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XIX.

Der Sturm rauschte und brauste durch den nächtlichen Bergwald. Das Krachen des niedergefegten Tannendickichts, der schmetternde Schlag, mit dem nach jahrhundertelangem Kampf manche Rieseneiche sich ihm neigte, ging hinter ihm her, und mit sich trug er das Gejohle und kreischende Gelächter der Waldkäuzchen auf rauhen Schwingen hinab in die Talmatten des Klosters, daß die Äbtissin mit ihren Nonnen ängstlich, wie eine gescheuchte Henne mit ihren Küchlein, den flackernden Kienspan in der Hand, von einem Raume in den anderen lief.

Von außen drohte freilich keine Gefahr mehr. An der Zugbrücke hielten die Lehnsmannen des Gotteshauses, ein paar ungeschlachte Heckenreiter, mit ihren Knechten sorgsam wacht. Denn hatten auch diese armen Waldgesellen bei Beginn des Aufstandes wie so viele burggesessene Habenichtse bedenklich mit den Bauern geliebäugelt und im Geiste schon die beiden goldenen Becher der Äbtissin, die Altarschätze und Kornvorräte der frommen Frauen unter sich geteilt, so legten sie nun, da der Handel so übel ausschlug, einen heftigen und beherzten Diensteifer an den Tag.

Aber innen, in den stillen Kammern und Sälen, da hatte der Teufel in Gestalt betrunkener Bauern gehaust und an den Wänden der verwüsteten Gemächer seine bösen Sprüche eingekritzelt zurückgelassen.

Die gründlichst zu vertilgen, das war die erste Aufgabe dieser Nacht, in der man doch nicht schlafen konnte. Von ihren Nonnen umgeben, scheuerte und kratzte die junge, rotbäckige Äbtissin bei Fackelschein die Spuren des Bösen eigenhändig aus.

Wie die Handschrift des Satans selbst prangte es da vor ihr in ungefügen riesigen Kohlenbuchstaben auf der Kalkwand: »So hat Pfaff Eysenhut den armen Konrad belehrt: ›Der Sprengwedel ist des Todes Keule, die Tropfen des Weihwassers sind lauter Funken des höllischen Feuers.‹«

Und während die Ehrwürdige das noch mit zitternden Fingern auslöschte, deutete Madlene, die ihr half, schon mit großen, entsetzten Augen auf eine neue Stelle: »Der Mönche langes Schreien ist nicht besser als Hundegeheul, und welch' Kind einem Bettelpfaff die Hand küßt, das wird nicht reiner, als hätt' es sich an einem Ferkel gerieben.«

»Heilige Jungfrau!« stöhnte die Äbtissin und arbeitete mit doppeltem Eifer. »Und was haben die Schelme da im Kreuzgang vermerkt.«

»Der Beichtstuhl ist der Pfaffen Kuckuck!« buchstabierte Madlene und schlang die Hände ineinander. »Und darunter lasset sich ein leichtfertiger Bub' vernehmen: ›Wenn die Pfaffen ein ganzes Pfund Öl an dir verschmieren, sprich, Liebe: was hilft's deiner armen Seele?« –

»Gott helf unserer armen Seele« – die Äbtissin setzte sich betrübt nieder – »in den erschrecklichen Läuften und Nöten –«

»Unvermeldet sind die Läufte nicht gekommen,« murmelte eine blasse Nonne neben ihr, »sondern im Odenwald war schon den ganzen Winter ein solches Rumoren in den Lüften, daß man leichtlich nichts Gutes daraus nehmen konnte. Von Burg Schnellerts hat's mir die Frau nicht verhehlt, daß sie in den zwölf Nächten jede Nacht haben das Hussa, Getös und Geklingel hören müssen, mit dem er umgezogen ist.«

»Er – wer denn, Schwester?« forschten, ängstlich im Kreise kauernd, die Nonnen.

