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Teufelswerk

Beinah ein Monat ging dahin, ohne daß viel geschah. Am Abend unseres Hochzeitstages sprach Galoshes vor und war ungeheuer höflich, und von da an gewöhnte er sich, so gegen die Dunkelheit mal hereinzuschauen und bei uns seine Pfeife zu rauchen. Mit Uma konnte er sich natürlich unterhalten; er begann auch mich Französisch und die Eingeborenensprache zu lehren. Er war ein freundlicher alter Knabe, obgleich der dreckigste Mensch, den zu sehen man sich wünschen könnte, und er stopfte mich mit fremden Sprachen voll, daß mir schlimmer zumute war, als wenn ich beim Turmbau zu Babel gewesen wäre.

So hatten wir denn wenigstens eine Beschäftigung, und ich fühlte infolgedessen meine Einsamkeit weniger; aber einen geschäftlichen Nutzen hatte ich nicht davon, denn obwohl der Priester kam und bei uns saß und klönte, konnte keiner von seinen Leuten dazu verlockt werden, in meinen Kaufladen zu kommen; und hätte ich nicht noch eine zweite Beschäftigung für uns ausgesonnen, so hätte ich überhaupt kein Pfund Kopra ins Haus bekommen. Die Sache war so: Fa'avao (Umas Mutter)hatte ein paar Dutzend ertragreiche Bäume. Natürlich konnten wir keine Arbeiter bekommen, da wir so gut wie unter Tabu standen, und die beiden Frauen und ich gingen daran und machten Kopra mit unseren eigenen Händen. Es war eine Kopra, daß einem der Mund wässern konnte, als sie fertig war – ich hatte niemals geahnt, wie sehr die Eingeborenen mich betrogen hatten, bis ich diese vierhundert Pfund mit meiner eigenen Hand gemacht hatte – und die Kopra wog so leicht, daß ich Lust bekam, sie selber zu wässern.

Als wir bei der Arbeit waren, pflegten eine Menge Kanaken stundenlang uns zuzusehen; einmal kam auch der Nigger. Er stand hinten bei den Eingeborenen und lachte und spielte den großen Mann und den lustigen Hund, bis mir eine Laus über die Leber kroch und ich sagte:

»Höre, du Nigger!«

»Ich verkehre nicht mit Ihnen, Herr!« sagte der Nigger. »Spreche nur mit Gentlemen.«

»Ich weiß. Aber zufällig habe ich Sie angeredet, Herr Schwarzer Jack. Und ich möchte weiter nichts wissen als dies: Sahen Sie Cases Visage vor ungefähr einer Woche?«

»Nö, Herr.«

»Na, dann will ich dir das Gegenstück dazu zeigen, bloß in schwarzer Couleur, und zwar binnen zwei Minuten.«

Und damit begann ich ganz langsam und mit herabhängenden Händen auf ihn zuzugehen; nur in meinen Augen hätte einer was sehen können, wenn er sich die Mühe genommen hätte, darauf zu achten.

»Sie sind ein gemeiner Krakeeler, Herr!« sagt der Nigger.

»Na und ob!« sage ich.

Inzwischen dachte er, ich sei nun wohl so nahe, wie er wünschen könnte, und er riß aus – Sie hätten eine Freude dran gehabt, zu sehen, wie er loszog! Und das war alles, was ich von der feinen Gesellschaft sah, bis ich das erlebte, was ich Ihnen jetzt erzählen werde.

Es war in jenen Tagen eine meiner Hauptbeschäftigungen, mit meiner Flinte in den Wäldern herumzupirschen, die ich – wie Case mir ganz richtig gesagt hatte – sehr wildreich fand. Ich erwähnte bereits das Vorgebirge, das das Dorf und meine Station von der Ostseite der Insel trennt. Ein Fußweg ging ungefähr bis an das Ende des Kaps und führte dann nach der nächsten Bucht. Hier wehte täglich ein starker Wind, und da die Reihe der Uferklippen am Ende des Kaps aufhörte, so stand in der Bucht eine schwere Brandung. Ein kleiner Felsenhügel trennte das Tal in zwei Teile und reichte bis dicht an den Strand, und bei Hochwasser brach die See sich gerade an diesem Felsen, so daß dann jeder Verkehr zu Fuß unmöglich war. Waldberge schlossen diesen Ort von allen Seiten ein. Die Barriere nach Osten zu war ganz besonders steil und dicht bewaldet; ihr unterer Teil, am Meer entlang, bestand aus nackten schwarzen, rotgestreiften Felsen, der obere Teil aber war dicht bewachsen mit großen Bäumen. Einige von diesen Bäumen waren leuchtend grün, einige rot, und der Sand am Strande war so schwarz wie Ihre Schuhe. Zahlreiche Vögel hausten an der Bucht, einige von ihnen schneeweiß, und der fliegende Fuchs (oder Vampir) flog da am hellen Tage herum und fletschte seine Zähne.

Lange Zeit pirschte ich immer nur bis an diesen Ort und ging nicht weiter. Jenseits war keine Spur von einem Fußwege, und die Kokospalmen auf dem Grunde des Tales waren die letzten nach dieser Richtung zu. Denn das ganze Auge der Insel, wie die Kanaken das Luvende nennen, war öde. Von Falesa an bis ungefähr nach Papamalulu war kein Haus, kein Mensch, kein gepflanzter Fruchtbaum; und da Klippen fast ganz fehlten, der Strand also ungeschützt lag, schlug die See gegen das Ufer an, und es war kaum ein Landungsplatz vorhanden.

Nun sollte ich Ihnen sagen, daß ich, als ich in den Wäldern zu streifen begonnen hatte, Leute genug fand, die nichts dagegen hatten, mit mir zu schwatzen, wo niemand sie sehen konnte; meinem Kaufladen kam allerdings niemand nahe. Da ich nun schon begonnen hatte, etwas von der Eingeborenensprache aufzuschnappen und die meisten von ihnen ein paar Worte Englisch konnten, ließ sich schon eine kleine Unterhaltung zusammenstoppeln; viel Zweck hatte dies Geplauder natürlich nicht, aber es benahm mir doch das unangenehme Gefühl – denn es ist eine erbärmliche Sache, wie ein Aussätziger behandelt zu werden.

