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Erster Akt

Studierzimmer des Professors Konegen, ein großer, hoher Raum, dessen Wände bis zur Hälfte Nußbaumverkleidung tragen. Rechts drei große Fenster nach dem Garten, die geöffnet sind. In der Mittelwand Tür nach dem Flur. Vor den Fenstern, so ins Zimmer zurückstehend, daß ein Gang übrig bleibt, der weitläufige Schreibtisch mit vielen Büchern, Schreibzeug, Papiermesser u.s.w. In der rechten Ecke der braune, altdeutsche Ofen. Neben der Flurtür nach vorn das in die Verkleidung eingelassene, mit hellbraunem Leder bezogene Sofa. Davor ein mit Büchern und Zeitungen unordentlich bedeckter Tisch, an dem einige Stühle stehen, unter ihnen in die Mitte des Zimmers hin ein bequemer Ruhesessel, in dunkelgrünem Leder bezogen. An den Wänden; über dem Sofa ein großes Ölgemälde in schwerem Goldrahmen, neben dem Ofen eine moderne schwarzwälder Uhr, an der Holzverkleidung, in Augenhöhe hängend, Radierungen alter Meister in einfachen Eichenrahmen.

Es ist gegen sechs Uhr früh im Anfang Juni.

Professor Konegen sitzt auf dem herumgewendeten Schreibstuhl, die Ellenbogen auf die Armlehne gestützt, die Hände gefaltet. Er ist neununddreißig Jahre, starkknochig, ein wenig verfallen. Seine Haltung ist grüblerisch gebeugt. Öfters reckt er sich auf. Sein volles Haar und sein Spitzbart sind stark im Ergrauen. Beim Sprechen, das aus sanftem Hingleiten leicht in nervöse Erregtheit umschlägt, pflegt er öfter mit den Fingerspitzen der Rechten den Kinnbart lang zu ziehen.

Doktor Tetzner sitzt ihm gegenüber im Sessel. Er ist sechsundzwanzig Jahre alt, groß, feist, brünett; trägt einen Kneifer, sein Haar ist ganz kurz geschoren. Er spricht auffallend langsam mit tiefem, dröhnendem Bierbaß.

Doktor Tetzner.Wie gesagt, es tut mir sehr leid, Herr Professor.

Konegen.Lieber Tetzner, deswegen durften Sie Ihre Nachtruhe nicht so zeitig aufgeben.

Doktor Tetzner. Ach, scheußlich! Alle Abende lieg ich da herum, und gerade, wenn man mal notwendig wäre, muß man nicht da sein.

Konegen. Nun, nun. Trösten Sie sich, junger Freund! 's ist ja nun alles, denk ich, wieder im Gleise. So ziemlich, ja. Gehn Sie rauf und legen Sie sich wieder hin.

Doktor Tetzner. Worüber klagt Ihre Frau Gemahlin denn eigentlich? Sie haben, glaub ich, die Anna gestern abend zu mir rauf geschickt, die frag ich heute morgen; aber aus der wird man ja nicht klug.

Konegen, nach einigem Sinnen. Wenn ich Ihnen das sage, dann wissen Sie eigentlich nichts. Nicht viel, heißt das. Die weibliche Seele ist nu mal schon reizbarer, wie unsere. Sie wird sich beruhigen, sag ich mir. Nein, nein. Ich hätte notwendig, mich zu entschuldigen. Macht Miene, aufzustehen.

Doktor Tetzner tut, als sähe er es nicht. Ich war da absichtslos in die Petersbacher Schenke geraten.

Konegen, in gekünstelter Launigkeit. Hörn Sie, nennen Sie unser Hotel zum goldenen Schwan keine Schenke!

Doktor Tetzner. Goldnen Schwan! Dem Kerl, dem Liebscher, fehlt bloß die blaue Schürze, so is der Hausknecht fertig.

Konegen. 's ist wahr. Er ist mir eigentlich auch nicht gerade sympathisch. Wenn ich auch noch so wenig hinkomm. Waren Sie allein?

Doktor Tetzner. Na ja und e – auch nich, Max war mit.

Konegen. Da muß er aber erst später nachgekommen sein, denn so um acht, halb neun sah ich ihn durch den Garten gehn. Es war ja schon dunkel, daß ich mich schließlich auch getäuscht haben kann. Aber an dem forschen Rucken der Schultern bei einer Wendung glaubte ich ihn zu erkennen.

Doktor Tetzner, eifrig. Nein. Max war entschieden eher unten. Ich kanns ja auf die Minute nicht bestimmen, aber viel über sieben war's nich bei seiner Ankunft.

Konegen, mit schlecht unterdrückter Bitterkeit, lachend. Mein Gott, das ist ja auch egal. Ja. – Es ist gut, daß es mir schwer wird, alles muß uns schwer werden. Ich meine, daß sich das so gerade am Tage vor meiner Abreise zusammenschieben muß. Wissen Sie, lieber Tetzner, man täuscht sich eben.

Doktor Tetzner. Inwiefern, Herr Professor?

Konegen. Nun. – Zum Beispiel auch mit meinem Neffen, dem Max.

Doktor Tetzner. Verehrtester Herr Professor, es ist ja eigentlich dumm, Ihnen gegenüber Max in Schutz nehmen zu wollen, aber …

Konegen. Da brauchen Sie kein Wort zu verlieren. – Nein, um auf meine Frau zurückzukommen. – Eine Weile vor sich hinsehend. – Das ist so eine heikle Sache. Aber Sie sind ja doch der Sohn des alten Papa Tetzner, auf den mein Vater große Stücke hielt.

Doktor Tetzner. Weiß Gott, die alten Herren haben zusammengestanden. Wie geschweißt, möchte man sagen.

