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Drittes Kapitel

Der Missionar

Als ich auf die Veranda trat, hielt das Missionsboot gerade in voller Fahrt auf die Flußmündung zu. Es war ein langer, weißgestrichener Kutter, am Stern von einer kleinen Plane bedeckt; ein einheimischer Pastor hockte, das Steuer in der Hand, auf dem Rande der Achterhütte. Einige vierundzwanzig Ruder hoben und senkten sich blitzend zum Takt des Liedes; und der Missionar saß in seinen weißen Kleidern lesend unter der Plane. Das Ganze war ein Schmaus für Augen und Ohren; es gibt auf den ganzen Inseln keinen flotteren Anblick als ein Missionsboot mit einer tüchtigen Besatzung, die gut im Zuge ist; ich sah ihnen wohl eine halbe Minute lang zu und schlenderte ihnen dann entgegen in der Richtung des Flusses, mit vielleicht ein bißchen Neid im Herzen.

Am jenseitigen Ufer steuerte ein Mann ebenfalls auf das gleiche Ziel los; da er aber lief, kam er als Erster dort an. Es war Case; zweifellos hatte er den Gedanken, mich dem Missionar fern zu halten, der mir ja als Dolmetsch, dienen konnte; aber ich hatte anderes im Sinne. Ich dachte daran, wie er mich mit der Heirat zum Narren gehalten hatte und wie er hinter Uma her gewesen war; und bei seinem Anblick stieg mir die helle Wut in die Nüstern.

»Machen Sie, daß Sie fortkommen, Sie gemeiner Dieb und Schwindler!« schrie ich ihm entgegen.

»Was sagen Sie da?« fragte er.

Ich wiederholte die Worte und bekräftigte sie noch mit einem saftigen Fluch. »Und wenn ich Sie je in einem Umkreis von sechs Faden bei meinem Hause erwische, ramme ich Ihnen eine Kugel in Ihren elenden Kadaver.«

»Mit Ihrem Hause können Sie anfangen, was Sie wollen«, sagte er; »ich sagte Ihnen ja schon, daß ich nicht die leiseste Absicht habe, mich dort sehen zu lassen; aber das hier ist öffentlicher Grund und Boden.«

»Es ist ein Ort, wo ich jetzt private Geschäfte zu erledigen habe,« sagte ich, »und da es mir nicht behagt, einen Hund wie Sie hier den Lauscher spielen zu lassen, erkläre Ihnen hiermit, Sie haben sich zu entfernen.«

»Und ich nehme die Erklärung nicht an«, sagte Case.

»Dann werde ich es Ihnen schon zeigen«, sagte ich.

»Das werden wir ja sehen«, erwiderte Case.

Er war mit seinen Händen ganz geschickt, aber er hatte weder genügend Größe noch Schwergewicht und nahm sich neben mir wie ein ziemlich schwächliches Geschöpf aus. Außerdem war ich derart wutentbrannt, daß ich in einen Meißel hätte hineinbeißen können. So gab ich's ihm denn, zuerst von der einen und dann von der anderen Seite, so daß ich's in seinem Kopf knacken und krachen hören konnte, und er fiel wie ein Klotz zu Boden.

»Haben Sie jetzt genug?« schrie ich. Aber er sah nur bleich und stumpf zu mir auf, und das Blut floß ihm übers Gesicht, wie Wein über eine Serviette. »Haben Sie genug?« wiederholte ich noch einmal. »Reden Sie und simulieren Sie nicht hier herum, sonst rück ich Ihnen noch einmal auf die Pelle.«

Bei diesen Worten richtete er sich auf und griff sich an den Kopf – man konnte sehen, daß ihm schwindlig war – und das Blut ergoß sich auf seine Pyjamas.

»Für diesmal habe ich genug«, antwortete er und entfernte sich taumelnd denselben Weg, den er gekommen war.

Das Boot war jetzt dicht herangekommen; ich sah, wie der Missionar sein Buch beiseite legte, und lächelte vor mich hin. »Jedenfalls wird er wissen, daß ich ein Mann bin«, dachte ich.

