Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Teufelswerk

Fast ein Monat verstrich ohne besondere Ereignisse. Noch am Abend unseres Hochzeitstages sprach Galoschen bei uns vor. Er war sehr höflich und machte es sieh bald zur Gewohnheit, etwa bei Dunkelwerden herumzukommen und im Familienkreise seine Pfeife zu rauchen. Mit Uma konnte er sich natürlich unterhalten und fing an, mir gleichzeitig den Dialekt und Französisch, beizubringen. Er war ein freundlicher alter Bursche, wenn auch so schmutzig, wie man nur je jemanden zu sehen wünscht, und richtete mit seinen fremden Sprachen in meinem Hirn eine Konfusion an, schlimmer als im Turm zu Babel.

So hatten wir wenigstens eine Beschäftigung, die mich meine Einsamkeit weniger fühlen ließ; aber Geld war bei der Sache nicht herauszuholen, denn obwohl der Priester kam und uns seine Geschichten erzählte, ließ kein einziger von den Leuten sich in meinen Laden locken. Hätte ich nicht eine neue Art Tätigkeit entdeckt, wir hätten nicht ein Pfund Kopra im Hause gehabt. Meine Idee war folgende: Fa'avao (Umas Mutter) hatte ein ganzes Schock gut tragender Bäume. Natürlich konnten wir keine Arbeitskräfte bekommen, da wir ja alle quasi unter Tabu standen, so machten denn die beiden Weiber und ich uns an die Arbeit und schafften die Kopra mit diesen unseren eigenen Händen. Solche Kopra, daß einem der Mund dabei wässern konnte – niemals hatte ich begriffen, wie sehr die Eingeborenen einen betrügen, bis ich jene vierhundert Pfund höchsteigenhändig hergestellt hatte – und so leicht wog sie, daß ich beinah Lust bekommen hätte, sie selber ein bißchen zu wässern.

Während wir bei der Arbeit waren, verbrachten eine Menge Kanaken den größeren Teil des Tages damit, uns zuzuschauen, und einmal fand sich auch jener Neger ein. Er stand mitten unter den Insulanern und lachte und spielte den großen Herrn und den Witzbold, bis mir die Galle überzulaufen begann.

»Hör mal, du Neger da!« sagte ich.

»Ich spreche nicht zu Ihnen, mein Heah«, sagte der Neger. »Ich spreche nur mit Gen'le'um.«

»Ich weiß,« sagte ich, »aber zufällig spreche ich jetzt einmal mit Ihnen, Herr Schwarzer Jack. Ich möchte nur eines wissen: haben Sie sich Cases Visage vor rund einer Woche einmal angesehen?«

»Nein, mein Heah«, sagte er.

»Dann ist alles in Ordnung,« sagte ich,» denn ich werde Ihnen den leibhaftigen Zwilling dazu, nur schwarz, innerhalb der nächsten zwei Minuten zeigen.«

Und ich fing an ganz langsam, mit herunterhängenden Armen, auf ihn loszugehen; nur mußte, wer sich die Mühe nahm, scharf hinzusehen, entdecken, daß Unwetter auf meinem Gesicht geschrieben stand.

»Sie sind ein gemeinah, aufrührigah Bursche, mein Heah«, sagte er.

»Und ob!« sagte ich.

Inzwischen war ich wohl so nahe herangekommen, als er für ratsam hielt, und er riß aus in einem Tempo, daß einem das Herz dabei aufgehen konnte. Und das war alles, was ich von der liebenswürdigen Gesellschaft zu Gesichte bekam, bis zu dem Augenblick, von dem ich jetzt erzählen will.

Eine meiner Hauptbeschäftigungen in diesen Tagen bestand darin, in den Wäldern zu jagen, die (wie Case mir gesagt hatte) sehr reich an allerlei Wild waren. Ich habe schon einmal von der Landzunge gesprochen, die das Dorf und meine Station im Osten begrenzte. Ein Pfad führte um sie herum nach der Nachbarbucht hinüber. Tagtäglich blies hier ein starker Wind, und da die Riffe und Klippen bis an die Landzunge heranreichten, rannte ständig eine schwere Brandung gegen die Ufer der Bucht. Eine kleine, felsige Anhöhe lief mitten durch das Tal bis dicht an den Strand heran, und bei Flut brach sich das Meer direkt an ihrem Sockel, so daß kein Übergang möglich war. Waldige Berge schlossen den Ort von allen Seiten ein; die Mauer im Osten war besonders steil und dicht bewachsen, und ihr an das Meer grenzender Fuß fiel in schieren, schwarzen, zinnobergestreiften Klippen ins Wasser hinab. Der obere Teil war massig von den Kronen gewaltiger Bäume. Einige der Bäume waren grün, andere rot, und der Sand vom Strande so schwarz wie meine Stiefel. Zahlreiche Vögel schwebten über der Bucht, einige von ihnen schneeweiß; und der fliegende Fuchs (oder Vampyr) flog dort im hellen Tageslicht und zeigte fletschend seine Zähne.

Eine ganze Weile kam ich nicht weiter als bis zu diesem Jagdgrund. Kein Pfad deutete darauf hin, daß man noch weiter gehen konnte, und die Kokospalmen am Fuße des Tales waren die letzten in dieser Gegend. Denn das ganze ›Auge‹ der Insel, wie die Einheimischen die Windseite nennen, war eine Einöde. Von Falesa bis Papa-malulu gab es weder Haus, noch Menschen, noch einen von Menschen gepflanzten Fruchtbaum; und da die Riffe hier zumeist aufhörten und die Ufer rauh waren, donnerte das Meer direkt gegen die Felsen, und ein Landungsplatz war kaum vorhanden.

Ich muß noch erzählen, daß, nachdem ich angefangen hatte, in die Wälder zu gehen, die Leute, obwohl niemand in die Nähe meines Ladens kommen wollte, bereitwillig genug stehen blieben, um mir Guten Tag zu wünschen, dort, wo keiner sie sehen konnte. Und da ich angefangen hatte, den Dialekt zu lernen und die meisten ein, zwei Worte Englisch konnten, begann ich hin und wieder einen Brocken Konversation zu machen. Nicht daß es viel Zweck gehabt hätte, aber das schaffte doch die größte Mißstimmung fort, denn es ist ein elendes Gefühl, wie ein Aussätziger behandelt zu werden.

