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Schwere Lage.

Wer wohl eigentlich die dumme Redensart aufgebracht hat: »Schweigen ist Gold?« Es kann mir ja ziemlich egal sein, wer es gewesen ist, wie man überhaupt in den seltensten Fällen weiß, von wem etwas stammt und stets verkehrt auf Schiller oder Faust gerathen wird, wobei sich durch späteres Nachschlagen ergiebt, daß es Uhland war oder aus einem Bande in der Nähe, aber wenn ich ihm begegnete, möchte ich ihn doch fragen: »Mann, haben Sie schon mal längere Zeit geschwiegen?« und wenn er dann sprachlos entgegnet: »Wo so?« antworte ich: »Sonst würden Sie solchen Blaak sich nie zu äußern unterstanden haben. Im Uebrigen setzen Sie sich nur ruhig hin, ich werde Ihnen die Sache schon verdiffendudein.«

Wenn man irgend eine Verlegenheit hat und kann ein paar Mund voll darüber reden, fühlt man sich wie neugebadet, oder wie ein Sonntagskleid an, selbst wenn es nur eine Nachbarin ist, mit der man sonst auf dem Nichtansehfuß lebt, da begreift man, was Redefreiheit ist, nach der alle Welt schreit. Fügen es die Verhältnisse indessen, daß man schweigen muß, dann wandelt man wie zusammengedrückt einher. In den vielen Jahren hatte ich außer Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken keinerlei Geheimniß vor meinem Manne gehabt, zertöpfertes Küchengeschirr oder kurzlebige Glassachen, die unvermerkt neu auf der Bildfläche erschienen, nicht mitgerechnet, da er so etwas als Pimp abweist, wenn ich ihm damit komme, und nun war ich Max gegenüber verpflichtet, Frieda ins Haus zu nehmen und die Andere auch, ohne daß mein Karl was ahnte. Einmal mußte er es erfahren, aber vor diesem Einmal hatte ich höllische Manschetten.

Denn mußte ich nicht erstens eingestehen, daß meine Wette verloren war?

Und er hatte zweitens ungehindert Recht zum Bau, wobei er mich drittens nicht nur auslachen, sondern viertens auch noch Onkel Fritz hinzuziehen würde. Fünftens war ich bei Max blosgestellt, wenn mein Mann ablehnte und somit sechstens nach allen Richtungen hin drunter durch. Ich saß, wie man sich allegorisch auszudrücken pflegt, zwischen zwei Stühlen in der Patsche.

In sehr schwermüthigen Stunden kam mir bisweilen die Idee, Maxen zu erklären, mein Karl wolle nicht, aber auf Lügen nach der Schweiz fahren, das Bewußtsein wäre zu einer unerträglichen Ueberfracht geworden, die jegliches Missvergnügen erwürgt hätte. Nein, wie Kain im Kupeh sitzen und wegen Gewissensbisse sich nicht zur Begeisterung für die landschaftlichen Reize der Natur aufschwingen können, lieber will ich entsagen.

Schließlich heckte ich eine Art von Plan aus, indem ich mit Max abkartete, die Angelegenheit vorläufig nicht weiter bekannt zu geben, bis Betti verheirathet sei oder ich es für angebracht halten würde, davon zu sprechen. In der Zwischenzeit erhoffte ich einen zweckmäßigen Moment, den der Zufall zur erleichternden Aushülfe benutzen möchte. Zugesagt hatte die Frieda jedoch erst, nachdem sie anfänglich sich großartig weigerte. Max hat mir nicht wieder berichtet, was sie über mich gesagt hat, aber ich bin überzeugt, daß Brummeisen das Lieblichste gewesen ist.

Als sie weiter erfuhr, daß ich mich überhaupt auf junge Mädchen zu verlegen gedachte und sie eine Kollegin antreffen würde, war sie gelinder geworden und von der Vermuthung abgebracht, daß das Haus Buchholz extra ihretwegen zum Rauhen Hause zur Anbändigung verwahrloster eingerichtet werde. Hätte sie hiervon nur soviel Wind gespürt, wie durch eine zue Ofenklappe kann, dann Adje!