Konegen. Ich muß Ihnen sagen, daß ich ordentlich so … so ne uneingestandene Witterung hatte mit dem Max und ordentlich froh war, daß er Sie mit auf unsere einsame Lehne brachte. – Mit einem Wort: Max hat keinen günstigen Einfluß auf den Gemütszustand meiner Frau.

Doktor Tetzner. Sie meinen, wegen seiner ungleichen Stimmung?

Konegen. Na ja. Und das fortwährende Musizieren und dann die ewigen Witzeleien.

Doktor Tetzner. Gewiß. Ich hab auch bemerkt, daß Ihrer Frau Gemahlin das manchmal auf die Nerven fällt.

Konegen. Sie sieht mich ja oft wie in Angst und Verzweiflung an. 's is schon oft rein … wenn man nicht in nahen verwandtschaftlichen Beziehungen stände … einfach manchmal ungehörig.

Doktor Tetzner, launig. Ach, Herr Professor, verzeihen Sie, ich glaube, Sie nehmen das zu tragisch. Außerdem weiß sich Ihre Frau Gemahlin doch wahrhaftig zu wehren. Sie schmeißt 'n doch oft bitterböse in 'n Sand.

Konegen. Seine Reserviertheit lockert sich. Lieber Tetzner! Macht eine abwehrende Bewegung. Denken Sie, ich würde wegen solcher Kleinigkeiten herumsehen? Da kennen Sie mich schlecht! Die Sache liegt hier doch ganz anders. Nach kurzem Überlegen, unsicher. Wissen Sie noch, als Ihr Herr Vater den großen Prozeß um die Ziegelei hatte und am Abend vor dem Entscheidungstermin, der alles aufs Spiel setzt, wird Ihre Mutter todkrank?

Doktor Tetzner. Ich weiß, ich weiß. Da hab ich Papa das erste und letzte Mal zittern sehen.

Konegen redet sich wider Willen in Erregung.Das ist's – Ja! Hier die Existenz und hier seine Frau. So war's doch bei Ihrem Vater! – Herr Tetzner, dastehen und fühlen, wie sich das verliert, immer weiter, ein Menschenleben, wie es immer weiter fortgeht von uns und alles was man tut, nutzt nichts. Machtlos sein. Wie? Das hat doch Ihrem Vater den Schweiß auf die Stirn getrieben? – Ja. Steht auf und durchmißt in großen Schritten das Zimmer. Und da hat man umsonst in sieben Feuern gebrannt. Das achte – das – das will einem ans Mark.

Doktor Tetzner. Sie glauben also wirklich, Ihre Frau sei leidend?

Konegen hat angehalten und Tetzners Worte gehört; nun nimmt er sein Schreiten, aber langsamer wieder auf. Meine Frau – es ist so ne Sache – das dauert schon jahrelang. – Schließlich bleibt einem nicht mehr übrig. Hält vor Tetzner. Aber sehn Sie, man kann darüber auch zu Menschen kaum sprechen, von denen man weiß, daß sie es ehrlich meinen, ohne Gefahr zu laufen, mißverstanden zu werden.

Doktor Tetzner. Gegen mich können Sie in dieser Hinsicht ruhig offen sein. Wenn Sie erlauben, untersuch ich sie mal.

Konegen hat sich an den Schreibtisch gelehnt. Mit spöttischem, hartem Lachen. In Gottes Namen. Ob's Meta zugibt, ist eine andere Frage. Plötzlich in bohrendem Ernst. 's ist ja eigentlich Torheit! – Vielleicht – Schreckgespenste! Tetzner voll ansehend. Aber das ist doch nicht das einzige, was bei mir auf dem Spiele steht!

Doktor Tetzner. Dieser Ausruf lag mir eben auf der Zunge. Das muß doch ungeheuer störend sein für Ihr Werk, zumal für Ihre öffentliche Tätigkeit.

Konegen, in schmerzvolle Bitterkeit versinkend. Da hat man gesessen, Jahr um Jahr, und gesonnen, wie dieser Verdumpfung des Volkes zu begegnen sei, und es ist einem gelungen, die Fahne der Freiheit vom Boden aufzuheben, und nun, wo der Tanz mit den Dunkelmännern losgehen soll, sieht man, daß der Boden, auf dem man steht, anfängt zu bröckeln. Starr, die Arme vor der Brust verschlungen, mit dem Haupte nickend vor sich hin. Aber, was meinen Sie, so bedenklich kann die Sache doch noch nicht stehen, daß ich morgen vom Lehrertage fern bleiben müßte?

Doktor Tetzner. Aber auf keinen Fall, Herr Professor. Das halte ich für vollkommen ausgeschlossen.

Konegen. Mein Ruf steht auf dem Spiele – ich meine mein Name, nicht mein Ruf.

Doktor Tetzner. Ich versteh, ich versteh! Nein, nein! Aber was ich Ihnen raten möchte. Als Arzt selbstverständlich. Zur Beruhigung Ihrer Frau Gemahlin erachte ich es als unbedingt notwendig, sie so wenig wie möglich durch Widerspruch zu reizen. Ein Katzenpfötchen machen, auf alles eingehen und so. Da renkt sich das am besten ein. Es klopft an die Flurtür.

Konegen. Herein!

Therese. Hausalte, frühere Amme des Professors. Ende der Sechziger. Behende, robuste Greisin mit schneeweißem, glattem Scheitel, frischem Gesicht und lebhaften Augen. Sie geht wenig gebückt und trägt blaugedruckten Hausrock und ebensolche Jacke, die vorn unter die ausgewaschene Schürze gebunden ist. Mürrisch. Gun Morjen.

Konegen. Guten Morgen, Therese. Auch da?

Therese. Ich wär lieber wo andersch.

Konegen. Gewiß, lieber Tetzner, natürlich. Guten Morgen! Reicht ihm die Hand.

