Theodor Storm
Der Spiegel des Cyprianus
Theodor Storm

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Der Obrist sah scharf; er hatte es wohl bemerkt, wie die Augen der schönen Gräfin, wenn sie den Stiefsohn mit ihrem eignen aus der Tür gehen sah, von plötzlicher Finsternis befallen wurden, und wie dann ihre Blicke dem Fortgehenden hastig und feindselig nachjagten.

An einem sonnigen Nachmittage stand er mit ihr in dem Würzgärtlein, wo einst die gute Gräfin der Weisheit des Meisters Cyprianus gelauscht hatte. Als die stolze Frau über die Ringmauer auf die unten liegenden Wälder und Auen hinaussah, sagte er lauernd: 'Der Kuno tritt eine schöne Herrschaft an, wenn er zu seinen eigenen Jahren kommt.' Und als sie schwieg und nur mit finstern Augen in die Ferne starrte, setzte er hinzu: 'Euer Wolf ist ein zartes Pflänzlein; aber der Kuno scheint fürs Regiment geboren; langlebig und handfest schaut er aus.'

In diesem Augenblicke kamen auf der Wiese, die in der Tiefe unterhalb des Gärtleins lag, die beiden Knaben auf ihren Rossen dahergeflogen. Sie ritten so dicht nebeneinander, daß die braunen Locken Kunos mit den blonden des kleinen Wolf zusammenwehten. Das Roß des letztern schüttelte die Mähne und wieherte laut in den Sonnenschein hinaus. Da erschrak die Mutter und stieß einen Schrei aus; aber Kuno schlang den Arm um seinen Bruder, und indem sie vorübertrabten, warf er einen stolzen leuchtenden Blick zu den Obenstehenden hinauf.

"Wie gefallen Euch diese Augen, schöne Gräfin?" fragte der Oberst.

Sie stutzte und streifte mit einem unsichern Blick über ihn hin.

"Wie meint Ihr das? " flüsterte sie dann.

Er aber, die Hand am Kinn, erwiderte ebenso: "Rechnet auf mich, schöne Frau; der Oberst Hager ist Euer treuergebener Knecht."

Da raunte sie, und er sah, wie ihr Antlitz totenbleich wurde: "Die Augen würden mir besser noch gefallen, wenn sie geschlossen wären."

"Und was gäbt Ihr drum, wenn Ihr sie in solcher Schönheit erblicken könntet?"

Sie legte einen Augenblick ihre weiße Hand in die seine; dann warf sie die glänzenden Locken zurück und schritt, ohne sich umzublicken, aus dem Gärtlein.

Als eine Stunde später der kleine Kuno durch die Korridore des obem Stockwerks streifte, sah er den Obristen in einer Fensternische stehen. Der Knabe wollte vorüber; denn der Mann schaute so unheimlich drein. Aber er wurde angerufen: "Wohin rennst du, Junge?"

"Nach der alten Rüstkammer", sagte Kuno, "ich wollte meine Armbrust holen."

"So gehe ich mit dir." Und der Oberst schritt neben dem Knaben her bis zu dem entlegenen Gemache, wo noch immer mit dem schweren Bahrtuch verhangen unter allerlei Gewaffen der Spiegel des Cyprianus stand. Als sie eingetreten waren, schob der Oberst den Eisenriegel vor und stellte sch mit dem Rücken gegen die Tür. Da aber der Knabe die wilden Augen des Mannes sah, schrie er: "Hager, Hager, du willst mich töten!"

"Du kannst nicht übel raten", sagte der Oberst und griff nach ihm. Aber der Knabe sprang unter seinen Händen fort und riß seine gespannte Armbrust von der Wand, die er tags vorher dorthin gehangen hatte. Er schoß, und den Eindruck seines Bolzens könnt Ihr noch heutzutage in dem schwarzen Eichengetäfel sehen; aber den Obristen traf er nicht.

Da warf er sich in die Knie und rief: "Laß mich leben; ich schenke dir mein kleines Nordlandsroß und auch das schöne rote Sattelzeug!"

Der finstere Mann stand mit untergeschlagenen Armen vor ihm. "Dein Nordlandsroß", erwiderte er, "läuft mir noch lange nicht schnell genug."

"Lieber Hager, laß mich leben!" rief der Knabe wieder; "wenn ich groß bin, will ich dir mein Schloß geben und alle schönen Wälder, die dazu gehören!"

"Die will ich bälder noch bekommen", sagte der Oberst.

Da senkte der Knabe das Haupt und rief: "So ergebe ich mich in die Allbarmherzigkeit Gottes!"

"Das war das rechte Wort!" sagte der böse Mann. Aber der Knabe sprang noch einmal auf und flog an den Wänden des Gemaches entlang; der Oberst jagte ihn wie ein Wildpret. Als sie aber an den verhangenen Spiegel kamen, verwickelte der Knabe seine Füße in dem Bahrtuch, daß er jählings zu Boden stürzte. Da war auch der böse Mann über ihm. – –

In demselben Augenblick – so wird erzählt – als dieser zum Faustschlage ausholte und der Knabe die kleinen Hände schützend über seinem Herzen kreuzte, stand der alte Hausmeister tief unten im hintersten Verschlage des Kellers, wo ein Knecht mit der Abzapfung eines Fasses Ingelheimer beschäftigt war. "Hast du nichts gehört, Casper?" rief er und setzte das Lämpchen, das er in der Hand gehalten, auf das Faß.


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