Adalbert Stifter
Der Hochwald
Adalbert Stifter

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Thränen brachen aus ihren Augen und schimmerten neben den Diamanten des Stirnbandes.

»Nein, Clarissa, es ist nicht überstanden,« sagte er, zu ihr emporblickend, indem ein Entzücken durch den Himmel seines Auges ging, »nein, es ist nicht überstanden; – goß ich auch ein Meer von Gemüth und Seele in dein Kinderherz, so goß ich es auch in meines. – Es ist wahr, anfangs reizte mich bloß die ungewohnte Fülle und Macht, aufsprossend in dem Kinderherzen, daß ich prüfend und probend an sie trat, daß ich die Kinderlippen an mich riß – aber eine Seele, tief, wild, groß und dichterisch wie meine, wuchs aus dem Kinde an mich, daß ich erschrack, aber nun auch mich im Sturme an sie warf, namenlos, untrennbar Glut um Glut tauschend, Seligkeit um Seligkeit. – – Weib! du warst damals ein Kind, aber die Kinderlippen entzückten mich mehr, als später jede Freude der Welt, sie glühten sich in mein Wesen unauslöschlich – ein Königreich warf ich weg um diese Kinderlippen; nicht Jahre, nicht Entfernung konnten sie vertilgen – und nun bin ich hier, abgeschlossen mit der Welt, um nichts auf der ganzen Erde mehr bittend, als wieder um diese Kinderlippen.«

Er blieb knieen, das geliebte Antlitz schaute zu ihr empor, vergessend seiner selbst und der Umgebung, – sie aber fühlte sich verlieren; um ihre Stirne irrte es wie dunkle Wonne, wie Morgenröthe des Gefühls. – Einen Augenblick noch sah sie hülflos umher, ringend mit dem eignen Herzen, das in so ganz anderer Absicht hergekommen war – dann überzog neuerdings ein feuchter Schleier ihr Auge, aber es war darinnen süße düstre Zärtlichkeit, wie es auf ihn niedersank, und sie fast unhörbar und zitternd die Worte sagte: »Und doch, Ronald, bist du fortgegangen!!«

»Ja,« rief er, indem eine schnelle, schwärmerische, fabelhafte Freude über seine Züge flog, »ja, ich ging fort, weil es Einer befahl, der mächtiger war, als ich und du, und als dein Vater und dein König – aber nicht weil er es befahl, ging ich, sondern weil er bat, weil er sagte, es sei zu deinem und zu meinem Heile – – und, Clarissa, weil mein eigen tobend Herz mich hinausriß, thöricht schweifend in das Leere, als seien draußen namenlose ungeheure Dinge zu vollführen – – aber, bin ich gegangen, so bin ich ja auch wieder da, und ich gehe nie, nie mehr von dir; – du bist mein Athem und mein Pulsschlag. – Draußen ist es dürre, wie Sand, und unersprießlich alle Welt gegen dein schlagendes Herz, gegen deine Güte und gegen deine Liebe; – – siehe, er hat mich groß machen wollen, wie einen seiner Helden, oder gar wie sich selbst, er hat mich abgöttisch geliebt als das Ebenbild meiner Mutter. In unser schönes fernes Land, sagte er, werden wir zurückkehren, dort wolle er es heben zu einem der ersten der Welt, ich werde ihm zunächst stehen, und an mir wolle er es gut machen, was er an meiner armen Mutter verschuldet – er, der Starke gegen alle Welt, war schwach gegen mich, er ließ meine Jugend schwärmen, in die ganze Welt wollte ich fliegen, weit und breit; selbst in Feindeslande ging ich herum, auf eurem Schlosse lebte ich Monate lang. – – Als ich ihn glühend um dich bat, sagte er, du bist noch ein Knabe, gehe fort, gehe in die Welt, gehe hin, wo du willst, selbst über das Meer, und wenn du wieder kommst, und sie noch willst, sollst du sie haben, und in unser Land führen – aber geh, und laß lieber fahren das Scheinding – – – aber, o Clarissa, als ich wieder kam, war er längst todt – von all Denen, die um ihn trauerten, waren zwei Augenpaare, die gewiß am heißesten weinten, meines, und sicher auch das meiner fernen Mutter. Ich hab' ihn noch einmal gesehen – ich brachte es dahin, daß mir Gruft und Sarg geöffnet wurde. – In den Busen des Kanzlers hatte er die Plane über mich niedergelegt, mit diesem, den Führern und Andern mußte ich ein Jahr kämpfen, ein mühselig schleppend Jahr, bis ich mir Freiheit errang, zu thun, wie ich wollte – und dann mein erster Gang – nein, es war ein Fliegen: zu dir – zu dir, um zu fragen, ob du mich hassest – ob du verzeihest – – ob du noch liebtest, zu dir ging ich zuerst, dann aber muß ich meine Mutter suchen.«

Seine Augen schwammen in Thränen, welche die fernere Rede erstickten; er wischte mit der Hand darüber und sagte dann unsäglich mild: »Clarissa, du hast dich sehr verändert, und bist größer und stattlicher geworden, und fast schöner, als damals, so daß ich beinahe den Muth verlor, da ich dich heute sah – Clarissa, thue ab den starren Schmuck, der so traurig um dein liebes Antlitz funkelt, sei wieder das Kind, das mich einst so selig machte – nicht wahr, Clarissa, du liebst mich noch? – – – – Liebst du mich noch – du, mein schüchtern, mein glühend Kind!« – – Er sah so treuherzig zu ihr hinan, und eine so weiche unschuldige Seele lag in seinen Zügen, – – daß ihr ganzes Herz voll alter Liebe hinschmolz.