Es war das erstemal, daß ich in den ganzen Jahren meines Aufenthalts am Pazifik mit einem Missionar ein Wort wechselte, geschweige denn ihn um eine Gefälligkeit bat. Ich konnte sie alle nicht leiden, kein Händler kann das. Sie sehen auf uns herab und machen daraus kein Hehl; außerdem sind sie zum Teil kanakaisiert und halten zu den Eingeborenen, statt zu ihresgleichen, den Weißen. Ich trug einen sauberen, gestreiften Pyjama-Anzug – denn natürlich hatte ich mich, als es zu den Häuptlingen ging, anständig angezogen – aber als ich den Missionar so in seiner regelrechten Uniform, mit weißen Leinenhosen, Tropenhelm, weißem Hemd und gelben Stiefeln aus dem Boot steigen sah, hätte ich ihn mit Steinen bewerfen können. Als er näher kam und mich ziemlich neugierig beäugte (wahrscheinlich wegen der Rauferei) kam er mir todkrank vor. Tatsächlich hatte er auch das Fieber, und draußen im Boot hatte ihn eben erst ein Schüttelfrost gepackt.

»M. Tarleton, wenn ich mich nicht irre?« fragte ich, denn ich hatte seinen Namen erfahren.

»Und Sie sind vermutlich der neue Händler?« war seine Antwort.

»Zuerst möchte ich Ihnen sagen, daß ich nicht viel für die Mission übrig habe,« fuhr ich fort, »und daß Sie und Ihresgleichen meiner Meinung nach eine Menge Schaden anrichten, indem Sie die Einheimischen hier mit Altweibergeschichten und Mumpitz vollstopfen.«

»Sie haben ein vollkommenes Recht auf Ihre Meinung,« sagte er, ein wenig gefährlich aussehend, »ich habe aber keinerlei Verpflichtung, sie mir anzuhören.« »Zufällig müssen Sie sie doch anhören«, sagte ich. »Ich bin kein Missionar und auch kein Liebhaber von Missionaren; ich bin kein Kanake – und auch gerade kein Freund von Kanaken; ich bin nur ein Händler; ein ganz gewöhnlicher, ordinärer, gottverfluchter Weißer und britischer Untertan, einer von denen, an denen Sie am liebsten Ihre Stiefel abwischen möchten. Ich hoffe, das war wenigstens deutlich!«

»Jawohl, mein Lieber«, sagte er. »Es war mehr deutlich als lobenswert. Wenn Sie wieder nüchtern sind, werden Sie's zu bereuen haben.«

Er versuchte, an mir vorbeizukommen, aber ich hielt ihn fest. Die Kanaken fingen jetzt zu murren an. Wahrscheinlich gefiel ihnen mein Ton nicht, denn ich sprach mit dem Kerl so offen und deutlich, wie ich zu Ihnen reden würde.

»Jetzt können Sie nicht behaupten, daß ich Sie hintergangen habe,« sagte ich, »und nun kann ich ja fortfahren. Ich will einen Dienst von Ihnen – zwei sogar; und wenn Sie bereit sind, sie mir zu erweisen, werde ich vielleicht ein bißchen besser von Ihrem sogenannten Christentum denken als bisher.«

Er schwieg einen Augenblick still, dann lächelte er. »Sie sind ein etwas sonderbarer Mensch«, sagte er.

»Ich bin der Mensch, zu dem Gott mich gemacht hat«, sagte ich. »Ich beanspruche gar nicht, ein Gentleman zu sein.«

»Dessen bin ich noch gar nicht so sicher«, sagte er. »Was kann ich also für Sie tun, Herr ...?«

»Wiltshire,« sagte ich, »wenn man mich auch meistens Welsher nennt, aber es wird Wiltshire buchstabiert. Wenn die Leute hierzulande ihre Zungen nur an den Namen gewöhnen könnten. Was ich will? Nun, ich werde es Ihnen gleich sagen. Ich bin, was Sie so'n Sünder nennen – ich nenn's 'nen Schuft – und ich möchte, daß Sie mir helfen, es dem anderen Menschen gegenüber wieder gutzumachen.«

Er drehte sich um und sprach auf Insulanisch mit der Besatzung. »Und jetzt stehe ich Ihnen zu Diensten,« sagte er, »aber nur solange die Besatzung hier beim Essen ist. Ich muß noch vor Anbruch der Nacht weiter unten an der Küste sein. Ich wurde bis heute morgen in Papa-Malulu zurückgehalten und habe morgen nacht eine Verabredung in Fale-alii.«

Schweigend ging ich den Weg voran nach Hause. Ich war eigentlich mit mir ganz zufrieden über die Art, wie ich die Unterredung gedeichselt hatte, denn ich liebe es, wenn der Mensch, seine Selbstachtung behält.

