Theodor Storm
Der Spiegel des Cyprianus
Theodor Storm

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Mit einem Schrei sprang die Gräfin empor; ihr Sohn lag regungslos mit wachsbleichem Antlitz; die offenstehenden blauen Lippen verkündeten den Tod. – Sie riß das seidene Wams von seiner Brust; da sah sie den dunkelroten Fleck auf seinem Herzen, den sie kurz zuvor auf der Brust des kleinen Kuno gesehen hatte. "Hager, Hager!" schrie sie – denn das Geheimnis des Spiegels war ihr unbekannt – "das ist deine Faust! Der war dir auch im Wege; aber noch bist du nicht der Herr im Schloß; und ich schwör's, du sollst es nimmer werden!"

Sie ging hinab; sie suchte ihn; aber der Oberst war eben zur Jagd auf ein benachbartes Schloß geritten und hatte auf den morgenden Tag seine Rückkunft angesagt.

Der plötzliche Tod auch des letzten Grafensohnes verbreitete einen dumpfen Schrecken unter dem Gesinde. Auf Treppen und Gängen standen sie und raunten miteinander, und wenn die Gräfin nahte, stahlen sie sich scheu von dannen. Es wurde Nacht. Der Leichnam des kleinen Wolf war hinabgetragen und lag ausgestreckt auf seinem Bettchen in der Kammer. Aber der Gräfin ließ es bei dem Toten keine Ruh. Im hellen Mondenschein, während alles schlief, stieg sie hinauf nach der Rüstkammer. Dort stand sie vor dem Spiegel, der in blauem Schimmer leuchtete, blickte mit starren Augen hinein und wand die Hände umeinander. Dann wieder, als jage sie ein plötzliches Grausen, stürzte sie aus dem Gemach und rannte durch die Gänge, bis sie die Tür ihres Schlafgemachs erreicht und hinter sich ins Schloß geworfen hatte. – So verging die Nacht.

Als am andern Morgen der Hausmeister in das Zimmer der Gräfin treten wollte, hörte er hart und heftig drinnen reden. Er erkannte die Stimme des Obristen, der eben zurückgekehrt war; und bald antwortete die Gräfin in gleicher Weise. Es waren Worte tödlichen Hasses, die der Alte hörte. Kopfschüttelnd trat er von der Tür zurück. "Das sind die Gerichte Gottes!" sprach er und stieg ein paar Treppen höher nach der Platte des runden Turmes hinauf; denn ihm war, als müsse er Gottes freie Luft schöpfen.

Er lehnte sich über die Brüstung und blickte in den sonnigen Morgen hinaus. "Wie schön die Wälder grünen!" sprach er vor sich hin. "Und sie sind alle tot! Die gute Gräfin und der Graf, mein Junker Kuno und nun auch der kleine Wolf!" – Da hörte er unten auf dem Hofe ein Pferd aus dem Stalle ziehen; nicht lange darauf, so donnerte der Galoppschlag über die Zugbrücke; dann weniger hörbar draußen auf dem Wege, und drüberhin aus den Kronen der alten Eichen, die zur Seite standen, flogen die Raben krächzend in die Luft.

In demselben Augenblicke kam von unten herauf ein Geschrei der Weiber; und als der Alte hinabgestiegen war, drang es von allen Seiten auf ihn ein, die Gräfin liege erschlagen in ihrem Blute. – "Wo ist der Oberst?" fragte der Hausmeister. "Fort ist er!" rief der Reitknecht, der vom Hofe heraufkam, "mitsamt seinem hochbeinigen Rappen."

Rasch wurde die Verfolgung von dem Alten angeordnet; aber am andern Morgen kamen alle auf schaumbedeckten Rossen unverrichteter Sache wieder heim. – "So laßt uns denn die Toten begraben", sprach er, "und einen Boten senden an den neuen Herrn dieser schönen Güter!"

"Und so geschah es", schloß die Erzählerin ihren Bericht – "die Herrschaft kam an einen Vorfahren Eures Gemahls, welcher der Nächste war dem Blute nach. Der alte Hausmeister soll noch lange nach seinem Antritt dort unten in dem Torhäuschen gewohnt haben, ein treuer Wächter an der Gruft seiner geliebten Herrschaft."

"Das ist eine entsetzliche Geschichte!" sagte die Gräfin, als die Amme schwieg. "Aber hast du nicht gehört, wie der erste Gemahl jener unglücklichen Frau geheißen hat?"

"Freilich", erwiderte die Alte, "ihr Witwenname steht auf dem Rahmen des Bildes." Und hierauf nannte sie eines der ersten Adelsgeschlechter.

"Seltsam!" sagte die Gräfin, "so ist sie meine Urahne!"

Die Alte schüttelte den Kopf. "Unmöglich", sagte sie, "Ihr, Frau Gräfin, aus dem Blut jener bösen Frau?"

"Es ist völlig gewiß, Amme; jene Tochter, die in Wien zurückblieb, wurde die Frau eines meiner Vorfahren." – Das Gespräch wurde durch den Eintritt des Arztes unterbrochen. Der Knabe lag nach wie vor in todähnlichem Schlummer und erwachte auch nicht, als die Hand des Arztes an seinen kleinen Gliedern nach der Spur des Lebens forschte.

"Nicht wahr, er wird genesen?" sagte die Gräfin, indem sie angstvoll in das verschlossene Gesicht des Arztes blickte.

"Die Frage ist zu viel für einen Menschen", erwiderte dieser; "aber Frau Gräfin müssen schlafen; das ist ganz notwendig." Und als sie Gegenvorstellungen machte, fuhr er fort: "Es wird sich bis morgen mit dem Kranken nichts ereignen, ich hafte dafür; die Amme kann die Krankenwache halten."

Endlich war sie überredet und begab sich in ihr Schlafgemach, da der Arzt erklärt hatte, das Haus nicht verlassen zu wollen, bis er dessen gewiß sei.


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