Außerdem behandelte ich sie theilnehmender, wenn ich sie traf, und machte die Augen nach innen zu, um ihre Fehlerhaftigkeit nicht zu sehen, da sie, mit klarem verstände betrachtet, doch ein recht unwünschenswerthes Mädchen ist. Ich will nicht gerade behaupten, daß die Liebe bei Maxen stockblind gewesen war, aber eine Haut hatte sie auf der Pupille gehabt, oder wenigstens kurzsichtig.

Frieda näherte sich mir auch ein wenig, aber leider mußte ich dem Gespräch eine abweichende Richtung geben, sowie sie auf baldigen Antritt als Stütze des Hauses hinzielte. Auf Gold war ich keineswegs durch die Verurtheilung zum Schweigen gebettet und je länger ich den Termin einer Generalbeichte auf die Bank schob, um so mehr schmolz der Muth zu unüberwindbarer Schlaffheit zusammen, wobei das Wohlbefinden auch in die Brüche ging. Der Doktor konsultirte daher ganz richtig, als er die zeitweilig zunehmende Schwerluftigkeit für nervöses Asthma erklärte und mir Ballerjantropfen anrieth, die jedoch außer Gestankverbreitung nichts nützten, weil sie keine ordentliche Verschreibung waren, sondern nur so empfohlen. Wie kann das helfen?

Mein guter Karl schränkte sich zwar mit dem Tabak in meiner Gegenwart ein, sintemal der Rauch mir kribbelte, aber auch das war umsonst, weil ich aus den Sorgen und dem ewigen Versteckgespiele nicht herauskam. Die Andere saß mir ja auch auf dem Hals.

Zugeschrieben war worden; Frau Schulz hatte das feste versprechen, daß ihre Tochter mir zur weiteren Ausbildung passabel sei, und verlangte ungefähr dreimal in vierzehn Tagen auf brieflichem Wege die Erfüllung des Anerbietens.

»Wilhelmine,« bemerkte mein Karl, »seit einiger Zeit ist Deine auswärtige Korrespondenz eine ungewöhnlich lebhafte. Was hast Du eigentlich vor?«

»Nichts. Es ist nur wegen der Gänse.«

»Jetzt, wo wir die Markthallen haben?« wandte er ein. Ich denke, da giebt es Auswahl genug. Mache Dir meinetwegen keine unnöthigs Mühe, Wilhelmine. Ich esse sie, auch wenn sie nicht so fett sind.«

»O Karl,« wollte ich ausbrechen, »diese Sorte von Gans ist gegen Deinen Appetit,« aber seine unverdiente Gutheit machte mich schamverlegen und setzte mich außer Stand, die Wahrheit zu sagen. Konnte ich den Ahnungslosen in diesem Augenblick der Herzlichkeit meuchlings mit zwei plötzlichen Stützen der Hausfrau überfallen? Nein, ich konnte es nicht.

An den nächsten Tagen wollte sich auch keine passende Gelegenheit finden; mein Sünden- und Verschweigungsregister war schon zu groß geworden, als daß ich von selbst anfangen mochte. Nach einigen paar Tagen mehr kam Herr Max, um zu bitten, seine Frieda umgehend aufzunehmen, da sich ihr Vater mit Einer zu verheirathen gedächte, die für Frieda herabsetzend erscheine. Es gäbe ein Unglück, wenn die neue Frau ins Haus käme; der einzige Ausweg, der ihm bleibe, sei, Frieda zu heirathen, falls sie keine Unterkunft bei mir fände.

»Max,« rief ich, »hat sich denn Alles gegen mich verschworen?

Einige Bedenkzeit gestand er mir noch zu. Das gab eine Spur Erleichterung, die jedoch nicht lange anhalten sollte, denn in ihrem letzten Billetdoux eröffnete mir die Schulzen die angenehme Aussicht, mich demnächst mit ihrer Tochter zu überfallen, mitten in die tägliche Häuslichkeit hinein, ohne Umstände und Vorbereitungen, damit sie gleich sähe, wie es bei uns zuginge. Ob das nicht reizend wäre? – O ja, zum Heulen reizend.