»Es tat mir leid, Sie raufen zu sehen,« sagte er.

»Ach, das gehört zu der Geschichte, die ich Ihnen erzählen will,« sagte ich. »Das ist der Dienst Nummer zwei. Wenn Sie sie gehört haben, werden Sie mir sagen, ob's Ihnen noch leid tut oder nicht.«

Wir spazierten schnurstracks durch den Laden ins Haus hinein, und ich war erstaunt, zu sehen, daß Uma das Geschirr vom Mittagessen weggeräumt hatte. Das war ihr so unähnlich, daß ich sofort erkannte, sie hatte es aus Dankbarkeit getan, und hatte sie deswegen nur um so lieber. Sie und Mr. Tarleton nannten sich mit Namen, und er war anscheinend sehr höflich zu mir. Aber davon hielt ich nicht viel; einem Kanaken gegenüber sind sie immer rasch mit der Höflichkeit bei der Hand, nur gegen uns Weiße kehren sie den Herrn heraus. Außerdem lag mir Tarleton im Augenblick nicht sehr am Herzen. Ich wollte meine Sache erledigen.

»Uma,« sagte ich, »gib mal deinen Trauschein her.« Sie sah mich ängstlich an. »Los!« sagte ich, »mir kannst du schon trauen. Gib ihn her.«

Sie hatte ihn bei sich, wie gewöhnlich. Ich glaube, sie hielt ihn für eine Art Paß in den Himmel und fürchtete, wenn sie ihn beim Sterben nicht bei der Hand hätte, direkt in die Hölle fahren zu müssen. Wo sie ihn das erstemal hingesteckt hatte, konnte ich damals nicht sehen; woher sie ihn jetzt nahm, blieb mir auch verborgen. Er schien ihr plötzlich in die Hand zu springen, nach Art des Blavatsky-Hokuspokus, von dem die Zeitungen berichten. So ist es aber mit allen Insulanerinnen, wahrscheinlich bringt man ihnen diese Sachen in ihrer Jugend bei.

»So«, sagte ich, als ich den Schein in der Hand hielt, »ich wurde vom Schwarzen Jack, dem Neger, diesem Mädel angetraut. Der Schein wurde von Case ausgefertigt und stellt, wie ich Ihnen versichern kann, ein sauberes Stückchen Literatur dar. Seitdem habe ich entdeckt, daß diese meine Frau hier irgendwie in Verruf geraten ist, und daß ich, wenn ich sie behalte, mein Geschäft nicht behalten kann. Was würde nun ein Mann an meiner Stelle tun, wenn er ein wirklicher Mann ist?« fragte ich. »Als erstes würde er wohl folgendes tun.« Und ich nahm den Schein, zerriß ihn und schmiß die Fetzen auf den Fußboden.

»Aué!« schrie Uma und begann vor Schmerz die Hände zusammenzuschlagen, aber ich nahm die eine Hand in die meine.

»Und das zweite, was er tun würde,« sagte ich, »wenn er das ist, was Sie und ich unter einem Manne verstehen, Mr. Tarleton, wäre, das Mädel hier schnurstracks zu Ihnen oder zu sonst irgend einem Missionar zu bringen und zu erklären: ›Ich bin dieser meiner Frau unrechtmäßig angetraut worden, aber ich kann sie über die Maßen gut leiden und jetzt will ich ihr richtig angetraut werden!‹ Also, schießen Sie los, Mr. Tarleton. Und ich glaube, Sie machen es am besten auf Insulanisch; das wird meiner Alten hier Spaß machen,« sagte ich, wobei ich ihr gleich den Namen gab, mit dem ein Mann seine Frau zu benennen hat, ganz wie es sich gehört.