Doktor Tetzner, sich verneigend. Guten Morgen. Durch die Flurtür ab.

Therese geht umher und streicht mit einem Lappen über die Möbel. Sie räuspert sich mehrmals, um Konegens Aufmerksamkeit zu erregen. Endlich gewahrt sie die offenen Fenster und wirft sie krachend zu. Missen denn o alle Lecher offe stehn!

Konegen fährt auf. Nanu. Was ist dir denn wieder?

Therese. Ach. Ich, ich! Missen Sie sich denn durchaus enne Gauze hulle? Husten tun Se vor schon genung.

Konegen bricht in Lachen aus, das wirklich in Husten übergeht.

Therese. Da haben Se 's, hhha! Megen Se noch aso gescheide geworn sein; aber das schein Se immer noch nich begriffen zu haben, daß Zug schadt. Vollds in Ihrem Alder.

Konegen , im Überlesen des Geschriebenen sich ein wenig unterbrechend. Aber Therese! Bin ich denn ein Greis?

Therese. Jesses nee, de Gestudierten wissen eben o nich alls. Sie sein eim Ibergange. Vo dreiunddreißig bis neununddreißig sein biese Jahre fir de Mannsleite.

Konegen. Jeder Mensch ist jeden Augenblick seines Lebens im Übergang, Therese.

Therese tritt entschlossen auf ihn zu und faßt seine Schulter. Halten Se sich, sag ich, halten Se sich! Sie wern Ihre Kräfte noch weiter brauchen. – Hätten Se lieber 's Gut übernummen, das scheene, scheene Gut! wie's dr gnädge Herr Vater patuh wollte. Noch amol, ehb a starbe. Da wärn Se heite ein andrer Mann. Sie hätten Berlin nich gesehn un – alles wär andersch gekommen.

Konegen. dreht sich um und ergreift ihre ausgearbeitete Hand. Laß doch, Therese! Ich dächte, du weißt, wie oft Papa die ganze Geschichte in Grund und Boden verwünscht hat. Ich weiß ja, daß du eine gute Seele bist.

Therese, an Tränen würgend, aber um so grimmiger. Mit den zwee Händen hab ich Se gepischt, kee Auge nich vo Ihn verwandt, Tag und Nacht nich, da kann ich schon a Wort reden.

Konegen ist ans Fenster getreten. Sage mal, du verstehst dich ja aufs Wetter. Was meinst du, ob's morgen noch hält! Weil's immerfort so verdammt schwül is.

Therese. Ä, was weeß ich! In den Bergen, da kennt ma sich nich aus. Ei Bögendorf, eim Lande drunten, freilich. Aber das elende Petersbach sitzt ei a Bergen drinn, wie der Quark eim Korbe. Tritt auf ihn zu. Aber das kann ich Ihn sagen: Es tauert a so lange wie's tauert, eemal da passiert was.

Mädchenstimme im Garten. Barry, rrr! Hier, hier, hier! rrr! Spielerisches Knurren eines großen Hundes.

Konegen. Das ist wohl wieder die Anna?

Therese. Freilich, wer soll's denn sonste sein? Bei der krabbeln die Raupen schon am frühen Morgen.

Konegen ruft aus dem Fenster. Anna! Anna! Hörst du denn nicht, Anna?!

Annas Stimme. Jees Maria, habn Sie mich aber jetze erschrocken! Gun Morgen, gnädger Herr!

Konegen. Du sollst doch die Dummheiten mit dem Hunde lassen. Vollends vor meinen Fenstern.

Annas Stimme. Nu, ich muss doch's Geschirre aus der Laube hulln vo gestern Abend, vo …

Konegen, erregt. Darum habe ich dich nicht gefragt, verstehst du! Das Geschwätz kann ich nicht leiden. Sanft. Du gehst zu Hanel rüber und fragst, ob ich morgen vormittag zum Elf-Uhr-Zuge einen zweispännigen Landauer bekommen könnte. Es sind drei Herren. Hast du's verstanden?

Annas Stimme. Jees ja, wenn man das nicht und sollde 's nich verstehen!

Konegen schließt das Fenster und beginnt hastig in der Stube auf- und abzugehen. Ein rappelköpfiges Frauenzimmer.

Therese fährt fort, mit dem Lappen zu hantieren. Das macht der Brauergeselle. Wenn schon so ein Kerl ins Haus kimmt! Bei dem erhit' ich's ja. Bei dem freilich. Na, ich weeß nich, was da noch wern soll. Das is alles! Macht eine abwehrende Armbewegung.

Konegen blättert in einem Buch auf dem Sofatisch, ohne aufzusehen. Sage mal, ich hatte die Fenster gestern abend geschlossen. Sie waren wohl sehr lustig?

Therese hält inne und sieht eine Weile betroffen nach ihm. Nee, Herr, aso was missen Sie nich erscht von mir denken. Hinder de Ecken kriechen! Da kann ich zu wing leise uftreten.

Konegen. Ach, du verstehst mich nicht. Meine Frau war diese Nacht krank!

Therese, in Schreck. Krank, sagen Sie! Aso weit wärsch schon? – Das wird wohl bloß, nach – Lacht beißend. die ging ja schon am frühen Morgen eis Dorf nunder.

Konegen. Ja? – Hmhm. Man weiß wirklich bald nicht mehr.

Therese, wegwerfend. Ach, Herr Professor!

Konegen, halb zu sich. Da glaubte ich, es würde hier in Petersbach anders werden, als es in Berlin war. Aber 's is dasselbe. Dasselbe. Scheu, verschlossen, still, wie gebrochen manchmal, und zuletzt, die – se …

Therese. Stille? Sagten Sie nich aso? Ich hab mich woll bloß verhört!

Konegen. Nun, es ist doch nicht anders.

