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Nacht im Busch

Na, ich hatte mich nun festgelegt: Tiapolo mußte vor dem nächsten Morgen kurz und klein geschlagen sein, und so hatte ich denn alle Hände voll zu tun, nicht nur mit meinen Vorbereitungen, sondern auch mit Reden. Mein Haus war wie ein Debattierklub, so redete Uma fortwährend über dasselbe Thema: Ich solle doch nicht bei Nacht in den Busch gehen, denn wenn ich das täte, käme ich niemals mehr zurück. Sie kennen schon die Art, wie Uma argumentierte: Sie hatten eine Probe mit Königin Viktoria und dem Teufel; und Sie mögen sich selber ausmalen, wie müde mich das machte, bevor es dunkel war.

Schließlich hatte ich einen guten Einfall. Welchen Zweck hatte es, meine Perlen vor Uma zu werfen? Etwas von ihrem eigenen gehäckselten Heu würde wahrscheinlich ein besseres Futter für sie sein, so dachte ich und sagte:

»Nun will ich dir mal was sagen: Fische mal deine Bibel heraus, und die werde ich mitnehmen. Dann kann mir nichts geschehen.«

Sie schwur, eine Bibel nütze nichts. Ich aber sagte:

»Das ist bloß deine kanakische Unwissenheit. Bring die Bibel her!«

Sie brachte das Buch, und ich schlug das Titelblatt auf, weil ich mir dachte, es werde doch wahrscheinlich etwas Englisch darauf stehen – und richtig, so war es.

»Da!« rief ich. »Sich dir das an! ›London: Printed for the British and Foreign Bible Society, Blackfriars‹, und dann kommt die Jahreszahl, die ich nicht lesen kann, weil sie mit diesen Xen gedruckt ist. Kein Teufel in der Hölle kann gegen die Bible Society, Blackfriars, an! Tja, du kleiner Dummbart! Wie denkst du denn, wir würden sonst mit all unseren Aitus zu Hause fertig? Alles bloß Bible Society!«

»Ich denken, Ihr haben gar keine Aitus. Weißer Mann, er sagen mir, Ihr nicht haben.«

»Klingt sehr wahrscheinlich – was? Wie sollten denn alle diese Inseln gepfropft voll von ihnen sein und in Europa gar keine?«

»Nun, Ihr auch nicht haben Brotbaum.«

Ich hätte mir die Haare ausraufen mögen.

»Nu hör einmal, du alte Dame – jetzt laß das mal gefälligst, ich habe die Geschichte jetzt satt! Ich nehme die Bibel mit, und dadurch bin ich so sicher wie in Abrahams Schoß – und damit basta.«

Die Nacht wurde außergewöhnlich dunkel, denn mit Sonnenuntergang zogen Wolken auf und breiteten sich über den ganzen Himmel aus; kein Stern war zu sehen; vom Mond war nur ein kleines Endchen zu erwarten, und auch das nicht vor den frühen Morgenstunden. Das Dorf drüben war von den Lichtern und Feuern in den offenen Häusern und von den Fackeln vieler Fischer, die bei den Klippen zu tun hatten, so lustig und hell beleuchtet, wie wenn Illumination wäre; aber die See und die Berge und Wälder waren rein wie verschwunden. Es mochte wohl acht Uhr sein, als ich mich, beladen wie ein Esel, auf den Weg machte. Erstlich war da die Bibel – ein Buch, so dick wie Ihr Kopf, das ich mir durch meine eigene Dämlichkeit aufgeladen hatte. Sodann waren da meine Flinte und mein Messer, eine Laterne und Sicherheitsstreichhölzer – lauter notwendige Dinge. Und außerdem hatte ich die Hauptsache für mein Vorhaben zu schleppen, nämlich einen verdammt schweren Packen Schießpulver, ein paar Fischer-Dynamitbomben und zwei oder drei Stück langsam brennender Zündschnur, die ich aus meinen Kisten herausgeklaubt und, so gut ich konnte, zusammengedreht hatte, denn die Lunten waren bloß schlechtes Zeug für die Kanaken, und ich wäre verrückt gewesen, wenn ich mich auf sie verlassen hätte. Alles in allem hatte ich also, wie Sie sehen, die Bestandteile zu einem netten kleinen Feuerwerk dabei! Die Kosten waren mir schnuppe; ich wollte, daß die Sache ordentlich klappte.

