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Der Missionar

Als ich auf die Veranda hinaustrat, schoß gerade das Missionsboot auf die Flußmündung zu. Es war ein langes, weiß angemaltes Walfischfängerboot; ein Kanakenpastor hockte hinten auf dem Bord und steuerte, vierundzwanzig Ruder blitzten im Sonnenschein und tauchten ins Wasser, im Takt nach dem Gesang der Ruderer; unter dem Sonnensegel saß der Missionar in seinen weißen Kleidern und las in einem Buch. Es war nett zu sehen und zu hören; man kann sich nichts Schmuckeres denken, da in den Inseln, als ein Missionarsboot mit einer guten Mannschaft, und ich betrachtete es eine halbe Minute lang, vielleicht mit etwas Neid, und ging dann zum Fluß hinunter.

Von der entgegengesetzten Seite strebte ein anderer Mann derselben Stelle zu; aber er rannte und kam zuerst an. Es war Case. Ohne Zweifel hatte er den Gedanken, mich von dem Missionar fernzuhalten, der mir als Dolmetscher dienen konnte; aber ich dachte an andere Dinge. Ich dachte daran, wie er uns mit der Heirat gefoppt hatte und wie er Uma immer nachgestellt hatte; und bei seinem Anblick blähte die Wut mir die Nüstern auf.

»Pack dich fort, du gemeiner Schwindler und Dieb!« schrie ich.

»Was sagen Sie da?«

Ich wiederholte das Wort und setzte einen guten Fluch darauf. »Und wenn ich dich je binnen sechs Faden von meinem Hause erwische«, rief ich, »will ich dir eine Kugel in deinen verfaulten Leib jagen.«

»Bei Ihrem Hause müssen Sie tun, was Ihnen gut dünkt«, sagte er, »ich sagte Ihnen schon, ich denke nicht daran, dahin zu gehen; aber hier ist öffentlicher Weg und Ort.«

»Hier ist ein Ort, wo ich selber was für mich zu tun habe! Es paßt mir nicht, daß ein Hund wie du hier herumschnüffelt. Und ich sage dir: Pack dich von hier fort!«

»Ich denke nicht daran.«

»Dann will ich dir helfen.«

»Das wollen wir erst mal sehen!«

Er war flink mit seinen Händen, aber er hatte weder meine Größe noch mein Gewicht, denn er war im Vergleich mit mir nur ein spärliches Kerlchen; außerdem war meine Wut siedendheiß, und mir war alles einerlei. Ich gab ihm erst meine rechte Faust zu schmecken und dann meine linke; ich konnte es in seinem Schädel rasseln hören, und er fiel nieder wie ein Ochse.

»Hast du genug?« schrie ich. Aber er sah mich nur mit weißem Gesicht an, und das Blut strömte von seinem Gesicht herunter wie Wein auf ein Tischtuch. »Hast du genug?« brüllte ich wieder. »Sprich! und liege hier nicht herum und winsle oder du kriegst Fußtritte!«

Hierauf richtete er sich auf und hielt sich den Kopf – und ich konnte ihm ansehen, daß ihm drin alles rundherum ging – und das Blut strömte auf seinen Pyjama.

»Für diesmal hab' ich genug«, sagte er, krabbelte auf seine Füße und ging den Weg zurück, den er zuvor gekommen war.

Das Boot war dicht am Ufer; ich sah, daß der Missionar sein Buch auf die Seite gelegt hatte, und lachte leise vor mich hin und dachte: »Jedenfalls wird er jetzt wissen, daß ich ein Mann bin.«

Es war das erste Mal in all den Jahren, die ich im Pazifik erlebt hatte, daß ich zwei Worte mit einem Missionar gesprochen hatte, geschweige denn, daß ich einen um eine Gefälligkeit gebeten hatte. Ich mag die Leute nicht, kein Händler mag sie; sie sehen von oben herab auf uns nieder und machen gar kein Hehl daraus; außerdem sind sie zum guten Teil kanakisch geworden und halten es mit den Eingeborenen, anstatt mit anderen weißen Männern, wie sie selber sind. Ich trug einen Anzug von sauberem gestreiftem Flanell; denn natürlich hatte ich mich anständig angezogen, als ich zu den Häuptlingen ging. Als ich aber den Missionar aus dem Boot steigen sah in seinem weißleinenen Priesteranzug, mit Tropenhelm, weißem Hemd, weißer Halsbinde und gelben Schuhen an den Füßen, da hätte ich vor Ärger Steine nach ihm werfen mögen. Als er näher kam und mich recht neugierig musterte – wohl wegen der Boxerei –, da sah ich, daß er todkrank aussah; er hatte nämlich ein Fieber im Leibe und hatte im Boot gerade einen Frostschauer gehabt.

