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Dritter Akt

Das Konegensche Landhaus mit der überdachten Rampe im Hintergrunde etwas nach links. Davor ein freier Platz mit Blumenanlage in einer größeren Grasfläche, an die sich rechts und links Strauch– und Baumgruppen schließen. Auf die Rampe führt rechts in einem stumpfen Winkel ein Gang, der von jungen Buchen überwölbt ist. Ihre Zweige sind an ein Gerüst von gebogenen Stäben gebunden. Der Gang mündet in der Tiefe durch ein Pförtchen in einem Bretterzaun in den Wald. Dieser füllt einen Teil des Hintergrundes und begrenzt die rechte Seite des Gartens mit seinen schwergrünen Nadelmassen. Eine schönästige Birke schwebt davor wie eine graziöse, trunkene Fahne. In das verhalten Brausen des Waldes singt fern im Garten ein Springbrunnen seine endlose, dünne, klingende Weise. Neben der geschlossenen, zweiflügeligen Gartenzimmertür, etwas nach dem Gang hin, stehen ein Gartentisch und Stühle und Ruten und Wurzeln. – Es ist gegen elf Uhr vormittags, drei Tage nach den Vorgängen des zweiten Aktes.

Pfarrer Hoheisel sitzt auf einem der Stühle am Tisch und liest in einem Handbrevier. Wenn ein Geräusch im Innern des Hauses laut wird, hebt er den Kopf und lauscht. Endlich fährt er, sich ausreckend, mit der Hand über sein Gesicht, rückt den Stuhl herum, lehnt sich zurück und sieht sinnend in den Garten hinaus. Nach einigen Augenblicken wird die Tür vom Hausflur ins Gartenzimmer geöffnet und eilig geschlossen. Schnelle Schritte nahen. Er wendet sich hastig seinem Buche zu und gibt sich die Haltung eines versunkenen Menschen.

Anna tritt bald darauf vorsichtig, fast geräuschlos mit der ganzen Demut in der Haltung, die das Volk vor einem Geistlichen zur Schau zu tragen gewohnt ist, in die Tür des Gartenzimmers und steht einen Augenblick still. Endlich räuspert sie sich schüchtern.

Hoheisel blickt verwundert auf. Ach, Mädchen, da bist du ja schon wieder!

Anna, noch ein wenig atemlos. Nu, woll nie schon, Hochwürden! 's hat lange genug gedauert, Sein Se och nie of mich beese, ich bin nich schuld daran. De Frau wirtschaft rum, wer weeß wie sehr. Sie dreht alle Schübe und Schränke um. Und wo se geht und steht, schlißt se de Türe hinder sich zu. Ich kunde …

Hoheisel hält den Zeigefinger auf die Lippen und droht dann mit gütigem Ernst. Anna, Anna! – Ich hab dich eigentlich darum nicht gefragt. Steht auf und ergreift Stock und Hut. Führ mich also hinauf!

Anna. Wenn Se allene gehn wollen! Ich derf nich.

Hoheisel. So antwortet man einem Geistlichen nicht.

Anna. Nu, 's is doch dasselbe wie gestern und viergestern.

Hoheisel. Meinst du damit vielleicht, die Frau Professor ist wieder nicht zu sprechen? Ach nein, Anna, du wirst dich wohl verhört haben! Mit stärkerer Stimme etwas gegen das offene Gartenzimmer. Dreimal läßt niemand den Herrn umsonst anklopfen und ich komme im Namen Gottes.

Anna. Das weeß ich und deswegen war ich eben aso beese.

Hoheisel. Mäßige deine Stimme

Anna. Aber sie lassen mich nich ausreden. Nee, nee, Hochwürden, 's is au besser, Sie hern aso was gar nich. Schämen sollde se sich, eem geistlichen Herrn, aso was!

Hoheisel, lächelnd. Immer sag du's ruhig.

Anna. Aber Sie missen nich etwan denken, ich freu mich drüber. Ich lief 'r doch immerfort anoch und sie herte nich of mich. Aber ei d'r grin' Stube, weil ich und ich ging 'r gar nich vom Leibe, da dreht se sich of eemal um und wird bleech wie der Kalk und sprecht leise, as wenn se sich vir sich selber schämte, spricht se: »Der« – Hochwirden, ich kann nich, 's frißt mich. –

Hoheisel. Immer sprich alles.