Nun saß ich eines Tages gegen Ende des Monats an dieser Bucht am Waldsaume mit einem Kanaken. Ich hatte ihm eine Pfeife voll Tabak gegeben, und wir plauderten miteinander, so gut es ging; er konnte wirklich mehr Englisch als die meisten von den Leuten.

Ich fragte ihn, ob denn kein Weg nach dem Osten zu gehe.

»Eine Zeit ein Weg – nun er tot«, sagte er.

»Niemand er gehen darf?«

»Nicht gut! Zuviel Teufel er sein da.«

»Oho! Sind da viele Teufel im Busch?«

»Mannteufel, Weibteufel; zuviel Teufel«, sagte mein Freund. »Sein da alle Zeit. Mensch er gehen da hinein, nicht kommen wieder.«

Ich dachte: Wenn dieser Bursche so gut mit Teufeln Bescheid wußte und so offenherzig davon erzählte, was nämlich selten ist, so wäre es gut, wenn ich ein bißchen über mich selbst und Uma aus ihm herausbringen könnte. Ich fragte ihn also:

»Du denken mich einen Teufel?«

»Nicht denken Teufel«, sagte er beschwichtigend. »Das denken nur Dumme.«

»Uma sie Teufel?« fragte ich wieder.

»Nein, nein, nicht Teufel. Teufel sein im Busch«, sagte der Jüngling.

Ich blickte vor mich hin über die Bai hinüber und sah, wie das herabhängende Laub der Waldbäume sich plötzlich öffnete, und Case, mit einem Gewehr in der Hand, trat in den Sonnenschein auf dem schwarzen Strand. Er trug einen hellen, beinahe weißen Flanellanzug, seine Flinte blitzte, er war eine mächtig auffallende Erscheinung, und die Landkrabben strebten rund um ihn herum auf ihre Löcher zu.

»Hallo, Freund!« rief ich. »Du doch nicht sprechen wahr. Ese er gehen, Ese er kommen wieder.«

»Ese nicht wie andere; Ese Tiapolo!« sagte mein Freund, und dann schlich er sich mit einem »Leben wohl!« davon.

Ich beobachtete Case auf seinem ganzen Weg rund um die Bucht, denn es war Ebbe und das Wasser niedrig; und ich ließ ihn auf dem Heimweg nach Falesa an mir vorbeigehen. Er war in tiefen Gedanken, und die Vögel schienen das zu wissen, denn sie hüpften ganz nahe um ihn herum auf dem Sande oder flatterten um seinen Kopf und schrien ihm in die Ohren. Als er an mir vorüberkam, konnte ich an den Bewegungen seiner Lippen sehen, daß er mit sich selber sprach, und – was mich mächtig freute – er trug auf seiner Stirn noch die Hausmarke meiner Faust. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich hatte Lust, ihm eine Flinte voll in seine üble Schnauze zu geben, aber ich überlegte es mir dann besser.

Die ganze Zeit über, und während ich ihm heimwärts nachging, wiederholte ich mir das kanakische Wort; ich merkte es mir mit dem Satz: Polly, put the kettle on and make us all some tea – te-a-pollo.

»Uma«, sagte ich, als ich nach Hause kam, »was bedeutet Tiapolo?«

»Teufel.«

»Ich dachte, ›Aitu‹ sei das Wort dafür.«

»Aitu andere Sorte Teufel; sein im Busch, fressen Kanake. Tiapolo groß Teufelhäuptling, bleiben zu Hause; sein Christenteufel.«

»Na, damit bin ich auch noch nicht weiter. Wie kann Case Tiapolo sein?«

»Nicht so! Ese gehören Tiapolo; Tiapolo aussehen wie Ese; Ese wie sein Sohn. Wenn Ese er wünschen was, Tiapolo er machen es.«

»Das ist mächtig bequem für Ese! Und was für Dinge macht er denn für ihn?«

Na, da kam ja nun eine ganze Litanei von allen möglichen Geschichten zum Vorschein. Viele von diesen – wie die von dem Dollar, den er Herrn Tarleton aus dem Kopf holte – waren mir vollkommen klar, andere aber konnte ich mir nicht zusammenreimen; und das, was die Kanaken am meisten überraschte, wunderte mich am wenigsten – nämlich, daß er in die Wildnis unter all die Aitus ginge. Indessen hatten ihn einige der Kühnsten begleitet und ihn mit den Toten sprechen und ihnen Befehle geben hören und waren, dank seinem Schutz, unversehrt zurückgekommen. Einige sagten, er habe eine Kirche da, in der er Tiapolo anbete, und Tiapolo erscheine ihm; andere schworen darauf, Hexerei sei überhaupt nicht dabei, sondern er wirke seine Wunder nur durch die Macht des Gebetes, und die Kirche sei keine Kirche, sondern ein Gefängnis, in das er einen gefährlichen Aitu gebannt habe. Namu war einmal mit ihm im Busch gewesen und hatte nach seiner Rückkehr Gott um dieser Wunder willen gepriesen. Aus alledem begann mir über Cases hohe Stellung und über die Mittel, durch die er dazu gekommen war, ein Schimmer aufzugehen, und obgleich ich sah, er würde für mich eine harte Nuß zu knacken sein, war ich keineswegs mutlos.

»Na, schön! Ich will mir selber mal Meister Cases Kirche ansehen, und dann wollen wir feststellen, wie es mit der Lobpreisung Gottes wegen der Wunder steht.«

Hierüber bekam Uma eine fürchterliche Angst; wenn ich in den dichten Busch ginge, würde ich niemals wieder heimkommen; niemand könne da hineingehen, wenn er nicht unter Tiapolos Schutz stände.

»Ich will es daraufhin riskieren, daß ich unter Gottes Schutz stehe!« sagte ich. »Ich bin ein ganz braver Bursche, Uma, wie Menschen nun mal sind, und ich denke, der liebe Gott wird mir durchhelfen.«

Sie war eine Weile still und sagte dann, mächtig feierlich: »Ich denken.« Und dann rief sie plötzlich: »Viktoriia sie große Häuptling?«

»Na und ob!«

»Sie dich viel gern haben?« fragte sie.

