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Silberne Hochzeit.

Betti war wieder einmal bockig. Mit neuntausend Gründen war ihr zugesetzt worden, ihre Hochzeit mindestens ebenso hervorragend zu feiern, wie die Vermählung ihrer jüngeren Schwester, worüber noch mitunter als pompiek gesprochen wird, allein ihre Antwort lautete unbekehrbar: »Kein Gepränge.«

Sollte nun die silberne Hochzeit großartig verlaufen und Betti mit einer Herrlichkeit abgefunden werden, die man ins Taschentuch knoten konnte? Nein, sondern es galt einen Mittelweg zu bahnen. Noch umfingen uns die alten Räume, wie sie immer gewesen waren, obgleich ihr Urtheil gesprochen, noch hatten die Thüren ihre gewohnte Stelle, noch stand jegliches Möbel auf seinem Platz, noch war das Haus unser altgeliebtes Heim und darin schlug ich vor, den Tag zu begehen, der für uns Beide ein Ehren- und Freudentag werden sollte.

Das gefiel Betti und auch meinem Manne, obgleich der am liebsten einen großen Bullen losgelassen hätte, mit gegen hundert Gedecken, alle seine Geschäftsfreunde herangezogen und die bekannten Familien gleich nationenweise eingeladen, aber die Tugend siegte und er lebte sich mit anerkennenswerther Geschwindigkeit in meinen Gedankenflug ein, indem er sagte: »Wie Du willst, Wilhelmine.«

»Siehst Du wohl, Alter,« scherzte ich, »Du begreifst ganz rasch, wenn man Dir acht Tage Zeit läßt.« – »Die Vernunft kommt mit den Jahren,« entgegnete er. – »Du wolltest damit doch wohl nicht andeuten, sie hätte mir früher ferne gestanden?« – »Hältst Du mich eines solchen Hochverraths für fähig?« – »Karl, ich weiß nicht recht, aber manchmal munkel ich doch, daß Du mich utzst.« – Er küßte mich und sagte nur das eine Wort: »Alte!« – Na, da war's denn wieder gut.

Im Gegensatz zum Doktor entschieden sich Felix und Betti für eine Hochzeitsreise, wozu sie Dresden und die sächsische Schweiz ausersehen hatten. Nach ihrer Rückkehr müssen sie so wie so im Hotel logiren, bis ihre Wohnung zum Beziehen ist. Mein Mann und ich, sowie Frieda gedachten uns in der oberen Etage einzurichten, die namentlich nach unserer Seite hin so gut wie unberührt bleibt. Es giebt das voraussichtlich Unbequemlichkeiten, aber lange nicht solche Unmenge, wie mit den Stützen, und hatte mein Karl darunter leiden müssen, so wäre es arrogant gewesen, wollte ich das Baugeracker nicht mitgenießen.

Ferner ward beschlossen, nur die Familie zu der Feier zu vereinigen, allein bei näherer Berathung kamen wir auf die Brautjungfern, die sich aus nächster Verwandtschaft nicht stellen ließen, weshalb Mila und Amanda in Aussicht genommen wurden. Polizeileutnants konnten nicht umgangen werden. Auch hatte Felix einige Freunde.

»Und wie denkst Du über meinen Buchhalter und die beiden Kontoristen?« »Wenn sie sonst auch nicht bei uns verkehrten, an einem solchen Tage gehören sie dazu.« – »Karl, Herr Brandes ist zurückhaltend und die beiden jungen Leute betragen sich anspruchslos: sie werden es Dir hoch anrechnen, wenn Du sie aufforderst.«

Da noch ein Tischplatz frei war, riethen wir herum, wen man dahin setzen könnte. »Was meinst Du, wenn wir den Doktor Stinde einlüden?« sagte mein Mann.