Therese. Was? Na, ich kennde Ihn a Liedl singen! Jetze, seit der Max da is, nee da is bale nich mehr auszuhalten. Jetze singt se, danach heult se; jetzt tätschelt se een, danach is das wieder nich recht und je's nich. Ich, eene ale Frau, eim Hause ufgewachsen! – Wenn ich's weger Ihn und den lieben Wirmel nich tät, ich wär schon ieber alle Berge. Da wird ma rumkrichen! Du meine Gitte. Ich küss' das Urselkindchen und den Willy, denn die derf ich, das kann der Herrgott selber sehn. An eem solchen Kissen hat er gar noch seine Freede, Menschen und Engel o. Jawoll, – Kissen. –

Konegen, aus dumpfem Hinhorchen auffahrend. Entsetzt. Was? Springt in zornigem Aufraffen empor. – Unsinn, Therese. und beginnt erregt in der Stube auf- und abzugehen. Faßt sich und bleibt stehen. Mit unnatürlich sanfter Stimme. Therese! – Ist mit Willy und Urselchen heute morgen schon geturnt worden?

Therese, grob. I, wo wer ich denn? Jetze is noch nich amal siebne. Da sein se verleicht erscht noch gar nich offe.

Konegen. Sieh mal nach, und wenn sie auf sind, da bring sie mir rauf. Ich werd's heute mal selber machen. Beginnt wieder zu wandeln. Das wird mich wieder festigen.

Therese. Was sagten Sie? Geht trödelnd ab. Ja, ja, machen Sie's. Ich hab aso an dem ganzen Getue keen Spaß nich … Neuigkeeten … was soll da och raushängen … da geht alles, wer weeß, wohin. Na, ich kimmer mich um nischte.

Konegen, bei unsanften Schließen der Tür aus dem versonnenen Wandeln auffahrend, starrt im Innehalten ihr nach. Pfui … wo gerätst du hin, Konegen!! Eilt zum Schreibtisch, ergreift eines der beschriebenen Blätter und vertieft sich gewaltsam. Liest erst leise, dann mit Gesten des Einverständnisses, endlich laut und lauter. Wem noch das Herz auf seinem roten Strome der Begeistrung buntbewimpelt Schiff hintreibt, muß bei uns stehn. Es gilt, dem Heiligsten zu dienen, die Menschenseele aus den Schlingen des Zufalls, des Wahns vom All und sich, ererbter Form und Stimmung loszulösen und sie zu ihrem eigenen Kinde zu machen, auf daß sie ihre große Sehnsucht sei. Sie gerade rufe ich zu Hilfe, weil Sie als Lehrer der Volkeskinder durch Wissen, Pflicht und Liebe zu diesem Werk am nächsten stehn …

Thereses rauhe Stimme hinter der Tür. Da braucht'r eich doch nich zu firchten!

Konegen schließt das Manuskript weg und ruft währenddessen pathetisch. Kommt herein, ihr lieben Kinder!

Therese schiebt den achtjährigen Willy, einen blonden, schlanken Knaben, und das sechsjährige Urselchen vor sich her. Heite werdt ihrsch amol orndtlich machen missen. Immer geht, ihr Täubel. Ich versteh mich nu eemal patuh nich ei das Gemache. Geht und gebt 's Händel und sagt guten Morgen.

Konegen reicht den Kindern die Hand. Guten Morgen. Du kannst wieder gehn, Therese.

Therese. Nee, nee; da habn Se och kee Bange nich, ich geh schon. Was ich bloß noch fragen wollte. Der Hindemit-Schlosser is da und läßt fragen, ob er das Geländer vo dr Treppe runternehmen soll und wie's neue wern soll.

Konegen. Ist meine Frau nich da?

Therese. Ja, die war doch eis Dorf nunder.

Konegen. Er soll meine Frau fragen, und wenn sie noch nicht zurück ist, soll er warten.

Therese, im Abgehen. Paßt gut uf. Das weeß der Himmel, fir was das gut sein soll. Im Hinaustreten trifft sie auf Meta. Schon auf dem Flur. Nu, da is se ja schon selber. Sie komm wie gerufen. Meta spricht leise zu ihr. Nee, nee; gehn Se och nei!

Konegen späht durch die Tür. Herzlich. Guten Morgen, Weibel.

Meta, siebenundzwanzig Jahre alt, ist mit einfacher Eleganz gekleidet. Mittelgroß. Ihre Fülle ist gerade so bedeutend, die Linien ihres schönen Leibes hervorzuheben. Das Gesicht übernächtigt, blaß, voll geheimen Wehs; große, dunkele, schimmernde Augen unter ebenmäßiger Stirn; die schmalen Lippen herb geschlossen. Sie hat reiches, schwarzes Haar, das sie gebauscht über die halben Ohren trägt und im Nacken zu einem schweren Knoten geschlungen hat. Furchtsam, gedrückt. Guten Morgen, Mann. Verzeihe!

Konegen erfaßt ihre Hand, die sie ihm nicht gibt. Aber das ist ja charmant.

Willy. Geh doch, Ursel! Du Muttel, der Barry beißt die Leute.

Urselchen, mit Willy zugleich. Muttel, liebes Muttel!

Meta wehrt ihnen in schmerzvoller Zärtlichkeit. Seid lieb, Kinder, geht. Ich habe mit Vatel etwas zu sprechen.

Konegen. Ja, geht. Da braucht ihr heut mal gar nich zu turnen.

Urselchen. Gelt, Muttel, das Holz von dem Schrank da is am Teich gewachsen.

Meta, zerstreut. Warum denn, Urselkindchen?

Urselchen. Weil man gerade so reinsehen kann wie in ein tiefes, tiefes Wasser.

Meta. Ich werd's dir dann erzählen.

Willy. Mir auch.