Zufällig saß ich eines Tages gegen Monatsende am Rande des Busches in dieser Bucht, nach Osten zu, zusammen mit einem Kanaken. Ich hatte ihm eben eine Pfeife Tabak gegeben und wir unterhielten uns so gut wir konnten; ja, er verstand sogar mehr Englisch als die meisten.

Ich fragte ihn, ob es keinen Weg ostwärts gäbe.

»Einmal da Weg gegeben«, sagte er. »Jetzt er tot.«

»Kein Mensch mehr da gehen?« fragte ich.

»Nicht gut da«, sagte er. »Zu viel Teufel da wohnen.«

»Oho!« rief ich. »Busch da also viele Teufel haben?«

»Teufelsmänner, Teufelsfrauen; zu viel Teufel«, sagte mein Freund. »Wohnen da ganze Zeit. Mann, der dort gehen, er nie wiederkommen.«

Ich dachte, wenn der Bursche mit Teufeln so gut Bescheid wüßte und so offen von ihnen redete, was auch nicht häufig vorkam, wäre es vielleicht ganz angebracht, ihn über Uma und mich ein wenig auszuholen.

»Du mich für Teufel halten?« fragte ich.

»Nein, ich nicht glauben,« sagte er beschwichtigend, »ich aber glauben, daß du Narr sein.«

»Uma, sie Teufel?« fragte ich weiter.

»Nein, nein; nicht Teufel. Teufel Busch wohnen,« sagte der junge Mann.

Ich sah vor mich hin über die Bucht und bemerkte plötzlich, wie die herabhängenden Zweige des Waldes beiseite geschoben wurden und Case, Gewehr in Hand, hinaus in den Sonnenschein auf den schwarzen Strand trat. Er hatte helle, fast weiße Pyjamas an, die Flinte blitzte, alles zeichnete sich sehr deutlich ab, und die Landkrebse watschelten hurtig vor ihm her in ihre Löcher.

»Halloh, mein Freund!« sagte ich, »du mir aber nicht Wahrheit sagen. Ese, er gehen, er wiederkommen.«

»Ese anders sein, Ese Tiapolo,« sagte mein Freund; und mit einem hastigen Lebewohl drückte er sich in die Büsche.

Ich beobachtete Case die ganze Zeit über am Strande, solange Ebbe war, und ließ ihn dann vor mir den Weg zurück nach Falesa gehen. Er war tief in Gedanken, und die Vögel schienen das zu wissen, denn sie trotteten dicht vor ihm über den Sand oder umkreisten ihn lärmend. Als er an mir vorbeiging, konnte ich aus den Bewegungen seiner Lippen sehen, daß er mit sich selber redete, und entdeckte, was mir ganz besonderes Vergnügen machte, daß er immer noch die Spuren meiner Hand an seiner Stirne trug. Ich will ehrlich die Wahrheit sagen: ich hatte die Absicht, ihm eine Flintenladung in sein ekliges Gesicht zu geben, aber ich ließ es dann doch sein.

Die ganze Zeit über und während ich ihm nach Hause folgte, sagte ich immer wieder das fremde Wort vor mich her: Ti-a-po-lo.

»Uma,« fragte ich, als ich zu Hause angekommen war, »was bedeutet Tiapolo?«

»Teufel,« sagte sie.

»Ich dachte, Aitu sei dafür das Wort,« sagte ich.

»Aitu andere Art Teufel,« antwortete sie; »er Busch wohnen, Kanaken fressen. Tiapolo großer Hauptteufel, zu Hause wohnen wie Christenteufel.«

»Nun,« sagte ich, »das macht mich auch nicht klüger. Kann Case Tiapolo sein?«

»Nicht selber sein,« sagte sie. »Ese, er Tiapolo gehören; Tiapolo zu sehr lieben; Ese, er sein Sohn. Ese, er was wünschen, dann, Tiapolo, er ihm machen.«

»Das ist aber höchst bequem für Ese,« sagte ich. »Und was tut er denn alles für ihn?«

Da kam dann ein langer Senf von Geschichten zum Vorschein, von denen viele (wie zum Beispiel der Dollar, den er aus Mr. Tarletons Kopf herausgeholt hatte) mir ganz klar waren, dagegen konnte ich aus einigen gar nicht klug werden. Was die Kanaken am meisten in Staunen versetzte, war das, worüber ich mich am wenigsten wunderte – nämlich, daß er sich alleine in die Einode unter die Aitus begab. Einige der Tapfersten hatten ihn aber einmal begleitet und hatten ihn mit den Toten reden und ihnen Befehle erteilen hören und waren dann unter seinem Schutze sicher wieder heimgekehrt. Einige behaupteten, er hätte dort eine Kirche, in der er Tiapolo anbetete und in der Tiapolo ihm erschiene. Andere schworen, daß überhaupt keine Zauberei dabei im Spiele wäre, daß er diese Wunder nur durch die Macht des Gebetes vollbrächte, und die Kirche sei gar keine Kirche, sondern ein Gefängnis, in dem er einen gefährlichen Aitu gefangen hielt. Namu war einmal mit ihm im Busch gewesen und hatte bei seiner Rückkehr Gott ob dieser Wunder gepriesen. Ganz im allgemeinen bekam ich allmählich eine Ahnung, welche Stellung dieser Mann einnahm und mit welchen Mitteln er sie sich erobert hatte, und obwohl ich erkannte, daß es eine harte Nuß zu knacken geben würde, war ich doch keineswegs entmutigt.

»Gut,« sagte ich, »ich werde mir Meister Cases Andachtsstätte einmal selber ansehen, und das mit dem Gott-Preisen wird sich schon finden.«

Aber jetzt wurde Uma ganz außer sich; wenn ich in den hohen Busch ginge, würde ich niemals wiederkehren. Keiner könnte außer unter Tiapolos Schutz dort hingehen.