»Karl, ich bitte Dich. Hast Du denn nicht in der »Vossischen« gelesen, daß sein Humor nur trübe fließt? Was thut so ein trauriger Kunde auf unserer Hochzeit? Soll er uns das bischen Vergnügtsein mit Krittelei und Mäkeln verderben, weil er unsere Art nicht versteht?«

»Sonst dachtest Du doch ganz anders von ihm.« – »Ich richte mich nach der Zeitung, die kann doch nicht lügen?« –

»Bewahre«. – »Karl, warum sagst Du dies ›Bewahre‹ so zweifelhaft?«

»Erinnerst Du Dich noch, wie die ›Post‹ so nächstenliebend war, Jemand eine blödsinnige Kongreß-Tischrede aufzuhängen, die weder von dem gar nicht anwesenden Jemand, noch überhaupt gehalten worden ist?« – »Ganz recht, sie mußte viel einstecken und hat sich bis heute noch nicht rein gewaschen. Karl, die ›Post‹ sollte sich die Idiß zulegen, das Mädchen würde sich dort wohl fühlen. Aber weißt Du was? Ich hole mir die Helbichen, die stand mir treu in Angst und Noth zur Seite und soll an meinem Ehrentage sich mit mir freuen. Freilich ist sie nur eine Bierwirthin, aber sie hilft Anderen aus Verdacht und Beschuldigung, statt übeln Leumund anzuklacksen. Außerdem ist sie für Herrn Brandes als Tischdame wie auserlesen.«

Mila und Amanda sagten als Brautführerinnen zu. Mila kam und erkundigte sich, ob die Hochzeit immens werden würde und schien enttäuscht über die wenigen Fremden, wahrscheinlich weil sie sich auf einen zahlreichen Zirkel mit Gelegenheit zum Bemerktwerden gespitzt hatte. Aber wenn sie blenden will, werden wir doch nicht die Kosten tragen?

Amanda stimmte dagegen mit Betti überein. In ihrer bodenlosen Aufrichtigkeit sagte sie: »Wer mag ihr's verdenken? Ihr erster Verlobter liegt als elender Selbstmörder auf dem Kirchhof, wenn sie ihn ganz und gar vergessen hätte, wäre sie nicht werth gewesen, seine Braut zu heißen, so wenig an ihm war.« – »Amanda, Sie kennen die Verhältnisse nicht, im Grunde war Emil ein guter Mensch, nur zu schwach. Fragen Sie blos Auguste Weigelt.«

»Möglich. Meine Passion war er nicht. Aber Betti ist ihm gut gewesen, an ihrer Stelle wäre ich auch nicht zum Juchheien aufgelegt. Das Glück, geliebt zu sein und wieder zu lieben, stelle ich mir so groß vor, daß Alles nichtig dagegen ist, Tanzen und Jodeln erst recht.«

»Ich hoffe, Sie werden es kennen lernen, Amanda, wie wird mich Ihre Verlobungsanzeige erfreuen.« – »Ich bin für Freiheit und Unabhängigkeit,« sagte sie kurz. – »So dachte ich auch einst. Aber da kam mein Karl gegangen und führte mich auf einen anderen Lebensweg.« – »Was thut es, wenn ich sitzen bleibe? Einen heirathen, der mich unglücklich macht, bin ich nicht erpicht. Oder soll er hinterher wünschen, er säße oben in der Siegessäule und brauchte nicht herunter?« – »Warum dieses, Amanda?« – »Weil ich Alles für ihn hätte, Nägel, Zähne, das ganze Geschirr und was sich sonst an den Kopf werfen läßt, nur keine Liebe.« – »Behüte doch, Sie lästern, Kind. Wer sein Wort vor dem Altare abgegeben hat, darf so nicht aufbegehren.« – »Es dauert lange, ehe Kulecke's Amanda Ja sagt.« – »Das Werfen gefällt mir aber trotzdem nicht, ich traue es Ihnen auch nicht zu.« – »Mich kann ein kranker Zeisig um den Finger wickeln, Frau Buchholz, aber wenn ich merke, daß es auf meine paar Kröten abgesehen ist, dann fühle ich mich bis zur Wuth beleidigt. Soll ich die Beilage zur Mitgift sein, so ein Fetzen Zumpel, den man auf die Wiegeschale wirft, weil es Handelsgebrauch ist? Lieber beschließe ich meine Tage als Hundefrölen.«

»Aber wenn der Rechte käme, Amanda?«

Sie zuckte zusammen, als hätte die Frage eine wunde Stelle berührt und sagte traurig: »Mitunter geht der Rechte vorbei und sieht die brennenden Augen nicht, die ihm nachblicken. Ein Glück, daß man sie sich wieder in die Reihe weint.«

»Trösten Sie sich nur,« entgegnete ich, »es giebt mehrere Rechte.« – »Die sind auch danach,« entgegnete sie kopfschüttelnd.