So holten wir denn zwei von der Besatzung als Zeugen herein und wurden in unserem eigenen Hause getraut; und der Pastor betete eine Weile drauf los, das muß ich schon sagen – aber nicht so lange, wie manche es zu tun pflegen – und schüttelte uns beiden zum Schluß die Hände.

»Herr Wiltshire,« sagte er, als er es uns schriftlich gegeben hatte und die Zeugen expediert waren, »ich habe Ihnen für eine sehr große Freude zu danken. Selten habe ich die Trauungszeremonie mit gehobeneren Gefühlen vollzogen.«

Das war nun 'ne Rede. Er wollte auch damit fortfahren, und ich war vollkommen bereit, so viel Schmus zu schlucken, als er auf Lager hatte, denn ich fühlte mich großartig. Aber Uma hatte sich schon während der halben Trauungszeremonie mit ganz etwas anderem beschäftigt und schoß jetzt schnurstracks aufs Ziel los.

»Wie du deine Hand verletzen?« fragte sie.

»Da mußt du Casens Kopf fragen, Alte,« sagte ich.

Sie hüpfte vor Freuden und schrie laut los.

»Zur waschechten Christin haben Sie die noch nicht gemacht,« sagte ich zu Mr. Tarleton.

»Wir hielten sie nicht für eine unserer Schlechtesten,« sagte er, »als sie noch in Fale-alii war; und wenn Uma gegen jemand aufgebracht ist, wird sie wohl allen Grund haben.«

»Nun, da sind wir bei Dienst Nummer zwei angelangt,« sagte ich. »Ich möchte Ihnen unsere Geschichte erzählen und sehen, ob Sie vielleicht etwas Licht da hineinbringen können.«

»Ist sie lang?« fragte er.

»Ja!« rief ich, »eine ganz ordentliche Geschichte!«

»Nun, ich gebe Ihnen alle Zeit, die ich erübrigen kann,« sagte er nach seiner Uhr sehend. »Aber ich muß Ihnen ganz offen sagen, daß ich seit fünf Uhr morgens heute noch nichts gegessen habe, und wenn Sie mir hier nicht etwas geben, werde ich wohl vor sieben oder acht Uhr nichts bekommen.«

»Gott verdammich, wir werden Ihnen was zu essen geben!«

Ich war ein wenig betreten, daß mir gerade jetzt, wo alles so schön glatt ging, der Fluch entwischt war, und der Missionar war's wohl auch, denn er tat so, als sähe er zum Fenster hinaus und bedankte sich nur bei uns. So schafften wir ihm denn eine Kleinigkeit zu essen. Ich mußte auch meine Alte an die Arbeit 'ran lassen, da sie zeigen wollte, was sie konnte, deshalb ließ ich sie den Tee brauen. Ich glaube, so ein Tee, wie der, den sie schließlich fertig brachte, ist mir in meinem Leben nicht begegnet. Aber das war noch nicht das Schlimmste, denn sie kriegte zum Schluß noch das Salzfaß in die Finger, und da sie Salz wahrscheinlich für 'ne ganz besondere europäische Finesse hielt, verwandelte sie Gulasch in Seewasser. Im großen und ganzen bekam Mr. Tarleton eine ganz verflixte Mahlzeit; aber er litt wenigstens keinen Mangel an Unterhaltung, während unseren Zubereitungen und später, als er in seinem Essen herumstocherte, berichtete ich ihm von Meister Case und dem Strande von Falesa, und er stellte allerlei Fragen, die zeigten, daß er mir aufmerksam folgte.

