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XIII.

»Es gehet zu der Mayenzeit, Der Winter fährt dahin. Manch reisig Volk zu Felde leit. Als ich berichtet bin. Zu Fuß und auch zu Pferd, Wie man ihr begehrt. Ganz munter, besunder Die beste Reuterey – Eine ganze werte Ritterschaft. Fußvolk ist auch darbey!«

Aus rauhen Kehlen klang durch das Klirren der Wehr und Waffen, das Hufgetrampel und den Donner der Heerpauken das Feldlied des Pfälzerzuges zu dem tiefblauen Himmel empor, von dem hernieder die Sonne auf lichtem Eisen sich spiegelte und ein leiser Wind den papageifarbenen Schwarm der Banner rauschend flattern ließ.

Hellblau und weiß prunkten die vordersten Standarten. Die Rennfahne zog da dem Heere voraus, einhundertfünfzig auserlesene Ritter aus dem Neckartal und der Rheinebene, an ihrer Spitze der Feldherr des ganzen Heidelberger Zuges, Marschall Wilhelm von Habern, prüfenden Blickes die Ferne musternd und selten nur ein paar Worte mit den neben ihm reitenden Freunden wechselnd, mit Landschad von Stainach, dem pfälzischen Rat, und dem grimmen Junker Affenstein.

Hinter der Rennfahne grollte und stöhnte die zertrampelte Halde des Neckartales von schwerer Eisenlast. Der gewaltige Haufen zog heran, Herrn Johannes, den Wild- und Rheingrafen, mit blutrotem Banner an der Spitze, vierhundert auf wuchtigen Pferden sich wiegende Panzer, Edle und Knechte durcheinander, ein verworrenes Farbenspiel von Wappen, von springenden Hunden und grollenden Panthertieren, von Vögeln, Hirschgeweihen, Menschenköpfen, Balken und Streifen auf rasselnden Schilden. Dann wieder ein blauweißes Feldzeichen. Richard Greiffenklau, der Erzbischof von Trier, ritt unter ihm mit seinem Adel. Das breite Schlachtschwert hing von dem rüstigen Leibe des Ehrwürdigen hernieder und grimmig stechend blinkten unter dem aufgeschlagenen Visier die kalten Augen.

Und neues Rossegetrampel! Die Reisigen von Jülich und Cleve zogen, zweihundertfünfzig Mann stark, heran. Hinter ihnen reckte es sich in endlosen Massen empor, wie ein Stangenwald, in dem der Sturmwind gehaust, kreuz und quer, im schweren Tritte schwankend. Unter Leonhart von Schwarzenberg wanderten hinter Kirche und Adel die frommen Landsknechte. Dreitausend verwegene, wüste Gesellen, die Hellebarde über der Schulter, in abenteuerlicher Buntheit herausgeputzt, – brüllten sie eines ihrer Schelmenlieder, das, bei guter Laune der gefährlichen Horden von den Oberen überhört, ihnen um so furchtbarer ins Ohr klang, wenn wieder einmal eine der üblichen blutigen Rebellionen durch die Lagergassen grollte und angesichts des Feindes die Knechte ihren rückständigen Sold begehrten.

»Wir zogen in das Feld – wir zogen in das Feld – Da het wir weder Seckel noch Gelt,«

gröhlte es in den vordersten Reihen, und im Trommelrasseln scholl der tausendstimmige Kehrreim: » Strampe de mi! – Ala mi presante, al vostra signori

»Wir kamen für Siebentod – wir kamen für Siebentod – Da het wir weder Wein noch Brot ... Strampe de mi

Und aus der Mitte des endlosen Hellebardenzuges hob sich als tröstliche Erinnerung der Schlußvers:

»Wir kamen für Friaul! Wir kamen für Friaul! De het wir allesamt voll Maul! Strampe de mi! Ala mi presante, al vostra signori