»Ich werde es unter Gottes Schutz wagen,« sagte ich. »Ich bin ein ganz guter Kerl, Uma, wie so die Menschen nun mal sind, und ich meine, Gott wird mir schon durchhelfen.«

Eine Weile schwieg sie. »Ich glauben,« sagte sie endlich äußerst feierlich und fuhr dann nach einer Welle fort: »Victoreea, er große Häuptling?«

»Und ob!« sagte ich.

»Er dich zu sehr mögen?« forschte sie weiter.

Höchlichst amüsiert, erklärte ich ihr, soviel ich wüßte, hätte die alte Dame eine Vorliebe für mich.

»Gut,« sagte sie. »Victoreea, er große Häuptling, dich sehr viel mögen. Dir nicht helfen kann hier in Falesa – zu weit weg. Maea, er kleine Häuptling – er hier wohnen. Wenn er dich mögen – er alles gut machen. Das ganz wie Gott und Tiapolo. Gott, er große Häuptling – er zuviel Arbeit haben. Tiapolo, er kleine Häuptling – er zu sehr mögen Zauber, er sehr viel arbeiten.«

»Ich werde dich Mr. Tarleton übergeben müssen,« sagte ich. »Deine Theologie scheint mir etwas aus den Fugen, Uma.«

Wie dem auch sei, wir blieben den ganzen Abend bei dieser Geschichte und mit Hilfe der Märchen, die sie mir von der Einöde und den dortigen Gefahren erzählte, erreichte sie's denn auch glücklich, sich in eine Heidenangst hineinzureden. Ich erinnere mich nicht eines Viertels des Ganzen, denn natürlich achtete ich nicht sonderlich darauf; aber zwei davon kommen mir doch wieder ziemlich klar ins Gedächtnis.

Ungefähr sechs Meilen die Küste hinauf liegt eine geschützte Grotte, Fanga-anaana – »der Hafen der Höhlen« genannt. Ich selbst habe sie schon von der Seeseite aus gesehen, soweit ich meine Jungen bewegen konnte, sich an sie heranzuwagen: ein schmaler Streifen gelben Sandes. Schwarze Felsen voll schwarzer Höhlenmündungen beschatten ihn; mächtige Bäume ragen über die Klippen hinweg und schwebende Lianen; und an einer Stelle, ungefähr in der Mitte, ergießt sich ein großer Bach in Kaskaden darüber hin. Nun, einmal fuhr ein Boot dort mit sechs jungen Männern aus Falesa, alle »sehr hübsch«, wie Uma sagte, was ihr Verderben werden sollte. Der Wind blies stark, es gab eine schwere See, und als sie die Höhe von Fanga-anaana erreicht hatten und den weißen Wasserfall und den schattigen Strand sahen, fühlten sie sich alle müde und durstig, und ihr Wasservorrat ging zu Ende. Der eine schlug vor, zu landen und einen Trunk Wasser zu holen, und da es wagemutige Burschen waren, stimmten alle, mit Ausnahme des Jüngsten, zu. Dieser hieß Lotu; es war ein sehr braver und kluger junger Mann, und er hielt ihnen vor, daß es Wahnsinn sei, und erzählte ihnen, der Ort wäre von Geistern und Teufeln und Verstorbenen bewohnt, und nach der einen Richtung gäbe es auf sechs Meilen im Umkreis keine lebende Seele und nach der anderen gar auf zwölf Meilen nicht. Aber sie lachten über seine Worte und da sie fünf gegen einen waren, ruderten sie an Land und zogen das Boot auf den Strand. Es war ein wunderbar angenehmer Ort, erzählte Lotu, und das Wasser sei ausgezeichnet gewesen. Sie spazierten am Strande umher, konnten aber keinen Weg über die Klippen entdecken, was sie noch sorgloser machte, und schließlich setzten sie sich hin, um von dem Essen, das sie mitgebracht hatten, ein Mahl zu kochen. Kaum hatten sie sich gelagert, als aus der Mündung einer der schwarzen Höhlen sechs der schönsten Damen schritten, die sie je gesehen hatten: sie hatten Blumen im Haar und die schönsten Brüste und Halsketten aus scharlachrotem Samen, und sie begannen mit den sechs jungen Männern zu scherzen und die jungen Männer, bis auf Lotu, erwiderten ihre Scherze. Was Lotu anbetrifft, so erkannte er, daß es lebende Frauen an einem solchen Orte nicht geben konnte, und er lief fort, warf sich auf den Boden des Bootes, verbarg sein Gesicht in den Händen und betete. Die ganze Zeit über betete Lotu unaufhörlich, und mehr wußte er nicht zu sagen, bis seine Freunde zu ihm kamen und ihn aufstehen hießen. Und sie stachen wieder in See und verließen die Bucht, die jetzt ganz einsam war, und sprachen kein Wort von den sechs Damen. Aber was Lotu am meisten mit Schrecken erfüllte, war, daß kein einziger sich mehr an das Vorgefallene erinnerte, sondern alle waren wie Trunkene und sangen und lachten im Boot und trieben allerlei Unsinn. Der Wind wurde frischer und blies ganz regelmäßig; und die See stieg außergewöhnlich hoch; es war ein Wetter, das jeden Menschen auf den Inseln bewogen hätte, allem anderen den Rücken zu kehren und schnurstracks heim nach Falesa zu eilen. Aber diese fünf waren wie die Wahnsinnigen, hißten alle Segel und trieben das Boot ins Meer hinaus. Lotu fing an, das Wasser auszuschöpfen; keiner dachte daran, ihm zu helfen, sondern alle sangen und trieben allerlei Unsinn und redeten seltsame Dinge, über das Verständnis der Menschen hinaus, und sie lachten laut, wenn sie sie sagten. Den Rest des Tages über schöpfte Lotu ums liebe Leben und war ganz durchnäßt von Schweiß und kaltem Seewasser, und keiner achtete auf ihn. Wider jedes Erwarten kamen sie während eines furchtbaren Sturmes sicher in Papa-malulu an, wo die Palmen ächzten und die Kokosnüsse wie Kanonenkugeln über die Dorfwiese flogen, und noch am selben Abend erkrankten alle fünf Burschen und sprachen nie wieder ein vernünftiges Wort bis zu ihrem Tode.