Meta. Dir auch. Wißt ihr ein schönes Geschichtchen. Aber jetzt müßt ihr gehen. Nimmt sie und führt sie an die Tür. Die Kinder laufen eilig und geräuschvoll die Treppe hinunter.

Konegen. Willst du nicht den Schal ablegen? Hilft ihr. Das ist brav, daß du diesen schönen Morgen zu einem Spaziergang benutzt hast. Aber nun lass es mich auch an deinem Gesicht sehen, daß die Frühsonne über dich gegangen ist. Streicht ihr etwas ungeschickt über die Stirn. Meta!

Meta biegt den Kopf unter seiner Hand fort. In Trauer, vorwurfsvoll. Konegen! – Ich war nicht spazieren. Mit bitterem Lächeln. Das hältst du doch selbst nicht für möglich.

Konegen. Aber an diesem wunderbaren Morgen, der geradezu verlockt.

Meta, nach einer Weile, dumpf … an diesem wunderbaren Morgen! – Kommt ganz zu sich. Verzeih, Mann … bist du sehr beschäftigt?

Konegen. 'n bißchen. Ich habe da die Vorarbeiten zum Lehrertage zu Ende gebracht. Und dann: ich habe das schon oft gesagt. Du mißverstehst mich total, wenn du glaubst, ich wolle mich abschließen. Ach, was soll ich denn tausendmal Gesagtes immer und immer wiederholen.

Meta. Aber du hast es doch nicht gern, wenn du mit dem Kleinkram des Lebens belästigt wirst, wie du sagst.

Konegen. Na, es kann aber doch Ausnahmen geben. Ihr Frauen nehmt eben alles zu wörtlich. Versteht es schief und, und, ach! Macht eine abwehrende Armbewegung.

Meta, bittend. Konegen!

Konegen, sehr gütig. Na, was hats denn eigentlich!

Meta, mit ausgehendem Atem. Mir lassen die Vorgänge der vergangenen Nacht keine Ruhe. Siehst du, deswegen bin ich zu dir gekommen.

Konegen. Liebes Weib, denke nicht mehr daran. Ich glaube, die Sache zu genau überlegen, heißt, sie unnötig verwickelt machen. Sei doch froh, daß alles vorüber ist, und reck dich auf.

Meta. Du scheinst aber dem Vorfall trotzdem eine große Bedeutung beizumessen. Sonst hättest du mir den Tetzner nicht auf den Hals geschickt.

Konegen. Na, gerade geschickt nicht. Und du hast dich wirklich untersuchen lassen?

Meta. Ich wußte doch nicht, was du vorhattest damit. Ich dachte mir, du wolltest irgend etwas damit erreichen.

Konegen. Offenbar hat dich die Sache aufs neue aufgeregt. Du bist ja totenblaß.

Meta, vor sich hin. Ich weiß nicht … Entschlossen. und nicht eher werde ich zur Ruhe kommen, bis mir alle Vorgänge dieser Nacht ganz klar geworden sind. Ich bin doch in bester Stimmung zu Bett gegangen. Oder bin ich nicht, täusche ich mich vielleicht da schon?

Konegen, ausweichend. Wir haben uns eigentlich den ganzen Abend nicht gesehen. Mit forcierter Bereitwilligkeit. Aber – es wird ja wohl so gewesen sein, daß du in bester Stimmung – den Tag geschlossen hast.

Meta. Wie meinst du das, Mann, bitte, erkläre dich näher.

Konegen. Na – a –. Aber weißt du, deine Lippen zittern ja. Ich bitte dich, lassen wir das bis auf gelegenere Zeit. Wenn du ruhiger geworden bist. Komm, gib mir den Arm; wir gehen in den Garten.

Meta. Bitte, sag mir alles. Mit deinen vieldeutigen Worten hast du meine Aufregung so gesteigert, daß ich jetzt weniger als vorher auf eine genaue Einsicht in diesem Vorfall verzichten kann. Man ist doch nur ein Mensch, trotz seiner besten Vorsätze.

Konegen. Du bist der Ansicht, alles wissen zu müssen, alles? Ach, Meta!

Meata. Und wenn du mir's nicht sagst und mich vor dir umhergehen läßt, so, so wie eine mit einem Makel, dann pack ich lieber noch heute meinen Koffer und geh auf Nimmerwiedersehen von euch.

Konegen. Da haben wir's. Das ist fast derselbe Ton wie heut Nacht. Aber wenn du schon durchaus willst. Also ich komme so um halb zwölfe ins Schlafzimmer und finde dich im Bett. – Ach das weißt du ja wohl. Nicht? – Du liegst still da, und es ist mir, als hieltest du den Atem an. Ich denk, du schläfst oder willst nicht sprechen, zieh mich aus und lösche das Licht aus. Da beginnst du immer heftiger dich im Bett zu wälzen, stürmisch Atem zu holen, und endlich brichst du in Weinen aus, das immer lauter wird. Plötzlich … nein, Meta, lassen wir es, es ist vorüber.

Meta. O nein, sag's nur. Ich springe heraus, umschlinge deinen Hals und küsse dich …

Konegen, den Bart langziehend, skeptisch. Geküßt, natürlich, und das ausreichend!

Meta. Immer lach du mich aus. Darauf werd ich dir dann antworten … Mann!! – Aber nein, sprich jetzt nur weiter, denn von hier aus weiß ich wirklich nichts mehr. Da habe ich nur die Empfindung, ohne Bewußtsein durch brennendes Dunkel geschwankt zu sein.

Konegen. Brennendes Dunkel. Dumpfes Dunkel, sag nur. Leere, trieblebige Bewegtheit. Setzt sich zur Deduktion zurecht. Wenn ich mir bedenke …

Meta. Mann, wozu denn dies Ausweichen! Erzähle, bitte, weiter. Dann wird sich's ja zeigen. Es muß zur Klarheit zwischen uns kommen.