Weiter hinten verklang der Gesang im Ächzen und Knarren schwerer Räder, in ruckweisem Gepolter und Peitschengeklatsch. Herr Georg Halbgewachsen führte dem Pfälzer Heere das schwere Geschütz nach und lachte zu seinem Waffenbruder, dem von Nippenberg, der neben ihm sein Roß zügelte: »Das ist fürwahr ein schöner, wohlgerüsteter Haufen, Reisige und Fußvolk, ganz lustig zu sehen. Und dazu unsere Arkeley! Der Feind soll schauen, wie man mit groben Krücken umgeht! Wir wollen vor seiner Wagenburg ein Avemaria läuten, daß ihm der Kopf brummt, und unter sie schießen wie unter die Hühner, darum, daß sie Burgen und Klöster abtun und geschworen haben, die Deutschherren, Pfaffen, Ritter und Juden allzugleich auf die Schlachtbank zu liefern!«

Hinter den Geschützen endlich kam, von Berittenen geleitet, der Troß, die Karren mit Kraut und Lot, mit Brot und Hafer, die Viehherden und kranken Pferde, die mit Tafelgerät, mit Weinfässern und seidenen Pfühlen wohlgefüllten Wagen des Bischofs von Trier, des Deutschmeisters und anderer geistlicher Herren, und endlich die Schwärme von Flüchtenden, die sich in dem allgemeinen Brand umher unter den Schutz der Pfälzer Waffen gerettet. Alte Edelherren mit Weib und Kind, Mönche, die Ratsherren der übergegangenen Städte und als ein Gewimmel schwarzer Kutten, die sich, wie die Küchlein unter den Fittichen der Glucke, um die stämmige, einem Mann in Derbheit und Kriegsmut gleichende Äbtissin scharten, die Nonnen aus dem Kloster Gnadenthal.

 

Bei ihnen hatte Madlene Unterkunft gefunden und war, während das Heer weithin am Neckar sein Lager bezog, in dem Zeltwagen der Äbtissin in tiefen Schlaf gesunken. Um sie klang das Schmettern der Trompeten, das Plätschern und Schnauben der Pferde in den Neckarwellen, das Brüllen der Rinder und die Flüche der frommen Landsknechte, all der verworrene hundertfache Lärm des Lagers, und weckte sie nicht, bis der Frühlingstag schon fast gesunken war und über die Rebenhügel im Osten die Dämmerung heranschlich.

Da schlug sie die Augen auf. Ritter Felix stand vor ihr.

»Der Pfalzgraf hat sich nach Euch erkundet,« sprach er. »Eben war ich bei Seiner Gnade, nachdem ich mich ausgeruht und mir Staub und Asche im Flusse abgewaschen hab'!«

Sie richtete sich empor. »Wie hat Euch der Kurfürst aufgenommen?«

Der von Trugenhoffen lachte seltsam. »Recht lind und lieblich, Madlene, wie es die Art der großen Hansen ist, wenn sie selbst in Nöten stecken. Reicht mir die Hand und läßt sich vernehmen, ich sei sein besonderer und treuer Ritter und Lehnsmann auf dem Trughof. Und hat mir doch vor einem Jahr mein Haus Trugenhof also zugerichtet, daß jetzt allnächtlich darin der Schuhu den Wölfen predigt und die Fledermäuse im Bergfried Meister sind. Aber freilich – jetzt verspürt es der Pfalzgraf am eigenen Leib, wie es tut, wenn man sein altes Stammhaus im Feuer aussterben sieht! Nun muß er selbst den Zorn verdrucken und hier am Neckar liegen bleiben, bis das große schwäbische Bundesheer unter dem Truchseß heranzieht und er zu ihm stoßen und, wie er spricht, der Bauern Frevel mit eiserner Rute züchtigen kann, daß andere ein Ebenbild davon empfahen!«

»Wer Euch reden hört, Felix« – Madlene war aufgestanden und trat vor ihn – »der sollte glauben, Ihr seid der teuflischen Bauern eher Freund als Feind, nach alledem, was sie Euch haben widerfahren lassen!«