Nun mußte wieder auf Ausflüchte gesonnen werden, wie peinigend ist es doch, wenn man sich in Hinterhalte und Unaufrichtigkeiten begiebt. Es war nur ein Nothverschweigen, womit es ganz winzig anfing und jetzt war ich in die Bredoulje hineingestrauchelt und mußte flunkern, daß ich fast selbst nicht mehr glaubte, was ich sagte. Aber das gelobte ich, wenn ich erst wieder im Reinen wäre, dann auch nicht die geringste Verschleierung der Begebenheiten. Nur Wahrheit, nichts als die unvermengte Wahrheit.

Was sollte ich nun der Schulzen vorspiegeln, um sie von ihrem Streifzug abzuhalten? Sollte ich schreiben, wir hätten den Tapezier? – Das wäre nachher herausgekommen. – Oder wir hätten die Pocken? – Das wäre Frevel gewesen. – Oder groß Reinemachen? – Das hätte sie vielleicht gerade sehen gewollt. Endlich kam ich auf Hausbesuch. Der wäre für sie schenirt, und sie wäre für ihn schenirt, wir könnten auch nicht wissen, ob wir nicht auf einer Partie wären; genug, wenn sie etwas wollte, müßte sie vorher genau Datum und Stunde bestimmen, und wir könnten uns im ›Franziskaner‹ treffen. Auf Anderes ließe ich mich nicht ein. Sela!

Aber wie so eine Person ist, dividirte sie sich justement die Zeit aus, in der wir essen, und meldete sich für den folgenden Tag an, daß ein meinerseitiges Entrinnen unmöglich war und geschwind eine Plausibilität für das Fortbleiben vom Mittagstisch ausklamüstert werden mußte. Aber die Anstrengung. Nachdem ich dicht vor der Verzweiflung angelangt war und der Schädel schon auf der einen Seite nachgab, fand ich in den Anzeigen eine Möbelauktion bei Leppke, die ich meinem Karl in sofern glaublich machte, als sich vielleicht etwas vorhundertjähriges für Betti's Hausstand erwerben ließe.

Freilich meinte er, sie arbeiteten die Antiken neu viel besser in Berlin, allein so siebenmal recht er hatte, mußte ich ihm meine Gesinnung diesmal verhehlen. Frau Schulz war in Sicht. – – –

Gerade wie ich nun in den Franziskaner eintreten will und im Monolog zu mir sage: Sie sitzt gewiß gleich vorne rechts, daß du sie beim ersten Anhieb triffst, fällt mir auf das Schauderhafteste ein, daß ich die Schulzen ja gar nicht kenne und die Schulzen mich auch nicht und keinerlei Rendezvoussymbol, eine Rose oder Taschentuch, verbündet worden ist. »Na,« rede ich selbstgesprächig weiter, »eine Mutter mit Tochter wird nicht zu verfehlen sein und einen Blick für das provinzielle hat man am Ende auch.« Ich also hinein in die Dardanellen.

Wie ich nun den ersten Raum abgesucht habe, ohne sie zu entdecken, inspizire ich den zweiten, und wie dort nur eigentlich Mannsleute sitzen, schlängele ich mich durch den dritten und vierten Saal, ohne zwischen den vielen Gästen auch nur etwas gefunden zu haben, das wie Mutter und Tochter ausgesehen haben könnte. Ueberall dieselbe Perspektive; nicht ein Schattenriß von der Schulzen. Die Kellner, welche ich interviewte, wollten nichts Derartiges beobachtet haben, selbst nicht gegen das Versprechen eines Trinkgeldes.

»Wahrscheinlich geht die Zehlendorfer Uhr nach,« tröstete ich mich mit Kolumbus, der ja auch lange vergeblich entdecken mußte, ehe er New York endlich vor sich liegen sah, »und sie ist die nächste, die ins Lokal tritt.« Deshalb nimmst du beim Eingänge Platz, da kann sie dir nicht vorbeischlüpfen, weil nun am unmittelbarsten Tisch neben der Thüre nur ein Herr und eine Dame saßen, so war ich denn so freundlich, mich bei ihnen niederzulassen, was sie sehr liberal gestatteten, indem ich, wie sich in anderthalb Minuten begreiflich machte, ihnen etwas Schutz gegen den Zug gewährte, den der Portier allein nicht abfangen konnte.