Die Klosterfrau war erstaunt: »Der Wode! Wer's ist, weiß ich nicht. Niemand hat den Woden noch geschaut. Aber wenn er unruhig wird und nachts mit seinen Gespenstern, Pfaffenmägden und allem Geschäft dahinfährt, dann behüt uns die heilige Jungfrau! Dann kommt Krieg und Pestilenz über uns arme Sünder wie jetzt. Umsonst haben sich die beiden wilden Weibchen auch nicht auf dem Stein in unserem Wald sehen lassen, die seit Menschengedenken keiner mehr mit Augen geschaut hat, und haben die Hände gehoben und geklagt. Das erfüllt sich nun alles an uns Armen!«

»Es erfüllt sich schrecklich!« sprach die Äbtissin. »Im Heere haben die Herren gesagt, es sei nicht anders, es müßten an die hunderttausend Menschen im Deutschen Reich ihr leben lassen, ehe der Bauer wieder zur Ordnung kommt, wir wollen preisen und singen, daß wir ein Dach zu Häupten haben. Überall sonst sind Burgen und Klöster verbrannt. In Franken allein mehr als tausend. Dort stehet nichts mehr als unserer Frauen Berg über Würzburg, und vor dem liegt der Geyer mit seiner höllischen schwarzen Schar.«

Madlene seufzte nur zur Antwort, und in stillschweigender Bekümmernis lauschten die Frauen dem Tosen des Frühlingssturmes draußen.

Durch sein Rauschen und Branden drang jetzt ein anderer Ton. Eine helle Stimme aus der Ferne, rauhe Rufe und Fragen vom Tor, dann das schwere Knirschen, mit dem die Zugbrücke sich zu dem Spiegel des in der Dunkelheit plätschernden Bergbachs senkte.

Einer der Männer trat ein und wandte sich zu Madlene: »Frau – es ist ein Bub' in Nacht und Nebel hier angekommen! Er hab' eine Zeitung, die wolle er Euch sagen und sonst niemand –«

Im Klosterhof, wo Hans Waldvogel wartend stand, war es stockdunkel. Der Wind fauchte und fegte, daß man kein Wort verstehen konnte.

Madlene faßte die beiden Hände des Boten und beugte sich zu seinem Ohr hernieder: »Hans, wo ist dein Herr?« stieß sie bang hervor.

Der Junge öffnete den Mund und schrie, um den Sturm zu übertönen. In abgerissenen Worten vernahm sie seine Meldung:

»Mein Herr schickt mich und läßt Euch sagen: ›Felix Trugenhoffen, der Ritter, ist tot – er hat die Eitelkeit dieser Welt von sich getan – und ist auf und davon gegangen – zu den Bauern‹ –«

Madlene ergriff den Buben am Arm und zerrte ihn hinter sich in den Kreuzgang, zum Scheine einer im Lufthauch zitternden Kienspanfackel. Dort faßte sie ihn am Kopf und starrte ihm ins Gesicht. »Was sagst du?« stammelte sie. »In der Bauern Lager –?« »Nach Norden ist er geritten« – Hans Waldvogel wies weinend und kleinmütig die Richtung – »und mich, seinen Buben, hat er von sich geschickt. Ihr solltet für mich sorgen. Aber das will ich nicht. Die Botschaft hab' ich gebracht, und morgen früh tue ich mich auf nach Norden. Mag sein, daß ich meinen lieben Herrn doch wieder find'!«

»Weißt du denn, wo der Bauern Lager ist?«

»Nein. Sie ziehen ja umher!«

»Und weißt du einen Weg, der zu ihnen führt?«

»Nein. Und wenn ich ihn weiß, kann ich ihn nicht reiten. Dort sind die Bauern noch nicht zahm, wie hier nach der Schlacht. Sie schießen mich aus dem Sattel und nehmen mir das Pferd!«

»Was willst du also tun?«

»Bei Tag im Wald liegen und des Nachts weitertappen, wie es geht.«

»Du dummer Bub'!« Madlene schaute aus starren Augen in die Ferne. Die Worte fielen ihr langsam, wie in Geistesabwesenheit gesprochen, von den Lippen: »Auf solche Art siehst du deinen Herrn auf Erden nicht wieder – nicht tot und nicht lebendig.«

»Frau, ich weiß nichts Besseres!« Hans Waldvogel fing jämmerlich an zu heulen. »Frau, helft Ihr mir! Gebt an, wie ich's halten soll!«

Madlene schob ihn von sich. »Ich will in mein Kämmerlein gehen und es bedenken! Laß mich jetzt allein! wenn der Morgen aufgeht, werd' ich's wissen.«

 

Als Madlene gegen Morgen wieder auf den Kreuzgang herauskam, war sie ganz ruhig.