Anna. »Der Lump betritt diese Schwelle nicht mehr.« Und nach eener Weile, weil ich steh und steh, mag se sich's besinnen und sagt: »Ich lasse den Herrn Pfarrer bitten, sich sofort zu – zu, nun ebens aso viel wie, Sie sollen sich bale nausmachen.

Hoheisel lacht gezwungen. Anna, beruhige dich. Aus allem ersehe ich, daß du dich getäuscht hast. Die Worte mögen leider Gottes mir gegolten haben; aber mit den ersten hat sie gewiß nicht mich gemeint. Bhhh, und du tust mir den Gefallen, das heißt ich verbiete es dir als Seelenhirt, zu irgend jemand darüber zu sprechen.

Anna. Herr Pfarr, Sie kenn' sich aber of mich verlassen …

Hoheisel. Nein, nein, du hast dich getäuscht, Geh du und mach jetzt deine Arbeit, denn so lange die jungen Herrn da sind, hast du doch gewiß viel Arbeit.

Anna. Nee, Hochwirden, weger dem, die sein schon viergestern gefahrn. An dem Tage wie der Herr Professer fuhr, der früh und die mit 'm Dreiviertelsechs-Zuge.

Hoheisel tritt tiefer in den Buchengang hinunter, mit gedämpfter Stimme. Ach Mädchen, es handelt sich hier um einer Seele Heil. Herr Kullmann ist hier im Hause. Mir kannst du's doch sagen.

Anna. Nee, Hochwirden, ich ha doch mit den zwee Händen hab ich den zween Kuffer of a Wagen getragen.

Hoheisel. Ich habe Herrn Kullmann vor kaum einer halben Stunde von meinem Fenster aus auf dem Wege nach dem Bergwalde gesehen.

Anna. Nee, nee, die zwee sein wohrhaftig iber alle Berge.

Hoheisel. Mag's sein. Im Fortgehen. Hier hast du die neue Notburga-Nummer, und daß du mir morgen in den Dienstbotenverein kommst.

Anna nimmt das Heft entgegen und küßt ihm die Hand. Ja, ich dank scheen, Herr Pfarr.

Hoheisel. So. Sei immer brav und denke daran, was ich dir vor deinem Dienstantritt sagte, daß Dienstboten besonders wachsam sein müssen im Hause einer Herrschaft, die das Unglück, auf Irrwegen zu sein.

Anna. Ach, Sie wissen gar nich, Hochwirden,

Hoheisel. Nun, alle Dienstboten sind nicht auf Rosen gebettet.

Anna schluchzt in die Schürze. Ich kann Ihn sagen, was dahier a so viergeht.

Hoheisel. Wache und bete! Und wenn sich aufs neue was Bedenkliches ereignen sollte, dann weißt du, wo dein alter Pfarrer zu finden ist. In Gottes Namen.

Anna küßt ihm wieder die Hand. Ei Gots Namen.

Hindemit ist leise um die Hausecke getreten und hustet jetzt überlaut. Er ist leicht berauscht.

Hoheisel dreht sich im Hinschreiten um.

Hindemit gezwungen. Gun Morgen!

Hoheisel. Ach, das ist ja der – e – ich hab Sie doch schon im Dorfe gesehn.

Hindemit. Nee, nee, Herr Pfarr, ich bin bloß evangelsch.

Anna, schnell einfallend. 's is der Hindemit Schlosser, Hochwirden.

Hoheisel. Ach so, der!

Hindemit, ziemlich laut. Jawoll – der – der – der das Schilderhaus mit samt 'm Wächter am helllichten Tage stiehlt. Wart och e! Macht Miene, ihm nachzugehen.

Anna hält ihn zurück. Was hat dir denn bloß unser guder Herr getan? Du bist woll nich gescheide!

Hindemit. Gell, weil er nich Schloßnägel frißt und Zwecken spuckt, deswegen is er ein guder Herr! Den wer ich kenn! Das is au eener vo den, die mit Hämmern schmieden, die nich klingen. Ihr Weiber seid alle egal.

