Theodor Storm
Der Spiegel des Cyprianus
Theodor Storm

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Als die Alte mit diesem allein war, fragte sie: "Seid Ihr dessen sicher, daß Frau Gräfin ruhig schlafen mag?"

"Für die angegebene Zeit, ja.

"Und dann, Herr Doktor?"

"Dann, wenn Eure Herrschaft geschlafen hat, so mögt Ihr sie vorbereiten; denn der Knabe muß sterben."

Die Alte blickte mit festen Augen auf den Arzt. "Ist das ganz gewiß?" fragte sie.

"Ganz gewiß, Amme; es müßte denn ein Wunder geschehen. " – –

Der Arzt hatte sich entfernt, und statt der Gräfin teilte jetzt eine junge Magd die Krankenwache mit der Alten. Diese stützte den Kopf auf den Rand des Bettes und betrachtete das bleiche Antlitz des kleinen Kuno, in das der Tod schon seine scharfen Züge grub. "Ein Wunder!" murmelte sie ein paar Mal; "ein Wunder!"

Da regte der Knabe sich auf seinem Kissen. "Ich will mit den Kindern spielen!" flüsterte er.

Die Alte riß die Augen auf. "Mit was für Kindern?" fragte sie leise.

Und der Knabe sagte ebenso im Schlaf: "Mit den Spiegelkindern, Amme!"

Sie schrie fast auf. "Unglückskind, so hast du in den Spiegel des Cyprianus gesehen! – – Aber der soll ja in der Sakristei stehen; und die Sakristei ist ja vermauert!" Sie sann einen Augenblick; dann sagte sie zu dem Mädchen: "Hol mir den Vincenz, Ursel!"

Vincenz, der Reitknecht, kam. – "Bist du neulich bei dem Bau in der Kapelle gewesen?" fragte die Alte.

"Ich bin jeden Tag dort."

"Ist die Sakristei auch eingerissen?"

"Das geschah schon vor vierzehn Tagen."

"Hast du einen Spiegel dort gesehen?"

Er besann sich. "Nun freilich, es steht dort einer im Winkel; der Rahmen scheint von Stahl; aber der Rost hat ihn zerfressen."

Die Alte gab ihm einen großen Teppich. "Verhänge den Spiegel sorgsam!" sagte sie; "dann laß ihn hierher ins Ziinmer tragen. Aber leise, damit der Knabe nicht erwacht."

Vincenz ging; und bald wurde von ihm und einem Arbeiter ein hohes, mit dem Teppich verhangenes Gerät in das Zimmer getragen.

"Ist das der Spiegel, Vincenz?" fragte die Amme; und als er es bejaht hatte, fuhr sie fort: "Stellt ihn zu Füßen des Bettes, so daß der kleine Kuno hineinblicken kann, sobald der Teppich fortgenommen ist."

Nachdem der Spiegel aufgestellt war und die Träger sich entfernt hatten, setzte die Alte sich wieder an die Seite des Bettes. "Ein Wunder muß geschehen!" sprach sie vor sich hin. Dann saß sie mit geschlossenen Augen wie ein steinern Bild; unsichtbar aber kämpften in ihr Furcht und Hoffnung. Sie harrte auf die Rückkunft der Gräfin; aber wie lang mußte sie noch warten, bis der Schlaf die ganz verwachte Frau verlassen haben würde.

Da tat sich die Tür auf, und die Gräfin trat herein. "Es hat mich nicht schlafen lassen, Amme", sagte sie; "verzeih es mir! Du bist so treu und gut, und verständiger wohl als ich; und doch ist mir, ich dürfte das Bett des Kindes nicht verlassen."

Die alte Frau antwortete nicht darauf. "Sagt mir noch einmal, Frau Gräfin", sagte sie, und das Herz schlug ihr so gewaltig, daß sie die Worte kaum herausbrachte, "seid Ihr dessen ganz gewiß, daß jene böse Frau Eure Urahne gewesen ist?"

"Ich bin dessen ganz gewiß. Aber weshalb fragst du, Amme?"

Die Alte stand auf; und mit fester Hand riß sie den Teppich von dem Spiegel.

Die Gräfin schrie laut auf. "Mein Kind, mein Kind! Das ist der Spiegel des Cyprianus!" – Als sie aber einen Blick in den sanften Schein des Glases geworfen hatte, so sah sie darin den kleinen Kuno mit offenen Augen auf seinem Kissen liegen; sie sah ihn lächeln, und wie ein Hauch flog das Rot der Gesundheit auf seine Wangen. Sie wandte sich um; da saß er schon aufrecht, frisch und blühend.

"Die Kinder, die Kinder!" rief er mit heller, klingender Stimme und streckte die Anne nach dem Spiegel aus.

"Wo sind sie?" fragte die Gräfin.

"Dort, dort!" rief die Alte. "Seht nur, sie lächeln, sie nicken, ach, und sie haben Flügel; zwei Englein sind es!"


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