Solange ich im offenen Gelände war und mich nach der Lampe in meinem Haus richten konnte, ging es gut. Aber als ich auf den Fußweg kam, da wurde es so finster, daß ich blindlings herumtappte, gegen Bäume anrannte und dabei fluchte, wie einer, der im Schlafzimmer nach den Streichhölzern sucht. Ich wußte wohl, daß es gewagt war, Licht zu machen – denn meine Laterne mußte auf dem ganzen Weg bis zur Spitze des Kaps sichtbar sein, und da nach Sonnenuntergang niemals ein Mensch dorthin ging, so mußte darüber gesprochen werden, und Case mußte davon hören. Aber was sollte ich tun? Ich mußte entweder die Geschichte aufgeben und mich vor Maea blamieren, oder ich mußte die Laterne anstecken und auf gut Glück mich durchwinden, so gut ich's eben konnte.

Solange ich auf dem Fußweg war, ging ich schnell; als ich aber an den schwarzen Strand kam, mußte ich laufen! Denn es war jetzt beinahe Hochwasser, und um mit meinem Pulver trocken zwischen der Brandung und dem steilen Felsen hindurchzukommen, mußte ich so schnell laufen, wie ich nur konnte. Trotz meiner Fixigkeit ging mir das Wasser bis über die Knie, und ich wäre beinahe über einen Felsblock gestolpert. Diese ganze Zeit über hielten die Eile, womit ich lief, und die frische Luft und der Seegeruch mich in Aufregung; als ich aber mal im Busch war und den steilen Pfad hinaufklomm, nahm ich die Sache leichter. Die Schrecknisse des Urwaldes waren ein gut Teil verblaßt, nachdem ich Meister Cases Banjosaiten und Puppen gesehen hatte; trotz alledem war es kein angenehmer Gang, und ich dachte so bei mir selber, daß die Teufelsjünger, wenn sie da hinaufgingen, wohl eine gräßliche Angst ausstehen mußten. Das Laternenlicht, das auf alle diese Baumstämme, gegabelten Äste, zusammengedrehten und verschlungenen Lianenstengel fiel, machte den ganzen Ort, oder soviel man eben davon sehen konnte, zu einem Rätsel sich bewegender Schatten. Sie kamen auf einen los, stramm und schnell wie Riesen, kehrten dann plötzlich um und verschwanden; sie schwebten einem über dem Kopf wie Keulen und flogen davon in die Nacht hinein wie Vögel. Der Waldboden flimmerte von faulem Holz, wie man an einer Streichholzschachtel noch einen Streifen nachleuchten sieht, wenn man ein Zündholz angerieben hat. Von den Zweigen über mir fielen große, kalte Tropfen auf mich herab wie Schweißtropfen. Es war sozusagen kein Wind da; nur ein leiser, eisiger Hauch von einer Landbrise, in der sich kein Blatt rührte; und die Harfen waren stumm.

Aber lustig wurde ich zum erstenmal, als ich mich durch das Unterholz von wilden Kokossträuchern hindurchgearbeitet hatte und die Götzenpuppen auf der Mauer erblickte. Unheimlich sahen sie aus in dem Schein meiner Laterne, mit ihren bemalten Gesichtern und Muschelaugen, mit ihren Kleidern und den langen Haaren. Eine nach der andern holte ich sie alle herunter und stapelte sie zu einem Haufen auf dem Kellerdach auf, damit sie mit dem Rest gen Himmel fahren könnten. Dann suchte ich mir hinter einem der großen Steine am Eingang eine passende Stelle aus, grub mein Pulver und die beiden Bomben ein und legte meine Zündschnur. Und dann guckte ich mir noch mal den rauchenden Kopf an, bloß so, um Adieu zu sagen. Er qualmte mächtig.

»Man munter!« sagte ich. »Sie werden gleich befördert!«

Ich hatte erst die Absicht, die Lunte anzuzünden und mich sofort auf den Heimweg zu machen; denn von der Finsternis und dem faulen Holz und den Schatten der Laterne gruselte mir etwas. Aber ich wußte ja, wo eine von den Harfen hing, und es schien mir zu schade zu sein, wenn die nicht mit dem Rest in die Luft flögen; gleichzeitig aber mußte ich mir selber gestehen, daß die ganze Geschichte mir verdammt zum Halse heraushing und daß ich am liebsten zu Hause hätte sein wollen, hinter Tür und Riegel. Ich ging aus dem Keller ins Freie und überlegte mir das Ganze noch mal von vorne und hinten. Tief unter mir in der Ferne brauste die See am Strand; in der Nähe rührte sich kein Blatt; es war, wie wenn ich das einzige lebende Wesen auf dieser Seite von Kap Horn wäre. Na, wie ich da so stand und nachdachte, da war es, wie wenn der Busch erwachte und voll von leisen Geräuschen wäre. Leise Geräusche waren es nur und nichts Schlimmes dabei – ein kleines Knacken, ein kleines Rauschen –, aber nur blieb auf einmal der Atem stehen, und die Kehle wurde mir so trocken wie ein Schiffszwieback, Nicht vor Case hatte ich Angst – obgleich das ganz vernünftig gewesen wäre –, an Case dachte ich gar nicht; was mich packte, scharf wie ein Bauchgrimmen, das waren die Altweibergeschichten – von den Teufelinnen und den Menschenschweinen. Um ein Haar wäre ich davongerannt. Aber ich rappelte mich zusammen und trat vor, hielt die Laterne hoch – wie ein richtiger Dummkopf – und sah mich um.

