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Erstes Kapitel

Eine Hochzeit in der Südsee

Ich sah jene Insel zum erstenmal, als es weder Nacht noch Morgen war. Der Mond war im Westen, am Untergehen, aber immer noch groß und hell. Im Osten, gerade mittschiffs des Morgenhimmels, der ganz rosa leuchtete, funkelte wie ein Diamant der Morgenstern. Der Landwind blies uns ins Gesicht mit einem starken Geruch von wilden Zitronen und Vanille und von noch anderen Dingen, aber diese traten am stärksten hervor, und seine Kühle brachte mich zum Niesen. Ich muß doch sagen, daß ich jahrelang auf einer flachen Insel in der Nähe des Äquators gelebt hatte, zumeist einsam unter Eingeborenen. Hier war also etwas Neues; selbst die Sprache würde mir fremd sein, und der Anblick dieser Wälder und Berge und ihr seltener Geruch verjüngten mein Blut.

Der Kapitän blies die Kompaßlampe aus.

»Da,« sagte er, »da ist ein Rauchwölkchen, Mr. Wiltshire, dort hinter der Brandung des Riffs. Das ist Falesa, wo Ihre Station ist, das letzte Dorf nach Osten zu; nach der Windseite hin ist es unbewohnt, – warum, weiß ich nicht. Nehmen Sie mein Glas, dann werden Sie die Häuser unterscheiden können.«

Ich nahm das Glas, und die Ufer sprangen mit einem Ruck näher; ich sah das Gewirr der Wälder und die Bresche, die die Brandung bildete, und die braunen Dächer und das schwarze Innere der Häuser guckten aus den Zweigen hervor.

»Sehen Sie das Stückchen Weiß dort nach Osten zu?« fuhr der Kapitän fort. »Das ist Ihr Haus. Aus Korallen gebaut; hoch gelegen; eine Veranda, auf der drei Mann nebeneinander spazierengehen können; beste Station im ganzen südlichen Pazifik. Als der alte Adams es sah, nahm er meine Hand und schüttelte sie. »Ich hab mich hier in ein weiches Nest gesetzt«, sagte er. »Das haben Sie wirklich,« sagte ich, »und es war auch Zeit!« Der arme alte Johnny! Hab ihn nur ein einziges Mal wiedergesehen, und da sang er ein anderes Lied, – könnte mit den Eingeborenen nicht fertig werden, oder mit den Weißen, oder mit sonst jemandem; und als wir das nächste Mal herumkamen, war er schon tot und begraben. Hab ihm so eine Art Kreuz gesetzt: ›John Adams, obit 1868. Gehet hin und tuet desgleichen!‹ Habe den Mann vermißt. Hatte niemals etwas an Johnny auszusetzen.«

»Woran ist er denn gestorben?« fragte ich.

»An irgend so 'ner Krankheit«, sagte der Kapitän. »Soll ihn ganz plötzlich gepackt haben. Soll in der Nacht aufgestanden sein und sich mit Betäubungskram und mit Kennedys Allerweltsheilmittel vollgesoffen haben. Alles umsonst; war über Kennedy hinaus. Dann versuchte er eine Kiste Gin aufzumachen. Wieder umsonst; war schon zu schwach. Dann muß er es aufgegeben haben, auf die Veranda hinausgelaufen und übers Geländer gefallen sein. Als sie ihn am Morgen fanden, war er komplett verrückt – schwatzte in einem fort, daß man ihm seine Kopra gewässert hätte. Armer John!«

»Glaubte man, die Insel sei dran schuld?« fragte ich.

