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Zweites Kapitel

Der Bann

Am nächsten Morgen trat ich, kurz ehe die Sonne aufging, auf die Veranda. Mein Haus war das letzte nach Osten zu; im Hintergrunde ragte eine von Wäldern und Klippen bedeckte Landzunge, die mir den Sonnenaufgang verbarg, ins Meer hinaus. Nach Westen zu lief ein rascher, kalter Fluß, und dahinter dehnte sich als grüner Flecken das Dorf, durchsetzt mit Kokospalmen, Brotfruchtbäumen und Häusern. Die Läden waren teils vorgelassen, teils zurückgeschlagen; ich sah noch die ausgebreiteten Moskitonetze, hinter denen die Schatten der soeben erwachten Menschen hockten; und überall im Grünen spazierten andere Schatten, gehüllt in ihre vielfarbigen Schlafgewänder, schweigend wie die Beduinen in biblischen Abbildungen. Es war totenstill und feierlich und frostig, und das Licht der Dämmerung glänzte auf den Lagunen wie Feuer.

Aber was mich beunruhigte, war mehr in meiner Nähe. Einige Dutzend junger Leute und Kinder bildeten an ein der einen Seite meines Hauses eine Art Halbkreis; der Fluß lief zwischen ihnen hindurch. Einige waren am diesseitigen, andere am jenseitigen Ufer, und einer kauerte sogar auf einem Stein mitten im Wasser, und alle saßen schweigend da und starrten mich und mein Haus an, so aufmerksam und unentwegt wie eine Schar Pointer. Mir kam es, als ich heraustrat, seltsam vor. Nachdem ich gebadet hatte und zurückgekehrt war und sie alle immer noch versammelt fand – höchstens waren noch einige hinzugekommen –, wollte mir die Sache noch seltsamer erscheinen. Was gab es nur zu sehen, daß sie so mein Haus anstarrten? So wunderte ich mich, während ich das Haus betrat.

Der Gedanke an diese Gaffer wollte mich nicht loslassen, und nach einer Weile trat ich wieder vor's Haus. Die Sonne war jetzt aufgegangen, stand aber immer noch hinter der Landzunge und den Wäldern. Es war vielleicht eine viertel Stunde später. Die Menge hatte sich um vieles vermehrt, das jenseitige Ufer war auf eine ganze Strecke hinaus dicht voll Menschen – vielleicht dreißig Erwachsene und doppelt soviel Kinder hockten und standen da herum, und alle starrten mein Haus an. Ich habe schon mal erlebt, daß in einem Dorfe an der Südsee ein Haus so umringt war, aber damals verprügelte ein Händler drinnen seine Frau, und sie schrie aus Leibeskräften. Hier war nichts Außergewöhnliches: der Ofen brannte, der Rauch stieg auf, ganz nach Christenart, alles war in schönster Ordnung und wie es sich gehört. Zwar war ja ein Fremder hinzugezogen, aber sie hatten doch tags zuvor genug Gelegenheit gehabt, ihn sich anzusehen, und er hatte es sich auch ganz ruhig gefallen lassen. Was war jetzt nur mit ihnen los? Ich stützte mich mit den Armen aufs Geländer und starrte zurück. Ja, Kuchen! Sie dachten gar nicht dran, sich zu rühren! Hin und wieder konnte ich die Kinder unter sich schwatzen sehen, aber sie sprachen so leise, daß ihr Gesumm gar nicht zu mir herdrang. Die anderen waren stumm wie Götzenbilder und starrten mich an, schweigend und traurig, mit ihren glänzenden Augen; und mir kam der Gedanke, es würde auch nicht viel anders sein, wenn ich auf der Plattform des Galgens stünde und diese guten Leute gekommen wären, um mich hängen zu sehen.

Ich fühlte, daß ich es mit der Angst bekam, und fing an zu fürchten, daß ich es auch zeigen könnte und das ging ja beileibe nicht. So richtete ich mich denn auf und tat, als ob ich mich reckte, schritt die Verandatreppe hinunter und schlenderte in der Richtung des Flusses. Ein kurzes Summen erhob sich von einem Ende zum andern, wie man es im Theater hört, wenn der Vorhang aufgeht; und die in nächster Nähe standen, wichen einen Schritt zurück. Ich sah, wie ein Mädel nach einem Burschen griff und eine Geste nach aufwärts machte; gleichzeitig sagte sie etwas in ihrer Sprache, erschrocken und nach Atem ringend. Drei kleine Jungen kauerten dort, wo ich drei Fuß von ihnen entfernt vorbeikommen mußte. Wie sie so in ihre Decken gehüllt dasaßen, sahen sie mit ihren rasierten Köpfen und winzigen Haarschöpfen wie Figuren auf einem Kaminsims aus. Einen Augenblick blieben sie sitzen, feierlich ernst wie Richter. Als ich dann aber mit drohender Miene in einem Tempo von fünf Knoten die Stunde einherkam, wie ein Mann, dem es ernst ist, sah ich die drei gleichsam schlucken und zusammenzucken. Dann sprang der eine, der am weitesten weg war, auf und rannte nach seiner Mama. Die andern beiden wollten es ihm nachmachen, verloren aber das Gleichgewicht und purzelten brüllend zu Boden, wobei sie sich aus ihren Decken herauswickelten und mutternackt dalagen, und im nächsten Augenblick rannten sie alle drei, quiekend wie die Ferkel, ums liebe Leben. Die Eingeborenen, die nicht einmal bei einem Begräbnis einen guten Witz unbeachtet lassen, lachten, ein kurzes, bellendes Lachen, wie von 'nem Hund.

Man sagt, daß es einem Angst macht, allein zu sein. Nichts dergleichen! Was einem wirklich im Dunkeln oder im hohen Busch Schrecken einjagen kann, ist, daß man niemals mit Sicherheit weiß, ob man nicht ein ganzes Heer Menschen in nächster Nähe hat. Das Schlimmste aber ist, mitten in einer Schar Menschen zu stehen, ohne zu ahnen, was sie eigentlich vorhaben. Als jenes Lachen zu Ende war, hielt auch ich inne. Die Jungen waren noch immer in Reichweite und in vollem Laufen, als ich kehrtmachte und nach der andern Richtung zurückjagte. Wie ein Narr war ich in meinem Fünf-Knotentempo dahergestürzt; wie ein Narr rannte ich zurück. Es muß furchtbar komisch gewirkt haben, und was mich jetzt völlig über den Haufen warf, war die Tatsache, daß diesmal keiner lachte. Eine alte Frau nur ließ eine Art frommes Stöhnen hören, wie die Dissenter es in ihrem Gottesdienst während der Predigt tun.

»Habe noch nie solche Idioten gesehen wie deine Kanaken hier«, sagte ich zu Uma, während ich einen Blick zum Fenster hinaus auf die gaffende Menge warf. »Die gar nichts savvy«, sagte Uma mit gleichsam angewidertem Ausdruck, auf den sie sich großartig verstand.

Und das war alles, was wir über das Thema sprachen, denn ich war schwer beunruhigt, und Uma nahm die Sache als etwas so Selbstverständliches, daß ich mich geradezu schämte.