In der Richtung nach dem Dorf und dem Fußweg war nichts zu sehen; aber als ich mich nach der Landseite drehte, da – ich wundere mich heute noch, daß ich nicht umfiel. Da – direkt aus der Wildnis und dem Teufelsbusch – jawohl! – da kam eine Teufelin, und die sah gerade so aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich sah das Licht auf ihren nackten Armen und ihren funkelnden Augen glänzen, und da schrie ich auf, daß ich dachte, es wäre mein Tod.

»Oh! Nicht rufen laut!« sagte die Teufelin in einer Art von lautem Flüstern. »Warum Ihr rufen laut? Ihr machen Licht aus! Ese er kommen.«

»Allmächtiger Gott – Uma, bist du das?«

»Djo!« sagt sie; das heißt: ja. »Ich kommen schnell. Ese hier bald.«

»Du kommst allein? Du hast keine Angst?« fragte ich.

»Ach, zuviel Angst!« flüsterte sie und klammerte sich an mich. »Ich denke sterben.«

»Na«, sagte ich, mit einem etwas kümmerlichen Lächeln, »ich werde dich nicht auslachen, Frau Wiltshire. Ich habe selber eine gräßliche Angst gehabt, wie kaum ein Mann im ganzen Südlichen Pazifik.«

Sie sagte mir in zwei Worten, warum sie gekommen war. Ich war scheint's kaum fort, da kam Fa'avao zu ihr, und die alte Frau hatte den Schwarzen Jack gesehen, wie er, so schnell er konnte, von unserem Hause zu Case rannte. Uma hatte kein Wort gesprochen, sondern war hinausgerannt, um mich zu warnen. Sie war so dicht hinter mir, daß die Laterne ihr den Weg über den Strand gezeigt hatte, und später hatte der Lichtschein zwischen den Bäumen ihr die Richtung bergauf gezeigt. Nur als ich oben angekommen war oder mich im Keller befand, da war sie irr gelaufen, Gott weiß wohin, und hatte eine Masse kostbarer Zeit verloren; denn sie wagte nicht laut zu rufen, weil sie dachte, Case wäre dicht hinter ihr, und in dem Unterholz war sie gestolpert und gefallen, so daß sie ganz verschrammt und zerschlagen war. Auf diese Weise mußte sie zu weit nach Süden gekommen sein, so daß sie schließlich in meiner Flanke auftauchte und mir einen Schreck einjagte – ich kann gar nicht sagen, was für einen!

Na, alles war besser als eine Teufelin! Aber ihre Geschichte schien mir ernst genug zu sein, der Schwarze Jack hatte bei meinem Hause nichts zu suchen, wenn er nicht als Aufpasser dahin geschickt war; und es kam mir vor, wie wenn meine dämliche Rede von der Leuchtfarbe und dazu vielleicht noch ein Geplapper von Maea uns alle in eine verdammte Klemme gebracht hätte. Eins war klar: Uma und ich mußten die ganze Nacht im Busch bleiben; vor dem Morgen durften wir es nicht wagen, nach Hause zu gehen, und selbst dann würde es sicherer sein, den Umweg über den Berg zu machen und von der anderen Seite her uns am Dorf vorbeizuschleichen – sonst konnten wir leicht in einen Hinterhalt hineinlaufen. Außerdem war es klar, daß ich die Mine sofort springen lassen mußte, sonst konnte mir Case noch dazwischenkommen.

Ich ging also in den Kellerhals hinein, Uma dicht hinter mir, machte meine Laterne auf und zündete die Lunte an. Das erste Stück der Lunte brannte wie Papier, und ich stand ganz dumm dabei, sah es brennen und dachte, wir würden mit Tiapolo in die Luft gehen, was durchaus nicht in meiner Absicht lag. Das zweite Stück ging besser, aber immer noch schneller, als mir lieb war; und dabei kam ich wieder zur Besinnung, schob Uma schleunigst aus dem Keller hinaus, blies meine Laterne aus und warf sie fort, und nun tasteten wir beide uns in den Busch hinein, bis ich dachte, nun wären wir wohl in Sicherheit, und dann legten wir uns nebeneinander unter einen Baum.

