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In Paris stand des Hotel Grillon Halle voll von Volk, das Fairfax, einer auf Zehen des anderen, verrenkter Hälse erwartete. Die Pariser Phantasie schäumte aus seinen Dollars hochauf, indem sie phantastische Ziffern mit zwanzig multiplizierte. Kaum kam er mit Daisy, die Männeraugen dolchten, durch geballtes Gewühl. Die Sioux in großem Kriegsschmuck in seinem Gefolge steigerten Sensation ins Gigantische, und es gab keinen Wartenden, der sich nicht innerlich mit Haut und Haaren Fairfax für alles von dem Gewollte verschrieben hätte. Reporter garnierten die Treppengeländer, turnten buchstäblich am Plafond, und dem Liftboy, der die stürmisch Nachdrängenden in des Amerikaners Vorzimmer kurbelte, versagte das Handgelenk wie einem zweiten, der ihn ablöste. Frauen wurden im Lift ohnmächtig, eine kam dort mit Drillingen nieder; inzwischen hätte es unten in der Halle Mord und Totschlag gegeben, wäre Polizei nicht so schneidig eingeschritten, daß ein Berittener bis mitten in sie hineinsprengte.

Auf der Zinne des Hotels aber wehte das Sternenbanner!

Fairfax war vom élan vital der Pariser, auf den ihn Daisy vorbereitet hatte, als Quantität entzückt, Daisy mit der Pflege des bildhübschen Liftjungen glücklich, den sie aus Barmherzigkeit in ihre Gemächer hatte schaffen lassen. Was die Qualität der Vorschläge für Fairfax Unterhaltung anging, war Außerordentliches allerdings nicht dabei.

Die meisten verkannten ihn überhaupt und glaubten, er wolle sich erotisch, wie ein Pariser es versteht, amüsieren. Man bot ihm rund ganz Frankreichs Jungfernschaft; er brauchte im Adreßbuch auf gut Glück nur aufzuschlagen. Man bot sie ihm schlicht und in raffinierten Kombinationen. Bilder von Damen bester Welt mit Preiskurant brachte man, offerierte Frauen und Töchter verabschiedeter Minister, Generäle und Botschafter; das Träumerischste und Fescheste in Battist und Leinwand.

Er fragte die Vermittler, ob sie glaubten, das alles fände er – zwar nicht so bequem – in Amerika nicht? Sie hätten seine Telegramme gründlich mißverstanden. Nicht darum handle es sich, guter Gott! Nicht Schwächung seiner Kraft, Anreiz seines Geltungswillens, Vervielfachung wolle er. Nicht Amboß, aber Hammer auf Granit sein! Stahl wolle er beißen, nicht in noch so weiches Weiberfleisch. Drüben finde er im Augenblick einfach kein würdiges Ziel, wohin mit gepanzerter Faust schlagen. Hier hoffe er, sei vor neuer Schöpfung Chaos. Man solle Pläne, Grundrisse machen, je unmäßiger desto besser.

Er sei im Ernst bereit, für Europa eine Art lieber Gott zu werden.

Paff war man und zu allem entschlossen. Aber es ergab sich, wie in England und Belgien war auch in Frankreich nur der Boche alles Denkens und Fühlens Sinn. Man lebte überhaupt nur in bezug auf ihn, doch mit anscheinend tieferer Inbrunst als in nördlichen Ländern.

Und diese Hingabe begann, Fairfax zu reizen, weil er zu sehen glaubte, in Frankreich hatte das Problem Deutschland sogar das Phänomen Rußland und den Bolschewismus völlig in Schatten gestellt, und selbst mit riesigsten Geldmitteln konnte man sich der Phantasie der Franzosen nur dauernd empfehlen, galt deren Ausgabe den Deutschen. Wie die französische Nation seit Jahrzehnten selbst alle Arbeits- und Steuerkraft in Hinsicht auf den östlichen Nachbarn mit Anschaffungen und Rüstungen verschwendet hatte.

Es kam ihm vor, als würde die Entente im einzelnen und gesamten überhaupt nicht mehr wissen, was tun, käme einmal gehässige Feindschaft zu Deutschland nicht mehr in Frage.

Und zum erstenmal spürte er für den Deutschen, den er nicht kannte, steile Neugier, die, wie er merkte, auch Daisy zu packen begann. Er sah, es handelte sich bei dem Problem in Frankreich nicht wie in anderen Ländern um ein Interesse, das bei Gelegenheit durch anderes ersetzt werden konnte, sondern der Franzose schien zur eigenen Existenz geradezu noch die des Deutschen, die ihm alle Haare auf dem Kopf sträubte, mitzuleben.