Den ganzen Tag über lungerten die Narren, mal mehr, mal weniger und einander ablösend, an der Westseite meines Hauses und jenseits des Flusses herum und warteten auf – ich weiß nicht, was; Feuer vom Himmel vielleicht, das mich mit Haut und Knochen verzehren sollte. Doch hatten sie, als der Abend kam, die Sache als echte Insulaner bereits satt gekriegt und sich verlaufen; statt dessen führten sie im Großen Hause im Dorf einen Tanz auf, und ich hörte ihr Singen und Händeklatschen bis vielleicht zehn Uhr nachts, und am nächsten Tage hatten sie meine Existenz scheinbar gänzlich vergessen. Wäre Feuer vom Himmel gefallen und hätte die Erde sich aufgetan, um mich zu verschlingen – kein Mensch wäre da gewesen, um das Schauspiel zu sehen und die Lehre daraus zu ziehen, oder wie man sich nun ausdrücken will. Doch ich sollte noch erfahren, daß sie nichts vergessen hatten, und paßte scharf auf alles auf, was mir Ungewöhnliches in den Weg lief.

Ich hatte in diesen Tagen nicht wenig zu tun mit dem Ordnen meiner Waren und der Inventuraufnahme von allem, was Vigours hinterlassen hatte. Letzteres war gerade kein erheiterndes Geschäft und hielt mich so ziemlich von allem andern Denken fern. Ben hatte bei seiner letzten Fahrt hierher bereits Inventar aufgenommen – ich wußte, daß ich ihm trauen konnte – und es wurde ziemlich klar, daß sich inzwischen jemand an der Hinterlassenschaft gütlich getan hatte. Ich konstatierte ein Defizit, das genügte, um auf ein halbes Jahr hinaus Gehalt und Profit zu schlucken, und ich hätte mich höchsteigenhändig durch das ganze Dorf hindurchprügeln können wegen meiner Dummheit, da zu sitzen und mit Case zu saufen, statt auf mein Geschäft zu achten und das Lager aufzunehmen.

Aber um das Vergangene zu weinen, hatte ja keinen Zweck. Es war nun einmal geschehen und konnte nicht mehr geändert werden. So blieb mir nichts anderes übrig, als die Überbleibsel in Besitz zu nehmen und das neue Zeug (das ich nach eigener Wahl zusammengestellt hatte) in Ordnung zu bringen, mich auf die Jagd nach den Ratten und Küchenschaben zu machen und den Laden ganz nach Sidneyer Fasson einzurichten. Und die Sache nahm sich gut aus. Als ich daher am Morgen des dritten Tages meine Pfeife angezündet hatte, mich vor die Tür stellte, um mir den Kram von draußen anzusehen, und mich dann wieder umdrehte und zu den Bergen aufblickte, die Kokospalmen im Winde wehen sah und die Tonnen Kopra abschätzte, und dann wieder nach dem grünen Dorf hinüberspähte und die Insel Dandies sah und mir ausrechnete, wieviel Meter Baumwollstoff sie für ihre Kleider und Röckchen brauchen würden, hatte ich so recht das Gefühl, daß ich hier schon am rechten Orte säße, um mein Glück zu machen und dann später nach Hause zu fahren und dort ein Wirtshaus zu übernehmen. Da saß ich nun auf meiner Veranda in einer so schönen Landschaft, wie sie überhaupt nicht zu finden ist, in der herrlichen Sonne mit einem guten, gefunden Geschäft unter den Händen, das einem das Blut so recht in Wallung bringen konnte, wie nach einem frischen Seebad, und das Ganze war mit einem Mal verschwunden. Ich hatte mich wieder nach England hinübergeträumt, das schließlich doch nur ein ekliges, kaltes, kotiges Loch ist mit so wenig Licht, daß man nicht einmal dort lesen kann; und in meinen Träumen erstand mein Wirtshaus, hart an einer großen Landstraße, breit wie eine Allee, gelegen, und mit einem Wirtshausschild an einem grünen Baum vor der Tür.

So verging der Morgen. Aber der Tag verstrich, ohne daß sich auch nur eine Seele bei mir sehen ließ, und nach dem, was ich von anderen Inselstämmen wußte, kam mir das sehr sonderbar vor. Die Leute lachten ein wenig über unsere Firma und über die feinen Stationen, die sie errichtet hatte, über Falesa im besonderen. Sämtliche Kopra in der Gegend (so sagten sie) würde auf fünfzig Jahre hinaus die Unkosten nicht wieder einbringen, aber das war wohl übertrieben. Als sich jedoch im Laufe des Tages überhaupt kein Betrieb zeigte, wurde ich allmählich niedergeschlagen; und ungefähr um drei Uhr nachmittags machte ich einen kleinen Spaziergang, um mich aufzuheitern. Auf der Wiese begegnete mir ein Weißer mit einer Sutane, woraus ich schloß, daß er ein Priester war; außerdem erriet ich es aus seinem Gesicht. Er war dem Anschein nach eine gutmütige alte Seele, schon ein wenig grau geworden und so schmutzig, daß man mit ihm auf einem Stück Papier hätte schreiben können.

»Guten Tag, Herr«, sagte ich.

Voll Eifer antwortete er mir in der Eingeborenensprache.

»Sprechen Sie nicht Englisch?« fragte ich.

»Französisch«, sagte er.

»Nun,« sagte ich, »das tut mir leid, damit kann ich nichts anfangen.«

Er versuchte es eine Weile mit mir auf Französisch und dann wieder im dortigen Dialekt, was er anscheinend noch für die beste Möglichkeit, sich zu verständigen, hielt. Ich kapierte, daß er nicht nur Höflichkeiten mit mir auszutauschen suchte, sondern mir wirklich etwas mitzuteilen hatte, und paßte also scharf auf. Ich fing die Namen Adams und Case und Randall auf – vor allem Randall – und das Wort ›Gift‹ oder dergleichen, sowie einen Ausdruck in der Eingeborenensprache, den er sehr oft wiederholte, und ich ging nach Hause, das Wort immer wieder für mich hersagend.

»Was bedeutet ›fussy-ocky‹?«, fragte ich Uma – so ungefähr hatte die Sache mir geklungen.

»Totmachen«, erwiderte sie.

»Den Teufel auch!« sagte ich. »Hast du jemals gehört, daß Case Johnny Adams vergiftet haben soll?«

»Jedermann das savvy,« meinte Uma verächtlich. »Er ihm weißen Sand – schlechten Sand – geben. Er Flasche noch haben. Er dir Gin gibt, dann du ihn nicht nehmen.«

Nun hatte ich aber dergleichen Geschichten auf anderen Inseln schon genug gehört, und immer hatte das weiße Pulver herhalten müssen, daher hielt ich nicht viel von der ganzen Sache. Trotzalledem ging ich hinüber zu Randall, um zu hören, was es zu erfahren gab, und fand Case auf der Türschwelle mit der Reinigung eines Gewehres beschäftigt.

»Gute Jagd hier?«, fragte ich.

»Prima,« sagte er. »Im Busch, wimmelt es von allen möglichen Vögeln. Ich wollte, Kopra wäre ebenso reichlich vorhanden,« sagte er, wie mir schien, schlau, »aber es scheint nichts damit los zu sein.«

Im Laden konnte ich den Schwarzen sehen, der eben einen Kunden bediente.

»Das da sieht aber nach Geschäften aus,« sagte ich.

»Das ist der erste Verkauf in diesen letzten drei Wochen,« war seine Antwort.

»Was Sie sagen,« entgegnete ich. »In drei Wochen? Wirklich?«

»Wenn Sie mir nicht glauben,« rief er, ein wenig hitzig. »So können Sie ja gehen und sich das Koprahaus ansehen. Zur Hälfte leer, bis auf den heutigen Tag.« »Damit wäre mir ja auch nicht sehr geholfen,« meinte ich. »Was weiß ich, ob es gestern nicht sogar ganz leer war.«

»Stimmt«, sagte er mit kurzem Lachen.

