Hermann Stegemann
Der gefesselte Strom
Hermann Stegemann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

An den Halden von Elfenau gilbte das Reblaub. Die kleinen Beeren hingen klarhäutig unter den bunten Blättern und hatten nebelfeuchte Bäcklein. Tiefblau stand der Himmel über den Hängen des Schwarzwaldes, und die Fernsicht war so klar, daß das Schneehaupt des Säntis über dem schweizerischen Hügelland in unfaßlicher Körperlichkeit erglänzte.

Ruth und Xylander hatten sich von den anderen getrennt.

Auf den Stock gestützt ging Xylander langsam neben Ruth. Sie waren zur Burg Hohenelfen hinaufgestiegen und kehrten jetzt von dem kurzen Weg zurück. Elfenau lag dicht unter ihnen. Wie aus der Vogelschau blickten sie in die winzigen Gassen. Die Häuser, die in den Rhein hineinragten, spiegelten sich in dem blaugrünen Wasser.

Xylander blieb stehen.

»Ich werde ja noch lange zu laborieren haben, aber seit ich sehe, daß ich wieder in den Besitz meiner Kräfte komme, hat die ganze Welt ein anderes Gesicht. Ausgeschaltet sein ist einfach ein unerträgliches Gefühl. Mir fehlt der Betrieb der Arbeit, daß ich manchmal versucht bin, irgendeine tolle Spekulation anzuzetteln, nur um etwas zu tun zu haben.«

»Das ist ein gutes Zeichen, Herr Xylander. Genesungsfieber nennt es Papa.«

Ruth reichte ihm den Arm. Es kamen ein paar rohe Stufen auf dem Fußpfad, den sie durch die Weinberge hinunterstiegen.

Er zögerte, legte dann aber die Hand in ihre Ellbeuge und spürte die Rundung ihres Armes unter den Fingern, die wieder fühlen und gehorchen gelernt hatten.

120 Als sie der Dorfstraße nahe waren, sagte er rasch und bestimmt:

»Ich bin gewohnt, dem Arzt Vollmacht zuzugestehen, aber ich war versucht, Professor Laßmann den Gehorsam zu kündigen, als er mich nach Rheinau schickte. Hatte mein Lebtag nichts davon gehört. Laßmann muß mein Erstaunen gemerkt haben. Er gab mir noch Aufschluß über die Persönlichkeit Ihres Herrn Vaters, und ich dachte: Nützt es nichts, so schadet es nichts. Laßmann trägt die Verantwortung. Er die seine, ich die meine. Ich ging.«

»Wir waren darauf gefaßt, daß Sie uns nach drei Tagen wieder durchbrennen würden,« entgegnete Ruth lächelnd.

»Ich war drauf und dran, nur zu elend dazu. Acht Tage später war ich zur Einsicht gekommen, daß Laßmann recht gehabt hatte.«

Ruth errötete vor Freude.

»Warum führt Ihr Vater eigentlich seinen Professortitel nicht, gnädiges Fräulein? Er hat doch ein Recht darauf.«

Sie erblich.

»Wenn Professor Laßmann Ihnen eine Andeutung gemacht hat, so wissen Sie auch, daß Papa früher Chirurg war. Eine unglückliche Operation und was sich alles daran hing, hat ihn aus der Bahn geschleudert. Er will den Titel nicht mehr hören.«

»Wissen Sie, was hier am stärksten auf mich gewirkt hat, Fräulein Engelhardt?« fragte Xylander nach einer Weile.

Er war wieder stehen geblieben. Es war an einer letzten Treppenstufe. Um sie her drängten sich die schwerbeladenen Reben, über die Dächer hinweg sahen sie in den wallenden Strom. Abendkühle wehte vom Buschwald herauf.

»Die Ruhe,« erwiderte Ruth langsam.

Er nahm den Hut ab. Sein Gesicht war gestrafft, 121 der entschiedene Ausdruck zurückgedrängter Spannung darin. Fast brutal in seiner Energie mit den niedergedrückten Brauen und dem hartgeschlossenen Mund.

»Nein, so stark die glückliche Naturheilgabe Ihres Herrn Vaters, der absolute Verzicht auf alles, was an anderes Leben und Treiben erinnert, und die idyllische Landschaft auf mich gewirkt haben, am stärksten haben Sie auf mich eingewirkt, Fräulein Engelhardt. Ich bitte um die Erlaubnis, Ihnen das sagen zu dürfen. Wie ich es meine, das überlasse ich ruhig Ihrem Gefühl.«

Sie hatte abwehrend die Hand erhoben, beinahe erschrocken, vom Blut verlassen, das den Weg nicht mehr in ihre Wangen fand.

Da ergriff Gerhart Xylander ihre Hand und führte sie mit einer so zarten Huldigung an die Lippen, daß die herrische Spannung in seinen Zügen Lügen gestraft wurde.

Ohne ihren Arm zu nehmen, ging er die Stufen hinunter.

Sie wechselten kein Wort mehr, bis sie die anderen erreichten.

Ruth drängte zur Eile. Zu lange schon hatte sie den Vater allein gelassen, saß er ohne sie über dem schillernden Wein, der hellrot in den Gläsern stand.

Xylander folgte ihr gern.

Ruth war ihrer Überraschung Herr geworden, und es war von diesen Dingen nicht mehr die Rede zwischen ihnen.

Doch als Xylander Ende September nach Berlin zurückkehrte, verabschiedete er sich von ihr nicht mit einem Lebewohl, sondern sagte ernst:

»Ich darf hoffen, Sie in Berlin wiederzusehen, Fräulein Engelhardt.«

Ruth stand neben ihrer Schreibmaschine. Ein feiner Regen ließ das Zimmer grau erscheinen.

»Wie sollte ich nach Berlin kommen, Herr Xylander?« antwortete sie lächelnd.

122 »Nun, zum Beispiel mit Ihrem Herrn Vater. Es gibt immer Gelegenheiten, nach Berlin zu gehen.«

Sie schüttelte abwehrend den Kopf.

»Gut, dann sehe ich Sie also erst nächsten Sommer wieder. Vier Wochen Nachkur schlage ich auf alle Fälle noch heraus.«

Er hatte rasch und laut gesprochen.

Doktor Engelhardt, der eben ins Zimmer trat, konnte jedes Wort hören.

»Das geht nicht. Sie haben die See oder das Hochgebirge nötig. Rheinau war für den seßhaften Patienten. Für einen wieder beweglich gewordenen, bald hergestellten Menschen Ihrer Anlage wäre unsere stille Einsamkeit der Tod.«

Xylander lachte.

Als er Ruth die Hand gab, umfing sie sein prüfender, Erinnerung suchender Blick noch einmal von den blonden Haaren und den dunklen Augen bis zu den schlanken Gliedern, und sie sah seine Augensterne sich vertiefen und spürte einen festen, lange wirkenden Druck seiner Hand.

»Ich glaube, ich komme doch noch einmal hierher,« sagte er kurz.

Dann war Ruth allein.

