Theodor Storm
Zur Chronik von Grieshuus
Theodor Storm

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Schon fast seit einer Woche waren die Schweden abgezogen, und noch war der Junker nicht drüben in dem Turm gewesen, obgleich er sonst kaum einen Tag um den andern hatte verstreichen lassen, ohne bei dem alten Owe Heikens einzusprechen; fast war's, als scheue er sich, den jetzt dort wohnenden Gästen zu begegnen. Da kam die Kunde, daß eine Abteilung desselben Kriegsvolkes, welches jenseit des Waldes in der dortigen Flußniederung lagere, zu Zeltstangen und Faschinen die besten Bäume aus den jungen Eichenschlägen haue und schon böslichen Verwüstung angerichtet habe. Der alte Herr, der auf seinen Wald gar große Stücke hielt, ergrimmte heftig; der Junker sollte fort und mit den Offizieren unterhandeln, auch den Jäger Owe Heikens mit sich nehmen, um etwa nach dessen Anweisung aus andern Schlägen Holz zum Kriegsbedarfe anzubieten.

Es war schon hoch am Vormittage, als Junker Hinrich mit raschen Schritten in den Heidestieg hinabging; aber sie wurden langsamer, je klarer drüben das stumpfe Turmhaus vor ihm aufstieg. Mit seinem oberen Stockwerke überragte es die hohe Mauer, welche zum Schutz gegen streifendes Raubgetier den davorliegenden Hof umschloß; das rote Tor derselben leuchtete weithin in der Herbstsonne. Die Heide hatte abgeblüht; dafür begannen schon die Eichen, welche den Bau umstanden, ihre Blätter bunt zu färben; lautlose Stille herrschte, die Zweige, die sich über das Dach erstreckten, lagen ohne Regung auf den schwarzbraunen Pfannen.

Der Junker stand schon oben und hatte den Griff der Pforte in der Hand, als von jenseit der Mauer der jähe Aufschrei eines Huhnes an sein Ohr schlug. »Holla!« rief er und erschrak fast selbst vor seinem lauten Ruf; »ist wieder mal der Falk hineingestoßen?«

Er hatte das Tor geöffnet; aber es war kein Falke aufgeflogen; statt dessen sah er drüben neben der Haustür das schöne Mädchen aus des Kornschreibers Garten auf dem großen Feldstein sitzen. Zwischen ihren Knien hielt sie ein schwarzes Huhn, das krächzend mit den Flügeln schlug und mit dem Schnabel nach der blonden Flechte hackte, die in ihren Schoß herabgestürzt war.

»Sie ist es, Jungfer!« sagte Herr Hinrich, indes er zögernd näher trat, und sah nun erst, daß ihr in der andern Hand ein Messer blitzte.

Das erhitzte Köpfchen, das rückwärts gegen die Mauer lehnte, hatte sich aufgerichtet: »Ich kann nicht!« sprach sie wie zu sich selber. Sie grüßte nicht, nur ihre blauen Augen blickten ratlos und fast hilfesuchend auf den vor ihr Stehenden.

»Was könnet Ihr nicht, Jungfer?« frug Junker Hinrich, als ob er plötzlich einen Schalksstreich berge.

Da kam ein kläglich Lächeln auf des Mädchens Antlitz; sie hub das Huhn empor und sagte: »Der Ohm, da er mit dem Knecht früh in den Wald ging, hat es mir geschenkt; mein Vater verträgt anitzo nicht die rauhe Kost.«

»Ist denn dein Vater krank?«

»Er ist alt, Herr; das jüngsthin in der Nacht, Ihr wisset ja, er hat das nicht verwinden können.« Dann stand sie plötzlich mit heißem Antlitz vor ihm: »Zürnet auch nicht, Herr Junker; ich hätt's Euch tausendmal schon danken sollen!«

Sie hatte das Messer samt dem Tiere fahren lassen; doch Junker Hinrich hatte sich gebückt und beides aufgegriffen: »Vergeßt nur nicht auf Eures Vaters Süpplein, Jungfer!« sagte er.