»Herr Tarleton, glaube ich?« sagte ich; denn ich hatte seinen Namen erfahren.

»Und Sie sind wohl der neue Händler?« sagte er.

»Vor allen Dingen möchte ich Ihnen sagen, daß ich nichts von Missionen halte«, fuhr ich fort, »und daß ich Sie und Ihresgleichen nicht gern sehe, denn Sie trichtern den Eingeborenen Altweibergeschichten ein und machen sie aufgeblasen.«

»Sie sind vollkommen berechtigt, Ihre Meinungen zu äußern«, sagte er und sah mich dabei ein bißchen unfreundlich an, »aber es ist nicht meine Sache, sie anzuhören.«

»Es trifft sich aber so, daß Sie sie doch hören müssen. Ich bin kein Missionar und kein Freund von Missionaren, ich bin kein Kanake und kein Begünstiger von Kanaken – ich bin ganz einfach ein Händler; ich bin ganz einfach ein gewöhnlicher, ungebildeter, gottverdammter weißer Mann und britischer Untertan, einer von der Sorte, an denen Sie gerne Ihre Stiefel abwischen möchten. Ich hoffe, das ist deutlich!«

»Jawohl, mein Mann. Es ist mehr deutlich als erfreulich. Wenn Sie nüchtern sind, wird es Ihnen leid tun.«

Er versuchte an mir vorbeizugehen, aber ich hielt ihn mit meiner Hand zurück. Die Kanaken begannen zu murren. Vermutlich gefiel mein Ton ihnen nicht; denn ich sprach zu dem Mann so frei heraus, wie ich jetzt zu Ihnen spreche.

»Nun, Sie können nicht sagen, ich hätte Ihnen etwas vorgelogen«, sagte ich, »und so kann ich fortfahren: Ich brauche von Ihnen einen Dienst – richtiger zwei Dienste; und wenn Sie so gut sein wollen, mir die zu leisten, werde ich vielleicht eine bessere Meinung von dem haben, was Sie Ihr Christentum nennen.«

Er war einen Augenblick still. Dann lächelte er und sagte:

»Sie sind eigentlich ein recht sonderbarer Mensch.«

»Ich bin so ein Mensch, wie Gott mich geschaffen hat; ich gebe mich nicht für einen Gentleman aus.«

»Darüber habe ich noch keine so sichere Meinung. Und was kann ich für Sie tun, Herr –?«

»Wiltshire«, sagte ich, »gewöhnlich nennt man mich Welsher; aber Wiltshire wird mein Name geschrieben, und so sollte er gesprochen werden, wenn die Leute am Strand nur ihre Zungen daran gewöhnen könnten. Und was ich wünsche? Hm, zuerst will ich Ihnen das erste sagen: Ich bin, was Sie einen Sünder nennen – was ich einen Schuft nenne –, und ich möchte, daß Sie mir helfen, es mit einer Person in Ordnung zu bringen, die ich betrogen habe.«

Er drehte sich um und sprach mit seiner Bootsmannschaft kanakisch und sagte dann zu mir:

»So, jetzt stehe ich Ihnen zu Diensten – aber nur so lange, wie meine Mannschaft zu Mittag ißt; ich muß vor dem Abend noch weiter nach unten an die Küste. Ich wurde bis heute früh in Papa-Malula aufgehalten und habe auf morgen abend eine Verabredung in Fale-alii.«

Ich ging schweigend nach meinem Hause zu vor ihm her und war recht mit mir selber zufrieden über die Art und Weise, wie ich das Gespräch geführt hatte, denn ich meine, ein Mann soll seine Selbstachtung hochhalten.

»Es tat mir leid, daß ich Sie sich prügeln sah«, sagte er unterwegs.

