Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Stützen des Hauses.

Endlich hatten wir die Schulzen aus Zehlendorf hinter uns. Sie brachte ihre Idiß inklusive Kisten und Kasten – allein drei Hutschachteln – und mit ihrer Erzählungsgabe gearbeitet, daß mein Karl sich auf französisch drückte und mich vor dem Rest sitzen ließ. Als mir jedoch schwante, daß sie den letzten Zug auch noch verschwadroniren würde, sagte ich einfach: »Frau Schulz, wenn Sie sich nun nicht beeilen, müssen Sie wohl in Berlin übernachten. Es wird Ihnen gut thun und uns nicht minder, wenn wir zur Ruhe kommen. Ewig können wir uns nicht an der Taille hängen.« Ich hatte mir die strengste Aufrichtigkeit angelobt und wollte ihr gegenüber keineswegs damit kargen. Was der Mensch braucht, muß er haben, sagt mein Schwiegersohn, der Doktor.

»Es fällt mir so schwer, aus Ihren traulichen Räumen zu scheiden,« redete sie noch einen bedeutenden Strahl, »so wohnlich ist es hier. Ach, man fühlt gleich den sorgsam waltenden Geist und Alles so sauber, so gediegen, nirgendwo ein Spinngewebe. Die Spinnen kann ich gar nicht leiden und Mäuse, nein, die Furcht, die ich vor Mäusen habe, kann ich Ihnen gar nicht beschreiben. Nicht wahr, Idiß? Sie wohnen wohl schon lange hier? Ich kann es mir denken. Wohnen Sie gerne hier? Ach gewiß. Möchten Sie anderwärts wohnen als in Berlin? Berlin ist zu reizend. Sind Sie auch bange vor Mäusen? O nein, Sie haben gewiß Muth ...!« Und so wie eine Mitrailleuse weiter. – »Wenn Sie eine Droschke nehmen, kommen Sie noch mit! fuhr ich eilig dazwischen, als sie sich in der Rederaschheit verschlickert hatte. Nun sie in der Hast sich reisefertig gemacht, Idiß stürmisch umarmt und hinaus.

Betti sah mich an, ich sah Betti an, es war dies ein geräuschloses Gott sei Dank, um Idissen nicht merken zu lassen, wie froh wir über das Ende des Besuches waren. Von der Dauerhaftigkeit, wie diese alte Lärmstange, kenne ich keine Zweite.

»So,« sagte ich darauf zu Idiß »nun gehen Sie auf Ihr Zimmer und räumen Sie Ihre Sachen ein. Hängen Sie Ihre Kleider in das Spinde links, die rechte Hälfte wird Fräulein Frieda später benutzen und das Andere packen Sie in die eine Kommode. Wenn Sie damit fertig sind, helfen Sie meiner Tochter beim Abendbrot. Wir haben meistens kalte Küche und den Thee werden Sie übernehmen.«

Idiß machte ein Gesicht, als wenn ich chaldäisch gesprochen hätte, und rührte sich nicht vom Fleck.

»Nun?«

»Meine Kleider habe ich nie selbst weggehängt,« sagte sie.

»Wer that es denn?«

»Mama.«

»So! Sie werden aber lernen, mit Ihren eigenen Sachen umzugehen. Für den Anfang will ich Ihnen jedoch gerne helfen. Kommen Sie nur.«

Ich also mit ihr abgezogen und hinaufgegangen. Die Koffer standen bereits und warteten.

»Schließen Sie auf.« – »Ich kenne die Schlüssel nicht.« Was blieb übrig, als daß ich die Koffer öffnen mußte, und weil sie sich zu unkenntnißreich anstellte, hing ich sämmtliche Kleider auch noch in das Spinde. Man erfuhr auf diese Weise allerdings, was sie besaß, aber es ist doch eine geringe Hülfe, wenn sie mit zusammengelegten Händen dabeisteht, wie ich mich als Kammerzofe ausnehme.

»Halten Sie Ihre Sachen gut in Ordnung, denn nichts ist ruinöser als Falten und durcheinandere Krausheit. Jetzt gehen wir wieder hinunter und meine Tochter wird Ihnen zeigen, was Sie in der Küche zu thun haben.« – Im Stillen dachte ich: »Wenn Betti ihr einen kleinen Rüffel ertheilt, wird es nicht schaden, sie ist zu pomadig.

Als wir uns zum Abendbrot setzten, merkte ich an Betti's hochgezogener Oberlippe, daß ihr etwas verquer gekommen war und die Schulzen Tochter aus Zehlendorf sah ziemlich verweht aus. Einem Säugling konnte klar werden, daß die Beiden einen Satz miteinander gehabt hatten. Mein Karl, der auch wohl Aehnliches witterte, aß ohne Beförderung des Gespräches und war unbehaglich, als wenn ihm der Rock zu preß säße, obgleich er seinen alten anhatte. Idiß stöhnte manchmal wie innerlich gefoltert, was Betti, die ziemlich säulenartig dasaß, nicht im Geringsten rührte, meinen Mann dagegen zum jedesmaligen Hinsehen veranlaßte, wodurch Idiß nur noch leidender ward.