Dann aber tat das schöne Mädchen gleichzeitig mit dem Huhne einen lauten Schrei, denn ein Blutstrahl war emporgeschossen, gar ein paar Tropfen standen rot auf ihrer weißen Schürze. »Ihr habt es totgemacht!« rief sie und sah bestürzt auf den noch zuckenden Vogel, den er jetzt nebst dem Messer auf den Steinsitz niederlegte.

»Ich wollt's dir abnehmen, Bärbe«, sprach er; »aber nun fürchtest du dich wieder vor mir, wie dazumal die kleine Bärbe, die dann nimmermehr auf unsern Hof gekommen ist; und, freilich, ich hatte ihr Ursach vollauf dazu gegeben.«

»Nein, o nein, Herr Junker!« Und sie sah wie eine Schuldige zu Boden. »Lasset doch das, Ihr waret dermalen noch so jung! – Itzt, ich weiß es, und alle wissen es, auch drüben in der Stadt, Ihr könntet keinem Kind ein Leides tun!«

Den Junker Hinrich überkam's: »Sprecht mich nicht heilig, Jungfer Bärbe; das mit dem Christoph mag schon ruhen bleiben; aber ein andres ist noch, das sich nicht mehr bessern läßt.«

»Um Gott, Herr Junker!« rief sie. »Ihr habet doch nicht gar ein Menschenleben auf der Seele?«

Er schüttelte den Kopf: »Nein, Bärbe, es ist nur ein Hund, ein weißer Hund! Aber er steht oft nachts vor meinem Bette und schaut mich an, als wollt er mir die Hände lecken; und ich hab' ihn doch selbst im jähen Zorn erschlagen, da er nicht mit den andern auf den Wolf wollte, den Owe und ich nach langer Jagd gestellt hatten.«

»Tiras!« rief das Mädchen. »Euern guten Tiras?«

Er nickte. »Und ich konnt's nicht einmal von ihm verlangen; es war ein Hund nur auf das leichte Wild und gegen seine Natur, den Wolf zu packen.«

»O Junker«, und sie streckte wie ein Kind die Hände gegen ihn; »tut doch solcher nimmer wieder!«

Er ergriff sie heftig: »Nein, nein, so Gott mir helfe; man müßte mir denn ans Leben wollen!«

Die blauen Augen sahen strahlend in die seinen: »Merket«, sprach sie leise, »das war ein Schwur!«

Und der Junker nickte: »Nur um mein Leben, Bärbe!«

Von droben aus dem Hause, gegen die kleinen Fensterscheiben, pochte eine schwache Hand, und »Bärbe! Bärbe!« scholl es wie mühsam von einer matten Stimme. Aber noch immer lagen die Hände ineinander.

Und noch einmal, wie in ohnmächtiger Ungeduld, pochte es droben an das Fenster: »Mein Vater!« rief das Mädchen; und dann leiser: »Ihr hattet wohl mit meinem Ohm zu reden, Junker!«

»Ihr mahnet recht, Jungfer«, sagte er und ließ nur zögernd ihre kleinen Hände fahren; »und auch Euer Huhn verlangt wohl nach dem Feuer. Mir aber ist, Ihr hättet eine Last von mir genommen; wollet nun dulden, daß ich solches nimmermehr vergesse!«

Dann war er durch das Tor hinausgeschritten; sie aber stand noch, bis bei einem dritten Pochen die Splitter der zerbrochenen Scheibe ihr zur Füßen klirrten; da schrak sie empor und flog eilig durch die Haustür und treppauf nach ihres Vaters Kammer.

 