»Rührende Egoisten die Beiden,« dachte ich, und beschloß ihnen auch kein Wort zu gönnen, denn mit Selbstsucht sich einlassen, kommt man immer zu kurz.

Da es Mittwoch war und die Löffelerbsen mit Speck, welche auf der Speisekarte standen, ihnen sehr zu behagen schienen, bestellte ich mir auch eine Portion nebst einem Seidel Bier und vertiefte mich in den Genuß dieses nahrhaften Essens, das mein Mann früher ebenfalls hochschätzte, aber wegen der Hülsen in den letzten Jahren etwas vernachlässigt. – »Was er jetzt wohl macht, der gute Karl, ob es ihm ohne meine Gegenwart schmeckt?« wollte ich eben einen heimwärts gerichteten Gedankengang beginnen, als es mich mit der Geschwindigkeit eines Telegraphendrahtes durchfuhr: »Sollte die Schulzen doch vielleicht nach der Landsbergerstraße gestürmt sein und munter darauf los enthüllen, während ich hier hinter Löffelerbsen sitze?«

Der erste Antrieb war aufspringen und ihr nach, aber die Vernunft wirkte als Niederdruck: die Person mußte ja jeden Augenblick kommen und wenn sie mich nicht traf, lag die Angelegenheit ebenso verfänglich wie jetzt, was nützte der Majoran an den Erbsen und der schön durchwachsene Speck, was das Bier, direkt schäumend vom Faß? viel anders kann eine Henkersmahlzeit auch nicht gekocht sein als mit dem Gefühl, in der nächsten halben Stunde bist du geliefert. Unter Mühsalen aß ich den Rest, bezahlt mußte ja doch werden.

So oft die Thüre ging, ich wie ein Schießhund aufgepaßt, aber nichts erschien, was als die Schulzen mit ihrer Tochter ausgelegt werden konnte. Es kamen Dicke und Dünne, Herren und Damen, Alte und Junge, von allen Sorten, der ganze Adreßkalender, nur die Erwartete nicht.

Was sollten die Kellner denken, daß ich mich plan- und zwecklos herumdruckste, zumal ich wegen der Thürinspektion keine Zeitung vor das Gesicht nehmen durfte? In lauter Verzweiflung trank ich aus und bestellte noch einen Seidel. »So,« höhnte ich ingrimmig dazu, »nun ist die abschüssige Bahn komplett, Wilhelmine, nun fängst du das Trinken an.« Und doch wollte ich, daß ich eine rechte große Zeitung zum Verbergen gehabt hätte, denn Derjenige, der nun in das Lokal trat, war Onkel Fritz. Der fehlte gerade.

»Bist Du es oder bist Du es nicht?« fragte er, nachdem er sein erstes Erstaunen beseitigt. – »Jawohl,« erwiderte ich gereizt, »ich bin es, oder hast Du etwas dawider?« – »Durchaus nicht, aber wie kommst Du in diese Gegend?« – »Danach könnte ich Dich ja auch fragen.« – »Ich liefere nahe bei Kronleuchter und kontrollire die Arbeiter. Wenn später ein dußliger Dienstbolzen mit zwei linken Händen sich so ein Ding über den Leib reißt, greift das Unfallgesetz mich. Hast Du Dich mit Deinem Karl erzürnt oder machst Du eine Bierreise auf eigene Hand?« – »Weder das Eine noch das Andere,« fuhr ich ärgerlich heraus, »ich sitze hier und warte auf ein altes Reff aus Zehlendorf.«

»Sie erwarten Jemand aus Zehlendorf?« mischte sich mit einem Male die Tischnachbarin in unser Gespräch. »Sind Sie vielleicht Frau Wilhelmine Buchholz aus der Landsbergerstraße?«