»Mit den Bauern, die da würgen und brennen, hab' ich nichts gemein!« erwiderte der von Trugenhoffen langsam. »Man soll die bösen Buben dreist beim Kopf fassen, sie wissen nicht, was sie tun. Aber es steht etwas anderes dahinter, und das läßt mich nicht frei, und ich frag mich immer wieder: wie geht das zu? Die Bauern sind arm und von den Fürsten und Pfaffen geplackt – und wollen das abtun. Ich bin auch arm und von den Fürsten und Pfaffen geplackt und wollt' es umsonst abtun mit dem Sickingen und den anderen Rittern. Wie komm' ich also in der Fürsten und Pfaffen Lager und drücke dem Pfalzgrafen die Hand?«

»Ihr habt ihm die Urfehde geschworen auf dem Marktplatz zu Heidelberg!«

»Wißt Ihr auch noch, wem zulieb, Madlene?«

Sie hatte sich abgewendet, »Wahrlich, daran zu denken, ist nicht die Zeit,« sagte sie leise, »sondern Gott zu danken für seine wunderbare Fügung und Gnade« – ihre Hand wies auf den waldumbuschten Hügel, der sich über dem Lager wölbte. »Ich will hinauf, Lieber, dort oben in die Kapelle.«

Der Ritter kannte die Kapelle wohl, wenn Ungewitter aufzogen, dann läutete der Klausner oben die Anne-Susanne, die heilige Glocke, und vor den geweihten Klängen zog Blitzstrahl und Hagelschlag seitwärts, daß ungeschädigt die Reben weiter grünten und das goldene Korn rauschte, »steigen wir denn zu der Kapelle!« sprach er fügsam, und sie traten hinaus.

Die Äbtissin wollte Madlene zurückhalten, jetzt im Abendgrauen aus dem Lager zu gehen. Aber der, Ritter tröstete sie: »Es hat keine Gefahr, Ehrwürdigste! Die Dörfer ringsum sind leer, und weit in die Nacht hinaus halten unsere Reisigen Beiwacht!«

»Dann betet für uns alle, Ritter!« seufzte die rotbäckige Nonne, »daß wir nicht allesamt verderben und vergehen!«

Da lachte der irrende Ritter, »Liebe Äbtissin!« sprach er. »Seid wohlgemut! Als der Götz sagt: ›Ich bin dreimal verdorben gewesen, aber danach noch hier! Ihr aber seid's ungewohnt!‹« Und damit schritt er mit Madlene den steilen Waldpfad hinauf.

 

»Gebt mir Eure Hand!« sprach er nach einer Weile, während sie mühsam im Dämmern des Dickichts sich über Wurzeln und Steine aufwärts tasteten. Und als er ihre Finger in den seinen ruhen fühlte, fuhr er fort: »Vor wenigen Tagen hättet Ihr's nicht geglaubt, Madlene, daß wir einst als traute Gesellen Hand in Hand dahin gehen sollten.«

Sie schüttelte verstört den Kopf. »Redet mir nicht von gestern!« murmelte sie. »Schweigt lieber und kommt beten! Es war große Sünd'!«

»Es war keine Sünd', Liebe! Das Feuer selbst hat's so gewollt, wir sind vor einem feurigen Altar miteinander getraut. Du war Gott der Herr vor uns mit seinen Flammen. Als der rechte Schmied hat er unsere Herzen in der Glut zusammengeschlagen. Nun sind sie eins. Mögen rucken und zucken. Können doch nicht sich wieder absondern, sondern müssen eins im anderen das Leben bestehen und zu ihrer Zeit zusammen erkalten.«

Sie erwiderte nichts. Schweratmend schaute sie hinab ins Tal. Der Mond war aufgegangen und umwebte alles mit bläulichem Schein. In silbernem Zittern kräuselte sich unten das Silberband des Neckars, von den grellroten Flackerpunkten der Lagerfeuer gesäumt; vom Himmel grüßten in schweigendem Glanz die Sterne, und um sie her ging ein geheimnisvolles Rauschen und Weben durch den weißdampfenden, in die Flut des Mondlichts gebadeten Berg, ein lauer, süßer Hauch, dem sich die tauschweren Zweige demütig neigten.

