Adalbert Stifter
Der Hochwald
Adalbert Stifter

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Es war die fünfte Nacht nach dem Schusse des Geiers – der abnehmende Mond stand am blauen Nachthimmel, und malte die Fenstergitter auf die Sessel und Bettvorhänge der Mädchen – da saß Johanna am Rande des Bettes ihrer Schwester und mit dem Finger sanft ihre entblößte Schulter betupfend suchte sie dieselbe zu wecken, indem sie angstvoll leise die Worte hauchte: »Hörst du nichts?«

»Ich höre es schon lange,« antwortete Clarissa, »aber ich wollte dich nicht wecken, daß du keine Angst habest.«

Nun aber richtete sie sich auch in ihrem Bette auf, und von dem einen Arme Johanna's gehalten, auf die Bettkante gestützt, saßen sie da, keinen andern Hauptschmuck, als das schöne Haar, den Körper im Horchen sanft vorgebogen, unbeweglich, wie zwei tadellose Marmorbilder, um die das milde Licht der Herbstnacht fließet.

Es war, als hörten sie undeutlich in der Ferne eine Stimme, schwebend zwischen Rufen und Gesang – es war aber weder die eines Knechtes, noch Gregor's.

Sie horchten lautlos hin, aber hörten gerade jetzt nichts. Auf einmal ganz deutlich, wie herausfordernd, – schwärmerisch wild kam ein Gesang einer Männerstimme herüber, folgende Worte tragend:

Es war einmal ein König,
Er trug 'ne gold'ne Kron'.
Der mordete im Walde
Sein Lieb – und ging davon.

Da kam ein grüner Jäger:
»Gelt, König, suchst ein Grab?
Sieh' da die grauen Felsen,
Ei, springe flugs hinab.«

Und wieder war ein König,
Der ritt am Stein vorbei:
Da lagen weiße Gebeine,
Die gold'ne Kron' dabei.

Die Stimme schwieg, und die Stille des Todes war wieder in Luft und Wald, und in den Herzen der Mädchen – und als es draußen schon längst geschwiegen, getrauten sie sich noch nicht, sich zu regen, als sei die Scene nicht aus, und als müsse noch etwas kommen.

Aber sie war aus. Kein Laut, kein Athemzug, regte sich in der stummen funkelnden Mondluft. – Da, nach langem Warten, drückte sich Johanna sanft und langsam rückwärts aus der Umarmung, und sah der Schwester in das Angesicht.

Es lag so bleich vor ihren Augen, wie der Mond auf der Fensterscheibe.

Nicht eine Silbe sagten sie Beide.

Johanna, wie im Instinkt des Guten und hier Zuständigen, wendete ihre Augen wieder ab, und barg ihr eigenes Antlitz in das Nachtgewand der Schwester – und so viele, viele Augenblicke lang aneinandergedrückt, wie zwei Tauben hielten sie sich, daß Johanna Clarissens Herz pochen fühlte, und diese das Zittern des Armes der andern auf ihrem Nacken empfand. – – Endlich furchtsam leise fragte die jüngere: »Clarissa, fürchtest du dich?«

@»Fürchten?« – sagte diese, indem sie sich sanft aus der Umarmung löste – »fürchten? nein, Johanna – das Räthsel ist klar, dessen dunkler Schatten uns dieser Tage ängstete – – ich fürchte nichts mehr.«

Und dennoch bebte ihre Stimme, als sie diese Worte sagte, und Johanna konnte selbst bei dem schwachen Mondlichte bemerken, wie allgemach ein feines Roth in die vorher so blassen Wangen floß, und darinnen sanft bis zur schönsten Morgenröthe anschwoll. Ein ungeheuer Empfinden mußte in ihrer Seele emporwachsen, wechselnd in Wohl und Weh; denn ein fremder Geist lag auf diesen sonst so ruhigen Zügen, und goß eine Seele darüber aus, als glühete und wallete sie in Leidenschaft.

»Johanna,« sprach sie, »es ist wunderbar, sehr wunderbar, wie die Wege der Vorsehung sind. Wer hätte gedacht, daß das, was ich neulich an der Felsenwand zu dir sprach, so nahe sei – in der schönen Einöde hat mich Gott der Herr gefunden – mag es sich erfüllen, wie es muß und wird – fürchte dich nicht, liebes Kind – auch mitten im Walde ist der Herr ob uns. Du kennst das Lied, du ahnest auch, wer es sang – er hat es gut gewählt – er wird mich sehen, ja, aber nicht in unserem heiligen Hause – Gregor und du werdet mich begleiten – sieh mich nicht so erschrocken an – wenn selbst die kleine Kugel von ihm kam, und wie er auch mit diesem Wald zusammenhängt: Gefahr solcher Art droht uns nicht – – ja, ja, den Sonnenschein hat er wollen auf den Hut stecken und die Abendröthe umarmen – – ja, es ist seine Art so zu erscheinen, wie er hier that, das Lied hat mich herausgefordert – gut, aber jetzt ist es kein Kind mehr, hilflos gegeben in die Allgewalt der eignen Empfindung: eine Jungfrau, stark und selbstbewußt – sie wird kommen, statt der Lilie das Schwert des Herrn in ihrer Rechten – ja sie wird kommen!!«

Ihr Antlitz strahlte – eine solche Schönheit überging ihre Züge, daß selbst Johanna scheu zu ihr hinüberblickte – mit Inbrunst schwärmte ihr dunkles Auge hinaus, angeglänzt von dem Lichte der Nacht – – auf die Stirne flog es wie ungeheurer Stolz und Triumph – – so saß sie, und badete das gehobne Antlitz in den Strahlen des Mondes – – – bis sie endlich in einen Strom siedend heißer Thränen ausbrach, und sich wie ein Kind an das Herz der Schwester legte.

Wer sie in dieser Nacht gesehen hätte, der hätte begriffen, wie denn diese sanfte ewig ruhige Gestalt zu den tief schwarzen lodernden Augen gekommen.


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