Ich sagte ihr mit einem Grinsen, ich glaube, die alte Dame halte recht große Stücke auf mich.

Da sagte sie: »Nun schön und gut. Viktoriia sie große Häuptling, dich viel gern haben. Nicht können helfen dir hier in Falesa; zu weit weg. Maea er kleine Häuptling – sein hier. Wenn nun er dich viel gern haben – er dir helfen. Ebenso Gott und Tiapolo. Gott, er große Häuptling – zu viel zu tun haben. Tiapolo er kleine Häuptling – er viel gern haben sich zeigen, sich viel Mühe geben.«

»Ich werde dich Herrn Tarleton in Arbeit geben müssen! Deine Theologie ist etwas aus dem Leim!«

Wir sprachen aber über diese Geschichte den ganzen Abend, und über all den Fabeln, die sie mir von der Wildnis und ihren Gefahren erzählte, wurde sie vor Angst beinah verrückt. Natürlich erinnere ich mich kaum des vierten Teils der Geschichten, denn ich gab wenig auf sie; aber zwei davon fallen mir doch heute wieder ein.

Ungefähr sechs Meilen die Küste weiter aufwärts ist eine vor dem Wind geschützte Bucht, Fanga-anaana genannt, das bedeutet: der Hafen voll von Höhlen. Ich habe sie selber von der See her gesehen, und zwar so nahe, wie ich meine Ruderer dazu kriegen konnte, sich heranzuwagen, und es ist ein kleiner Streifen gelben Sandes. Schwarze Klippen hängen darüber, voll von schwarzen Höhlenöffnungen; große Bäume stehen auf den Klippen, und Lianen hängen von ihnen herunter, und an einer Stelle, ungefähr in der Mitte, stürzt ein großer Bach als Wasserfall herab, Na, dorthin fuhr ein Boot mit sechs jungen Männern von Falesa, ›alle viel hübsch‹, wie Uma sagte, und das war deren Unglück. Es blies ein starker Wind, die See ging hoch, und als sie auf der Höhe von Fanga-anaana waren und den weißen Wasserfall und den schattigen Strand sahen, da waren sie alle müde und durstig, und das Trinkwasser war alle. Einer von ihnen schlug vor, dort zu landen und zu trinken, und da sie waghalsige Burschen waren, stimmten sie alle ihm bei, mit Ausnahme des Jüngsten. Lotu war sein Name; er war ein sehr guter junger Gentleman und sehr vernünftig; und er stellte ihnen vor, daß sie verrückt seien, und sagte ihnen, der Ort gehöre Geistern und Teufeln und den Toten, und es seien keine lebenden Menschen da, mehr als sechs Meilen nach der einen Seite und vielleicht zwölf nach der anderen. Aber sie lachten ihn aus, und da sie fünf gegen einen waren, so ruderten sie in die Bucht, brachten das Boot an den Strand und gingen an Land. Es war ein wundervoll lieblicher Ort, erzählte Lotu, und das Wasser ausgezeichnet. Sie gingen den ganzen Strand entlang, konnten aber nirgends einen Pfad finden, der auf die Klippen hinaufführte, und das war ihnen um so angenehmer. Schließlich setzten sie sich hin, um von den Speisen zu essen, die sie mitgebracht hatten. Kaum saßen sie, so kamen aus einer von den schwarzen Höhlen heraus sechs schöne Weiber, so wunderschön, wie man sie nie zuvor gesehen hat: Sie hatten Blumen in ihren Haaren und die allerschönsten Brüste und Halsbänder von scharlachroten Bohnen; und sie begannen mit den jungen Herren zu scherzen, und die jungen Herren scherzten wieder mit ihnen – alle außer Lotu. Lotu sah, daß an solchem Ort keine lebenden Weiber sein könnten, und er lief davon und warf sich auf den Boden des Bootes, bedeckte sein Antlitz und betete. Die ganze Zeit über, während die Geschichte dauerte, lief Lotus Gebet wie ein reines Bächlein, und weiter wußte er nichts davon; dann kamen seine Freunde zurück und hießen ihn sich auf die Ruderbank setzen, und dann fuhren sie aus der Bucht wieder in die See hinaus, und von den sechs schönen Damen war nicht mehr die Rede. Am meisten aber erschrak Lotu darüber, daß kein einziger von den fünfen sich an das Geringste von dem Vorgefallenen erinnerte: Sie waren alle wie Betrunkene, sangen und lachten im Boot und trieben Possen. Der Wind frischte auf und wurde zum Sturm, und die See ging ungeheuer hoch; es war ein Wetter, daß jeder Mann von den Inseln davor geflohen und schleunigst nach Falesa heimgefahren wäre; aber diese fünf waren wie Wahnsinnige, setzten alle Segel auf und trieben ihr Boot in die See hinaus. Lotu machte sich daran, das Wasser auszuschöpfen; von den andern aber dachte keiner daran, ihm zu helfen, sondern sie sangen und trieben ihre Possen weiter und redeten seltsame Dinge, die über das Verständnis eines Menschen gehen, und lachten dabei laut, wie sie sagten. So schöpfte Lotu den ganzen Tag über auf Leben und Tod das Wasser aus dem Boot und war ganz klatschnaß vor Schweiß und kaltem Meerwasser; und keiner kümmerte sich um ihn. Gegen alle Erwartung kamen sie lebendig in einem fürchterlichen Sturm nach Papa-malulu, wo die Palmen im Winde heulten und die Kokosnüsse wie Kanonenkugeln auf die Dorfwiese flogen; und in derselben Nacht wurden die fünf jungen Herren krank und sprachen niemals wieder ein vernünftiges Wort, bis sie starben.

»Und willst du mir im Ernst behaupten, du kannst einen solchen Quatsch glauben?« fragte ich.

Sie sagte mir, die Geschichte sei wohlbekannt, und hübsche junge Männer, die allein wären, erlebten sogar häufig so etwas; dieses sei aber der einzige Fall, daß fünf gleichzeitig an demselben Tage und miteinander den Tod gefunden hätten durch die Liebe der Teufelinnen; und es hätte großes Aufsehen auf der Insel erregt; und sie wäre ja verrückt, wenn sie daran zweifelte.