»Und willst du damit sagen, daß du eine Geschichte wie diese glatt geschluckt hast?« fragte ich.

Die Sache sei ganz allgemein bekannt, sagte sie mir, und käme bei hübschen jungen Leuten, wenn sie allein wären, sogar häufig vor; aber dies sei der einzige Fall, bei dem fünf an einem Tage und in Gesellschaft durch die Liebe der Teufelsweiber umgekommen wären; es hätte auf der Insel großes Aufsehen erregt und sie würde verrückt werden, wenn ich es ihr nicht glaubte.

»Nun,« sagte ich, »wie dem auch sei, um mich brauchst du keine Angst zu haben. Ich habe für Teufelsweiber nichts übrig. Du bist die einzige Frau, die mir gefällt und bist mir auch Teufel genug, Alte.«

Hierauf antwortete sie, daß es auch noch andere Teufel gäbe, und sie hätte selber mal einen gesehen. Sie war eines Tages allein zur Nachbarbucht gegangen, und war da vielleicht zu nahe an den Rand des verrufenen Ortes geraten. Die Zweige des hohen Buschs hätten sie von der Höhe her überschattet, sie selbst aber wäre draußen auf dem ebenen Strand gewesen, der sehr steinig und ganz mit vier bis fünf Fuß hohen Zwergäpfelbäumen bewachsen sei. Es sei ein düsterer Tag in der Regenzeit gewesen mit dann und wann kurzen Windstößen, die die Blätter von den Bäumen rissen und umherwirbelten, und dann wieder sei es so still gewesen wie in einem Hause. Es sei während einer dieser Windpausen gewesen, als eine ganze Schar Vögel und fliegender Füchse wie aufgeschreckt aus dem Busch gestürzt seien, und nach einer Weile hätte sie es ganz in der Nähe rascheln gehört und hätte am Waldessaum unter den Apfelbäumen etwas in der Gestalt eines mageren alten grauen Ebers gesehen. Während es sich ihr näherte, schien es nachzudenken wie ein Mensch, und plötzlich, als sie es sich beim Näherkommen so recht ansah, merkte sie, daß es gar kein Eber war, sondern ein menschenähnliches Wesen mit menschlichen Gedanken. Da sei sie davongelaufen, und das Schwein ihr immer nach, und beim Laufen hätte es laut gebrüllt, so daß der ganze Ort davon wiedergeklungen hätte.

»Ich wollte, ich wäre dabei gewesen mit meiner Büchse,« sagte ich. »Da hätte das Schwein wohl noch ganz anders gebrüllt, so daß es sich selber gewundert hätte.«

Doch sie sagte mir, eine Büchse hätte gar keinen Zweck dergleichen Dingen gegenüber; das seien die Geister der Toten.

Nun, mit solchen Gesprächen füllten wir den Abend aus, und das war noch das Beste an der Sache. Aber natürlich änderten sie meine Auffassung nicht, und am nächsten Tage machte ich mich mit meiner Flinte und einem guten Messer bewaffnet auf meine Entdeckungsreise. Ich steuerte, so gut ich konnte, auf den Ort los, an dem ich Case hatte herauskommen sehen; denn wenn er wirklich eine Art Niederlassung im Busch hatte, dann rechnete ich damit, einen Pfad dorthin zu finden. Die Stelle, wo die Einöde anfing, war durch eine sogenannte Mauer bezeichnet, denn in Wirklichkeit bestand sie nur aus einem Steinhaufen. Es heißt, daß sie über die ganze Insel läuft, wie man das aber wissen will, ist eine andere Frage, denn ich zweifle, ob jemand in den letzten hundert Jahren den Weg gewandert ist, da die Eingeborenen sich in der Hauptsache ans Meer und an ihre kleinen Kolonien entlang der Küste halten und jener Teil verdammt hoch und steil und felsig ist. Bis an die Westseite der Mauer ist der Boden gerodet und von Kokospalmen, Zwergäpfeln, Agaven und einer Menge Mimosen bewachsen. Gleich dahinter beginnt der eigentliche Busch, und zwar der hohe Busch, mit Bäumen pfeilgerade wie Schiffsmasten und Tauen von herunterhängenden Lianen und häßlichen Orchideen, die wie Pilze in den Gabelungen wachsen. Dort, wo es kein Gesträuch gab, glich der Boden einem Steinhaufen. Ich sah viele grüne Tauben, die ich hätte schießen können, nur daß mir an dem Gedanken nichts lag. Zahlreiche Schmetterlinge wirbelten dicht über dem Boden her, wie tote Blätter; mitunter hörte ich einen Vogelruf, dann wieder nur den Wind über meinem Kopf, und ständig tönte von der Küste her das Meer zu mir herüber.

Aber die Seltsamkeit des Ortes ist schwer zu schildern, es sei denn, daß der andere selbst einmal allein im hohen Busch gewesen ist. Selbst bei hellstem Sonnenschein herrscht dort ständige Dämmerung. Nach keiner Richtung hin kann man bis ans Ende sehen; wo immer man auch hinguckt, versperren einem die Wälder den Blick; die Zweige schließen so dicht übereinander wie die Finger einer Hand, und wann man auch lauscht, immer hört man etwas Neues – Männerstimmen, Kinderlachen, Axtschläge in weiter Ferne und manchmal auch ein eiliges, heimliches Rascheln ganz dicht bei der Hand, das einen zusammenfahren und nach den Waffen greifen läßt. Man hat gut reden und sich vorhalten, daß man ja bis auf die Bäume und Vögel ganz allein ist; man kann's einfach nicht glauben; wo man sich auch hinwendet, scheint der Ort lebendig und voll spähender Augen. Man glaube ja nicht, daß Umas Märchen mich so unruhig machten. Ich gebe keine fünf Pfennige für Eingeborenengeschwätz; es ist etwas ganz Natürliches, wenn man sich im Busch aufhält, und damit gut.

