Theodor Storm
Zur Chronik von Grieshuus
Theodor Storm

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Als die Schlehen blühten, ist einmal wieder Friede geschlossen worden; auf und ab im Lande läuteten die Glocken, und das Gemenge fremder Völker verlor sich allgemach. Auch von der kleinen Dorfkirche unterhalb Grieshuus scholl das Geläute; aber eines Nachmittags, da es auf den andern Türmen schwieg, begann es abermals. Nicht dem kurzen Frieden galt es, den mit unfriedlichem Herzen die Menschen in falsche Worte faßten; es galt dem, den kein Streiter noch gebrochen hat.

Von Grieshuus herunter kam ein Leichenzug; auf dem Deckel des Sarges hatte der kunstreiche Schmied des Dorfes das Wappen in Kupfer ausgeschlagen, denn der alte Herr von Grieshuus lag darunter. In dem offenen Wagen, der dann folgte, saßen die beiden Brüder, der Junker Hinrich und der herzogliche Rat; aber der letztere hatte es eilig; zu Gottorf gab es itzt überviel zu schlichten und zu richten; und während sie in dem Gruftgewölbe an des Vaters Sarg das letzte Amen sprachen, hielt drüben vor dem Kruge schon der Reitknecht sein und seines Herrn Pferd am Zügel.

Wie beim Verlöbnistag zu Kiel, so waren auch heute zwischen den Brüdern der Worte wenige gewesen; nur als dann auf dem Kirchhofe der jüngere sich verabschiedete, sprach er, wie beiläufig, zu dem andern: »Du weißt, des Vaters Testament ist jüngsthin auf dem Landgerichte hinterleget worden?«

Herr Hinrich aber stutzte: »Ein Testament? Wozu denn das? Mir ist nichts kund geworden.«

Der herzogliche Rat hatte flüchtig seine Hand gestreift. »So will ich sorgen, daß terminus zur Publikation alsbald hier anberaumet werde.«

Dann schritt er auf dem Steig dem Kruge zu und ritt mit seinem Knecht davon.

In unruhigem Brüten war der Bruder stehengeblieben, während unter dem wiederbeginnenden Läuten ein zweiter schlichter Sarg herzugetragen wurde; nur der alte Jäger Owe Heikens und ein weinendes Mädchen gingen hinterher. Aber die Leute auf dem Kirchhofe drängten sich auch zu dieser offenen Gruft; auch den der Tod in diese Lade hingestreckt hatte, lockte es sie, begraben zu helfen. Und auch über ihn sprach der Pastor: »Und zur Erde sollst du wieder werden!« Als aber, da der schwere Schaufelwurf vom Sarge widerdröhnte, mit selbigem ein heller Wehlaut von der Gruft erscholl, da drängte sich die hohe Gestalt des Junkers Hinrich durch die Menge, und als sodann auch hier das letzte Vaterunser war gesprochen worden, nahm er vor aller Angesicht die Tochter des Begrabenen an seine Brust und hielt sie so unbeweglich, bis er den Pastor schon drunten auf dem Wege nach seinem Hause zuschreiten sah. »Komm!« sprach er leise zu dem schönen Mädchen, daß nur neben ihm ein altes Weib es hörte, die schier verwirrt zu ihm emporsah; und als ob jedes von ihnen wußte, daß sie beide eines Sinnes seien, folgte sie Hand in Hand dem geistlichen Herrn in sein Haus. Da sprach der Junker: »Ehrwürden, wir bitten, verlobet uns einander, daß diese hier an meinem Herzen ihre Heimat habe!«

Und die Hände des alten Priesters legten zitternd sich auf ihre Häupter.

Drüben von dem Kirchhof aber schritt Owe Heikens, mehr als einmal mit dem Kopfe schüttelnd, seinem Hause an den Eichen zu.

 

Die schon anberaumte Hochzeit des Junkers Detlev, welche durch die letzte Kriegszeit wider allen Brauch verzögert war, wurde durch das Trauerjahr aufs neue hinausgerückt; anders bei dem älteren Bruder: hier hatte der Tod zu raschem Ehebündnis getrieben.

