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Bei Überfliegung des Antwerpener Hafens wußte Fairfax' erster Blick über Belgien Bescheid. Was dort im Krieg Bestialisches geschehen war, würde zu besehen sein; was aber das Land in Zukunft bedeute, stand fest, als er im Hafen, der für viele hundert Platz hatte, ein einziges Schiffchen schaukeln sah: Frankreichs Kolonie! Wie es vor dem Krieg ausschließlich als Deutschlands Maul, durch das das fraß, geblüht hatte, war es jetzt Frankreichs Schwanz und höchstens After.

Solche heroische Weltfremdheit des Ländchens gefiel Fairfax. Das war nicht, wie in England, hochnäsige Gescheitheit, der ein wesentliches fehlte; das war Blödsinn, radikale Einfalt, die Teilnahme einflößte und den Kenner von Gefühlen entzückte. Vorsintflutlich war das, fanatischer Hungerstreik und hatte persönliche Haltung, wie wenn ein junges Mädchen sagt, ich tanze nicht und esse keine Schlagsahne.

Schließlich liest ein modernes Volk sein wirtschaftliches Wohlsein vom Kurszettel ab, und Ougrée Maryhaye, die während der deutschen Besetzung auf 2400 gestanden hatten, waren nach dem Sieg auf 1200 gefallen! Fairfax, bei seiner Ankunft im Hotel in Brüssel, kabelte nach New York, man sollte sechs Millionen Dollars belgische interprovinziale Anleihe, die einzigen belgischen Werte, die er besaß, verkaufen. Darum schwand in Unterredungen, die er mit Belgiern hatte, mochten Staatsmänner und Handelsherren noch so ungereimtes Zeug schwatzen, herzliches Mitgefühl für die Nation aus seinen Antworten nicht, und er suchte den freundlichen König Albert und seine charmante, ein wenig bleichsüchtige bayerische Frau so wenig eines Besseren zu belehren, wie er einen Negerhäuptling, den Holzpfahl aus der Nase zu ziehen, überredet hätte. Im Gegenteil toastete er bei einem ihm und Daisy im ärmlichen aber sauberen Palais in Brüssel gegebenen Fest auf das wohledle Belgien und spürte Rührung, als er den Champagnerkelch gegen die Souveräne hob.

Dinants, Furnes und Yperns stachlige Ruinen besah er gründlich und begriff, die Belgier würden sie sorgsam pflegen, sich ihr schönes, uneigennütziges Märtyrertum, das ihnen zum erstenmal in der Weltgeschichte Gesicht gab, zu erhalten. Zu ihrem vollendeten Untergang würde man einmal Ähnliches sagen, wie jener römische Kaiser im Augenblick seines Todes von sich selbst gerufen hatte: qualis artifex pereo!

Im übrigen brachten ihm die ersten besichtigten Schlachtfelder und berühmtesten Trümmerstätten, hinsichtlich der Granatensprengwirkung, die er festzustellen erwartet hatte, Enttäuschung. Bedachte er, Belgien hatte einen Hauptteil der allein von ihm verschickten Ladungen auf den Kopf bekommen, hätte er sich andere Katastrophen, bedeutendere Zusammenbrüche vorstellen können. Der Meinung war auch Daisy.

Sie wies ihm an einer ganz markanten Stelle des hingefegten Rathauses von Ypern, wie an einem einzigen Pilaster ein halbes Dutzend schwerer Haubitzbombeneinschläge zu sehen seien, und Fairfax stellte aus der Praxis fest, sei natürlich auch seiner Ware Qualität nicht immer erstklassig gewesen, bedeute tatsächlich der Krieg des Produzenten einzige Möglichkeit, seine Produkte wirklich großzügig abzusetzen, und normaler Verschleiß im Frieden käme auch bei bestem Willen jedes Konsumenten demgegenüber nicht wirklich in Frage.

Diese Erkenntnis war sein erster profunder Eindruck der Reise und rechtfertigte sie ganz. Für den Ernstfall aber war in Zukunft so wenig wie auf Engländer auf die Belgier zu rechnen, und man konnte über sie fort in Europa Entscheidendes vorbereiten.

Anzuerkennen blieb ihre Küche und unvergleichliche Schönheit der Frauen. Trotz Daisys Klagen, die Paris nicht erwarten konnte, verweilte Fairfax drei volle Wochen in Brüssel, diese liebenswürdigen und in der Liebe erfahrenen Geschöpfe zu kennen und fand es riesigen Witz der Weltgeschichte, daß viele ihre unvergessene Leidenschaft zu einem Deutschen gestanden, der sie während der Besetzung besessen und in Künsten der Zärtlichkeit erzogen hatte.

An hübschen Kindern in zartestem Alter, von süßen Müttern mit Hingabe gepflegt, fehlte es nicht und er sah, die Deutschen hatten in Belgien nicht nur hervorragende Kunstwerke mit Ausdauer zerstört, sondern mit Fleiß ebenso reizende aufgerichtet. Besonders verehrt fand er in Brüssel das Andenken jener Kavallerieoffiziere, die in prachtvoll bunten Uniformen sporenklirrend um die Place Royale geamtet, im »Filet de Sole«, im »Globe« gegessen hatten. Legende umgab einen Prinzen Patatibor, schwarzen Kürassier und ehemaligen Kreischef von Brüssel.

Herzliches Mitgefühl hatte er bei der Abreise und wünschte, noch vor seinem Untergang möchte das Land die Zwistigkeiten zwischen Flamen und Wallonen einerseits, Liberalen und Katholiken andererseits, die es neben seinem Märtyrertum vollständig beschäftigten, schlichten und die zur Verfügung stehende Zeit lieber größerer Verehrung seiner entzückenden Weiblichkeit widmen, der Fairfax in Gedanken große Kußhände zurückwarf.


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