»Na, jedenfalls brauchst du meinetwegen keine Angst zu haben. Ich habe keine Verwendung für die Teufelinnen. Du bist die einzige Frau, die ich brauche, und auch der einzige Teufel, alte Dame!«

Hierauf antwortete sie, es gäbe aber doch Teufelinnen, und sie habe mit ihren eigenen Augen eine gesehen. Eines Tages sei sie allein nach der nächsten Bucht gegangen und dabei vielleicht dem Rande des verzauberten Ortes zu nahe gekommen. Der Schatten von dem Gebüsch des Hochwaldes an der Hügelseite fiel über sie, sie selber aber war draußen auf einer flachen ebenen Stelle, die sehr steinig und dicht mit jungen, vier und fünf Fuß hohen Mummy-Apfelbäumen bestanden war. Es war ein dunkler Tag in der Regenzeit; bald kamen Windstöße und rissen die Blätter ab, daß sie herumwirbelten, bald war wieder alles still wie in einem Hause. Während einer solchen Stille geschah es, daß ein ganzer Schwarm von Vögeln und fliegenden Füchsen aus dem Busch herausflatterte, wie wenn die Tiere Todesangst hätten: gleich darauf hörte sie ein Rascheln ganz in der Nähe und sah am Waldsaum unter den Mummy-Äpfeln einen dürren, grauen alten Eber erscheinen. Wie er so herankam, schien er zu denken – wie ein Mensch; und wie sie ihn so herankommen sah, merkte sie plötzlich, daß es kein Eber war, sondern ein Wesen, das ein Mensch war und die Gedanken eines Menschen hatte. Da rannte sie davon und das Schwein hinter ihr her, und als das Schwein so rannte, schrie es laut, daß es widerhallte.

»Ich wollte, ich wäre da mit meiner Flinte gewesen«, sagte ich, »ich glaube, dann hätte das Schwein geschrien, daß es sich über sich selbst gewundert hätte.«

Aber sie sagte mir, eine Flinte nütze nichts gegen solche Geschöpfe, denn die wären Geister der Toten.

Na, mit diesem Geschwätz ging der Abend hin, und das war noch das Beste daran; aber natürlich änderte es nichts an meiner Meinung, und am nächsten Tage ging ich mit meinem Gewehr und einem guten Messer auf eine Entdeckungsreise aus.

Ich ging so nahe wie möglich an die Stelle heran, wo ich Case hatte aus dem Busch kommen sehen; denn ich rechnete so: Wenn er wirklich irgendein Gebäude im Busch hätte, so würde ich auch einen Pfad finden. Der Beginn der Wildnis wurde durch einen Wall bezeichnet, wenn ich es so nennen soll; denn es war eigentlich mehr ein langer Steinhaufen. Man sagt, dieser Steinhaufen gehe quer über die ganze Insel, aber woher man das weiß, das ist eine andere Frage; denn ich bezweifle, ob in hundert Jahren auch nur ein einziger Mensch diesen Weg gegangen ist, da die Eingeborenen hauptsächlich am Strande hausen und ihre kleinen Kolonien an der Küste haben, während dieser Teil der Insel verdammt hoch und steil und voll von Felsen ist. An der Westseite des Walles ist der Boden freigemacht worden, und dort wachsen Kokospalmen und Mummy-Äpfel und Guaven und Farnkräuter in Massen. Gleich gegenüber beginnt der richtige Wald, und zwar ein Hochwald: Die Bäume stehen hoch wie Schiffsmasten, und Lianen hängen herunter wie Schiffstakelungen, und eklige Orchideen wachsen dazwischen wie Pilze. Der Boden, der nicht von Unterholz bedeckt war, sah aus wie eine Anhäufung von Felsblöcken. Ich sah viele grüne Tauben, die ich hätte schießen können, aber ich war ja auf etwas anderes aus als auf Tauben. Zahlreiche Schmetterlinge flatterten über dem Boden auf und ab wie totes Laub; zuweilen hörte ich einen Vogelruf, zuweilen den Wind sausen und immerzu die See, die an den Strand donnerte.

Aber wie sonderbar der Ort war, das ist schwer zu beschreiben, es sei denn, der Zuhörer wäre schon selber einmal in einem Urwald gewesen. Am hellsten Sonnentage ist es immer dämmerig darin. Nirgends sieht man ein Ende; wohin man blickt, da schießt der Wald empor, und ein Busch fügt sich an den anderen wie die Finger an Ihrer Hand; und wenn man lauscht, hört man immer etwas Neues; Menschen sprechen, Kinder lachen, die Schläge einer Axt in weiter Ferne und zuweilen eine Art von schnellem verstohlenem Huschen ganz nahe, daß man auffährt und nach seinen Waffen greift.

Es ist ganz schön und gut, daß man sich selber sagt, man sei ja allein, nur Bäume und Vögel um einen herum – man kann es doch nicht glauben: Wohin man sich auch wendet, der ganze Wald scheint lebendig zu sein und einen anzuschauen. Glauben Sie nicht, Umas Faseleien hätten auf mich eingewirkt – auf Kanakengerede gebe ich keinen Heller; solche Gefühle sind im Busch natürlich und damit basta.

