Adalbert Stifter
Der Hochwald
Adalbert Stifter

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»Susanna,« sagte der Fremde mit sanfter Stimme, »darf ich eintreten?« Die Magd öffnete sogleich die Thür, führte ihn durch das Gemach, und öffnete ihm gegenüber wieder eine Thür, die in ein weiteres erhaltenes Zimmer führte. Er trat ein.

Eine der zwei darinnen sitzenden schwarzgekleideten Gestalten erhob sich sogleich und trat ihm mit den Worten entgegen:

»Seid uns von ganzem Herzen willkommen, Ritter.«

Er heftete sein dunkles Auge mit traurigem Glanze auf ihre blassen Züge – – ja es war Clarissa, die vor ihm stand, und von deren schöner Gestalt das schwarze Trauerkleid herniederwallte. Seitwärts saß Johanna – ein Antlitz, weiß wie Alabaster, sah aus der schwarzen Florhülle zu dem Ritter herüber, und die Tropfen, die auf die Wangen flossen, jagten sich schneller, seit sie ihn sah, und sich nach Sprache bemühte, ihn zu grüßen. Er mit dem düsterschönen Ausdrucke seines Wesens stand auch einige Augenblicke sprachlos, und blickte auf das mit schlechtem Papiere verklebte Fenster, unfähig ein einzig Wort herauszubringen, da auch Clarissa schwieg, und ihr Mund und ihre Wimpern vergeblich zuckten, um die Thränen zurückzuhalten. Sie schob ihm einen Stuhl hin, er aber trat zu Johannen, und ergriff ihre Hand, sie sanft und fest in seine drückend.

»Weil ihr nur da seid,« sagte diese endlich schluchzend, »weil nur einmal ein Mensch da ist.«

»Zürnet mir nicht,« entgegnete er ihr, »es sind erst fünf Tage, seit ich frei bin, und diese bin ich fast unausgesetzt geritten, um euch zu suchen.«

»So waret ihr gefangen?«

»Ich war gefangen, sonst wäret ihr nicht so lange ohne Hilfe geblieben – nun aber bin ich da, und bitte euch inständig, nehmt Alles, was ich bin und habe, zu eurer Hülfe und eurem Dienste. Meine Burg an der Donau ist zwar auch verbrannt, und noch mehr zusammengestürzt, als diese; – es thut nichts, ich brauche sie nicht, und baue sie auch nicht mehr, bis einmal Friede im Lande ist. Einige Mittel aber habe ich geborgen, und die wollen wir vorerst anwenden, um dieses euer Haus in etwas wohnlicheren Stand zu setzen. Hieher wird nicht so leicht mehr ein Feind kommen; denn der Uebergang war höchst schwierig, und von unbedeutenden Folgen. Sie stehen jetzt Alle in Winterquartieren.«

Mit einem schmerzhaft freundlichen Schimmer ihrer aufrichtigen Augen reichte ihm Clarissa die Hand hin, indem sie sagte: »So seid ihr wieder der erste, wie immer, der da kommt zu helfen, ihr, gegen den ich immer so undankbar gewesen bin.«

»Lasset das jetzt, Clarissa,« erwiederte er mit trübfunkelnden Augen, »lasset das, es ist vorüber, und ich bin nichts, als euer Vetter und Bruder – – wie hätte ich auch ahnen können. – – Wäret ihr von jeher vertrauender gegen Alle gewesen, so hätte ich euch nie mit Werbung gequält, und wahrscheinlich wäre das Letzte auch nicht geschehen – –.«

»So wisset ihr – – ?«

»Ich weiß, Clarissa, ich weiß – – –.«

»Auch er – ist es so – auch er!?«

»Auch er.«

Clarissa's Antlitz zuckte jäh hinüber, und haschte nach Athem; ein maßloser Schmerz lag darauf, ja sogar etwas, wie Grimm, als sie das Auge gegen das Fenster wandte, wie gegen einen blinden Himmel – und secundenlang starrte, weil sie kämpfte. – –