Sie wußte, daß der Mann um sie warb. Vielleicht war seine Neigung ein Erzeugnis der stillen Monate und der Genesungszeit in St. Joseph, vielleicht vergaß er sie, sobald er wieder in der Welt lebte, in die er gehörte. Es war eine Welt der Arbeit, von atemraubenden Impulsen beflügelt, und Xylander selbst glich dem Motor, der dort draußen in dem großen Reiseautomobil arbeitete, daß der Wagen wie von Fieber geschüttelt auf den Augenblick zu warten schien, der ihm die Freiheit gab.

Jetzt stieg er ein.

Sie stand am Fenster und nickte.

Er hob die Mütze, blickte ernst, mit einem gehaltenen Lächeln zu ihr herüber, und surrend schoß der Wagen 123 davon. Bläuliches Gas stieg zwischen den Obstbäumen empor und wurde vom Regen aufgezehrt.

Vielleicht vergaß Gerhart Xylander sie auch nicht. Es war etwas an ihm gewesen, das nicht danach aussah. Sie setzte sich vor die Maschine, auf der sie für ihn so manchen Brief geschrieben hatte.

Noch vierzehn Tage und das Haus war leer, sie war wieder allein mit dem Vater, und die Welt stand still.

Hanns Ingold hatte nicht oft geschrieben.

Seine Briefe waren von Bitterkeit erfüllt. Und nur zuweilen schlug seine Leidenschaft durch und fand ein paar heiße Worte, die Ruths Blut in Glut versetzten. Er war beim Minister gewesen und kalt abgewiesen worden. Eine Versammlung, die er in Mannheim gehalten hatte, war ihm mit Gleichgültigkeit begegnet, und das hatte ihn mehr erbittert als die heftigste Gegnerschaft. Nun war er daran, eine zweite Broschüre zu schreiben, in der er seinen Plan eingehender entwickeln und vor allem die Rentabilität nachweisen wollte. Wenn Ruth sich nicht täuschte, war er jetzt in der Nähe, denn er fuhr und ging von Gemeinde zu Gemeinde, von einem Industrieherd zum anderen und erkundete überall die Bedürfnisse an Licht und Kraft, studierte das Bahnwesen und hatte sogar einen Eisenbahntechniker angeworben, der ihm die Berechnung über die Umwandlung der Nebenbahnen im Oberland in solche mit elektrischem Betrieb aufstellen sollte.

»Ich habe niemanden, ich spreche nur zu Dir davon, Du glaubst an mich!«

Dieser Satz kehrte in drei Briefen wieder.

Ruth antwortete ihm, daß sie nie aufhören werde an ihn zu glauben. Oft packte sie in der Stille, die jetzt im Rheintal eingekehrt war, die Sehnsucht nach dem Ruhelosen, der keinen anderen Gedanken und kein anderes Ziel mehr hatte als die Errichtung dieses Werkes am Lauffen. Sie spürte, daß der Widerstand und die 124 Geringschätzung, die er gefunden hatte, sein Gemüt verwundet und geschädigt hatten.

Er war einsam geworden. Und zu dem Einsamen zog es sie mit überströmender Liebe. Sie wußte, daß er in ihrem Vertrauen Halt fand, daß sie sein Menschliches hütete. Und sie liebte ihn, liebte ihn mit all den Erinnerungen, Wünschen und Sehnsüchten, die sie als Kind, als junges Mädchen und als Weib an ihn verschwendet hatte.

Der Glaube an ihn war wie ein Licht, das ihrem Leben Helle gab, und in ihrer verschwiegenen, starken, opferbereiten Liebe fand sie die Kraft, die Einsamkeit eines Lebens zu ertragen, das ihr so viel versagt hatte.

Am 21. November war Ruths Geburtstag. Kalte Regenfälle hatten das grüne Tal um das bunte Herbstlaub gebracht. Graue Schwaden hingen an den Bergen, rostfarben strömte der Rhein.

Marie Ruppaner, die Frau des Amtmanns, mit der Ruth ein Jahr in Neuchâtel gewesen war, kam am Nachmittag in der Amtskalesche herausgefahren und brachte ihre beiden vierjährigen Mädchen mit. Die Zwillinge erfüllten das leere Haus mit lustigem Lärm. Als Grete Auer gekommen war, die sich erst nach der Sprechstunde ihres Mannes freimachen konnte, setzten sich die drei Freundinnen zum Geburtstagskuchen.

Ruth mußte sich gewaltsam zusammennehmen, um nicht unter der Last der alltäglichen Unterhaltung zu erliegen, die sich wie ein Bleigewicht auf ihre Schultern senkte. Sie hatte sich noch nie so einsam, so freudlos und unruhig gefühlt. Bei jeder harmlosen Berührung klangen die Saiten ihres Innern in schmerzhaften Dissonanzen, und als Marie Ruppaner an Hanns Ingolds Auftreten in Rheinau erinnerte und sie mit Erinnerungen aus der Jugendzeit neckte, hätte sie am liebsten alles herausgeschrien.

Dann war sie wieder allein.

Hanns hatte seit vierzehn Tagen nicht mehr geschrieben.

125 Der Vater war mit einem Pack neuer Bücher erschienen. Die lagen als Geschenk auf ihrem Tisch.

Der Abend war herabgesunken. Da faßte sie einen Entschluß, der heute reif geworden war. Sie ging zu ihrem Vater.

Er saß über seinen Büchern. Als sie eintrat, deckte er rasch eine Zeitung über seine Lektüre.

Und plötzlich war es Ruth, als müßte sie nun auch dieser Heimlichkeit, die ihr längst kein Geheimnis mehr war, ein Ende machen.

»Zieh nur das Neueste über Chirurgie wieder hervor, das du da verbirgst, ich weiß ja, daß du trotz allem nicht davon losgekommen bist.«

Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und blickte ihn liebevoll an.

Er fuhr zusammen, wollte aufbrausen, sah in ihr ernstes, klares Gesicht, warf plötzlich den Kopf in die aufgestützten Arme und keuchte wie im Kampfe mit einer Last:

»Ja, Mädel, hast ja recht! All die Jahre betrüg' ich mich und dich und alle. Mach' den Naturarzt, spiel' den Kräuteronkel, den Wasser- und Sonnendoktor und fluch' auf das Messer, das mich einmal im Stich gelassen hat! Und komm' doch nicht los davon, bin ein Chirurg ohne Hände, einer, dem zum Willen die Kraft fehlt, ein elender Kurpfuscher, verbauert, versauert, und das Leben nicht wert, das ich führe!«

Die Hände vor's Gesicht geschlagen, schrie er's rauh vor sich hin und hörte auf keine Zusprache.

Ruth ließ die Hand auf seiner Schulter ruhen. Im letzten Zwielicht verschwamm die Stube. Ausgestorben lag das weitläufige Gebäude, in den Dachrinnen sang der Tropfenfall.

Und als Engelhardt sich beruhigt hatte, nur zuweilen noch ein Atemholen seine Schultern hob, begann Ruth zu sprechen.

»Papa, ich habe schon lange gewußt, daß du noch hängst an deinem alten Beruf. Ich weiß auch, daß du 126 dabei an etwas denkst, das nie mehr lebendig werden kann.«

»Nein, nie mehr!« schrie er wild, von zornigem Weh geschüttelt, in die hohlen Hände.

»Du hast trotzdem keinen Grund, dein Leben schlecht zu machen.«

Er riß die Hände vom Gesicht und blickte auf. Sie konnte seine Züge nicht mehr erkennen.