Lange konnte dieser Zustand nicht ausgehalten werden und deshalb scherzte ich anregend: »Haben Sie sich schon ein wenig im Hausstande ausgebildet, Idiß?«

Statt aller Antwort nahm Betti den Sahnentopf und stellte ihn herbe vor mir hin. An dem Topf war die Tülle frisch abgestoßen. – »Was soll das?« fragte ich. – »Eine Probe von Fräulein Schulzens Kunstsinn,« erwiederte Betti. – »O nein,« sagte diese, »er ist von selbst entzwei gegangen.« – »Das war sonst seine Gewohnheit nicht,« entgegnete Betti kurz. – »Dann hat die Köchin es gethan,« rief Idiß. – »Das lassen Sie Doris blos hören,« entgegnete Betti, »die wird Sie schön auf den Trab bringen.« – »Kinder,« legte ich mich dazwischen, »keinen Zank. Heute wollen wir Alle annehmen, der Blitz sei in den Topf geschlagen, ein andermal gilt das aber nicht wieder.«

Mein Karl zog es vor, noch einen Augenblick in seinen Bezirksverein zu gehen, und Idiß schickten wir bald auf ihr Zimmer. Als wir allein waren, sagte Betti: »Mama, so etwas Verzogenes und Ungeschicktes ist mir noch nicht vorgekommen.« – »Eben deshalb haben wir sie hier. Nur Geduld Betti. Du hast Dich auch erst nach und nach in das Häusliche eingelebt, freilich hattest Du auch nicht die Schulzen zur Mutter. Laß mich die Sache nur modelliren; Stützen wollen sachte begangen werden.

Meine Hoffnungen auf Besserung waren allerdings nicht hochgeschroben, aber in der folgenden Zeit ward es immer schlimmer mit Idiß, die sich am liebsten mit Thatenlosigkeit beschäftigte. Daran mochte auch der plötzliche Wechsel schuld sein. Bis vor Kurzem hat das noch mit Puppen gespielt und soll nun mit einem Male Ingwer von Muskatnuß unterscheiden; natürlich steht das dann davor und stutzt.

So ähnlich scheint mir die wissenschaftliche Erklärung zu sein, denn wird so ein junges Ding vom Elternhause plötzlich in eine andere Umgebung versetzt, wo abweichende Betten und Gebräuche herrschen, dann zeugt es von allgemein menschlicher Veranlagung, wenn ihm weder Essen noch Trinken schmeckt und das Heimweh aus den rothgeweinten Augen schaut; läßt doch auch ein frisch umgepflanztes Gewächs in den ersten Tagen seine Blätter hängen, bis es sich besinnt, wogegen Unkraut sich nichts daraus macht, sondern weiter gedeiht, wohin man es geworfen hat. Deshalb war es eben nicht sehr auffallend, daß die Idiß es mit der Sentimentalität kriegte und mehr stöhnte als ruhig Luft holte, wodurch sie meinem Karl zuletzt die Besorgniß einjagte, sie säße voll Lungenbazillen und würde sich nächstens legen, »wir haben doppelte Verantwortung,« sagte er, »denn sie ist fremder Leute Kind.« – »Karl,« entgegnete ich, »es ist das Neue und Ungewohnte, was aus ihr wimmert. Sobald sie mehr einheimisch ist wird ihr das Betrübtsein schon überdrüssig werden. Außerdem siehst Du, sie hat Gemüth. Eine Sausige, ohne jegliches Herz, nur aus das veränderliche Bedachte singt und springt gleich in den neuen Verhältnissen herum wie eine Bachstelze, während diese mehr mit sanfter Trauer um das Verlassene einhergeht. Wir können uns sehr gratuliren, daß wir keine Rumorige bekommen haben.«

»Ich wollte, sie wäre lebhafter und suchte nicht immer etwas auf dem Fußboden, wenn man sie ansieht,« sagte mein Mann.

»Karl,« verwies ich ihm diese Bemerkung strenge, »erstens ist es nicht löblich, jungen Mädchen aus sittsamer Schüchternheit einen Vorwurf machen, und zweitens schickt es sich nicht für Dich, ihnen mit Blicken nachzuschleichen. Das verbiete ich Dir ein für alle Mal. Bedenke, es sind Töchter auswärtiger Eltern, für deren Ruf wir ebensowohl verantwortlich sind, wie für ihre Gesundheitspflege. Karl, wie wirst Du am jüngsten Gericht dastehen, wenn Du sie mit anderen Augen betrachtest, als pflegeväterlichen, ganz abgesehen davon, daß ich bei Tag und Nacht so zu sagen patroullire.

»Wilhelmine, thu' mir den Gefallen und bremse, Du bist auf einen falschen Strang gerathen. Du hast Dir eine Last aufgeladen, an der ich gefälligst mitschleppen kann. Mir gefällt die Ida den ganzen Tag nicht.« – »Karl, Idiß; Du mußt den richtigen Zungenschlag noch üben.« – »Ach was, Ida oder Idiß, sie ist mir ödiös.« – »Das kommt, weil es Dir an Menschenkenntniß gebricht. Junge Mädchen müssen aufthauen. Hab' ich sie erst aus der Magrigkeit, daß sie einen Puff vertragen kann, dann wird sie gedrillt.

»Hoffen wir das Beste,« entgegnete er. »Mir speziell thätest Du einen Gefallen, wenn Du ihr zu verstehen gäbst, daß mir ihr weinerliches Gezirpe unerträglich ist.«