Als ich in die Nähe des Berggipfels kam – denn der Waldboden geht an dieser Stelle steil aufwärts wie eine Leiter –, da begann über mir der Wind zu sausen, und die Baumblätter bewegten sich hin und her, und zwischen ihnen hindurch schien die Sonne herein. Dies gefiel mir besser: Es war ein gleichmäßiges, andauerndes Geräusch, keine Töne, die einem plötzlich Angst machen. Nun, ich war an eine Stelle gekommen, wo ein dichtes Unterholz von sogenannten wilden Kokosnüssen stand – sehr hübsch sehen die Büsche aus mit ihren tabakroten Früchten – da kam in dem Wind eine Art von Singen an mein Ohr, daß ich dachte: So was habe ich in meinem Leben nicht gehört. Es war ja ganz nett, zu mir selber zu sagen, das seien nur die Zweige – ich wußte besser, daß es nicht die Zweige waren! Oder mir zu sagen, es sei ein Vogel – ich kannte keinen Vogel, der so sang! Der Ton erhob sich und schwoll an und verklang allmählich und schwoll wieder an. Jetzt dachte ich, es hörte sich an, wie wenn ein Mensch weine, nur war es ein sanftes, wohlklingendes Weinen; dann wieder kam es mir vor wie Harfenton. Soviel aber war sicher: Es klang so süß, daß es an einem solchen Ort nichts Natürliches sein konnte. Lachen Sie nur! Aber ich gestehe offen: Mir kamen die sechs jungen Weiber in den Sinn mit ihren scharlachroten Halsbändern, die aus der Höhle bei Fanga-anaana herauskamen, und ich fragte mich, ob sie wohl auch so gesungen hätten. Wir lachen über die Kanaken und ihre abergläubischen Einbildungen; aber sehen Sie nur, wie viele Händler daran glauben – glänzend erzogene Weiße, die daheim Buchhalter gewesen sind (wenigstens einige von ihnen) und Geschäftsangestellte. Ich bin der Meinung, ein Aberglaube wächst wie Unkraut; und als ich da so stand und auf diese klagenden Töne horchte, zitterte ich in meinen Schuhen.

Sie mögen mich einen Feigling nennen, weil ich solche Angst hatte; immerhin traute ich mir soviel Tapferkeit zu, vorwärts zu gehen. Aber ich ging mächtig vorsichtig, den Hahn meiner Flinte gespannt, um mich spähend wie ein Jäger, vollkommen darauf gefaßt, ein hübsches junges Weib irgendwo im Busch sitzen zu sehen, und vollkommen entschlossen, wenn ich eine sähe, eine Ladung Rehposten auf sie loszubrennen. Und richtig – ich war noch nicht weit gegangen, da bemerkte ich was Sonderbares. Ein starker Windstoß fuhr durch die Wipfel, die Blätter vor mir öffneten sich plötzlich, und ich sah eine Sekunde lang etwas in einem Baum hängen. Im Nu war es wieder fort, da der Windstoß vorüber war und die Blätter sich wieder schlossen. Ich sage Ihnen die Wahrheit: Ich war vollständig darauf gefaßt, einen Aitu zu sehen; und wenn das Ding wie ein Schwein oder wie ein Weib ausgesehen hätte, hätte es mich nicht so erschreckt. Das Schlimme war, daß es etwas Viereckiges zu sein schien, und die Vorstellung von etwas Viereckigem, das lebendig wäre und sänge, machte mich ganz dumm und dösig. Ich muß eine ganze Weile still gestanden haben; ich war ganz sicher, daß das Singen aus dem Baum gerade vor mir gekommen war. Endlich kam ich wieder zu mir selber und sagte zu mir:

»Na, wenn es wirklich so ist, dann ist dies ein Ort, wo es viereckige Dinge gibt, die singen. Ich bin nun einmal hier, so will ich auch für mein Geld meinen Spaß haben!«

Aber ich dachte, ich könnte ebensogut einmal versuchen, ob nicht außerdem ein Gebet gut sein könnte; so fiel ich denn auf meine Knie und betete laut; und während der ganzen Zeit, da ich betete, kamen die merkwürdigen Töne aus dem Baum heraus und schwollen an und sanken wieder und wechselten, gerade wie Musik – nur daß es offenbar nicht menschlich war, denn es war keine Melodie, die man hätte pfeifen können.

Sobald ich fertig gebetet hatte, wie es sich gehörte, legte ich mein Gewehr auf den Boden, nahm mein Messer zwischen die Zähne, ging gerade auf den Baum los und fing an hinaufzuklettern. Ich sage Ihnen, mein Herz war wie Eis. Aber plötzlich, als ich so hinaufstieg, erhaschte ich wieder einen Anblick von dem Ding, und das gab mir Erleichterung, denn ich dachte, es sähe aus wie eine Kiste, und als ich nun heran war, da wäre ich vor Lachen beinahe vom Baum gefallen.

Eine Kiste war es, ganz gewiß, und zwar eine Kerzenkiste mit der eingebrannten Marke auf der einen Seite, und Banjosaiten waren über die Öffnung gespannt, so daß sie klangen, wenn der Wind wehte. Ich glaubte, man nennt das Ding eine Tirolerharfe – was das nun immer sein mag Er meint Äolsharfe.

»Na, Herr Case«, sagte ich, »du hast mir einmal Angst gemacht, aber nun komm nur her, und versuche mir noch mal Angst zu machen!« sage ich, und damit rutsche ich vom Baum 'runter und mache mich wieder auf den Weg, um meines Feindes Hauptquartier aufzusuchen; ich dachte mir, das werde wohl nicht sehr weit entfernt sein.

Das Unterholz war an dieser Stelle sehr dicht; ich konnte nicht weiter sehen, als meine Nase lang war, und mußte mir mit Gewalt einen Weg bahnen, indem ich mit meinem Messer die Lianenstengel durchschnitt, und dabei zerhieb ich ganze Bäume mit einem Streich. Bäume nenne ich sie wegen ihrer Dicke, aber in Wirklichkeit waren sie nur dicke Stengel, so saftig, daß man sie wie eine Mohrrübe schneiden konnte. Nach der Art des Pflanzenwuchses, den ich da so sah, dachte ich bei mir selber, die Stelle möchte wohl früher einmal gelichtet worden sein, da stieß ich mit der Nase gegen einen Steinhaufen und sah sofort, daß das Menschenarbeit sein müßte. Gott weiß, wann dies Gebäude gemacht und wann es verlassen wurde, denn lange bevor die Weißen kamen, war dieser Teil der Insel schon nicht mehr betreten worden. Ein paar Schritte von diesem Steinhaufen traf ich auf den Pfad, nach dem ich die ganze Zeit ausgeguckt hatte. Er war schmal, aber gut ausgetreten, und ich sah, daß Case viele Jünger haben mußte. Es war in der Tat scheint's Mode, den Kühnen zu spielen und sich mit dem Händler hier hinaufzuwagen, und ein Jüngling hält sich kaum für erwachsen, bis er erstens sich seinen Hinteren hat tätowieren und zweitens Cases Teufel gesehen hat. Das sieht Kanaken mächtig ähnlich; aber wenn man sich die Sache näher ansieht, sieht es auch Weißen sehr ähnlich.