»Wer sonst wohl?«

»Ich bin die Schulz aus Zehlendorf.«

»Nanu?« schmetterte ich sie an, »und damit kommen Sie jetzt erst zum Vorschein und lassen mich hier sitzen wie einen Chenilleaffen in Todesangst?«

»In Angst? Um meinethalben?« fragte sie. – »Daß Sie zwischen die Wagenthüren gerathen sein könnten,« wand ich mich heraus. »Wo haben Sie denn Ihre Tochter?« – »Die besucht eine Freundin und muß jeden Augenblick erscheinen. Sie hat mir fest versprochen, pünktlich zu sein. Lange kann sie unmöglich bleiben, aber wie junge Mädchen so sind, nicht wahr? Die haben sich vielerlei zu erzählen, wenn sie sich lange nicht gesehen haben, obgleich ich ihr einschärfte: ›eile Dich, mein Kind, Frau Buchholz wird gewiß pressirt sein, da sie Hausbesuch hat.‹ – »Hausbesuch?« fragte Onkel Fritz, der noch unschlüssig war, ob er neben dieser Rappelmaschine ansässig werden wollte oder nicht, »wer ist denn bei Euch?« »Die Tante aus Bützow,« sagte ich, um nur einen Namen zu nennen, und machte Winke, damit er auf meine Ausflucht eingehen sollte, aber anstatt mir aus der Klemme zu helfen, er sich naiv gestellt und gelacht: »die ist ja lange todt, oder geht sie um?«

»Fritz,« rief ich mit Zornesröthe. »Merkst Du denn nicht, daß Du hier zu viel bist?« und zur Frau Schulz gewendet sagte ich: »Allerdings ist eine Tante aus Bützow von mir gestorben und hat recht ansehnlich hinterlassen. Diese Tante jedoch, von der mein Bruder nichts zu wissen scheint ...« –

»Ist 'ne sehr nette Frau, mit sieben unerzogenen Rindern und einem zahmen Papagei,« fiel Onkel Fritz mir in die Rede, »aber da ich nur zur Verwandtschaft rechne, was sich beerben läßt, dachte ich nicht an sie. Empfehle mich bestens.« Er hatte verstanden und entfernte sich.

Weil meine gute Laune von dem langen Warten bereits sehr sauer geworden war, gedachte ich mit der Schulzen auf das Kürzeste zu verhandeln und sagte: »Eine Woche lang Zeit habe ich nicht. Also Sie sind einverstanden, daß Ihre Tochter keiner Arbeit aus dem Wege geht? – »O gewiß. Sicher. Sind Sie sehr für Scheuern?«

»Je nachdem, obgleich man mit Reinemachen viel verruiniren kann. Nur keinen Mißbrauch mit Wasser.«

»Nicht wahr? das sage ich auch. Edith liebt das Nasse durchaus nicht.«

»Heran muß Ihre Tochter Ida aber doch, damit sie Alles vom Grunde aus lernt.«

»Wenn es nicht anders sein kann,« seufzte sie. »Die Hauptsache ist liebevolle Behandlung. Sie hat einen so himmlischen Geist und viel Phantasie. Für das Theater läßt sie ihr Leben.«

»Theater wird bei uns nicht gespielt.«

»Ich meine nur, daß sie nach der Anstrengung hin und wieder eine kleine Erholung hat. Kochen Sie kräftig?«

»Hausmannskost.«

»Derbe Speisen kann meine Tochter nicht vertragen.«

»Meine Liebe, Hausmannskost ist noch lange kein Hausknechtsessen. Das will ich mir ausgebeten haben. Ihre Ida scheint übrigens eine Masse Paragraphen mit zubringen.«

»Ida? Sie sagen immer Ida, erlauben Sie, meine Tochter heißt Edith mit einem englischen th und das E wie I. »Konnten Sie keinen unsinnigeren Namen finden?« fragte ich. – »Ist er nicht bildschön?« rief sie. Ach, die deutschen Namen sind alle so gewöhnlich?« – »Liebe Frau« entgegnete ich, »auf den Namen kommt es nicht an, sondern darauf, daß er mit Ehren besteht und einen guten Klang in Anderer Munde hat. Aber seien sie nur ruhig, ich werde ihrer Ida die fremdländischen Mucken schon austreiben. Die Zunge verrenke ich mir ihretwegen noch lange nicht und wenn sie ein Dutzend englische th's hintendran bammeln hat. So, nun können Sie thun und lassen was Sie wollen und Ihre Neelsuse von Tochter nur gleich wieder mitnehmen. Ich danke für Südfrüchte.«

