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Nach Weltkriegs Schluß langweilte sich Jimmy Fairfax kraß in Prunksälen seines Palasts in der fünften Avenue New York, und oft wurden die Kinnmuskeln von wahren Gähnkrämpfen erschüttert.

Vier Jahre lang, während der großen Sache jenseits des Teichs, hatte er öde Augenblicke nicht gekannt; die ins Kolossale gewachsene Herstellung seiner mit keiner anderen Marke vergleichbaren Excelsior Stahlgranaten, gefüllt mit besonders ekrasierender Sprengmasse, dazu Errichtung immer neuer Fabriken, Arbeiterhäuser, Bahnanschlüsse, Werften, Docks und Dampfschiffe, aber auch blutige Unterdrückung von Streiks und Aufständen, großzügige Bestechung Regierender, politischer Führer und Journalisten hatte ihn so ganz beschäftigt, daß er buchstäblich keinen Augenblick seines Hirns Leere gespürt hatte.

Das war mit dem Unterliegen der so lange tapferen Deutschen und dem Versailler Friedensschluß mit einem Schlag zu Ende. Selbstverständlich hatte er seine Werke mit Blitz auf Herstellung von Friedensware umgestellt, machte landwirtschaftliche Geräte von der simplen Sense bis zur pferdekräftigsten Lokomobile, schnell aber war deutlich geworden, in diesen Artikeln gab es nur verhältnismäßig geregelten Absatz, den man nicht wie Kriegsware durch feurige Propaganda wutschäumender Pressen, Agenten und Börsenmanöver beliebig steigern konnte, der sich vor allem nicht sinnlos genug ins Leere verbrauchte.

Es machte ihm auch wenig aus, was aus einem Pflug, einer Dreschmaschine wurde. Diese Dinge waren mit Austritt aus seinem Geschäft für ihn anonym. Nie wieder hörte er von ihnen und ihrem Wirken. So gut wie nichts mehr erfolgte aus ihnen für ihn, während nach Ankunft eines seiner den deutschen Unterseeboten entronnenen Riesenschiffe in Europa, gespickt mit runden Hunderttausenden smarter Stahlhülsen, er formidablen, auf ihn und seine Unternehmungslust zurückzuführenden Eindruck in Zeitungen tausendfach beechot fand, durch den er mit frischem Zutrauen für ferneres Tun erfüllt wurde.

Ja, er brauchte Anstoß. War praktische Natur und, unmittelbaren Eindruck seiner Arbeit zu sehen, angewiesen; er gehörte nicht zu den übertragenen Menschen, die mit Zahlung, das ist indirekter Bestätigung geleisteter Energien befriedigt sind. Dicht mußte ans Leben er angeschlossen sein, seiner Riesenfaust Griff aus donnernden Explosionen mit Ohren hören.

Jahrelang war er in kein Theater, Museum, zur Lektüre keines Buchs, erst recht nicht in eine Kirche gekommen, weil der Anblick aus Vergangenheit aufbewahrter Kuriositäten springfrischem Lebensquell des Tags gegenüber lächerlich schien. Jetzt aber hatte er aus beginnender Verebbung des Lebens sich vorsichtig auf die Pickwicker von Dickens eingelassen und für Wochenende eine Loge zu Carusos Auftreten gemietet.

Er dachte sogar daran, die erste große private Bildergalerie der Vereinigten Staaten zu gründen und hatte wegen des Grundstocks, einem halben Dutzend Rembrandts an Rosenthal Brothers in London gekabelt, die aber nur ebensoviele Rubens auf Lager hatten und ihm deren Ankauf dringend rieten. Im Grund war's ihm gleich, und vielleicht ärgerten die vorgeschlagenen Rubens in seinem Besitz den alten Rockefeiler mehr als Rembrandts, worüber er sich unterrichten wollte. Eine Stunde später aber kaufte er die Bilder, ohne Auskunft abgewartet zu haben, für fünf Millionen Dollar, weil der Vorteil, überhaupt solche Summen in verhältnismäßig kleines Gewicht stecken zu können, große Chance bot.