Es mußte wohl gewesen sein, daß der Junker etwas nicht hatte vergessen können; denn seit jenem Tage, auch nachdem im Punkt des Waldverwüstens den Wünschen des alten Herrn mit Glimpf genügt worden, ist immer eine andre Ursach aufgestanden, die den Junker den Heidestieg hinab und zu des Jägers Haus getrieben hat; dann aber, da schon die gelben Blätter wie Vogelschwärme von den Bäumen flogen, begann er plötzlich den offenen Heidegrund zu meiden und oberhalb der Mulde durch die Eichen sich den Weg zu machen; die Hunde, die ihn sonst begleiteten, wurden in den Stall geschlossen und winselten ihm vergebens durch die Pforte nach. Dem Kornschreiber konnten diese Gänge nicht wohl gelten; der hatte von jener Nacht im Garten eine Lähmung und saß im oberen Stockwerk in des Jägers Lehnstuhl, von dem Junker aber wurde die Schwelle des alten Turmbaues itzt fast selten überschritten; auch traf es sich zumeist nur um die Zeit des Vormittags, wo Owe Heikens mit dem Knecht im Walde war. Kein Menschenauge, nur die Amseln, die noch durch die fast entblätterten Zweige hüpften, konnten es gesehen haben, daß dann ein Mädchen ihr blondes Haupt an seine Brust legte und seine Arme sie so sanft und doch so fest umfingen, als ob er gegen Feindesmacht sie schützen müsse.

Aber auch von heimlichster Liebe geht ein Schimmer aus, der sie verrät. Als eines Vormittags der Junker, das Haupt von jungem Glücke schwer, aus den hohen Bäumen hart an dem Turmhaus vorgeschritten war, sprach eine Stimme neben ihm: »Ich bin daheim geblieben, Junker, damit Ihr mich nicht allzeit verfehlen möget.«

Junker Hinrich brauchte nicht erst aufzublicken; er kannte Owe Heikens' Stimme schon seit seinen Kinderjahren; aber er war doch zusammengefahren und stand, keines Wortes mächtig, vor dem alten Freund und Diener, obwohl kein Arg in seinem Herzen war. Da sprach dieser von neuem: »Lasset uns wie sonst den Wolf jagen, Junker, oder eine Wildsau, wenn wieder trotz des Grauhunds sich eine hier herüberwagt; aber lasset das Kind in Frieden, das itzt unter meinem Dache schläft.«

Der Junker hob den Kopf, als ob er sprechen wolle. »Nein, redet nicht, Junker!« wehrte ihm der Alte. »Ich weiß ja, was Ihr in Gedanken heget; Ihr seid nicht wie die andern drüben in des Königs Anteil, wo man ein Gesetz will ausgehen lassen, daß alle Jungfernschänder, hoch und nieder, es an Leib und Leben büßen müssen...«

Er kam nicht weiter. Herr Hinrich hatte strack sich aufgerichtet, ein jähes Feuer schoß aus seinen Augen: »Owe Heikens!« schrie er, und seine Faust griff nach des Alten Brust. Doch einen Augenblick nur, und er ließ sie wieder sinken; denn von drüben aus dem Turm scholl es, als ob drinnen leichte Füße die Treppe von dem oberen Stock hinunterhuschten, und dabei schwang ein süßer Sang sich durch die Luft:

»Sein Herz von meinem Herzen,
Das bringet niemand los;
O lieber Gott im Himmel,
Die Lieb' ist gar zu groß!«

Mit verklärtem Antlitz stand der Junker; doch Owe Heikens sagte: »Sorget nicht, Herr Hinrich; sie wird nicht kommen heut; das Tor ist abgeschlossen und der Schlüssel hier in meinem Schubsack!«

Er hatte das fast zornig hingeredet; doch der Junker achtete dessen nicht: »Laß gut sein, Owe«, sprach er; »aber ich denke, du solltest mich nicht mit derlei Schelmenworten paaren!«

»Wenn Ihr das denkt, Herr Hinrich«, und der Alte sah schier traurig zu ihm auf, »was denket Ihr dann weiter? In welcher Kammer in Eures Vaters Hause soll Euer Ehbett mit des geringen Mannes Tochter stehen? Oder wolltet Ihr Euer Erbe gar darum verspielen? Und wenn Ihr es wolltet – ich sag nichts gegen unsers Herrn Söhne; aber es würde groß Klagen geben, so Euer hochgelahrter Herr Bruder hier zum Regiment gelangte.«

Da fuhr der Junker auf: »Du faselst, Ow'; wie sollten meines Bruders Hände nach meinem Gute greifen! Wenn unsers Vaters Augen, die Gott noch lang in dieser Zeitlichkeit belassen wolle, sich einst zu besserer Schau geschlossen haben, dann werden meine über euch sein, so wie es immer Recht und Brauch bei uns gewesen ist.«

