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Hochaufgerichtet stand Antonius Eysenhut vor den Herren im Ringe, das hagere Schwärmerantlitz von langen blonden Haarsträhnen umweht, die Augen in unheimlichem Glanze leuchtend. Neben ihm der stiernackige Frühmesner von Gottwoltshausen, Herr Wolfgang Kirschenbeißer, dem eine zerbeulte Sturmhaube den mächtigen Schädel deckte und das ledige Schwertgehänge den starken Leib umgürtet hielt.
Vor ihnen hielt der Truchseß, im Harnisch auf reglosem Roß, zur Seite Meister Berthold, der Henker, mit seinen Gesellen. Um sie in Gruppen zerstreut Ritter, Reisige, neugierige Landsknechte und angstvoll herbeigeschlichenes Volk.
Herr Kirschenbeißer hatte seinen Trotz noch lange nicht verloren. »Siehe da,« höhnte er mit seiner dumpfen Donnerstimme, »Berthold Aichelin, der Henker, den des Herrn Truchsessen Gnaden nur seinen besonderen, lieben Berthold nennt! Ihr seid einander wert, die Ritter und die Henker, der eine kann ohne den anderen nicht bestehn!«
Meister Berthold, der finstere Geselle, lachte tückisch, »Wisset,« sprach er, »mit euch wild ungezogenen Pfaffen hat es jetzt keine Art mehr. Ich, der Berthold, hab' einen besonderen grimmigen Haß auf das Evangelium, Wo mir ein evangelischer Praktikant ankommen mag, der hat bei mir den Hals verspielt.«
Felix von Trugenhoffen stand dicht bei ihm. »Jawohl,« murmelte er, »Meister Aichelin rastet nicht! Er fängt's, beraubt's, schätzt's, henkt's an die Bäume elendiglich – da hat all Erbarmen ein Ende!«
Antonius Eysenhut wandte den Kopf zu ihm, da er die wohlbekannte Stimme vernahm. Die Männer schauten sich an. Ein Grauen ging durch die Brust des Ritters bei dem wilden Lächeln voll verächtlichen Mitleids, mit dem der Schwärmer seine Augen auf ihn gerichtet hielt.
Zum erstenmal bewegte sich des Truchsessen Gestalt im Sattel. »Wer wird hier wider meinen lieben Berthold laut?« Er schaute suchend im Kreise umher. »Meister Berthold tut, wie ich ihm heiße! Es soll ein Schrecken unter die Bauern gehen! Die Reiter sollen ihnen eitel stählern dünken! Als ob Gott ihnen auf dem Nacken säß' und ihnen das Herz nähme, so sollen sie fliehen, ob ihnen auch niemand nachläuft, und, so sich nur ein Vöglein rührt oder ein Blatt von einem Baum fällt, meinen, es wäre ein Reiter! So groß und greulich muß Gott die Reiter in ihrem Angesicht machen und mich, der Reiter Obersten, und Berthold Aichelin, meinen Henker, dazu!«
Unverwandt hatten während der dräuenden Worte die Augen Eysenhuts auf seinem einstigen Jugendgesellen Felix Trugenhoffen geruht. Der vermochte diesen Blick, der unerbittlich bis in sein tiefstes Inneres drang, nicht mehr zu ertragen. Gebeugten Hauptes ging er zur Seite.
Er hörte, wie Wolfgang Kirschenbeißer laut in zornig rollendem Basse betete, und vernahm seine letzten Worte: »Nichts Unrechtes hab' ich nicht getan, sondern die lautere Wahrheit gepriesen!«
»Ich bin anders berichtet«, erwiderte kurz vom Pferd der Truchseß und winkte mit der Hand. Ein dumpfer Schlag ertönte innen in dem Menschenring. Die Pferde im Kreise scheuten nicht. Sie waren es schon gewohnt, Meister Berthold bei der blutigen Arbeit zu schauen.