Konegen, gallig. Dann kam eben alles, wie es kommen mußte. Weil ich auf deine – hm – Liebkosungen nicht eingehe, läßt du von mir ab und brichst wieder in dieses leidenschaftliche Weinen aus. Dann verfällst du in stummes Brüten, aus dem du hin und wieder gegen mich auffährst: ich solle doch ein Ende machen. Aber, liebe Meta, du sitzest ja da, als ob das Heil deiner Seele davon abhinge.

Meta. Ja – und – dann – du …

Konegen. Weib, ich bitte dich.

Meta. Sprich nur. Sprich du ruhig. Nimm gar keine Rücksicht. Du, ich bin auf alles gefaßt.

Konegen, mit Widerstreben, nur um es abzutun. Ach Gott, und dann redest du das wirreste Zeug, von Türzuschlagenwollen hinter dieser Nacht, von Gift getrunken haben, vom Sumpf bis an die Knöchel. Lauter Sachen, als ob wer weiß mit was deine Seele beschwert sei. Dazwischen bedauerst du dein Leben und das Leben deiner Kinder und raffst deine Betten auf.

Meta, von unten her mit zitternder Entschlossenheit. Und an der Tür drehe ich mich noch mal um …

Konegen. Meta!

Meta, tonlos. Du spielst mit mir. Entweder bist du dir oder ich bin dir nichts. Wenn ich auch nichts bedeute. Auf eine Gebärde Konegens mit verzweifelndem Mut. Nun, so sprich doch weiter! Wiederhole du ruhig meine Worte. Die, von denen du bleich zurücksankst, weißt du, und deine Hände in das Bett grubst. Ich sah dich noch.

Konegen, erstaunt. Welche Worte?! – Stehen bliebst du ja einen Augenblick an der Tür, und an deinem Gesicht sah man ja wohl die verzweifelte Anstrengung, zu sprechen. Aber dann gingst du doch stumm hinaus. Na, was hätte das dann auch sein können. Wir haben doch beide, denke ich, ein leidlich reines Gewissen. Vielleicht fällt's dir noch ein.

Meta, erleichtert. Nun, dann habe ich eben nichts gesagt. Gott sei Dank! Aber das weiß ich, ich hatte einen Haß auf dein Werk und auf dich, ein unsägliches Wehgefühl über mein Leben. Du, wenn Läufer über ihre Gewalt gerannt sind, verläßt sie plötzlich jede Kraft und Himmel und Erde drehen sich um sie. Der Stillste wird dann wie besessen und stürzt zur Erde, schlägt um sich, schreit, tobt, alles, bloß um des bißchen Lebens halber.

Konegen. In dieser Lage bist du aber doch nicht.

Meta. Atemlos bin ich, abgehetzt von diesem stummen Wettlauf, von diesem Ringen. Was weiß ich, was diese letzten Jahre unserer Ehe waren. Laß es anders werden. Konegen, bücke dich nach mir; sei neben deinem Kopf auch Herz. Mann! Du vertrocknest so. Dies Haus verödet. Die Kinder verwaisen. Nein, glaube nicht, ich sei ein Kind. Du sollst deinem Werke leben, ja; aber nicht so, daß du alle und alles opferst um dich her. Was habe ich denn von deinem Werk und dir, wenn ich nicht in meiner Weise dir helfen kann; die Kissen dir nicht glätten, dich erheitern, deinen Kummer teilen kann, deine Begeisterung? Nur immer diese hohepriesterlich Stirn.

Konegen. Ich kann nicht anders, nicht ein Titelchen! Es bleibt mir nur übrig, zu wiederholen, was ich schon so oft gesagt habe. Wenn zwei sich aneianderdrängen, kommen sie sich nicht näher. – Du hast alles vergessen.

Meta beginnt zaghaft. Ist es nicht möglich, Konegen, daß du dein Werk nicht bist; daß es wie ein Fremdes über dich kommen, dich unterjochen konnte – mußte, vielleicht, weil du in deiner tiefsten Seele von deinem Leben, wie es geworden ist, nicht befriedigt wurdest. Kommt das nicht vor im Leben?

Konegen, verlegen. Hm. –

Meta. Denke doch, wie du warst und wie du bist! Ich kann's nicht glauben, ich darf es nicht, bei meiner Seele, nein, daß das unseres Lebens Ausgang sein soll. Es muß ein Stilles, Leises in dir sein, das deinem Leben unrecht gibt. Du vertrocknest, deine Jahre vergehen nicht in Schönheit. Dein Herz blüht nicht mehr. Das ist es, was uns fehlt, dir, mir und diesem ganzen Hause. Deinem Werk vielleicht am meisten. Darum wollen wir dienen, mit aufrichtigem Willen, und inzwischen denken, es flog auf Zeit von uns und kehrt bald wieder. Immer ergriffener. Du, und an stillen, sonnensüßen Tagen, wenn sich die Blüten vor Glück im Licht kaum rühren, dann wollen wir uns an einen Hang setzen, von wo aus man das Weite sehen kann, und von unserem Erwarten reden, daß wir nicht mutlos werden. Wirft sich vor ihm nieder und ergreift seine Hände. Sieh lieb auf mich, streich mir das Haar wie sonst, ich brauch's, wahrhaftig. Ich will dein Weib sein, deine Geliebte.

Konegen hebt sie erschüttert auf. Meta, steh auf. Was ist denn bloß mit dir vorgegangen!

Meta, flüsternd, umschlingt seinen Hals. Konz, nimm mich – wie früher – es darf nicht so sein, Mann – ich will es wirklich nicht – – Es klopft an der Tür.

Konegen macht ihr ein Zeichen, in die Bibliothek zu gehen. Dann öffnet er die Flurtür. Ach, Sie sind's, junger Freund! Na, bitte kommen Sie nur rein. Sie sind ja ohne Atem.