Als er solches sagte, wurde inner des Hoftores wie von vorsichtiger Hand ein Rütteln hörbar. »Bärbe!« rief der Junker. »Schließ auf, Owe! Da sollst du sehen, daß Gottes Sonne uns bescheinen mag und keine Flecken dann zutage kommen!«

Aber der Alte zog den Schlüssel nicht aus seinem Schubsack. »Nein, nein, Herr h, ich schließ Euch keine Türen auf; wollet das nicht von mir heischen, so Ihr mich anders für unsers Herren Diener achtet!«

Der Junker sah ihn eine Weile mit seinen scharfen Augen an, dann sagte er: »Ich kann dich drum nicht schalten, Owe Heikens; sehe denn jeder, welcher Weg ihm taugen mag!«

Von jenseit der Pforte drang ein leichtes Atmen an sein Ohr; seine Augen streiften rasch dahin; dann aber nickte er dem Alten zu und schritt den Heidestieg hinab.

»Sein Herz von meinem Herzen,
Das bringet niemand los;
O lieber Gott im Himmel« – –

Halb wie ein Trutzlied klang das schöne Liebeslied, und er sang es hell und heller, je weiter er durch das schwarze Kraut hinausschritt; die Lüfte, die ihm entgegenwehten, nahmen es auf und fuhren damit rückwärts; kein Wörtlein ist davon verlorengegangen.

 

Es heißt wohl: »Liebe findet ihre Wege«, aber dem Junker waren sie seither doch arg verlegt worden. Es schuf ihm unliebsames Grübeln, weshalb der alte Herr, und eben zwar am Vormittage, seiner Hilfe so sonderlich mehr als sonst bedürfen wolle. War es nichts andres, so waren Rechnungen aufzustellen oder für Rotuln und Rezesse in einem zähen Rechtshandel mit der Nachbarsdorfschaft Instruktionen aufzusetzen oder verschwundenen Dokumenten im Bodenschutte nachzustöbern; es fehlte selten etwas, um ihn festzuhalten.

Hatte er sich dennoch einmal fortgestohlen, dann ging die Furcht mit ihm, er möge drüben die Gäste durch seinen Vater ausgetrieben finden. Freilich tröstete ihn bald im Näherkommen, wenn nicht das Pergamentgesicht des Kornschreibers, das hinter dem Fenster im Oberbau sichtbar wurde, so doch ein trocknes Husten, das von dort herniederzitterte. Aber schon beim Eintritt kam Owe Heikens ihm entgegen, und das Schmunzeln, das dabei unter dessen grauem Schnauzbart zuckte, brachte oft ein wildes Funkeln in des Junkers Augen; dann aber scholl wohl ein leichter Fußtritt von oben durch die Zimmerdecke, und er horchte nur auf dessen Wiederkehr und ließ den Alten über Kriegsvolk und Bauern, über Wild und Wälder reden.

Am besten traf er es gleichwohl, wenn das Tor verschlossen war; dann hatten von oben junge Augen nach ihm ausgespäht; und bald, während auf den kahlen Bäumen die Raben vor Frost und Hunger schrien, drangen heiße Worte durch die trennenden Bohlen hin und wider.

– – So war das neunte Jahr gekommen. Die Kriegsunruhen dauerten fort; der junge Herzog Christian Albrecht war in seiner festen Stadt am Eiderstrome von den Dänen eingeschlossen; nur sein Vater, unser Herzog Friedrich, war schon vor dem Herbst auf immer zu dem von ihm ersehnten Frieden eingegangen. Trotz alle diesem war um octavium trium regum in der herzoglichen Stadt ob dem Kiele die Ritterschaft nicht minder zahlreich als sonst vertreten; denn das Geld war knapp geworden, und dort, im Umschlage, konnte man solches zu bekommen hoffen.