»Dies soll geschehen, mein Karl.«

»Vergiß auch nicht die Thüren zu ölen, die quieken ebenso wie die Stütze.«

Ich nahm darauf hin die erste beste Gelegenheit wahr und sagte: »Fräulein Schulz, was haben Sie eigentlich? Liegt Ihnen irgendwo ein Stein auf dem Herzen, dann nur herunter mit ihm, mir können Sie ruhig Alles mittheilen, was Sie bekümmert.« – »Ach, Frau Buchholz, die Trennung von zu Hause ...« stammerte sie. – »Kind, bis ans Grab kann der Mensch nicht hinter Mama herlaufen, einmal muß er hinaus und sich etwas versuchen.« – »Warum ächzen Sie immer so gefährlich?« – Sie gab keine Antwort. – »Seien Sie thätig, das vertreibt die Grillen. Ihre Mutter will, daß Sie Ihren Bedarf möglichst selbst nähen, stricken und sticken, weshalb Sie für den Anfang nur das Nothwendigste mitbekommen haben. Sind die Taschentücher denn schon gesäumt?« – »Ich bin dabei, aber ...« – »Aber?« – »Meine Augen leiden von dem vielen Nähen.« – »Das ist ja sehr traurig.« – »Ich bin auch so unglücklich darüber.« – »Können Sie denn nichts thun, Ihre Trübseligkeit zu vertreiben?« – »Zu Hause setzte ich mich an das Klavier und hauchte meinen Schmerz in Musik aus. Ich weiß nicht, ob ich das hier wagen darf, Fräulein Betti wird es wohl nicht erlauben.« – »Unsinn. Das Klavier steht in der guten Stube, aber es ist lange nicht gestimmt, vielleicht paßt es deshalb um so besser zu Ihrem Schmerz. Hauchen Sie meinetwegen nur zu, aber verschrammen Sie die Dielen nicht, wir haben erst kürzlich streichen lassen.« – »Danke,« sagte sie und ging.

Ich war nur einigermaßen neugierig, wie sie ihren Schmerz besänftigen würde, und horchte hinter der Thür auf ihr Gespiel. Was kam zum Vorschein? Das schöne Lied: »Mutter der Mann mit den Koks ist da«, und noch nicht einmal ordentlich, sondern ganz höckrig und nebengriffig, aber mit beiden Hufen auf dem Pedal. Ein Glück, daß mein Karl diese Art Kammermusik nicht hörte.

Nachdem ich mich kopfschüttelnd entfernt hatte, war ich gespannt, zu sehen, was sie im Taschentuchsäumen vor sich gebracht hatte, und hielt es für meine Pflicht, ihren Nähkorb zu untersuchen. Wie es darin aussah ... nicht zu beschreiben. Alles durcheinander gemuddelt, und an dem einen Tuch vielleicht sechzig Stiche geprünt. Davon kriegte sie den Staar!

Diesmal war das Gestöhne an mir. »Sie lügt,« schoß es mir durch. »Wilhelmine, mit der bist du gründlich hereingerasselt. Gleich am ersten Abend stritt sie den Rahmtopf ab.«

Entsetzlich! Wie soll man in einem Hause mit einander auskommen, wenn Einer den Worten des Andern nicht trauen darf? Und wie wird Einem geistig wüst, wenn man fortwährend auf neue Täuschungen sinnen muß, eine alte Unwahrheit hinter einer neuen zu verstecken. Da nistet sich das Mißtrauen ein, man denkt schlecht von denen, die es nicht sind, die Heiterkeit des Gemüthes geht verloren und das Erdenleben wird düster, weil Alles unwahr erscheint wie das eigene innere Leben. Kinderzeit, warum bist du so sonnenvoll? Weil die junge Seele noch ohne Arg ist.

Ich bin kein Kenner, aber soviel verstehe ich doch auch von der Tonkunst, daß ihr Heimweh und die neueste Straßenmelodie sich gerade so tapsig zu einander verhielten, wie der Name Idiß zu ihrem Aussehen, und sie das Fortepiano nur als Fingersopha benutzte, um Zeit zu verdudeln. Aber muß Eine nicht von selbst auf Trug verfallen, wenn die Eltern ihr einen fremdartigen Namen überstülpen und sie sich darauf einbildet, sie sei eine Außerhalbsche und für eine Mark Hochwohlgeborener, als Andere, obgleich kein Photograph der Welt ihr das Schulz'sche Profil wegretouchirt?

Es war meine Pflicht, sie ins Gebet zu nehmen. Ich ging zu ihr und sagte: »So, Ida, quälen sie den Mann mit den Koks nicht mehr. Der ist für unser Klavier zu schwer. Wollen Sie reell üben, dann wählen wir eine bestimmte Stunde.« – »O nein, das greift mich zu sehr an. Mama sagt immer, das Spiel müsse eine Erholung sein.« – »Ganz recht, besonders für die Trommelfelle der Umgebung. Nehmen Sie nur Ihre Näharbeit und setzen sich zu mir; gedammelt wird hier im Hause nicht.«

Während ich nun das aus der Wäsche gekommene Zeug nachsah, säumte sie. wir sprachen auch mancherlei und ich erfuhr aus diese Weise, daß sie bis jetzt nur that, was sie mochte, und was sie mochte, war Nichtsthun. Selbst die Strümpfe und Schuhe hatte ihr die Mutter angezogen. Freilich hatte der Papa oft gescholten, aber dem hatten sie leicht etwas vorgemacht. – »Und das ließ Papa sich gefallen?« – »O, er mußte wohl, Mama hatte ja das Geld.« – Mit einem Male stockte sie. – »Hat Sie denn noch welches?« – »Ich glaube, sie verlor einiges, wir mußten uns einschränken. Das war häßlich. Es war lange nicht mehr so hübsch wie früher. Mama wurde manchmal recht böse.«

»Verschwendung ist herrlich anzusehen, aber verdrießlich hinterher darüber nachzudenken. Sie öffnet nicht blos der Armuth die Thür, sondern Zank und Streit folgt ihr auf den Hacken. Manche meinen, sie müssen Sechserlichte haben, um ins Bett zu finden, wir nehmen Zehnerlichte und noch hat sich Niemand das Bein gebrochen. Das Pfund kostet dasselbe, aber man reicht weiter. Merken Sie sich das, Ida: Mit Vielem hält man Haus und mit wenigen kommt man auch aus.«

