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In der Hasenhaide.

Es war eine immerhin widerstrebende Aufgabe, meiner Doris zu sagen, daß sie ihren Ausgehnachmittag hergeben müsse, weil ich ihn zum Sonntag selber gebrauchte, aber es ließ sich nicht ändern. Doris war diesmal wider Erwarten flink bei der Hand, da sie sonst doch immer auf ihren gesetzmäßigen Zukömmlichkeiten besteht und meinte: »Wenn Madame nothwendig irgendwo hinjezwungen is, bleibe so wie ick, regulär zu Hause.« – »Sie können sich dafür den Mittwoch aussuchen, Doris.« – »Och nee,« antwortete sie, »aus'n Wochendag mach' ick mir nischt; da meint man, man hatte was Jebratetes und nachher is es nich mal was Jekochtes.«

»Mir geht schon der Graul an, wenn ich blos an das Sonntagsgetümmele denke,« entgegnete ich, um anzudeuten, daß ihr Nachmittag, nicht aus Amüsementsgründen begehrt wurde. »Bei einigermaßenem Wetter pilgern die Hälften Berliner ins Grüne und wenn es sehr schön ist, die Ganzen, wodurch das Unterkommen in der Umgegend sich polizeiwidrig einzwängt.«

»Wo will Madame denn hin?« fragte Doris. »Ich will nicht, Doris, ich muß.« – »Keen Mensch muß müssen, wenn ick Sehnsucht nachs Inbleiben hätte, sollten mir doch keene zehn Ferde aus de Dhüre ziehn.« – »Doris, in den höheren Lebensschichten giebt es Fälle, wo man wohl möchte, aber nicht darf. Das Zeremonische legt eben Verpflichtungen auf, und wie man sich benimmt, so ist hinterher das Renommee.« »Et is denn wohl janz feine Jesellschaft?« – »Ach nein, Doris, nur eine kleine Landpartie, sozusagen. Ein Freund vom Herrn, oder eigentlich ein Bekannter von früher, ein gewisser Briese, der viel in meinem elterlichen Hause verkehrte, hat uns seinen Besuch zugedacht und muß nun ausgeführt werden. Ich hatte ihn schon gänzlich vergessen, weil er doch die vielen Jahre nach Rawitsch verzogen ist, wo er sein gutes Auskommen hat, wie er sagt, und immer noch als Junggeselle lebt, obgleich er eine Frau reichlich ernähren könnte.« – »Wat nimmt er sich denn keene?« – »Wer ermißt Menschen? Vielleicht hat er zu immense Ansprüche gestellt, oder auch, daß sie ihn nicht wollte, obgleich er damals keine üble Partie war, womit manche sehr zufrieden sein könnte. Aber manche mochte ihn auch wohl nicht mögen, da er doch die erste Jugendlichkeit aufgezehrt hatte und ihm die Stirne bereits in den Nacken rutschte. Das animirt nicht zum Heirathen, trotzdem er sehr verliebte Augen machen konnte. Nein, es war schon besser, daß er in Rawitsch seßhaft wurde, als hier in Berlin mit gebrochenem Herzen herumzulaufen.«

»Det muß schrecklich sind,« sagte Doris.

»Er hatte da irgend so eine Seitenlinie von Großonkel, auf den hin er sich verloben wollte, aber wenn das Jahr herum war, lebte der alte Mann immer noch, und ich muß bekennen, meinen Gefühlen widerstrebt ein Hausstand, der über den Todtengebeinen der Verwandtschaft errichtet wird.«

»Hu!« schudderte Doris.