Auch Junker Hinrich hatte auf des alten Herrn Geheiß sich dahin auf die Reise machen müssen. Zwar nicht um Geldnegocen abzuschließen; aber der jüngere Junker Detlev, der in der Kanzlei zu Gottorf unter des Herzogs Minister Kielmannsegge bereits einen ansehnlichen Platz bekleidete, sollte dort mit einer adeligen Jungfer aus alterbgesessenem Geschlechte sein Verlöbnis feiern; und Junker Hinrich hatte die Vermahnung bekommen, sich bei dem Tanze auf dem Rathaussaal in gleicher Weise umzutun; denn derzeit pflegten bei diesen Geschäftsreisen die Herren ihre Frauen und Töchter nicht daheim zu lassen, die auch heuer trotz der widrigen Zeitläufte die selten gebotene Lustbarkeit nicht würden meiden wollen. – Der alte Herr aber saß an jenem Abend, von der Gicht, der Alterskrankheit unsres Landes, geplagt, allein in seinem Gemache zu Grieshuus und warf einen Holzscheit nach dem andern in die Flamme des Kamins, die an den weiß getünchten Wänden über seit lang zur Ruh gestellten Waffen und über das Bildnis eines längst begrabenen Weibes ihre roten Lichter spielen ließen. Nur unten in der großen Gesindestube, von wo kein Laut hinaufdrang, ging es bei süßem Brei und Braten laut und lustig her; von dem vornehmen Bräutigam freilich war nicht viel die Rede: die Jüngeren entsannen sich seiner kaum; war er doch fast fremd geworden in der Heimat.

– – Bei seiner Rückkehr mochte Junker Hinrich nicht eben nach des Vaters Wunsch berichtet haben: den Bräutigam hatte er meist nur inmitten der neuen Sippschaft oder sonstiger großer Grundherren angetroffen, am Festesabend auch wohl mit einzelnen Offizieren des Königs, die man dort nicht hatte auslassen wollen oder können; dem Vater und den Dingen von zu Hause hatte derselbe obenhin nur nachgefragt; die geschminkten Angesichter aber der trotz aller Not des Landes mit güldenen Flören, Ringen und Kettlein übermäßig aufgeputzten Tänzerinnen hatten es dem Junker nicht abgewinnen können; die Braut gar, an deren hochgepufftem Haar der zyprische Puder die natürliche Fuchsfarbe nicht hatte verbergen können, war ihm – er sprach das nur zu sich selber – wie eine angestrichene Jesabel vorgekommen. Freilich war er, da eben die Geiger eine neue französische Gavotte angestrichen, gar von ihr selbst zum Tanz gefordert worden; aber nach ein paar Gängen hatten ihre schmalen Lippen sich verzogen: »Ihr verstehet sicherlich die alten Tänze besser!« Und damit hatte sie ihn frostig angeschaut und seine Arme wieder fahren lassen.

– – Daheim, und schon am andern Vormittage, glückte es dem Junker Hinrich besser. Im Turmhaus über der Heide, wo man noch nicht von seiner Rückkunft wußte, fand er die Türen unverschlossen; nur des gelähmten Mannes Husten zitterte vom Oberbau herab, da er unten in des Jägers Zimmer trat. Noch eine Weile stand er einsam: dann hing ein jugendlicher Leib in seinen Armen; ein blonder Kopf, ein schönes Antlitz drängte sich mit geschlossenen Augen gegen seine Brust.

»Du zitterst, Bärbe!« sprach er.

»Ja, weil du wieder da bist, Hinrich!« und sie schloß noch fester ihre Hände um des Mannes Nacken.

Wie ehrfürchtig vor der jungfräulichen Schönheit strich seine Hand über ihre Wange, über ihr seidenweiches Haar. Dann überkam's ihn wie ein Übermut des Glückes, und er erzählte von seinem Reiseabenteuer, von den alamodisch aufgeputzten Frauenzimmern und wie übel ihm der neue Tanz bekommen sei; und da sie lachte, sprach er neckend: »Was meinst du, Liebste, wenn wir beide erst unter all den zieren Puppen tanzen?«

Aber sie schlug die Augen angstvoll zu ihm auf: »Nein, nein; was sagst du, Hinrich?«

Er sah sie lang und zärtlich an: »Nichts, Bärbe; aber ich halte dich; du darfst dich nicht so fürchten!«

Da scholl der Anschlag großer Hunde aus dem Walde; Owe Heikens kam mit seinem Knechte wieder heim. Aber das Gemach war leer, als er hineintrat, und nur die Hunde gingen spürend darin hin und wider.