»Tja, die Insel, oder das Leiden oder sonst etwas«, war seine Antwort. »Habe aber nie was anderes gehört, als daß es ein sehr gesunder Ort sein soll. Unser letzter Mann, Vigours, war immer munter wie 'n Fisch. Er ist gegangen wegen des Strandes – meinte, er fürchte sich vor dem Schwarzen Jack und vor Jimmy, dem Pfeifer, der damals noch am Leben war, wenn er auch kurz darauf in der Besoffenheit ertrank. Und was den alten Kapitän Randall betrifft, der ist seit gut und gerne 1840–45 hier. Hatte nie was an Billy auszusetzen, auch keine Veränderung. Sieht ganz so aus, als könnte er noch alt wie Methusalem werden. Nein, es wird hier schon ganz gesund sein.«

»Da kommt ein Boot heran«, sagte ich. »Schnurstracks durch die Engen; scheint ein sechzehn Fuß langer Walfischfänger zu sein. Zwei Weiße im Achtersitz.«

»Das ist das Boot, mit dem Jimmy der Pfeifer ertrunken ist«, rief der Kapitän. »Ja, das ist Case und der Schwarze, wahrhaftig. Einen Ruf haben Sie, – reif für den Galgen, aber Sie wissen ja, wie hier am Strande geklatscht wird. Meine Meinung ist, daß Jimmy der größte Sünder war, und der ist ja glücklich heimgegangen. Was wollen Sie wetten, daß sie nach Gin aus sind? Lege fünf zu zwei, daß sie sechs Kisten nehmen.« Als die beiden Händler an Bord kamen, gefiel mir ihr Aussehen sofort, das heißt, das Aussehen gefiel mir von beiden, aber die Rede nur bei dem einen. Ich war nach meinen vier Jahren am Äquator, die ich stets als eine Art Gefangenschaft gerechnet hatte, ganz krank nach weißen Nachbarn. Hatte es satt, mit Tabu belegt zu werden, ins Sprechhaus zu gehen, ihn von mir nehmen zu lassen, Gin zu kaufen und mir einen tollen Abend zu machen und ihn dann zu bereuen; satt, nachts allein im Hause zu hocken mit nur der Lampe als Gesellschaft, oder am Strande spazieren zu gehen und mich zu wundern, welche Art von Narr ich wäre, da zu sein, wo ich war. Es gab keine anderen Weißen auf meiner Insel, und wenn ich zu der nächstliegenden hinübersegelte, waren es zumeist auch nur üble Gesellen. Diese beiden Männer jetzt an Bord kommen zu sehen, war mir also eine Freude. Der eine war ja zwar ein Neger, aber beide waren fein angezogen in gestreiften Pyjamas und Strohhüten, und Case hätte sich in jeder Stadt sehen lassen können. Er war von gelber Hautfarbe und eher klein als groß, mit einer Habichtsnase, blassen Augen und einem mit der Schere gestutzten Bart. Kein Mensch wußte, woher er kam, außer daß er von Hause aus Englisch redete, und es war klar, daß er von guter Familie war und fabelhaft gebildet. Er hatte auch Talente, spielte erstklassig Ziehharmonika, und wenn man ihm einen Bindfaden oder einen Korken oder ein Spiel Karten gab, konnte er einem Tricks zeigen wie ein Mann vom Fach. Er konnte reden, wenn er wollte, so fein wie in einem Salon; und wenn er wollte, verstand er zu fluchen, schlimmer als ein Yankee Bootsmann, und zu renommieren, daß einem Kanaken übel werden konnte. Wie es sich im Augenblick am besten bezahlt machte, so redete Case, und es kam ihm stets ganz natürlich, wie wenn er dazu geboren wäre. Er hatte den Mut eines Löwen und die Schlauheit einer Ratte, und wenn er nicht heute in der Hölle sitzt, gibt es keinen solchen Ort. Eine einzige gute Seite kenne ich an dem Mann: er liebte seine Frau und behandelte sie anständig. Sie war eine Samoanerin und färbte ihre Haare rot, nach Samoanermode; und als er zu sterben kam (wie ich noch erzählen werde), entdeckten sie eine seltsame Sache – er hatte ein Testament gemacht wie 'n richtiger Christenmensch, und die Witwe kriegte den ganzen Krempel: alles, was ihm gehörte, sagen sie, und alles vom Schwarzen Jack und das meiste von Kapitän Randall noch dazu, denn Case war es, der die Bücher führte. So fuhr sie denn auf dem Schoner ›Manua‹ nach Hause und spielt bis auf den heutigen Tag in ihrer Heimat die große Dame.