»Übrigens,« sagte ich, »was ist der Pfaffe eigentlich für ein Mensch? Scheint ein ganz netter Kerl zu sein.« Bei diesen Worten lachte Case laut los. »Aha?« sagte er, »jetzt sehe ich, was Ihnen fehlt. Galuchet hat Sie unter den Fingern gehabt.« Vater Galoschen war der Name, den man ihm am häufigsten gab, aber Case sprach ihn stets Französisch aus, was ein Grund mehr war, weshalb wir Case für vornehmer als die meisten hielten. »Ja,« sagte ich, »ich habe ihn gesprochen. Soviel ich verstehen konnte, hält er nicht viel von Ihrem Kapitän Randall.«

»Das tut er in der Tat nicht,« sagte Case, »und zwar wegen der scheußlichen Sache mit dein armen Adams. Den letzten Tag, als er im Sterben lag, sprach der junge Buncombe vor. Kennen Sie Buncombe?«

»Nein«, sagte ich.

»Das ist schon 'ne Nummer, der Buncombe!« lachte Case. »Nun, Buncombe setzte es sich in den Kopf, wir müßten, da es mit Ausnahme der Kanakenpfaffen keinen Geistlichen in der Nähe gab, Vater Galuchet rufen, um dem Alten die Sterbesakramente zu reichen. Mir konnte es ja egal sein, wie Sie sich denken können, aber ich sagte, meiner Meinung nach müßten wir Adams erst befragen. Der plapperte die ganze Zeit über von seiner gewässerten Kopra und allen möglichen Dummheiten. »Hören Sie,« sagte ich zu ihm, »Sie sind ziemlich krank. Möchten Sie Galoschen sprechen?« Da richtete er sich kerzengerade auf seinem Ellbogen auf. »Holen Sie den Priester,« sagte er, »holen Sie ihn; lassen Sie mich nicht wie'n Hund hier verrecken!« Er redete ja ein wenig wild und im Eifer, aber doch ganz vernünftig. Es war nichts dagegen zu sagen, so schickten wir denn nach Galuchet und fragten ihn, ob er kommen wollte. Ob er wollte! Bei dem Gedanken sprang er in seinem schmutzigen Hemde vor Freuden auf. Aber wir hatten nicht mit Papa gerechnet. Der ist ein eingefleischter Baptist, Papa; »Papisten ist der Zutritt verboten.« Und so verschloß er denn die Tür. Buncombe erklärte ihm, er sei bigott, und da dachte ich, er bekäme die Krämpfe. »Bigott,« sagte er, »ich bigott? Muß ich mir das von einem Grasaffen, wie Sie es sind, sagen lassen?« Und er schoß geradewegs auf Buncombe los, so daß ich sie auseinander halten mußte. Und mitten zwischen beiden lag Adams, der wieder verrückt geworden war und wie'n richtiger, waschechter Idiot von seiner Kopra schwätzte. Es war wie auf dem Theater, und ich fiel vor Lachen fast aus der Rolle, als sich Adams plötzlich aufrichtete, die Hände gegen die Brust drückte und das große Grausen bekam. Er ist schwer gestorben, der John Adams«, sagte Case mit plötzlicher Strenge.

»Und was wurde aus dem Priester?« fragte ich.

»Aus dem Priester?« wiederholte Case. »Oh, der trommelte die ganze Zeit über draußen gegen die Tür und schrie nach den Eingeborenen, daß sie kommen und sie einschlagen möchten, und brüllte, daß er eine Seele retten wollte und so weiter. Er war in 'nem schönen Zustand, der Priester. Aber was sollte man machen? Johnny war uns inzwischen entwischt; kein Johnny mehr auf dem Markt und das Sakramentsschauspiel rein zu Ende gespielt. Das nächste, was wir hörten, war, daß der Priester an Johnnys Grab betete. Papa war damals grade ziemlich voll, nahm sich einen Knüppel und machte sich schnurstracks auf nach dem Grabe, und da lag Galoschen auf den Knien, mit einer ganzen Schar Eingeborener als Zuschauer. Hätte nicht gedacht, daß Papa sich überhaupt etwas so zu Herzen nehmen würde, seinen Schnaps natürlich ausgenommen; aber er und der Priester blieben zwei Stunden lang bei der Sache und beschimpften einander in der hiesigen Sprache, und jedesmal, wenn Galoschen niederzuknien versuchte, schoß Papa mit seinem Knüttel auf ihn los. Eine solche Hetz hat's niemals zuvor in Falesa gegeben. Das Ende vom Liede war, daß Kapitän Randall durch einen Schlag oder Anfall oder dergleichen die Besinnung verlor, und daß der Priester doch noch seine Ware anbringen konnte. Aber er war der wütendste Priester, den Sie je gesehen haben, und beschwerte sich bei den Häuptlingen über den Frevel, wie er es nannte. Es hat ihm natürlich nicht viel genützt, denn unsere Häuptlinge hier sind alle Protestanten, und außerdem hatte er sich wegen noch anderer Dinge unbeliebt gemacht, so daß sie ganz froh waren, ihm eins auswischen zu können. Jetzt schwört er, der alte Randall hätte Adams Gift gegeben oder dergleichen, und wenn die beiden einander begegnen, grinsen sie sich wie die Affen an.«

Diese Geschichte erzählte er so natürlich wie nur möglich und wie einer, der den Spaß dabei genießt, obgleich sie mir jetzt, nach so langer Zeit, ziemlich widerlich vorkommt. Aber Case wollte niemals für sonderlich weichherzig gelten, sondern als ein echter, rechter Mann, und war mir, um die Wahrheit zu sagen, ein völliges Rätsel.

Ich ging nach Hause und fragte Uma, ob sie eine ›Papi‹ sei, was, wie ich inzwischen erfahren hatte, Insulanisch für katholisch war.

»E le ai!« sagte sie. Sie bediente sich stets ihrer Sprache, wenn sie besonders deutlich ›nein‹ sagen wollte, und es klingt ja auch in der Tat kräftiger. »Papi nicht gut,« sagte sie.

Dann fragte ich sie nach Adams und dem Priester, und sie erzählte mir ungefähr das gleiche auf ihre Weise, so daß ich auch nicht viel klüger wurde. Aber im großen und ganzen glaubte ich doch, der Streit um das Sakrament sei die Hauptsache an der ganzen Angelegenheit und der Giftmord nur Klatscherei.