Noch war es fast wie Hohnlächeln in ihren Zügen, unheimlich anzusehen, als sie das Angesicht zurückwendete und mit fast ruhiger Stimme sagte: »Ritter, wenn ihr etwas Näheres wisset, so sagt, so erzählt es uns; wir wissen nur das Eine – – sagt, Ritter, woher wißt ihr das Nähere?«

»Ich war dabei.«

»Ihr waret dabei, Bruno?« schrie Johanna aufspringend, »ihr seid dabei gewesen, Bruno?« rief sie mit den schmerzlichsten Tönen ihrer Seele. – »Um Gotteswillen, o so saget, wie war es, erzählt – nehmt diese furchtbare Last von meinem Herzen; mir ist, als wäre mir leichter, wenn ich Alles wüßte.«

Da er unschlüssig zauderte, sagte Clarissa: »Ritter, seid barmherzig und erzählet.«

»Ein Wald,« begann er, »war das eigentliche Unglück. – Euer Haus – – kein Finger hätte es angerührt; – weit links davon sollte der Zug gehen – aber Gallas hatte Völker gesandt, mich auf eignes Ansuchen mit, um in jenem Walde (er zieht sich rechts von hier gegen das Moldauthal ab) Schanzen aufzuwerfen, und den Feind zurückzuweisen. Friedbergs unglückliche Bewohner, die graben mußten, werden zeitlebens an den Schanzwald denken, und den Namen ihren Enkeln und Urenkeln einprägen; denn er war ihr und unser Unglück. Ich sah es voraus, wie es kam, und bat euren Vater noch Tags zuvor, er möge die Burg preisgeben, und zu euch flüchten; aber er verwarf den Antrag mit Entrüstung, weil ein Haufe Kaiserlicher unter seinem Befehle die Burg besetzt hielt. Harmlos, wie eine Schaar Wallfahrer mit klingenden Liedern stiegen die Schweden den schönen Wald heran. – – Es war schrecklich anzusehen, wie, da der Rauchwall aus unsern Gewehren sich verzog, ihre zerfetzten und blutenden Linien zurücktaumelten. Kein neuer Angriff ward mehr gewagt, die Kurzsichtigen unter uns jubelten, aber noch diese Nacht sahen wir den Brand Friedbergs, und des andern Tages, da die Schaaren schwollen, ward im furchtbaren Morden die Schanze gestürmt. Die Unsern zerstäubten, wie zerbrochenes Glas; ein Theil warf sich nach Wittinghausen, ich mit ihnen. O Clarissa, Alles wäre noch gut geworden. Der erste siegestrotzige Anfall wurde zurückgeschlagen – eine Woche verging schon – und noch eine, – der Feind, bereits abgekühlt und einsehend, wie wenig ihm eigentlich an dem Hause gelegen sein könne, hatte nur den Schein von Ehre zu wahren, und bot willig die Hand zur Unterhandlung. Da, eines schönen Morgens, sahen wir, gleichsam wie einen neuen Befehlshaber einen jungen Mann in prachtvollen Kleidern durch die Reihen der Belagerer reiten, gleichsam wie Anordnungen treffend.« – Clarissa mit halb geöffnetem Munde, athemlos, mit gespannten dürstenden Augen horchte hin. – »Wir begriffen nicht, was er wollte; die Anführer alle, Sture an der Spitze, standen ehrfurchtsvoll vor ihm. Es war gerade Waffenstillstandstag. Am andern Morgen ritt derselbe Mann – ach, wie wir glaubten, um zu kundschaften, ungewöhnlich nahe an die Mauern – und, wie es manchmal der Zufall will, der Helm entfiel ihm – ein ganzer Wall von blonden Locken rollte in diesem Augenblicke über seinen Nacken – –...«


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