Als ich mich dem Gipfel der Anhöhe näherte – denn hier steigt der Waldboden steil auf wie eine Leiter –, erhob sich ein ständiger Wind, und die Blätter wogten hin und her und öffneten sich stellenweise, um die Sonne durchzulassen. Das paßte mir schon besser; es war ein ganz gleichmäßiges Geräusch und nichts Beunruhigendes. Nun endlich kam ich an einen Platz, wo es ein Unterholz von sogenannter wilder Kokosnuß gab – verdammt hübsch sieht es aus mit seinen scharlachroten Früchten –, als ich ein Singen und Brausen im Winde hörte, wie ich es noch niemals gehört habe. Was nützte es mir, daß ich mir vorzureden suchte, es sei ja nur ein Vogel; ich wußte, daß kein Vogel so singen konnte. Es stieg und schwoll an und erstarb, nur um von neuem wieder anzuschwellen; und dann dachte ich, es klänge wie Weinen, nur viel schöner, und dann wieder wie Harfenmusik. Aber dessen war ich sicher; es war ein gut Teil zu hübsch, um an einem Orte wie diesem geheuer zu sein. Mag man mich ruhig auslachen, ich erkläre ganz offen, mir kamen die sechs jungen Damen mit ihren roten Halsketten aus der Höhle von Fanga-anaana in den Sinn, und ich fragte mich, ob sie wohl auch so sangen. Wir lachen über die Eingeborenen und ihren Aberglauben, aber man bedenke nur, wie viele Weiße davon angesteckt werden, und zwar prachtvoll gebildete Leute, die daheim Buchhalter und (zum Teil) auch Sekretäre und dergleichen waren. Mein Glaube ist, der Aberglauben schießt in den verschiedenen Ländern empor wie die verschiedenen Sorten Unkraut, und während ich so stand und dem Klagen lauschte, zitterte ich am ganzen Leibe.

Man mag mich ruhig einen Feigling nennen, daß ich es so mit der Angst bekam; ich kam mir jedenfalls sehr mutig vor, daß ich trotzdem weiterschritt. Aber ich tat es sehr vorsichtig, mit gespanntem Hahn, die Augen nach Jägerart überall, völlig darauf gefaßt, irgendwo im Busch auf eine hübsche Weibsperson zu stoßen, und fest entschlossen, es in dem Falle mal mit einer Ladung Schrot zu versuchen. Tatsächlich war ich auch nicht weit gekommen, als etwas Merkwürdiges passierte. Der Wind blies mit einem starken Stoß über die Wipfel hinweg, die Blätter vor mir wurden beiseite gefegt, und eine Sekunde lang sah ich etwas über mir in den Bäumen hängen. Im Nu war es wieder fort, der Stoß war vorüber und die Blätter schlossen sich wieder. Ich sage Ihnen die Wahrheit: ich war darauf gefaßt gewesen, einen Aitu zu sehen, und hätte das Ding wie ein Schwein oder eine Frau ausgeschaut, es hätte mich nicht so erschreckt. Das Sonderbare war, daß es wie quadratisch aussah, und der Gedanke an etwas Quadratisches, das lebendig war und sang, warf mich ganz über den Haufen. Ich muß eine ganze Weile still gestanden sein und überzeugte mich, daß das Singen aus demselben Baume herrührte. Dann kam ich wieder zu mir selber.

»Nun,« sagte ich, »wenn es also wirklich wahr ist und das hier ein Ort ist, wo es viereckige, lebende Wesen gibt, die singen, dann bin ich sowieso erledigt. Dann will ich wenigstens etwas für mein Geld haben.« Aber mir fiel ein, ich könnte ja ebensogut einmal ausprobieren, zu was ein Gebet eigentlich nütze wäre. So ließ ich mich denn auf die Knie fallen und betete laut; und die ganze Zeit über kamen die seltsamen Laute aus dem Baum heraus, und stiegen auf und stiegen ab, und änderten sich und glichen nichts in der Welt so sehr wie Musik, – nur konnte man sehen, daß sie nicht von Menschen war – es war ja nichts da, was so pfeifen konnte.

Sowie ich auf anständige Weise zu Ende gekommen war, legte ich meine Flinte weg, klemmte das Messer zwischen die Zähne, schritt stracks auf den Baum los und begann, hinaufzuklettern. Ich kann Ihnen sagen, mein Herz war wie aus Eis. Aber nach einem Weilchen bekam ich wieder ein Endchen von dem Ding da zu Gesicht, und diesmal war ich sehr erleichtert, denn es sah mir ganz wie ein Kasten aus, und als ich oben angekommen war, fiel ich vor Lachen fast vom Baum herunter.

Es war auch wirklich ein Kasten, und obendrein noch eine Kiste für Lichter, mit der Firmenmarke auf der Außenseite, und drinnen waren Mandolinensaiten eingespannt, die im Winde klingen mußten. Ich glaube, man nennt das Zeug eine »Tiroler Harfe« Anmerkung Stevensons: Äolsharfe. oder dergleichen, wenn ich auch nicht weiß, was man damit sagen will.

»Nun, Mr. Case,« sagte ich, »einmal haben Sie mir 'nen Schrecken eingejagt, aber ich wette mit Ihnen, daß es Ihnen 'n zweites Mal nicht gelingt,« und ich glitt den Baum hinunter und machte mich auf die Suche nach meines Feindes Hauptquartier, das nach meiner Meinung nicht weit weg sein konnte.

Das Unterholz war an dieser Stelle dicht; ich konnte nicht weiter als meine Nase sehen und mußte mir meinen Weg mit Gewalt erzwingen, wobei ich das Messer gebrauchte, die Stränge der Lianen durchschnitt und ganze Bäume mit einem Hieb niedersäbelte. Ich nenne sie Bäume, wegen ihrer Größe, aber in Wirklichkeit war es nur Riesenunkraut und beim Durchschneiden so saftig wie eine Möhre. Von dieser ganzen dichten Vegetation, dachte ich mir, war dieser Ort vielleicht einmal gesäubert gewesen, als ich über einem Haufen Steine auf die Nase purzelte, und ich erkannte im Augenblick, es war ein Werk von Menschenhand. Gott allein weiß, wann er errichtet und im Stich gelassen wurde, denn dieser Teil der Insel hat lange, ehe die Weißen herkamen, unberührt dagelegen. Wenige Schritte dahinter stieß ich auf den Pfad, den ich suchte. Er war schmal, aber ausgetreten, und ich sah, daß Case viele Anhänger hatte. Es scheint in der Tat als eine Art schickes Wagnis gegolten zu haben, sich mit dem Händler hier heraus zu getrauen, und ein Bursche hielt sich erst dann für erwachsen, wenn er erstens: seinen Hintern tätowiert und zweitens: Cases Teufel gesehen hatte. Das sieht den Kanaken wieder mal ähnlich; wenn man's allerdings von der anderen Seite betrachtet, machen es die Weißen eigentlich auch nicht viel besser.