»Nun,« sagte er zum Schluß, »ich fürchte, Sie haben da wirklich einen gefährlichen Feind. Dieser Mann Case ist sehr intelligent und scheint wirklich ein böser Mensch zu sein. Ich muß sagen, daß ich schon seit fast einem Jahr ein Auge auf ihn geworfen habe und daß ich bei allen unseren Zusammenstößen eigentlich den Kürzeren zog. Ungefähr um die Zeit, als der letzte Vertreter Ihrer Firma so plötzlich auf und davon ging, bekam ich einen Brief von Namu, dem eingeborenen Pastor, mit der Bitte, so bald wie möglich nach Falesa zu kommen, da seine Herde ›alle katholische Sitten annähmen‹. Ich hielt große Stücke auf Namu; wie ich fürchte, ist das auch wieder einmal nur ein Beweis, wie leicht wir uns irren können. Niemand konnte ihn predigen hören, ohne von seinen außerordentlichen Talenten überzeugt zu sein. Alle unsre Insulaner eignen sich mühelos eine Art Beredsamkeit an und können mit sehr viel Energie und Phantasie Predigten aus zweiter Hand herunterhaspeln und beleuchten; aber Namus Predigten sind wirklich ernst zu nehmen, und ich kann nicht leugnen, daß ich sie für Werkzeuge der Gnade hielt. Außerdem nimmt er eifrigen Anteil an weltlichen Dingen, scheut sich nicht vor der Arbeit, ist ein geschickter Tischler und hat sich ein solches Ansehen unter den benachbarten Pastoren verschafft, daß wir ihn, halb im Scherz, halb im Ernst, den Bischof des Ostens nennen. Kurz und gut, ich war stolz auf den Mann; um so rätselhafter schien mir sein Brief, und ich ergriff die Gelegenheit, hierher zu kommen. Am Morgen vor meiner Ankunft hatte man Vigours an Bord des ›Lion‹ expediert, und Namu trat völlig sicher auf, schämte sich anscheinend seines Briefes und war sehr abgeneigt, ihn zu erklären. Das ließ ich natürlich nicht durchgehen und es endete mit seinem Geständnis, daß es ihn sehr beunruhigt hätte, zu sehen, daß alle seine Leute das Zeichen des Kreuzes schlügen, aber seit er die Erklärung gehört hätte, sei er vollkommen befriedigt. Denn Vigours hätte den bösen Blick gehabt, eine Sache, die in einem Lande Europas, Italien genannt, ganz üblich sei, wo Menschen häufig durch diese Art Teufel einfach tot umfielen, und das Zeichen des Kreuzes scheine ein Zauber gegen diese Macht zu sein.

»›Und ich erkläre es so, Misi,‹ sagte Namu; ›das Land in Europa ist ein Papi-Land, und der Teufel des bösen Blicks kann ein katholischer Teufel sein, oder wenigstens an katholische Sitten gewohnt. Darum folgerte ich also: wenn das Zeichen des Kreuzes auf Papi-Weise gebraucht würde, wäre es eine Sünde, aber wenn es nur gebraucht wird, um Menschen vor dem Teufel zu schützen, was an sieh ein harmloses Ding ist, muß das Zeichen auch harmlos sein, ebenso wie eine Flasche weder gut noch böse ist, sondern nur harmlos. Denn das Zeichen ist weder gut noch böse. Aber wenn die Flasche voll Gin ist, ist die Flasche schlecht; und wenn das Zeichen in Abgötterei gebraucht wird, dann ist es böse, denn Abgötterei ist auch böse.‹ Und ganz wie alle seinesgleichen hatte er sofort einen Text bei der Hand über das Austreiben von Teufeln.

»›Und wer hat dir vom bösen Blick erzählt?‹ fragte ich ihn.

»Er gestand, daß es Case gewesen wäre. Nun fürchte ich, daß Sie mich für sehr engherzig halten werden, Mr. Wiltshire, aber ich muß sagen, ich war sehr ungehalten und kann einen Händler unmöglich für den richtigen Mann ansehen, um meine eingeborenen Pastoren zu beraten und zu beeinflussen. Außerdem war ein Gerücht im Umlauf gewesen über den alten Adams und daß man ihn vergiftet hätte, auf das ich aber nicht sonderlich acht gab; nur kam es mir in diesem Augenblick wieder ins Gedächtnis.

»›Und führt dieser Case ein heiliges Leben?‹ fragte ich. Er mußte zugeben, daß das nicht der Fall wäre, denn, obwohl er nicht tränke, wäre er doch sehr ausschweifend mit den Weibern und hätte keine Religion.