»Alte Dame«, sagte ich zu ihr, »diese Nacht werde ich nicht vergessen. Du bist ein gutes Mädchen – wenn dir das man bloß gut bekommt!«

Sie drängte sich dicht an mich heran. Sie war vom Hause fortgelaufen, so wie sie war, mit nichts auf dem Leibe als ihrem Hüftschurz; sie war klitschnaß vom Tau und von dem Meerwasser am schwarzen Strand und zitterte vor Kälte und aus Angst vor der Dunkelheit und den Teufeln.

»Zu viel bange sein«, war alles, was sie sagte.

Die andere Seite von Cases Hügel fällt beinahe so steil wie ein Abgrund nach dem nächsten Tal ab. Wir lagen hart an dessen Rand, und ich konnte das tote Holz leuchten sehen und die See unten in der Ferne brausen hören. Die Stellung gefiel mir nicht, denn ich hatte keine Rückzugslinie; aber ich wagte mich nicht zu rühren, und dann sah ich, daß ich noch einen größeren Fehler gemacht hatte, nämlich mit der Laterne: Die hätte ich brennen lassen sollen, dann hätte ich auf Case losknallen können, sobald er in den Lichtschein getreten wäre. Und selbst wenn ich nicht so viel .Vernunft gehabt hätte, es so zu machen, so war es doch offenbar sinnlos, die gute Laterne mit den Götzenpuppen zusammen in die Luft fliegen zu lassen. Schließlich war sie doch mein und war Geld wert und konnte noch benutzt werden. Wenn ich nur hätte der Lunte trauen können, so wäre wohl noch Zeit gewesen, hinüberzulaufen und sie zu retten. Aber wer konnte sich auf die Lunte verlassen? Sie wissen ja, wie die Handelsware hier in der Südsee ist. Das Zeug war gut genug für Kanaken, um damit zu fischen, wobei sie überhaupt flink sein und aufpassen müssen, und das Höchste, was sie dabei riskieren, ist, daß ihnen die Hand weggerissen wird. Aber für einen, der sich an eine Mine heranwagen wollte, wie ich sie da zurechtgemacht hatte, war eine solche Lunte einfach Schund.

Alles in allem konnte ich nichts Besseres tun, als still zu liegen, meine Schrotflinte schußfertig zu halten und auf die Explosion zu warten. Aber das war eine langweilige Geschichte! Die Nacht war so dunkel, wie wenn man sie hätte schneiden können; man konnte weiter nichts sehen als das eklige gespensterhafte Glimmen des toten Holzes, und dabei sah man weiter nichts als das Holz selbst. Ich spitzte die Ohren, bis ich dachte, ich könnte die Lunte im Kellerraum brennen hören, und der Busch war so stumm wie ein Sarg. Ab und zu gab es ein leichtes Knacken; aber ob dies nahebei oder weit weg war, ob es Case war, der vielleicht ein paar Ellen von mir mit seinen Schuhspitzen gegen was anstieß, oder auch ein Baum, der meilenweit entfernt auseinanderkrachte – darüber wußte ich nicht mehr als ein ungeborenes Kind.

Und dann, ganz plötzlich, ging der Vesuv in die Luft! Es dauerte lange, bis es losging; aber als es losging – ich sollte ja nicht damit renommieren, aber man konnte wirklich nicht verlangen, was Schöneres zu sehen. Zuerst war es bloß wie ein Flintenschuß und wie ein Feuerstrahl; dann kam ein heller Schein, wie wenn der ganze Wald in Flammen stände – so hell, man hätte dabei lesen können. Uma und ich wurden unter einer Wagenladung Erde halb begraben, und Gott sei Dank, daß es nicht schlimmer kam: Denn einer von den Felsblöcken beim Kellereingang wurde hoch in die Luft gefeuert, fiel ein paar Klafter von der Stelle nieder, wo wir lagen, flog über den Rand des Abgrundes und polterte in das nächste Tal hinunter. Ich sah nun, daß ich entweder unseren Abstand zu klein genommen oder daß ich zu viel Dynamit und Pulver eingegraben hatte – welches von beiden Sie nun wollen.