Ein Stückchen weiter runter blieb ich wie angenagelt stehen und mußte mir die Augen reiben. Vor mir stand eine Mauer, der Pfad führte durch eine Bresche hindurch. Sie war verfallen und offenbar sehr alt, aber aus großen, sehr gut vermauerten Steinen. Auf der ganzen Insel gibt es keinen Polynesier, der heute so etwas bauen könnte. Rings auf der Kante waren seltsame Figuren aufgereiht, Götzen oder Vogelscheuchen oder was weiß ich. Sie hatten geschnitzte und bemalte, greuliche Gesichter; Augen und Zähne waren aus Muscheln, ihre Haare und grellen Kleider wehten im Winde, und einige schwankten von der Brise hin und her. Im Westen da unten gibt es Inseln, wo sie auch heute noch diese Art Figuren machen, aber wenn sie mal früher hier hergestellt wurden, so ist der Brauch heute ganz in Vergessenheit geraten, und sogar die Erinnerung daran ist schon lange ausgelöscht. Das Seltsamste aber war, daß alle diese Popanze so frisch waren wie Spielzeug, das eben erst aus dem Laden heraus ist.

Da fiel mir ein, daß Case mir am ersten Tage gegenüber hatte durchblicken lassen, daß er polynesische Kuriositäten gut nachzumachen verstünde, eine Sache, die manchem Händler schon einen ehrlichen Groschen Geld eingebracht hat. Und damit war mir die ganze Sache klar, und wie diese Schaustellung dem Kerl einen doppelten Zweck erfüllte: erstens einmal, seinen Kuriositäten 'nen richtigen, verwitterten Anstrich zu geben, und zweitens, seinem Besucher zu imponieren.

Aber ich muß noch das Allerseltsamste erzählen, nämlich, daß während der ganzen Zeit die Tiroler Harfen um mich herum in den Bäumen dudelten, und noch während ich zuschaute, kam ein grün und gelber Vogel (der wahrscheinlich beim Nestbau beschäftigt war) und fing an, einer der Figuren Haare auszureißen.

Noch weiter unten entdeckte ich die beste Kuriosität in dem ganzen Museum. Das erste, was ich davon zu sehen bekam, war ein länglicher Erdhaufen mit einem Knick in der Mitte. Nachdem ich mit den Händen die Erde abgekratzt hatte, fand ich darunter ein Stück Öltuch über Brettern ausgebreitet, ganz offenbar die Decke zu einem Keller. Er war oben auf dem Hügel gelegen, und der Eingang auf der entgegengesetzten Seite zwischen zwei Felsen eingeklemmt, wie der Eingang zu einer Höhle. Ich ging bis zu dem Knick und sah, als ich um die Ecke blickte, eine leuchtende Fratze. Sie war groß und häßlich, wie eine Pantomimenmaske, und der Schein wurde bald stärker, bald schwächer, und bisweilen rauchte es.

»Aha!« sagte ich, »Phosphorfarbe!«

Ich muß sagen, eigentlich bewunderte ich des Mannes Erfindungsgabe. Mit Hilfe eines Werkzeugkastens und einiger höchst einfacher Mittelchen hatte er einen ganz verfluchten Tempel zusammengebracht. Jeder arme Kanake, der hier in der Dunkelheit hergebracht wurde, während die Harfen um ihn her winselten, und dem man das rauchende Gesicht da unten in dem Loche zeigte, konnte nicht im geringsten zweifeln, daß er auf Lebenszeit genug von Teufeln zu sehen und zu hören bekommen hatte. Es ist ganz leicht, zu erfahren, was die Kanaken so denken. Man braucht sich ja bloß ein bißchen zurückzuversetzen in die Zeit, als man so zehn, fünfzehn Jahre alt war, und man hat 'nen Durchschnittskanaken vor sich. Es gibt unter ihnen fromme, gerade so wie es auch fromme Jungens gibt; und die meisten sind, auch ganz wie die Jungens, nur mäßig ehrlich und finden das Stehlen eigentlich einen Mordsspaß, sind leicht erschreckt und lassen sich auch gerne erschrecken. Ich weiß noch von einem Jungen in der Schule, der solche Case-Scherzchen mit Vorliebe trieb. Wissen tat er gar nichts, der Bengel, können auch nichts; er hatte keine Phosphorfarben und keine Tiroler Harfen. Er erklärte nur ganz rundweg heraus, er sei ein Zauberer, und machte uns halb verrückt vor Angst, und wir hatten es gern. Und dann fiel mir plötzlich ein, wie der Lehrer den Jungen einmal durchgeprügelt hatte und wie erstaunt wir alle waren, daß der Zauberer auch ordentlich Senge bekam wie jeder erstbeste. Da meinte ich: »Ich muß doch herausfinden, wie ich dem Case eins drehen kann.« Und schon hatte ich meine Idee.

Ich ging den Weg zurück, der, wenn man ihn einmal entdeckt hatte, ganz leicht zu finden und sehr gut zu gehen war; und als ich auf den schwarzen Strand hinaustrat, wer lief mir da in den Weg, wenn nicht Meister Case in höchsteigener Person? Ich spannte mein Gewehr und hielt es bei der Hand, und wir marschierten aufeinander los und aneinander vorbei, ohne ein Wort zu reden. Kaum waren wir aber vorüber, als wir uns auch schon umdrehten, so prompt wie die Soldaten beim Exerzieren, und Auge in Auge gegenüberstanden. Beide hatten wir den gleichen Gedanken gehabt, wissen Sie, nämlich, daß der eine dem anderen eine Ladung Blei von hinten draufbrennen könnte.