»›Dann,‹ sagte ich, ›je weniger du mit ihm zu tun hast, um so besser, meine ich.‹

»Aber es ist nicht so leicht, einem Manne wie Namu gegenüber das letzte Wort zu haben. Er war sofort wieder mit einem Beispiel bei der Hand. ›Misi‹ sagte er, ›du hast mir erzählt, daß es weise Männer gibt, nicht Pastoren, nicht einmal heilige Männer, die manches Nützliche wissen und lehren – von Bäumen, zum Beispiel, und Tieren und gedruckten Büchern, und von Steinen, die verbrannt werden, um Messer daraus zu machen. Solche Männer unterrichten Euch in Euren Schulen, und Ihr lernt von ihnen, wenn Ihr Euch auch vorseht, nichts Unheiliges zu lernen. Misi, Case ist meine Schule.‹

»Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Mr. Vigours war allem Anschein nach durch Cases Intrigen aus Falesa vertrieben worden, und zwar sah es fast so aus, als hätte mein Pastor mitgeholfen. Ich erinnerte mich, daß es Namu gewesen war, der mich über Adams beruhigt und das Gerücht auf das Übelwollen des Priesters zurückgeführt hatte. Und ich erkannte, daß ich mich aus einer vorurteilsfreien Quelle gründlicher informieren mußte. Hier am Orte gibt es einen alten Schuft von einem Häuptling, Faiaso, den Sie wahrscheinlich heute bei der Beratung kennen gelernt haben. Der ist sein Leben lang aufsässig und ein großer Fuchs gewesen, ein bekannter Aufwiegler und der Mission und der Insel ein Dorn im Fleisch. Trotz alledem ist er sehr schlau und spricht, wenn es sich nicht um Politik oder um seine eigenen Streiche handelt, die Wahrheit. In sein Haus begab ich mich also, erzählte ihm, was ich gehört hatte, und bat ihn, offen mit mir zu sein. Ich glaube, niemals habe ich eine peinlichere Unterredung gehabt. Sie werden mich vielleicht verstehen, Mr. Wiltshire, wenn ich Ihnen sage, daß es mir mit den Altweibergeschichten, die Sie mir vorwerfen, vollkommen ernst ist, und daß mir die Wohlfahrt dieser Insel ebenso sehr am Herzen liegt, wie Ihnen die Liebe und der Schutz Ihrer hübschen Frau. Und Sie dürfen nicht vergessen, daß ich Namu für ein Muster hielt und stolz auf den Mann war, als eine der ersten reifen Früchte meiner Mission. Und jetzt erzählte man mir, daß er in eine Art Abhängigkeit von Case geraten wäre. Der Anfang war zweifellos nicht korrupt gewesen; es begann sicherlich mit seiner Furcht und Achtung vor Case, aus allerlei Zauberei und Betrug entstanden. Aber ich war entsetzt, als ich hörte, daß in letzter Zeit noch ein anderer Faktor hinzugetreten war, daß Namu sich im Laden mit Waren bedient hatte und daß man ihn für tief in Cases Schuld hielt. Was immer der Händler auch sagte, Namu glaubte es ihm zitternd. Hierin stand er nicht allein; viele im Dorfe lebten in der gleichen Knechtschaft. Aber Namus Fall war der bedeutungsvollste; durch Namu hatte Case das meiste Böse getan; und mit einer gewissen Gefolgschaft unter den Häuptlingen und dem Pastor in der Tasche war der Mann so gut wie Herr im Dorf. Sie haben einiges von Vigours und Adams gehört, aber vielleicht wissen Sie nichts von Underhill, Adams Vorgänger. Der war ein stiller, sanfter, alter Mann, wie ich mich erinnere, und uns wurde erzählt, er sei plötzlich gestorben; die Weißen sterben sehr rasch in Falesa. Die Wahrheit, wie sie mir jetzt berichtet wurde, ließ mir das Blut in den Adern gerinnen. Es scheint, daß er von einer allgemeinen Lähmung befallen wurde; alles an ihm war tot, bis auf ein Augenlid, das ständig zuckte. Dann entstand das Gerücht, daß der hilflose alte Mann jetzt ein Teufel geworden sei, und dieser schreckliche Mensch, Case, stachelte die Furcht der Eingeborenen, die er zu teilen vorgab, nur noch mehr auf und tat, als wage er sich nicht mehr allein in sein Haus hinein. Endlich gruben sie ein Grab, und der lebende Körper wurde in einem entlegenen Winkel des Dorfes begraben. Namu, mein Pastor, den ich geholfen hatte zu erziehen, sprach bei dieser furchtbaren Szene ein Gebet.