»Oh, das gehört zu der Geschichte, die ich Ihnen erzählen möchte. Das ist Dienst Nummer zwei. Wenn Sie's gehört haben, können Sie mir sagen, ob es Ihnen leid tut oder nicht.«

Wir gingen ohne Aufenthalt durch den Kaufladen, und ich bemerkte mit Überraschung, daß Uma das Eßgeschirr abgeräumt hatte. Dies war ganz gegen ihre Gewohnheiten, und ich sah, sie hatte es aus Dankbarkeit getan, und ich hatte sie um dessentwillen noch mehr lieb. Sie und Herr Tarleton begrüßten sich bei ihren Namen, und er war allem Anschein nach sehr höflich zu ihr. Aber davon hielt ich nicht viel; zu einem Kanaken können sie immer höflich sein, nur gegen uns Weiße spielen sie die großen Herren. Übrigens war dieser Tarleton mir ziemlich gleichgültig in dem Augenblick. Ich hatte mein eigenes Ziel im Sinn.

»Uma«, sagte ich, »gib uns deinen Trauschein.«

Sie sah ganz verstört aus.

»Nur zu, du kannst mir trauen. Gib ihn heraus.«

Sie hatte ihn wie gewöhnlich bei sich; ich glaube, sie hielt ihn für einen Paß zum Himmelreich und dachte, wenn sie stürbe, ohne ihn zur Hand zu haben, so würde sie in die Hölle kommen. Ich hatte nicht sehen können, wohin sie ihn das erste Mal gesteckt hatte, und konnte jetzt nicht sehen, wo sie ihn herausnahm. Dem Anschein nach war das Papier plötzlich in ihrer Hand, wie man es in den Zeitungen von den Wundergeschichten liest, die die Blavatsky bekannte Spiritistin macht. Aber so machen es alle Weiber auf den Inseln, und ich glaube, man lehrt es sie, wenn sie jung sind.

»Nun«, sagte ich, als ich den Trauschein in der Hand hatte, »Ich wurde mit diesem Mädchen verheiratet vom Schwarzen Jack, dem Neger. Den Trauschein schrieb Case, und ich kann Ihnen sagen, es ist eine niedliche Stilübung. Seitdem habe ich herausgefunden, daß hier im Ort eine Art Verschwörung gegen dieses mein Weib ist, und solange ich sie bei mir behalte, kann ich keine Geschäfte machen. Nun, was würde jedermann an meiner Stelle tun, wenn er ein Mann wäre?« rief ich.

»Ich denke, das erste, was er tun würde, wäre dies

Und damit nahm ich den Trauschein und riß ihn entzwei und schmiß die Stücke auf den Fußboden.

»Aueh!« schrie Uma und wollte ihre Hände zusammenschlagen; aber ich ergriff ihre eine Hand und sagte:

»Und was wäre das zweite, was er tun würde, wenn er das wäre, was ich einen Mann nenne und was Sie einen Mann nennen, Herr Tarleton? Mit dem Mädel vor Sie oder einen anderen Missionar treten und ihm rundheraus sagen: ›Ich wurde mit diesem meinem Weib hier in betrügerischer Weise verheiratet, aber ich halte eine Masse von ihr und will jetzt allen Rechtens mit ihr verheiratet werden.‹ Man los, Herr Tarleton! Und ich denke, 's ist besser, wenn Sie kanakisch sprechen; das wird die alte Dame freuen!« So sprach ich und gab ihr damit auf der Stelle den richtigen Namen, den ein Mann seiner Frau geben soll.

So kamen denn zwei von der Bootsmannschaft als Zeugen herein, und wir wurden in unserem eigenen Hause zusammengegeben. Und der Pfarrer betete ein gut Teil, muß ich sagen – aber nicht so lange wie viele tun –, und schüttelte uns beiden die Hände.

Und als er dann den Trauschein geschrieben und die Zeugen hinausgeschickt hatte, sagte er: »Herr Wiltshire, ich habe Ihnen für eine sehr große Freude zu danken, die Sie mir gemacht haben. Ich habe selten mit so schöner Rührung eine Vermählung vollzogen.«

Na, das war mal nett gesprochen. Er sagte übrigens noch eine ganze Menge in der Art, und ich hörte mit Vergnügen alles an, was er zu sagen wußte; denn mir war froh zumute. Aber Uma hatte schon während der Trauung offenbar immer einen Nebengedanken gehabt; nun konnte sie es nicht mehr aushalten und fragte:

»Wie Eure Hand bekommen Wunde?«

»Frage Cases Kopf danach, alte Dame!«

Da hüpfte sie vor Freude und jubelte laut.