 

Am Sonntage danach war, wie immer, das schwere herrschaftliche Fuhrwerk mit den roten Rädern an der Kirche aufgefahren; die Rappen standen angebunden an den Eisenringen der Kapellenmauer. Drinnen hielt der Pastor eine scharfe Predigt wider die Schwarmgeister und Wiedertäufer, die drüben in der Stadt aufs neue ihr Unwerk auszubreiten suchten; er schien sie gar leibhaftig vor sich zu haben, denn er riß das schwarze Käppchen von seinem grauen Haupt und dräuete damit in die volle Kirche hinunter. Der alte Herr von Grieshuus in seinem Patronatsstuhl droben vor dem Altar nickte eifrig seinem Pastor zu; die Bauern aber saßen mit schläfrigen Gesichtern; was kümmerten sie alle Schwarmgeister? Die Schatzung und das fremde Kriegsvolk saßen ihnen fühlbarer auf dem Nacken. Selbst für den stattlichen Junker an des Vaters Seite schien dieses Kanzelfeuer ganz verloren; seine Augen gingen immer wieder nach einem der Gestühle unten, bis es wie Nebel ihm zerrann oder bis aus blauen Augen ein scheuer Blick zu ihm hinüberflog.

Als endlich am Schluß des Gottesdienstes der Pastor vor dem Altar die Kollekte verlesen und die Gemeinde ihr Amen respondiert hatte, blieb noch alles in den Kirchenständen, während die Herrschaft in die Kirche hinab und zwischen denselben dem Ausgange zuschritt. Der alte Herr aber ließ diesmal seinen Junker vor sich hergehen und streifte mit einem finsteren Blick das blonde Mädchen, das an der Seite seines alten Jägers sich von ihrem Sitz erhoben hatte.

Draußen in seinem Wagen hieß er den Fuhrknecht warten, bis der Pastor aus der Kirche trat; dann winkte er diesen heran und drückte ihm die Hand, und die Leute, welche jetzt, der Abfahrt ihrer Herrschaft harrend, zwischen den Gräbern umherstanden, hörten ihn dabei sagen: »Hol der Teufel alle Rottengeister, Pastor! Aber komm Er auf den Nachmittag zu mir; ein guter Trunk ist etwan auch noch in dem Keller!«

– – Zu Grieshuus warf am Nachmittage die Wintersonne ihre schrägen Strahlen durch das Fenster über dem Hauptportale, während drinnen im Kamin die großen Scheite loderten. Aber der Hausherr war noch allein; das sonst bleiche Antlitz des alten Junkers war gerötet; mit aufgestützter Faust stand er an dem breiten Eichentisch, von dem es hieß, er sei einst mit dem Hause hier hineingebaut, und die freie Hand fuhr unruhig über das kurzgeschorene Haupthaar. Auf dem Tische neben einem halbgefüllten Glase lag ein grobgedrucktes Blatt; es war die königliche Konstitution »von dem Amte und der Potestät der Kirchen wider die Unbußfertigen«, welche unlängst auch in dem herzoglichen Teile publiziert war. Der Kirchenbann, der bis zur Sühne von dem Abendmahl und von dem Platz in der Gemeinde ausschloß, war längst zwar eingeführt; aber das neuere Gesetz gab nähere Vorschrift über den Vollzug und wie dadurch die Lücken der weltlichen Gerechtigkeit zu füllen seien.

Der Junker hatte vorhin das Blatt aus der Hand gelegt; jetzt griff er wiederum danach; er schien zu grübeln, wie er es in seinem Dienst verwenden könne.