Anna hat zu fegen begonnen. Weg da und stern Se mich nich ei der Arbt. Ihr Evangelschen hat alle keene Reljon eim Leibe.

Hindemit. Aber ihr Weibsleite hat se eim Leibe. Das läßt sich freilich begreifen. Die is vorne scheen und hinten nich häßlich. Die Reljon verfluche sich! is bei dir nich ibel.

Anna wehrt ihn ab. Machen Sie lieber 's Geländer of de Treppe. Das wird besser sein.

Hindemit. Mädel, hast du eene Bust!

Anna. Gehn Se und lassen Se mich zufriede. Denken Sie, ich bin aso eene! Ich wär grade zu dem Gealber ufgelegt. Hält im Fegen inne und stützt sich auf den Stil … »Dahier was ereignet.« … Da wird sich schon ereignen! … Dahier!! … Beginnt wieder zu fegen. Der weeß, wo mich der Schuh drickt. Alles pufft und schimpft a eem rum. Weil ich gut katholsch bin. Das is, weil ich …

Hindemit umfaßt sie von hinten. Weil du ein fermoses Mädel bist.

Anna reißt sich mit einem jähen Ruck los. Denken Sie ja nich etwan, ich spaße! Wart och, passen Se uf, die da drinne denkt, ich wer immer 's Maul halen und immer kusch machen. Die soll mich och beese machen. Ich wer schon ufpassen. Beginnt wieder zu fegen. Man kennt eich woll. Ihr Mannsmer seid alle egal. Erscht macht 'r de Weibsleite mit Redensarten besoffen … und dernachern –. Wenn's is – wenn's sein sollde! In Wut geratend. Schlosser Hindemitla, haha! Na, ich sag Ihn aso viel …

Anna. Anna, Jees, du hast ja reen weg a Koller! Deine Jacke wird dir noch platzen. Fernes Männergespräch wird im Walde laut.

Anna. Hern Se och, Schlosser!

Hindemit. Was denn?

Anna. Geht's nich eim Pusche?

Hindemit. Freilich.

Anna. Of uns zu?

Hindemit. Nu, warum soll's 'n nich. 's Botensteigel geht ja da hinderm Zaume num.

Anna wird immer erregter, mit glänzend–wildem Gesicht … und 's redt … zwee … was? … Mit bösem Triumphieren. – Sieh 'ch, aha! –

Hindemit. Was hat's denn bloß? Du bist ja reen vom Bändel! Das Gespräch kommt näher, nun hält's an einem Ort an.

Anna, eifrig. Nu sehn Se aber, daß Se sich fort machen! De Frau mit 'm Herrn Oberamtmann kommt.

Hindemit, unruhig, aber doch mit erzwungener Festigkeit. Nach, wenn's grade da druf ankimmt! Übrigens sein's ja zwee Männer, wie ma hern kann.

Anna. Deste schlimmer. Da wird ebens noch dr Amtsvorsteher mit drbeine sein. Was stehn Se denn da noch?

Hindemit will durch die Gartenzimmertür ab.

Anna. Nee, nee! Die spielen drnach Fliegel. Schnell dahier um de Ecke!

Hinter der Szene, gedämpft in mühsamer Beherrschung des Unwillens, die Baßstimme Doktor Tetzners.

Doktor Tetzner. Nimm doch bloß Vernunft an!

Anna huscht ins Gartenzimmer und zieht die Tür hinter sich zu, ohne einzuklinken.

Max Kullmann erscheint in der Tiefe des Buchenganges, öffnet vorsichtig das Pförtchen, stutzt, kommt spähend bis auf die Rampe und geht, da Doktor Tetzner zögernd desselben Weges auftaucht, erregt zurück.

Kullmann, tief im Buchengange, nahe am Pförtchen. Nun bitte ich das letzte Mal, geh zurück. Ich muß sie noch mal sehen und sprechen.

Doktor Tetzner. Und das Glück der Hände und so weiter, die ganze heiße Chose durch. Kennen wir. Denke doch bloß, was soll ich deinem alten Herrn sagen, daß du heute im Morgengrauen ausgebrochen bist, daß ich dir nachgetost bin. Man kann …

Kullmann. Das hast du mir jetzt schon tausendmal gesagt.