»Eine besonders gute Christin haben Sie aus ihr nicht gemacht«, sagte ich zu Tarleton.

»Wir hielten sie nicht für eine von unseren Schlimmsten, als sie in Fale-alii wohnte!« sagte er. »Und wenn Uma noch einen Groll hat, so bin ich versucht, anzunehmen, sie hat guten Grund dazu.«

»Aha, hier kommen wir zu Dienst Nummer zwei!« sagte ich. »Ich möchte jetzt Ihnen unsere Geschichte erzählen und mal sehen, ob Sie ein bißchen Licht hineinbringen können.«

»Ist sie lang?« fragte er.

»Ja!« rief ich. »Es ist ein niedlich langes Garn abzuspinnen!«

»Nun, Sie sollen alle Zeit haben, die ich entbehren kann«, sagte er und sah auf seine Uhr. »Aber ich muß Ihnen offen sagen, ich habe seit heute früh um fünf Uhr nichts gegessen, und wenn Sie mir nicht etwas geben können, werde ich wahrscheinlich vor heute abend um sieben oder um acht nichts zu essen bekommen.«

»Herrgott noch mal, Sie sollen bei uns zu Mittag essen!« rief ich.

Ich kriegte selber einen kleinen Schreck über mein Fluchen gerade in diesem Augenblick, wo alles in Ordnung zu kommen schien; der Missionar, glaube ich, ebenfalls, aber er tat, wie wenn er aus dem Fenster sähe, und dankte uns.

Wir machten ihm also ein bißchen Essen zurecht. Ich mußte meine alte Dame dabei mitwirken lassen, denn sie war stolz darauf, und so übertrug ich denn ihr die Aufgabe, den Tee zu brauen. Ich glaube, einen solchen Tee, wie sie zustande brachte, habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Aber das war noch nicht das Schlimmste, denn sie machte sich über das Salzfaß her, da sie Salz für ein besonders kostbares Gewürz für einen Europäer hielt, und machte auf diese Weise aus meiner Brühe Meerwasser. Alles in allem genommen, kriegte Herr Tarleton einen höllischen Fraß; aber er hatte viel Unterhaltung als Zugabe, denn während der ganzen Zeit, da wir kochten, und nachher, als er so tat, als ob er äße, erzählte ich ihm die Geschichte von Meister Case und dem Strand von Falesa, und er stellte dabei Fragen, aus denen ich sah, daß er genau aufpaßte.

»Hm«, sagte er zuletzt, »ich fürchte, Sie haben einen gefährlichen Feind. Dieser Case ist sehr schlau und scheint in der Tat ein bösartiger Schuft zu sein. Ich muß Ihnen sagen, daß ich schon seit fast einem Jahr ein Auge auf ihn habe und daß ich nicht besonders gut dabei weggekommen bin, als wir zusammenstießen. Ungefähr um die Zeit, als der letzte Vertreter Ihrer Firma so plötzlich davonlief, bekam ich einen Brief von dem Kanakenpastor Namu: Er bat mich, sobald es mir paßte, nach Falesa zu kommen, denn seine Gemeinde ›nehme katholische Bräuche an‹. Ich hatte großes Vertrauen zu Namu; ich fürchte, das zeigt nur, wie leicht wir uns täuschen lassen. Man konnte ihn nicht predigen hören, ohne überzeugt zu sein, daß er ein Mensch von außergewöhnlicher Begabung sei. Alle unsere Insulaner lernen leicht eine Art Beredsamkeit und können dann mit vieler Kraft und Phantasie Predigten herleiern, die sie aus zweiter Hand haben; aber Namu macht seine Predigten selber, und ich kann nicht leugnen, daß ich sie als wirksame Gnadenmittel angesehen habe. Zudem hat er eine scharfe Aufmerksamkeit für weltliche Angelegenheiten, scheut sich nicht vor Arbeit, ist ein geschickter Zimmermann und hat sich unter den Pastoren der Nachbarschaft so großen Respekt verschafft, daß wir ihn im Scherz, der aber halb und halb Ernst ist, den Bischof des Ostens nennen. Kurz und gut, ich war stolz auf den Mann; um so mehr gab sein Brief mir zu denken, und ich ergriff eine Gelegenheit, um hierherzukommen. Am Morgen vor meiner Ankunft war Vigours an Bord der ›Lion‹ gegangen, und Namu war vollkommen beruhigt, schämte sich offenbar wegen seines Briefes und hatte gar keine Lust, mir diesen zu erklären. Das konnte ich ihm natürlich nicht so hingehen lassen, und schließlich beichtete er mir denn auch, es habe ihm große Sorgen gemacht, daß seine Leute auf katholische Weise das Kreuz schlügen; seitdem habe er aber die Erklärung dafür erhalten und sei jetzt vollkommen darüber beruhigt. Vigours habe nämlich den ›Bösen Blick‹ gehabt – eine Eigenschaft, die in einem Lande Europas, genannt Italien – häufig vorkomme, wo oftmals Menschen von dieser Art von Teufeln getötet würden, und wie es scheine, sei das Zeichen des Kreuzes ein Zaubermittel gegen den ›Bösen Blick‹.