»Hab' keinen Grund, Mädel! Meinst du, ich wüßte nicht, daß mir damals das Unglück nicht passiert wäre, wenn ich nicht nach einer durchschwärmten Nacht an den Operationstisch getreten wäre! Hältst du mich für einen Gesinnungslumpen, der sich selbst belügt! Nein, nein, das ist der Engelhardt nicht! Aber eine Frau hat er gehabt, die war von Gold. Die hat gesagt: Ja komm, flick nicht, was nicht mehr zu flicken ist. Hier in Berlin geht die große Straßenbürste über dich weg und du wirst beiseitegefegt. Komm mit mir! Wir gehen irgendwohin in den Schwarzwald, wo ich daheim bin und wo du so gerne gewandert bist. Dort kommst du wieder zurecht. Siehst du, Mädel, wer sich als Student verlobt, legt sich eine Kette um den Fuß. Aber ich, ich dank' es deiner Mutter, die mir in Freiburg ans Herz gewachsen ist, daß ich damals nicht kaputt gegangen bin. Dafür hat sie sich hier opfern müssen.«

»Das ist nicht richtig, Papa. Die Mutter war sicher hier fröhlicher als in Berlin.«

Ruth fand weiter kein Wort, um ihn aufzurichten. Auf einmal war ihr klar geworden, daß der Vater einen unheilbaren Schaden davongetragen hatte, weil er an seiner Lebensaufgabe gescheitert war. Zwar hatte er sich einen neuen Lebensplan gemacht und war darüber grau geworden, aber seine Kraft war nur verhüllte Schwäche; das, was er als Arzt tat und vertrat, war aus Trotz und Resignation geboren. Und doch sein ganzer Halt. Nur noch ein Halt. Nicht mehr. Und Ruth Engelhardt dachte an Hanns Ingold und sein Werk.

127 »Papa, ich möchte dir eine Mitteilung machen. Nenn's ein Geständnis, wenn du willst. Ich liebe Hanns Ingold.«

Ruhig und bestimmt kamen die Worte über ihre Lippen. Sie war sich noch nie so klar gewesen, daß sie Hanns liebte. Liebte, wie er war, bereit, für ihn zu tun, was das Leben verlangte. Sie liebte ihn, als wäre sie kein Mädchen mehr, sondern eine gereifte und geprüfte Frau. In der Einsamkeit war sie dazu geworden, ohne ihm mehr als den Mund gereicht zu haben.

Engelhardt löste ihre Hand von seiner Schulter und hielt sie fest.

»Du hast mir einmal gesagt, du hassest ihn. Das war verkappte oder malträtierte Liebe. Als er kam, um uns Lebewohl zu sagen, hab' ich's gewußt. Und nun liebst du ihn, Mädel, heißt das, daß ihr euch liebt? Daß –«

»Ja, Papa, wir lieben uns.«

»Du weißt, daß er von vorn anfangen muß. Der alte Ingold verzeiht ihm nie, daß er Hand legen wollte an den Rhein.«

»Ich weiß das alles.«

Eine selbstsüchtige Genugtuung überkam Engelhardt. Er behielt Ruth noch lange um sich. Einer, der von vorn anfangen muß, kommt langsam vorwärts.

»Wo ist er jetzt?« fragte er beruhigt.

»Ich weiß es nicht. Er arbeitet an einer neuen Schrift über sein Werk.«

»Was sagst du da! Und sagst es so gleichmütig! Er hat den wahnsinnigen Plan nicht aufgegeben! Er will –!«

Engelhardt war wild vom Stuhl gefahren.

»Er muß, Papa. Spürst du denn nicht, daß er muß! Glaubst du, ich hätte ihn so lieben lernen, wenn ich nicht fühlte, daß er muß, daß er sich einsetzt und alles opfert dafür!«

Ihre Stimme hatte einen jauchzenden Klang und tönte sehnsüchtig in der dunklen Stube.

»Licht, mach' Licht, ich will dein Gesicht sehen, Ruth, ehe ich dir sage, was ich darauf zu sagen habe.«

128 Ruhig trat Ruth zur Konsole, tastete nach den Streichhölzern und zündete die Lampe an.

»Laß die Glocke und sieh mich an!«

Sie stellte die Lampenglocke beiseite.

Er ergriff ihre Hände, zog sie dicht zu sich heran und sagte langsam, ihr jedes Wort bis ins Herz hinabstoßend:

»Du hast dir dein Urteil gesprochen, Mädel. Er ist einer, der alles opfert für sein Werk. Alles, Ruth! Auch dich!«

»Papa!« schrie sie auf und warf sich zurück.

Der Ruck löste ihre Hände. In Fäusten geballt drückte sie sie an die geängstigte Brust. Frostschauer zuckten in raschen Schlägen durch ihren Leib.

Auf einmal wurde ihr starres Gesicht wieder lebendig.

Leise, mit bebender Stimme antwortete sie:

»Papa, das glaub' ich nicht.«

Er wollte lachen, doch es wurde eine Grimasse der Verzweiflung daraus.

Demütig ergriff er ihre Hände noch einmal.

»Bleib' bei mir, Ruth. Ich hab ja nur dich. Er ist ein Obenhinaus, einer von den Rücksichtslosen, ein Egoist, der seinem Dämon folgt. Du wirst unglücklich, wenn du mit ihm gehst. Bleib' bei mir! Es gibt andere Männer, unter denen du einmal wählen kannst, häng' dich nicht an einen, der dich mitreißt wie der Lauffen, und mir den Boden unter den Füßen wegzieht.«

Ruth machte sich sanft los. Sie hatte ihren Vater noch nie so klein gesehen. Er warf Hanns Selbstsucht vor und bettelte doch nur für sich selbst. Aber sie sah die ratlose Angst in seinen Augen, und das Mitleid siegte.

»Sei ruhig, Papa, es ist noch lange hin, bis Hanns und ich zusammenleben können. Ich bin heute fünfundzwanzig Jahre alt geworden und weiß, was es heißt, auf das Leben warten.«

Sie ging.

»Ruth,« rief er ihr noch nach, um sie zurückzuhalten, und hatte doch nicht die Kraft, ihr seinen Willen aufzuzwingen.

129 Da riß er Hut und Mantel an sich und stürzte hinaus in die regenschwere Nacht. Er lief nach Rheinau und saß, ehe er sich dessen recht bewußt wurde, im Herrenstübchen der »Alten Post«.

Ruth hatte die Tür ins Schloß fallen hören. Einen Augenblick kämpfte sie, ob sie ihm nacheilen solle. Doch ihr Stolz und eine gewisse Keuschheit des Empfindens hielten sie davon ab. Sie konnte ihm nichts mehr sagen, was ihn anders gestimmt hätte, und es war zum erstenmal ein Gefühl der Entfremdung in ihr mächtig geworden, das sie schmerzte und ihr trotzdem natürlich schien.

Ein harter, willensstarker Zug lag um ihren Mund, als sie an Hanns schrieb, daß sie ihrem Vater von ihrem Verhältnis Mitteilung gemacht habe. In dem Brief stand kein Wort von ihrem Geburtstage, von ihrer Einsamkeit und von den Kämpfen, die ihr drohten.