Doktor Tetzner, den Halt verlierend. Man kann Dummheiten die Fülle machen; aber sich ruinieren und ehrlos …

Kullmann, bleich vor Zorn, tritt in drohender Haltung auf ihn zu. Nun hat's geschnappt, mein Herr!

Doktor Tetzner. Jawohl, ist dir das Versprechen an deinen Onkel gar nichts?

Kullmann. Mensch, mit diesem Tratsch. Anna richtet sich hinter der Tür auf, ihr Gesicht ist ganz entstellt. Sei mal still.

Doktor Tetzner. Die ganze Geschichte ist Irrsinn. Hier wie auf der Bühne. Jeden Augenblick kann jemand kommen.

Kullmann geht vor und untersucht oberflächlich. Anna duckt sich bei seinem Nahen, Kehrt zurück. Nich die Spur.

Doktor Tetzner, mit ernstester Eindringlichkeit. Lieber Max. So nimm doch bloß auf meine Karriere Rücksicht! Wenn das e Skandal wird, bin ich doch auch futsch und kann mir e Billet nach Hamburg lösen.

Kullmann. Donnerwetter noch! Das versteht sich doch von selbst, daß nach allem Vergangenen von ernstlichen Absichten oder Gefahren nicht die Rede sein kann. Die Sache soll singend enden, wie sie angefangen hat. Ich will von was Schönem zu zehren haben. Nicht als Schluß dieses erbärmliche Fortlaufen. Und nu nimm endlich Verstand an und geh und warte unten im Hotel auf mich.

Doktor Tetzner. Ich kann ja auch im Walde hier irgendwo …

Kullmann drängt ihn gegen das Pförtchen. Nein – geht, sag ich – mir tanzt es schon vor den Augen – und wenn du hartnäckig bleibst … Metas Stimme im Gartenzimmer. – los!!

Doktor Tetzner. Gib mir dein Ehrenwort. Beide verschwinden im Walde.

Meta tritt halb zurückgewendet aus der Gartenzimmertür. Sie trägt Reisekleider. Du solltest doch gleich wieder heraufkommen.

Anna drängt hinter ihr her und spricht, indem sie den Gang hinunterstarrt. Sehn Se och, gnädge Frau – gnädge Frau –

Meta. Du bist entschieden manchmal nicht richtig.

Anna. Ach – ich – kommt zu sich – ich kunnde doch nich a Herrn Pfarrer, kunnde ich doch nich aso mir nischt dir nischt rausschmeißen.

Meta. Aber ich hörte doch dann noch eine Stimme.

Anna. Noch – eene – Stimme – ach aso! – Gell, eene huch und eene grob. – Das war der Hindemitschlosser, der Narrnsack. Gnädge Frau, nee he, sehn Se och, daß der amol aus 'm Hause kemmt. Der liegt den geschlagenen Tag um das Haus, hindert de Dienstboten an dr Arbt und versauft mehr wie das ganze Gelände wert is. Das arme Weib, die ale Hindemitn, hat ihr Kreuze mit dem Kerl. Kriegen tut er keene … Sie ergreift den Feger.

Meta hat sich auf einen Stuhl gesetzt, innerlich gebunden, müde und abgehetzt. Was willst du denn da?

Anna, einschmeichelnd. Nu vollds reene machen. Gnädge Frau kenn dach nich ei dr Schweinerei dasitzen. Meta starrt wie abwesend, in der Haltung eines trostlosen Menschen, den Kopf auf die Hand gestützt, in den Garten hinaus. Am besten wärsch, gnädge Frau gingen wieder nur oder ei a Garten, bis ich dahier fertig bin mit 'm Kehrn. Ein a Pusch, da wird ich Ihn nich raten. Alleene. – Ma weeß doch nich. 's passiert das und je's ei a Zeitungen. Noch derzu a so eene Dame. Wenn ich a Man wär, ich gloobe – – das heeßt, es hat doch nu schon sone Kerle.

Meta hat nicht darauf gehört; aber von dem kriechenden Tone angewidert, richtet sie sich auf. Hm. Laß das jetzt einstweilen und komm her. Geh und hol vom Boden den großen Quetschkoffer. Nicht den mit den Leisten.