Aber von alledem wußte ich an jenem Morgen nicht mehr als eine Fliege. Case behandelte mich wie 'nen Gentleman und 'nen Freund, hieß mich in Falesa willkommen und stellte mir seine Dienste zur Verfügung, was um so hilfreicher war, als ich kein Wort von der Sprache kannte. Den größeren Teil des Tages über begossen wir unsere Bekanntschaft in der Schiffskabine, und niemals habe ich jemanden mehr zur Sache reden hören. Es gab keinen smarteren Händler und auch keinen gerisseneren im ganzen Archipel. Mir kam Falesa ganz annehmbar vor; je mehr ich trank, um so leichter wurde mir's ums Herz. Unser letzter Händler war ohne jede vorherige Ankündigung, innerhalb einer halben Stunde von dort geflohen und hatte auf gut Glück in einem vom Westen kommenden Arbeiterschiff Passage genommen. Der Kapitän hatte bei seiner Ankunft die Station geschlossen gefunden, die Schlüssel bei dem Eingeborenenpastor und einen Brief von dem Flüchtling vorgefunden mit dem Geständnis, daß er vor Furcht den Verstand verloren hätte. Seitdem war die Firma hier nicht vertreten, und natürlich hatte es auch keine Ladungen zu versenden gegeben. Im übrigen war der Wind gut; der Kapitän hoffte bei günstiger Strömung noch bis zur Morgendämmerung die nächste Insel zu erreichen, und das Ausschiffen meiner Waren wurde nicht auf die lange Bank geschoben. Es hätte keinen Zweck, meinte Case, daß ich dazwischenpfusche; niemand würde meine Sachen anrühren, alle wären sie ehrlich in Falesa, höchstens daß mal ein Huhn oder ein loses Messer oder ein Quäntchen Tabak abhanden käme. Am gescheitesten bliebe ich ruhig sitzen bis zur Abfahrt des Schiffes, dann sollte ich nur mit ihm gehen, um den alten Kapitän Randall, den Vater des Strandes, zu besuchen, mitessen, was es gerade gäbe, und bei Dunkelheit nach Hause gehen und mich ausschlafen. So wurde es denn Mittag, und der Schoner hatte bereits Anker gelichtet, ehe ich in Falesa an Land ging.

Ich hatte an Bord ein Gläschen oder zwei genehmigt, hatte eben erst eine lange Fahrt hinter mir, und so schaukelte denn der Boden unter meinen Füßen wie ein Schiffsdeck. Die Welt war wie frisch gemalt; ich schritt wie zur Musik; Falesa hätte das Seemannsparadies sein können, wenn es so etwas gibt, und schade, wenn dem nicht so ist! Es war gut, unterm Fuß das Gras zu fühlen, aufzublicken nach den grünen Bergen, die Männer mit ihren grünen Kränzen zu sehen und die Weiber in ihren bunten Kleidern, rot und blau. Weiter ging's in der starken Sonne und im kühlen Schatten, und beides war schön; und sämtliche Kinder im Dorf trotteten hinter uns drein mit ihren rasierten Köpfen und braunen Leibern und ließen eine Art Hurra hinter uns ertönen, wie krähendes Geflügel.

»Übrigens müssen wir Ihnen eine Frau verschaffen«, sagte Case.

»Natürlich,« sagte ich, »das hatte ich ganz vergessen.« Um uns war ein Schwarm von Mädchen, und ich richtete mich auf und musterte sie wie ein Pascha. Sie waren alle im Putz, um das Schiff zu feiern, und die Weiber von Falesa sind eine bildhübsche Gesellschaft. Wenn sie einen Fehler haben, dann ist's, daß sie etwas zu breit in den Hüften sind, und das war gerade mein Gedanke, als mich Case berührte.

»Die ist hübsch«, sagte er.

Ich sah eine ganz allein auf der anderen Seite daherkommen. Sie war beim Fischen gewesen, trug nichts als ein Hemd, und das war ganz naß. Sie war jung und für ein Mädchen von den Inseln sehr schlank, mit länglichem Gesicht, hoher Stirn und einem scheuen, seltsamen, halb leeren Blick, halb wie von 'ner Katze, halb wie von 'nem Baby.