Einen und einen halben Monat unterhielt ihn der Ankauf ganzer Galerien Europas, die unter den Hammer kamen. Große Namen von Cimabue bis Pikasso kaufte er unbesehen, weil ihm Garantie der Echtheit von Gemälden und Skulpturen belanglos schien, da der bloße Umstand, sie hingen fortan in seiner Sammlung, sie für Kunsthistoriker und Publikum hinreichend beglaubigte.

Danach erwarb er die Kronjuwelen des montenegrinischen, serbischen, bulgarischen und schließlich österreichischen Erzhauses, wodurch es gelang, weitere zweiunddreißig Millionen Dollar auszugeben. Für die gleiche Summe etwa kaufte er noch die Reliquiensammlung einst im Besitz des Kurfürsten Friedrich des Weisen von Sachsen, und noch bei Adolf Hausrath ›Luthers Leben Berlin 1913‹ aufgezählt, zuletzt in Händen eines durch Börsengeschäfte ruinierten ungarischen Kirchenfürsten, enthaltend als Glanzstücke Garn, das die Mutter Gottes gesponnen hatte, sowie Haar aus ihren Flechten, das Becken, in dem Pilatus seine Hände in Unschuld gewaschen, ein großes Teil vom Leib des Patriarchen Isaak und fünfundzwanzig Zweige vom brennenden Busch Mosis. Dazu die guterhaltene Armröhre, mit der Lukas das Evangelium geschrieben, zwei Krüge von der Hochzeit zu Kanaan, einen von den dreißig Silberlingen, um die Judas den Herrn verriet usw.

Ordnung, Aufstellung und Katalogisierung dieser Kostbarkeiten brachte ihn noch über des Jahrs neunzehnhundertneunzehn größten Teil, während welcher Zeit er seine Sammlungen durch Ergänzung auf die Höhe brachte. So gelang im Juni der Erwerb von hundertsiebenundzwanzig Landschaften des Corot und sechsundvierzig erstklassigen Bildern Courbets en bloc durch ein Pariser Haus, und einiger Linsen von Esaus »Originalgericht«, das den die Erstgeburt gekostet hatte. Hierdurch wurde die Zahl der Kunstgegenstände auf achttausend, der Reliquien auf dreitausendfünfhundert abgerundet, während eine Summe von rund hundertundfünfzig Millionen Dollar angelegt war, was freilich wenig genug schien. Nichts Wesentliches aber blieb auf dem Weltmarkt zu kaufen zurück, und was selbst von erstklassigen Häusern, wie des Apostels Paulus Knotenstock noch angeboten wurde, war Bruch.

Zum großzügigen Erwerb von Trophäen aus dem Weltkrieg selbst aber konnte er sich nicht entschließen, weil des internationalen Publikums endgiltige Wertung für diese Ware noch ausstand, und er lehnte trotz Bitten seiner von ihm geliebten sechzehnjährigen Tochter Daisy Ludendorffs verhältnismäßig billig angebotenes Pessar samt Futteral und Fochs Suspensorium ab. Aber eine über diese Banalitäten herschleifende Langeweile begann ihn krank zu machen, und schon fing der Magen an, ihm Streiche zu spielen, trotz von Autoritäten ihm aufgezwungener Kuren, seinen Lebensmut im Kern anzunagen. Schließlich riet ihm eine ärztliche Leuchte, es des alten Chinesen Li Hung Tschangs Beispiel gemäß mit frischer Ammenmilch zu versuchen.

Ein Dutzend junger, gutgewölbter Amerikanerinnen schmeckte er ab, ließ rassige Tscherkessinnen und Tschechinnen kommen, aber es schien, sie hatten Wasser in Adern, da Fairfax durch sie nur schlapper und apathischer wurde, bis Daisy riet, sich stramme Siouxbräute aus Dagota, Töchter jenes Indianerstamms zu leisten, der von je als Inbegriff tätiger Angriffs- und Tatenlust gegolten hatte.

Drei Paar prachtvolle Brüste wurden ins Haus genommen, und schon nach Tagen wies sich, Fairfax Blut sprühte durch Adern, spülte Magen- und Verdauungstrakte klar, und den Ammen mußte Fleischkost und Alkohol gesperrt werden, da der Ernährte Stürmen der Unternehmungslust in sich nicht mehr wehren konnte.