Und plötzlich sah ich, daß mir außerdem noch ein Versehen unterlaufen war. Der Lärm, der die ganze Insel erschüttert hatte, begann zu ersterben. Das Blitzlicht war erloschen; und trotzdem wurde es nicht wieder Nacht, wie ich erwartete. Denn das ganze Gehölz war mit glühenden Kohlen und Feuerbränden von der Explosion her besät; rund um mich herum lagen sie auf der Lichtung; einige waren ins Tal hinuntergefallen und einige staken in den Baumwipfeln und flackerten da. Vor einer Feuersbrunst hatte ich keine Angst, denn diese Wälder sind zu naß, um in Brand zu geraten. Das Schlimme war bloß, daß der ganze Ort beleuchtet war – nicht übermäßig hell, aber doch hell genug, um einen Schuß dabei loszuknallen; und wie die glühenden Kohlen herumlagen, war es ebenso wahrscheinlich, daß Case eher dabei den Vorteil haben würde als ich selber. Sie können sich wohl denken: Ich sah mich überall um nach seinem käsigen Gesicht; aber es war keine Spur von ihm zu sehen. Uma lag neben mir, ganz leblos, wie wenn der Blitz und der Knall ihr den Rest gegeben hätten.

Vor allem war da ein böses Ding für mich: Eins von den verdammten geschnitzten Götzenbildern war kaum vier Ellen von mir niedergefallen, und Haare und Kleider und Holz brannten lichterloh. Ich blickte ganz vorsichtig rund um mich herum – immer noch kein Case, und mir war klar, ich mußte dieses brennende Holz loswerden, bevor er käme, sonst würde ich niedergeschossen werden wie ein Hund.

Erst dachte ich, ich wollte hinüberkriechen; dann aber schien mir, Schnelligkeit wäre die Hauptsache, und ich richtete mich halb auf, um einen Sprung zu machen. In demselben Augenblick kamen von irgendwoher zwischen mir und der See ein Blitz und ein Knall, und eine Büchsenkugel pfiff mir am Ohr vorbei. Stracks war ich auf und hatte mein Gewehr fertig, aber der Kerl hatte eine Winchester, und bevor ich ihn bloß zu sehen kriegte, schmiß sein zweiter Schuß mich um wie einen Kegel. Mir war es, wie wenn ich in die Luft flöge, dann fiel ich mitten im Sprung hin und lag eine halbe Minute ganz dösig da; und dann merkte ich, daß meine Hände leer waren: Mein Gewehr war mir über den Kopf geflogen, als ich stürzte. Man wird verdammt hellwach, wenn man in so einer Klemme ist wie ich in dem Augenblick. Ich wußte kaum, wo ich getroffen war, ob ich überhaupt getroffen war oder nicht – aber ich warf mich im Nu herum auf den Bauch, um zu meiner Waffe zu kriechen. Wenn Sie's noch nicht versucht haben, mit einem zerschossenen Bein zu kriechen, dann wissen Sie nicht, was Schmerz ist! Na, ich brüllte wie ein Ochse!

Das war das unglücklichste Geräusch, das ich in meinem ganzen Leben gemacht habe. Bis dahin war Uma unter ihrem Baum geblieben, als ein vernünftiges Weib, das genau wußte, es würde mir nur im Wege sein; aber sobald sie mich brüllen hörte, rannte sie vorwärts, die Winchester krachte wieder – und da lag Uma.

Ich hatte mich, trotz Bein und allem, aufgerichtet, um sie anzuhalten; aber als ich sie purzeln sah, da klappte ich auf meinem Fleck zusammen, lag still und fühlte nach meinem Messergriff. Ich hatte es vorhin zu eilig gehabt, und dabei hatte Case mich erwischt. Das war nun vorbei. Er hatte mir meine Frau niedergeknallt, dafür mußte er mir nun heran! Und so lag ich da und knirschte mit den Zähnen und überlegte mir, wie die Aussichten standen. Mein Bein war kaputt, mein Gewehr war futsch. Case hatte noch zehn Schüsse in seiner Winchester. Die Sache sah ziemlich hoffnungslos für mich aus. Aber ich dachte nicht einen Augenblick an Verzweifeln, sondern bloß: der Mann muß heran.

Für eine nette Weile rührte sich keiner von uns beiden. Dann hörte ich, wie Case sich im Busch näher heranbewegte, aber mächtig vorsichtig. Das Götzenbild war ausgebrannt; nur hier und dort lagen noch ein paar Kohlen herum, und der Wald war eigentlich wieder dunkel, bloß ein ganz schwaches Glühen war noch drin, wie in einem Feuer, das in den letzten Zügen liegt. Bei diesem Schimmer erspähte ich Cases Kopf, wie er über einen großen Farnstrauch nach mir Ausschau hielt, und in demselben Augenblick sah der Kerl mich und legte seine Winchester an. Ich lag ganz still und sah sozusagen in den Lauf seines Gewehres hinein – das war die letzte Möglichkeit für mich. Aber ich dachte dabei, mein Herz hätte mir die Brust zersprengt. Dann feuerte er; zu meinem Glück war es kein Schrotgewehr; denn die Kugel schlug einen Zoll vor mir ein, daß mir die Erde in die Augen spritzte.