»Ich fand mich in einer sehr schwierigen Lage. Vielleicht war es meine Pflicht, Namu zu denunzieren und ihn absetzen zu lassen. Heute denke ich vielleicht so, aber damals war die Sache weniger klar. Er hatte großen Einfluß; vielleicht würde der sich als stärker erweisen als der meinige. Die Einheimischen neigen zum Aberglauben; vielleicht säte ich, wenn ich das Volk in Aufruhr brachte, diese gefährlichen Phantasien nur noch weiter aus. Außerdem war Namu, abgesehen von diesem neuen, verfluchten Einfluß, unter dem er stand, ein guter Pastor, ein befähigter Mensch, mit geistigen Interessen. Wo sollte ich einen besseren hernehmen, wo einen ebenso guten? In jenem Augenblick, mit Namus Fehltritt frisch vor Augen, erschien mir mein ganzes Lebenswerk als eine Posse; die Hoffnung war für mich gestorben. Ich zog es vor, lieber solche Werkzeuge, wie ich sie hatte, wieder instand zu setzen, als mich auf die Suche nach anderen zu begeben, die sich sicherlich nur als noch schlechter erweisen würden. Außerdem ist, wenn irgend möglich, ein Skandal immer zu vermeiden. Recht oder Unrecht, ich entschloß mich also für den ruhigeren Weg. Die ganze Nacht über schalt und debattierte ich mit dem irregeleiteten Pastor, hielt ihm seine Unwissenheit und seinen Mangel an Glauben vor, machte ihm seine ganze jämmerliche Haltung zum Vorwurf, säuberte doch nur Außenseite von Tasse und Teller, machte mich leichtfertig zum Mitschuldigen an einem Morde und geriet so auf kindische Weise über ein paar kindische, unnötige und unbequeme Gesten in helle Aufregung. Lange vor Tagesanbruch hatte ich ihn, scheinbar in Tränen echter Reue gebadet, auf den Knien vor mir. Am Sonntag morgen bestieg ich die Kanzel und predigte aus dem ersten Buch der Könige, Kapitel XIX, über das Feuer, das Erdbeben und die Stimme, wobei ich auf die wahre Macht des Geistes hinwies, und, soweit ich es wagte, auf die letzten Ereignisse in Falesa anspielte. Die Wirkung war eine große und steigerte sieh noch, als Namu seinerseits sich erhob und gestand, daß er im Glauben und im Handeln gefehlt habe und von der Sünde überzeugt sei. Soweit war also alles in Ordnung; aber nun trat ein unglücklicher Umstand ein. Es war dicht vor dem sogenannten ›Mai‹ auf der Insel, wo die Kollekte für die Missionen von den Eingeborenen zu zahlen ist. Es war meine Pflicht, auf diese Sache hinzuweisen, und das bot meinem Feinde eine Gelegenheit, die er nicht zögerte auszunutzen.

»Kunde von den ganzen Vorgängen muß gleich nach dem Gottesdienst zu Case gedrungen sein, und noch am gleichen Nachmittage richtete er es so ein, daß er mitten im Dorfe mit mir zusammentraf. Er ging mit solcher Bewußtheit und Animosität auf mich zu, daß ich fühlte, es wäre falsch, ihm auszuweichen.

»›So‹, sagte er im Dialekt, ›hier ist also der heilige Mann. Er hat gegen mich gepredigt, aber das war nicht in seinem Herzen, es saß ihm nur zwischen den Zähnen. Wollt Ihr wissen, was in seinem Herzen ist?‹ schrie er. ›Ich werde es Euch zeigen!‹ Und nach meinem Kopfe greifend tat er so, als hole er einen Dollar daraus hervor und hielt ihn in die Luft.

»Durch die Menge lief das Gemurmel, mit dem Polynesier ein Wunder zu begrüßen pflegen. Und was mich betrifft, so stand ich vollkommen verwirrt da. Die Sache war ja nur ein ganz gemeines Taschenspielerkunststück, das ich in der Heimat wohl ein dutzendmal gesehen habe; aber wie sollte ich diese Wilden davon überzeugen? Ich wünschte, ich hätte Legerdemain anstatt Hebräisch gelernt, um es dem Burschen in seiner eigenen Münze heimzuzahlen. Aber da stand ich nun; schweigen konnte ich nicht, und was mir zu sagen einfiel, war nur schwach.