Der nächste Tag war Sonntag, an dem es keine Geschäfte zu erledigen gab. Uma fragte mich, ob ich ›beten‹ würde; ich sagte ihr, sie könne Gift drauf nehmen ›nein‹, und sie blieb ohne weitere Worte auch zu Hause. Das kam mir für eine Insulanerin sonderbar vor, obendrein für eine, die neue Kleider spazieren zu führen hatte, aber da es mir glänzend paßte, machte ich kein Wesen davon. Das Seltsamste an der Sache war, daß ich zum Schluß beinah doch zur Kirche gegangen wäre, etwas, was ich so leicht nicht vergessen werde. Ich war ausgegangen, um einen kleinen Spaziergang zu machen, und hörte plötzlich ein Kirchenlied anstimmen. Man weiß ja, wie das ist. Wenn man Leute singen hört, fühlt man sich unwillkürlich angezogen, und bald fand ich mich denn auch neben der Kirche stehen. Es war ein kleines, niedriges Gebäude, an beiden Enden abgerundet, wie ein Walfischfängerboot, oben mit einem großen Insulanerdach und mit Fenstern ohne Rahmen und Türöffnungen ohne Türen. Ich steckte den Kopf zu einem der Fenster hinein, und was ich sah, war mir ein so neuer Anblick – die Sitten auf den Inseln, die ich kannte, waren ganz andere –, daß ich blieb, um zuzuschauen. Die Gemeinde saß auf Matten am Fußboden, die Weiber auf der einen, die Männer auf der anderen Seite, alle aufgedonnert bis da hinaus, die Frauen in Kleidern und importierten Hüten, die Männer in weißen Jacken und Hemden. Der Gesang war zu Ende; der Pastor, ein großer, strammer Kanake, stand auf der Kanzel und predigte drauf los, und aus der Art, wie er mit den Händen fuchtelte, die Stimme erhob, seine Pointen hinausschmetterte und auf die Leute einredete, schloß ich, daß er sich auf sein Handwerk verstand. Plötzlich sah er auf und begegnete meinem Blick, und, mein Wort drauf, er wankte auf der Kanzel. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf hervor, die Hand hob sich und streckte sich mir, wie gegen seinen Willen, entgegen, und die Predigt nahm ein abruptes Ende.

Es ist ja nicht schön, es von sich berichten zu müssen, aber – ich rannte davon, und wenn ich morgen den gleichen Choque noch mal erhielte, ich würde wieder davonrennen. Als ich jenen plappernden Kanaken bei meinem Anblick gleichsam wie unter einem Fausthieb zusammensinken sah, hatte ich das Gefühl, als wäre der Boden unter meinen Füßen verschwunden. Ich lief schnurstracks nach Hause und blieb auch dort und erzählte kein Wort von dem, was vorgefallen war. Man hätte meinen können, daß ich mich Uma anvertrauen würde, aber das war ja gegen mein Prinzip. Ebenso hätte es nahe gelegen, Case um Rat zu fragen; aber, um die Wahrheit zu sagen, ich schämte mich, von solchen Dingen zu reden; ich glaubte, jeder Mann würde mir geradeaus ins Gesicht lachen. So hielt ich denn den Mund, dachte dafür aber um so mehr nach, und je mehr ich dachte, um so weniger wollte mir das Ganze gefallen.

Bis Montag abend war mir klar geworden, daß ich unter Tabu stehen mußte. Daß seit zwei Tagen ein neuer Laden im Dorf aufgemacht war, ohne daß Mann oder Weib sich meldeten, um die Waren zu inspizieren, war mehr als man gutwillig glauben konnte.

»Uma,« sagte ich, »ich glaube, ich stehe unter Tabu.«

»Ich glaube, ja«, sagte sie.

Ich sann eine Weile darüber nach, ob ich sie noch mehr fragen sollte, aber es ist nicht gut. Einheimische eingebildet zu machen dadurch, daß man sie um Rat fragt, und so ging ich denn zu Case. Es war schon dunkel, und er saß, wie gewöhnlich, allein aus der Treppe und rauchte.

»Case,« sagte ich, »eine seltsame Sache ist passiert. Ich bin unter Tabu.«

»Quatsch,« sagte er,» das ist hierzulande gar nicht Sitte.«

»Sitte oder nicht Sitte,« sagte ich, »es war Sitte da, wo ich herkomme. Sie können sich drauf verlassen, daß ich weiß, was es heißt, und ich sage Ihnen, daß es stimmt: ich stehe unter Tabu.«

»Nun,« sagte er, »was haben Sie denn angestellt?«

»Das möchte ich eben wissen«, sagte ich.

»Aber Sie irren sich«, sagte er; »das ist ja ganz ausgeschlossen. Ich sage Ihnen, was ich tun werde. Nur um Sie zu beruhigen, werde herumgehen und sehen, was los ist. Also, spazieren Sie mal herein und unterhalten Sie sich derweilen mit Papa.«

»Danke,« sagte ich, »ich bleibe lieber hier draußen in der Veranda. Ihr Haus ist mir zu muffig.«

»Dann werde ich Papa hier herausholen«, sagte er.

»Lieber Freund,« sagte ich, »ich wollte, das ließen Sie bleiben. Tatsache ist, Mr. Randall ist mir nicht sonderlich sympathisch.«

Case lachte, nahm eine Laterne aus dem Laden und machte sich aus den Weg ins Dorf. Er war vielleicht eine Viertelstunde fort, und er sah sehr ernst aus, als er zurückkehrte.

»Nun,« sagte er und stellte die Laterne hart auf die Verandastufen, »ich hätte es nie geglaubt. Weiß Gott, wo diese unverschämten Kanaken nächstens noch hinauswollen. Sie scheinen ja jeden Respekt vor uns Weißen verloren zu haben. Was uns fehlt, ist ein ordentliches Kriegsschiff – ein deutsches, wenn möglich,– die wissen mit den Kanaken umzugehen.«

»Ich bin also wirklich unter Tabu?« rief ich.

»So ähnlich, ja«, meinte er. »Es ist in feiner Art das Schlimmste, was mir bisher vorgekommen ist. Aber ich stehe Ihnen bei, Wiltshire, Mann zu Mann. Kommen Sie morgen so um neun wieder hierher, und wir werden's mit den Häuptlingen ausfechten. Sie haben Angst vor mir, wenigstens hatten sie's einmal; aber jetzt sind sie so aufgeblasen, daß ich selber nicht weiß, was ich davon denken soll. Verstehen Sie mich recht, Wiltshire; ich betrachte diese Sache gleichzeitig als meine Angelegenheit«, fuhr er mit großer Entschlossenheit fort. »Ich betrachte sie völlig als unser aller Angelegenheit, als eine Sache, die alle Weißen angeht, und ich halte durch dick und dünn zu Ihnen. Hier haben Sie meine Hand darauf.«

»Haben Sie denn den Grund herausbekommen?« fragte ich.

»Noch nicht«, sagte Case. »Aber wir werden sie morgen schon kriegen.«

Alles in allem war ich mit seiner Haltung nicht wenig zufrieden, und das steigerte sieh noch am nächsten Tage, als wir zusammen den Häuptlingen entgegentraten und ich ihn so streng und entschlossen sah. Die Häuptlinge erwarteten uns in einem ihrer großen ovalen Häuser, das uns schon von weitem durch die Menschenmenge, die sich um sein niedriges Dach scharte – mindestens hundert stark, Männer, Frauen und Kinder – kenntlich gemacht wurde. Viele von den Männern waren auf dem Wege zu ihrer Arbeit und trugen grüne Kränze, und ich mußte dabei an den ersten Mai in der Heimat denken. Die Menge teilte sich und umschwirrte uns beide mit plötzlichem, zornigem Eifer. Der Häuptlinge waren fünf; vier überaus stattliche Männer und ein alter, runzliger. Sie saßen auf Matten, angetan mit ihren weißen Röckchen und Jacken; alle hielten Fächer in den Händen, wie die großen Damen, und zwei der jüngeren trugen katholische Medaillen, was mir Einiges zu denken gab. Unsere Plätze waren für uns bezeichnet und die Matten diesen Großen gegenüber an der Eingangswand des Hauses ausgebreitet; der Raum in der Mitte blieb leer. Grade hinter unseren Rücken murmelte und drängte sich das Volk und reckte sich die Hälse aus, und ihre Schatten tummelten sich auf den sauberen Kieselsteinen des Fußbodens zu unseren Füßen. Ich war ein ganz klein wenig aus der Fassung gebracht durch diese Aufregung unter den Massen, aber das ruhige, höfliche Benehmen der Häuptlinge beruhigte mich wieder, um so mehr, als ihr Sprecher zu reden anhub und mit gedämpfter Stimme eine lange Ansprache hielt, wobei er manchmal auf Case, manchmal auf mich wies und manchmal auch mit den Knöcheln der Hand auf die Matte klopfte. Das Eine war klar: nichts deutete darauf, daß die Häuptlinge zornig waren.