Versuchen Sie bloß mal, ob Sie still liegen können, wenn einer im Sitzen auf Sie schießt und um ein Haarbreit vorbeitrifft. Aber ich lag still, und das war mein Glück. Eine Weile stand Case mit der Winchester im Anschlag; dann lachte er ein bißchen vor sich hin und kam hinter dem Farnbusch heraus.

»Lach du nur!« dachte ich. »Wenn du nur so klug wärst wie eine Maus, würdest du beten!«

Es ging um mein Leben. Sobald er in Griffweite kam, hatte ich ihn am Enkel, riß ihm das rechte Bein unter dem Leibe weg, legte ihn auf den Rücken und war, trotz meinem kaputten Bein, auf ihm, bevor er nur schnaufen konnte. Seine Winchester war denselben Weg geflogen wie meine Schrotflinte; mir war's einerlei; – nun hatte ich ihn! Ich bin überhaupt ein ziemlich starker Mann; aber ich hatte nie gewußt, was Stärke ist, bis zu diesem Augenblick, als ich Meister Case in meinen Fäusten hatte. Er hatte durch den Ruck, womit er geflogen war, halb die Besinnung verloren und warf beide Hände auf einmal hoch, beinahe wie ein Weib, das Angst hat; so packte ich sie alle beide mit meiner Linken. Das weckte ihn auf, und er schlug seine Zähne in meinen Unterarm wie ein Wiesel. War mir schnuppe. Mein Bein tat mir so weh, wie ich's nur verlangen konnte, auf ein bißchen mehr Schmerzen kam's nicht an, und ich zog mein Messer und setzte es ihm auf die Brust.

»So!« sagte ich. »Nun hab' ich dich! Mit dir ist's aus, und 's ist nicht schade drum! Fühlst du die Spitze? Dies ist für Underhill! Und das für Adams! Und das hier ist für Uma – und da noch eins zum Abschied für deine schöne Seele!«

Und damit gab ich ihm den kalten Stahl mit aller Kraft. Sein Leib wippte unter mir wie 'n Sprungsofa; er stieß ein gräßliches, langes Stöhnen aus und ward still.

»Ob du wohl tot bist? Hoffentlich!« dachte ich; denn mir wurde schwarz vor den Augen. Aber ich wollte es nicht auf eine bloße Möglichkeit ankommen lassen; dazu hatte ich sein eigenes Beispiel zu nahe vor Augen; und so versuchte ich, ihm das Messer aus dem Leibe zu ziehen, um es ihm noch einmal zu geben. Das Blut strömte über meine Hände; ich erinnere mich noch, es war so heiß wie Tee; und damit schwand mir die Besinnung, ich fiel und lag mit meinem Kopf auf dem Munde des Kerls.

Als ich wieder zu mir kam, war es pechdunkel; die Kohlen waren ausgebrannt; nichts war zu sehen als der Schein des alten Holzes, und ich konnte mich nicht erinnern, wo ich war, auch nicht, warum ich solche Schmerzen hatte und wovon ich so naß war. Dann kam mir die Erinnerung, und das erste, was ich besorgte, war, daß ich ihm das Messer noch ein halbes dutzendmal bis ans Heft in die Brust stieß. Ich glaube, er war schon tot; aber es tat ihm ja nicht weh, und mir tat es gut.

»Ich wette, jetzt bist du tot!« sage ich, und dann rief ich nach Uma.

Keine Antwort. Da machte ich eine Bewegung, um nach ihr herumzutasten, stieß mit meinem kaputten Bein an und fiel wieder in Ohnmacht.