Mir kam es sehr drückend in den Sinn, daß Onkel Fritz sich eine Zeit für Amanda interessirte und er es wohl war, auf den sie hoffte, bis er in Lingen wählte, wie es ihr in den Träumen von Liebe vorschwebte, ohne Geldbegehr, frei aus Neigung.

Ich war damals nicht einverstanden und rieth ab und fühlte mich befriedigt, als er nicht mehr bei Kuleckes ging. Nun blutete Amanda das Herz noch und das belastete mich. Darum sagte ich besänftigend: »Amanda, die Täuschungen des Lebens sind so groß, daß wir unseren Irrthum oft erst nach Jahren einsehen. Der für Sie Bestimmte ist sicherlich noch nicht vorbeigekommen, denn sehen Sie, Kind, wäre er es gewesen, dann hätte er doch Halt gemacht. Aber werfen müssen Sie nicht.«

Sie lachte hell auf: »Nur dann und wann mit dem Sophakissen.« – Und ehe ich mich versah rief sie: »Wie hübsch Sie heute sind, Großmama Buchholz,« und umfaßte mich und küßte mir Mund und Wange.

Wenn sie nur einen halben Kopf kleiner wäre, aber gegen die Längde hat Schweninger noch nichts heraus, blos gegen die Dickde und die meldet sich manchmal retour. –

Die Festvorsorglichkeiten übernahm meine brüderliche Liebe. »Ihr seid die Jubelhekatombe und habt still zu halten,« dirigirte Onkel Fritz und wir gaben nach, damit er in seinem Schalten und Walten in Gemeinschaft von Männern mit Zollstöcken freie Hand behielt. Wenn Vernunft in einem Kommando liegt, folgt man ja freiwillig. –

Unbemerkt, wie sich ein wolkiger Himmel zuweilen aufklärt, war der Frühling gekommen, warm und gelinde, und obwohl oft genannt und herangezählt, ereilte uns doch der Hochzeitstag viel zu früh. In all der Plackerei und Schneiderei stand er mit einem Male vor uns. »Kinder,« stöhnte ich, »wir sind noch lange nicht fertig und morgen ist es schon.«

Und wie rasch verlief der Vorabend. Bis Elfen blieben wir beim Doktor und als wir nach Hause zurückkehrten, war Onkel Fritz noch da, um zu verhindern, daß wir die Zimmer besichtigten, die er in Arbeit hatte.

Und dann kam die Nacht, und welch' ein Morgen!

Quellender, anschwellender Gesang, rief uns wach. – Fritzens Vereinsfreunde brachten vom Hof aus ein Ständchen. Man kann einen Tag nicht behängen, daß er festlich bekränzt sei, aber grüßt uns sein Anbruch mit erhebenden Klängen, dann hat auch er ein Feiertagsgewand angelegt. »Karl,« sagte ich, als sie die dritte Nummer unternahmen, »der ›Keuchhusten‹ war mir oft zuwider, aber wußte ich, daß er so sein kann?«

Onkel Fritz klopfte an. »Seid Ihr noch nicht aufgestanden, Langschläfer?« – »Gleich, gleich.«

Er konnte sich wohl nicht gedulden mit dem, was er vorhatte. Schon bei der Treppe mußte ich stille stehen, so überkam es mich, und auch mein Karl blickte ganz bewegt auf die Guirlanden, welche das Geländer umrankten und auf die Topfgewächse, welche den Wohnzimmereingang in eine Laube verwandelten, das selbst zu einem Tannengarten geworden war, in dessen Mitte Betti und Emmi standen, die ihren Eltern entgegeneilten.

Sonst war Niemand da. Dank Dir, mein Fritz, für diese Stunde. –

Nach einer Weile brachte Frieda das Frühstück und Onkel Fritz folgte ihr. »Mein lieber Schwager,« sagte er, »fünfundzwanzig Jahre bist Du mit meiner Schwester ausgekommen. Du verdienst eine Bildsäule; ich kenne sie von Jung auf.«

»Du! Du!« rief ich, »Du besserst Dich nie.« Und da hatte ich ihn in meinen Armen.