Hinter den Eichen von Grieshuus, noch oberhalb der Niederung des Flusses, war in einem Lindenkranz ein Meierhof gelegen; einst zu einem später niedergelegten Gut gehörig und aus diesem einer Base von der Junkers Mutter zugekommen, war er von letzterer in ihrem Testamente diesem als ihrem Patenkinde zugeschrieben. Bisher hatte ein Pächter darauf gesessen; aber die Pacht war mit dem Herbste abgelaufen; seit Monaten wirtschaftete Hans Christoph dort, den noch der alte Herr zu dem Behuf dem Sohne überlassen hatte.

In dieses Haus war Junker Hinrich mit seinem jungen Weibe eingezogen. »Trete nur fest auf!« hatte er zu ihr gesprochen, da er nach der Trauung sie vom Wagen hob; »das hier ist mein; und nun – durch Gottes Gnade – unser!«

Noch heute, in des Erzählers Tagen, zeigte man in jener Gegend auf einem Vorsprung eine alte Linde, die trotz des völlig ausgehöhlten Stammes noch eine mächtige Krone in den Lüften wiegt; hier habe man derzeit die beiden schönen Menschen oftmals stehen sehen, wie sie Hand in Hand über das weite Flußtal hinausschauten, während der Sommerwind in ihren blonden Haaren wehte; auch abends wohl, dem Schrei der wilden Schwäne horchend, die im Sternenschein dem Wasser zuflogen.

– – Zu Anfang im Augustmonat nach der Hochzeit war es, als Junker Hinrich zur Testamentseröffnung nach Grieshuus hinüberritt. In dem großen, seit Jahren unbenutzten Saale, oben in einem Vorsprung nach der Dorfseite, traf er nur den Landgerichtsnotar und dessen Schreiber; vergebens suchten seine Augen nach dem Bruder. Statt dessen war ein schwarzer Herr mit gepuderter Perücke hereingetreten: Der herzogliche Rat sei, ihm zuleide, durch häusliche Geschäfte abgehalten; und hatte sodann eine in aller Form Rechtens auf ihn ausgestellte Vollmacht auf dem Tische vor den Gerichtspersonen ausgebreitet.

Der Herr war einer von des Rates Unterbeamten, und die Formalien wurden für richtig angenommen. Danach wurden im Beisein der so Beteiligten die Siegel gelöst und das Testament verlesen. »Im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit« begann der alte Notarius, und der Junker stand wie gebannt, die Faust um eines Sessels Lehne, und horchte atemlos; bald aber, da die lange Eingangsformel abgelesen war, schoß ihm das Blut zu Häupten, er riß von seiner Brust das Wams zurück, und der schwere Stuhl klappte auf den Boden, daß es in dem weiten Raume widerhallte. Er hatte gehört, was zuvor nur wie ein Fieber ihm durchs Hirn geschossen war: an Geld und Gut zwar kürzte ihn des Vaters Wille kaum, aber Grieshuus, das Stammhaus, war dem jüngeren Bruder zugeschrieben. Der Vorleser hatte innegehalten; er begann aufs neue und brachte es zu Ende. Dann wurde das vom Schreiber geführte Protokoll vollzogen, das die gesetzlich geschehene Publikation beurkunden sollte; auch Junker Hinrich trat heran und unterschrieb, doch mit dem Zusatz: »Unter Vorbehalte meines arg verletzten Rechtes.«

Als er sich schon entfernen wollte, trat der schwarze Herr noch einmal auf ihn zu und überreichte ihm ein versiegelt Schriftstück: »Ich hab' Euch zu ersuchen, daß Ihr von diesem Briefe Eures Herrn Bruders noch hier, in diesem Raume, Kenntnis nehmen möget!«

Die feste Hand des Junkers bebte, als er das Siegel aufriß; aber schon flogen seine Augen über die Schrift des Bruders:

»Den mir zuvor bekannten letzten Willen unsers Vaters«, so lautete der Inhalt, »habe ich, auch so ich es gekonnt hätte, aus gutem Grund nicht hindern wollen, obschon selbiger nicht nur deinen, sondern gleichermaßen meinen Wünschen widersteht; denn jeder hat itzt, was dem andern dienen würde. So du also, nachdem dir solches kund geworden, in Erkenntnis deiner Pflicht gesonnen wärest, dich des geringen Mädchens zu entledigen, so daß ich unsers Hauses Ehre ungefährdet wüßte, dann komme in den nächsten Wochen zu mir auf Schloß Gottorf, und wir werden unsers Erbes Tausch mit Glimpf vollziehen können. Solltest du aber, wovon ein Hall zu mir gedrungen, in teufelischer Verblendung bereits den Ehebund mit jenem Weibe eingegangen sein, so werd ich dir die Wege weisen, dich ihrer dennoch abzutun, und soll zu solchem dir meine brüderliche Hilfe nicht entstehen.«

Der andre stand noch immer vor dem Junker, der auf das Schriftstück starrte, als ob er mit den Augen es durchbohren müßte. »Wollet mir Urlaub geben«, sprach er; »was Antwort soll ich Eurem Bruder melden?«

Herr Hinrich schien ihn nicht zu hören.

Und wieder nach einer Weile: »Meine Zeit ist kurz«, begann er, »darf ich um Eure Antwort bitten?«

Da fuhr der Junker auf: »Hier ist sie!« schrie er und warf den Brief in Fetzen unter seine Füße. »Ihr aber, so Ihr wußtet, was Ihr mir gebracht, so seit Ihr einen Schurkenweg gegangen!«

Und mit starken Schritten ging er aus dem Saale und war schon drunten aus dem Haustor, als des andern Hand nach seinem Schwerte fuhr.

Aber der Rappe mußte es fühlen, was auf dem Rückweg in dem Reiter tobte; und als Herr Hinrich vor seinem Hause aus dem Sattel sprang, da drohte ihm Frau Bärbe mit dem Finger: »Das arme Tier! Hattst du denn solche Unrast, zu deinem Weibe wieder heimzukommen?« Er aber legte schweigend seinen Arm um ihre Hüfte und führte sie ins Haus zurück; und als er eine Weile finster dagesessen, berichtete er nur eines, daß ihm Grieshuus im Testamente abgesprochen sei. »Aber ich will mein Recht, und sollt ich wider meinen toten Vater streiten!« Und als die Augen seines Weibes voll Sorge zu ihm aufsahen, rief er: »Du sollst hier nicht in dieser Bauernkate sitzen!«

Ihre Hand strich sanft an seine Wange: »Tu, was du mußt, Hinrich; nur nicht im Zorn und nicht um meinethalben!« Dann zog sie ihn hinaus ins Freie, wo schon das Abendrot am Himmel stand; und sie gingen in die Niederung durch ihre Felder, wo der Erntesegen in goldenen Ähren wogte. Aus einem Seitenwege kam Hans Christoph zu ihnen, zog seinen Hut und sprach: »So Ihr es meinet, Herr, ich denke, wir müßten bald ans Schneiden gehen!«

– – Und wieder nach einigen Tagen, als sie bei all dem Segen, der nun in ihre Scheuer eingefahren wurde, ihren Eheherrn so ohne Freud und ohne Worte zwischen den Leuten umherstehen sah, die Augen nach den mächtigen Wäldern von Grieshuus, die in der Ferne wie ein Gebirge lagen, da sprach Frau Bärbe, seine Hand ergreifend: »Sind das die Flitterwochen, Hinrich?« Und da er zärtlich zu ihr niederblickte, zog sie ihn in das Gärtchen, das hinter der Scheuer war. »Ich weiß wohl, was du sinnest«, sprach sie; »aber bedenke es wohl! Da du mich freitest, tatst du wider deinen Vater; du wolltest minder, als er für dich wollte; tu nun nach seinem Willen, daß du in dem andern dich begnügest!« Doch da sie sah, daß seine Augen noch immer wie im Grolle dicht beisammenstanden, sprach sie beklommen: »Du hast zu hohen Preis für mich gezahlt.«

Da hob er sie mit beiden Armen auf und preßte sie wie ein Kind an seine Brust: »Nein, nein; laß fahren, Bärbe! Ich zahlte für mein Leben; weg dem, der das mir anzutasten waget!«

Es fraß doch weiter in ihm. – Und Herbst und Winter war es geworden, und die Erbteilung war noch immer nicht geschehen. Soviel war zwischen den Brüdern festgesetzt: der Stammhof wurde bis auf weiteres von dem früheren Pächter des Meierhofs verwaltet; aber jeder von beiden betrachtete sich als dessen Herrn. Da, an einem Sonnabend, als in den Bauerngärten das erste Grün der Stachelbeeren vorbrach, hieß es, die Braut des herzoglichen Rates und deren Mutter seien mit demselben auf dem Herrenhofe angelangt; die Braut habe, ehe sie den Mann nehme, sich Land und Sand besehen wollen.