Als ich zum zweiten Male zur Besinnung kam, hatten alle Wolken sich verzogen; nur ein paar segelten, weich wie Watte, am Himmel entlang. Der Mond war aufgegangen – ein Tropenmond. Der Mond bei uns zu Hause macht einen Wald schwarz; aber in diesem Schein eines alten, kleinen Mondstümpfchens lag der Wald so grün wie bei Tage da. Die Nachtvögel – oder eigentlich ist es eine Art von Frühmorgenvögeln – sangen ihre langen, fallenden Töne wie Nachtigallen. Und ich konnte den toten Mann sehen, auf dem ich noch mit meinem halben Leibe lag. Mit seinen offenen Augen sah er gerade zum Himmel hinauf, nicht bleicher, als er bei Lebzeiten gewesen war; und ein kleines Ende weiter lag Uma auf der Seite. Ich rutschte zu ihr hinüber, so gut ich konnte; und als ich bei ihr war, da war sie hellwach und weinte und schluchzte vor sich hin, ganz leise, leise – nicht lauter als ein Käfer. Sie hatte scheint's Angst, laut zu weinen wegen der Aitu. Alles in allem war sie nicht schwer verwundet, aber sie hatte eine unglaubliche Angst; schon vor einer langen Weile war sie zur Besinnung gekommen, hatte nach mir gerufen, keine Antwort gehört und infolgedessen angenommen, daß wir beide tot seien. Dann hatte sie eine ganze Zeit über dagelegen und vor Angst nicht gewagt, einen Finger zu rühren. Die Kugel hatte ihr die Schulter aufgepflügt, sie hatte eine tüchtige Masse Blut verloren; die Wunde war aber bald in einem regelrechten Verband, den ich aus meinem Hemdschoß und meiner Halsbinde herstellte. Dann legte ich ihren Kopf auf mein gesundes Knie, lehnte mich mit dem Rücken gegen einen Baumstumpf, machte es mir so bequem wie möglich und wartete, daß der Morgen käme. Uma war für mich ganz nutzlos, und schön aussehen tat sie auch nicht; sie konnte weiter nichts tun, als sich an mich anklammern und zittern und weinen. Ich glaube nicht, daß jemals ein Mensch ärgere Angst gehabt hat als Uma, aber gerechterweise muß ich auch sagen: Sie hatte eine muntere Nacht gehabt. Ich selber hatte tüchtige Schmerzen und Fieber dazu, aber es war nicht übermäßig schlimm, wenn ich still saß; und jedesmal, wenn ich nach Case hinübersah, hätte ich singen und pfeifen mögen. Was ist Essen und Trinken! Der Anblick des Mannes, der da tot wie ein Hering lag, machte mich vollkommen satt.

Nach einer Weile hörten die Nachtvögel zu singen auf; und dann begann das Licht sich zu ändern. Der Osten wurde orangerot, der ganze Wald begann zu schwirren von Vogelgesang wie eine Spieldose, und dann war es heller Tag.

Ich erwartete Maea noch für eine lange Weile nicht; im Gegenteil, mir kam der Gedanke, es sei gar nicht unmöglich, daß er von seiner Absicht abgehe und überhaupt nicht komme. Um so mehr freute ich mich, als ich ungefähr eine Stunde nach Tagesanbruch mit Stöcken gegen die Bäume schlagen und einen Haufen Kanaken laut lachen und schreien hörte, um sich Mut zu machen. Uma richtete sich frisch und munter auf, sowie sie das erste Wort hörte; und auf einmal sahen wir einen ganzen Trupp vom Fußweg herüberkommen – Maea voran, und hinter ihm ein Weißer mit einem Tropenhelm. Es war Herr Tarleton, der spät am vorigen Abend in Falesa angekommen war; er hatte sein Boot landen lassen und war die letzte Strecke bis zum Dorf zu Fuß mit einer Laterne gegangen.

Sie begruben Case auf dem Felde der Ehre, in der Höhle selbst, in der er das qualmende Haupt gehabt hatte. Ich wartete, bis die Geschichte vorüber war; und Herr Tarleton betete, was nach meiner Meinung Narrenkram war – aber ich muß sagen, er gab eine recht trübselige Schilderung der künftigen Aussichten des teuren Verstorbenen und schien über die Hölle seine eigene Meinung zu haben. Ich disputierte später mit ihm darüber und sagte ihm, seine Predigt sei Pfuscharbeit gewesen; er hätte es ganz anders machen müssen, nämlich sich wie ein Mann hinstellen und den Kanaken klipp und klar sagen, Case sei verdammt, und es sei gut, daß man ihn los wäre. Aber es gelang mir nicht, ihn von der Richtigkeit meiner Meinung zu überzeugen.

Hierauf machten sie für mich eine Tragbahre aus Ästen und trugen mich nach der Station hinunter. Herr Tarleton schiente mein Bein und behandelte es wie ein richtiger Missionar, so daß ich noch den heutigen Tag hinke. Als er damit fertig war, schrieb er meine Zeugenaussage nieder, vernahm auch Uma und Maea, schrieb alles fein säuberlich auf und ließ uns unterzeichnen; und dann ließ er die Häuptlinge holen und marschierte mit ihnen nach Papa Randalls Haus hinüber, um Cases Papiere in Beschlag zu nehmen.