»Was hat er nun gesagt?« fragte ich Case, als des anderen Rede zu Ende war.

»Ach nur, daß sie sich freuen, daß Sie gekommen sind, und daß sie durch mich verständigt wären, daß Sie eine Art Beschwerde vorzubringen hätten, und Sie sollten nur loslegen, und Sie würden schon das Rechte tun.«

»Er hat aber verdammt lange dazu gebraucht, um das zu sagen«, meinte ich.

»Ach, das andre war natürlich nur Schmus und Bonjour und so weiter«, sagte Cafe. »Sie kennen ja die Kanaken.«

»Nun, sie werden aus mir nicht viel Bonjour herausholen«, sagte ich. »Sagen Sie ihnen, wer ich bin. Ich bin ein Weißer und ein britischer Untertan und weiß der Deubel was für ein großer Häuptling in meiner Heimat, und ich bin hierher gekommen, um ihnen Gutes zu tun und ihnen die Zivilisation zu bringen; und kaum habe ich meine Waren aufgestellt, so belegen sie mich schon mit Tabu, so daß keiner mehr wagt, mir in die Nähe zu kommen! Sagen Sie ihnen, daß ich nicht die Absicht habe, irgend etwas gegen ihre Gesetze zu tun, und daß, wenn sie ein Geschenk wollen, ich mit mir reden lasse. Ich nehme es keinem Menschen übel, wenn er auf seinen Vorteil sieht, sagen Sie ihnen das; aber wenn sie nun glauben, daß sie welche von ihren Eingeborenenideen bei mir anbringen können, dann haben sie sich geschnitten. Und sagen sie ihnen auch ganz offen, daß ich als weißer Mann und britischer Untertan auch den Grund zu dieser Behandlung zu wissen wünsche.«

Das war meine Rede. Ich weiß mit Kanaken umzugehen: man braucht nur vernünftig mit ihnen zu reden und sie anständig zu behandeln und – die Gerechtigkeit muß ich ihnen widerfahren lassen – sie werden jedes Mal ganz klein. Sie haben gar keine richtige Regierung und keine richtigen Gesetze, die muß man ihnen erst in ihre Schädel hineintrommeln; und selbst wenn sie welche hätten, es wäre ja 'n Witz, wenn die für einen Weißen gelten sollten. Eine merkwürdige Sache wär's, wenn wir von so weit her kämen und hier nicht einmal machen dürften, was wir wollten. Schon der Gedanke daran genügt, um mich aufzubringen, und ich ging daher gleich ziemlich scharf ins Zeug. Dann übersetzte Case meine Rede – oder vielmehr ich glaube, er tat nur so – und der oberste Häuptling antwortete darauf, und dann der zweite und dann der dritte, alle im selben Stil, leicht und mit Anstand, aber im Unterton doch feierlich. Einmal richteten sie an Case eine Frage, die er beantwortete, und alle Mann hoch (Anführer wie Gemeine) lachten laut auf und sahen mich an. Schließlich begannen der alte runzlige Kerl und der große, junge Häuptling, der als Erster geredet hatte, Case einer Art Verhör zu unterwerfen. Manchmal konnte ich erkennen, daß Case auszuweichen versuchte, aber sie hängten sich an ihn wie die Bluthunde, und der Schweiß rann ihm übers Gesicht, was für mich kein erfreulicher Anblick war, und bei einigen seiner Antworten ächzte und murmelte das Volk, und das war erst recht nicht angenehm zu hören. Es war jammerschade, daß ich die Sprache nicht verstand, denn heute glaube ich, sie fragten Case nach meiner Heirat aus, und er muß es schwer gesunden haben, sich herauszuwinden. Aber man konnte Case ganz ruhig sich selber überlassen; er hatte genug Grütze im Kopf, um ein ganzes Parlament zu führen.

»Nun, worum handelt die ganze Sache?« fragte ich, als eine Pause eintrat.

»Kommen Sie,« sagte er, sich das Gesicht abtrocknend, »ich werde Ihnen draußen berichten.«

»Wollen Sie damit sagen, daß sie den Tabu nicht von mir nehmen?« rief ich.

»Die Sache ist komisch,« sagte er. »Ich werde Ihnen draußen erzählen. Kommen Sie lieber ins Freie.«

»Das laß ich mir nicht gefallen,« schrie ich. »So einer bin ich nicht. Sie werden sehen, ich reiß nicht aus vor so 'nem Kanaken.«

»Sie tun gut daran,« sagte Case.

Er sah mich gleichsam vielsagend an; und die fünf Häuptlinge sahen mich auch an, höflich, aber doch ziemlich deutlich, und das Volk sah mich an, und reckte die Hälse und stieß und drängte sich. Ich mußte an die Leute denken, die mein Haus beobachtet hatten, und wie der Pastor auf seiner Kanzel schon bei meinem Anblick zusammengefahren war, und die ganze Sache schien so ganz außergewöhnlich, daß ich mich erhob und Case folgte. Die Menge teilte sich wieder, um uns durchzulassen, aber diesmal weiter als zuvor. Die Kinder, die im Hintergrunde standen, rannten sogar schreiend davon, und als wir beiden Weißen uns entfernten, standen alle und sahen uns nach. »So,« sagte ich, »worum dreht sich nun die ganze Sache?«

»Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß es selber nicht ganz genau. Sie haben etwas gegen Sie,« erwiderte Case.

»Einen Menschen mit Tabu zu belegen, bloß weil man etwas gegen ihn hat!« rief ich. »Hat man je so etwas schon gehört!«

»Es ist schlimmer als das, sehen Sie,« sagte Case. »Sie sind ja gar nicht unter Tabu – ich sagte Ihnen doch, daß das nicht der Fall wäre. Die Leute wollen nur nicht in Ihre Nähe kommen, Wiltshire, so liegen die Dinge.«

»Sie wollen nicht in meine Nähe kommen? Was soll das heißen? Warum wollen sie es nicht?«

Case zögerte. »Sie haben, wie es scheint, Angst,« sagte er mit leiser Stimme.

Ich blieb wie angewurzelt stehen. »Angst!« wiederholte ich. »Sind Sie verrückt geworden, Case? Wovor haben sie denn Angst?«

»Wenn ich das nur wüßte,« erwiderte Case kopfschüttelnd. »Anscheinend wieder einmal etwas von ihrem verfluchten Aberglauben. Das ist, was mir nicht gefällt,« sagte er. »Es ist genau wie in der Sache mit Vigours.«

»Ich möchte gerne wissen, was Sie damit sagen wollen, und wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es mir sagten,« war meine Antwort.