Frieda wünschte uns Glück und wollte sich entfernen. »Wie doch, Frieda,« wehrte ich, »Du bleibst hier.« Sie wurde ganz glücklich aussehen, denn ich überwand das befreundete Du nicht mehr, seit ihr Ida's Hohntreiben in der Küche behagte; heut aber war es ganz von selbst wieder da.

Auch der Frühstückstisch war mit Immergrün umrandet und mitten darauf war eine Vase mit einem Fliederzweig gestellt, der jedoch mehr Knospen als Blüthen trug, im ganzen zwei bis drei. »Der Busch im Garten will auch dabei sein,« sprach Betti, »heut Morgen sind die ersten Knöpfchen aufgebrochen.« – Sie dufteten nur wenig, aber der alte Strauch meinte es doch gut, und hatten wir uns jedes Jahr über ihn gefreut, an diesem Tage wie noch nie.

Und nun erschien Doris mit einer weißen Schürze vor und einem Napfkuchen. Sie wollte gratuliren, sagte sie, und hoffte, daß er gerathen wäre. Wir schnitten ihn an und kosteten. Er war trefflich. »Er is jenau so, wie'n meine Mutter immer backte,« erklärte sie, »blos mehr Eier dran, un mehr Butter un reichlijer Rosinen.« – »Ein gutes Rezept,« lobte ich sie, »den nächsten machen wir in der nämlichen Manier.«

»Det freut mir,« erwiderte Doris, und ging stolz ab.

»Wollt Ihr Euch die gute Stube ansehen, ob sie Euch gefällt?« fragte Onkel Fritz nun. »Wir hängen hernach die Thüren aus und haben dann ein Festlokal von hinreichendem Raummangel. Die gedeckten Tische stehen im Berliner Zimmer und werden zur Hauptfütterung hereingesetzt. Die Beköstigung erfolgt von einem Hoftraiteur.« – »Mit einem Lohndiener, Fritz?« – »Mit zweien.« – »Das wird ja strahlend.«

Er öffnete. Auch da drinnen waren die Wände mit Tannengrün ausgeschlagen, was ja weiter nicht schadete, weil die Tapeten die längste Zeit gehalten hatten. Mein Bild war hingestellt, als wenn ich in einem Fichtenhaine wandelte, dessen Zweige Silberfäden durchspannen, die grüne und die silberne Hochzeit zu bedeuten. Einzig in seiner Art.

Und nun erst die Gabentempel, wie Fritz die Tische nannte, auf denen die Geschenke mit den köstlichsten Blumenkörben und Sträußen arrangirt waren. Wenn irgendwo, dann verstehen sie es in Berlin, Blumen zu winden, aber Aehnliches war mir doch noch nicht vorgekommen, so duftend, mit seidenen Bändern und Visitenkarten dran. Und dazwischen die Gaben, von förmlich zu hohem Werthe, nicht blos von der Verwandtschaft, sondern auch von meines Mannes Geschäftsfreunden, denen, wie sich ergab, Fritz einige Winke hatte zufließen lassen. – »Dies können wir nicht annehmen,« rief ich. – »Nimm se Dir se denn se man,« erwiderte Fritz, »sie schinden die Auslagen bei der nächsten Order wieder heraus.«

Der andere Tisch gehörte Betti. Nein, was gab es zu besehen und die vielen Briefe und Depeschen, von denen im Laufe des Tages noch manche anlangten. Auch Besuch stellte sich ein und der Morgen zerschmolz Einem nur so unter den Händen.

Erst als Felix, Betti, mein Mann und der Doktor nach dem Standesamt fuhren, trat eine Unterbrechung ein, die ich mir zu widmen gedachte. Aber damit ward es nicht viel, denn diesen Moment hatte Auguste Weigelt abgewartet.

»Auguste!« rief ich erstaunt bei ihrem Eintritt.