Fairfax war der Meinung, man könnte sich, ohne anderes in Rechnung zu stellen, Jahrzehnte nur dieses fanatischen Schwungs der Franzosen als Hebel alles Weltgeschehens bedienen, vorausgesetzt, es gelänge, die noch an Einbildungen und Kleinigkeiten verzettelte Kraft der Nation methodisch in diesen Brennpunkt zu sammeln und mit großzügiger, gegenseitiger Verhetzung der beiden, gemeinsam hundertundzwanzig Millionen zählenden Völker sei ein nicht auszurechnendes Geschäft zu machen, das wirklich alle andere Unternehmung der Welt, auch die bestaufgezogene bolschewistische, verdunkeln und sämtliche Industrien aller Erdteile glänzend verdienen lassen müßte.

Den deutschen Standpunkt dazu zu kennen, war ihm vorläufig nicht wichtig. Er wußte, sie hatten den allgemeinen respektvollen Haß reichlich, umsonst und ohne Rücksicht darauf, wie sie selbst reagierten. Um so besser, erführe er später noch ihre besondere Einstellung hierzu. Zur Vorbereitung und Inangriffnahme umfassender Pläne mit ihnen aber genüge der Franzosen eindeutiges Verhältnis, das bestimmt von keiner fremden Regierung und anderem Volk sobald gekreuzt würde.

Er gab also einfach die Parole: unwiderstehliche Beweise dieses Geisteszustands in Frankreich zu sammeln und ein für allemal zum Gebrauch festzulegen; bezahlte einlaufende Auskünfte um so höher, je größer der durch krasse Beispiele bewiesene Härtegrad des Hasses war. Eine Sammlung sämtlicher französischer Sprichwörter und Witze über die Deutschen seit hundert Jahren von jenen albernen Sauerkrautfarzen und Hansis »Professor Knatschke« bis zu so blühendem Hochgewächs legte er an: daß ein Engländer, Franzose und Deutscher mit einem stinkenden Bock in einen Verschlag gesperrt worden seien, wobei diese Angehörigen der drei Nationen gewettet hätten, wer es am längsten in dem Gestank aushalten würde. Zuerst sei der Franzose, nach einer Weile der phlegmatische Engländer von Furien gepeitscht entflohen – dann plötzlich der Bock gesträubten Barts davongebrochen, während unbekümmert der Boche verweilt habe.

In flammenden Farben gemalte Greuelbilder preußischer Ulanen sammelte er, wie sie mit triefenden, frischabgeschnittenen Mädchenbrüsten auf Lanzenspitzen gegen Zivilbevölkerung schneidig anritten oder am prasselnden Lagerfeuer zum ersten Frühstück je einen knusprig gebratenen französischen Säugling mit Haut und Haaren speisten.

Alle Anwürfe der führenden Köpfe Frankreichs, Militärs, Politiker, Wirtschaftler, Priester und Dichter gegen Deutschland brachte er zusammen und hatte nach zwei Monaten ein Kompendium von zwölf Bänden in Folio gesammelt, das er koloriert, gratis in Frankreich verteilte und auch in übrigen Kulturstaaten so gut wie verschenkte.

Sehr amüsierte ihn die authentische Erzählung von einer Professorenwitwe, die zwei lebendige, von ihr vorher betäubte deutsche Offiziere im Krieg begraben hatte, und ertappt, von deutschen Kriegsgerichten als vollkommen wahnsinnig freigesprochen war. Jetzt behaupteten plötzlich die Verwandten, trotz des deutschen irrenärztlichen Gutachtens sei die Frau Professor nicht verrückt, sondern bei vollem rachsüchtigen Verstand gewesen. Eine historische Heroine sei sie, Markstein in der Geschichte Frankreichs und Symbol dafür, was es an Deutschenhaß leisten könne; und sie machten so großen Staat mit ihr, daß sie sie im Kino auf der Leinwand dreimal am Tag ihr patriotisches Werk zeigen ließen, wobei die Kassen platzten und das Publikum vor Begeisterung schäumte.

Fairfax schlug dem Minister der schönen Künste vor, vor allem das Louvre, den Inhalt sämtlicher Museen und die Bibliotheken einzuäschern, weil Ablenkung, die der eine gewollte Geist der Franzosen durch Beschäftigung mit diesen vollkommen überflüssigen Vorstellungen erfahre, unökonomisch und im letzten Grund staatsgefährlich sei und zwar nicht nur, wie der Minister zugäbe, in modernen Büchern und Bildern, die alles Mögliche und Unmögliche nur nicht das für Frankreich Notwendige darstellten, sondern erst recht bei sogenannten alten Meistern und Klassikern, die, weil sie in eine anders empfindende tote Vergangenheit führten, vom Willen des Volks ablenkten.

Natürlich müßten auch sonstige fossile Reste, Denkmäler, Friedhöfe, Mausoleen, Symbole und vor allem jeglicher Geschichtsunterricht außer der Darstellung der Kriege von 1870 und 1914 abgeschafft werden. In der Hinsicht solle man am amerikanischen Volk ein Beispiel nehmen, das von keiner, wie immer gearteter Vergangenheit das Geringste wissen wolle, nichts Gewesenes kenne und lerne. Um alle unvoreingenommene Gewalt in brausenden Zeitgeist zu werfen.