»Nachher starb der Alte mit einem schönen Testament, worin er Herrn Briese zum Universalerben einsetzte, jedoch unter der Bedingung, daß er das Gewese selber anfaßte und die Senfmühle im Gangs erhielt, die dem Alten sein größter Stolz mit verschiedenen Sorten gewesen war. Er hat uns auch Proben geschickt, besonders einen Kräutermostrich, der war pompiek. Nun ist er mal nach Berlin gereist und man kann doch nicht anders, als ihn gut aufnehmen, allein schon wegen der alten Erinnerungen.« – »Hat er wieder welchen mitjebracht? Unser is jrade alle.« – »Man muß die Menschen nie nach dem taxiren, was sie mitbringen, sondern nach ihrem inneren Werth. Ich freue mich darauf, mit ihm über alte Zeiten reden zu können und mich darüber zu amüsiren, wie ihm Berlin jetzt gefällt, obgleich er schon auf seine eigene Hand ziemlich herumgewesen ist, ehe er zu uns kam und nur noch nicht vor den Thoren war. Deshalb gehen wir Sonntag zusammen nach der Hasenhaide.«

»Nach de Haide?« fragte Doris erstaunt, als wenn sie sich verhört hätte, »is et da denn nich zu jemischt für Madam und den Senfonkel?«

»Doris,« belehrte ich sie mit einem Anstrich von höherstehendem Wesen: »wo Gebildete hingehen, hört die Mischung auf. Damit Ihnen am Sonntag die Zeit nicht lang wird, will ich Ihnen die Blumen von meinem älteren Hut schenken, die können Sie sich auf Ihren setzen.«

Hierüber ward sie sehr vergnügt und ich auch, denn belohnt mußte sie für ihre bereitwillige Entsagung werden, und ich kam auf diese Weise zu einer neuen Garnirung, ohne daß mein Karl mich verschwenderischer Eitelkeit beschuldigen konnte.

Die ausgefallene Idee mit der Haide war von Onkel Fritz ersonnen.

Seitdem er seine Häuslichkeit mit der Erika eingerichtet hat, ist ja Alles ganz gut, aber sie paßt doch nicht in die große Stadt. Die Straßen sind ihr zu lang, der Lärm beunruhigt sie, quer über den Damm wagt sie sich nicht, weil sie fürchtet, unter die Räder zu gerathen, und das Einkaufen wird ihr unermeßlich schwer. Es ist auch etwas Anderes, wenn der elterliche Garten Suppengrünes in die Küche einliefert, als mit den Spandauer Gemüseweibern und den Werderschen hin und her handeln, die jegliche Unerfahrenheit benutzen und ihr schlechtes Zeug in die Hand stechen. – »Wenn sie nur erst etwas mehr Kourage hat, wird's schon gehen,« meinte Onkel Fritz vor ein paar Tagen. »Sie muß häufig unter Menschen gebracht werden, damit sie das sichere Gefühl erwirbt, ihr geschieht nichts.« – »Habe ich Dir nicht gleich gesagt, eine Berlinerin wäre geeigneter für Dich gewesen?« – »Wenn ich noch einmal wählen sollte, ich würde keine Andere nehmen, willst Du mir nun einen Gefallen thun, Wilhelm, dann begleitet Ihr uns Sonntag nach der Hasenhaide. Mach keine Witze und komm mit.«

Eine gebührende Ablehnung wurde durch die Ankunft des Herrn Briese unterbrochen. Auf den ersten Anblick wußte ich nicht, wo ich ihn hinbringen sollte, aber da sein Sardellensemmelhaupt noch dasselbe war, verschwanden die Zwischenjahre wie Fensterladen und ich erinnerte mich mit erschreckender Genauigkeit des Tages, an dem er sich eingebildet hatte, ich würde ihn glücklich machen. Er schickte einen Brief, wie vom Kupferstecher und bekam ein schonendes Absageschreiben von meinem Vater retour, worin gegen seine Person nichts eingewendet wurde, hingegen die unausgewachsene Minderjährigkeit der Begehrten das Hinderniß bildete. – Er schrieb noch einmal, fiel aber zum zweitenmal ab.