Wie schwach und wie herrlich ist der Mensch, wenn ein allmächtig Gefühl seine Seele bewegt, und ihr mehr Schimmer und Macht verleiht, als im ganzen andern todten Weltall liegt! – Der ganze Wald, die lauschenden Ahornen, die glänzende Steinwand, selbst Johanna und Gregor versanken um Clarissa, wie wesenlose Flitter, nichts war auf der Welt, als zwei klopfende Herzen, – allvergessen neigte sie das liebeschimmernde Antlitz und die dunklen strömenden Augen immer mehr gegen ihn, und in Tönen, worüber Johanna erschrack, sagte sie: »o Ronald, ich liebe dich ja, ich kann mir nicht helfen, und hättest du tausend Fehler, ich liebte dich doch – ich lieb' dich unermeßlich, mehr als Vater und Geschwister, mehr als mich selbst und Alles, mehr als ich es begreifen kann ...«

»Und ich,« erwiederte er, ihr in die Rede fallend, – – »siehe, tropfenweise will ich dieses Blut für dich vergießen, ich will gut werden und sanft, wie das Lamm des Feldes, daß ich dich nur verdiene – gehe mit mir in mein Vaterland, oder bleibe hier, ich will auch bleiben – – nimm mir mein Leben, nimm mir die Seele aus dem Leibe, damit du nur siehest, wie ich dich liebe. – – «

Er zog sie gegen sich – machtlos folgte sie – und beide zitternd vor Uebermacht des Gefühles stürzten sich in die Arme, so fest umschlingend und klammernd, daß seine blonden Locken auf das Sammtkleid ihrer Schultern niederwallten.

Die beiden Zeugen dieser Scene sahen sich verwirrt und staunend an – aber Johanna, die bisher mit steigender Angst zugehört hatte, sprang plötzlich auf und mit den zornesmuthigen Thränenfunken in den Augen rief sie: »Clarissa, was thust du denn!?«

Diese, wie aufgeschreckt, fuhr empor, wendete sich um, und wie sie das Kind, dessen Lehrerin und Vorbild sie bisher war, vor sich stehen sah – nein, nicht mehr das Kind, sondern die Jungfrau mit der Purpurglut der Scham im Gesichte, so warf sie sich demüthig, und doch strahlend vom Triumphe an ihre Brust. – –

Es war eine stumme Pause, man hörte ihr Schluchzen, und das sanfte Wehen des Waldes. –

Wie sie endlich das milde Haupt wieder aus der Umarmung hob, erleichtert und verschönert, und wie sie mit den selig schönen Augen Johannen voll Liebe in das Gesicht schaute, diese aber noch immer dastand mit Thränen kämpfend: so trat Gregor hinzu, und sagte zu ihr: »Beruhigt euch nur, liebe Jungfrau, es ist in dem Ganzen kein Arg; denn es ist so der Wille Gottes – darum wird der Mensch Vater und Mutter verlassen, und dem Weibe anhängen – es ist schon so Natur – beruhiget euch nur, und sehet sie freundlich an, die immer so mütterlich liebreich gegen euch gewesen ist. – Aber du, Ronald, zu dir sage ich ein Wort, du weißt es, wie du in den Wald gekommen bist, wie du mich gefunden hast, wie ich dich lieb hatte, wie wir jagten, Kräuter suchten, Felsen bestiegen, wie wir uns ergötzten, als draußen die Sage ging von dem furchtbaren Wildschützen und seiner kleinen Kugel – ich habe dich damals nur um deinen Namen gefragt, daß ich dich damit rufen könne – du hast mir nie von dieser gesagt, daß du ihr so in Liebe zugethan bist, es war auch keine Ursache dazu. Jeder Mensch hat sein Herz, wie jedes Kraut seine Blume, er mag es geheim halten, die Blume thut es nicht – es macht nichts – du gingst fort von mir – ich habe deiner oft gedacht und es war mir, als gingest du mir ab. Jahre vergingen – da kamest du plötzlich an diesen See, und trachtetest stürmisch darnach mich zu verlocken, daß ich dich mit den Jungfrauen sprechen ließe, auch da noch fragte ich nach keiner Ursache – ich dachte sie mir wohl, nämlich die Schönheit der Jungfrauen reize dich –: aber jetzt, siehe einmal, der Vater dieser Mädchen ist ein hochansehnlicher Mann, ein Mann von gutem Herzen und trefflichen Gaben, er hat so weiße Haare, wie ich; er ist mein Freund, und ein viel älterer, als du – er hat mir diese Kinder gegeben, daß ich ihnen Vater sei, so lange sie im Walde leben, bis er sein Schloß aus der Gefahr gerissen – und da will es mich nun bedünken, daß ich dich fragen müsse, wer bist du denn, daß du um diese freiest? weß Volkes und Geschlechtes, daß ich es ihm vermelden lassen kann, und wo steht deine Hütte?«


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