Und am Sonntagvormittag war die Kirche voll, und die Weiber und die Dirnen hatten ihre besten Käppchen auf; nur droben im großen Patronatsstuhle war noch niemand, wie nun seit lange schon; denn der Wohnplatz des jungen Ehepaares gehörte zu einem andern Kirchspiel, und Junker Hinrich und sein Weib hatten seit seines Vaters Tode die Kirche hier nicht mehr betreten. Als aber der Pastor, nachdem die Gemeinde einen deutschen Psalm gesungen, vor dem Altar stand und eben das Kyrie eleison angestimmt hatte, ging eine Unruhe durch die Kirchenstände, Weiber und Männer stießen sich an und raunten ein flüchtig Wort mitsammen; auch der Pastor hatte einen Wagen auf den Kirchhof fahren hören; aber es war der schwere Gutswagen nicht, und gleichwohl klang es von den Mauerringen, als würden Pferde daran festgebunden.

Da wurde die Kirchentür aufgestoßen. »Sie kommen!« flüsterten die Dirnen und drehten ihre Hälse nach dem Steige. Aber die Erwarteten waren es nicht, obwohl es schon des Umsehens wert war; denn der Junker Hinrich mit seinem blonden Weibe schritt langsam durch die Kirche. Sie trug freilich nur ein schlicht Gewand; doch wurde ihr Haar, wie es derzeit dem Adel nur gestattet war, von einer goldenen Klammer gehalten, daß es in drei schimmernden Strähnen niederfloß; aber sie drückte sich an den hohen Mann, als ob sie Schutz bedürfe, und als beide die Treppe zum Emporium hinaufgestiegen waren, sahen es die Frauen, daß sie gesegneten Leibes sei.

Von droben blickte der Junker fast wie zornig in die Kirche hinab. »Dominus vobiscum« sang der Pastor und wandte sich zum Altar.

Und wieder drehten in der Gemeinde sich die Köpfe abwärts nach dem Eingang: ein zweiter, aber schwerer Wagen fuhr draußen vor der Kirche auf; Peitschenklatschen, ein Fluch des Fuhrknechts war hereingedrungen, und während der Pastor die Kollekte las, war aufs neue die Kirchtür aufgestoßen. Es wurde totenstill: der herzogliche Rat mit ein paar hohen, stolzen Frauen, denen eine Kammerzofe folgte, war in den Mittelsteig getreten.

Der Junker Hinrich hatte im Kieler Rathause doch wohl fehlgesehen; denn die jüngere der Frauen erschien gar stattlich, aber sie blickte kalt und strenge um sich. Als sie weiter vorgegangen waren und der Bräutigam nach dem Patronatsstuhl aufsah, stutzte er und hielt die Frauen an seinem Arm zurück. Die Augen der Brüder hatte sich gefaßt, und eine Weile standen sie wie still ineinander; der blonde Frauenkopf da oben war totenbleich geworden.

»Es ist besetzt«, sagte der da unten; »aber ich werde uns Platz zu schaffen wissen.« Und da der Pastor ausgelesen hatte, tönten diese Worte durch die ganze Kirche.

Hätten die Augen des Junkers Hinrich töten können, der Sprecher wäre lebendig nicht vom Platz gekommen; mit einem Aufschrei griff Frau Bärbe nach ihres Mannes Hand, die ihm eiskalt auf den Knien lag.

Aber der herzogliche Rat schritt mit den Frauen aus der Kirche; man hörte den Wagen fortfahren, und ohne Störung ging der Gottesdienst zu Ende.