»Nur einige wenige Minuten,« sprach sie rasch, »ich will nicht, daß Betti mich sieht, aber Ihnen muß ich Alles Gute wünschen, was nur ein Menschenherz zu fühlen vermag.« – »Du beschämst mich, Auguste.« – »Nein, nein. Ihre Freundschaft ist es, die mich so oft aufgerichtet hat, wenn ich schier zu verzagen vermeinte, Sie sind mein Anhalt. Ich weiß, in der allerschlimmsten Noth helfen Sie mir und daß es dahin nicht kommt, daß ich mich vor Ihrer klaren Einsicht nicht verkriechen brauche, darin liegt der Sporn, immer erst zu versuchen aus eigener Kraft Oberhand zu gewinnen; und es geht. Ihre Strenge hat mich gelehrt, jedes Ding auf seine Thorheit zu prüfen, Ihre Güte stärkt mein Vertrauen zum Leben. Wo wären wir ohne Sie, ich, meine Kinder, mein Mann? Rückwärts, weit rückwärts.«

»Auguste,« entgegnete ich, »Du überschätzest mich in dieser Hinsicht, und das muß man nicht. Es fügt sich Manches, wie wir gar nicht ahnen. Sag, wie steht es zu Hause Auguste?«

»Bei uns sind alle wohl und munter, bis auf die Kleinste Ich fürchte, sie bleibt mir nicht lange. Und ich habe sie so lieb. Mama läßt gratuliren, es wird ihr schwer abzukommen, Vater darf nicht ohne Aufsicht sein. Sie bittet Sie, diese kleine Gabe anzunehmen.« – Auguste wickelte ein Packetchen auf und reichte mir eine allerliebst gearbeitete Tasche. »Die Stickerei ist von mir, der Fingerhut darin ist von Mama. Sie möchten sie gebrauchen wie Sie wollten, als Nähcessair oder Häkelcessair, Silbernes müßte dabei sein, das gehörte sich so.«

Ich dankte ihr herzlich und sagte: »Auguste, vergiß nie daß wir Beiden alte Freunde sind und bleiben.«

Sie nahm Abschied und ich trug ihr viele Grüße auf.

So war es mit dem Ausruhen nichts geworden. Onkel Fritz kam wieder und nahm die Zimmer in Beschlag, um ihnen den äußersten Pli beizubringen und wir durften auch nicht lange säumen.

Ich half erst Betti beim Ankleiden und ging dann selbst ans Werk, mein neues Grauseidenes anzulegen. Es war aus deutschem Seidenstoff, bestechend schön und sehr geschmackvoll gearbeitet. Frieda, die mir Handreichung leistete, äußerte, es sei voller Noblesse. Dann setzte Emmi mir den Silberkranz auf.

»Die Gäste wären beinahe vollzählig,« sagte sie. »Onkel Fritz habe den Flur in eine Empfangshalle verwandelt, die schon ziemlich gepfropft sei. Sobald der Pastor käme, würde Papa mich abholen. Fritz und Franz wäre auch mit, sie würden artig sein und nicht stören.« – »Bei Fritz ist dies vorauszusetzen, aber wer garantirt für Franz? Gehe lieber zu ihnen, daß sie ruhig bleiben. Denn eine Feierlichkeit ist leicht auseinandergeschrieen.«

Jetzt hatte ich endlich einen Moment für mich, aber in längst vorgenommener, Sammlung zurückzublicken wollte nicht gelingen. Das Herz war zu voll.

Ich saß und wachte nicht und schlief nicht, es lag wie Abwesenheit auf mir, bis mein Karl kam.

Ich hatte sein Eintreten überhört und gewahrte ihn erst, als er vor mir stand, die Hände ausstreckend, daß er mich erhöbe. Wir sahen uns an, unverwandt; er las in meinen Augen, ich in den seinen. Dann fiel mein Blick auf den silbernen Myrthenstrauß an seiner Brust, er schaute herab auf den Kranz in meinem Haar und liebreich sprach er:

»Komm, Silberbraut.«

Ich legte meinen Arm in den seinen. Sprechen konnte ich nicht.