»Tja, wissen Sie, Vigours machte sich auf und davon und ließ alles stehen und liegen,« sagte er. »Es war irgend ein Aberglaube dabei – ich bin nie dahinter gekommen; aber zum Schluß hatte die Sache ein ziemlich übles Aussehen.«

»Darüber ist mir eine andere Geschichte zu Ohren gekommen,« sagte ich, »und ich glaube, das beste ist, ich erzähle sie Ihnen gleich. Mir ist gesagt worden, er wäre Ihretwegen davongelaufen.«

»Aha! er wird sich geschämt haben, die Wahrheit zu berichten,« versetzte Case, »sie kam ihm wahrscheinlich zu albern vor. Und Tatsache ist ja auch, daß ich ihn expedierte.« »Was wollen Sie nun machen, alter Freund?« fragte ich ihn. »Ausreißen!« sagte er, »und zwar sofort.« Ich war heilfroh, ihn gehen zu sehen. Es ist nicht meine Art, einen Kameraden im Stich zu lassen, aber es gab so viel Scherereien im Dorf, daß ich keine Ahnung hatte, wo das noch enden würde. Ich war ein Narr, mich so viel mit Vigours sehen zu lassen. Sie haben es mir heute vorgeworfen. »Haben Sie nicht gehört, wie Maea – das ist der junge Häuptling, der große – plötzlich von dem »Vika« anfing? Das ist der, gegen den sie was hatten. Sie scheinen es irgendwie nicht vergessen zu können.«

»Das ist ja alles schön und gut,« sagte ich, »aber ich weiß immer noch nicht, wo der Haken liegt; ich weiß immer noch nicht, wovor sie sich eigentlich fürchten – was eigentlich in ihren Köpfen steckt.«

»Nun, ich wollte, ich wüßte es,« sagte Case. »Mehr kann ich auch nicht sagen.«

»Meinen Sie nicht, Sie hätten sie fragen können?« sagte ich.

»Das hab ich doch getan«, sagte er. »Aber Sie müssen ja selbst gesehen haben, wenn Sie nicht blind sind, daß das Fragen nur die entgegengesetzte Wirkung hatte. Ich gehe so weit, wie ich nur wage, wenn es sich um einen Weißen handelt; aber wenn ich sehe, daß ich mich dadurch selbst in die Tinte setze, dann muß ich zuerst an mich selber denken. Der Fehler ist, daß ich zu gutmütig bin. Und ich nehme mir auch die Freiheit, Ihnen zu sagen, daß Sie eine etwas merkwürdige Art von Dankbarkeit einem Manne gegenüber zeigen, der sich Ihrethalben all die Unannehmlichkeiten gemacht hat.«

»Ich denke vor allem an eine Sache«, sagte ich. »Sie waren ein Narr, sich so viel mit Vigours zu zeigen. Einen Trost haben Sie, mit mir sind Sie nicht viel gesehen worden. Mir fällt ein, daß Sie niemals bei mir im Hause waren. Jetzt gestehen Sie einmal: Sie wußten schon vorher von dieser Sache?«

»Tatsächlich bin ich nicht bei Ihnen gewesen«, sagte er. »Ich hab es übersehen, und es tut mir leid, Wiltshire. Aber was das Jetzt-zu-Ihnen-Gehen betrifft, so möchte ich ganz offen sein.«

»Sie meinen, Sie werden nicht kommen?« fragte ich.

»Tut mir schrecklich leid, lieber Freund, aber so ungefähr ist es«, versetzte Case.

»Mit einem Wort, Sie fürchten sich«, fragte ich.

»Mit einem Wort, ich fürchte mich«, war seine Antwort.

»Und ich soll nach wie vor für nichts und wieder nichts unter Tabu stehen?« fragte ich.

»Ich sage Ihnen doch, daß das gar nicht der Fall ist«, sagte er. »Die Kanaken wollen nur nicht in Ihre Nähe kommen, das ist alles. Und wer soll sie dazu zwingen? Wir Händler haben schon eine gehörige Portion Unverschämtheit, das muß ich sagen. Wir zwingen diese armen Kanaken, ihre Gesetze zu widerrufen und ihr Tabu wegzunehmen und so weiter, ganz wie es uns paßt. Aber Sie können doch im Ernst nicht erwarten, daß ein Gesetz erlassen wird, das die Leute zwingt, in Ihrem Laden zu kaufen, ob sie nun wollen oder nicht. Sie wollen mir doch nicht sagen, daß Sie die Unverschämtheit besitzen, das zu verlangen? Und wenn Sie sie hätten, so wäre es doch eine etwas sonderbare Zumutung für mich. Ich möchte Sie nämlich darauf aufmerksam machen, daß ich selber Händler bin.«

»Ich glaube, ich würde an Ihrer Stelle nicht gerade von Unverschämtheit reden,« sagte ich. »Die Lage ist, so wie ich sie verstehe, etwa folgendermaßen: Keiner der Leute soll mit mir Geschäfte machen, sondern alle mit Ihnen. Sie wollen die Kopra scheffeln und ich soll mich zum Teufel scheren und sehen, wo ich bleibe. Und ich kenne die hiesige Sprache nicht, und Sie sind der einzige Mensch hier, der in Betracht kommt, der Englisch spricht. Und da haben Sie die Unverschämtheit, mir gegenüber anzudeuten, daß mein Leben in Gefahr ist. Und alles, was Sie mir sagen können, ist, daß Sie den Grund nicht kennen.«

»Nun, das ist wirklich alles, was ich Ihnen zu sagen habe,« entgegnete er. »Ich weiß ihn nicht – und ich wollte, ich wüßte ihn.«

»Und Sie drehen mir also den Rücken und lassen mich allein. So ist die Lage?« fragte ich.

»Wenn Sie es auf diese unangenehme Weise ausdrücken wollen, ja,« sagte er. »Ich sehe es nicht so. Ich sage lediglich: ›Ich werde mich jetzt von Ihnen zurückziehen‹, denn, wenn ich das nicht tu, bringe ich mich selber in Gefahr.«

»Nun,« sagte ich, »Sie sind schon eine feine Art von Weißer!«

»Tja, ich verstehe schon, daß Sie aufgebracht sind,« sagte er. »Ich wäre es an Ihrer Stelle auch. Ich kann Ihnen schon allerhand nachsehen.«

»Gut!« sagte ich, »tun Sie das bitte anderswo. Hier ist mein Weg und da ist der Ihrige!«

Damit schieden wir. Ich ging schnurstracks und wütend nach Hause und fand Uma dabei, wie sie, ganz nach Babyart, alle möglichen Waren anprobierte.

»Halloh!« sagte ich, »jetzt hör auf mit dem Unsinn! Einen schönen Blödsinn hast du angerichtet, als wenn ich nicht sowieso schon genug Sorgen hätte! Und ich meine, ich hätte dir doch gesagt, daß du dich ums Essen kümmern sollst!«

Und dann bekam sie mal die unfreundlichere Seite meiner Zunge zu spüren, wie sie's verdient hatte. Sie riß sich auch gleich zusammen, wie eine Schildwache vor 'nem Offizier; denn, das muß ich sagen, sie war tadellos erzogen und zeigte stets großen Respekt vor weißen Leuten.

»So«, sagte ich, »du bist ja aus dieser Gegend und du mußt es also verstehen. Weswegen bin ich eigentlich unter Tabu? Und, wenn ich nicht unter Tabu stehe, weshalb haben die Leute Angst vor mir?«

Sie stand und sah mich an mit Augen so groß wie Untertassen.

»Du nicht savvy«, fragte sie schließlich, nach Atem ringend.