»O, nein, meine allerbeste Frau Buchholz,« legte sie sich aufs Bitten, »so hart können Sie nicht sein. Edith hat ihre Fehler – ich gestehe es offen ein – aber sie ist so lieb von Charakter und unter Ihrer Leitung wird sie ganz vollkommen werden. Nicht wahr, Sie bleiben bei Ihrem Versprechen?«

»Unter der Bedingung, daß sie gehorsam ist und sich fügt.«

»Sie sollen zu keiner Klage Anlaß finden.«

»Das will ich hoffen. Aber nun warten wir schon über eine Stunde. Das muß sich ändern, was soll mein Mann denken, wo ich bleibe?«

»Schieben Sie nur alle Schuld auf mich. Ihr Hausbesuch wird Sie gewiß einen kurzen Augenblick entbehren können.«

Ich schwieg. Eben vorher hatte ich mich so hoch auf das tugendhafte Pferd gesetzt und von ›in Ehren bestehen‹ geredet und nun warf der Hausbesuch mich mit einem Male herunter. Das schmerzte. – »Wir haben alle unsere Schwächen sprach ich, »und dürfen von unseren Mitmenschen nicht das Allerstrengste verlangen. Hat Ihre Idiß Vertrauen zu mir, werden mir schon miteinander auskommen. Aber eins mache ich zur Bedingung. Idiß muß aufrichtig und offen sein. Ich dulde keine Unwahrheit.«

»Das will ihr besonders einschärfen. Kleine Nothlügen kommen wohl mal mit vor.« – »Das sind die schlimmsten. Glauben Sie mir, die vergällen Einem das Leben, wo ist denn Ihr Mann?« – »Mein Mann?« – »Nun, der Herr, der neben Ihnen saß?« – »Den kenne ich nicht. Ich setzte mich an diesen Tisch, nur um Sie nicht zu verfehlen.«

Endlich kam die Tochter, ein schmächtiges, mageres Geschöpf, an dem noch sehr viel zu ernähren war, ehe sie den richtigen Schnitt haben würde. Sie entschuldigte sich, daß sie bei ihrer Freundin gar nicht an die Zeit gedacht hätte, und freute sich sehr darauf, nach Berlin zu kommen. »Nein diese schönen Straßen« schwärmte sie, diese prachtvollen Läden und Renz ist auch schon angekündigt, ich wollte, ich könnte gleich hierbleiben.«

»Liebes Kind,« erwiderte ich, »an die Lustbarkeiten wollen wir zuletzt denken. Hausstand lernt sich nicht leicht, dazu gehört so viele Uebung in endlosen kleinen Dingen, daß man schließlich gar nicht anders sein kann als praktisch. Dann erst hat es Art. Haben Sie auch Lust, Hand anzulegen?«

»Ja,« sagte die Mutter.

Die Tochter schien mit dieser Antwort einverstanden, denn sie nickte mit dem Kopfe.

»Meine Zeit ist abgelaufen,« rüstete ich mich zum Aufbruch. »Sie bekommen Bescheid, wenn Sie zuziehen können, aber das dauert wohl noch ein wenig. Noch sind die Verhältnisse nicht danach, warten Sie, bis ich schreibe.«

Der gegenseitige Abschied war auf beiden Seiten ein befriedigender. »Mit der werde ich schon fertig,« dachte ich, und die Schulzen sagte: »Edith wird nur darauf bedacht sein, Ihnen Freude zu bereiten.«

Was die Schulzens aber unter Freudebereitung verstehen, das habe ich später erfahren, warum jedoch ist die Zukunft dunkel vernagelt? Damit man den dahinter lauernden Aerger nicht sieht?