Als ich den Fußweg ein Stückchen entlanggegangen war, mußte ich stillstehen und mir die Augen reiben. Vor mir war ein Wall mit einer Lücke, durch die der Pfad ging; der Wall war verfallen und offenbar sehr alt, aber er war aus großen Steinen erbaut, die sehr sorgfältig aufeinandergelegt waren, und auf dieser Insel lebt heutzutage kein Kanake mehr, dem es auch nur im Traum einfallen könnte, so etwas bauen zu wollen. Oben auf dieser Mauer war eine ganze Reihe von merkwürdigen Figuren – Götzenbilder oder Vogelscheuchen oder Gott weiß was sonst. Sie hatten geschnitzte und gemalte Gesichter, greulich anzusehen; ihre Augen und Zähne waren aus Muscheln gemacht, ihre Haare und ihre bunten Kleider flatterten im Winde, und an einem von ihnen befanden sich Strippen zum Ziehen.

Nach Westen zu sind Inseln, wo solche Figuren noch jetzt hergestellt werden; aber auf dieser Insel ist, wenn überhaupt jemals welche gemacht worden sind, sogar die Erinnerung daran längst geschwunden. Und das Merkwürdige daran war, alle diese Schreckgestalten waren so neu wie Puppen aus einem Laden.

Da fiel mir ein, daß Case mir gleich am ersten Tag erzählt hatte, er sei ein guter Fälscher von Inselmerkwürdigkeiten – ein Geschäft, womit so mancher Händler sich einen anständigen Schilling extra verdient. Und da war mir denn die ganze Geschichte klar, und ich begriff, wie der Mann mit dieser Puppengalerie einen doppelten Zweck erreichte: Vor allen Dingen wurden seine Kuriositäten verwittert, außerdem ängstigte er damit die Kanaken, die ihn besuchen kamen.

Noch sonderbarer war dabei, daß während der ganzen Zeit rund um mich herum die Tirolerharfen auf den Bäumen sangen, und während ich noch dastand und guckte, kam ein grün und gelber Vogel – ich denke mir, er war beim Nestbauen – und begann von einer der Puppen Haare auszurupfen.

Ein Stück weiter hinten fand ich die Hauptmerkwürdigkeit des Museums. Das erste, was ich davon sah, war ein länglicher Erdhügel, aus dem ein Strick hervorsah. Ich räumte mit meinen Händen die Erde ab und fand darunter geteertes Segeltuch, das über Bretter gebreitet war, so daß dies also offenbar die Decke eines Kellers war. Ich stand mitten auf dem Erdhügel, und der Eingang war auf der andern Seite, zwischen zwei Felsen, wie der Eingang zu einem Keller. Ich ging hinein, bis ich an eine Krümmung kam, und als ich um die Ecke guckte, sah ich ein leuchtendes Gesicht. Es war groß und häßlich wie eine Pantomimenmaske, und die Helligkeit war manchmal größer, manchmal kleiner, und manchmal ging ein Rauch davon aus.

»Aha!« rief ich. »Leuchtfarbe!«

Und ich muß sagen, ich bewunderte eigentlich, wie erfindungsreich der Mann war. Mit einem Werkzeugkasten und ein paar ganz einfachen Vorrichtungen hatte er ein verteufeltes Ding von einem Tempel fertiggebracht. Jeder arme Kanake, den er in der Dunkelheit hier heraufbrachte, wo rund um ihn herum die Harfen winselten, und dem er dieses qualmende, leuchtende Gesicht hinten in einer Höhle zeigte, mußte felsenfest überzeugt sein, daß er für sein ganzes Leben lang genug Teufel gehört und gesehen hätte. Was Kanaken denken, kann man sich leicht vorstellen. Gehen Sie in die Zeit zurück, als Sie selber so zehn bis fünfzehn Jahre alt waren, und Sie haben einen Durchschnittskanaken. Manche Kanaken sind fromm, gerade so, wie es auch fromme Knaben gibt; die meisten von ihnen sind, ebenfalls wieder wie Knaben, mittelmäßig ehrlich und halten es eigentlich doch mehr bloß für einen Spaß, wenn sie mal stehlen; sie sind leicht in Angst zu setzen und haben eigentlich ganz gerne mal Angst. Ich erinnere mich aus meiner Schulzeit zu Hause eines Jungen, der auch so etwas Ähnliches hatte wie Case mit seinem Götzentempel. Wissen tat er nichts, der Junge; machen konnte er auch nichts; er hatte keine Leuchtfarbe und keine Tirolerharfen; er sagte nur einfach ganz frech, er sei ein Hexenmeister, und wir fuhren vor Angst aus unseren Stiefeln und fanden das wonnig! Und dann erinnere ich mich ferner, wie der Schulmeister den Jungen geprügelt hatte und wie überrascht wir alle waren, daß der Hexenmeister seine Prügel hinnahm und brüllte, wie wir andern alle. Da dachte ich so bei mir selber: »Ich möchte auf irgendeine Weise es mit dem Meister Case ebenso machen.« Und im nächsten Augenblick kam mir ein Gedanke.

Ich ging den Fußweg zurück, der, wenn man ihn einmal gefunden hat, ganz deutlich zu sehen und leicht zu begehen war; und als ich auf den schwarzen Sand hinaustrat, wen sah ich da? Meister Case selbst! Ich spannte mein Gewehr und hielt es schußfertig, und wir beide gingen vorwärts und kamen aneinander vorbei, ohne ein Wort zu sagen, aber jeder guckte aus dem Augenwinkel auf den anderen. Und kaum waren wir aneinander vorüber, so machten wir beide auf dem Absatz kehrt, wie Soldaten beim Exerzieren, und standen Gesicht zu Gesicht. Na, wir hatten natürlich beide denselben Gedanken, nämlich, daß einer dem anderen seine Ladung in den Rücken feuern würde.

»Sie haben wohl heute nichts geschossen«, sagt Case.