Und dann klangen wieder innen aus den Gruppen der Edlen die Worte des Truchsessen: »Laß dir leid sein, Antonius Eysenhut, daß du deinen Glauben verlassen und die Kappe ausgezogen und ein entloffener Pfaff geworden bist!«
Die iunge Stimme des Pfalzgrafen fiel ein: »Eysenhut, laß dir das allein nicht leid sein, daß du die aufrührerischen Leute gemacht hast. Und traue dennoch Gott. Er ist gnädig und barmherzig. Er hat seinen Sohn für dich in den Tod gegeben!«
Eine tiefe Stille. Dann sprach Pfaff Eysenhut: »Nichts lass' ich mir leid sein, es sei denn, daß Euch, den Pfalzgrafen, und Euch, den Truchsessen, annoch der Erdboden trägt. Ich rühm' mich meiner hitzigen Episteln, die ich unters Volk gestreut, und meiner Zung' voll Feuerflammen, die das Evangelium verkündet, und meiner starken Hand, die es ausgesäet, daß es nimmer verdorret, sondern fröhlich aufkeimet, je mehr ihr es mit Blute düngt. Mit euch hab' ich nichts gemein. Ihr tuet, wie wir euch getan haben, und möget der Rache gewärtig sein. Ihr handelt, wie ihr's versteht, aus eurer Einfalt. Ich aber« – er richtete sich hoch auf, und seine Augen wanderten sprühend im Kreise – »ich suche einen, der handelt nicht aus Einfalt, sondern aus Verstocktheit und bösem Willen. Ich suche einen, der die Wahrheit sonnenklar erkennt und ihr doch nicht dienen mag! Felix Trugenhoffen, dich ruf' ich! Felix Trugenhoffen, tritt vor mich – hör' meine Worte. Es sind meine letzten Worte auf Erden!«
Wie gelähmt hatte der Ritter dagestanden. Er wollte hinweg, den Untergang des Freundes nicht schauen. Aber die Füße trugen ihn nicht, willenlos, kalten Schweiß auf der Stirne, hörte er durch die Menschenhaufen hindurch die gellende Mahnung, aller Blicke richteten sich auf ihn. Vor ihm öffnete sich eine Gasse, er wußte selbst nicht, wie es zuging, aber da war er schon in dem Ringe und starrte Pfaff Eysenhut in das weiße Antlitz.
»Bruder Felix!« sprach der. »Ich schaue durch deinen gleißenden Hauptharnisch, ich schaue durch deine Brust dir mitten ins Herz und sage dir: Du bist ein Verräter! Und weißt, daß du ein Verräter bist an der heiligen Sache! Darum wird es dir auf Erden Wohlergehen bei den Tyrannen, denen du dienest mit unfrohem Herzen und hassest sie insgeheim. Über der Erde aber lade ich dich vor das Gericht! Da sollst du mir Red' und Antwort stehen vor Gottes Angesicht, dort drüben, im Tale Josaphat.«
Der Ritter richtete sich gewaltsam auf. »Ich bin mir keiner Schuld bewußt!« stieß er hervor.
»Du bist's!« sagte Pfaff Eysenhut.
»Nein!« Der Trugenhofer trat auf ihn zu: »Geh du voraus, Bruder Antonius! Und wenn Gott der Herr mich abruft, will ich dir Red' und Antwort stehen vor seinem Angesicht, dort drüben, im Tale Josaphat.«
»Du vermagst es nicht! Ich weiß es wohl, was dich mit eisernen Klammern in der Tyrannen Lager zurückhält. Das ist nicht Ehr' und Reichtum, nicht Geld und Gut, das ist ein Weib. Dem opferst du dein zeitliches und ewiges Heil, dem legst du deiner Brüder Häupter zu Füßen, dem gibst du alles hin, was du bist und vermagst, und machst dich in deiner ganzen wohlgestalteten Ritterschaft zu einem armen Schelm und argen Heuchler. Und darum: Sei verflucht, Felix Trugenhoffen. Wenn nicht in letzter Stunde die Erkenntnis dich überkommt, so sei verflucht! – Das ist das letzte, was ich auf Erden spreche. Mein Gebet hab' ich im stillen getan. Nun will ich schweigen.«
Da hob der Truchseß die eisenbewehrte Hand. Meister Berthold schwang das Schwert und richtete Pfaff Eysenhut, den Leutpriester von Eppingen, und das düstere Haupt rollte unter die Hufe der Rosse in das rotbeperlte Maiengras.
Die Richtstätte lag einsam. Die Edlen waren davongeritten, und hinter ihnen her hatte sich der Troß verlaufen, dem Lager zu, wo immer noch lange Züge von Gefangenen eintrafen. Die Runde vom Tode Eysenhuts hatte sie schon ereilt, und dumpf wehte über die Neckarwiesen der ergebene Gesang der Verlorenen:
»Nun hebt sich an des Feinds Gewalt, Es müssen sterben jung und alt! Gott geb' ihnen allen Gnaden! Das Unglück hat sie heuer getroffen, Wer weiß, wenn es bis Jahr wird offen, An wen es wird geraten.«
Wie eine letzte Mahnung scholl der rauhe Klang an das Ohr des Ritters, der ausgestreckt, das Gesicht nach unten, im Grase lag, als gehöre er selbst zu den Opfern des Tages.