Hanns schrieb an Engelhardt, daß er Ruth liebe, aber Engelhardt legte den Brief, der weiter nichts Bestimmtes enthielt, beiseite.

Im Laufe des Dezembers erhielt Ruth zwei Briefe. Einen von Gerhart Xylander, der ihr auf einer Seite, die mit großen spitzgeschliffenen Schriftzügen bedeckt war, noch einmal für alles dankte, was sie für ihn getan habe, und mit der Versicherung schloß, daß ihr Bild immer noch lebendig sei in seinen Gedanken. Er bat, die Erinnerung an sie ins neue Jahr hinübernehmen zu dürfen. Sonst nichts. Ein Brief von einer merkwürdigen Mischung akademischer und kaufmännischer Formen, ohne den Ausbruch wärmerer Gefühle, aber in seiner kalten, klaren Feststellung so bedeutungsvoll, daß Ruth lange nicht von ihm loskommen konnte.

Ein Brief, der keine Antwort verlangte, den zu beantworten ihr sogar ein untrügliches Empfinden verbot und der doch eine Beziehung schuf, die ihr Unruhe bereitet hätte, wenn diese nicht durch ein Schreiben Hanns Ingolds verdrängt worden wäre.

130 Der Brief kam aus Frankfurt. Von seinem Werk war darin die Rede, sechs Seiten eng geschrieben, ein Ausbruch gestauter Gefühle, ein wilder Strom entfesselter Energien, die keinen anderen Ausweg fanden. Sein sonniger, heller Jugendmut war nicht mehr darin, aber die Spannkraft und die Zielsicherheit des Mannes, der schöpferisch tätig ist.

Umsonst waren alle seine Bemühungen, die Regierung, die Landstände, die Kapitalisten für sein Projekt zu gewinnen.

»Ich brauche ja ihren Glauben gar nicht. Ich verlange nur die Freiheit, das Werk zu bauen. Die Konzession und ein paar Millionen, weiter nichts! Es ist genug, daß ich daran glaube! Ich höre den Lauffen in schlaflosen Nächten wie die Seelen der Verdammten brüllen, als müßt' ich ihn erlösen! Ich sehe das Werk mit glänzenden Fenstern in der Nacht stehen und seinen Lichtschein auf das dunkle Wasser werfen. Die Turbinen surren und schwirren, gelbe Maschinen strahlen Kraft und Licht in den Raum, und die Drähte streichen an hohen Masten gespenstisch über die Hügel.

»Manchmal meine ich, ich müßte ersticken, so drückt mich dieses ungeborene Werk. Herrgott, könnt' ich doch nur noch einmal die Bohrer knirschen und das Gestein splittern hören. Du weißt ja nicht, wie schön das ist, wenn der spitze Stahlzahn sich in die Felsenrippen bohrt, die Krane knarren und der Erdbagger sein gefräßiges Maul vollschöpft. Wenn die Lokomotiven bellen und es von braunen Kerlen wimmelt, die heute Steine wie Brot brechen und morgen die Hacken zusammenwerfen und aus diesem oder jenem Grund die Arbeit niederlegen! Und nun treib' ich mich wie ein Vagant in der Welt herum, petitioniere und antichambriere, schreib' mir die Finger wund und komme doch nicht vom Fleck.

»Ich lebe nicht mehr wie andere Menschen, denn der Gedanke an das Werk ist bei mir Tag und Nacht. Er ißt und trinkt mit mir, und ich kann tun und lassen, 131 was ich will, er bohrt sich in alles hinein. Im Theater starr' ich auf die Bühne und ertappe mich plötzlich darüber, daß ich am Lauffen Zementklötze versenke. Und wenn ich einmal wirklich davon abgelenkt werde, leide ich unverständliche Ängste, bis mir auf einmal einfällt, daß ich mein Werk vergessen hatte. Und dann ist das Bewußtsein, es wieder in sich zu haben, eine Wollust, von der kein Mensch sich eine Vorstellung machen kann.

»Aber ich muß einen Menschen haben, mit dem ich davon reden kann. Nur einmal mich wieder aussprechen, einmal nur die skeptischen Stimmen übertönen, die höflichen Zuhörer vergessen, die nichts, gar nichts für mich übrig haben.

»Komm zu mir, Ruth, nur einen Tag, ich kann nicht fort, denn ich sitze über meiner Schrift und kann sie nicht aus den Augen lassen. Ich will sie an die Stände, an alle Industriellen in Baden schicken, die Zeitungen sollen sie haben, die erste Broschüre war eine flüchtige Skizze, die niemand überzeugen konnte, aber diese Schrift muß überzeugen. Ich, ein Heimatschänder, ja, zum Donner, meint Dein Vater denn, ich freute mich über die Zerstörung, die das Werk mit sich bringt! Komm, Ruth, ich habe ja nur Dich! Ich will den Kopf wieder in Deinen Schoß legen, und dann wird mir einen Augenblick lang alles zum seligen Frieden werden, was mich jetzt bei lebendigem Leibe zerfrißt. Schon der Gedanke, daß Du kommst, macht mich ruhig und heiter. Ich erwarte Dich. Du bringst mir alles mit, die Heimat, den Glauben und Dich.

»Morgen habe ich hier eine Konferenz, in der vielleicht der erste Stein gelegt wird zu meinem Werk. Aber ich muß einen Menschen haben, der mir die Hand hält, wenn es wieder ein Fehlschlag ist. Und nur ein einziger Mensch auf der Welt hat so viel magnetische Kraft in der Hand, mir Ruhe zu bringen, und das bist Du! Sieben Jahre hab' ich an Dich gedacht, und seit ich dieses Werk in mir trage, ist es mir, als wäre es so gut 132 Dein, wie mein. Ruth, komm zu mir, komm zu mir, süße Ruth!«

Fiebernd hatte Ruth diese leidenschaftlichen Zeilen gelesen. Eine heftige Unruhe ließ ihr Herz schwer und dumpf schlagen, am liebsten wäre sie zu ihm hingeeilt, wie sie ging und stand, als fände sie ihn irgendwo in der Nähe und müßte ihm helfen.

Es war ein milder Wintertag, noch kein Schnee gefallen, mattgoldene Sonne färbte die Landschaft und den Strom mit Bronzetönen.

Ruths Herz pochte in dieser Einsamkeit wie ein Uhrhammer. Sie glaubte seine dumpfen Schläge laut widerhallen zu hören. Konnte sie den Vater allein lassen? Sie fragte sich nur dies. Alles andere stand außer Frage.

Ruth fühlte, daß aus dem Brief Hanns Ingolds die nackte Verzweiflung schrie. Nicht die Verzweiflung eines Mannes, der sich und sein Werk verloren gab, sondern die Not eines Menschen, der mit sich allein war und kein Ohr hatte, zu dem er sprechen konnte, kein Herz hatte, das für ihn schlug. Er ging zugrunde an den Wehen dieses ungeborenen Werkes, das in seinem Hirn kreiste und ins Leben verlangte. Es tötete ihn, wenn er in seiner Einsamkeit mit ihm kämpfte und rang. Sie mußte zu ihm, zu Fuß, barfuß, wenn es nicht anders ging. Er war ärger in Not als damals, da sie an der Brunnensäule für ihn gebangt hatte. Und er rief nach ihr. Er rief sie, Hanns Ingold rief seine Ruth!