Als wir nun hinabgingen, war ich nach den ersten Schritten wieder gefaßt, selbst die Töne eines hinter Gewächsen verborgenen Harmoniums konnte ich vertragen. Doris die kundschaftend aus dem Flur herumhorchte, flüsterte: »Se sind schonst Alle drin.«

So war es auch. In einem mehrreihigen Halbkreis saßen die Geladenen, in der Mitte Betti und Felix, neben ihnen Emmi mit den Zwillingen, auf der anderen Seite Erika, und dann die Frau Polizeileutnanten. Dies nahm ich flüchtig wahr, während wir langsam zu dem Prediger gingen, der auf einer kleinen Erhöhung uns erwartete. Die Musik verklang und er hob seine Rede an.

›Zu einer zwiefachen Handlung sei er hierhergerufen, sprach der Pastor, ein altes Herzensbündniß zu segnen, ein neues zu weihen. Grüne Hochzeit werde die Feier genannt, wenn ein junges Paar auf seinen Ehebund den Segen des Höchsten erflehe, doch heiße sie silbern, wenn nach fünfundzwanzig Jahren das Gedächtniß des ersten Gelübdes begangen werden könne. Es sei der grüne Kranz ein Sinnbild der Liebe, die geheimnißvoll entstehe, wie Blatt und Blüthe, aus denen er geflochten, die sich anfangs nur schüchtern hervorwage, dann aber zum Lichte dringe, sich seelig zu offenbaren. Zweig und Blume verdorreten und zerfielen in Staub, die Liebe aber wachse und festige sich; in den Kämpfen des Lebens erprobt, werde sie stark und beständig, dem lauteren Silber gleich.

So wandelt sich der grüne Kranz zum Silberkranze.

Jedes Jahr, jede Stunde des Jahres habe an ihm gewirkt und nun reiche die Vergangenheit ihn hellschimmernd dar. Ihrer sei froh gedacht und der Lebensfreuden, die sie gespendet. Doch auch wären Tage gekommen, von denen wir sagen, sie gefallen uns nicht, aber sie üben das Herz in Geduld. Die Geduld hilft uns, nicht zu verzagen, sondern in Demuth der Güte Gottes vertrauen, die wir oft und reich an uns erfahren, wenn wir sie nur erkennen wollen. Die Erfahrung aber bringet Hoffnung, die Zuversicht auf die unwandelbare Liebe dessen, von dem alle Gaben kommen. Ihm laßt uns danken; sein Segen senke sich auf das Jubelpaar!‹

Während er also sprach fühlte ich, wie sich etwas an den Falten meines Kleides hielt, erst an der einen Seite, dann ebenso an der anderen. Es waren die Enkel, die sich an Großmama schmiegten, und mit kindlichen Augen zu dem fremden Manne im schwarzen langen Talar aufblickten. Segne auch sie, unser aller Lieblinge. Segne sie.

Und wieder, wie vor fünfundzwanzig Jahren, reichten wir uns die Hand, mein Karl und ich. Wie umschloß er sie fest, so fest. – – –

Eigentlich kam ich erst wieder zu mir, als ich neben meinem Karl auf dem Stuhle saß, den Betti vorher einnahm, die nun mit Felix vor den Prediger getreten war. Noch viel zu sehr von dem Vorhergehenden angethan, vermochte ich dem Pastor nicht zu folgen. Wohl vernahm ich Worte, aber sie fielen auseinander wie lose Brocken und nur verschwommen sah ich die beiden jugendlichen Gestalten. Allmälig jedoch legte sich der Puls und klärte sich der Blick. Betti erschien beinahe zu strenge für eine Braut, auf Felix' Antlitz dagegen lag es wie das Morgenroth eines glückverheißenden Tages. Nur seine weiße Binde fiel mir auf, die einen bereits mehrmals gewaschenen Eindruck machte.

Ich betrachtete die Trauzeugen: sie waren tadellos beschlipst. Ich sah mich um, die Herren vom Geschäft hatten funkelneue Atlasbinden angelegt und der jüngste Mann, Herr Hoff, verstieg sich so gar zu einer roth eingefaßten Unterweste. Dies war mir an Felix seltsam, da er sonst doch wie ein Galalieutnant auf sich hält, nur daß er den Kopf nicht striegelt, wenn er in Gesellschaft tritt. Und die Facon! Solche gab es ja gar nicht.