Ich ließ ihn mit Onkel Fritz allein, um meinen Karl zu holen und zu instruiren, daß eben Herr Briese derselbe sei, der mir den Hof machte und keine Gegenliebe fand. – »Wilhelmine,« sagte mein Mann, »dieser Herr Briese wird mir doch keine Gelegenheit zur Eifersucht geben?« – »Karl, sieh Dich im Spiegel und dann laß ihn hineinsehen, es ist ja gar kein Vergleich möglich« – »Treue Anhänglichkeit rührt zuletzt die Frauenherzen.« – »Er wurde zweimal abgewiesen und zum drittenmale mit dem Mostrich rührte er erst recht nicht, das weißt Du so gut wie ich.« – »Nur nicht tragisch, Wilhelmine; Herr Briese soll mir willkommen sein.«

Wir kehrten zurück und fanden Onkel Fritz mit Herrn Briese in eifrigem Gespräche. Mein Karl war zuvorkommend gegen ihn und fragte, wie ihm denn Berlin gefalle, das er nach so langer Abwesenheit wiedersähe? – »Gar nicht,« rief Onkel Fritz. – »Ich kann mich nicht mehr zurechtfinden,« klagte Herr Briese. »Die alten Straßen sehen sich nicht mehr ähnlich; wo früher eine kleine Kabache stand, steht jetzt ein Palast, wo freies Feld war, sind jetzt Straßen, eine opulenter als die andere. Bei Kranzler ist nicht mehr Gitter genug, die Füße gegen zu stemmen, wenn man Berlin vorbeiwandeln sehen will. Die alten einfachen, traulichen Kneipen haben sie abgerissen und neue gebaut, von auswendig mit bunten Glasfenstern, wie die Kirchen und inwendig mit Architektur, wie die Ritterschlösser, kaum daß man sich in die Vornehmheit hineinzusetzen wagt.« – »Aber's Bier ist doch excellent?« fragte Onkel Fritz. – »Wir haben in Rawitsch ebenso gutes, wenn nicht besseres,« erwiderte Herr Briese selbstgefällig, »und lange nicht so theuer. Bei uns kostet das Töppchen die Hälfte.« – »Demnach ein Platz für Gemüthsmenschen,« bemerkte Onkel Fritz. – »Er hat seine Schattenseiten, aber auch seine Lichtseiten. Eine Schattenseite ist meinetwegen, daß er so sehr weit von Berlin entfernt liegt, und eine Lichtseite, daß man nicht so oft herüberreisen kann, hinterher möchte es einem in Rawitsch nicht in gleicher Qualität behagen.« – »Sie schwärmen also vorzugsweise für Berlin,« warf ich dazwischen. »Wie könnte es auch wohl anders sein, wenn Sie zurückdenken. Jugend ist ja die schönste Jahreszeit.« – Er sah mich melancholisch an: »Ich kenne es nicht mehr, ich war zu lange fort. Meine Freunde und Bekannten sind weg, wie die alten Plätze, wo wir mit einander jung und vergnügt waren. Wir gingen Arm in Arm auf dem Bürgersteig, heute kommt man einzeln kaum durch. Ich hab' das Schuppsen nicht mit gelernt und fühle mich unbehaglich in dem Gedränge; ich will meinem Schöpfer danken, wenn ich erst wieder in dem stillen, friedlichen Rawitsch bin. Nur nach der Hasenhaide gehe ich noch, da liegen meine frohsten Sonntagnachmittagserinnerungen. Da habe ich den ersten heimlichen Glimmstengel geraucht; wie schön war's im Grünen zu lagern, man meinte, man sei auf dem Lande. Und wollte man ein Tänzchen machen, fand sich in der einen oder anderen Tabagie allerliebste Gelegenheit dazu. Es war idyllisch.«

»Wir unternehmen die Partie zusammen,« rief Onkel Fritz, und gab mir einen Ueberredungstritt auf den Fuß. »Nicht wahr, Wilhelmine?« – Mit Hinblick darauf, was Herr Briese wohl für ein Gesicht machen würde, wenn er die Haide jetzt nach einer Reihe von Jahren wieder zu sehen bekäme, willigte ich ein, und mein Karl hatte auch keine parlamentarischen Anwandlungen mit unumstößlichem Neinsagen und nachher sich doch fügen.