Schon mehrmals hatte es von draußen an der Tür gepocht, ohne daß ein Ruf erfolgt war; jetzt wurde sie gleichwohl geöffnet, und der Gutsherr fuhr aus seinem Sinnen auf: »Er ist es, Pastor? Gut, daß er gekommen ist.«

Nachdem derselbe dann ein zweites Glas gefüllt und der Pastor ihm daraus Bescheid getan hatte, schritt letzterer zu einem kleinen Tische an dem Mittelfenster, schüttete aus einem Kästchen die in Buchs geschnitzten Figuren eines Schachspiels und stellte sie auf die in die Tischplatte eingelegten Felder, ein schweigend übernommenes Amt, das er bei seinen Besuchen stets zu üben pflegte.

Auch heute ließ der Hausherr ihn gewähren, und bald saßen beide sich gegenüber; der geistliche Herr im schwarzen Talar, das gleichfarbige Käppchen auf dem dünnen Haare, das an den hageren Schläfen niederhing; der andre im bequemen Hauskleid, das er oft zur Seite schlug, als ob es ihn beklemme; der Wein stand neben ihnen, und der Junker stürzte oft sein Glas hinunter. Aber sein Spiel war nicht wie sonst, wo er nach kurzer Weile dem Pastor ein »Viktoria!« zuzurufen pflegte; heute hatte er schon mehrmals auf bescheidene Erinnerung desselben seinen Zug zurückgenommen; aber immer wieder schob er Bauern und Offiziere unachtlich über die Felder und faßte sie, als ob er sie zerbrechen möchte.

»Mein Herr Patron«, sagte der Pastor, »wälzt wichtigere Dinge in Gedanken; Eure Dame steht abermals im Schach!«

Da schob der Junker das Tischlein von sich, daß die Figuren durcheinanderstürzten. »Das Spiel ein andermal! Ich hab' mit Ihm zu reden, Pastor!«

Er war aufgestanden, und bald wanderten beide im Zwiegespräche auf und ab. Der Geistliche hatte mehr und mehr das Haupt erhoben, seine Antworten wurden kurz und sparsam; sicher und bedächtig schritt er an der Seite des immer lauter redenden Patrons. »Und seh Er es nicht an«, rief dieser, »wes Standes und Geschlechts der Sünder sei! Bete Er, wie vorgeschrieben, von der Kanzel über ihm und kündige ihm dann Bann und Gottes Zorn vor sitzender Gemeinde!«

»Ihr vergesset«, sprach der andre, »daß auch, so Euer Sohn der Sünder wäre, die Ladung durch den Küster und die Vermahnung in Gegenwart der Kirchenvorsteher vorangehen müßte, was Euch wohl kaum anstehen dürfte.«

»Ei was! Vermahnet hab' ich selber!« rief der Herr von Grieshuus; »wenn's der Patron tut, braucht es nicht der Bauerntölpel!« Und als von der andern Seite keine Antwort darauf erfolgte, fügte er hinzu: »Ich weiß ja, Er versteht's; mach Er's nur, wie um letzte Ostern der Magister in der Stadt! Es war dort auch ein Bube, der gegen den Vater seine Faust gehoben hatte.«

Da sagte der Priester: »Das hat Junker Hinrich nimmermehr getan!«

Aber der Hausherr schrie: »Gegen alle seine Väter hat er die Faust erhoben; aber die unten in den Särgen liegen, können's nicht; darum muß ich ihr Recht verwahren!«

»Tuet es!« sagte der Pastor; »ich kann es Euch nicht verwehren.«

Der Edelmann hatte seinen Krückstock aus der Ecke gerissen und stieß damit heftig auf den Boden. »Verwehren, sagt Er? Er soll mit helfen, Pastor, wie es gegen Patron und Kirche Seine gottverfluchte Schuldigkeit!«

Der Redende war so laut geworden, daß im Unterhause das Gesinde auf den Schwellen stand; die naskluge Binnermagd hatte sich schon vordem hinaufgeschlichen und lag mit dem Ohr am Schlüsselloch.