Aber sah ich sie nicht schon einmal? Wo war das doch? – Richtig. – In Tegel, als wir Muck noch hatten, als Felix' Halsgurt im Wasser verloren gegangen war und Betti ihm eine Binde aus dem Mückenschleier nähte, als sie sich zum ersten Male sahen. Nun trug er am Hochzeitstage das Andenken an jenes Damals. Wie lieb und werth mußte es ihm sein, daß er es so treu bewahrte. Nie hätte ich gedacht, daß ein Stückchen Mull so entzückend sein kann.

Jetzt hätte ich noch den schönsten Genuß von der Traurede haben können, aber sie war just vorbei. Nur mit einer Umarmung vermochte ich Betti zu sagen, daß ich den freudevollsten Tag beging ... »Und Du, mein Kind?« fragte ich. – »Könnte ich doch nur so danken wie ich glücklich bin,« sprach sie.

Nun zeigte sich nimmer mehr, wie geschickt Onkel Fritz als Obermime vom Ganzen Alles vorausgefädelt hatte. Während die vielen Beglückwünschungen auf dem Flur fortgesetzt wurden, der durch Vorhängeteppiche, wie mindestens bei Kommerzienraths aussah, transportirten die Lohndiener die Tische so fliegend an Ort und Stelle, daß das Mahl baldigst beginnen konnte. Wir Brautpaare kamen uns an dem Haupttische gegenüber zu sitzen. Der Polizeileutnant führte Erika, Onkel Fritz die Frau Polizeileutnanten, dem Doktor war die Krausen gegeben, worüber er hinterher Unzufriedenheiten äußerte, denn sie hat ihn in einer Tour mit ihrem Eduard geödet, der bereits segelt. Wenn der Wind durch die Straßen weht, zittert sie, das Schiff schlüge um und die Wetterberichte in den Zeitungen halten sie in ständiger Angst. Aber die Geister hätten versprochen, ihr jede Gefahr anzuzeigen. Da hat der Doktor auf ihr Gequose nicht mehr hingehört, sondern sich mit dem Rothspohn unterhalten. Für ihn sind Geister ja auch nur irrthümliche Bettlaken.

Das Essen war jedes Einzelne Otto Bellmann. »Nimm Dir getrost noch einmal, wenn es Dir schmeckt,« sagte ich zu meinem Karl »und angle nur die Krebsschwänze aus der Steinbuttsauce heraus; um den Doktor mit satt zu machen langen sie doch nicht.«

Der Herr Polizeileutnant brachte die erste Gesundheit auf das Silberpaar aus, ein bischen lang, aber gewählt in der Sprache; er wünschte weitere fünfundzwanzig Jahre bis zur goldenen Hochzeit und daß wir dann Alle auf dem Posten sein möchten. Dann aßen wir wieder einen Gang und Onkel Fritz ließ das junge Paar leben. Aber wie immer mit Randglossen. Was sollte es heißen, daß er mich mit in seine Rede hinein zerrte und Felix Glück zu wünschen, daß er mich zur Schwiegermutter bekommen hätte, es gäbe schlimmere? Dann wurde das Wohl der Brautjungfern getrunken und zwar vom Doktor, und dann das der Brautführer, und dann das der Damen, und dann das der Enkel, und dann das der verheiratheten und Polizeileutnants ihres, dann Onkel Fritz seines. Herr Gott wurde angestoßen! wir standen beinahe ebensoviel mit den Gläsern in der Hand als wir essenshalber saßen und dabei mußten die Damen sich stets in Acht nehmen, daß sie nicht Rothweinflecke auf die Kleider kriegten. Aber er war fidel. Ungeheuer fidel. Sehr fidel sogar.