 

Es war am 24. Januar spät am Nachmittage. Junker Hinrich war in der Stadt gewesen, wo er mit dem Magistrat zu tun gehabt hatte; denn die alte Base seines Weibes war gestorben und hatte dieses als ihre Erbin eingesetzt. Behaglich ritt er durch das Heidetal, dann durch den Wald; aber vor seiner Haustür sprangen zwei Mägde ihm entgegen: »Ach, Herr! Ach, Junker Hinrich, Euer Weib!«

Und als er in die Kammer hinter dem Wohngemach getreten war, sah er sein Weib im Bette liegen; ein Unschlittlicht brannte auf dem Tische; aber er erkannte sie fast nicht. Die Hebamme des Dorfes war um sie; sie stand über einer Wiege, aus der das Winseln eines neugeborenen Kindes drang. »Was ist das hier?« sprach er; »der Erbe von Grieshuus sollte in zwei Monden erst geboren werden!«

»Es ist kein Erbe, nur eine Tochter«, sagte die Hebamme.

Aber eine der Dirnen war ihm in die Kammer nachgeschlichen. »Ein Bote ist dagewesen«, sagte sie; »vom Landgerichte, heut am Vormittag!«

»Was hat denn der gewollt?«

»Weiß nicht, er frug nach Euch; da hab' ich zu der Frau ihn hingewiesen.«

»Bärbe!« sagte der Junker leise, und auf der Bettkante sitzend, strich er seinem Weibe die feuchten Haare von den Schläfen.

»Ja!« – Wie ein Hauch kam es, und wie aus einer fernen Welt hob sich das junge durchsichtige Antlitz aus den Kissen auf. »Bist du es, Hinrich?« – Und sie streckte heftig ihre beiden Hände um seinen Hals und schrie, als ob Entsetzen sie befalle: »Nein, nicht von dir; nicht von dir! Oh – lieber sterben!« Dann ließ sie los und sank mit geschlossenen Augen in die Kissen.

Der Junker war an der Bettstatt hingestürzt: »Nein, nicht von mir, nie, nie! – Hör es, hör es doch; nie von mir, solange wir beide leben!«

Aber sie lag wie eine Tote.

Da besann er sich: »Der Bote muß was gebracht haben«, sprach er; »holet es mir!«

Und die dumme Dirne, die an der Tür stand und mit der Faust die Tränen von den Augen wischte, lief in das Wohngemach und brachte ihm etliche Schriftstücke und eine aufgerissene Hülse.

»Seh Sie nach meinem Weibe!« sagte er zu der Frau; dann las er; und nach einer Weile laut und immer lauter: »Dann Anno 1655 ist gen. Vater mit der Barbara in das Gut gezogen, hat aber verabsäumt, sich seine Freiheit von dem Grundherrn legaliter verbriefen zu lassen, und sind demnach die zwei Genannten, wie durch Urteilspruch des Landgerichts mehrfach schon bestätiget, desselben Eigene geworden. Die Ehe des Beklagten mit selbiger Leibeigenen ist eine nichtige, da sie ohne des klägerischen per testamentum Eigentümers consensus ist geschlossen worden.«

»Der Teufel ist dein Leibeigener!« schrie der Junker und warf die Klagschrift des Bruders von sich.

Aber die Hebamme legte die Hand auf seinen Arm: »Herr, Euer Weib!«

»Ja, ja; und das hat sie gelesen! Er wußte es, wo sie zu treffen war.« Und er neigte sich zu ihr; und da er ihre Hand ergriff, war sie fast kalt, und das Gesicht verwandelte sich seltsam.

»Was ist das?« frug er.

»Ich weiß nicht, Herr. Holt einen Arzt!«

»Bärbe, Bärbe, geh nicht von mir, bis ich wiederkomme!«

Und schon war er zur Tür hinaus. »Hans Christoph!« rief er; »Hans Christoph!«

Aber die Dirne war ihm nachgelaufen: »Was denkt Ihr, Herr! Er ist zum Schmied hinunter mit den Sensen.«

Da warf er sich selbst auf seinen Rappen, und mit todblassem Angesicht flog er durch die Eichen von Grieshuus hinüber nach der Stadt.