Wir besprachen das Nähere: ich nahm mir vor, mit Doris wegen ihres Ausgehens zu unterhandeln und Herr Briese blieb zum Abendbrot bei uns. –

Am Sonntag hatte das Wetterglas seine Pflicht gethan und war über ›schön‹ geklettert ohne zu lügen, denn manchmal steht es auf ›trocken‹ und es dreescht ungeachtet der Wissenschaft unaufhörlich. Zur gerade passendsten Zeit zitterten wir los, bis wir an die richtige Pferdebahn geriethen, die uns ans Hallesche Thor brachte, von wo aus wir uns mit dem Menschenstrome vermengelirten, der sich nach links absonderte, weil Onkel Fritz meinte, man sähe mehr und außerdem stuckerte es nicht so, wenn man neben dem Wagen herliefe.

»Wir sind hier wohl falsch?« fragte Herr Briese. – »Wieso?« – »Weil das Freie noch nicht anfängt.« – »Das kommt wärtser,« sagte Onkel Fritz. Herr Briese kopfschüttelte und klagte: »Ich kenne mich nicht mehr aus. Die Stadt nimmt ja kein Ende.«

Wir gingen nun an der neuen Kirche vorbei, die auf dem Johannistisch gebaut wird, hinter welcher dann alsbald das Vergnügen sich ausbreitet. Es ist überraschend, wie viele Sehenswürdigkeiten die Leute in den Buden an beiden Seiten der Straße haben und wie sie tosen, damit man hineingehen soll. Jeder schreit, daß seine Merkwürdigkeit das Nochniedagewesenste ist, was es in dem Weltreich giebt. Riesen haben sie da und Zwerge, Panoramas mit den schaudervollsten Unglücksfällen, kluge Pferde, die genau wissen, wie alt Jemand ist nebst Wölfen und abgerichteten Ziegen, Wilde und Herkulesse und vieles mehr, was Kunst und Gelehrsamkeit für ein Billiges herstellen kann, denn mehr als zwanzig Pfennig kostet der erste Platz nicht.

Mein Karl schlug vor, in eine Bude zu gehen, vor der ein Riesenweib angepriesen wurde, das sie auf einem großen Bilde abgemalt hatten, mit mehreren Zentnergewichten und überschwänglich dicken Armen und Beinen, jedoch ich bedeutete ihm, daß dies kein Anblick für ihn sei. Und das ist es auch nicht.

Zwischen den Buden fliegen die Schaukeln und die Karussells. Auf dem einen war die ganze Feuerwehr angebracht mit Spritzen, Wasserfässern und Mannschaftswagen, die liebe Jugend saß auf den Pferden und riß an den Glocken, daß man meinte, die wilde Jagd selber drehe sich um sich herum. Dazu das Georgele von den Leierkasten und die Musike von den Etablissements, wo Tausende von Menschen sitzen, und jeder Garten, groß oder klein, stoppevoll, denn das Biertrinken ist mittlerweile eine natürliche Eigenschaft der Menschheit geworden. Zur Abwechselung sind Würfel- und Schießbuden aufgestellt, Blumenstände, wo man einsetzen und hübsche Topfpflanzen gewinnen kann, sowie Marktkram aller Art. Einige halten Schrippen mit Knobländern feil, und eine Frau buck richtige Kartoffelpuffer auf einem fahrbaren Herde, die reißend abgingen. Von hier kann der Fremde sich den richtigen Begriff einer Völkerwanderung mitnehmen. Die Straße war schwarz von Alt und Jung, jedoch vielfach mit schmucken Vaterlandsvertheidigern farbig durchbrochen, die truppweise zusammenhielten oder einzeln die Ausgehbraut spazieren führten. Alle Kommißgattungen waren vertreten, dunkelblaue, hellblaue und auch ganz rothe aus Potsdam herübergekommen. Da die breiten Trittoirs nicht ausreichten gingen Hunderte staubwirbelnderweise auf dem Damm, wo hochbefrachtete Pferdebahnen und sonstiges Gefährt aufpassen mußten, daß sie keine Zermalmung anrichteten. Nur langsam kamen wir vorwärts.