›Und ich erkläre es mir, Misi‹, sagte Namu, ›auf diese Weise: Dieses Land in Europa ist ein papistisches Land, und der Teufel des Bösen Blicks mag wohl ein katholischer Teufel sein oder wenigstens mit katholischen Bräuchen Bescheid wissen. Ich überlegte mir also folgendes: Wenn dieses Zeichen des Kreuzes auf papistische Art gebraucht würde, dann würde es sündhaft sein; wenn es aber nur angewandt wird, um Menschen vor einem Teufel zu beschützen, der an und für sich ein harmloses Ding ist, dann muß auch das Zeichen harmlos sein; geradeso wie eine Flasche, die weder gut noch böse ist. Denn das Zeichen ist weder gut: noch böse. Aber wenn die Flasche voll von Gin ist, dann ist der Gin böse; und wenn das Zeichen in Götzendienerei böse gemacht wird, so ist auch die Götzendienern böse.‹ Und wie man von einem Kanakenpastor erwarten kann, hatte er auch gleich einen Bibelspruch über die Austreibung von Teufeln zur Hand.

›Und wer hat Euch von dem Bösen Blick erzählt?‹ fragte ich ihn.

Er gestand, das habe Case getan. Nun, ich fürchte, Sie werden mich für sehr engherzig halten, Herr Wiltshire – aber ich muß Ihnen sagen: Das gefiel mir nicht, und ich kann überhaupt einen Händler nicht für den richtigen Mann halten, meinen Pastoren Rat zu geben oder Einfluß auf sie auszuüben. Außerdem war so ein Gerede im Lande gewesen über den alten Adams und daß er vergiftet worden sei; ich hatte nicht viel darauf geachtet, aber in diesem Augenblick kam es mir wieder ins Gedächtnis, und ich fragte Namu:

›Und führt denn dieser Case ein erbauliches Leben?‹

Er gab zu, daß dies nicht der Fall sei; denn wenn er auch nicht trinke, so sei er ausschweifend mit Weibern und habe keine Religion.

›Dann‹, sagte ich zu ihm, ›ist meine Meinung: Je weniger Ihr mit ihm zu tun habt, desto besser!‹

Aber es ist nicht so leicht, einem Mann wie Namu gegenüber das letzte Wort zu behalten. Er hatte im Nu wieder ein Gleichnis zur Hand und sagte: ›Misi, Sie haben mir gesagt, es gebe weise Männer, keine Pastoren, nicht einmal fromme Männer, die manche nützlichen Dinge wissen – zum Beispiel über Baumpflege und Viehzucht und wie man Bücher druckt und wie man Steine verbrennt, aus denen man dann Messer machen kann. Solche Männer unterrichten Sie auf Ihrer Universität; Sie lernen von ihnen, aber hüten sich davor, von ihnen zu lernen, wie man unfromm wird. Misi Case ist meine Universität!‹