»Wer ist die da?« fragte ich. »Die wäre recht.«

»Das ist Uma«, sagte Case, und er rief sie heran und sprach mit ihr in ihrer Sprache. Ich verstand nicht, was er sagte, aber mitten drin sah sie zu mir auf, rasch und schüchtern, und dann wieder an sich herunter und lächelte schließlich. Sie hatte einen breiten Mund mit Lippen und Kinn wie bei 'ner Statue; das Lächeln war nur für einen Moment da und dann gleich wieder ausgelöscht. Dann hörte sie mit gesenktem Kopf Case bis zum Ende zu, antwortete mit ihrer hübschen polynesischen Stimme und schoß dann mit 'ner Verbeugung davon. Ich bekam nur ein wenig von der Verbeugung ab, aber keinen einzigen, flüchtigen Blick, und von Lächeln war gar keine Rede mehr.

»Glaube, die Sache ist in Ordnung,« sagte Case. »Glaube, Sie können sie haben. Mit der alten Dame erledige ich die Sache schon. Für 'ne Prim Tabak kriegen Sie jede,« fügte er mit üblem Lächeln hinzu.

Es war wohl das Lächeln, das an mir kleben blieb, denn ich antwortete ihm scharf. »Sie sieht aber nicht so aus,« rief ich.

»Will damit auch nichts gesagt haben,« sagte Case.

»Soviel ich weiß, ist sie richtig, wie die Post. Ist immer alleine, treibt sich nicht mit der Bande herum und so weiter. Nein, nein, Sie dürfen mich nicht mißverstehen – Uma ist allright.« Er sprach voll Eifer, wenigstens kam's mir so vor, und das gefiel mir. »Ich wär auch garnicht so sicher, daß Sie sie bekommen können,« fuhr er fort, »wenn Ihre Visage ihr nicht gefallen hätte. Sie haben jetzt nichts weiter zu tun, als sich hübsch still zu verhalten und mich aus meine Weise mit der Mama fertig werden zu lassen, und dann bring ich das Mädel zur Heirat hinaus zum Kapitän.«

Das Wort »Heirat« wollte mir nicht so recht gefallen, und ich sagte es ihm auch.

»O, die Heirat ist doch ganz harmlos,« sagte er, »der Schwarze Jimmy ist der Pfaffe.«

Inzwischen hatten wir das Haus dieser drei Weißen zu Gesicht bekommen; denn ein Neger wird als Weißer gerechnet und ein Chinese ebenfalls! Eine sonderbare Idee, die in den Inseln aber ganz gebräuchlich ist. Es war ein Holzhaus mit einem Stückchen wackliger Veranda. Der Laden lag nach vorne heraus, mit Ladentisch, Wage und der denkbar erbärmlichsten Warenauswahl: ein oder zwei Kisten Fleischkonserven, ein Faß harten Brotes, ein paar Ballen Baumwollzeug – mit meinem überhaupt nicht zu vergleichen; das einzige, was gut vertreten war, war die Konterbande: Waffen und Spirituosen. »Wenn das meine einzigen Konkurrenten sind,« dachte ich, »müßte ich in Falesa ganz gute Geschäfte machen.« In Wirklichkeit konnten sie mir überhaupt nur in einem Punkte nahe kommen, und das war bei den Gewehren und dem Alkohol.

Im Hinterzimmer kauerte der alte Kapitän Randall nach Eingeborenenart auf dem Fußboden, dick und bleich, nackt bis zu den Hüften, grau wie 'n Dachs und mit Augen stur vom Trunk. Sein Körper war mit grauen Haaren und mit den darüber hinkriechenden Fliegen ganz bedeckt. Die eine saß ihm am Auge – er beachtete sie gar nicht, und die Mücken umsummten den Mann wie Bienen. Jeder sauber denkende Kerl hätte das Geschöpf sofort herausgeschafft und begraben lassen; bei dem Gedanken, daß er siebzig Jahre alt war und mal ein Schiff kommandiert hatte und in seinen patenten Kleidern an Land gegangen und in Bars und Konsulaten herumstolziert war und auf Klubveranden gesessen hatte, wurde mir schlecht und nüchtern zugleich.

Er versuchte aufzustehen, als ich hereintrat, aber die Sache war hoffnungslos; so streckte er mir statt dessen die Hand hin und plärrte irgend eine Begrüßung.