An der rechten Seite vor den Militärschießständen ist ein schmaler Streifen Haide, wo sich das Publikum unter den Bäumen hinstrecken kann. Auch dort war Alles besetzt. Familienweise rasteten die Leute im Grase und prepelten, was sie mitgenommen hatten. Bretzelweiber und warme Wurstmänner gingen umher und boten ihre Waare an, fliegende Budiker verkauften das erforderliche Getränk. Und überall ging es friedlich und ruhig her.

Mein Karl sagte: »Hier kann man das Berliner Volk kennen lernen, wie es wirklich ist. Leicht zufriedengestellt amüsirt es sich über ein Nichts; rasch mit einem treffenden Witzworte bei der Hand geht ihm die Unterhaltung nicht aus. Gesellig gönnt er seinem Nachbar auch einen guten Platz und wüstes Toben gefällt ihm nicht. Betrunkene suchst Du vergebens. Die vierzig bis fünfzigtausend Menschen, welche an Sonntagen die Hasenhaide besuchen, regieren sich selbst durch ein stark ausgeprägtes Gefühl der Ordnung, ohne welches eine solche Massengeselligkeit geradezu unmöglich wäre.«

Herr Briese konnte es nicht klug kriegen, daß die Hasenhaide sich gleichsam in einen kolossiven Jahrmarkt verwandelt habe. »Früher genoß man hier mehr Romantik,« seufzte er blümerant, »aber das ist lange her.« – »Wie der Deibel noch'n kleiner Junge war,« bemerkte Onkel Fritz. »Und Kümmel für seine Großmutter holen mußte,« schlug mein Mann in dieselbe volksthümliche Kerbe. – »Karl«, mißbilligte ich, »was soll Herr Briese von Euch denken? Solche Wörter redet man nicht in Rawitsch.« – »Sie haben gut spotten,« entgegnete Herr Briese, »wohnen Sie jedoch mal bald gegen dreißig Jahre in Rawitsch und Sie erschrecken ebenso darüber, wie Berlin lang und breit wird.« – »Ihnen zu Liebe kann es sich doch nicht einschränken?« lachte Fritz. – »Das wäre unbillig zu verlangen,« sagte Herr Briese verletzt. »Nehmen Sie's nur nicht übel, wenn es mich schmerzt, daß gute Alte dem Modernen weichen mußte. Alles, woran das Herz hing, ist dahin, aber so ging es mir immer ... ich habe in Berlin kein Glück.« Bei diesen Worten blickte er mich schwermüthig an, als wollte er mir die Verantwortung aufbürden, daß er mittlerweile versimpelte. Konnte ich aber dafür, daß er meine Abneigung war?

Onkel Fritz klopfte ihm begütigend auf die Schulter und sprach: »Deshalb keine Feindschaft nicht. Jeder kriegt seine Ration Pech, es kommt blos darauf an, wie er sie sich eintheilt. Und nun gehen wir in die ›Neue Welt‹, das Entree ist meine Sache.« – Er löste die Billets, sehr nobel zu den reservirten Plätzen, und wir schritten durch das Portal.

Der Eindruck, den diese kleinere Hasenhaide in der großen hervorbringt, ist ein sehr freundlicher. Grüne Bäume mit zahllosen Tischen und Stühlen darunter, im Hintergründe der breite indische Pavillon auf dem Berge, davor der Teich mit dem Springbrunnen, links Buden mit Sehenswürdigkeiten, rechts der Ball champêtre, das Karussell, der Ponykorso, an der Seite die Bühne und das große Orchester und was sonst nöthig ist, um etliche zehntausend Personen zu amüsiren. Das macht eine vielversprechende Wirkung.