»Mama sagt, es wäre Alles einerlei, wenn man nur gefiele.«

»Gefallen ist schwer, Kind.«

»Ja, wenn man die Mode nicht mitmachen kann. Sonst hatte ich alle Augenblick einen neuen Hut ...«

»Auf den Hut kommt es nicht an, sondern auf die Physiognomie, die drunter sitzt, wenn Eine ein Gesicht macht, als wäre sie sich selbst im Wege, weichen ihr Andere mit Vergnügen aus. Ein freier offener Blick, ein freundlicher Mund gewinnen mehr als die modernste Toilette, aber im Innern müssen Aufrichtigkeit und Liebenswürdigkeit wohnen. Und Ordnung nicht zu vergessen. Sie haben ihr Schuhband offen, Ida; wer auf sich selbst nichts giebt, achtet auch die geringfügigen Pflichten nicht, die er Anderen schuldig ist, aber die sind es, welche das Leben angenehm oder zur Hölle machen. Bringen Sie das erst in Ordnung, und dann ist es Zeit für die Küche. Bei uns geht die Uhr nicht nach der Suppe, sondern nach meinem Mann, und der ist präzise. Und noch eins, Ida ... strapaziren Sie das Geschirr nicht so sehr.«

»Dies war eine moralische Nähstunde,« sagte ich, als ich allein war, und wunderte mich über mich selbst. Meine Beiden wurden schärfer genommen. Es waren ja auch die eigenen.

Mit der sicheren Voraussetzung, daß die Ermahnungen baldige Frucht tragen würden, war es jedoch Essig, denn alsbald erhob sich ein Halloh in der Küche, dem ich nachspüren mußte. Was ich fand, waren Betti und Ida in hartem Wortwechsel. Ida schrie, sie ließe sich nichts gefallen, und Betti schalt, mit einer so dummen Pute könne sie nichts anfangen; man sei seines Lebens ja nicht sicher. – Dabei war die ganze Küche über und über mit Reis besäet und voll Wasser geplanscht und Betti pladdernaß von oben bis unten, daß sie nur so leckte und ebenfalls mit Reiskörnern in den Haaren verziert. – »Heiliger Brahma,« rief ich, »was hat dies zu bedeuten? Wie sieht es hier aus?«

»Ich gab ihr den Reis zu waschen,« erklärte Betti erregt »und Fräulein Schulz war so schlau, ihn unter die Wasserleitung zu stellen und den Hahn aufzudrehen, daß die ganze Bescheerung im Bogen aus der Schüssel flog. Und nun, da ich verlange, daß sie auffeudelt, will sie nicht.«

»So wat hab ick noch nie nich jesehn,« sagte Doris, die erstarrt da stand und im Erstaunen vergaß, die Heerdringe aufzulegen, die sie mit der Feuerzange hielt, daß mir der Rauch auf die Stimmbänder schlug und das Asthma sich mit Beengung und unergiebiger Luftschnappung einstellte. – »Nachher,« japste ich. »Doris wischt auf. Ida, Sie folgen mir.«

Es dauerte lange bis zur einigermaßenen Erholung. Das viele Reden, der Aerger und der Rauch hatten recht ungünstig zusammen gewirkt. Das Resultat reiflicher Ueberlegung war schließlich: »Ida, vorläufig bleiben Sie aus der Küche und befassen sich als Anfangsstadium nur mit dem Kaffee und dem Thee mit abendlichem Aufschnitt, gewissermaßen als kalte Mamsel. Kochen steht Ihnen noch nicht an.«

»Ich konnte nichts dafür,« entgegnete sie, »der Reis that es ganz von selbst.« – »Komischer Reis.« – »Es war aber doch so.«

»Fräulein Schulz, unangebrachte Gegenrede liebe ich nicht, und außerdem thun Sie ohne Weigerung, was Ihnen geheißen wird. Sie haben Ihr Schuhband noch nicht zu gebunden.« – »Doch.« – »Es ist nicht zu.« – »Dann ist das andere aufgegangen.« – »Nein, es ist dasselbe und schlampert ebenso wie vorhin, als ich Sie aufmerksam darauf machte.« – »So?« – »Jawohl. Und wenn ich Ihnen wieder etwas sage, sitzen Sie gefälligst nicht auf Ihren Ohren, damit Sie besser hören. Fräulein Schulz, Sie müssen sich noch gewaltig ändern, oder wir sind geschiedene Leute. Ihrentwegen ärgere ich mich lange nicht in den Sarkophag.« –

Man muß das Gewehr nicht gleich ins Korn werfen, wenn auch Konträres entgegenstrebt. Welche Mühen und Sorgen hatte ich mit Betti, die jetzt den Hausstand auf das Anerkennendste besorgt und großes Lob verdient. Sie sieht aber auch ihre eigene Häuslichkeit voraus und ist unermüdlich bei der Hand, als wäre sie bereits für Alles den lieben Ihrigen verantwortlich, die doch erst nach der Hochzeit Ansprüche machen können. Die Erwartung ist ein mächtiger Antrieb. In der Erwartung auf eine schöne Aussicht bricht man sich an steilen Gebirgswänden gerne das Genick, was man für Geld gewiß nicht thäte; wie kann man sich überarbeiten, ohne zu erlahmen, wenn der Staat für einen unvermutheten Tanzball beschafft werden soll, wie achtsam richtet man das Fremdenzimmer für einen Gast ein und wie stundenlang vorher horcht man auf sein Kommen, obgleich er gar noch nicht eintreffen kann. Was jedoch ist die unvergleichlichste Rundschau von dem höchsten Gipfel gegen das weite Leben, das sich vor den Blicken einer Braut verheißend ausbreitet, was sind die berauschendsten Walzer gegen die Jubelweisen, die nach dem ersten Kusse aus zukünftiger Freude lockend herüberklingen, was ist das Fremdenzimmer gegen das Heimwesen, darin der einzig Geliebte von sorgsamen Händen in eitel Wohlbehagen gebettet werden soll?