Hauschild. Volksschullehrer, jung, blondes Schnurrbärtchen, schüchtern. Ergebensten guten Morgen, Herr Professor. Ja, ich bin die Treppe heraufgelaufen. Ich störe Sie wohl!

Konegen. Warum? Nicht im mindesten. Nein absolut nicht. I, was denken Sie sich denn! Ja. Nehmen Sie doch Platz.

Hauschild tut es vorsichtig. Ich komme wegen … aber wenn Sie sehr beschäftigt sind … das heißt …

Konegen setzt sich neben ihn. Laut und leer. Nein, nein. Also was bringen Sie mir?

Hauschild. Nicht viel Gutes.

Konegen. Wie so?

Hauschild. Ich traf die Anna unterwegs. Sie ging zu Hanel runter.

Konegen. Nun und?

Hauschild. Sie werden bloß einen Wagen für zwei brauchen. Für Sie und mich. Der Hauptlehrer Müller ist umgefallen.

Konegen. Ach nein. Sie spaßen wohl bloß.

Hauschild. Ich wollte, ich könnte das; aber es ist leider voller Ernst.

Konegen. Na, aber sagen Sie mir, was is denn plötzlich über den Mann gekommen? Gestern, als ich mit ihm sprach, war er doch noch Feuer und Flamme!

Hauschild. Fragen Sie nur, wer über ihn gekommen ist. Dann werd ich's Ihnen sagen: der Herr Hoheisel, unser lieber Herr Seelsorger und Ortsschulinspektor.

Konegen, sehr erstaunt. Der alte Hoheisel?

Hauschild. Jawohl, heute vor der Frühmesse, als Hauptlehrer Müller ihm beim Anziehen in der Sakristei half, weil der Kirchvater noch nicht da war, hat er ihm klipp und klar eröffnet, er könne seine Bewerbung um Groß-Költschen beim Patron nicht befürworten, wenn er seine atheistische Gesinnung nicht aufgebe.

Konegen. Atheistische Gesinnung?

Hauschild. Der Müller wußte natürlich gleich, wo er hinauswollte, gab sich aber den Anschein …

Konegen. Da brauchte er sich doch durchaus nicht bloß den Anschein zu geben. Denn er hat doch Religion für zweie.

Hauschild. Na ja, aber so machen sie's nun schon mal. Kurz und gut, nach vielem Hin und Her gibt ihm der Müller das Versprechen, in der von Ihnen, Herr Professor, geführten Bewegung der Lehrerschaft nicht mehr mitzutun, vor allem, dem Breslauer Lehrertage fernzubleiben.

Konegen. Und zur Belohnung für seine Treulosigkeit gegen sich bekommt er die fette Stelle. Brav, wahrhaftig sehr würdig für beide Teile.

Hauschild. Von meinem Kollegen ist das noch lange nicht so schlimm wie vom Pfarrer. Er ist arm, hat neun lebendige Kinder. Die beiden ältsten Jungen …

Konegen. Das ist ganz gleich! Was hat denn mein Streben für einen Wert, wenn ich seinethalben nicht etwas wagen will?

Hauschild. Ganz richtig, meine Meinung und die fast aller junger Lehrer. Aber in dem alten Hoheisel kocht eben noch der Hetzkaplan aus den siebziger Jahren und … … aber ich bin noch nicht fertig. Wenn mich nicht alles täuscht, macht er sich auch an Sie ran.

Konegen, lachend. Na, da lassen Sie 'n nur kommen.

Hauschild. Zunächst scheint er sich Ihrer Frau Gemahlin versichert zu haben. Aber ich bitte, Sie nehmen es mir nicht übel, verehrtester Herr Professor? Sie wissen, es geschieht nur der großen Sache halber.

Konegen, leise, erstaunt. Meiner Frau? Meiner Frau!? Mit gepreßtem Lachen. Da wern wir 'n bißchen leiser reden.

Hauschild, erschreckt. Ist sie etwa gar in der Bibliothek?

Konegen. Nein, aber die Fenster stehn doch auf. Nun, – wie is? – Ach, wenn Sie A gesagt haben, müssen Sie auch B sagen.

Hauschild, sich entschieden dem Zaudern entreißend. Ja. Heute nach der Frühmesse ist sie eine geschlagene halbe Stunde mit ihm in seiner Wohnung gewesen. Ich habe am Fenster gestanden und die Zeit von der Turmuhr abgelesen.

Konegen. Sie können sich auf Ihre Augen verlassen?

Hauschild. Absolut. Effektivabsolut.

Konegen, mit Anstrengung leicht. Ach mein Gott, er ist ja Musikliebhaber und Blumenzüchter. Da hat er ihr vielleicht die Blumen gezeigt. Sie sagte vor einiger Zeit mal etwas von einer merkwürdigen Calla, die er haben soll.

Hauschild. Das ist alles möglich; sogar wahrscheinlich. Jedoch, wie Sie nun mal zu der Geistlichkeit stehen …

Konegen, düster. Eine halbe Stunde sagen Sie also.

Hauschild. Eher ein paar Minuten mehr als weniger. Überhaupt und das ist eigentlich die Hauptsache meines … Einbruchs. In der vorigen Pfarrerkonferenz ist die Stellungnahme der Geistlichkeit Ihren Bestrebungen gegenüber erörtert worden. Wie ich erfahren konnte, auf höhere kirchliche Anordnung hin. Es geht nämlich im ganzen Bezirke nach einem Plane. Drüben der Wierauer Pfarrer tritt den Lehrer schon vierzehn Tage nach Noten.

