Adalbert Stifter
Der Hochwald
Adalbert Stifter

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»Nun, Clarissa,« fuhr er fort, »verzeihet, daß ich gekommen, und auch die Art, wie ich es that. – Seht, ich wollte nicht plötzlich, wenn ihr lustwandeln ginget, vor euch treten – ich hätte es einige Male gekonnt – sondern erst euern Begleiter, den ich seit Langem kenne, sprechen, aber er war stets an eurer Seite und verließ sonst nie das Haus, daher sandte ich ihm durch den Geier meine Kugel, die er wohl kennt, auch suchte er mich sogleich, und fand mich, aber keine Macht der Ueberredung konnte ihn dahin bringen, daß er euch von mir eine Botschaft brächte – – ja er verrammelte und bewachte das Haus nun vorsichtiger, als je, so daß ich ihn, der mich einst so liebte, gar nicht begriff. – Ich selbst mußte mir nun, sei es auch auf die Gefahr hin, daß mich einer eurer Knechte erschieße, Gelegenheit verschaffen, euch meine Anwesenheit kund zu thun, ob ihr etwa freiwillig gewährtet, was ich nicht rauben wollte, und von ihm nicht erbitten konnte. Ich sang das Lied, das ihr kennen müsset.«

»Ich kannte es,« sagte Clarissa, »und sei es nun auch Unrecht, daß ich kam, ich wollte euch nicht fortweisen, da ihr so viel Anstalt machtet, mich zu sprechen – – und nun redet, warum seid ihr hier, die Zuflucht und Ruhe zweier Mädchen zu unterbrechen, die so kindisch sind, daß sie oft das unversehene Rauschen eines Blattes schreckt, sagt, warum seid ihr hier?«

»Clarissa, – ihr fragt das,« sagte er, indem ein leichter Hauch von Roth über sein Gesicht flog, »wisset ihr selber denn das nicht?«

»Nein, ich weiß es nicht,« antwortete sie mit unsicherer Stimme.

»Ihr wißt das nicht?« wiederholte er zweimal, »ihr wißt das nicht? – « und er warf sein Haupt, wie im Schmerz empor, so, daß auf einen Augenblick der Glanz der Herbstsonne auf die schwärmerischen Züge fiel, – und sie verklärte – – » ihr wißt das nicht?! Sehet, ich bin in Frankreich gewesen – ich war weiter, in dem neuen Lande war ich jenseits des großen glänzenden Meeres – ich kam wieder, ich suchte euer Schloß, es ist bedroht, ihr seid geflüchtet, Niemand weiß, wohin – ich kundschaftete auf allen Straßen; eine führt gegen den Wald, sie sah euch ziehen, – ich suchte Gregor's Hütte, er ist nicht da. – Durch alle Wälder und Schluchten, lebend von dem, was mir meine Büchse erwarb, ging ich tagelang, wochenlang, bis – es war eine lichte schöne Stunde – bis der Gedanke dieses See's wie ein Blitz in meine Seele fuhr, wie ihn mir einst Gregor zeigte, und die Worte sagte: »Auf diesem Anger, an diesem Wasser ist der Herzschlag des Waldes; mir ist, als müßte ich ihn hören, so lieblich und treu, und fester als die Burg eines Königs« – ich kam hieher – am Rande jener Felsenmauer herüber kletternd erblickte ich das hölzerne Haus, auf einem Felsensteige – Gregor weiß ihn – euch wäre er tödtlich – stieg ich nieder. – Dort, wo die Sandriesen beginnen, im Schatten des Felsens ruhte ich ermüdet aus, wischte mir das Blut von den Händen – und wie ich nach diesem Geschäfte aufblicke – kaum hundert Ellen von mir am Rande des Gerölles saßet ihr mit Johannen, beide in weißen Gewändern, und vertraulich redend – – ich erschrack, daß sich der See und die Bäume drehten – das schreiende Herz drücke ich nieder, ja in meiner Thorheit halte ich den Athem an, daß er euch nicht erreiche, obwohl ich nicht einmal eure Worte hören konnte – aber hold und süß müssen sie gewesen sein; denn ihr saßet und sprachet lange, legtet endlich eure Hände in einander und sahet schweigend in die Luft hinaus, mir wollte es bedünken im Uebermaß der Rührung und der Liebe und des Vertrauens – als es Abend wurde, ginget ihr – diese Bäume hier verschlangen den letzten Schimmer eures Gewandes – ich blieb sitzen und stillte meinen Hunger mit einer Handvoll Brombeeren. Wieder sah ich euch – gehen durch den Wald, wandeln an dem See, ruhen auf diesem oder jenem Steine – ich war euch oft so nahe, daß ich euch greifen konnte; eure Harfe hörte ich des Nachts. – – Seht ihr, dort oben, wo der dürre Sandstrom um die zwei Felsenhäupter quillt, steht ein Baum, es ist nur mehr der Strunk einer Föhre, die der Blitz einst zerschlug, bei Tage ist er ein mißfärbiges Grau, aber in der Nacht beginnt er zu leuchten, blau und grün und weiß – stundenlang saß ich an dem Felsen und sah auf das stille nächtliche Glimmen desselben – – Clarissa! und ihr fragt, weßhalb ich gekommen??«