Freilich rümpft Manche die Nase, wenn blos das Wort Haushalt, Wirthschaft, Küche oder Strickzeug ausgesprochen wird, und fragt verächtlich: »Wo bleibt die Poesie?« – »Meine Beste,« gebe ich so Einer zu bedenken, »Blumen wollen gepflegt sein, wenn sie blühen sollen, ihre Wurzeln verlangen Erde und Feuchtigkeit, Nesselwerk muß ausgejätet werden, damit es sie nicht erstickt, und nur im Sonnenlichte öffnen sie sich. Die häusliche Gemüthlichkeit, das ist der Boden, auf dem die Stunden sprießen, in denen man an Schöneres denken kann, als an das Gewöhnliche und daran, wie das Glück wohl aussähe, wenn es sich abmalen ließe und dergleichen, und man mit Jenen empfindet, denen die Dichtkunst hold war. Das sind dann Mußestunden und Feststunden zugleich, Blumen unserer Lebenszeit, kein gemachter Fludder aus Zeug und Draht, ohne Duft und ohne Labung. Mit dem Goethe, meine Liebste, wischt man keinen Staub ab und selbst Nathan der Weise hilft Ihnen nicht, wenn das Mittagessen verdorben ist. Und noch Eins, meine Gute: mit dem Reden über Poesie wird nur Zeit vergeudet, in der Sie etwas Nützliches thun könnten, wie zum Beispiel Ihrem Manne das Dasein angenehm machen« – »Als Koch- und Waschfrau in der Häuslichkeit verkümmern, das verträgt sich nicht mit der Menschenwürde,« wirft die Andere ein, »und zum Flicken und Stopfen bin ich zu gebildet,« worauf ich entgegne: »Bildung kann man nie genug haben, da sie kein Brod frißt, wohl aber zu viel. Alles mit Maßen, Theuerste. Wer die Stunden geistigen Genießens mit dem Scheuerbesen todtschlägt und in Seifenwasser ertränkt, thut ebenso großes Unrecht, wie Eine, die das praktische Leben vernachlässigt, weil es ihr prosaisch erscheint, wacker anzugreifen ... Oft jedoch sticht pure Faulheit dahinter, meine Verehrteste. Lodderei ist keine Poesei, wenigstens nicht für die Angehörigen, die das stilvolle Wirthshaus der häuslichen Unbehaglichkeit vorziehen. Dann ist die Unzufriedenheit da, denn das Leben richtet sich nicht nach den Romanbüchern und den Bildungsvorträgen und wenn nachher die Nerven von der zarten Seele herabhängen wie die Saiten einer abgeklapperten Guitarre, beklagt sie sich obendrein als verkannt und unverstanden. Ist es nicht an dem, meine Liebe, soll es mich freuen für Sie.«

Von allen solchen Dingen hatte Ida keinen Schimmer, aber die Frieda war ja auch Braut und hätte daher Ursache genug, zur Einsicht zu kommen, jedoch zu Allem, was sie that, fehlte die rechte Lust.

Etwa acht Tage, nachdem Ida unsere Hausgenossin geworden war, zog auch sie ein, um mit Jener dasselbe Zimmer zu theilen und dasselbe Spinde. Natürlich kam der erste Hader durch dies Unglücksmöbel, da nur ein Schlüssel dazu vorhanden war, den Ida ewig und stets verlegt hatte oder in der Tasche verleugnete, wenn Frieda ihn haben wollte. Als er darauf Frieda'n anvertraut wurde, rückte die ihn nicht heraus, wenn Ida ihn gebrauchte. Schließlich brach Betti, um Ruhe zu stiften, das Schloß mit dem Küchenbeil aus. Das schöne Spinde!

Außerdem hatte Fräulein Schulz verlangt, Frieda solle sie Idiß nennen, obgleich wir Alle, um ihr das Gethue abzugewöhnen, sie in Ida umgetauft hatten, worauf diese entgegnete: »Idiß sei wohl ein Hundename?« Was hieraus entstand war merkwürdiger Weise kein Scharmützel, sondern ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Aus-dem-Wege-gehen, ohne Redensarten, das meinem Manne allerdings auffiel, aber ihn doch nicht weiter molestirte. Betti und ich dagegen lebten in steter Angst, die Eine würde von der Anderen eines schönen Morgens erdrosselt im Bette liegen, so daß ich den Vorschlag machte, Betti möchte mit Idiß auf einem Zimmer schlafen. Sie sagte aber blos: »Mama!« – Es blieb nichts übrig, als sich Frieda mal zu langen und fünf bis sieben Wörter mit ihr zu reden. »Betti,« sagte ich, »ich wollte, ich hätte Nachmittagsprediger gelernt, ich glaube, es fiele mir leichter.«

Die Gelegenheit, sie alleine zu rufen, war an und für sich herrlich, wenn auch sonst recht unerfreulich.