Konegen hat sich während der letzten Worte Hauschilds erhoben. Die Hände in den Taschen, streift er leise auftretend in der Stube umher. Er hat die Anwesenheit des Lehrers vergessen, und immer stehenbleibend redet er dumpf vor sich hin. Wissen Sie. – Eigentlich hat man sein Päckchen Sorge so wie so – – – und wenn die Reaktion im Rollen ist – es – dann kann ich sie doch nicht aufhalten. – – Ja. – Ich entziehe meinen psychologischen Forschungen Kraft und Sammlung, stürze so und so viele Lehrer ins Unglück – – – ha – und diese gemeine Art des Kampfes – – – wahrhaftig, es könnt's einem niemand übel nehmen, man ließe den Karren laufen – – –

Hauschild, bestürzt. Herr Professor, tun Sie den Lehrern das nicht an. Zehntausende Augen sind auf Sie gerichtet. Jetzt am Tage vor der Entscheidung. Lieber Herr Professor, und wenn Sie uns Ihre Kraft entziehen … Er ist aufgestanden und auf ihn zugetreten. Konegen sieht ihn finster an. Herr Professor Konegen!

Konegen legt seine beiden Hände auf des Lehrers Achseln. Sein Gesicht hellt sich auf. Junger Mann – junger Mann sag ich. Könnten Sie das im Ernst von einem Mann wie mir glauben? Haha, da kennen Sie mich schlecht! Gehen Sie, und sagen Sie Ihren Freunden: Professor Konegen wird seine Hand nicht zurückziehen, solange noch ein Stumpf von Finger daran sitzt.

Hauschild greift mit beiden Händen seine Hand. Gott sei Dank, Herr Professor, Gott sei Dank!

Konegen, ostentativ laut und drohend. Jawohl und keinen Deut anders. Und nun gehen Sie beruhigt nach Hause.

Hauschild. Ergebensten guten Morgen. In der Bibliothek entsteht ein Geräusch. Schritte kommen nach der Tür.

Konegen heftet sein leidenschaftliches Gesicht starr auf die Tür. Meta tritt ein. Nicht einen Deut anders!! Verstehst du?

Meta. Aber Konegen, warum bist du denn wieder so?

Konegen. Soll ich da etwa noch lachen, wenn du zum Pfarrer läufst und noch dazu auf sein Zimmer?

Meta. Ich auf sein Zimmer gelaufen?

Konegen. Tu doch nicht so, steif dich doch nicht auf Nebensächlichkeiten!

Meta. Das ist ja eben das Furchtbarste. Du vertraust mir nicht mehr. Hinter all meinem Tun und Reden siehst du gleich Böses.

Konegen. Gott noch mal! Sehen! Hier kann von »Sehen« überhaupt keine Rede mehr sein. Da heißt 's einfach: bist du gewesen oder nicht?

Meta, schuldbewußt, verängstigt. Ich wußte mir wirklich keinen Rat. Es war doch alles aus in mir und um mich. Da dacht ich in meiner Verzweiflung: du wirst in die Kirche gehen wie in der Jugend, Vielleicht kommt aus jenen guten, sichern Tagen – sie würgt an den Worten – ein Hauch und ich seh alles anders.

Konegen. In die Kirche, hm –. Was habt ihr denn gesprochen?

Meta. Ach, da brauchst du keine Angst zu haben.

Konegen. Hahaha, Angst! Ich und Angst!

Meta. Weil du doch eine ganz freie Auffassung hast und wegen des Lehrertages und so, weißt du.

Konegen. Also er hat keine Andeutungen gemacht, über meine Publizistik oder mein Verhältnis zur Lehrerschaft. Nichts? – Oder hast du dich etwa verleiten lassen, von unserer Ehe zu sprechen! 's wär ja freilich …

Meta. Aber, Konegen, was denkst du denn von mir!

Konegen steht auf und nimmt die Hände auf den Rücken. Na. Sich mit diesem Menschen auf sein Zimmer setzen! Meine Frau! Sieht das denn nicht aus, als sei ich sogar in meinem eigenen Haus nicht sicher?

Meta. Konegen, du siehst zu schwarz. Ich kann dir versichern.

Konegen. Hättest du nur den jungen Lehrer gehört, den Hauschild, der mir manchmal kopiert. Wie sie rüsten gegen mich! Das mußtest du dir doch selbst sagen, wenn du nicht immer bloß an dich denken würdest, sondern auch mal an meine Interessen. Aber das nutzt dir alles nichts. Ich fahre nach Breslau und wenn du dich mir in den Weg wirfst.

Meta. Konegen, aber so höre doch.

Konegen mit stärkster Betonung. Jawohl, ich höre und sehe. – Alles – – – jaja – Eine schöne Tenorstimme singt im Garten: »Auf Flügeln des Gesanges« und verliert sich fortwandelnd. Das ist wieder Max. Seine Singerei wächst mir schon zum Halse heraus. Und solche Lieder, als sei hier ein Pensionat für Backfische! Er hat indessen unsanft das Fenster geschlossen. Kehrt sich gegen Meta. Es ist, als sollte man an zwei Schlingen erwürgen.

Meta, totenblaß, im Ringen. Mann … du …

Konegen. Ach und das mit dem Pfarrer hättest du mir doch auch ersprachen können! Was weinst du denn da? Es ist nun mal geschehen!

Meta, leidenschaftlich aufspringend, an seinem Hals. Halte mich! Sei lieb zu mir! Vergiß alles, Ich will mich gewiß zusammennehmen.

Konegen. Gott, was ist dir denn bloß, Weib, du zitterst ja wie Espenlaub! Diese Aufgeregtheit ist doch gar nicht nötig.

Meta. Ich weiß, du denkst, ich sei schlecht.

Konegen macht sich behutsam los. Davon redet doch niemand, als du selber. Komm, gehen wir doch lieber ein wenig in den Garten runter. Bitte! Hält einen Augenblick in der Tür, sieht ihr nach, murmelt. Hm. Und folgt ihr dann.

Vorhang


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