»Papa ist ziemlich voll heut morgen«, bemerkte Case. »Wir haben 'ne Epidemie hier gehabt und Kapitän Randall trinkt Gin als Prophylaktikum, – nicht wahr, Papa?«

»Hab in meinem Leben nicht so 'n Zeug getrunken!« schrie der Kapitän empört. »Trinke nur aus Gesundheitsgründen Gin, Mr. –, wie Sie auch heißen mögen, – nur zur Vorsicht.«

»Schon gut, Papa«, sagte Case. »Aber du mußt dich 'n bißchen zusammennehmen. Es soll 'ne Hochzeit geben – hier Mr. Wiltshire soll dran glauben.«

Der Alte fragte, wen ich denn heiraten wollte.

»Uma,« sagte Case.

»Uma!« rief der Kapitän. »Weshalb will er denn die Uma? Ist er denn zur Erholung hierhergekommen? Was zum Teufel will er denn die Uma heiraten?«

»Halt's Maul, Papa«, sagte Cafe. »Du sollst sie doch nicht heiraten, und soviel ich weiß, bist du auch nicht ihr Patenonkel. Mr. Wiltshire wird wohl tun, wozu er Lust hat.«

Damit entschuldigte er sich bei mir, daß er noch wegen der Heirat zu tun hätte, und ließ mich mit dem armen alten Jammerlappen, der sein Partner und (um die Wahrheit zu sagen) auch sein Schindluder war, allein. Das Geschäft und die Station gehörten beide Randall; Case und der Neger waren seine Parasiten. Sie krochen auf ihm herum und sogen ihn aus wie die Fliegen, und er merkte nichts davon. Tatsachlich habe ich auch nichts an Billy Randall auszusetzen, außer daß ich mich vor ihm ekelte, und die Zeit, die ich jetzt in seiner Gesellschaft verbringen mußte, war wie 'n schlechter Traum. Der Raum war zum Ersticken heiß und voller Fliegen, denn das Haus war schmutzig und niedrig und klein, und stand an schlechter Stelle, hinter dem Dorf, am Buschrand, abseits von Handel und Wandel. Die Betten der drei waren auf dem Fußboden aufgeschlagen, außerdem war da ein Haufen Teller und Töpfe. Richtige Möbel gab's überhaupt nicht, denn, wenn Randall tobte, schlug er alles kurz und klein. Da saß ich also und aß etwas, das Cases Frau uns vorsetzte; und da wurde ich den ganzen Tag lang von dieser Ruine von 'nem Menschen unterhalten, dessen Zunge über schlechten, alten Witzen und langen, uralten Geschichten dahinstolperte, und der immer sein eigenes windiges Lachen bei der Hand hatte, so daß er von meinem Katzenjammer überhaupt nichts merkte. Und die ganze Zeit über nippte er weiter. Manchmal schlief er auch ein und wachte dann winselnd und frierend wieder auf, und dann und wann fragte er mich, warum ich denn die Uma heiraten wollte. »Lieber Freund,« sagte ich derweilen in einem fort zu mir selber, »sieh zu, daß du nicht auch so'n alter Herr wirst wie dieser da.« Es kann vier Uhr nachmittags gewesen sein, als die Tür langsam aufging und ein seltsames altes Weib fast auf dem Bauch hineingekrochen kam. Sie war von Kopf bis zu Fuß in schwarzes Zeug gehüllt; ihr Haar war mit grauen Strähnen durchsetzt; ihr Gesicht tätowiert, was auf dieser Insel nicht Sitte war, ihre Augen groß, leuchtend und irr. Sie heftete sie auf mich mit einem verzückten Ausdruck, der, wie ich sah, zum Teil gemimt war. Richtige Worte sagte sie überhaupt nicht, sondern schmatzte und mummelte nur mit den Lippen, und summte laut vor sich hin, wie 'n Kind über seinem Weihnachtspudding. Sie kam schnurstracks durchs Haus auf mich zu, griff meine Hand und schnurrte und maunzte, über sie gebeugt, wie eine große Katze. Und dann ging sie zu einer Art Lied über.

»Was zum Teufel soll das heißen,« rief ich, denn die Geschichte hatte mich erschreckt.