Blaß, einen Widerschein der Wintersonne im blonden Haar, trat sie vor ihren Vater und sagte ihm, daß sie zwei Tage nach Frankfurt fahren müsse, um Ingold zu sehen. Sie zeigte ihm den Brief nicht. Aber in ihren Worten, die jede Einzelheit sparten, schwang ein unerschütterlicher Entschluß.

Wild fuhr Engelhardt auf:

»Mädel, Ruth, bist du von Sinnen! Du fährst ihm nach, in die Welt hinein! Weil es ihm schlecht geht, weil er sich in sein verfluchtes Unternehmen verbissen 133 hat wie ein Bullenbeißer! Willst du ihm alles geben, was du bist und hast! Ruth, komm zu dir, Kind, du bist nicht bei Sinnen!«

»Seh' ich so aus, Vater?« erwiderte sie ruhig und heftete ihre goldbraunen Augen ernst auf den zornigen Mann, der vor Aufregung bebte. »Seh' ich so aus, als ob ich nicht wüßte, was ich tue? Ich reise heute abend um acht Uhr und bin morgen früh in Frankfurt. Morgen abend um fünf Uhr trete ich die Rückreise an und komme noch mit dem gemischten Zug von Basel bis Rheinau. Was ich Hanns Ingold gebe, weiß ich nicht, denn ich weiß nicht, wie ich ihn finde. Aber ich liebe ihn, Papa, und ich tue alles für ihn, seit ich erkannt habe, daß ich ihn geliebt habe, all die Jahre geliebt habe, ohne es zu wissen. Er braucht mich, und wenn Hanns Ingold ruft, dann ist es Zeit, Papa! Dann ist's, wie wenn Hochwasser kommt und alle Glocken stürmen, dann muß ich zu ihm, und dann geh' ich zu ihm hin! Heute und alle Tage!«

»Und wenn ich dir's verbiete! Dir verbiete, dich zur Dirne zu machen, die ihrem Geliebten nachläuft!«

Er schrie's in rasender Eifersucht, die keine Schonung mehr kennt.

Er war der Vater, der Zeuger dieses Mädchens, und ein anderer kam und zwang dieses junge Weib in seinen Besitz! Rief »komm«, und sie ging, ging ohne Zaudern, wäre durch Wasser und Feuer gegangen, wenn jener es gefordert hätte! Hatte er als Vater denn nicht das erste, das größte, das ewige Recht auf ihre Gedanken und ihren Willen! Sein Mädel, sein Kind, das einzige, was er noch ganz besaß, worauf er Recht und Anspruch hatte!

»Ich verbiete dir's, hörst du's, Ruth! Ich zerreiße dieses Verhältnis, ich kenne keinen Hanns Ingold mehr, der mir mein Mädel rebellisch gemacht hat. Hätten sie ihn doch niedergeschlagen, als er uns –«

»Halt, Vater!«

Er stockte.

134 Sie antwortete weiter kein Wort. Ihr stolzer weher Blick senkte sich tief in seine Augen. Um ihren bebenden Mund zuckte unterdrückter Schmerz, jener leidenvolle, duldende Zug, der in jedem Frauenantlitz einmal erwacht, wenn das Innerste und Heiligste verletzt wird.

Langsam, in eigentümlich starrer Haltung, als schüfe ihr jede Bewegung Pein, wandte sie sich ab und ging zur Tür.

Sie legte die Hand auf die Klinke.

Da streckte Engelhardt die Hände nach ihr aus.

»Verzeih' mir, mein Kind, aber –«

Sie wandte den Kopf.

»Ein Kind, das seinem Vater verzeiht? Ich habe nichts zu verzeihen. Du hast vergessen, daß ich ein Weib bin, Papa, das ist es. Ich reise heute abend.«

»Ruth!«

»Sei ruhig, ich komme wieder!«

So endete auch diese Aussprache mit einem Siege Ruths.

Als sie im Zuge saß und durch das dunkle Land den Rhein hinunterfuhr, kannte sie sich selbst nicht mehr. Das war nicht mehr die Ruth, die vor einem halben Jahr noch spröd und herb ihr Inneres vor sich selbst verschloß. Mit loderndem Herzen fuhr sie durch die Nacht.

Sie kam noch vor Tagesanbruch in Frankfurt an.

In der mächtigen Halle des Bahnhofes überlief sie ein Frostschauer, Nebelschwaden zogen über den leeren Platz, gelb stachen die Bogenlampen aus der Trübe.

Sie verbrachte den Rest der Nacht im Hospiz. Schlafen konnte sie nicht mehr, und hörte den Tag erwachen, die Wagen rollen, Automobile surren und die Klingeln der Trambahn tönen. Dann mußte sie doch noch einmal eingeschlummert sein, denn auf einmal stand gelbe Sonne vor ihrem Bett, und sie blickte verstört auf die fremde Umgebung, hatte vom Lauffen geträumt, und von Musik klingende, große weiße Schiffe ungefährdet die Schnellen hinabfahren sehen, und fand sich nicht mehr zurecht.

135 Als sie vor dem Spiegel stand, sah sie, wie blaß ihr Gesicht war. Sie schrieb noch vor dem Frühstück ein Kärtchen an Hanns, zeigte ihm ihre Ankunft an und bat ihn, sie um zehn Uhr im Wartesaal des Bahnhofes abzuholen.

Nach dem Frühstück ging sie allein die Kaiserstraße hinunter in die Stadt. Die vielen Menschen, das bunte Leben und die eigentümliche Atmosphäre der Großstadt taten ihren Nerven wohl. Sie fühlte sich nicht mehr so auf ihre eigenen Gedanken angewiesen. Uraltes Heimweh meldete sich und kam zur Ruhe, als wären Erinnerungen lebendig geworden, die ihr selbst unbewußt in ihr geschlummert hätten. Sie blieb sogar vor den Läden stehen und gewann den Modesachen Teilnahme ab, die da ausgestellt waren. Sie wurde heiterer, fröhlicher, sie freute sich des Lebens. An der Hauptwache kehrte sie um. Es war halb zehn Uhr geworden.

Mit dem Instinkt des Menschen, der einmal in einer Großstadt Wurzeln geschlagen hat, fand sie rasch die richtige Linie heraus und stieg in die Elektrische, um zum Bahnhof zurückzufahren.

Als sie an der Kreuzung des Taunusringes hielten, ging Hanns Ingold gerade über die Straße. Sie erschrak. Im ersten Augenblick saß sie wie gelähmt, und ehe sie aussteigen konnte, fuhr der Wagen weiter. Vielleicht war es besser so. Er hätte ihr den Schrecken vom Gesicht gelesen.

Mit hastigen Schritten, das farblose magere Gesicht von einem Ausdruck beherrscht, der seine völlige Geistesabwesenheit verriet, strebte er vorwärts. Blicklos starrten die Augen unter den gewölbten Brauen ins Weite. Und wie er an ihr vorbeigegangen war, so blieb er jetzt trotz seines hastigen Ganges hinter ihr zurück, noch einmal sah sie sein Profil auftauchen, dann verschwand er unter gleichgültigen Menschen. Das war ein anderer gewesen – nein, es war Hanns Ingold, derselbe, der sie gerufen hatte. 136

Sie war am Bahnhof angekommen, stieg aus und flüchtete in den Wartesaal. Hier saß sie ruhig und gesammelt und wartete auf ihn.