Die Sinnlosigkeit aller mit Fragen der Vergangenheit beschäftigten Anstalten zeigte Fairfax und forderte deren Schließung, bewies des Alkohols Gefährlichkeit, der gleichfalls Volk von krasser Wirklichkeit zu Träumen und Räuschen verführte. Erwähnte der Bordells und aller Prostitution Krebsschaden, die nicht nur Revanchelust, sondern der Nation Samen, der nicht zu reichlich fließe, in Nebenkanäle versickern lasse. Todesstrafe aber müsse auf Eingreifen in die Schwangerschaft einer französischen Mutter gesetzt werden! Man dürfe des Volks Existenz auf keine Karte setzen, die nicht ein blankes Aß sei.

Hier sei Entscheidung!

Bevor er Anspielungen französischer Bankwelt auf sein Portefeuille verstehe, ehe er nur einen Centimen zücke, müsse er des unzweideutigen Willens der Regierung in dieser Hinsicht gewiß sein, Frankreichs Gesamtkraft senkrecht auf das selbstgewählte Ziel wie einen Faustschlag eingestellt sehen. Er behaupte nicht, es geschähe nicht schon Notwendiges; Feudaladel, Geistlichkeit, Judentum und bürgerliche Mitte sähe er begeistert am Werk, und auch die Belegung der besetzten Gebiete hauptsächlich mit Negern sei, wie das Echo deutscher Presse zeige, im gewollten Sinn ein feines Stück. Aber welche Verwirrung herrsche in breiten Arbeiterkreisen und in der Haltung der Regierung gegen sie! Glaube man in Frankreich immer noch, Geschäfte ohne den Arbeiter machen zu können?

Jeder Zeitgenosse wolle mit Recht sein tägliches Huhn im Topf und das Kinobillett für den Abend in der Tasche. Zu welchem Zweck habe sich sonst Menschheit seit tausend Jahren »entwickelt«? Also rechne man vor allem andern aus, was so durchaus berechtigter Anspruch von sechsunddreißig Millionen Franzosen koste, male die Endsumme über das Budget und sage sie der Allgemeinheit zu. Auf dieser Voraussetzung aber könne man die um tägliches Wohlsein nicht mehr Besorgten ganz anders mit gewaltigem Schwung für das abgemachte Ziel arbeiten lassen.

Ahne man in Europa immer noch nicht, welches Arbeitmehr mit dem für alles Übrige als sein naives körperliches Behagen blindem Proletarier möglich sei? Man sehe doch einen drüben nach dem Tailorsystem dressierten Arbeiter an, von dem man alle seelischen und geistigen Einflüsse so abstelle, daß er buchstäblich nur das Maschinenteil, auf das er wirke, sähe. Was aber lenke außer von vornherein falscher Einstellung aufs Leben nicht sonst noch den europäischen Arbeiter vom Schaffen ab! Sieht er nicht Kameraden neben sich und kann sich mit deren Vorstellung oder plaudernd mit ihnen selbst beschäftigen? Überschaut er nicht die ganze Maschine und womöglich das Ensemble aller im Arbeitssaal? Sieht er dazu nicht durch unverkleidete Fenster ins Grüne, auf Himmel, bebuschte Ferne und bunte Natur hinaus, und ist nicht jeder Blick, Gedanke von Arbeit fort auf Fremdes erheblicher Kraftverlust? Methoden endlich! Methode!

Es sei verdammt ein anderes, ob ein Volk wie die Grönländer hinlebe, das nie behauptet hatte, Aufgaben für die Menschheit zu haben, oder ob Frankreich, das allerchristlichste und kultivierteste sein ihm von allen Völkern zugebilligtes Amt als Hüterin heiligster Güter Europas nicht voll und ganz wahrnehme. Was bedeute Europa noch ohne den von ihm bewahrten lateinischen Geist?

Er, Fairfax jedenfalls und Amerika mit ihm habe an Europa überhaupt nur noch ein Interesse, an diesem von Frankreich hauptsächlich vertretenen Impuls im Kampf gegen die alten Widersacher, die Deutschen, zu profitieren.

Versage der oder leiste als westlicher Hauptbewegungskoeffizient nicht mehr genug, sei das Konto »alte Welt« erledigt, und man werde von dieser faulen Geschäftsverbindung fort zusehen, was bei dem Bolschewismus Profitliches herauskomme.

Man müsse nicht lügen. Volk wolle sein Huhn im Topf, sein Kinobillet in der Tasche und mache sonst alles mit. Basta!

Im Hinblick auf die Anspielung der Kredite gelobte stotternd der Minister auch im Namen sämtlicher Kollegen das Unmögliche und ließ, den Amerikaner über Unternommenes von Stunde zu Stunde auf dem Laufenden zu halten, dessen Hotelzimmer durch direkte Telephonleitung mit allen Ämtern und dem Elysée verbinden.


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