Es mochte so gegen Sieben sein, als Ida mit ungemachten Haaren im strengsten Nachtligeh, ohne anzuklopfen, wie eine junge Furie ins Zimmer gebürstet kam und ausrief: »Sie schikanirt mich, sie schikanirt mich. Das lasse ich mir nicht gefallen.«

Mein Karl, der im nebenliegenden Schlafzimmer sich grade rasirte, hatte nichts eiligeres zu thun, als sich aus Erschreckniß zu schneiden und stürzte herbei, ehe ich die Thür zuziehen konnte, da weder er ein Anblick für sie war, noch sie für ihn. Beiden Stützen hatte ich verboten, in irgendwelchem halbangezogenen Zustande zu erscheinen, weil das der breite Weg zur Unordentlichkeit ist, und nun zeigte sie sich so. »Karl,« sagte ich, »Du siehst aus wie frisch von der Guillotine und das Wenigste, was Du Dir Überwerfen müßtest, wäre Dein Schlafrock. – Und Sie, Fräulein Schulz, was haben Sie? Es ist Ihre Woche, warum sind Sie noch nicht fertig? wo bleibt der Kaffee?« – »Fräulein Frieda läßt mich nicht an den Spiegel heran,« denuncirte sie. »Seit einer halben Stunde steht sie davor, blos damit ich mich nicht anziehen kann und Schelte wegen des späten Kaffees bekommen soll.« – »Sie haben gewiß wieder nicht aus dem Bette finden können?« – »O nein.« – »Ich werde Frieda fragen.« – »Die? Der glauben Sie doch nicht? Die redet ja kein wahres Wort.« – »Fräulein Schulz, sehen Sie doch blos keine Balken in den Augen Anderer, wo Sie selbst eine ganze Holzhandlung drin haben. Machen Sie, daß Sie hinaufkommen und ziehen Sie sich an. Mit Frieda werde ich sprechen.« – »Die lügt Ihnen was vor.« – »Raus!«

Die Unterredung war rasch gegangen wie ein Schnellzug, bot aber gerade genug Stützen – Aerger für den ganzen Tag und jenseits der Schwelle befand sich mein Karl als das blutige Opfer der fahrigen Person.

Ich hinein zu ihm. Das Handtuch hatte er schon roth. »Karl, es ist doch keine Pulsader?« – Er gab keine Antwort. – »Warum sprichst Du nicht, Karl?« – »Ich wollte, der Teufel holte die Stützen,« wetterte er los, »das ist ja eine Zucht, um rasend zu werden. Abends sitzen sie und maulen Einem die Butter auf dem Brot ranzig und Morgens schneidet man sich ihretwegen die Kehle halb durch. Ich logire mich aus.« – »Karl, das wäre ein Skandal.« – »Ein größerer als hier im Hause? Ich gehe wahrhaftig so lange ins Hotel, bis aufgeräumt ist. Und damit Basta.«

So war mein Mann lange nicht in Aufgebrachtheit gewesen, eigentlich noch nie, so weit zurück ich mich besinnen konnte. Das machte mich bestürzt. »Nur keine Uebereilung, mein Karl,« suchte ich ihn zu beschwichtigen. »Du explodirst sonst doch nicht, warum denn heute? Wir legen schönes englisches Pflaster auf, das ist so wohlthuend und kleidet gewiß sehr gut, mein Karl. Du wolltest ja selbst, daß ich Hülfe bekäme; nun mußt Du auch Geduld haben. Ich selber übe Nachsicht, wie ich nur kann, und sobald sie erst vorgeschritten sind, werden sie manche Bequemlichkeit gewähren, wenn mein Leiden noch schlimmer wird, oder eine Nadel einfädeln – ich habe schon an eine Brille bei feiner Handarbeit gedacht, mein Karl – oder eine Masche aufnehmen. Und das kannst Du nicht läugnen, seitdem die jungen Mädchen im Hause sind, ist es bedeutend geselliger.«

»O ja, zum Davonlaufen gesellig!«

»Karl, das kommt Dir nur so vor; Du mußt nicht gleich übertreiben, warum rasirst Du Dich auch selbst? Doktor Wrenzchen hat jeden Morgen den Barbier in Abonnement, und was der sich leisten kann, das wäre für Dich nicht mehr als schicklich, und außerdem ist es feiner. Etwas mehr Rücksicht auf die Außenwelt schadet Deinem Ansehen gewiß nicht.«

»Etwas mehr Rücksicht auf Deinen Mann schadete noch weniger.«

»Karl, willst Du Streit anfangen?«

»Luft will ich haben. Ruhe will ich haben. Meine alte Gemächlichkeit will ich haben ...«

»Sollst Du auch mein Karl. Sag es nur gerad heraus, daß ich Dir gleichgültig bin. Warum werde ich auch alt und kümmerlich und ist mir Beistand so groß nöthig ...«

»Wilhelmine! Du willst mir doch nicht einbilden, die Schinderei, die Du Dir aufgepuckelt hast, sei eine Erleichterung? Hat nicht mal bei gelegen. Aber woher kommt das? Du verstehst die Beiden nicht richtig zu nehmen.«

»Karl, über Stützen hast Du doch wohl gar keine Erfahrung. Wenn Du aber meinst, dann steige ich ihnen aufs Dach, daß sie glauben, die Todten stehen auf.«

»Nur nicht zu heftig, Wilhelmine.«

»Karl, junge Mädchen haben elastische Naturen. Frag mal, bis zu einem wie hellen Morgen sie tanzen können? Unverwüstlich, sage ich Dir. Sie wollen Dich tribeliren? Na warte, Ihr sollt Barnabas kennen lernen.«

Mittlerweile hatte er sich vollends angezogen, gescheitelt und gethan, und wenn die Männer erst gekämmt sind und die Kravatte sitzt blendend, dann nehmen sie mildere Sitten an. Die Wunde war mit einem schwarzen Heftpflasterstreifen verklebt, daß ich nicht umhin konnte, zu äußern: »Karl, nun kannst Du als Korpsstudent herumrenomiren, Dir fehlt blos die bunte Kappe.« Wir frühstücken selbander allein, die Steine des Anstoßes bleiben appart.