Er kam, blieb stehen, und seine Augen liefen die Reihen hinab.

Da stand sie auf.

Nun schritt er auf sie zu, einen hellen Schein im Gesicht, mit Augen, die plötzlich wieder sehen gelernt hatten. Ruth hatte in einer Nische gesessen, aus der sie einen Schritt herausgetreten war.

Als sie sein Gesicht aufleuchten sah, wurde ihr auf einmal wieder leicht und froh zumute, und ein Lächeln erschien in ihren blassen Zügen.

»Ruth!«

Nur ihren Namen. Er murmelte ihn unhörbar und hielt ihre Hand. Sie hatte keine Anrede für ihn. Stumm, wie verloren standen sie eine Weile im unwirtlichen Saal.

Endlich zog sie ihn in die Ecke.

»Setz' dich, Hanns!« bat sie leise.

Sein Gesicht hatte sich neu gehärtet. Sie sah seine Gedanken wieder wie gebannt auf einen Punkt schießen. In seine Augen trat der abwesende Blick.

Da tastete sie nach seiner Schulter und zog ihn dichter an sich.

Draußen war Laufen und Rennen, Züge kamen und gingen, eintönig rief der Pförtner die Fahrtziele aus, die heiße stickige Luft der Heizkörper stand drückend im Saale.

Ruth fühlte, wie sich die Starre seiner Muskeln löste. Er schmiegte sich in ihren Arm. An seiner Schulter schlug ihr Herz.

»Hanns, ich bin gekommen. Ich bin bei dir, Hanns. Sechs lange Stunden sind wir beisammen.«

»Nur sechs Stunden? Du willst wieder gehen, und ich habe dir so viel zu sagen! Ruth, geh' nicht!«

Sie lächelte. 137

»Hanns, sprich nicht so töricht! Und die sechs Stunden, die wollen wir auskosten, erzähl' mir von dir! Du bist mager und hast eine schlimme Falte zwischen den Augen. Erzähl' mir von dir, Hanns!«

»Die Arbeit ist fertig, Ruth. Gestern abend habe ich sie fertig gemacht. Die ersten Bogen sind schon im Satz. Und jetzt bin ich wie eine ausgebrannte Schlacke. Ich wollte, sie wäre noch nicht fertig, daß ich dieses Gefühl der Leere nicht hätte!«

Sie streifte seine Schläfe mit dem Mund.

»Nun müssen sie dir glauben, und wenn erst einer den Anfang gemacht hat, so kommt die Gesellschaft ganz sicher zustande.«

Er richtete sich mit einem Ruck in die Höhe.

»Ich war vorgestern bei der Elektro-Kommerzbank und trug dem Kommerzienrat Ellenrieder die Sache vor. Er hatte mich dazu aufgefordert. Ich schrieb dir davon. Weißt du, was er gesagt hat? Wenn Ihre Regierung dem Projekt sympathisch gegenübersteht und Sie mir eine halbe Million aufweisen können, lasse ich den Plan expertisieren.«

»Aber das ist ja ein Anfang, Hanns!«

»Wenn ich den Plan gemacht habe, ist jede Expertise überflüssig. Und die halbe Million! Aber so wahr ich's erlebe, daß das Werk gebaut wird, ich gehe betteln, bis die halbe Million beieinander ist. Fünftausend Mark habe ich schon, das ist nämlich alles, was ich noch habe. Und dein Marktverdienst. Ruth, den rechne ich natürlich auch! Sind's hundert Mark, Engelmild!«

Er drückte sie an sich. Trotzig hatte er begonnen, verbittert fortgefahren und zuletzt in einem jähen Umschwung froh und zärtlich geschlossen. Engelmild, so hatte er sie nicht mehr genannt seit sieben langen Jahren.

Engelmild, Engelschön, Engelrein – die kindischen Kosenamen schwebten plötzlich wie Amoretten um sie her.

»Hanns, hab' nur Geduld, du baust!«

138 Tief in die Pfeilernische gedrückt, küßten sie sich mit kalten, zuckenden Lippen, und saßen dann lange in ernstem Schweigen.

Endlich standen sie in gemeinsamem Entschluß auf und verließen den Bahnhof.

Die Sonne schien warm, es war eher ein Märztag, als kurz vor Weihnachten.

Hanns kaufte Ruth einen Veilchenstrauß.

Das rührte sie.

Seite an Seite gingen sie in die Stadt hinein. Im flutenden Leben auf der Zeil fühlten sie sich allein und sprachen in verlorenen Sätzen von ihrer Zukunft.

Auf der Neuen Kräme blieb Hanns stehen und deutete zu einem Dachstock hinauf.

»Da wohne ich, Liebste.«

Im Gedränge konnte Ruth nur einen flüchtigen Blick in die Höhe werfen.

Nach einer Weile sagte sie:

»Hanns, du reibst dich auf. Such' einen Posten, der dich in Anspruch nimmt, damit du deine Gedanken los wirst. Laß die Broschüre wirken, schreib' Briefe, mach' Gänge, tu alles, aber gib dich nicht ganz diesem Gedankenbann hin. Du verzehrst dich daran.«

Sie waren wieder auf der Zeil. Einsam, wie man nur in der Großstadt sein kann, gingen sie im wirbelnden Menschenstrom, der sie ruhelos umbrandete.

»Wenn du immer bei mir wärst –,« murmelte Ingold und blickte wieder starr in die Ferne.

Leise schob sie ihre Hand unter seinen Arm.

Die Knie zitterten ihr vor Müdigkeit, doch sie tat es nicht deshalb, sondern um ihn zu beruhigen und um ihre Gegenwart fühlbar zu machen. In vier Stunden reiste sie ab.

Am Taunusring aßen sie zu Mittag.

Hanns Ingold war auf einmal in einem jähen Stimmungsumschlag wieder heiter. Er warf eine Tablette in ein Glas Wasser und trank es aus. 139

»So, nun wollen wir von der Heimat reden.«

»Was nimmst du denn da, Aspirin?«

»Ja, Doktormädel, das schlägt wohl in dein Fach! Weißt du, was Kopfschmerzen sind? So niederträchtige, die dir die Stirnwand eindrücken, wenn du stehst, und dir den Kopf zersägen, wenn du liegst! Seit ein paar Wochen kenn' ich diese schöne Erfindung. Ein Gesteinbohrer ist dagegen eine Puderquaste!«

Die gelbe Wintersonne stand in seinen Augen, als er wild und lustig so sprach und sein Weinglas hob, in dem ein goldener Brand glühte.

»Auf das Werk zu Rheinau unterm Lauffen und auf unsere Liebe! Stoß an, Ruth Engelschön.«

Langsam hob auch Ruth ihr Glas.

