sie. »Wie soll ich Euch da als geistlichen Vater schätzen und ehren? Es ist ja Eures Bruders Blut. Wie mich die Klosterfrauen gelehrt haben als junges Kind, soll ein Christ seinem Nächsten ein Bruder sein, und Ihr, sagen sie im Lager, erstecht die armen Sünder mit Eurer eigenen geweihten Hand!«

Zornig wandte sich das gelbe Männchen ab. Auch der Truchseß ward ärgerlich. »Es ist genug gegackert,« erklärte er, »ich halt' mein Wort, wie ich's meine – nicht wie Ihr es dreht!«

Madlene fuhr empor. »Eines Edelmannes Wort!« rief sie. »Herr Jörg – das habt Ihr übel gesprochen – und es würde Euch übel ausgehen! Glaubt nicht, daß ich still bin. Ich trag's herum im Lande. Dort ist genug Erbitterung über Eure Blutgier. Ich bericht

' es allen Vettern und Schwägern vom Adel, daß der Truchseß sein Wort gebrochen hat, bloß um einen ehrlichen Ritter, der einen Tag nur bei den Bauern war, zu verderben, wo er doch den Götz von Berlichingen, der der Bauern Hauptmann war, geruhig in seinem Hause Hornberg sitzen läßt und manchen anderen, der schon vor Monden in die evangelische Brüderschaft geschworen hat. Nach Hispanien will ich reisen und mich vor des Kaisers Majestät niederwerfen und ihm anzeigen, wie ihm der Bund sein deutsches Land ausbrennt, daß bald nichts mehr übrig bleibt.«

Sie mußte abbrechen. Die Stimme versagte ihr. Aber ohne es zu ahnen, hatte sie einen wunden Punkt bei dem Truchseß getroffen. Der wußte genau, wie viele ihm sein schonungsloses Verfahren zur Last legten. Und zudem war ihm, dem starren Edelmann, der Gedanke, einen Ritterbürtigen richten zu lassen, von Grunde zuwider. Er hatte es bisher stets vermieden und nur gegen die Bauern gewütet.

Hans Landschad, der kluge pfälzische Rat, beugte sich zu seinem Ohr. »Lasset der Frau ihren Willen«, flüsterte er. »Ist ja ein Streit um nichts! Es ist am heutigen Tage kein Gefangener gemacht worden, denn die Schwarzen geben keine Gnade und nehmen keine. So werden's die im Wäldchen morgen auch halten, und der Trugenhoffen wird fallen, man mag ihn retten wollen oder nicht.«

Der Bauernjörg nickte und lächelte Madlene grimmig zu. »Es ist gut, Frau! Ich hab' mein Wort leichthin gegeben und muß es büßen! Wird der Ritter gefangen, so soll er los und ledig sein und es bleiben, vier Wochen ab vom morgigen Tag, und reichlich Frist haben, sich für immer aus dem Land des schwäbischen Bundes hinwegzutun, in die Eidgenossenschaft oder wohin er sonst mag!«

Gemurmel erhob sich vor den Rittern und Herren in der Gasse der Lagerfeuer. Es kam rasch heran. Ein paar Reisige rannten den dunklen Gruppen voraus. »Sie sind ausgebrochen!« schrien sie schon von weitem. »Die Schwarzen sind aus dem Wäldchen heraus – über den Bach, und flugs fort in die Nacht.«

Ihre Stimmen verklangen in dem Zorngeschrei der aufspringenden Großen. »Der Geyer! – Ist der Geyer auch entronnen?« Pfaffheit und Ritterschaft zeterte durcheinander.

Der alte Knappe deutete auf die mit schwankenden Fackeln eilig sich nähernde Menschenschar. »Sie haben einen Geharnischten gefangen genommen. Sein Visier ist verbogen, wir wissen's nicht, ob es der Geyer ist!«

Tiefe Stille trat ein. Aller Augen starrten auf die trotzig und schwerfällig heranschreitende Panzergestalt, die die Reisigen und Schützen umringten.

»Das ist der Geyer nicht!« jauchzte eine helle Stimme. »Die Rüstung kenn' ich!« Madlene griff nach dem Helm des Gefangenen, und woran die plumpen Fäuste der Knechte sich umsonst gemüht – das gelang im Augenblick ihren behenden Fingern. Die Eisenmaske schob sich in die Höhe, und ein Ausruf des Staunens fuhr von aller Lippen.

»Weiß nicht, was die Herren heute so Sonderliches an mir finden!« sprach, ohne darauf zu achten, wer ihn befreite, Felix Trugenhoffen. »Macht's schnell! Einen Beichtpfaffen brauch' ich nicht und –«

Sein Auge fiel auf Madlene, und das Wort erstarb ihm im Munde. Die aber schlang den Arm um ihn und schaute dem Truchseß schweigend und zornmütig ins Gesicht.

Eine beklemmende Stille. Dann lachte der Bauernjörg kurz und grimmig auf. »Trugenhoffen!« sprach er. »Ich würd' Euch herzlich gern zur Stund' vom Leben zum Tode bringen – aber es geht nicht an! Ihr seid frei! Ziehet aus und nehmet die da mit, die um Euretwillen Zucht und Sitte vergessen hat.«

»Truchseß!« erwiderte Madlene ruhig. »Das hab' ich nicht! Ich will meinem Herrn in Ehren ein Jahr nachtrauern und in Ehren zum andernmal vor dem Altar stehen!. Aber sein Leben freilich hab' ich gerettet, wie er das meine, und bereu' es nicht, was ich getan!«

Der Ritter griff sich verstört an die vom Anprall der Kugel geschrundene Stirne. »Mein Kopf ist wüst,« sprach er, »ich höre einen, der mir sagt, ich sei frei – und ich sehe Euch dastehen, Madlene –«

»Ja,« sagte Madlene und faßte seine Hand, »Ihr seid frei und ich stehe bei Euch, wo Ihr bleibt, da will ich bleiben! wo Ihr hingeht, da will ich hingehen, welch Schicksal Euch trifft, selbes soll das meine sein!«


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