Anna. Ach, den Se 's vorige Mal aus Berlin mitgebracht haben.

Meta. Und die Reisetasche. In den Koffer packst du vorsichtig die Sachen, die ich im grünen Zimmer herausgelegt habe. In die Tasche … Nein, das werd ich mir selbst besorgen. Wenn du damit fertig bist, bestellst du beim Nauer Marthl einen Einspänner zum Zuge, der um dreiviertel vier Uhr nachmittag abgeht.

Anna. Nee, da wollen Se woll gar a noch verreisen?

Meta. Gewöhn dir doch diese unschicklichen – pöbelhaften – Aufdringlichkeiten ab! Du hast gehört, was ich dir befohlen habe, also geh und kümmere dich um sonst weiter nichts.

Anna. 's is gut. Ja, ja. Erst a Kuffer, dernach de Sachen und zuletzt de Fuhre. Greift zum Feger und beginnt wieder zu kehren. Mir wern's schon machen.

Meta, mit großer Überwindung, sanft. Mädel!

Anna. Was denn?

Meta. Bist du denn … ! Du hast doch gehört! –

Anna verfällt in süßliches Dienern. Sehn Se och, gnädge Frau, Sie missen mir das nich ibel nehmen. Ma hat doch zu rauhe Hände, da reißt ma aus den seidnen Kleedern alle Faden raus. Komm Se och mite nuf. Was haben Se dahier au? 's is heeß, ma weeß nich wie. Komm Se och mite nuf! Sein Se och aso gutt!

Meta steht auf. Das ist ja zum Sterben mit dir.!

Anna. Nu wenn Se nich wollen; ich wer nich sterben. Geht mit dem Feger dem Buchengang zu.

Meta. Wo willst du denn hin?

Anna. Nu, ich kann doch da hinten rum eben aso gut gehn.

Meta. Hier gehst du, durch die Flurtür!

Anna zögert noch, dann entschlossen. Frau – – Besinnt sich plötzlich und kehrt zurück. Nee, nee. 's is besser aso.

Meta. Und ich will bis zum Mittag ungestört bleiben. Sag das auch der Therese. Sie soll mit den Kindern auf dem Wege zur Kirche spazieren gehen.

Anna, spöttisch auflachend, ab.

Meta sinkt verzweifelt auf einen Stuhl am Tische nieder und weint in ihre Hände, zieht das Taschentuch, trocknet mit der müden Umständlichkeit Gramvoller die Augen, erhebt sich, geht einigemal erregt die Rampe hin und her, lehnt sich dann an eine der laubumrankten Säulen, bricht ein Blatt und beginnt es grübelnd zu zerpflücken. Sie steht im Begriff, versonnen die Stufen hinabzusteigen. Da öffnet Max Kullmann das Pförtchen in der Tiefe des Buchenganges, daß es gegen den hohen Bretterzaun schlägt, und kommt hastig den Gang herauf. Meta sieht ihn, schrickt sichtlich zusammen und wendet sich finsteren Gesichts der Tür des Gartenzimmers zu.

Kullmann, gedämpft schreiend. Meta! Ich bitte, bloß auf 'n paar Worte!

Meta, kalt. Was willst du hier?

Kullmann. Aber Meta, du bist ja über alle Maßen erzürnt?

Meta. Vor allem sprich leiser. Hier liegen an allen Wänden Ohren. Bist du alleine hierher gekommen?

Kullmann. Gewiß. Ich komme geraden Wegs aus Bögendorf.

Meta. Hat dich schon jemand aus diesem Hause gesehen?

Kullmann. Nein, da kannst du ganz ruhig sein. Ich komme über'n Bergwald direkt vom Bahnhofe.

Meta. Bist du allein hierhergekommen?

Kullmann, unsicher. Das ist mir schleierhaft, wie du auf diese Frage kommen kannst. Dreist. Wen in aller Welt hätte ich denn zu dieser Sache brauchen können!

Meta, ihn scharf fixierend. Also nicht?

Kullmann. Na hör mal an, wenn du soweit bist, mir eine Unwahrheit zuzutrauen, dann ist es freilich das Ratsamste, ich gehe gleich wieder.