War er mit seines Selbstwillens mächtiger Steigerung einerseits zufrieden, wußte er ihn in New York, in ganz Amerika jetzt noch weniger an den Mann zu bringen. Wie er waren alle Amerikaner von der Beringstraße bis zum Kap Horn nach Sättigung durch maßlosen Kriegsverdienst und in der Unmöglichkeit, gewonnene Abermilliarden und Zinsenmassen für nach Europa ausgeliehene Kapitalien unterzubringen, von unaufhörlicher Arbeit, Geld auszugeben, so überanstrengt, so schwer war es geworden, sich wirklich zählender Summen auf einmal zu entledigen, daß jedermann von der einzigen Sorge, Anlagen für seine Schätze zu finden, erschöpft war, und eines Menschen Verlangen, Neues zu unternehmen, noch größere Vermögen zu häufen, Befremden auslöste. Man brauchte doch nur Teile erworbenen Guts zu verschleudern, um bei allgemeinem Warenhunger sein Vermögen zu vervielfachen. Zehn Millionen bot ein Narr für Anna Boleyns Trauring, und um das Doppelte ging ein Stein aus Washingtons Niere an einen Kriegsgewinnler ab. Die Armröhre des heiligen Lukas allein hätte Fairfax für königliches Vermögen weitergeben können.

Aber auch in einem Jahrzehnt würde sich der Geldsäcke Überfüllung nicht ausgleichen!

Nein, erst recht nicht mit Siouxglut im Blut sei jetzt in Amerika auf die Kosten zu kommen, und ein überraschungsloses Fortleben warf gigantisch graue Schatten vor Fairfax auf.

Für Daisy mochte das Ding noch angehen. Die hatte starke sinnliche Beziehung zur Welt, die sie rücksichtslos gegen öffentliche Meinung schon durchgesetzt hatte; sie sah er in einen Barmixer, Tänzer oder Jockey von Zeit zu Zeit vernarrt und bereit, Summen für diese Puppen zu opfern, wobei sie sich ihres Reichtums geschickt als klotziger Barriere zwischen sich und des anderen Geschlechts letztem Verlangen bediente.

Bei Fairfax aber, nachdem er aus Übermut noch die pompöse Schwebebahn über den Pelly-Fluß in menschenleeren Tälern der Rocky Mountains gebaut, phänomenale Expedition zum Nordpol zwecks Erlangung eines Kolossalfilms ausgerüstet hatte, auf der fünf hundert Hunde und hundertsiebenzig Menschen umgekommen waren, die man zum Teil, in Eisblöcke gefroren, mitbrachte und auf der Leinwand zeigte, nahm ohnmächtiger Grimm, mit bestem Willen, sich unvergleichlich zu betätigen, nichts anfangen zu können, gefährliche Formen an, so daß mit aller Umgebung sich schon die Säugenden erbosten, und Daisy langsam melancholisch wurde.

Fabelhafte Darstellung, gleichfalls im Film des zerstörten Flanderns und Nordfrankreichs mit phantastischen Greuelresten und noch frischem Blutgeruch, brachte ihn auf den Gedanken, könne er in neuer Welt seines Wirkens im Krieg beständige Sichtbarkeit nicht hoffen, in Europa mindestens das von ihm vormals Angerichtete so nah wie möglich zu besehen und in Ermangelung frischen Geschehens sich vom Gewesenen so tief wie möglich erschüttern zu lassen.

Gedacht – getan! Die höchsten Ansprüchen entsprechendste seiner Lustjachten ließ er, mit allem Erdenklichen versehen, unter Dampf setzen, nahm zu den Siouxmädchen, die sorgfältig mit leckeren Nahrungsmassen verstaut wurden, noch einen aus sieben gemischtgeschlechtlichen Gliedern bestehenden Indianerstamm an Bord, aus dessen künftiger Vermehrung er in persönlichen Bedürfnissen unabhängig von der Heimat würde, und stach mit Daisy am fünfzehnten September neunzehnhundertundneunzehn bei blaustem Wetter nach Europa in See.


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