Der geistliche Herr mochte auf jene Worte seines Patrones nur das Haupt geschüttelt haben; denn dieser hub aufs neue an: »Er wird's gar nicht verstanden haben, Pastor: zu seinem Ehgemahl will er das Weibsbild machen! Gleich nach der Kirchen, heut am Vormittage, da, wo Er itzo steht, hat mir der Junker von Grieshuus das ins Gesicht geworfen!«

»Das sieht ihm gleich«, sagte der Pastor; »Euer Sohn ist weder ein Gotteslästerer noch ein Jungfernschänder.«

Ein zornig Lachen entfuhr dem alten Herrn: »Ein Jungfernschänder? – Er ist kein Edelmann; Er versteht's nicht, Pastor: ein ganz Geschlecht von makellosen Rittern will er schänden!«

Da frug der geistliche Her fast leise, daß es des Edelmannes Ohr nur kaum erreichte: »Hat unser Herr Martinus solches auch verschuldet, da er des Ritters Tochter in seine Kammer brachte?«

Aber der Junker schrie: »Laß Er mir den Martinus aus dem Spiel und red Er, ob man auf Ihn rechnen kann! Bedenk Er auch, der Sünder möchte so die leichteste Buße tragen!«

Fast drohend hatte er diese letzten Worte ausgestoßen; doch der Pastor antwortete: »Wider eine christliche Ehe hat die Kirche keine Buße; das andre aber ist meines gnädigen Herrn Patrones Sache, in welche ich nicht hineinzureden habe.«

Als diese Worte von dem Ohr der horchenden Dirne aufgefangen waren, hatte die Schritte drinnen sich der Tür genähert, und sie war eilig die Treppe, die sie hinaufgeschlichen, wieder hinabgeflogen. Bald auch wurde im Unterhause von droben auf dem Vorplatze der Kratzfuß und Empfehl des Pastors hörbar; die Dirne aber sah noch aus dem Seitenflügel, wie droben der alte Her das eine Fenster aufstieß und mit braunrotem Angesicht dem Pastor nachschaute, der mit hastig spitzen Schritten über die Stapfsteine durch den schlammigen Hof hinausschritt.

– – »Ja, und die Beine zitterten ihm«, erzählte sie abends in der Gesindestube, »ein paarmal trat er nebenweg, daß ihm der Unflat um die schwarzen Strümpfe spritzte.«

Die andern lachten; nur Hans Christoph, der mit dem lohbraunen Hassan am Kachelofen saß, hieß sie ihr allzu loses Maul in Obacht nehmen; aber sie fand zu guten Rückhalt hier, denn der Fuhrknecht und die übrigen Dirnen wollten wissen, was droben in der Herrenstube abgehandelt worden. Da hob sie ihre Stumpfnase und rief: »Hör du nur zu, Hans Christoph; du kannst's für deinen Junker profitieren!« Und als die andern drängten: »Nur frisch und schütt den Eimer aus!«, setzte sie sich bedachtsam dem langen Fuhrknecht auf den Schoß und sagte: »Geduld! Erst als der Junker sich in Blust geredet, hab' ich's verstehen können!«

Doch als sie endlich vollends ausgeschüttet hatte und ihre blanken Augen in die Runde laufen ließ, harrte sie umsonst des dankbaren Geplauders, das sie nach solchem Anlaß einzuheimsen pflegte. Hans Christoph streichelte schweigend den breiten Hundenacken; die Dirnen mochten des schmucken Junkers gedenken, und weshalb sein Auge nicht eben wohl auf sie gefallen sei; nur der Fuhrknecht, nachdem er eine Weile mit dem Finger an seiner Nase auf und ab gefahren war, sagte nachdenklich: »Darum denn auch! Da der Herr mich vorhin rufen ließ, bewahre mich der Heiland! Ich dachte, er wollte mich zum Pferdejungen degradieren; und war doch nur, daß ich morgen den alten Landgerichtsnotar von drüben aus der Stadt bestellen sollte.«

»Den Landgerichtsnotar? Soll der auch predigen?« rief die Dirne. Aber in demselben Augenblicke ließ sie sich von seinen Knien gleiten, denn die dicke Ausgeberin Greth-Lise war eingetreten, und es wurde ganz stille; der Fuhrknecht zog ein versiegeltes Schreiben aus der Tasche, betrachtete die Aufschrift, als ob er sie lesen könne, und steckte es dann bedächtig wieder ein.

 


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