– – Ein paar Stunden war es weiter; der Mond war aufgegangen und stand zu Osten über der Heidemulde. Kein Tierlaut regte sich; die Vögel lagen im Kraut auf ihren Nestern; nur die hochaufgeschossene stille Dirne aus der Besenbinderkate vom Ende des Dorfes hatte sich verspätet; eifrig schnitt sie mit ihrem kurzen Messer die Heide ab und legte sie zu Haufen. Da galoppierte ein Reiter an ihr vorbei. »Heida!« Aber sie hatte ihn erkannt; es war der Reitknecht des herzoglichen Rates, der nach Grieshuus hinüberritt. »Was wollte der?« Und sie band sich ihr Tuch fester um das Kinn; denn aus Westen kam ein Wind vom Meer herauf.

Sie ging weiter nach Osten hinauf, denn da war die Heide länger, und leg eben unter ein paar Birken, als ein Geräusch von Grieshuus her sie aufsehen machte. Und wieder kam der Hufschlag eines Pferdes, ein Reiter, der wie rasend durch die Heide auf sie zu ritt. Aber er war vorbeigeritten, und da eine Wolke vor den Mond fuhr, hatte sie ihn nicht erkannt. Sie schüttelte den Kopf und sah ihm nach. Und zum dritten Male, ihm entgegen – was war denn das? Sie hatte kaum jemals hier was reiten sehen – kam abermals ein Pferd; aber langsamer, fast war's als würde es zurückgehalten.

Sie ließ die geschnittene Heide liegen und kroch auf Händen und Füßen näher heran. Aber es war zu weit; sie stieg an der Ostseite hinan, bis sie oben unter den Bäumen entlang lief; jetzt hörte sie die Pferde stoppen, laute zornige Worte, die sie nicht verstehen konnte; dann war's, als ob die Reiter von den Pferden auf den Boden sprangen.

Es mußte ihr gegenüber sein, und sie trat aus den Bäumen und sah hinab; aber der Mond lag noch hinter Wolken; ein Gewühl war drunten, sie konnte nichts erkennen. »Mein Leben! Mein Leben!« schrie eine Stimme. »Sie stirbt; ich will dafür das deine!«

Die Dirne reckte den Hals: »Das war Junker Hinrichs Stimme!« Da flogen die Wolken von dem Mond; blauhell lag es drunten, und sie erkannte deutlich den grauen Runenstein am Wassertümpel. Zwei gesattelte leere Rosse standen unweit in dem Kraute, ein braunes und ein schwarzes, das wiehernd in die Nacht hinausrief. Daneben sah sie zwei Brüder grimmig miteinander ringen. Sie stand wie angeschmiedet; dann war's, als ob ein Eisenblitz heraufzuckte, und ein Entsetzen jagte sie von dannen; aber sie entrann nicht: ein gellender Schrei, der über die Heide fuhr, hatte sie eingeholt. Noch einmal stand sie, beide Hände an die Ohren gepreßt, zwischen den Bäumen; dann lief sie ohne Aufenthalt dem Dorfe zu. Voll Entsetzen, in Schweiß gebadet, ihr kurzes Messer in der Hand, kam sie nach Hause.

»He, Matten«, rief die Frau des Besenbinders, »was ist? Wie siehst du aus? Hast sich schon wieder was gemeldet?« Denn das Kind war damit angetan, daß sie Unheil voraussah, das noch geschehen sollte.

Aber Matten schwieg; die Mutter auch; denn man soll nicht davon reden, bis der Vorspuk ausgekommen ist.

Doch schon am Nachmittage danach sprach das Weib, die eben aus dem Dorf heraufgekommen war, zu ihrer Tochter: »Red nur! Drunten in dem Heidloch haben sie den herzoglichen Rat erschlagen! Es schadt uns nichts; nun ist der Junker Hinrich unser Herr!«

– – Aber wo war der Junker Hinrich? – In der Nacht sollte einer bei dem Pastor angepocht haben; er sollte es gewesen sein; aber der Pastor hat davon nichts wissen wollen; dann hat man nimmermehr von ihm gehört. Auf dem Meierhofe lag ein schönes, aber totes Weib, neben ihr ein Siebenmonatskind, ein Mädchen, in der Wiege. So stand es um die Erben von Grieshuus.


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