»Sie haben heute nichts geschossen«, sagte Case.

»Ich bin heute nicht auf Jagd aus«, sagte ich.

»Nun, der Teufel soll Sie holen, was mich betrifft«, sagte er.

»Ich wünsche Ihnen das gleiche«, sagte ich.

Aber wir blieben genau dort stehen, wo wir waren; keine Angst, daß einer von uns sich vom Flecke rührte. Case lachte. »Wir können doch nicht den ganzen Tag hier stehen bleiben«, sagte er.

»Lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten«, sagte ich. Wieder lachte er. »Hören Sie mal, Wiltshire, halten Sie mich für einen Dummkopf,« fragte er.

»Eher für einen Schuft, wenn Sie's denn wissen wollen«, sagte ich.

»Nun, glauben Sie etwa, es könnte mir von Nutzen sein, wenn ich Sie hier am offenen Strand erschieße?« sagte er. »Ich nicht. Die Leute kommen jeden Tag her zum Fischen. Vielleicht sind einige Dutzend von ihnen schon in dem Tale dort bei der Kopraernte oder ein anderes halbes Dutzend auf der Anhöhe da hinter Ihnen, nach Wildtauben her. Sie können uns in dieser Minute beobachten, es würde mich gar nicht wundern. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Sie nicht erschießen will. Weshalb sollte ich das auch? Sie sind mir gar nicht im Wege. Sie besitzen außer dem, was Sie mit Ihren eigenen Händen wie ein Negersklave selbst geerntet haben, nicht ein Pfund Kopra. Sie vegetieren ja nur – ja, so nenn' ich's – und mir ist es ganz gleichgültig, wo Sie vegetieren und auf wie lange. Geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie nicht die Absicht haben, mich zu erschießen, und ich gehe voran und mache, daß ich fortkomme.«

»Nun,« sagte ich, »Sie sind offen und liebenswürdig, nicht wahr? Und ich werde es auch sein. Ich habe nicht die Absicht, Sie heute zu erschießen. Weshalb sollte ich auch? Diese Sache hat erst angefangen; sie ist noch nicht zu Ende, Mr. Case. Etwas haben Sie von mir schon abgekriegt; ich sehe noch heute die Spuren meiner Knöchel auf Ihrer verdammten Stirn, und ich habe mehr für Sie in Vorbereitung. Ich bin kein Krüppel wie Underhill. Ich heiße auch nicht Adams und nicht Vigours, und ich beabsichtige, Ihnen zu zeigen, daß Sie an einen Ebenbürtigen geraten sind.«

»Das sind alberne Redensarten«, sagte er. »Auf diese Weise werden Sie mich hier nicht wegkriegen.«

»Schön,« sagte ich, »bleiben Sie, wo Sie sind. Ich habe es nicht eilig, das wissen Sie ja. Ich kann ganz ruhig einen Tag hier am Strande zubringen, ohne daß es mir was ausmacht. Ich habe keine Kopra, die mir wegläuft. Ich habe auch keine Phosphorfarbe, um die ich mich kümmern muß.«

Es tat mir leid, letzteres gesagt zu haben, aber es entschlüpfte mir, ehe ich es wußte. Ich konnte sehen, wie es ihm den Wind aus den Segeln nahm, und er stand und starrte mich an mit hochgezogenen Augenbrauen. Dann entschloß er sich wohl, der Sache auf den Grund zu gehen.

»Ich nehme Sie beim Wort«, sagte er, drehte sich um und spazierte geradeswegs auf den Teufelsbusch los.

Ich ließ ihn natürlich laufen, denn ich hatte ja mein Wort gegeben. Aber ich beobachtete ihn, solange er noch zu sehen war, und als er verschwand, rannte ich nach Deckung so rasch, wie man es sich nur wünschen konnte, und ging den übrigen Teil des Weges dicht am Busch entlang gedrückt, denn ich traute ihm nicht für fünf Pfennige. Eines war mir klar: ich war ein Esel gewesen, ihn gewarnt zu haben, und das hieß, daß ich, was ich vorhatte, sofort tun mußte.

Man hätte meinen sollen, an Aufregungen hätte ich für den Morgen genug gehabt, aber mir stand noch eine bevor. Sowie ich weit genug um die Landzunge herumgekommen war, um meines Hauses ansichtig zu werden, erkannte ich, daß Fremde dort waren; noch ein paar Schritte, und es konnte überhaupt kein Zweifel darüber herrschen. Einige bewaffnete Posten hockten vor meiner Tür. Ich konnte nur annehmen, daß die Sache mit Uma jetzt zum Klappen gekommen war und daß man die Station besetzt hätte. Was wußte ich, ob sie Uma nicht schon weggeführt hatten und ob die bewaffneten Männer nicht auf der Lauer lagen, um dasselbe mit mir zu tun.

Als ich jedoch näher kam, was im Eiltempo geschah, sah ich, daß ein dritter Insulaner wie ein Gast auf der Veranda Platz genommen hatte und daß Uma als liebenswürdige Wirtin sich mit ihm unterhielt. Noch näher gekommen, erkannte ich den großen jungen Häuptling Maea und daß er abwechselnd lächelte und rauchte. Und was rauchte er gar? Keine von den europäischen Zigaretten, die man nicht mal 'ner Katze anbieten kann, auch nicht den dicken, echten, zum Umwerfen starken einheimischen Artikel, der zur Not, wenn einem die Pfeife kaputt gegangen ist, ganz gut als Zeitvertreib herhält, – sondern eine Zigarre, und zwar eine von meinen Mexikanern, darauf hätte ich schwören können. Bei diesem Anblick fing mein Herz heftig an zu klopfen und eine wilde Hoffnung packte mich, daß das Unglück nun ein Ende genommen hätte und daß Maea zu Besuch gekommen wäre.

Uma zeigte mich ihm, während ich näher kam, und er ging mir wie ein echter Gentleman bis zu meiner eigenen Treppe entgegen.