Wir bekamen einen Tisch dicht bei dem Luftballon, der gerade gefüllt wurde, wobei eine Anzahl Soldaten half, die das Ungethüm halten mußten. »Für fünfzig Mark kann Jemand mitfahren,« sagte Onkel Fritz zu meinem Karl. »Hättest Du nicht Lust, Deinen Drachen einmal steigen zu lassen?« – »Ich verbitte mir derartige Persönlichkeiten,« rief ich. »Wenn Du nicht willst, daß ich mich anderswo hinsetze, behalte Deine Beleidigungen für Dich.« Dabei stand ich auf und that, als wäre mir Ernst mit der Drohung. In diesem Moment kam einer von den Luftballonleuten und warnte: »Bitte, treten Sie nicht auf den Schlauch, es könnte sonst ein Malheur geben.« Nun gewahrte ich hinter mir auf der Erde einen dicken Wulst aus Oeltaft, durch den der Gas in den Ballon geleitet wurde, was zu meiner Erheiterung nichts weniger als beitrug. Wenn so etwas losgeht, fliegt man ja im Handumdrehen ins selige Jenseits.

»Karl,« forderte ich ihn auf, »wir rücken aus.« – »Hab' Dich man nicht,« sagte Onkel Fritz. »Bist Du vielleicht bei der Lebensversicherung angestellt? Ich nicht. Erika, wir gehen!« – »Ich bleibe bei meinem Manne,« flötete sie. – »Wilhelmine, es passirt Dir nicht das Geringste,« redete mein Mann mir zu. »Du siehst von nirgends besser.« – »Herr Briese, geben Sie mir Ihren Arm, ist man auch in der Haide verlangt man doch Achtung.«

Ihm war es bei dem Gasschlauch auch nicht recht geheuer, weshalb er mit großer Wuppdizität zu meiner Verfügung stand. Wir brachen uns Bahn durch die Menge und verschwanden.

Eine Zeitlang gingen wir schweigend neben einander, ich war noch zu sehr in der ersten Hitze. Und konnte ich sanft sein? Anstatt daß Herr Briese sich einigermaßen überwältigt fühlt, quest er egal weg, als wenn Berlin Vorstadt von Rawitsch wäre. Dann wollte mein Karl sich für das dicke Weib mit den Gewichten interessiren, wogegen ihm das Leben seiner Gattin gleichgültig ist. Und schließlich ästimirt Onkel Fritz mich in Gegenwart des zugereisten Herrn als Drachen! Das wäre neue Mode, sich so etwas gefallen zu lassen.

Nun kam es aber noch schlimmer. »Ich bedaure Sie aufrichtig,« fing Herr Briese an, »daß Sie nicht verstanden werden, wie Sie es verdienen.« – »Was wollen Sie damit sagen?« – »Ein Anderer würde jeden Ihrer Wünsche erfüllt haben, ja, er würde es noch jeden Tag. O, wie unglücklich müssen Sie an, der Seite eines solchen Tyrannen sein.« – »Welchen Tyrannen meinen Sie?« – »Wen sonst als Ihren Mann ...« – »Nanu wird's Tag,« unterbrach ich ihn. »Wollen Sie Unfrieden stiften zwischen mir und meinem Karl? Meinen Mann schlecht machen und sich selbst anvettermicheln? Da hört sich denn doch verschiedenes auf. Was bilden Sie sich ein? Nee, Verehrtester, ich mag Sie nicht und wenn Sie sich mit brauner Butter begießen. Adje Sie!« Ich äugte ihn durchbohrend an und ließ ihn in seiner ganzen Nichtswürdigkeit stehen. So ein alter Schleicher.

Mittlerweile krachte ein Böllerschuß, die Musik fiel mit Tschingdera ein und der Luftballon ging in die Höhe.