Betti war hocherfreut, daß ich ihr nichts Veraltetes gekauft hatte, weil es leicht aus der Mode kommt und den Wurm hat, entweder den natürlichen echten, der fidel weiter bohrt, oder den künstlichen, den die Möbelfritzen hineinfabriziren und der mehr für den Liebhaber als für die Haltbarkeit ist. Außerdem muß man jetzt, da das Louisquatorsische aufkommt, sich sehr vorsehen, um in der Strömung der Gebildeten zu bleiben. – Sie ging, meinem Manne zu sagen, daß ich zurückgekehrt sei, der denn auch alsbald erschien. – »Hast Du Dich überzeugt, daß der Handel mit Antiquitäten seine Unds und Abers hat?« fragte er. – »Karl, es war nichts vorhanden, was soliden Stil an sich hatte.« – »So!« – »Und brandtheuer.« – »So!« – »Ich bin überzeugt, man kauft neu zweckmäßiger?« – »So! ... »« – Karl, was soll Deine Einsilbigkeit?« – »Ich denke, Du warst aus und hast mehr zu erzählen als ich.« – Mir ging eine zerknirschende Ahnung auf. Sollte er etwas wissen? »War Onkel Fritz vielleicht hier?« fragte ich. – »Nein.« – »Hast Du Unannehmlichkeiten im Geschäft gehabt?« – »Nein.« – »Fehlt Dir etwas?« – »Nein.« – »Karl, warum bist Du so?« – »Wilhelmine,« sprach er ruhig, »die Auktion war ja schon vergangene Woche,« und legte mir die Zeitung vor, in der ich die Annonce gelesen hatte. Jetzt war ich ertappt. Mit einer solchen Kleinigkeit. Es war richtig eine alte Nummer. Wohinaus nun? »Dann,« stammerte ich, ... »muß ich mich wohl geirrt haben.« – »Das will ich hoffen.« – »Karl,« wollte ich ausbrechen, »bin ich noch ein Kind, das man ausfragt?« aber ich war in diesem Augenblick wirklich ein Kind, ich konnte mich nicht länger halten, »vergieb, vergieb,« rief ich, »ich will's nicht wiederthun,« und stürzte auf ihn zu, daß ich mein Antlitz verbärge.

Wie nachsichtig war er, wie liebreich redete er mir zu. Da fing ich dann an zu beichten und zu gestehen, was mich in den letzten Wochen beklemmte, und wie ich mich vor ihm geschämt hätte von Tage zu Tage mehr und mehr und wie ich immer feiger geworden war, die Wahrheit zu gestehen.

»Alte,« sprach er, »kennst Du mich seit den vielen Jahren so wenig, daß Du Dich vor mir fürchtetest, vor Deinem Manne, der Dich über Alles liebt?«

»Weil Du mich liebst, schwieg ich. Konnte ich anders glauben, als daß ich Dir abstoßend vorkommen würde mit all den Hintergehungen, in die ich mich verrannt hatte. Schuld war meine Rechthaberei, ich wollte Dir zeigen, daß ich sehr gut konsequent sein könnte, aber Karl, aus sich selbst kann Niemand heraus. Max that mir zu leid und da versprach ich ihm, seine Braut ins Haus zu nehmen, ohne Dich vorher zu fragen. Meine Wette habe ich verloren, ich verzichte ja auch gerne auf die Reise, wenn Du mir nur wieder gut bist und mir verzeihst. Was ist wohl Bauen mit all seiner Unruhe gegen die Qualen, die ich in der letzten Zeit ausstand? Es war das Gewissen, an dem ich litt, und dagegen halfen keine Ballerjanstropfen.«

»Du solltest Dich überhaupt mehr schonen, Wilhelmine, sonst wird Dein Asthma ganz schlimm. Betti und ich sprachen noch heute darüber, daß Du Hülfe haben müßtest, daß ein junges Mädchen zur Gesellschaft nothwendig sei, wenn Betti verheirathet ist.« – »Karl, bist Du ganz von alleine auf diese Idee gekommen?« – »Der Gedanke liegt doch nahe genug.« – »Du hättest sehr gerne einen Ton früher reden können.« – »Durfte ich?« lachte mein Karl; »hattest Du nicht ausdrücklich versichert, Dich um keinen Menschen mehr kümmern zu wollen.« – »Karl, keinen Spott, den vertrage ich jetzt nicht.«