Unten im Tal standen die blühenden Fruchtbäume, in keuschem Blütenschnee wie im Brautgewand durch die helle Frühlingsnacht leuchtend, und schauerten leise, vom Kosen und Fächeln der weichen Nacht umweht. Nichts regte sich sonst. Nur das Gefühl eines unendlichen Werdens umfing die beiden, überall ein Sprossen und Grünen, ein Aufwärtsdrängen, ein gewaltiges Sehnen im Mondwald und in ihrer Brust.

Schweigend gingen sie weiter zu der Kapelle. Sie stand offen und leer. Der Klausner war mit seinen Heiligtümern geflohen und hatte selbst den Klöppel der Anne-Susanne mitgenommen, daß keine fremde Hand die geweihte Wetterglocke läute. An der Schwelle hielt Madlene ihren Begleiter zurück, »Laßt mich allein!« sagte sie. »Ich will allein beten!«

So blieb Ritter Felix draußen stehen. Zum Beten war ihm nicht zumute, eher zum Lachen, zum Singen, zum Kampf, zu allem, worin sich Stärke und Freude betätigt. Ein wildes, übermütiges Kraftgefühl wuchs in ihm. Mit schweren Schritten ging er auf und nieder, die klare Nachtluft sog er in durstigen Zügen ein und blickte wie berauscht zum sternenflimmernden Himmel auf, zu der friedlich träumenden Erde hernieder, als sei das alles in der Stunde sein und ihm Untertan, so weit das Auge reichte und der Gedanke flog.

Und dann trat er leise wieder an die Kapellentüre, um nach Madlene zu schauen. Er sah ihre schlanke Gestalt, vom Mondlicht übergossen, vor dem Gnadenbild knien, das Haupt mit den blonden Flechten zurückgeworfen, die Hände gefaltet, und er hörte ihr stammelndes Schlußgebet: »O du allerseligste Jungfrau Maria und alle lieben Heiligen ... bitte für mich ... erlös' mich, wie aus dem feurigen Pfuhl, so aus der argen Sünd' und allem Frevel.«

»Was habt Ihr Sünde getan?« Ritter Felix ergriff sie bei der Hand. »Ihr habt Euren Mann nicht geliebt. Das ist Eures Herren, dem Gott seinen Frieden und Gnade schenke, – ist Eures Herren einzig Fehl und Schuld. Er hat sich gedacht: Ein Mann ist ein Mann und ein Weib ist ein Weib – und sei ein Weib so bös es wolle, wann ein Mann ihr die Zähn' zeigt, kann er ihr die Bosheit wohl abziehen. Greine sie danach, solang sie wolle, es wird ihr nicht schaden, wenn der Herr ihr einmal nach dem Kopf greift. Selbes aber war letz gedacht. Denn Ihr seid nicht bös und nicht hoffärtig, keine von den Jungfern, die jedem gern ein Klämperlein anhängen. Sondern Ihr wart jung und er war alt! Da macht Hans Sachs keinen Reim draus. Es fügt sich nicht und schlagt übel aus, als wir besehen haben. Ich bin jung. Da hat das Ding ein ander Gesicht und wird uns frommen, wann Ihr Euer Jahr im Kloster abgetan habt und des ledig seid!«

Sie gingen schweigend dahin. Dann blieb Madlene stehen. »Mir ist's wie im Traum,« sagte sie. »Die Ruhe und der Wald und der Mondschein. Und vor wenigen Stunden noch blutige Flammen und der Bauern Geschrei und Todesnot.«

»Dort war das Leid,« sprach Ritter Felix. »Hier ist die Freud'. Aus der Bitternis kommt das Glück. Mir ist's geworden und ich will's halten mit guter Hand!«

 


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