Ich wußte nicht, was ich dazu sagen sollte. Vigours war offenbar durch Meister Cases Machenschaften von Falesa vertrieben worden, und es war nicht unwahrscheinlich, daß mein Pastor dabei mitgewirkt hatte. Es fiel mir ein, daß Namu mich wegen des alten Adams beschwichtigt hatte; er hatte das Gerücht auf den Groll des katholischen Priesters geschoben. Und ich sah, daß ich mich gründlicher aus einer unverdächtigen Quelle unterrichten mußte. Nun ist ein alter schurkischer Häuptling hier, Faiaso; vermutlich haben Sie ihn heute bei der Beratung gesehen; der ist sein ganzes Leben lang ein unruhiger, hinterlistiger Mensch gewesen, ein großer Aufruhranstifter, ein Unglück für die Insel und ein wahrer Dorn im Fleisch der Mission. Bei alledem ist er sehr schlau und sagt auch die Wahrheit, sofern nicht Politik oder seine eigenen schlimmen Streiche in Betracht kommen. Ich ging zu ihm in sein Haus, sagte ihm, was ich gehört hatte, und bat ihn, aufrichtig zu sein. Ich glaube, es war die peinlichste Unterredung, die ich in meinem ganzen Leben gehabt habe. Vielleicht werden Sie mich verstehen, Herr Wiltshire, wenn ich Ihnen sage, daß ich es vollkommen ernst nehme mit diesen ›Altweibergeschichten‹, die Sie mir vorwarfen, und daß ich es mit diesen Inseln so aufrichtig wohl meine, wie Sie selber nur bemüht sein können, Ihrer reizenden jungen Frau zu gefallen und sie zu beschützen. Und Sie müssen nicht vergessen, daß ich Namu für einen Mustermenschen hielt und stolz auf den Mann war, der eine von den ersten reifen Früchten der Mission war. Und nun mußte ich erfahren, daß er in eine Art Abhängigkeit von Case geraten war! Aus den Anfängen der Verbindung war ihm kein Vorwurf zu machen; sie begann zweifellos damit, daß Case durch Gaukeleien und listige Reden Namu in Furcht und Respekt versetzt hatte. Zu meinem Entsetzen aber mußte ich finden, daß in der letzten Zeit noch etwas anderes hinzugetreten war: daß nämlich Namu reichliche Einkäufe in dem Laden gemacht hatte und nach der allgemeinen Ansicht bei Case tief in Schuld stand. Jedes Wort, das der Händler sagte, glaubte Namu mit Zittern und Zagen. Und in dieser Beziehung stand er nicht allein; viele im Dorfe lebten in gleicher Abhängigkeit von Case; aber Namus Fall war der einflußreichste, durch Namu hatte Case am meisten Unheil angerichtet; da er eine gewisse Gefolgschaft unter den Häuptlingen und da er außerdem den Pastor in seiner Tasche hatte, war der Mann so gut wie Herr im Dorf. Sie wissen einiges über Vigours und Adams, aber vielleicht haben Sie niemals was vom alten Underhill gehört, dem Vorgänger von Adams. Der war ein ruhiger, sachter, alter Knabe, wie ich mich erinnere, und plötzlich hörten wir, er sei gestorben: .Weiße sterben in Falesa sehr plötzlich. Die Wahrheit, wie ich sie jetzt hörte, machte mir das Blut erstarren. Wie es scheint, wurde er plötzlich von einer gänzlichen Lähmung betroffen; der ganze Mann war tot, außer seinem einen Auge, mit dem er beständig zwinkerte. Das Gerede ging, der hilflose alte Mann sei jetzt ein Teufel, und dieser gemeine Kerl, der Case, machte den Eingeborenen noch mehr Angst, indem er tat, als ob er ebenfalls Furcht hätte, und behauptete, er wage nicht allein in das Haus zu gehen. Schließlich wurde ein Grab gemacht und der lebende Mensch hineingelegt; dies geschah am äußersten Rand des Dorfes. Namu, mein Pastor, bei dessen Erziehung ich selber mitgeholfen hatte, sprach freiwillig ein Gebet bei diesem scheußlichen Vorgang!