»›Ich ersuche Sie, nicht wieder Hand an mich zu legen‹ sagte ich.

»›Ich denke gar nicht daran,‹ sagte er, ›noch will ich Sie Ihres Dollars berauben. Hier ist er‹, und damit warf er ihn mir vor die Füße. Und wo er hinfiel, soll er drei Tage lang gelegen haben, sagt man mir.«

»Ich muß sagen, gut gespielt war das,« meinte ich.

»Oh, er ist klug,« sagte Mr. Tarleton, »und jetzt sehen Sie selbst, wie gefährlich er ist. Er hat bei dem furchtbaren Tode des Gelähmten seine Hand im Spiele gehabt; er wird beschuldigt, Adams vergiftet zu haben. Er trieb Vigours durch Lügen, die auch zu einem Morde hätten führen können, fort von hier, und es ist gar keine Frage, daß er entschlossen ist, sich auch Ihrer Person zu entledigen. Wie er das anstellen will, ahnen wir nicht; aber seien Sie versichert, daß es wieder etwas Neues sein wird. Seine Geschicklichkeit und Erfindungsgabe kennen keine Grenzen.«

»Jedenfalls macht er sich eine gehörige Portion Mühe,« sagte ich, »und letzten Endes wofür?«

»Nun, wie viele Tonnen Kopra wird man in diesem Distrikte ernten?« fragte der Missionar.

»Ungefähr sechzig Tonnen,« sagte ich.

»Und welcher Gewinn springt dabei für den hiesigen Händler heraus?« fragte er weiter.

»Rund drei Pfund,« sagte ich.

»Dann können Sie sich selbst ausrechnen, für wieviel er es tut,« sagte Mr. Tarleton. »Aber worauf es ankommt, ist, daß wir ihm das Handwerk legen. Es ist klar, daß er gegen Uma ein Gerücht in Umlauf gesetzt hat, um sie zu isolieren und sie für seine üblen Zwecke willfährig zu machen. Als ihm das mißlang und er einen neuen Rivalen auftauchen sah, benutzte er sie auf andere Weise. Das erste, was wir tun müssen, ist, uns über Namu Klarheit zu verschaffen. Uma, was tat Namu, als die Leute dich und deine Mutter links liegen ließen?«

»Er auch wegbleiben, wie alle,« antwortete Uma.

»Ich fürchte, der Hund ist zu seinem Kote zurückgekehrt,« sagte Mr. Tarleton. »Und was soll ich jetzt für Sie tun? Ich werde mit Narmu reden, ich werde ihn warnen, daß man ihn beobachtet. Es sollte mich wundern, wenn er gestattete, daß hier etwas schief geht, nachdem man ihn gewarnt hat. Trotzdem kann diese Vorsichtsmaßregel mißlingen, und dann müssen Sie sich anderswohin wenden. Sie haben zwei Leute bei der Hand, an die Sie sich halten können. Der erste ist der katholische Priester, der Sie unter den Schutz der katholischen Kirche stellen könnte. Sie haben hier nur eine elende kleine Gemeinde, darunter jedoch zwei Häuptlinge. Und dann ist da der alte Faiaso. Ja! wäre es noch wie vor einigen Jahren, dann hätten Sie niemand anders gebraucht. Sein Einfluß ist jetzt aber stark geschwunden, ist in Maeas Hände übergegangen, und Maea ist, fürchte ich, auch einer von Cases Schakalen. Kurz, kommt das Schlimmste zum Schlimmen, müssen Sie nach Fale-alii schicken oder selbst hinkommen, und wenn ich auch in diesem Teil der Insel erst in einem Monat wieder erwartet werde, werde ich doch sehen, was sich machen läßt«.

So sagte Mr. Tarleton uns denn Lebewohl; und eine halbe Stunde später hörten wir das Lied der Besatzung und sahen die Ruder des Missionsbootes aufblitzen.


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