Geblendet von dem Frührot, das in breiten, lachenden Wellen aus der Frühlingspracht draußen in das graue Gemäuer flutete, blieb sie stehen. Von der Kirche her tönte in hellem Jubel der vielstimmige Morgenpsalm der Klosterfrauen, und das Glöckchen oben im Holzturm zitterte friedlich hinterher.

Die Andacht war beendet. Als erste erschien vor ihren Nonnen die Äbtissin auf der Kirchenschwelle.

»Gerechter Gott!« schrie sie, und der Rosenkranz entglitt beinahe ihren Händen. »Liebe – Ihr sehet ja bleich aus wie der Tod. Man könnte sich vor Euch entsetzen und meinen, Ihr seid eben von unten aus der Gruft gestiegen!« Sie trat forschend näher. »Und was habt Ihr Euch so angetan, als wenn Ihr zu Pferd steigen und Weiterreisen wolltet?«

»Selbes hab' ich auch in Sinn und Meinung«, sagte Madlene. »Ehrwürdige, wie Ihr mich gepflegt und meiner gewartet habt, dafür dank' ich Euch und den lieben Frauen aus innigem Herzen. Aber hier bleiben kann ich nicht. Es ist an dem, daß ich weiter muß ...«

»Allein – in die Welt hinaus?« Die junge Nonne traute ihren Ohren nicht.

»Ich hab' den Bub' bei mir, der diese Nacht gekommen ist.«

»Heilige Maria, hilf, und ihr lieben Heiligen alle – wo wollt Ihr denn hin? Euer Haus ist verwüstet, die Euren sind tot – Liebe, Ärmste, Ihr habt ja kein Heim da draußen ...!«

»Ich will mein Heim suchen!« sprach Madlene. »Ich will es redlich suchen! Ob ich's finde, Äbtissin, das wißt Ihr nicht, und weiß ich nicht. Das weiß nur der über uns. Betet für mich, ihr lieben Frauen. Es mag sein, daß ihr mich eines Tages vor eurer Schwelle wiederfindet. Dann will ich hier bleiben und dem Kloster dienen, solang ich lebe.«

»Und wenn nichts mehr von Euch ruchbar wird?«

»Dann –« Madlene richtete sich auf. »Dann hab' ich gefunden, was ich suche. Fragt nicht, wohin ich gehe, Äbtissin! Das ist mir selber nicht bekannt. Und seid bedankt für Eure Lieb' und Treue ...«

 

Lange Zeit spähten die Nonnen in sprachlosem Erstaunen den beiden nach, bis sie am Waldrand verschwanden.

»Wir wollen beten!« sagte die Äbtissin endlich schaudernd. »Wir wollen den bösen Feind bannen, der mit der Unseligen dort dahinfährt in zeitliches und ewiges Verderben. Denn mir ahnet wohl, von wem sie da draußen nicht lassen kann in ihrem Herzen, und wen sie sucht, statt in Demut ihr Unglück zu tragen.«

»Wie aber ist der böse Feind in sie gekommen, ehrwürdige Mutter?« forschte ängstlich die blasse Nonne.

Die junge Äbtissin sah auf die zerkratzte und übertünchte Wand. »Ich hält' ihr nicht erlauben sollen,« sprach sie reumütig, »mit mir den Frevel da auszutilgen, den der Teufel in unserem Haus zurückgelassen hat. Beim Auslöschen seiner Schriftzüge, da ist er in sie gefahren und stark in ihr geworden! Wachet und betet, meine Töchter, und meidet die Versuchung.«

 

»Des bist du gewiß berichtet,« fragte Madlene, am Straßenrand sitzend, »daß die Fürsten und Herren hier vorbeiziehen?«