So hatte ich ihn denn ziemlich angefriedigt und es wäre auch Alles gut gegangen, wenn der Kaffee zu genießen gewesen wäre, aber der sah schon beim Eingießen so geistlich aus, daß ich ihn sofort hinaustragen wollte. – »Laß nur,« wehrte mein Mann, »ich muß gleich ins Geschäft,« als wenn ich ihm die Zeit zum Niedersetzen unterschlüge. Kaum hatte er gekostet, da rief er auch schon »Eeks« und stellte die Tasse mit Abscheu weg. »Das ist ja Lorke. – »Er ist rein von Geschmack, nur ein bischen schwach.« – »Zu schlecht, um einer alten Kuh hinter nach zu gießen.« – »Karl, Du vergißt Dich.« – »Ich will von Nichts mehr wissen, wenn Jemand nach mir fragt, der findet mich im ›Prälaten‹ und ist gleich zu einem Seidel eingeladen. – »Du kommst doch zu Mittag?« – Weg war er.

»So, das ist ja recht feierlich« war mein erster Gedanke, und mein zweiter: »Was nun?«

Die Packetwagengesellschaft kommen lassen und die beiden Mädchen an ihr Elterhaus frankiren? Das hieße klein beigeben und eingestehen, daß sie mich untergehabt hätten. Die Schulzen überall hin und das Maul aufgerissen und die Krausen mit ihrer spinösen Bemerkung herumgetrabt: »Na, es ging ja auch nicht, wie wir Alle voraussahen.« – Ich hörte das Gesabber schon, und die Hauptsache – Max – war ebenso daran wie vorher. Aus den Weibern hätte ich mir schließlich nicht viel gemacht, aber dem braven Jungen zu erklären: »ich versprach Ihnen mehr, als ich halten konnte, Sie müssen sich in Ihr zukünftiges Elend finden,« das war zu blamabel, das war unmöglich. Auf der anderen Seite stand mein Karl mir doch näher als das übrige Universum. Er mag die Bierhaussaucen nicht auf die Dauer. Er soll sie auch nicht mögen. Er soll haben, was er verlangt ... Frieden im Hause.

Es ist leicht gesagt, Frieden im Hause, wie schön kann man sich ihn ausdenken, wenn man im Lehnstuhl sitzt, wie klug läßt sich darüber reden, wie weise Rathschläge kann man seinetwegen ertheilen, aber ihn haben und ihn halten, das ist schwer. Ich glaube fast, wenn man einigermaßen weiß, was zu thun ist, damit er bleibe, ist nicht viel Zeit mehr, die Kenntnisse zu verwerthen. Wer ausgelernt hat, hat auch ausgelebt.

In meinen jüngeren Jahren hätte es Scherben gegeben, aber Großmama Wilhelmine ließ den Zorn erst etwas abrauchen, ehe sie Frieda zu einer Ermahnung hereinrief.

»So wie es geht, geht es nicht,« nahm ich das Wort. »Der Spiegel ist für Sie Beide da.« – »Wieso?« fragte Frieda ungezwungen. – »Nur keine Verstellung! Fräulein Schulz beschwert sich, daß sie nicht ankommen konnte, weil Sie ihr die Einsicht versperrten.« – »Das alberne Geschöpf hätte nur eher aufstehen brauchen, da war ihr Niemand im Wege.« – »Mit solchen Ausdrücken belegt man seine Mitstütze nicht, Fräulein Frieda.« – »Ich hab' sie mir nicht ausgesucht.« –

»Man muß die Schwächen seiner Kolleginnen tragen.« – »Auch wenn sie jede Bewegung hinter Ihnen nachmacht und jede Geberde und verächtlich lacht, daß Sie solche Fratzen im Spiegel sehen müssen, um Sie zu ärgern, und wenn Sie sich umdrehen, thut, als wäre sie es nicht gewesen? Und wie ich nun so nach der Haarbürste greife ...« »Sie wollten doch nicht?« – »Dazu steht die mir lange nicht hoch genug ... rannte sie davon, wie sie war.« – »Das ist das Ganze?« – »Gewiß, Frau Buchholz.« – Wegen einer solchen Lappigkeit hatten ich und mein Karl Mord und Todtschlag miteinander gehabt; wegen einer solchen dummen Kälberei konnte mein Engel von Mann nun schon hinter dem kalten Seidel sitzen, wo ihm frühes Bier so wie so Säure macht. Ich bezwang mich aber, um keine Leichen zu verursachen, und sagte: »Ich traue Ihnen mehr als der Anderen, Frieda, aber ohne Schuld sind Sie deshalb doch nicht. Gestehen Sie nur, daß Sie sich mit Fleiß vor den Spiegel pflanzten?« – »So einer mache ich keinen Platz.« – »Sie sind überhaupt sehr nach sich Frieda, aber bedenken sie, daß Sie nicht der Mittelpunkt der Welt sind, um den sich Alles dreht. Die kleinste Kleinigkeit nehmen Sie übel, über das Geringste maulen Sie; damit kommen Sie nicht im Leben durch.« – Sie lächelte wegwerfend. »Glauben Sie, daß man Sie streicheln wird, wenn Sie kratzen?« – »Was Sie mir da sagen, ist für mich Nebensache,« antwortete sie. »Ich bin ja schon verlobt.«

»Aber noch lange nicht verheirathet,« fuhr ich auf.