Zuletzt, wir waren schon beim Eis und der Champagner war eingeschenkt, wozu Onkel Fritz einen Lothringer Sekt ausprobirt hatte, der sehr preiswürdig, sich reichlich geben ließ, als Herr Brandes anklingelte. ›Er bäte um Entschuldigung, daß er sich die Freiheit nähme, aber man möge ihm auch ein Wort gestatten. Man habe bereits Aller Wohl getrunken, er möchte noch einen Wunsch aussprechen. Als er nach Berlin gekommen sei, vor vielen Jahren, da sei die Stadt nicht das gewesen wie heute, wo sie von Allen gepriesen würde, die sie kennen lernten. Sie habe sich vergrößert und verschönert, das Alte habe dem besseren Neuen weichen müssen, da der Raum zu enge geworden. So ginge es jetzt auch in der Landsbergerstraße im Hause Buchholz. Das Geschäft habe sich ausgedehnt und Bauleute seien thätig, abzubrechen, damit es sich entfalten könne. Er wünsche, daß das alte Glück dem Hause treu bleibe, daß es gedeihen möge hier im Kleineren, wie die Stadt Berlin im Großen blühe und wachse, er bäte uns, mit ihm einzustimmen: »Hoch die Firma Buchholz und Sohn! Hoch!«‹ – ›Hoch soll sie leben, drei Mal hoch‹, sangen wir und mein Karl ging hin und dankte Herrn Brandes.

Als abgegessen war, tranken wir den Kaffee auf dem Flur, die Tische wurden fortgenommen und nun sollte ein Tänzchen getreten werden. Dies scheiterte jedoch daran, daß der Klavierspieler uns im Stiche ließ. »So viel wir gebrauchen, können wir am Ende noch selbst,« schlug Onkel Fritz vor, jedoch Keiner drängte sich an das Piano. Jeder entschuldigte sich, er könnte es wohl nicht gut genug.

Da rief die Polizeileutnanten: »Mila, Du hast ja in der Schweiz so renommirten Unterricht genossen!« – Fritz führte Mila galant hin und bat um eine Polonaise. Mila besann sich erst und fing dann an. Na, wir marschirten nach den von ihr erzeugten Tonwellen, aber Takt war nicht drin, weshalb Onkel Fritz sie um einen Walzer ersuchte. Felix und Betti drehten sich einige Male, allein es ging auch nicht. »Ist dies ein Walzer?« fragte ich. – »Von Chopin,« antwortete Mila. – »Es ist wohl mehr ein Anhörwalzer, als danach zu tanzen?« – Sie entgegnete: »Banale Sachen spielte sie nicht«, und stand schnippisch auf. – Betti und Emmi nahmen hierauf ihre vierhändigen Noten von früher, die brauchbar waren, aber sie wollten sich doch auch gerne amüsiren. Genug, wir waren recht in Verlegenheit. Da erbot sich Herr Hoff, ob er sein Akkordion holen dürfe? »Natürlich,« sagte Fritz.

Nach einer Weile brachte er das Akkordion denn heran. Aber was war es? Eine große Quetschorgel. – »Nein,« sagte ich, »das gestatte ich nicht.« – »Spielen Sie man zu,« befahl Onkel Fritz.

Herr Hoff konnte die neuesten Tänze, sehr einladend und mit Schwung, worüber die Jugend sich hoch erfreute, die Polizeileutnanten aber Mienen zog. Das gab sich jedoch, als Onkel Fritz sie engagirte und weil er seine feinste Sohle mit ihr tanzte, meinte sie nachher, es sei wirklich recht gefällig, daß Herr Hoff sich als Orchester aufopferte.

Da stand nun das theuere Piano und die Stunden hatten manchen Groschen gekostet, wozu nur? Schließlich ist eine Ziehharmonika viel billiger und thut dasselbe auch. Man sollte sie doch mehr studiren.

Es ward immer vergnügter mit Tanzen, Singen und Erfrischungen, wie auf einem zwanglosen Feste im Waldesgrün. Das machten die Tannen. Der Abschied des jungen Paares blieb unbeachtet. Wir hätten sie gerne noch länger gehabt, aber sie mußten mit dem Zuge.

Dann brachen Polizeileutnants auf und Krauses und so Einer nach dem Anderen. Als die Letzten gegangen waren, hatte die Lustbarkeit ein Ende. Nur die Kerzen brannten noch, die leeren Stühle standen regellos durcheinander und Gläser und Teller, wo sie gerade Platz gefunden hatten. Das Fest war aus.

»Bist Du angegriffen, Wilhelmine?« fragte mein Karl, als ich mich ein wenig ermattet ausruhte.

»Setze Dich zu mir, Karl, daß ich mein Haupt an Deine Brust lege, in aller Stille, in allem Frieden. Es war ein schöner Tag; wie schön wird sein Gedenken sein?«


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