»Das ist Fa'avao,« sagte Randall, und ich sah, daß er den Fußboden entlang bis in die äußerste Ecke gerutscht war.

»Sie fürchten sich doch nicht vor ihr?« rief ich.

»Ich? Mich fürchten?« rief der Kapitän. »Mein lieber Freund, ich pfeife auf sie! Ich erlaube ihr nicht, Fuß in dieses Haus zu setzen, nur heute ist es wohl was anderes, von wegen der Heirat. Sie ist nämlich Umas Mutter.«

»Na ja, schon gut; was stellt sie sich denn aber so an?« fragte ich, ärgerlicher und vielleicht auch erschrockener, als ich gerne zeigen wollte, und der Kapitän erklärte mir, daß sie zu meinem Lobe einen Haufen Gedichte komponiere, weil ich Uma heiraten wollte. »Schon gut, schon gut, alte Dame,« sagte ich mit etwas verunglücktem Lachen, »alles, was Sie wollen. Aber wenn Sie meine Hand nicht mehr brauchen, dann sind Sie wohl so gut und lassen es mich wissen.«

Sie tat, als hatte sie verstanden; der Gesang steigerte sich zu einem Schrei und war zu Ende; das Weib wand sich aus dem Haus heraus, wie es gekommen war, und muß geradewegs im Busch untergetaucht sein, denn als ich ihr zur Türe folgte, war sie schon verschwunden. »Verdrehte Manieren«, sagte ich.

»'s ist 'ne verdrehte Gesellschaft«, sagte der Kapitän und schlug zu meiner Überraschung über seiner nackten Brust das Kreuz.

»Hallo!« sagte ich, »sind Sie Papist?«

Er wies die Idee mit Verachtung zurück. »Baptist, bis zu den Knochen«, sagte er. »Aber, lieber Freund, die Papisten haben auch einige ganz gute Ideen, und das ist eine von ihnen. Hören Sie auf mich, und wenn Sie der Uma oder Fa'avao oder Vigours oder sonst einem von der Bande in den Weg laufen, so machen Sie 's den Priestern nach und tun Sie wie ich tu. Savvy?«, fragte er, das Zeichen wiederholend, und blinzelte mir mit seinen trüben Augen zu. »Nee, verehrter Herr!« brach er von neuem los, »hier gibt's keine Papisten!« und lange Zeit hindurch gab er mir noch seine religiöse Ansicht zum besten.

In die Uma muß ich mich gleich zu Anfang verguckt haben, sonst würde ich bestimmt aus dem Hause da ausgerissen sein, hinaus in die saubere Luft und das saubere Meer oder in irgend einen bequemen Fluß hinein – obwohl ich mich ja Case gegenüber verpflichtet hatte; außerdem hätte ich ja mein Lebtag auf der Insel nicht meinen Kopf hochhalten können, wenn ich in meiner Hochzeitsnacht von 'nem Mädel davongerannt wäre.

Die Sonne war im Untergehen, der Himmel stand ganz in Flammen und die Lampe brannte schon eine ganze Weile, als Case mit Uma und dem Neger zurückkehrte. Sie war angezogen und parfümiert; ihr Röckchen war aus feinem Tapa, das in den Falten üppiger glänzt als die beste Seide; ihr Busen, der die Farbe dunklen Honigs hatte, war bis auf ein halbes Dutzend Halsketten aus Samen und Blumen nackt, und hinter den Ohren und im Haar trug sie die scharlachroten Blüten des Hibiskus. Sie hatte die denkbar beste Haltung, die eine Braut haben kann, voller Ernst und Ruhe, und mir kam's wie eine Schande vor, mit ihr in jenem gemeinen Haus vor den grinsenden Neger hinzutreten Wie 'ne Schande, sage ich noch einmal, denn der Hanswurst hatte sich einen großen Papierkragen umgebunden, das Buch, aus dem er angeblich vorlas, war ein x-beliebiger Roman und die Worte seines Gottesdienstes so, daß man sie nicht wiedergeben kann. Mein Gewissen schmerzte, als wir uns die Hände gaben, und als sie ihren Trauschein bekam, war ich nahe dran, die ganze Sache über den Haufen zu werfen und zu beichten. Hier ist das Dokument. Case hatte es samt Unterschriften und so weiter auf einem Blatt aus dem Kontobuch aufgesetzt:

›Hiermit wird bescheinigt, daß Uma, Tochter Fa'avaos aus Falesa, dem Herrn John Wiltshire auf eine Woche ungesetzlich angetraut ist, nach welcher Zeit es Herrn John Wiltshire freisteht, sie nach Belleben zur Hölle zu schicken

John Dunkelmann,
Galeerenpriester.