Für die Tausende war dies ein machtvolles Schauspiel, aber für mich war er Nebensache, so hoch er flog. Für was hielt dieser Briese mich, daß er sich Geringschätzung herausnahm? Kaum wagte ich mich wieder an unseren Tisch.

Gebeugt und innerlich verwundet trat ich näher. Hatte ich mir etwas vergeben, daß dieser gewissenlose Sünder sich zum Versucher erdreisten konnte? O nein, weiß und tugendhaft wie ein frisch geschorenes Lamm lag mein Lebenswandel da, keine Makelhaftigkeit war zu finden, die ich meinem Karl zu verhehlen brauchte, und doch kam ich mir unangenehm vor mir selber vor, wie erniedrigt.

»Wo ist denn der fremde Herr aus Kottbus?« fragte Onkel Fritz. –, »Der hat die Beine in die Hand genommen und läuft auf den Ellbogen nach Rawitsch,« entgegnete ich mit bitterem Hohn. – »Hast Du ihn schlecht behandelt?« fragte mein Mann. – »Ich ihn? O Karl, wenn Du wüßtest ... doch nein, Du sollst nie erfahren, welch ein Otterngezücht aus dem Paradies dieser Briese ist. Mir hat er den ganzen Abend so verdorben, daß weder die Musike noch was sie sonst aufstellen mich ergötzt. Wenn ich zu sagen hätte, verfügten wir uns nach Hause, zumal Erika sich in dem Volksgewühle fürchtet.« – »Wenn Fritz bei mir ist, habe ich keine Angst.« – »Wir warten das Feuerwerk ab,« war Onkel Fritz wie stets entgegen. – Mein Karl jedoch gab nach, theils weil er sah, daß ich in der That litt, und theils wohl auch, weil er wissen wollte, was vorgefallen sei.

Erst als wir längst die Hasenhaide und die Schaaren der sich Heimwälzenden hinter uns hatten, vermochte ich das Unerhörte in Worte zu kleiden. »Was glaubst Du wohl, was passirt ist?« fragte ich andeutungsweise. – »Gedankenlesen habe ich nicht gelernt.« – »Du weißt also nicht, was Briese wollte?« – »O ja, die Ruinen seiner Jugenderinnerungen aufsuchen.« – »Karl, bin ich eine Ruine?« – »Wer sagt das?« – »Du! Um meinetwegen war er gekommen. Indem er Dich herabsetzte, unterfing er sich einer Art liebschaftlichen Unternehmens, Karl.« – »Da soll denn doch ...« – »Beruhige Dich, er hat sein Theil.« – »Hätte ich ihn hier, ich würde ihn verzimmern wie er's verdient.« – »Karl, laß doch die körperlichen Kräfte aus dem Spiel, hier giebt die Bildung den Ausschlag. Und ich sage Dir, er macht keine Nachbestellung, von Dir will ich mir jedoch mehr Rücksicht ausgebeten haben, dann kann so etwas einfach nicht vorkommen!«

»Minchen ...«

»Karl schweige. Ich werde langer Zeit bedürfen, um das heut Erlebte zu verwinden.« –

Am nächsten Morgen, als ich in die Küche kam, fragte Doris, wie das Pläsirvergnügen gewesen wäre, »Verhältnismäßig,« antwortete ich. – »Na ja, et sinn zu viele Bachulken draußen.«

»Ueber das Volk ist nicht im Geringsten zu klagen, Doris, aber unter dem Deckmantel der Erziehung verbergen sich die schlimmsten Jesuiten.«

Doris sah mich sehr fragend an, indeß deutlicher durfte ich nicht sein. Man spricht ja Manches mit einem Mädchen, das sich brav beträgt und der Familie zugethan erweist, aber geht man zu weit, machen sie bei später ausbrechender Erzürnung Gebrauch davon und die Stadt hat sich etwas zu erzählen, wenn auch total falsch.


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