»Ich bin heute nicht auf Schießen aus«, entgegne ich.

»Na, meinetwegen kann Sie der Teufel holen!« sagt er.

»Danke, gleichfalls!« erwidere ich.

Aber dabei blieben wir beide auf dem Fleck stehen; kein Gedanke daran, daß einer von uns sich rührte.

Case lachte und sagte:

»Wir können ja doch nicht hier den ganzen Tag stehenbleiben!«

»Lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten!« sage ich.

Er lacht wieder und fragt: »Hören Sie mal, Wiltshire, halten Sie mich für einen Dummkopf?«

»Mehr für einen Schuft, wenn Sie es gerne wissen möchten«, antworte ich.

»Na, denken Sie, es würde mir etwas nützen, Sie hier, am offenen Strande, niederzuknallen?« sagte er. »Ich denke es nämlich nicht. Die Leute kommen hier jeden Tag zum Fischen her. Ein paar Dutzend sind vielleicht in diesem Augenblick weiter oben im Tal und machen Kopra; auf dem Berge hinter Ihnen sind vielleicht ein halbes Dutzend auf der Taubenjagd; vielleicht belauern sie uns in dieser Minute – das würde mich gar nicht wundern. Ich gebe Ihnen mein Wort, ich habe gar keine Lust, auf Sie zu schießen. Warum sollte ich auch Lust dazu haben? Sie sind mir in keiner Weise hinderlich! Sie haben kein einziges Pfund Kopra bekommen als die, die Sie mit Ihren eigenen Händen machten wie ein Negersklave. Sie vegetieren hier bloß – das ist das rechte Wort dafür –, und mir ist es einerlei, wo Sie vegetieren oder wie lange. Geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie nicht auf mich schießen wollen, und ich mache den Anfang und gehe weg.«

»Schön«, sagte ich, »Sie sind offen und nett, nicht wahr? Und ich will ebenso sein. Ich habe nicht die Absicht, Sie heute totzuschießen. Warum auch? Die Geschichte fängt erst an; sie ist noch nicht aus, Herr Case. Sie haben schon einmal was von mir gekriegt; ich sehe zu meiner Freude die Spur von meinen Fäusten noch in diesem Augenblick an Ihrem Kopf, und Sie können noch mehr haben, wenn Sie Appetit haben. Ich bin kein gelähmter Krüppel wie Underhill. Mein Name ist nicht Adams und ist nicht Vigours, und ich gedenke Ihnen zu zeigen, daß Sie diesmal an den Rechten gekommen sind.«

»Das ist albernes Geschwätz«, sagte er, »mit solchem Gerede kriegen Sie mich nicht dazu, daß ich weitergehe.«.

»Na schön, bleiben Sie stehen, wo Sie sind. Ich habe es nicht eilig, das wissen Sie ja am besten. Ich kann den ganzen Tag hier am Strand bleiben, ich habe ja nichts zu versäumen. Ich habe ja keine Kopra, um die ich mich zu kümmern hätte. Ich habe auch keine Leuchtfarbe, nach der ich sehen müßte.«

Es tat mir sofort leid, daß ich dies letzte Wort sagte, aber es fuhr mir so heraus, ohne daß ich mir was dabei dachte. Ich konnte sehen, daß es ihm den Wind aus dem Segel nahm; er stand da, starrte mich an und runzelte die Stirn. Ich vermute, dann wurde ihm klar, daß er diesen Worten auf den Grund kommen mußte.

»Ich nehme Sie beim Wort!« sagte er, drehte sich um und ging schnurstracks in den Teufelsbusch.

Natürlich ließ ich ihn gehen, denn ich hatte ihm ja mein Wort gegeben, aber ich behielt ihn im Auge, solange er in Sicht war; und sobald er verschwunden war, ging ich fix in Deckung, und den Rest meines Heimwegs machte ich unter den Bäumen, denn ich traute ihm nicht für einen halben Schilling. Eins sah ich deutlich: Ich war ein Esel gewesen, ihn zu warnen, und was ich tun wollte, das mußte ich nun sofort tun.

Sie denken wohl, ich hätte für einen Vormittag genug Aufregung gehabt; aber es war noch eine andere für mich in Bereitschaft. Kaum war ich so weit am Vorgebirge vorüber, daß ich mein Haus sehen konnte, da bemerkte ich, daß Fremde dort waren; als ich ein bißchen näher war, sah ich es ganz deutlich. Zwei bewaffnete Schildwachen hockten an meiner Tür. Ich konnte nur annehmen, der Wirrwarr wegen Uma sei vollends zum Ausbruch gekommen und die Station sei im Sturm genommen. Ich konnte mir nichts anderes denken, als daß Uma schon gefangengenommen wäre und daß diese bewaffneten Kanaken auf mich warteten, um mich ebenfalls gefangenzunehmen.

Als ich jedoch näher kam – und ich lief in vollem Galopp, kann ich Ihnen sagen –, da sah ich, daß noch ein dritter Kanake auf der Veranda saß, und zwar als Gast, und daß Uma mit ihm sprach als Wirtin. Als ich noch näher kam, erkannte ich den großen jungen Häuptling, Maea, und sah, daß er freundlich lächelte und daß er rauchte. Und was rauchte er? Keine von euren europäischen Zigaretten, das Dreckzeug, das für Katzen gut ist, nicht einmal die echte große, höllisch starke Kanakenzigarre, die man doch wenigstens als Ersatz brauchen kann, wenn einem mal die Pfeife zerbrochen ist – sondern eine sehr anständige Zigarre, und noch dazu eine von meinen Mexikanern, für die ich garantieren konnte. Bei diesem Anblick klopfte mir das Herz, und eine wilde Hoffnung schoß mir durch den Kopf, daß all die Unruhe zu Ende und daß Maea versöhnt sei.

Uma zeigte mich ihm, als ich herankam, und er empfing mich und begrüßte mich oben an meiner eigenen Treppe wie ein vollendeter Gentleman.