Registerauszug
von William T. Randall,
Kapitän.‹

 

Reizend, ein derartiges Dokument einem Mädel in die Hand zu drücken und dann zuzusehen, wie sie es so sorgfältig, als wäre es aus Gold, zu sich steckt. Es gehört schon weniger dazu, um sich als gemeinen Kerl zu fühlen. Aber es war ja hierzulande Sitte und (wie ich mir selber sagte) nicht im geringsten die Schuld von uns Weißen, sondern vielmehr von den Missionaren. Hätten die die Eingeborenen nur in Ruhe gelassen, dann hätte ich den ganzen Betrug nicht nötig gehabt, sondern mir so viel Frauen nehmen können, wie ich nur Lust hatte, und sie sitzen lassen ohne die leisesten Gewissensbisse.

Je mehr ich mich schämte, um so eiliger hatte ich es, auf und davon zu sein, und da unsere Wünsche sich diesmal begegneten, fiel mir die Veränderung an den anderen auch gar nicht weiter auf. Case war Feuer und Flamme gewesen, mich da zu behalten, und jetzt, als hätte er seinen Zweck erreicht, hatte er es ebenso eilig, mich wieder loszuwerden. Uma, meinte er, könnte mir den Weg nach Hause zeigen, und die drei sagten uns, ohne uns hinaus zu begleiten, adieu.

Es war schon beinah dunkel geworden; das Dorf roch nach Bäumen und Blumen, nach dem Meer und nach gekochter Brotfrucht. Vom Riff her klang es prächtig nach Wellenbrandung und aus der Ferne, vom Walde und von den Häusern her, drangen viele hübsche Geräusche von Kindern und von Erwachsenen zu uns herüber. Es tat mir gut, frische Luft zu atmen; gut, mit dem Kapitän zu Ende zu sein und statt seiner das Geschöpf an meiner Seite zu sehen. Um alles in der Welt konnte ich nicht anders als glauben, daß sie ein Mädel von drüben, von der alten Heimat, wäre, so daß ich mich einen Augenblick lang ganz vergaß und nach ihrer Hand griff. Ihre Finger schmiegten sich an die meinen, ich horte, wie sie tief und hastig aufatmete und plötzlich riß sie meine Hand an ihr Gesicht und drückte sie an sich. »Du gut!« rief sie und lief mir voran und blieb dann wieder stehen und lächelte, um dann wieder voran zu laufen, und so führte sie mich durch die Ausläufer des Buschs hindurch auf einem unbegangenen Weg zu meinem Hause.

Um die Wahrheit zu sagen, Case hatte das Hofmachen für mich nach Noten besorgt – hatte ihr erzählt, ich sei drauf versessen, sie zu haben, und frage nichts nach den Konsequenzen, und das arme Ding, das ja wußte, was man mir noch vorenthalten hatte, glaubte ihm jedes Wort und hatte vor Eitelkeit und Dankbarkeit fast den Kopf verloren. Nun hatte ich aber von alledem keine Ahnung; ich war einer von denen, die gegen jeden Unsinn sind, wenn es sich um die Weiber des Landes handelt, denn ich hatte schon viel zu oft erlebt, wie den Weißen von der Verwandtschaft ihrer Weiber die Haare vom Kopf gefressen wurden und wie man sie obendrein noch zum Narren hielt. Ich sagte mir daher, daß ich jetzt gleich einschreiten müßte und sie wieder zur Vernunft bringen. Sie sah aber so hübsch und eigen aus, während sie so vor mir herlief und dann wieder auf mich wartete, das Ganze glich so sehr 'nem Kinde oder 'nem treuen Hund, daß ich nicht anders konnte, als ihr nachgehen, wohin sie mich führte, auf das Trippeln der nackten Füße zu lauschen und durch die Dämmerung nach dem glänzenden braunen Körper zu spähen. Und dann schoß mir noch ein anderer Gedanke durch den Kopf. Jetzt, wo wir allein waren, spielte sie ja das Kätzchen; aber im Hause, da hatte sie sich wie 'ne Gräfin benommen, so stolz und so bescheiden zugleich. Und wenn man noch dazu ihr Kleid bedachte – obwohl ja wenig genug davon da war und das auch nur nach Eingeborenenmode –, ihr feines Tapa und die duftenden Salben, ihre roten Blumen und die Samenkörner, die wie Edelsteine leuchteten, nur noch ein bißchen größer – dann kam's mir so vor, als war sie auch wirklich eine Gräfin, angeputzt um in 'nem Konzert irgend einen großen Sänger zu hören und viel zu gut für einen armen Händler wie mich.