Nach einer Weile fing er wieder an: »Es wird gerathen sein, das junge Mädchen bald zu nehmen, damit es dressirt ist, wenn Betti geht.«

»Karl,« entgegnete ich zagend, »es sind zwei Stützen, Maxens Braut und noch eine. Es ging nicht anders, mein Karl. Ich bezweifele aber, daß Du sie aussprechen kannst. Du mußt Dir nämlich ein Stück von der Zunge beißen und thun, als wenn Du es ausspucken wolltest, aber es dessenungeachtet zwischen den Zähnen behalten. Sie schreibt sich nämlich englisch und heißt Idiß Schulz.« – »Idiß ist gut,« sagte mein Karl. – »Ihren Stammbaum hat sie in Zehlendorf.« – »Also nur englisirt,« entgegnete mein Mann, »das wächst sich wieder aus, wie bei den Pferden der Schwanz.« – »Karl, für solche Vergleiche sind meine Ohren nicht gebaut.« – »Wilhelmine, Du mußt mich nehmen wie ich bin, zum Aufbessern bin ich wohl schon zu alt. Ich denke übrigens, wir wollen uns Beide keine Vorwürfe machen und Geduld miteinander haben.« Er reichte mir die Hand; ich nahm sie mit beiden Händen und führte sie an meine Wange Nun hatte ich meinen Halt wieder, meinen Karl.

Mir war so leicht und wohl wie nie zuvor, als sei Bürdevolles und Drohendes von mir genommen; ein wonniges Gefühl umfing mich lind und weich wie Abendmilde. Ruhe kehrte wieder in das Herz ein, das so oft in Furcht hämmerte, vor meinem Mann nicht bestehen zu können. Die Vorwürfe schwiegen, die Bangigkeit wich, ich war aus Leid erlöst. Alle Welt hätte ich umarmen können und wie von glockenvollen Stimmen klang es um mich her und in mir: »Seid umschlungen Millionen«, wie ich es einmal im Konzert hörte, wo Niemann mitwirkte. Damals fand ich es sehr schön, aber heute begriff ich es erst, als die Erinnerung mir vortönte, was Dichter und Musiker für uns anderen stummen Menschenkinder gesungen haben. Nun hallte es aus tiefer Seele wieder und nahm alle Beschwer mit sich hinweg.

Als Betti jetzt kam und Onkel Fritz anmeldete, war ich rosenfarbig genug, ihn empfangen zu können.

»Wo bewahrst Du denn den Hausbesuch auf?« rief er, »ich möchte meine neue Tante gerne kennen lernen. Kannst Du aber lügen, Wilhelm. Die Zehlendorfer Lowise war ja schon ganz blau an der einen Seite.«

»Fritz, dies sind Sachen, die Dich nichts angehen. Nicht wahr, Karl?«

Mein Karl sah mich schelmisch an und lächelte. Dann sagte er zu Onkel Fritz: »Wir hatten allerdings Hausbesuch, aber der ist vor einer halben Stunde auf Nimmerwiedersehen abgereist. Uebrigens kann ich Dir als Neuestes mittheilen, daß meine Frau in den Bau willigt, und wir zwei Stützen der Hausfrau bekommen.«

»Zwei?« fragte Betti.

»Damit die Eine den Unfug besorgt, den die Andere nicht alleine fertig bringt,« bemerkte Onkel Fritz.

»Ja, wenn Sie wären wie Du. Aber es nützt Dir doch nichts: um mich zu ärgern, mußt Du Dir einen anderen Tag aussuchen.«

Ich ging mit Betti, um ungestört über die jungen Mädchenverhältnisse zu sprechen, und ließ die beiden Männer unter sich, denn selbst die schönste Geduld kann reißen, wenn Einer unausgesetzt daran zupft. Und so ist Onkel Fritz manchmal leider häufig.


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