Eine unendliche Zärtlichkeit stieg in ihr auf, von einem jähen Schrecken aus ihrem Herzen aufgescheucht. Er war krank, sie sah es, erkannte es mit dem hellseherischen Blick der Liebe, und plötzlich wußte sie, daß sie das schon aus seinem letzten Brief herausgelesen hatte. Krank, kränker, als er ahnte! Schreckhaft stand die Sonne in seinen Augen, zitternde Runzeln liefen in Wellen über seine Stirn, Schatten füllten die Augenhöhlen, unsicher zuckte der Mund.

Und es tat ihr kaum weh, daß er zuerst an sein Werk gedacht hatte, und dann erst an ihre Liebe!

Die Gläser berührten sich und zirpten zart und fein. Vom Ring her klang weitentfernt vorüberziehende Militärmusik.

»Es gilt, Hanns, auf dein Werk!«

Sie hatte sich wieder in der Gewalt, sie lächelte ihn an, ihre Augen liebkosten sein hartgespanntes, hageres Gesicht.

Nun gingen sie die stillere Ringstraße entlang, und Ruth erzählte von der Heimat.

Da unterbrach er sie.

»Ich vertreibe euch, Ruth, weißt du das auch? St. Joseph liegt zu nahe am Rhein und an der Stelle, wo 140 das Turbinenhaus errichtet werden muß, um nicht in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Die Erdbewegungen, die Anschlußgeleise und die Materiallager werden euch erdrücken.«

»Dann ist Papas Existenz vernichtet. Er ist nicht stark genug, sich eine neue zu gründen.«

»Keine Angst, Ruth. Wir kaufen ihm St. Joseph natürlich ab. Zum Industriepreis, nicht zum Ackerpreis. Er wird keine Existenzsorgen haben.«

Sie überlegte eine Weile und antwortete darauf traurig:

»Auch das wird uns nichts helfen, Hanns. Papas Leben hängt an St. Joseph, sein inneres Leben, er hat dort seine Aufgabe gefunden. Keine große, aber eine, die ihn aufrecht hält und trägt. Und die gibt ihm niemand wieder, wenn er von dort vertrieben wird.«

»Ruth! Ich kann das Werk nicht liegen lassen, weil ein bißchen von eurer Existenz daran hängt. Nur ein bißchen, denn was bringt euch St. Joseph? Kaum genug zum Leben! Und das andere, was du eben angedeutet hast, das ist ja kein Einsatz im Spiel. Dein Vater fristet auch in diesem übertragenen Sinn kaum sein Leben. Zieht euch ein Stück den Berg hinauf, oder geht nach Elfenau, baut ein modernes Haus, und dein Vater wird auch als Arzt eine größere Aufgabe vor sich haben als jetzt!«

Das war wieder der harte, entschiedene Ingold, der sich durch empfindsame Rücksichten nicht hemmen ließ.

»Auch diese Aussicht wird Papa nicht mehr auf die Füße bringen. Siehst du, er ist wie ein Baum, der schon zweimal verpflanzt worden ist, als er auf der Höhe der Kraft stand. Da sind ihm starke Wurzeln abgeschnitten worden und er hat sich nur kümmerlich wieder festgegraben. Wenn man ihn noch einmal aus dem Boden reißt, stirbt er ab. Das beste, schönste Erdreich würde da nichts mehr nützen.«

In Ingolds Gesicht flackerte jähe Röte.

141 »Bist du gekommen, um mir das zu sagen und mir in den Arm zu fallen?« stieß er heftig hervor. »Denk an meinen Vater, Ruth! Dem nehme ich mehr! Dem nehme ich alles! St. Joseph gedeiht als Kuranstalt hier oder dort, aber die Existenz meines Vaters hängt am Lauffen. Ja, gerade so, wie du es eben gemeint hast, die innere Existenz! Ich nehme ihm das Leben, wenn ich ihm an den Lauffen rühre! Er hat gerackert und gespart, er kann zur Not die Hände in den Schoß legen, aber er wird es nie verwinden, daß der Salm nicht mehr frei den Strom hinaufsteigt, der Rhein nicht mehr unter seinem Haus kocht und keine Netzwage mehr über dem Ufer schwingt.«

»Und trotzdem willst du –«

»Ich muß, Ruth, Herrgott im Himmel, spürst du denn nicht, daß ich muß!«

Er hatte so laut geschrien, daß drüben auf der Häuserseite die Leute die Köpfe wandten.

Sie waren allein in der Taunusanlage, die rings ihre leeren schwarzen Bäume reckte.

Hanns Ingold nahm den Hut ab und tastete nach der Stirn. Es war ihm, als wäre irgendwo eine Verspannung seiner Hirnnerven gerissen. Seltsam kältende Helle stürzte durch seine Augen ins Innere, hintenüber zog ihn diese furchtbare Fülle einströmenden Lichts, der ganze milchig opalisierende Himmel war's, der sich in sein Herz entleerte und ihm das Bewußtsein wegschwemmte.

»Hanns! Hanns!«

Wie weit weg war ihre Stimme! Das Werk, die Broschüre, der Rhein!

Mit einem letzten trotzigen Aufbäumen brach er in ihren Armen zusammen.

Zwei Schritte weit war eine Bank. Mit der Kraft der Verzweiflung riß sie ihn hin und stürzte neben ihm nieder. Sie stand schon wieder aufrecht, deckte ihn mit ihrem Leib vor dem Menschenknäuel, der im Nu zusammenschoß, und verlangte ein Automobil.

142 »Ins Krankenhaus,« war ihr einziger Gedanke, und schon saß sie neben ihm im Wagen, hielt ihn umklammert, hörte seine Zähne knirschen, sah das von Schmerzen zerrissene Gesicht mit den geschlossenen Augen, unter denen noch ein heller Schein schwamm, und spürte nichts von den Tränen, die ihr langsam über die Wangen flossen.

Der Wagen lief mit voller Kraft, aber er schien nicht vom Fleck zu kommen, hielt einmal im Getriebe am Roßmarkt, schoß wieder vorwärts und fuhr endlich unter das Portal des Krankenhauses.

Ehe jemand herantrat, bückte sich Ruth rasch und küßte den Geliebten auf den entfärbten Mund. Dann blieb sie sitzen und wartete, bis die Tragbahre bereitstand und der Kranke aus dem Wagen gehoben und darauf gelegt wurde.

Als sie neben Hanns im Krankenaufzug kniete, meinte sie das alles schon einmal erlebt oder vorausgeahnt zu haben. Sie wurde zum diensttuenden Beamten und zum Arzt geführt und gab die nötigen Auskünfte. Kurz und klar, ohne Umschweife.

Der Arzt blickte erstaunt vom Journal auf.

»Sie scheinen in diesen Dingen nicht fremd zu sein, gnädiges Fräulein?«

»Ich bin die Tochter eines Arztes und helfe ein wenig mit, so als Handlanger.«

Sie zögerte noch einen Augenblick und fuhr dann fort:

»Mein Vater ist Leiter einer Heilanstalt in Rheinau am Rhein, eine Stunde unterhalb des Rheinfalls von Schaffhausen. Ein Brief meines Verlobten hatte mich in Sorge versetzt, und so fuhr ich her. Er ist Ingenieur und hat sich geistig, seelisch und körperlich an einer Arbeit, die er als sein Lebenswerk betrachtet, aufgerieben.«

Der Arzt wurde zu Hanns gerufen.