Ich fühlte mich selber in einer sehr schwierigen Lage. Vielleicht wäre es meine Pflicht gewesen, Namu anzuzeigen und für seine Absetzung zu sorgen. Vielleicht denke ich jetzt so; aber damals schien das nicht so ganz klar zu sein. Er hatte großen Einfluß, der sich möglicherweise als stärker erweisen konnte als der meinige. Die Eingeborenen sind zum Aberglauben geneigt; wenn ich diesen aufrührte, hätte ich möglicherweise die gefährlichen Wahngedanken nur verstärkt und weiterverbreitet. Abgesehen davon war Namu, bevor er unter diesen neuen, schlimmen Einfluß geriet, ein guter Pastor, ein geschickter Mensch und ein kluger Kopf. Woher sollte ich einen besseren nehmen; wie konnte ich auch nur einen ebenso guten finden? In jenem Augenblick, unter dem frischen Eindruck von Namus Verfehlung, erschien meine ganze Lebensarbeit als eine Narretei; jede Hoffnung war tot in mir. Lieber wollte ich die Werkzeuge, die ich hatte, ausbessern, als mich auf die Suche nach anderen machen, die sich sicherlich als noch schlechter erwiesen hätten; auch ist ein Ärgernis im besten Fall etwas, was man vermeiden soll, wenn es menschenmöglich ist. Mochte es also recht oder unrecht sein – genug, ich beschloß, ganz in aller Ruhe vorzugehen. Jene ganze Nacht hindurch nahm ich den in Irrtum verfallenen Pastor ins Gebet; ich überführte ihn seiner Unwissenheit und seines Mangels an Glauben, ich machte ihm klar, wie arg er sich benommen hätte, indem er mit verhärtetem Gemüt bei einem Mord mitgeholfen hätte, bloß weil er wie ein Kind vor ein paar Augenbewegungen eines vom Schlag getroffenen Kranken Angst gehabt hätte. Und lange bevor der Tag anbrach, hatte ich ihn auf seinen Knien, in die Tränen einer dem Anschein nach aufrichtigen Reue gebadet. Am Sonntagmorgen stieg ich auf die Kanzel und predigte aus Erste Könige neunzehn, über das Feuer, das Erdbeben und die Stimme, wies dabei auf die wirkliche geistige Kraft hin und bezog mich so deutlich, wie ich es wagen durfte, auf neuerdings vorgekommene Ereignisse in Falesa. Die Wirkung, die ich hervorrief, war groß, und sie wurde noch sehr verstärkt, als nun Namu aufstand und bekannte, er habe des Glaubens ermangelt, habe gefehlt und schwere Sünde begangen. Soweit war ja nun alles gut; aber ein unglücklicher Umstand war dabei: Die Zeit unserer ›Ernte‹ war nahe, nämlich die Zeit, in der die Beiträge der Eingeborenen für die Missionen in Empfang genommen werden. Es war meine Amtspflicht, hierauf hinzuweisen, und dies gab meinem Feinde eine Gelegenheit, die er sich flink zunutze machte.

Die Nachricht von dem ganzen Vorgang muß Case überbracht worden sein, sobald die Kirche aus war, und an demselben Nachmittag noch führte er eine Gelegenheit herbei, mir mitten im Dorf auf der Straße zu begegnen. Er ging mit solcher Entschlossenheit und Kühnheit auf mich zu, daß ich fühlte, es würde meinem Werk Schaden bringen, wenn ich ihm auswiche.

›Aha!‹ sagte er auf kanakisch. ›Hier ist der heilige Mann! Er hat gegen mich gepredigt, aber das kam ihm nicht aus dem Herzen. Er hat über die Liebe zu Gott gepredigt; aber das hatte er nicht in seinem Herzen, das hatte er zwischen seinen Zähnen. Wollt ihr wissen, was in seinem Herzen war?‹ rief er. ›Ich will es euch zeigen!‹ Und damit schnippte er mit den Fingern nach meinem Kopf, tat, wie wenn er einen Dollar aus diesem herauszöge, und hielt ihn hoch in die Luft.