Meta. Was weißt du, in welcher Lage ich mich befinde!

Kullmann. Meta, schenke mir nur für wenige Worte Gehör. Dann wirst du vielleicht begreifen, daß ich nicht anders konnte, als hierher kommen.

Meta. Wieder diese erniedrigenden, unreinen Heimlichkeiten! Gut. – Tritt mal tief in den Gang hinunter, hart an die Wand. – Schließ erst die Tür! Eilt und schließt die Flurtür, verschwindet um die Hausecke, um auch die vordere Gartentür zu schließen. Erscheint wieder auf der Rampe. Unmutig. Komm! – Nimm Platz! – Bitte dort! – Also. wozu kommst du her?

Kullmann. Meta, so gib mit doch wenigstens die Hand, wie du sie jedem Bekannten von gestern gibst.

Meta. Wir sind mehr als Fremde.

Kullmann. Du willst das Letzte zerstören.

Meta. Es gibt zwischen uns nichts mehr zu zerstören.

Kullmann. Die schöne, gemeinsame Erinnerung.

Meta lacht in bitterem Spott auf.

Kullmann. Ich will doch nichts, als von dir Abschied nehmen – für immer. Schmerzlich betont. Ich weiß, daß es für immer sein muß. Aber diese Stunden, in denen mir deine Seele aufgegangen ist, haben mir ein Licht gebracht, das ich gar nicht für möglich gehalten habe. Mach ein böses Gesicht, schilt mich albern, mir egal, es ist doch so. Ich kann mir nicht helfen und will mir auch nicht helfen. – Es soll schön enden, nicht mit dieser Angst hinter der Tür, mit diesem scheußlichen Fortlaufen. Ich will einen guten Geschmack im Munde behalten.

Meta. Wenn das der Grund deines Besuches ist, dann war es besser, er unterblieb. – Was belügst du dich denn auch! Unser Verhältnis war eine Verwirrung, beiderseits, und deswegen eine Kette von Unwürdigkeiten. Es hat geendet, wie es enden mußte. Einen schönen Schluß anfügen. hieße nichts anderes, als die Unnatürlichkeit von neuem beginnen wollen. Hier, Max, hast du die Hand und sei versichert, ich habe keinen Haß auf dich. So geh deinen Weg, ich werde den meinen suchen. Leb wohl!

Kullmann. Deine Hand ist wahrhaftig totenkalt, wie heut nacht.

Meta. Was meinst du damit?

Kullmann. Auch deine Stimme hat denselben wehen ton. Das hängt mit der näheren Veranlassung zu meiner Herreise zusammen. Gestatte mir, daß ich dir erzähle, was es damit für eine Bewandtnis hat? Meta nimmt zögern Platz. Die Veranlassung zu meiner Reise war eigentlich der Brief des Onkels. Du weißt vielleicht noch gar nicht, daß mir Konegen vor der Abreise einen Brief – na gut – in dem Briefe, der übrigens die ganz unnötige Aufforderung zur sofortigen Abreise enthielt, war eine Wendung, die aus dem Rahmen des Ganzen herausfiel. Ich … du kannst den Brief ja selber … ach, da hab ich 'n vergessen – aber ich weiß die Stelle wörtlich. – Er schrieb: »Durch die Macht der Verhältnisse gezwungen, werde ich genötigt sein, unnachsichtiger als sonst … «, kurz, es war eine leidenschaftliche Entschlossenheit zur Härte gegen dich, mit einer versteckten Drohung an meine Adresse. In der Aufregung las ich natürlich nur oberflächlich. Aber je öfter ich zu Hause den Brief vornahm, desto klarer wurde es mir, daß ich hierher zurückkehren müsse.

Meta, in bitterer Ironie. So, so.

Kullmann. Auf Ehre! Nach all den Andeutungen war es doch nicht ausgeschlossen, daß man dich hier in unwürdiger Weise behandelt. Ja, und ich sah dich, wie du alles glaubtest auf die nehmen zu müssen und vor Scham und Stolz doch innerlich blutetest.

Meta, noch immer spöttisch. Das hast du im Ernst gedacht?