»Vilivili,« sagte er, – das war noch das Beste, was sie aus meinem Namen machen konnten – »ich mich freuen.« Eins ist klar – will ein Insulanerhäuptling höflich sein, so versteht er sich darauf. Ich kapierte vom ersten Worte an, was los war. Uma brauchte mir gar nicht erst zu erklären: »Er nicht mehr fürchten Ese; er kommen Kopra bringen.« Ich sage Ihnen, ich machte mit dem Kanaken da shakehands, wie mit dem feinsten Gentleman Europas.

Tatsache war, daß er und Case hinter demselben Mädel herwaren, oder daß Maea es wenigstens vermutete und darum beschloß, bei erster Gelegenheit mit Case aufzuräumen. Er hatte sich also angezogen, hatte ein paar seiner Anhänger herausgeputzt und bewaffnet, um die Sache ein bißchen mehr publik zu machen, hatte gewartet, bis Case das Dorf verlassen hatte, und war herumgekommen, um sein ganzes Geschäft mir anzubieten. Und er war ebenso reich wie mächtig. Der Mann da war wohl rund seine fünfzigtausend Nüsse im Jahre wert. Ich bewilligte ihm also den ortsüblichen Preis und noch ein Viertel Cent mehr, und was Kredit anbetrifft, ich hätte ihm mein ganzes Lager und die Ausrüstung noch obendrein vorgeschossen, so freute ich mich, ihn zu sehen. Er kaufte auch wie ein Gentleman, das muß ich sagen; Reis und Konserven und Cakes, um für ein achttägiges Fest auszuhalten, und Stoffe, nur so ballenweise. Er war außerdem sehr liebenswürdig: mit einer gehörigen Portion Humor, und wir saßen eine ganze Weile und tauschten Witze aus, meistens allerdings durch die Dolmetscherin, denn er konnte nur wenig Englisch, und mein Insulanisch war immer noch nicht so, um damit renommieren zu können. Das eine wurde mir klar: er hatte Uma niemals für sonderlich gefährlich gehalten und konnte auch nie viel Angst gehabt haben, sondern hatte aus Schlauheit mitgemacht, und weil er glaubte, daß Case einen starken Einfluß im Dorf ausübte und ihm helfen könnte.

Das brachte mich auf den Gedanken, daß wir beide, er und ich, uns in einer ziemlichen Klemme befanden. Was er getan hatte, war dem ganzen Dorfe zum Trotz geschehen und konnte ihm sein Ansehen kosten. Ja, mehr noch, nach meiner Unterredung mit Case am Strande war ich eigentlich überzeugt, daß es mir im Notfalle sogar das Leben kosten würde. Case hatte ziemlich deutlich durchblicken lassen, daß er mich auslöschen würde, wenn ich jemals irgendwelche Kopra bekäme; bei seiner Rückkehr würde er entdecken, daß das beste Geschäft im Dorf in andere Hände übergegangen war; und das Klügste, was ich machen konnte, war, zu sehen, daß ich ihm mit dem Auslöschen zuvorkam.

»Paß mal auf, Uma,« sagte ich, »sage ihm, es hätte mir leid getan, daß er hätte warten müssen, daß ich aber inzwischen Cases Tiapololaden im Busch inspiziert hätte.«

»Er wollen savvy, ob du nicht haben Angst?« übersetzte Uma.

Ich lachte laut los. »Nicht viel!« sagte ich. »Sage ihm, die ganze Geschichte sei ein verdammter Spielzeugladen und nichts weiter! Sage ihm, in England gäben wir dergleichen Kram den Rangen, um damit zu spielen.«

»Er wollen savvy, ob du Teufel hören singen?« fragte sie weiter.

»Hör mal,« sagte ich, »ich kann's ihm jetzt nicht vormachen, da ich keine Mandolinensaiten auf Lager habe; aber das nächste Mal, daß das Schiff anlegt, werde ich eine von den Einrichtungen gleich hier an meiner Veranda anbringen, und dann kann er selbst sehen, wieviel Teuflisches daran ist. Sage ihm, sobald ich Saiten kriege, werde ich ihm eine für seine Piccaninnies machen. Der Name dafür ist »Tiroler Harfe«; und du kannst ihm sagen, auf Englisch hieße das, daß keiner außer ausgemachten Idioten nur einen Cent dafür hergibt.«

Diesmal war er so erfreut, daß er es wieder einmal auf Englisch versuchte. »Du Wahrheit reden?« fragte er.

»Und ob!« sagte ich. »Wahr wie die Bibel. Bring mal 'ne Bibel her, Uma, wenn du so 'ne Sache hast, und ich werde sie küssen. Oder ich sag dir, was noch besser ist,« meinte ich, einen Anlauf nehmend, »frag ihn, ob er Angst hat, bei Tage selbst dorthin zu kommen?«

Es schien, als wäre dem nicht so; er würde sich in meiner Gesellschaft so weit schon hinauswagen.

»So ist's recht!« sagte ich. »Erzähl ihm, der Mann wäre ein Schwindler und der ganze Ort Mumpitz, und wenn er morgen mit mir dorthin will, würde er sehen, was noch davon übrig geblieben wäre. Aber sage ihm eins, Uma, und sieh zu, daß er's kapiert: Wenn er nicht den Mund hält, wird es unbedingt Case zu Ohren kommen, und dann bin ich ein toter Mann! Ich spiele jetzt sein Spiel, sag ihm das, und wenn er auch nur ein Wort davon ausplaudert, wird mein Blut an seiner Schwelle kleben und ihm für jetzt und später zur Verdammnis gereichen.«

Sie sagte es ihm, und er schüttelte mir darauf kräftig die Hand und erklärte: »Ich nicht reden. Morgen hingehen. Du mein Freund?«

»Nee, Herr,« sagte ich, »keinen Unsinn, bitte. Ich bin hierher gekommen, um Geschäfte zu machen, nicht um Freundschaft zu schließen. Aber was Case anbetrifft, so werde ich den Mann schon in die Ewigkeit expedieren!«

Damit zog Maea davon, und zwar höchst befriedigt, wie ich sehen konnte.


 << zurück weiter >>