Ruth blieb allein. An den Scheiben des hohen Fensters liefen zierliche Perlenstriche entlang, es war Regen. Sie starrte daraufhin, bis sie die Augen schmerzten.

143 Eine Schwester kam sie holen. Wie Blei wogen ihre Füße, als sie den kahlen Gang hinunterschritt. Und auf einmal schrie in ihr der Schmerz um den Geliebten laut auf, und ihre schöne Fassung brach haltlos auseinander. Es war mehr als die Angst, sie könnte ihn durch den Tod verlieren, mehr als grenzenloses Mitleid mit ihm, mehr als Liebe, was in ihr aufschrie, es war das ahnungsvolle Empfinden, daß sie ihn nie besessen hatte, und daß er, lebend oder tot, ihr nie ganz gehören würde.

»Bitte, hier, gnädige Frau!«

Die Schwester wies auf eine der vielen Türen, ging selbst voran, öffnete und ließ Ruth eintreten.

Der Arzt kam auf sie zu.

»Nur einen Augenblick, Fräulein Engelhardt, nur den Versuch einer Verständigung mit dem Patienten, dann müssen wir ihn der Pflege überlassen.«

Das Zimmer war verdunkelt und verschwamm schattenhaft vor Ruths Blicken. Aber die eigentümliche, ihr vertraute Atmosphäre der Krankenstube wirkte beruhigend auf sie, und gefaßt trat sie an das weiße Bett.

Sie nestelte rasch den Hut ab und bückte sich über Hanns. Ihre Augen hatten sich an das gedämpfte Licht gewöhnt, sie sah sein blasses Gesicht, die dunkelgefärbten Lider und den zuckenden Mund. Ein Eisbeutel bedeckte seinen Kopf und knisterte leise, als sie sich dicht über ihn beugte.

»Hanns!«

Süß und zart, wie eine Liebkosung hauchte sie seinen Namen.

Ein Schlag ließ seine Augenlider erzittern, aus flimmernden Pupillen schoß ein zerrinnender Blick.

»Broschüre fertig, Korrekturen abschicken – bauen –«

Wie kleine Explosionen, in denen das Hirn noch die letzten klaren Gedanken formte, kamen die Worte über seine Lippen. Verzweifelte Energie rüttelte ihn wach, zuckende Finger fegten über die Decke und krampften sich an Ruths Händen fest.

144 Da antwortete sie mit leiser, aber klarer, suggestiv wirkender Stimme:

»Sei ganz ruhig, Hanns. Ich besorge alles. Ganz ruhig, Liebster, ja!«

»Ja!«

Das krampfhaft gespannte Gesicht glättete sich, die Lippen wurden weich, ein Seufzer entrunzelte seine Brauen, er lag still.

Ungeheißen nahm Ruth Abschied. Einen Herzschlag lang lag ihre Wange an der seinen, dann richtete sie sich auf, dankte der Schwester mit einem Blick, der um gute Pflege bat, und verließ mit dem Arzt das Zimmer.

Sie gingen langsam den langen weißen Korridor hinunter, und Ruth hörte wie in halber Betäubung, was der Arzt in vorsichtig zurückhaltenden Worten von starker Überarbeitung, von Überreizung des ganzen Nervensystems und den besonderen Erscheinungen von seiten des Hirnes sagte.

Nun ging sie allein die Treppe hinunter. Aufrecht, mit gefaßter Heiterkeit. Sie hatte eine Aufgabe gefunden.

Ein feiner Regen peitschte die Straßen. Stahlblau schillerte der Asphalt. Hastig eilten die Menschen.

Als Engelhardt am Abend Ruths Telegramm erhielt, in dem sie ihm Ingolds Zusammenbruch und ihr Verbleiben in Frankfurt mitteilte, versagten ihm eine Zeitlang die Gedanken. Wie ein Verdammter war er seit ihrer Abreise in dem leeren Kloster umhergeirrt, kein Buch öffnete sich ihm, keine Feder wollte ihm gehorchen. Die Nacht hatte kein Ende nehmen und der Tag nicht sinken wollen. Rote Abendsonne war aus violetten Wolken hervorgeschossen, und nun schlug schwerer Regen ins Dunkel.

Plötzlich riß er sich zusammen. Er wickelte sich in seinen Wettermantel, drückte den Hut fest und ging nach Rheinau. Drei gelbe Fenster sternten die Nacht. In der Römergasse sprang das Wasser die Stufen hinab. 145 Das Haus des Fischmeisters stand blaß in der rauschenden Finsternis über dem Lauffen.

Christian Ingold nahm die Brille von den fernsichtigen Augen und schlug umständlich seine Rechnungsbücher zu, ehe er Engelhardt die Hand bot.

Hermann rückte dem Doktor einen Stuhl zurecht und ging dann in seine Schlafkammer hinüber.

Der Fischmeister wartete auf Engelhardts Anrede. Festgeschlossen lag sein Mund, gelassen blickte er in das erregte Gesicht des Arztes.

Engelhardt hatte zuerst von der Jugendliebe Hanns Ingolds und Ruths erzählen, dann von dem Verlöbnis berichten wollen, das sie eingegangen waren, aber nun riß er plötzlich das Telegramm aus der Tasche und reichte es über den Tisch.

»Lesen Sie!«

Ingold legte das Papier vor sich hin, setzte die Brille wieder auf, hielt das Telegramm unter die Stehlampe und las, lautlos die Lippen bewegend, Wort für Wort.

Seine Hand zitterte, fuhr zur Faust zusammen und zerdrückte das Papier.

Da fand Engelhardt seine berufliche Ruhe wieder und erstattete kurz und sachlich den ergänzenden Bericht.

»Ist es nur ein Nervenklaps, so steht er über kurz oder lang wieder auf. Spukt eine Hirnhautentzündung, so ist er im besten Fall auf lange Zeit ein stiller Mann. Er hat sich an seinem wahnwitzigen Plan und Gedanken, hier ein Kraftwerk anzulegen, kaputt gemacht.«

»Und kann daran sterben,« sagte Ingold langsam.

»Ja,« versetzte Engelhardt kurz.

»Es ist schad um den Hanns!«

Erstickt, wie widerwillig hervorgestoßen, kamen die Worte über Ingolds Lippen. Sein Nacken zitterte in einer leisen, greisenhaften Bewegung.

»Und mein Mädel, mein Mädel! Es ist zum Verrücktwerden!«

146 Heftig schrie's Engelhardt in das Rauschen des Stromes, das das ganze Haus erfüllte, und sprang auf, beide Hände erhoben, als könnte er von oben Hilfe erbitten.

Eine Weile war es still. Dann fragte Engelhardt ruhiger:

»Fahren Sie hin, Herr Ingold?«

»Wenn's zum Sterben geht, bin ich bei ihm, aber –«

»Was aber?«

Der Fischmeister stand auf, ging ans Fenster, riß es auf, zeigte auf den grauen Strudel, der seine Dämpfe in den Regen schleuderte, und vollendete:

»Aber, was er dem hat tun wollen, das muß er mir abbitten!«

Brausend, klirrend und donnergrollend tobte der unbändige Strom durch die Enge des Lauffens und rollte seines Wegs in die wolkige Nacht. 147

 


 


 << zurück weiter >>