Kullmann. Gedacht –! verfolgt bin ich worden davon. Vollends diese Nacht. Da war es mir im Traume fortwährend, als würdest du von etwas Ekelhaftem durch eine Flucht erloschener Zimmer getrieben. Ich sah dich nicht, ich hörte dich nur mit einer zähen, leeren Stimme wimmern und deine Kleider leise an den Gegenständen hinstreichen. Und ich, atemlos hinter dir her, dir zu helfen; aber immer war dieses Widerliche zwischen mir und dir. Nur einmal gelang es mir, deine Hand zu ergreifen. Sie war kalt und tot. Nein, das war schrecklich! So ging es die ganze Nacht; wie ich mich auch abquälte, ich konnte dich nicht erreichen. Als ich im grauen Morgen erwachte, war mein erster Gedanke, dir sei etwas passiert. Ohne mich zu besinnen, in meine Kleider und die zwei Stunden zur Bahn, ehe noch jemand auf dem Hofe erwacht war.

Meta, die Hände im Schoß gekrampft verschlungen, den Oberkörper steif vorgelehnt, starrt tief ergriffen stumm ins Leere … durch eine Flucht erloschener Zimmer getrieben … von etwas Ekelhaftem … Steht auf, tut einige Schritte … genau so … Setzt sich wieder grübelnd. Da hast du mein ganzes Eheleben gesehn. Mit Ausnahme der ersten Jahre. Diese zwei Tage natürlich am meisten. Richtet sich auf und sieht Kullmann fest an. Was denn? Soll ich kein Weib sein? Dann ist es auch Schande, Mensch zu sein. Nein, nein! Das ist alles zu Ende. Er hat mich ja dahin gestoßen mit all der Dürre in sich. – Heute nachmittag reise ich ab, um nie mehr hierher zu kommen, nie mehr. Nun weißt du's.

Kullmann. Du willst reisen, dich trennen?!

Meta nickt schwer.

Kullmann. Aber wie ist denn das gekommen?

Meta. Wie ist das gekommen! Wenn ich das nur wüßte! Wie viele Jahre lang, Tag und Nacht und Nacht und Tag hab ich mich das gefragt. Wenn ich das nur wüßte. Mit Tränen ringend. Man geht einmal mit singender Seele schlafen, und beim Erwachen ist alles noch wie sonst und dennoch fremd. In der Zufriedenheit ein Mißbehagen, die Worte erst benagt, dann schief, dann –leer, im Gesang ein Unnennbar Zerbrochenes, das Vertrauen scheel, die Güte erzwungen, und alle Lust und alles Glück weicht aus den gewohnten Dingen. Sie wandert aus und nimmt verstohlen unsre Seele mit und macht uns heimatlos in unserm eignen Leben. Dann haben Eheleute nichts Gemeinsames mehr. Siehst du, in dieser Kindheit unsers Grams ist alles wehevoll, doch rein. Da sollten sich in stiller, heiliger Trauer alle trennen, die verbunden sind und sich nicht mehr gehören. Dan trüge man wohl Schmerz in seine Einsamkeit, aber keine Schuld; dann käme man erschöpft bei sich an, aber nicht zerbrochen, nicht befleckt.

Kullmann, in bebendem Mitleid, vorwurfsvoll, legt leise die Hand auf ihren Arm, sie zu sich zu rufen. Meta!

Meta, mit erschöpftem Lächeln. Du hast recht, es nützt nichts mehr. Nein, nein; es ist gut – – im Grunde genommen – –. Dieser stumme Kampf zwischen uns hatte schon zu lange gedauert. Jeder hat seine Stirn blutig gerieben, daß uns beiden allen vor den Augen wirr durcheinander lief. So bin ich zur Musik gekommen – ich! – und er zu seiner Seelelehre.

Kullmann. Ich bitte inständig, gib dich diesen Grübeleien nicht zu sehr hin. Du bist nicht mehr stark genug. Nun du frei bist, mußt du dich deinem Leben erhalten.

Meta, dumpf. Mich hat das Schicksal in einen toten Winkel gekehrt.

Kullmann. Ja aber, ich verstehe noch immer nicht. Du warst doch fest entschlossen, zu bleiben.