»Vilivili«, sagte er – besser konnten sie meinen Namen nicht aussprechen –, »ich mich freuen.«

Daran ist nicht zu zweifeln: Wenn ein Kanakenhäuptling höflich sein will, dann kann er es wirklich sein. Bei seinem ersten Wort wußte ich, wie die Sachen standen. Uma brauchte mir erst gar nicht zu sagen: »Er nicht Angst haben vor Ese jetzt, kommen und bringen Kopra.«

Ich sage Ihnen, ich schüttelte dem Kanaken die Hand, wie wenn er der beste Weiße in Europa wäre.

Die Sache stand so: Case und er waren hinter dem gleichen Mädel her, oder wenigstens hatte Maea ihn in Verdacht, und da hatte er beschlossen, dem Händler einen Streich zu spielen. So hatte er sich denn fein herausgeputzt, ließ ein paar von seinem Gefolge sich sauber anziehen und sich bewaffnen, um die Sache recht öffentlich zu machen, und dann hatte er bloß gewartet, bis Case aus dem Dorf war, und war nun gekommen, um mir seine Kundschaft zuzuwenden. Er war ein reicher Mann und hatte Einfluß. Ich vermute, der Mann machte jährlich seine fünfzigtausend Nüsse. Ich gab ihm dafür den Inselpreis und noch ein Viertelcent darüber, und was den Kredit anbetraf, so hätte ich ihm das ganze Lager von meinem Kaufladen und die Einrichtung noch dazu auf Pump gegeben – so freute ich mich, ihn zu sehen! Ich muß sagen, er kaufte wie ein Gentleman – Reis und Konserven und Zwieback genug für ein Gelage, das eine ganze Woche gedauert hätte, und Kleiderstoffe bolzenweise. Übrigens war er ein netter Mensch, er hatte viel Humor, und wir machten alle möglichen Witze miteinander, meistens allerdings mit Vermittlung von Uma als Dolmetscherin, denn er konnte nur wenig Englisch, und mein Inselkanakisch hatte noch keine Farbe. Soviel sah ich deutlich: Er konnte in Wirklichkeit nicht sehr böse auf Uma gewesen sein und hatte auch keine wirkliche Angst gehabt, sondern offenbar sich nur so gestellt, weil er vielleicht gedacht hatte, Case hätte einen großen Anhang im Dorf und könnte ihm von Nutzen sein.

Dies brachte mich nun auf den Gedanken, daß wir alle beide etwas in der Klemme waren. Was er getan hatte, war gegen die Stimmung des ganzen Dorfes und konnte ihm vielleicht seinen Einfluß kosten. Ja noch mehr: Nach dem Gespräch, das ich am Strande mit Case gehabt hatte, dachte ich, es könnte mir selber wohl mein Leben kosten. Case hatte mir ziemlich deutlich gesagt, er würde mich niederknallen, wenn ich jemals Kopra bekäme; nun würde er nach Hause kommen und finden, daß der beste Kunde im ganzen Dorf in den anderen Laden gegangen war. Ich hielt es daher für das beste, erst einmal die Sache mit dem Abschießen in Ordnung zu bringen.

Darum sagte ich zu Uma: »Hör mal, Uma, sage ihm, es tue mir leid, daß ich ihn habe warten lassen, aber ich war im Busch und sah mir Cases Tiapolo-Bude an.«

»Er mögen wissen, Ihr nicht Angst haben?« übersetzte Uma die Antwort des Kanaken.

Ich lachte heraus und rief:

»Na, wovor denn? Sag ihm, der ganze Zauber ist weiter nichts als ein Spielzeugladen! Sag ihm, in England geben wir solche Sachen den kleinen Kindern zum Spielen.«

»Er mögen wissen, Ihr hören Teufel singen?« war die nächste Frage.

Hierauf antwortete ich: »Sieh mal, ich kann es jetzt im Augenblick nicht machen, weil ich gerade keine Banjosaiten auf Lager habe; aber das nächste Mal, wenn das Schiff vorbeikommt, will ich so einen Singeteufel hier auf dieser Veranda anbringen, und dann kann er selber sehen, wieviel Teufelei dabei ist. Sag ihm, sobald ich die Saiten kriegen kann, will ich ihm einen für seine kleinen Krabben machen. Man nennt das Ding eine Tirolerharfe, und du kannst ihm sagen, der Name bedeute auf englisch, daß kein Mensch, der nicht ein verdammter Schafskopf ist, auch nur einen Cent dafür gibt.«

Jetzt war er zufrieden, und er freute sich so, daß er wieder mal sein Englisch versuchen mußte und mich fragte:

»Sie sprechen wahr?«

»Will ich meinen. Spreche wie Bibel. Hole die Bibel her, Uma, wenn du so ein Ding hier hast, und ich will sie küssen. Oder ich will dir noch was Besseres sagen«, rief ich, denn plötzlich schoß mir das Richtige durch den Kopf. »Frag ihn, ob er sich fürchtet, selber am hellen Tage dorthin zu gehen?«

Anscheinend fürchtete er sich nicht; er sagte, bei Tage und in Gesellschaft könne er es wohl riskieren.

»Na, dann ist es gut!« sagte ich. »Sage ihm, der Mann ist ein Schwindler, und die ganze Zauberei im Walde ist ein Narrenkram! Und wenn er morgen da hinaufgehen will, so wird er sehen, was davon noch übrig ist, aber sage ihm dies, Uma, und paß auf, daß er dich richtig versteht: Wenn er davon spricht, muß es unbedingt dem Case zu Ohren kommen, und dann bin ich ein toter Mann! Sag ihm, ich spiele auch sein, Maeas Spiel, und wenn er ein einziges Wort sagt, wird mein Blut über ihn kommen, und er wird verdammt sein, hier und ewiglich.«

Sie sagte ihm dies, und er gab mir die Hand und schüttelte mächtig die meinige und sagte: »Nicht reden. Gehen hinauf morgen. Sie mein Freund?«

»Nee, Herr!« sage ich da. »Nichts von solchem Quatsch! Sag ihm, Uma, ich sei hier, um Handel zu treiben und nicht um Freundschaften zu schließen. Aber den Case – den Mann will ich in die himmlische Seligkeit befördern!«

So ging denn Maea ab und war in recht guter Stimmung, wie ich wohl sehen konnte.


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