Sie war als erste zu Hause angekommen, und noch während ich draußen stand, sah ich ein Zündholz aufleuchten und Lampenlicht durch's Fenster strahlen Die Station war wahrhaftig ein großartiges Haus, aus Korallen gebaut mit einer ganz breiten Veranda und einem hohen, breiten Hauptzimmer. Meine Kisten und Kasten hatte man schon dort aufgestapelt, und sie machten eine ziemliche Unordnung; und dort, mitten in dem Durcheinander, stand Uma wartend am Tische. Ihr Schatten kletterte im Hintergrunde die ganze Wand hinauf bis zur Wölbung des eisernen Daches; sie stand ganz in Helligkeit und hob sich von ihr ab, und das Lampenlicht glänzte auf ihrer Haut. Ich blieb in der Tür stehen, und sie sah mich an, ohne zu reden, mit Augen brennend und doch ängstlich. Dann berührte sie mit den Fingern ihren Busen.

»Ich – deine kleine Frau,« sagte sie. So hatte es mich noch nie mitgenommen; die Lust nach ihr packte und durchrüttelte mich wie der Wind von Luv her ein Segel. Um die Welt hätte ich nicht sprechen können; und selbst wenn ich es gekonnt hätte, hätte ich's nicht gewollt. Ich schämte mich, daß eine Schwarze mich so rühren konnte, schämte mich auch wegen der Heirat und drehte mich um und tat so, als ob ich unter meinen Kisten zu kramen hätte. Das erste, was mir unter die Hände kam, war eine Kiste Gin, die einzige, die ich mitgebracht hatte; und teils um des Mädels willen, und teils aus Grauen vor den Erinnerungen an den alten Randall, faßte ich einen plötzlichen Entschluß. Ich stemmte den Deckel hoch. Nacheinander zog ich die Flaschen mit meinem Taschenkorkenzieher auf und schickte Uma auf die Veranda, um das Zeug auszugießen.

Sie kam, um die letzte zu holen, und sah mich fragend an. »Nicht gut«, sagte ich, denn jetzt war ich schon wieder halbwegs Herr meiner Zunge. »Mann, der trinkt, der nicht gut.«

Sie stimmte mir hierin zu, blieb aber immer noch sinnend stehen. »Warum du dann ihn bringen?« fragte sie nach einem Weilchen. »Wenn du nicht willst trinken, du ihn nicht bringen, mein' ich.«

»Schon recht«, sagte ich. »Einmal ich will trinken zuviel; jetzt ich nicht will. Weißt du, ich nicht savvy, daß ich kriegen kleine Frau. Wenn ich trinken Gin, meine kleine Frau bange.«

Freundlich zu ihr zu sprechen, war mehr, als wozu ich im Augenblick eigentlich imstande war; und ich hatte geschworen, niemals einem der hiesigen Weiber gegenüber schwach zu sein. So blieb mir also nichts übrig als das Maul zu halten.

Sie sah noch eine Weile ernsthaft auf mich herab, wie ich so neben der geöffneten Kiste dasaß. »Ich meine, du guter Mann«, sagte sie. Und plötzlich ließ sie sich vor mir auf den Boden fallen. »Ich dein Schwein bin«, rief sie.


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