Alles was sie fanden, war eine Art Tagebuch, das eine ganze Reihe von Jahren geführt worden war und worin weiter nichts stand als Eintragungen über den Koprapreis, gestohlene Hühner usw.; außerdem waren da bloß noch die Geschäftsbücher und das Testament, wovon ich Ihnen schon zu Anfang erzählte, und aus beiden ergab sich, daß die ganze Geschichte, Haus und Hof, Geld und Gut seinem samoanischen Weibe gehörte. Ich selber kaufte ihr alles ab, und zwar um einen recht vorteilhaften Preis, denn sie hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Randall und der Schwarze mußten davon; richteten eine Art von Station da in der Gegend von Papa-malulu ein und machten sehr schlechte Geschäfte; denn, um die Wahrheit zu sagen, keiner von beiden verstand etwas davon; sie lebten hauptsächlich vom Fischen, und das kostete dem alten Randall das Leben. Eines Tages kam scheint's ein netter großer Zug von Fischen in die Bucht, und Papa ging mit Dynamit auf sie los; entweder brannte die Lunte zu schnell, oder Papa war voll, oder auch beides, genug, die Bombe ging los – in der üblichen Weise – bevor er sie schmiß, und wo war da Papas Hand? Na, dabei ist ja weiter nichts Schlimmes; die Inseln nach Norden zu sind voll von Einhändigen wie die Kerls da in Tausendundeinernacht – aber entweder war Randall zu alt, oder er trank zuviel – na, kurz und gut, er starb. Recht bald darauf wurde der Nigger an die Luft befördert, weil er bei Weißen gestohlen hatte. Er ging nach Westen und fand da Menschen von seiner eigenen Farbe, die ihm vielleicht besser gefiel, und die Menschen seiner eigenen Farbe griffen ihn und aßen ihn als eine Art von Herzstärkung, und ich hoffe von Herzen, er hat ihnen gut geschmeckt!

So saß ich denn allein in meiner Glorie in Falesa; und als der Schoner kam, füllte ich das ganze Schiff, und es bekam noch eine Decksladung, halb so hoch wie mein Haus. Ich muß sagen, Herr Tarleton nahm sich unser sehr eifrig an; aber zugleich nahm er eine Art Rache, die nicht nett von ihm war. Er sagte nämlich zu mir:

»Nun, Herr Wiltshire, ich habe Sie jetzt mit allen Leuten hier auf einen guten Fuß gebracht. Es war nicht schwierig, da Case nicht mehr da war; aber ich habe es getan und habe außerdem mein Wort darauf gegeben, daß Sie gegen die Eingeborenen ehrlich sein werden. Ich muß Sie bitten, daß Sie mein Wort halten.«

Na, das tat ich. Wegen meiner Waage hatte ich einige Gewissensbisse, aber ich sagte mir so: Wir haben alle Waagen, die nicht ganz in Ordnung sind, und die Kanaken wissen das alle und wässern ihre Kopra entsprechend, so daß schließlich doch alles recht ist. Aber ich hatte tatsächlich Gewissensbisse; obgleich ich in Falesa gute Geschäfte machte, war ich doch beinahe froh, als die Firma mich nach einer anderen Station versetzte, wo mir keine Art von Ehrenwort auferlegt war und ich mit ruhigem Gewissen meine Waage ansehen konnte.

Meine alte Dame kennen Sie ja ebensogut wie ich. Sie hat nur den einen Fehler: Wenn ich nicht fortwährend mein Auge drauf hätte, würde sie das Dach von meinem Hause wegschenken. Na, das scheint so in der Kanakennatur zu liegen. Sie ist jetzt ein mächtig starkes Weib geworden und könnte einen Londoner Schutzmann über ihre Schulter schmeißen. Aber das ist ebenfalls in der Natur der Kanaken, und ganz ohne jeden Zweifel ist sie eine Ehefrau von prima Sorte.

Herr Tarleton ist nach England zurückgegangen, als seine Zeit um war. Er war der beste Missionar, den ich jemals traf, und ist jetzt scheint's Pfarrer irgendwo da in Somerset. Nun, das ist gewiß das beste für ihn; da wird er wohl keine Kanaken haben, deretwegen er sich verrückte Ideen in den Kopf setzen kann.

Wie es mit meiner Kneipe geworden ist, fragen Sie? Gar nichts natürlich, und es wird wohl auch nicht dazu kommen. Ich stecke hier wohl fest, denke ich mir. Sehen Sie, ich möchte mich nicht von den Kleinen trennen, und – es hat ja keinen Zweck, sich selber etwas vorzureden – sie sind hier besser aufgehoben als in einem Land mit weißen Leuten; allerdings hat Ben, der Schiffer, den Ältesten mit nach Auckland hinübergenommen, wo er mit den Besten zur Schule geht. Aber was mir Kopfweh macht, das sind die Mädchen. Natürlich sind sie nur Halbblut, das weiß ich ebensogut wie Sie, und kein Mensch kann von Halbblut geringer denken als ich; aber sie sind mein, und sie sind so ziemlich mein Alles und Einziges. Ich kann mich nicht mit dem Gedanken befreunden, daß sie sich mit Kanaken verheiraten, und ich möchte wohl wissen: Wo werde ich die Weißen für sie finden?


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