»O übt ihn nicht,« sagte sie mit innig flehender Stimme, »o übt ihn nicht, den alten Zauber, dessen Gewalt ihr kennt, und einst erprobtet gegen ein thörichtes Mädchen – o übt ihn nicht, es ist nicht redlich.«

Es war seltsam anzuschauen, wie die entschloßne Jungfrau zu schwanken begann, und fast eingeschüchtert war einem Manne gegenüber, dessen Mienen doch so offen lagen, wie die eines Kindes; aber wenn man ihn ansah, wie er auf ihre Rede schwieg, und hinaussah in die Räume, so war es, als sähe man den Geist aufleben, dem sie sich beugte: eine wilde Hoheit, eine schwärmerische Dichtung lag in diesen Zügen, im Auge etwas, was fleht und herrschet – ein Schmelz von Zärtlichkeit, unsäglich bindend das geliebte Herz, es selbst unsäglich liebend, und doch hinaus verlangend ins Unbekannte, ein aufquellend Herz, nach Thaten schmachtend. Und gerade das letzte, jeden Augenblick Liebeverlust drohend, war es, was sie so zauberisch band.

»Ja, ja,« begann er wieder sanft, »Clarissa süßer Engel, es ist redlich; ich bin nicht thöricht und ohne Zweck gekommen; denn wisset, seit jenem Tage, wo ich fort ging, theils gedrängt, theils selbst hinausschwärmend, war es doch nur ein Gedanke, dem ich nachhing, dem ich glühend nachstrebte – damals lebte er noch, der befehlen konnte: laß fahren das Scheinding; – – ich schlug es los, in alle Winde wollte ich es streuen; ich ging Monate lang durch diese Wälder, dem wilden Hange folgend – da fand ich Gregor. – Wie ein Sohn liebte ich den Alten, obwohl er ein Kind war gegen mich in Schwärmerei und Wagniß – das Scheinding aber trug ich im verschwiegenen Herzen – dann sah ich jene schimmernde Stadt, ich sah gränzenlose Wildnisse des neuen Landes – ich kam wieder, als er todt war, aber ich brachte das Scheinding, wie er es nannte, wieder mit – – Clarissa, nun aber ist alles gut – ein Jahr hab' ich gearbeitet, ein mühselig Jahr, berghohe Hemmnisse hinweggewälzt – Alles ist eben – ich bin frei. – – Wie keine Mutter ihr Kind, hab' ich dich gesucht, die Geliebte, die Verlassene, die Unvergeßliche, um dir Alles, Alles mitzutheilen – – o Clarissa, ich bitte dich, denke zurück, blicke in dein Herz, und um der Güte Gottes willen frage nicht mehr, warum ich gekommen!!«

Ehe sie es ahnen und hindern konnte, stand er auf, und auf die harten Steine zu ihren Füßen sinkend, nahm er ihre Hand, schloß sie in seine, die großen blauen Augen angstvoll auf ihr sterbebleiches Antlitz heftend.

»O steht auf,« sagte sie in der Ohnmacht ihrer Seele mit den Augen herumirrend – »so steht doch auf – – ich kam gewaffnet hieher, die Gewalt eures Herzens soll mir diese Waffen nicht ablösen – nein sie soll es gewiß nicht. – Denket nicht mehr, ich sei noch das Kind, das ihr einst kanntet – – wie ihr damals in unser Schloß kamet, wie der Vater euch lieb gewann; – – ihr waret so schön, mein Auge konnte fast nicht ablassen von dem euren, ein ganzes Meer von Seele und Gemüth gosset ihr in mein dunkel bewußtes Herz, meine hülflose Kinderseele zwanget ihr an eure Lippen zu fliegen – ich fragte nicht, woher ihr kamet, wer ihr seid – ich hing an euch – im Wahnsinne von Seligkeit hing ich an euch, sündhaft vergessend meinen Vater, meine Mutter, meinen Gott – – da ginget ihr fort – – – nun, es ist Alles überstanden – ich erkannte die Sünde; – Gott gab mir die Gnade sie zu bereuen und zu vergessen. Die Seele wandte sich wieder ihrer reinen Liebe zu. Seht, dieß unschuldige Mädchen hier, meine Schwester, dann mein Vater und der Bruder Felix zu Hause – diese sind meine Geliebten – und der Herr im Himmel, der ist mein Gott – – es ist überstanden.«


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