»Nein«, sagte ich. »Wie soll ich das wissen? Solche Verrücktheiten gibt's da nicht, wo ich herkommen.«

»Ese, er dir nicht gesagt haben?«

(Ese war der Name, den die Insulaner für Case erfunden hatten; er kann ›fremdländisch‹ oder ›außerordentlich‹ oder auch nur ›Zwergapfel‹ bedeuten, was weiß ich; aber wahrscheinlich ist es sein richtiger Name, nur falsch aufgefangen und nach Kanakenart buchstabiert.)

»Ist ihm gar nicht eingefallen«, sagte ich.

»Verfluchter Ese!« rief sie.

Man sollte meinen, daß es komisch wirkte, dies Kanakenmädel ein so kräftiges Wort aussprechen zu hören, aber nichts dergleichen. Es war weder Ungebührlichkeit noch Zorn an ihr – nein, auch kein Zorn; darüber war sie hinaus, sie meinte das Wort ganz schlicht und ehrlich. Sie stand hoch aufgerichtet da, als sie es aussprach. Ich kann nicht sagen, daß ich jemals vor- oder nachher eine Frau so aussehen gefunden habe. Es verschlug mir glatt die Rede. Dann machte sie eine Art Verbeugung, aber so stolz wie nur möglich, und breitete weit die Hände aus.

»Ich mich schämen«, sagte sie. »Ich denken, du savvy. Ese, er mir sagen, du savvy. Er sagen, du nicht fragen nach Tabu, sagen, du mich zu sehr lieben. Tabu gehören mir,« sagte sie und berührte ihren Busen, wie sie es an dem Hochzeitsabend getan hatte. »Jetzt ich weggehen, dann Tabu auch weggehen. Dann du zuviel Kopra kriegen. Du mehr Kopra lieben, glaube ich. Tofa, alii,« sagte sie auf Insulanisch, »Häuptling, lebe wohl!«

»Halt!« rief ich. »Hab es doch nicht so eilig!«

Sie sah mich von der Seite lächelnd an. »Siehst du, du Kopra kriegen«, sagte sie, ungefähr so, wie man Kindern Süßigkeiten anbietet.

»Uma,« sagte ich, »jetzt hör mich mal an und sei vernünftig. Ich wußte es tatsächlich nicht, das stimmt; und Case scheint uns beide ziemlich gemein hinters Licht geführt zu haben. Aber jetzt weiß ich Bescheid, und es ist mir ganz egal. Ich liebe dich zu sehr, du nicht weggehen sollst, mich nicht lassen allein, ich dann zu sehr traurig.«

»Du mich nicht lieben,« rief sie, »du mir schlechte Worte geben!« Und sie warf sich in einer Ecke auf den Boden und fing an zu weinen.

Nun, ich bin kein Gelehrter, aber von gestern bin ich grade auch nicht, und ich dachte mir, daß wir das Schlimmste an der ganzen Sache schon hinter uns hätten. Aber da lag sie nun – auf dem Gesicht, der Wand zugekehrt – und schüttelte sich vor Schluchzen, wie ein kleines Kind, so daß ihre Füße förmlich auf dem Boden trommelten. Seltsam, wie das 'nen Mann packen kann, wenn er verliebt ist; denn, es hat ja keinen Zweck, sich was vorzumachen – Kanakin oder nicht – ich war in sie verliebt, oder so gut wie verliebt. Ich versuchte daher ihre Hand zu nehmen, aber sie wollte nicht. »Uma,« sagte ich, »es hat doch keinen Sinn, sich so anzustellen. Ich will, daß du hier bleibst, ich meine kleine Frau will; ich dir Wahrheit sagen.«

»Mir nicht Wahrheit sagen«, schluchzte sie.

»Schön,« sagte ich, »ich werde warten, bis du damit fertig bist.« Und ich setzte mich direkt neben sie auf den Fußboden und begann ihr Haar zu streicheln. Zuerst wand sie sich von mir hinweg, als ich sie berührte, aber dann ließ ihr Schluchzen allmählich nach, um schließlich ganz aufzuhören, und plötzlich richtete sie sich auf und sah mich an.

»Du mir Wahrheit sagen? Du wollen, daß ich bleibe?« fragte sie.

»Uma«, sagte ich, »du bist mir lieber als sämtliche Kopra der Südsee«, und das war kein kleines Wort. Das Sonderbarste aber an der Sache ist, daß ich es wirklich meinte.

Sie schlang ihre Arme um mich, schmiegte sich dicht an mich und preßte ihr Gesicht gegen das meine, nach Art der Inselleute, zu küssen, so daß ich von ihren Tränen ganz naß wurde. Mein Herz sprang ihr entgegen. Niemals ist mir etwas so nahe gekommen, wie dieses kleine, braune Mädel. Eins kam zum anderen und alles half, mir den Kopf zu verdrehen. Sie war zum Anbeißen hübsch; sie schien an diesem merkwürdigen Ort mein einziger Freund zu sein. Ich schämte mich meiner rauhen Worte ihr gegenüber: und sie war eine Frau, meine Frau, und gleichzeitig doch nur ein Kind, das mir obendrein noch leid tat. Und das Salz ihrer Tränen war in meinem Munde. Ich vergaß Case und die Eingeborenen; ich vergaß, daß ich ja nichts von Umas Geschichte wußte, und wenn ich dran dachte, war's nur, um im nächsten Augenblick die Erinnerung daran zu verbannen. Ich vergaß, daß ich nun keine Kopra bekommen würde und daher keine Existenz mehr hatte. Ich vergaß meine Arbeitgeber und meine recht sonderbare Art, ihnen zu dienen, indem ich meine Laune ihrem Geschäft vorzog. Ich vergaß sogar, daß Uma ja gar nicht meine rechtmäßige Frau war, sondern nur ein verführtes, und zwar auf recht schäbige Weise verführtes Mädchen. Doch greife ich hiermit vor. Ich komme schon mit der Zeit zu diesem Teil der Geschichte.

Es war spät geworden, ehe wir ans Essen dachten. Der Herd war ausgegangen und inzwischen eiskalt geworden; aber wir brachten ihn schließlich wieder in Gang und kochten jeder ein Gericht, wobei wir einander gleichzeitig halfen und im Wege waren und überhaupt aus dem Ganzen ein Spiel machten, wie die Kinder. Ich war so gierig nach ihrer Nähe, daß ich mich mit meinem Mädel auf den Knien zum Essen hinsetzte, sie mit der einen Hand festhielt und mit der anderen das Essen zum Munde führte. Ja, mehr noch: sie war die schlechteste Köchin, die der liebe Herrgott wohl je erschaffen hat; von den Gerichten, die sie zubereitete, wäre jedem rechtschaffenen Gaul übel geworden. Trotzdem speiste ich an jedem Tage von dem, was Uma mir gekocht hatte, und ich kann mich nicht erinnern, daß es mir jemals besser geschmeckt hätte.

Ich machte mir und auch ihr nichts vor. Ich sah, daß ich einfach weg war; wenn sie schon einen Narren aus mir machen sollte, dann immerzu! Und das brachte sie wahrscheinlich zum Reden, denn jetzt wußte sie ja, daß wir Freunde waren. Sie erzählte mir eine lange Geschichte, als sie so auf meinem Schoß saß und mein Gericht hinunterlöffelte, während ich, aus fehlerer Narretei, das ihrige aß, – von sich selbst und ihrer Mutter und Case, eine lange Sache, die sich auf Pidgeon-Insulanisch sehr langweilig ausnehmen und ganze Seiten füllen würde, die ich aber auf gut Englisch, wenigstens kurz andeuten muß; und auch eine Sache über mich selbst erzählte sie, und die hatte auf meine Angelegenheiten, wie Sie bald erfahren werden, einen sehr großen Einfluß.