Durch die Menge ging jenes Raunen, mit dem die Polynesier immer ein Wunder aufnehmen. Ich selber stand ganz verblüfft da. Es war ein ganz gewöhnlicher Taschenspielertrick, wie ich ihn daheim Dutzende von Malen gesehen habe; aber wie sollte ich die Dörfler davon überzeugen? Ich wünschte, ich hätte statt hebräisch Taschenspielerei gelernt, um den Burschen mit seiner eigenen Münze auszahlen zu können. Aber da stand ich nun; schweigen durfte ich nicht, und das beste, was ich zu sagen fand, war schwach. Endlich sagte ich:

›Ich möchte Sie ersuchen, mich nicht wieder anzurühren!‹

›Ich denke nicht daran‹, rief er, ›und ich will Sie auch nicht Ihres Dollars berauben. Da ist er!‹ Damit warf er ihn mir vor die Füße. Ich habe gehört, der Dollar lag noch nach drei Tagen auf derselben Stelle.«

»Ich muß sagen, der Streich war geschickt gemacht!« sagte ich.

»Oh, schlau ist er!« sagte Tarleton. »Sie können nun selber sehen, wie gefährlich er ist. Er war beteiligt an dem greulichen Tod des Gelähmten; er wird beschuldigt, Adams vergiftet zu haben; Vigours trieb er von hier fort durch Lügen, die vielleicht zu einem Morde hätten führen können; und es ist kein Zweifel daran, daß er jetzt beschlossen hat, sich Sie vom Halse zu schaffen. Wie er das anzufangen gedenkt, davon haben wir keine Ahnung; aber Sie können sicher sein, es ist irgend etwas Neues. Seine Fixigkeit und Erfindungsgabe sind unendlich.«

»Er tut selber so, wie wenn er in Sorgen sei«, sagte ich, »was mag das eigentlich für einen Zweck haben?«

»Nun, wie viele Tonnen Kopra mögen wohl in diesem Bezirk geerntet werden?« fragte der Missionar.

»Ich denke, mindestens sechzig Tonnen.«

»Und welchen Verdienst hat dabei der Händler am Ort?«

»Sie können annehmen: drei Pfund an der Tonne.«

»Dann können Sie sich selber ausrechnen, für wieviel er es tut«, sagte Herr Tarleton. »Aber wichtiger ist jetzt für uns die Frage, wie wir ihn schlagen können. Es ist klar, daß er irgendein Gerücht gegen Uma ausgesprengt hatte, um sie zu vereinsamen und dann sein sündiges Gelüste an ihr zu befriedigen. Dies mißlang ihm, und als er nun einen neuen Nebenbuhler auf dem Schauplatz erscheinen sah, benutzte er Uma auf andere Weise. Die Hauptsache ist nun, daß wir herausbringen, wie es mit Namu steht. Uma – als die Leute begannen, dir und deiner Mutter auszuweichen, was tat Namu da?«

»Bleiben weg ebenso«, sagte Uma.

»Ich fürchte, der Hund hat sich wieder über seinen ausgespienen Fraß hergemacht«, sagte Tarleton, »Und nun – wie soll ich Ihnen helfen? Ich will mit Namu sprechen, ich will ihn warnen und ihm sagen, daß er beobachtet wird; es wäre seltsam, wenn er hier etwas Unrechtes geschehen ließe, nachdem er eine solche Warnung erhalten hat. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, daß diese Maßregel vielleicht fehlschlägt, und dann müssen Sie sich anderswohin wenden. Sie haben hier zwei Leute zur Hand, an die Sie sich wenden können. Das ist vor allen Dingen zuerst der Priester, der Sie vielleicht im katholischen Interesse beschützt; die Katholiken sind eine kümmerliche kleine Gemeinde, aber sie zählen zwei Häuptlinge zu den ihren. Dann ist da der alte Faiaso. Ah! Wäre es ein paar Jahre früher gewesen, dann hätten Sie überhaupt keinen anderen gebraucht! Aber sein Einfluß ist sehr geschwunden, ist auf Maea übergegangen, und Maea ist, fürchte ich, einer von Cases Schakalen. Sollte es zum Allerschlimmsten kommen, so müßten Sie Botschaft nach Fale-alii schicken oder selber kommen; ich komme zwar nach diesem Ende der Insel erst in einem Monat, aber ich will sehen, was zu machen ist.«

Damit nahm Herr Tarleton Abschied, und eine halbe Stunde später sang die Mannschaft und blitzten die Ruder im Missionsboot.


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