Meta … und habe ich mich nicht gedemütigt vor ihm? Wahrhaftig, es war etwas wie Genugtuung dabei, für meinen Fehltritt zu leiden. Gewiß war er hart – aber eigentlich nicht wegen mir, oder aus beleidigter Mannesehre. Mit keinem Gedanken hat er die Tragik dieses Schicksals berührt. Sein größter Schmerz war sein Werk und sein Ruf. Ein Weib kann doch das Werk des Mannes nur lieben, wenn es den Mann liebt. Und wie sollte ich ihn lieben dürfen, wenn ich sehen muß, daß ich ihm gar nichts bin. Was sag ich »sehen«! Er hat's mir ja mit dürren Worten gesagt!

Kullmann. Und die Kinder? – Verzeihe, ich will nicht etwa sagen, absolut nicht, ich meine bloß.

Meta. Alles hat gestimmt und stimmt nicht mehr. Eben wegen des Wohles der Kinder muß ich gehn. Und das allein, wenn auch, wie ich hoffe, nur vorläufig. Denn eine Mutter, die mit ihrem Manne nicht mehr in Liebe verbunden ist, ist eine Gefahr für die Kinder. Besser, die Kinder haben keine Mutter als eine gebrochene, verödete, verbitterte.

Stimme der alten Therese im Hause.

Therese. Frau! – Frau!!

Kullmann. Die alte Therese ruft.

Meta. Mag sie rufen. Pause.

Kullmann. Hör mal: Pink, pink, pink. Wie das Wasser förmlich singt.

Meta. Ja, als wenn winzige Wesen mit verschmachteten Seelen durchs Gras liefen.

Kullmann. Wahrhaftig, tipp, tipp, tipp. Wirklich … und hätten Glasschuhe an und stießen da und dort an einen Kiesel, daß er klingt, nicht?

Meta, nach einigem Hinhorchen versonnen … Diese stillen, atemlosen Augenblicke, die nun für mich kommen müssen. Davor habe ich eigentlich eine gewisse Furcht. Weißt du, sie lösen alles auf; man wird an sich und an allem auf Augenblicke irr …

Kullmann. Ich werde ihn stärker stellen. Die Wasser müssen stoßen. Nicht, Meta?

Meta springt auf und faßt ihn am Arm. Max, nicht! Tu das nicht!

Kullmann ergreift ihre Hand. Meta!

Stimme der alten Therese. Frau! Frau!! Wo sein Se? Da hörn Se och! Ursala klagt über Hitze ein Koppe. Sie rüttelt an der Flurtür, Die beiden fahren auseinander auf ihre Plätze.

Meta. Das ist natürlich nicht wahr. Spürts du nicht, sie ist bestellt?

Kullmann. Etwa von Konegen? Das wäre doch infam!

Meta. Laß mich, ich habe in diesen Jahren schon manches Unmögliche für möglich halten müssen. Wie in einem Gefängnis bin ich in der letzten Zeit von diesem alten, brutalen Weibe gehalten worden.

Therese rüttelt an der vorderen Gartenpforte, verzweifelt und angstvoll rufend. Frau! Frau!! Frau!!!

Meta. Die letzten Augenblicke in diesem Hause muß sie einem verderben. Nun wird sie um den Garten herumgehen und kommt durch den großen Eingang herein.

Kullmann. Das Beste wär's, wir gingen 'paar Schritte in den Wald. Das große eiserne Tor schlägt klirrend zu.

Meta. Ja, komm! Im schnellen Aufstehen tritt sie sich aufs Kleid und droht zu fallen.

Kullmann fängt sie in den Armen auf. Mit ausbrechender Leidenschaft. Meta! Liebste! Mein Glück!

Meta wehrt sich verzweifelt. Max, laß mich! Hab Mitleid mit mir! Er schließt ihr den Mund mit Küssen.

Therese, näher. Frau! Frau! Was machen Se denn … 's Kendle!

Meta ringt nochmal auf.

Max. Jetzt laß ich dich nicht mehr von mir. Man hört Thereses Schritte schlürfen.

Meta läßt sich zitternd fast forttragen. So komm – schnell in den Wald – schnell – mein liebster Mann. Sie umschlingen sich in großer Leidenschaft. Dann schnell durchs Pförtchen ab.

Vorhang


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