Es scheint, daß sie auf einer der Äquatorialinseln geboren war. In diesen Gegenden, wohin sie mit einem Weißen gekommen war, der ihre Mutter geheiratet hatte und dann starb, war sie erst seit zwei oder drei Jahren, in Falesa erst seit einem Jahr. Vordem waren sie viel herumgezogen, immer dem Weißen nach, der einem jener rollenden Steine glich, die kein Moos ansetzen, und der stets auf der Suche war nach einem möglichst weichen Nest. Diese Art Leute reden davon, daß sie Gold aus dem Regenbogen schürfen wollen. Braucht ein Mensch eine Beschäftigung, die ihn bis an sein Lebensende aushält, so mag er sich nur auf die Suche nach einem weichen Nest begeben. Speise und Trank wird sie ihm sein und Bier und Kegelschieben, denn niemals hört man, daß einer dabei verhungert wäre, noch daß man ihn sonderlich oft nüchtern angetroffen hätte, und was einen richtigen soliden Sport betrifft, ist der Hahnenkampf gegen diesen ein Kinderspiel. Nun, wie dem auch sei, dieser Inseltrotter schleppt das Weib und ihre Tochter überall hin, zumeist aber nach entlegenen Inseln, wo es keine Polizei gab und wo, wie er wohl hoffte, das Nest sich für ihn auftun würde. Ich habe ja so meine eigene Meinung von dem Kerl; trotzdem ist es mir ganz lieb, daß er Uma von Apia und Papeete und all diesen Unzuchtnestern ferngehalten hat. Schließlich wurde er auch nach Fale-alii auf diese Insel verschlagen, bekam einige Ware in die Hände – wie, weiß allein der liebe Herrgott – verschlampte die ganze Geschichte auf die übliche Weise und starb, ohne einen Pfennig zu hinterlassen, mit Ausnahme eines Stückchen Landes in Falesa, das er für eine schlechte Schuld in Zahlung genommen hatte, und dies hatte Mutter und Tochter veranlaßt, hierher zu ziehen. Es scheint, daß Case sie unterstützte, wo er konnte und ihnen half, ihr Haus zu bauen. Er war damals sehr gut zu ihnen und gab Uma Ware, um Handel zu treiben, und es ist kein Zweifel, daß er von vornherein ein Auge auf sie geworfen hatte. Allein, kaum hatten sie sich niedergelassen, als ein junger Mann auftauchte, ein Insulaner, der sie heiraten wollte. Er war ein kleiner Häuptling und besaß einige schöne Matten und ein paar alte Familienlieder und war »sehr hübsch«, wie Uma sagte. Mit einem Wort, für ein ganz mittelloses Mädchen war es eine fabelhafte Partie.

Schon bei dem ersten Wort hiervon wurde ich ganz krank vor Eifersucht.

»Willst du damit sagen, du hättest ihn geheiratet?« rief ich.

»Joe, ja,« sagte sie. »Ich ihn zu sehr mögen!«

»So!« sagte ich, »und wenn ich dann später des Weges gekommen wäre?«

»Ich dich jetzt lieber mögen,« sagte sie. »Aber wenn ich heiraten Joane, ich dann gute Frau. Ich nicht gewöhnlicher Kanake. Gutes Mädchen!« sagte sie.

Nun, dagegen war nichts zu sagen; aber ich versichere Ihnen, mir gefiel die Geschichte gar nicht. Und das Ende vom Liede schien mir nicht die Spur besser als ihr Beginn. Es scheint, daß mit diesem Heiratsantrag das Übel seinen Anfang nahm. Man hatte natürlich auf Uma und ihre Mutter als verwandtschaftslose Ausländer herabgesehen, ihnen im übrigen aber nichts Böses getan, und selbst als Joane sich ihr näherte, sah es zuerst weniger schlimm aus, als man hätte erwarten können. Dann aber, ungefähr sechs Monate vor meinem Kommen, begann Joane sich ganz plötzlich zurückzuziehen und verließ jenen Teil der Insel, und von dem Tage an fanden Uma und ihre Mutter sich allein. Niemand sprach mehr in ihrem Hause vor, keiner redete sie auf ihren Gängen an. Gingen sie zur Kirche, so rückten die anderen Weiber auf ihren Matten von ihnen weg und ließen zwischen ihnen einen freien Raum. Es war eine regelrechte Exkommunikation wie im Mittelalter und die Ursache oder der Zweck vollkommen rätselhaft. Es war irgendeine tala pepelo, sagte Uma, eine öffentliche Lüge, eine Verleumdung; und alles, was sie davon wußte, war, daß die Mädchen, die auf ihr Glück mit Joane eifersüchtig gewesen waren, sie jetzt wegen seines Rückzuges verhöhnten und ihr zuschrien, wenn sie ihr allein im Walde begegneten, daß sie niemals heiraten würde. »Sie mir sagen, daß kein Mann mich heiraten. Er zuviel Angst«, sagte sie.

Der einzige Mensch, der sie in dieser Verlassenheit noch besuchte, war Case. Aber selbst er zeigte sich nur selten und meist nur bei Nacht und sehr bald begann er seine Karten aufzudecken und sieh an Uma heranzumachen. Ich war immer noch pikiert wegen Joane und als nun gar noch Case in gleichen Absichten auftauchte, war ich einfach fertig.

»Nun,« sagte ich höhnisch, »und den fandst du wahrscheinlich auch ›sehr hübsch‹ und hast ihn wohl auch gleich ›zu sehr mögen‹?«

»Jetzt du dumm reden,« sagte sie. »Weißer Mann, er herkommen, ich ihn heiraten, ganz wie Kanake; nun gut. Er mich auch heiraten, ganz wie weiße Frau. Wenn er nicht heiraten, er fortgehen, Frau, sie bleiben. Ese, ganz wie Dieb, leere Hand, Tonga-Herz – nicht kann lieben! Nun du aber kommen, mich heiraten. Du großes Herz – du nicht Inselmädchen schämen. Deswegen ich dich lieben zu sehr. Ich stolz.«

Ich glaube, in meinem ganzen Leben bin ich mir nicht miserabler vorgekommen als in diesem Augenblick. Ich legte meine Gabel nieder und schob das ›Inselmädchen‹ weg. Irgendwie wußte ich plötzlich mit beiden nichts mehr anzufangen. So ging ich denn hinaus und schritt vorm Hause auf und ab und Uma folgte mir mit den Augen, denn sie war beunruhigt. Kein Wunder? Beunruhigt war aber nicht das Wort, das auf mich paßte. Solche Sehnsucht und solche Angst hatte ich, zu beichten, was für ein dreckiger Kerl ich gewesen war!

Und gerade in dem Augenblick tönte ein Singen vom Meer her zu uns herüber. Klar und plötzlich schwang es sich in die Luft, während das Boot um die Landzunge fuhr und Uma, die zum Fenster gelaufen war, rief, es sei der ›Misi‹, der auf seiner Rundfahrt nach Falesa gekommen wäre.

Mir kam es seltsam vor, daß ich mich freute, einen Missionar zu sehen; aber, seltsam oder nicht, ich freute mich.

»Uma,« sagte ich, »bleib du hier in diesem Zimmer und rühr dich nicht vom Fleck, bis ich zurück bin.«


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