»Wenn Sie nicht hintertreiben, ist die Hochzeit im nächsten Jahre.«

»Frieda!« rief ich. »Ist es denn möglich? Das sagen Sie mir so schnurgerade ins Gesicht?«

»Ich bin einmal so wie ich bin. Hat Max mich öffentlich für seine Braut erklärt, muß er mich auch heirathen und wenn ich verheirathet bin, geht mich der ganze Kram nichts an.«

»Und wenn Sie ihn durch Ihre selbstsüchtige Bequemlichkeit abstoßen?«

»Er kommt schon wieder.«

Sie blickte mich bei diesen Worten triumphirend an und wurde förmlich hübscher, üppiger, wie im Siegesbewußtsein strahlender, daß ich mich erstaunte, wie schön sie sein konnte. Wäre ich ein junger Mann, in diesem Augenblick war sie begehrenswerth. In diesem selbigen Augenblicke ward mir auch klar, Max hatte sich mit den Augen verliebt und nicht mit dem Herzen. Was half es nun, ihr einige Manieren beizubringen, einige Hausstandsgeschicklichkeiten? Ihre Seele war todt und Max lebendig neben ihr verurtheilt.

»Hören Sie auch ein offenes Wort von mir, Frieda. Meine Absicht war, Ihnen abzuerziehen, was Sie unliebenswürdig macht. Denn Schliff haben sie so wenig wie ein hölzernes Messer. Ihr wuchs ist gut, aber Ihre Bewegungen sind unfein; kein Wunder, daß Ida Sie verspottete. Ihr Gesicht ist hübsch, aber sein Ausdruck ist mehrstentheils unangenehm, launisch und schmollend. Worauf pochen Sie? Reich sind Sie nicht, von hoher Abkunft auch nicht. Liebenswürdig wollen Sie mit Gewalt nicht sein. Wenn Sie die Blattern kriegen sollten und das Gesicht voll Narben ... was bliebe dann von Ihnen zum Verlieben übrig? Höchstens der neueste Umhang, und der trägt sich ab.«

Sie ward abwechselnd bleich und roth. »Das hat mir noch Niemand gesagt ...« – »Weil Sie blind von sich eingenommen sind und nicht darauf achten, wie man von Ihnen denkt,« unterbrach ich sie.«

»Ich verlasse dieses Haus.«

»Mir angenehm. Sie können heute noch zu Ihrem Vater zurückkehren.«

Sie athmete heftig und kämpfte mit sich selbst.

»Nein«, nicht nach meinem Vater. Sie ... die Person ist schon bei ihm, die er heirathen wird. O Gott, ich armes unglückliches Mädchen.« Laut brach sie in einen Weinkrampf aus. – »Frieda,« rief ich, »Frieda, beruhigen Sie sich. So ist es nicht gemeint. Bleiben Sie, so lange Sie wollen.«

Sie hörte nicht, sie antwortete nicht, sie war wie zerschmettert. Nun war ich doch zu hart gewesen.

Es währte unendlich, ehe sie sich wieder erholte und auch jetzt war sie ohne Sprache. Mit den Augen suchte sie umher, als wäre sie gefangen und könnte keinen Ausweg zum Entfliehen finden und die Hände hielt sie ineinander gerungen im Schooße. Es lief mir eisig über.

Da war es, als öffnete Jemand unsichtbar meine Arme und zöge sie hin zu ihr. Und als ich sie umschlang und meine Lippen ihre Stirn abbittend berührten, barg sie ihr Haupt an meinem Herzen und wieder erzitterte sie in unsagbarem weinen.

Dann blickte sie mich an: »Bin ich wirklich so abscheulich?«

»Es wird noch Alles gut, Frieda, Alles, Alles, mein Kind. Sag', kannst Du mich lieb haben?«

Sie nickte und lächelte unter Thränen.

»Ich nenne Dich Du. Ist es Dir recht so, Frieda?« – Sie küßte mich.

»Und weißt Du, an wen wir stets denken wollen, für wen wir uns Mühe geben werden? weißt Du, wer es ist? Dein Max.«

»Er wird mich verlassen.«

»Binden wollen wir ihn mit lauter Liebe. Er verdient es, geliebt zu werden.« – Ihre Züge verklärten sich.

»Da Du und Ida Euch doch nicht vertragt, ist es besser, Du wohnst mit Betti zusammen. Rufe Sie her Kind.«

Betti kam und war einverstanden, schon allein ihres Vaters wegen. – »Ja,« sagte ich »Papa kann solche Wirthschaft nicht ertragen. Der Kaffee war geradezu Abspülwasser.«

»Kein Wunder, wenn Fräulein Schulz die Hälfte Bohnen beim Mahlen auffrißt.« – »Hast Du das gesehen Betti?« – »Nein, aber sie thut es.« – »Darüber ein andermal, jetzt bin ich zu marode. Du hilfst Frieda wohl beim Umquartiren, ich werde mich ein wenig niederlegen.« – »Du bist doch nicht krank, Mama?« – »Geht nur, Kinder.«

Ich bedurfte der Ruhe, war die Aufregung zu groß gewesen oder konnte ich es nicht mehr so ab wie in jüngeren Jahren?

Als ich nach erquicklichem Schlummer erwachte, saß Frieda vor meinem Bette, meiner zu warten. – »Fühlen Sie sich wieder wohl,« fragte sie theilnahmsvoll.

»Ganz wohl, Frieda.«

Dann kam mein Mann. »Alte, was machst Du für Sachen?«

»Es hat nichts auf sich Karl, ich bin schon wieder fidel. Heute haben wir Waffenstillstand. Die Idiß kriegt Stubenarrest und beschäftigt sich mit Nähen. Ihre Taschentücher sind immer noch nicht gesäumt.


 << zurück weiter >>