Es gab kein Zaudern mehr, kein Schwanken. Er mußte sich entschließen, ehe die nächsten Tage über ihn hinweg die Entscheidung rollen ließen.
Nein, was Pfaff Eysenhut ihm aufgab, das war das Gebot eines wahnwitzigen Schwärmers! Lockend und lachend lag vor ihm, Felix Trugenhoffen, im Maienglanz die Welt. Das Weib, nach dem seit Jahren sich sein Herz in Glut und Nöten verzehrte, war sein, wenn der nächste Frühling im Neckartal grünte, Acht und Bann war von ihm genommen, an Stelle seines armen Burgstalls würde er auf dem Wolframstein als Schloßherr walten, den Sickingen und Gemmingen gleich, von den Fürsten geehrt, vom Volk gefürchtet, ein fester, froher Ritter ohne Furcht und Tadel.
Und das alles aufzugeben? Ja, wofür denn? Für ein unbestimmtes Sehnen, einen dunklen Drang nach neuer Wahrheit und neuem Heil. Der Trugenhofer lachte höhnisch auf und richtete sich empor.
Er trat auf den Richtplatz und nahm, niederkniend, das Haupt des Freundes in seine Hände. Ein eisiges Grausen erfaßte ihn bei der Berührung des kalten Haares, und er fühlte, wie seine Zuversicht jählings schwand.
Pfaff Eysenhut sah ihn an, mit starren, fürchterlichen Augen. Aus dem klagend halbgeöffneten Munde schien noch ein Hauch des Feuers von einst zu wehen, und aus den Furchen der wachsgelben Züge sprach gewaltig ein Leben voll wilder, zorniger Liebe zum Nächsten, ein Leben voll wilden, unversöhnlichen Hasses wider alle, die die Liebe verleugneten.
Ein reiner Mensch war dahingegangen – der einsam Kniende empfand es wohl – rein selbst in seinen Verbrechen. Denn was er tat, das hatte er für die anderen getan, für das Glück der Armen, wie er's verstand.
Und je mehr der Ritter in die starren Züge schaute, desto heißer lohte die Inbrunst in ihm auf, dem Freunde zu folgen, sich seines Fluches unwert zu erweisen, indem er in letzter Stunde noch sich zur Wahrheit bekannte.
Und dann? Er schloß fröstelnd die Augen – dann war alles verloren. Alles, was er auf Erden erstrebt, vor seinen gesenkten Wimpern sah er nicht mehr Eysenhuts hageres Träumerangesicht, ein blonder Kopf stieg vor ihm auf, ein blonder, schöner Kopf, der sich in leisem, süßem Lächeln vor ihm neigte, als wollte er sagen: wozu die Qual und Pein? Ich bin dir doch das Liebste auf der Welt und du bleibst bei mir!
Ein Blutstropfen fiel schwer zu Boden. Ritter Felix fuhr zusammen und bettete, aus seinem Traume erwacht und bebend aufstehend, das Gespensterhaupt auf seinem Mantel unter einer blühenden Schlehdornhecke.
Jauchzender Vogelsang klang aus dem Innern der kleinen, süß duftenden Wildnis. Ein leuchtendgelber Falter umgaukelte tändelnd den Kopf des Toten, und um ihn schlüpften eilfertig die stahlgrünen Käfer durch das Gewirr der Veilchen dahin, was sorgte sich all dies lachende Gesindel des Frühlings um die Qual der großen zweibeinigen Raubtiere, die um sie her die weiche Luft mit Schwerterklang erfüllten?
Als Hans Waldvogel mit einigen schaufelbewehrten Knechten herankam, sah er mit ungläubigem Schrecken, daß sein Herr, der feste und strenge Ritter, Tränen vergossen hatte. Und mehr noch: er schämte sich der Zähren nicht. »Hier schaffet mir eine Grube –« sagte er mit weicher, halblauter Stimme, »und haltet euch daran. Nacht und Nebel zieht schon herauf, und die Wiesen dampfen. Ehe die ersten Sterne am Himmel stehen, wollen wir, was an Pfaff Eysenhut gestorben ist, zur Erde geben – –«