Hans Waldvogel schnallte den Sattelgurt des weidenden Pferdes fester. »Ja, Frau! Es ward gestern im Lager gesagt, wenn wir hier zwei Tage reiten, ward gesagt, so kommen wir dahin, wo das Hauptheer der Bauern steht,« – er brach ab und warf sich, das Ohr an den Boden legend, nieder – »ich höre schon ganz wohl das Hufgetrappel. Und es sind keine Bauernpferde, die barfuß gehen, sondern wohlbeschlagene Pferde, wie sie nur die Ritter reiten. Tut den Kopf an die Erde, Frau, so merkt Ihr selbst.«

Nur kurze Zeit verstrich, da tauchten in dem weißen Nebelmeer, das noch dampfend über den Rebenhügeln lagerte, die ersten Herren der Rennfahne mit taunassen Panzern und verschlafenem Angesicht auf. Graf Haug von Montfort, der zuvorderst ritt, hatte am Abend zuvor in der Freude über Weinsbergs Zerstörung mehr von dem roten Neckarwein geschluckt als billig und recht, sein Kopf war schwer, von der Last des Helms bedrückt, und es erschien dem mißmutig verträumten Herrn wie eine Ausgeburt seiner schlaftrunkenen Gedanken, daß da plötzlich das blonde, schlanke Weib am Wege stand und auf den Truchseß zuschritt, der nach seiner Gewohnheit an der Spitze seines Heeres ritt.

Der Bauernjörg zog erschrocken die Zügel an. Obwohl er täglich Dutzende von Männern köpfen ließ, erfüllte doch der Gedanke, daß eine edle Frau die Nacht im Walde habe zubringen müssen, sein Herz mit Schrecken.

»Habt Ihr Euch verirrt?« fragte er rasch.

Madlene schüttelte das Haupt. »Ich war die Nacht im Kloster. Aber das Kloster ist mir noch nicht der rechte Ort. Ich kann nicht beten und die Heiligen lieben. Ich bin noch zu voll von Haß und Gram ob der Bekümmernis, die ich von den Bauern hab' dulden müssen, denn solche Bauern haben mich zur Witwe gemacht und meinen alten Stamm vertilgt, daß ich ganz allein dastehe.« !

»Euch ist schweres Leid widerfahren.« Der Truchseß sah sie kopfschüttelnd an. »Aber wie wollt Ihr's ändern?«

»Lasset mich weiter mit Eurem Heere ziehen, wie bisher«, bat Madlene, die Hände faltend. »Ich hab' geschworen, meinen lieben Herrn und meine guten Brüder zu rächen.«

»Das ist unser Werk, nicht Eueres!«

»Aber ich finde anderswo keinen Frieden!«

»Nein,« sagte der Truchseß finster, »in meinem reisigen Zuge könnt Ihr nicht bleiben, Der hat für das Frauenzimmer keinen Platz.«

Madlene zuckte die Achseln. »Wo die geistlichen Herren ihre Mundköche und Hofnarren mit im Trosse führen, da wird für mich schon auch ein Raum sein. Herr Haug von Montfort war meines Herren Freund – der wird für mich sorgen.«

»Das täte not,« – der Truchseß wandte sich fragend zu dem Herren und empfing dessen kurzes Nicken zur Antwort – »denn der Trugenhoffen, der Euch damals gerettet, selber Ritter ist gestern abend ehrlos und treubrüchig geworden und hat sich zu den Bauern geschlagen!«

Madlene schwieg und sah zu dem Grafen Montfort empor.

»Kommt nur mit mir,« sagte der, »ich will Euch zum Troß bringen. Ihr seid eines Ritters Kind und oft hinter Eurem Mann im Sattel im Lande umgeritten. Ihr seid an Wind und Wetter gewöhnt und fürchtet Euch nicht vor Hitze und Staub.«

»Also ziehet die paar Tage mit«, sprach der Truchseß und spornte sein Pferd. »Es dünkt mir nicht unbillig, edle Frau, wie's Euch zumut ist. Und wo ich noch einen finde, der mit bei Weinsberg war, der sich böslich zu Eurem Manne und zu Euch und Euren Brüdern verhalten hat, den will ich strafen, wie Ihr es wollt und heißt, damit Ihr Eure lieben Herren rächt und den Frieden in Gott gewinnt.«


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