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Eine norwegische Geschichte.

(Aus Walseth und Leith.)

Ich hoffe, lieber Bull, sprach Steenersen, daß wir ein paar Stunden hindurch ungestört seyn werden, und daß dich nichts verhindert, mir diese Zeit zu schenken. Ich wünschte dir eine Begebenheit mitzutheilen, die ich in den einfachen norwegischen Gebirgen, auf meiner Geschäftsreise im Junius, erlebte. Bull nahm das Anerbieten mit Freuden an.

Ich hatte (begann Steenersen) ein Geschäft in Oever-Tellemarken, und nach Allem, was ich von dieser Gegend und ihren Bewohnern gehört hatte, war ich sehr begierig, sie kennen zu lernen. Jenseit Kongsberg war es, als wenn die gewöhnliche bewohnte Welt aufhörte. Ich ritt mit meinem Begleiter, der selbst des Weges unkundig zu seyn schien, lange über morastige, steinige Höhen, wir verloren öfter den Weg, geriethen in Tannenwälder und ritten Stunden lang herum. Endlich fanden wir einen Weg, der über einen ansehnlichen Berg führt. Wir hatten den rechten gefunden, und ein Fußgänger, der mit raschen Schritten, selbst wenn wir scharf trabten, uns begleitete, fiel mir auf. Es war ein kleiner, vierschrötiger Mensch, mit einem derben, platten Gesichte, breiter Nase und halbversteckten kleinen blitzenden Augen. Wenn er sprach, verzerrten sich seine Mienen zu einem widerwärtigen, grinsenden Lächeln, und seine Aussprache verrieth, daß er, obgleich Norweger, doch nicht aus dieser Gegend gebürtig war. Es schien mir eine Art Bedienter zu seyn. Mir war er höchst unangenehm. Mit meinem Begleiter unterhielt er sich selbst im stärksten Gehen fortdauernd. Offenbar war er hier mit dem Lande und dessen Bewohnern sehr genau bekannt, schien aber lange entfernt gewesen zu seyn. Er erkundigte sich sehr angelegentlich nach einer Menge von Personen und ihrem Befinden. Besonders hörte ich den Prediger Aamod in Tind oft nennen, und einen Eistein Biörn. Die Art, mit welcher er nach dem letztern fragte, war mir besonders verdächtig. Wir waren indessen auf den Gipfel des Berges gekommen. Bolkesiö-Heia nannte ihn mein Begleiter.

Du weißt, lieber Bull, daß ich in südlichern, mildern Gegenden von Norwegen geboren bin. Zwar sind mir schöne, auch wilde Gebirge nicht unbekannt, aber hier traten zum ersten Male die furchtbar großen, rauhen Gebirgsmassen mir fremd entgegen. Nach allen Richtungen eröffnete sich eine weite Aussicht. Die Berge häuften, drängten sich, in mancherlei Gestalten neben, hinter einander; schroffe, zerrissene Spitzen ragten kahl empor, und in geheimnisvoller Ferne erhob sich über alle der mächtige Gousta. Eine Felsen-Pyramide strebte stolz hinter den zusammengehäuften Bergen in die Wolken, an dem fernen Gestein wechselte seltsam das blendende Weiß mit dem dunkelsten Schwarz. Der ewige Schnee hat sich in Schluchten gelagert, während die völlig schroffen Wände in düsterer Nacktheit dastehen. Es war ein schwüler, trüber Sommertag. Kein Nebel, aber ein Duft, der auch das Entfernteste erkennen ließ, hüllte die Gegend ein. Die Berge waren, einige bis an den Gipfel, mit finsteren Tannen und Fichten von großer Höhe, die schlank und schön sich dicht an einander drängten, allenthalben bedeckt. Ein weites, düsteres Waldmeer von unermeßlichem Umfange. Tief schnitten die Schluchten und Thäler nach allen Richtungen hinein; und eine furchtbare Stille herrschte überall, nur durch das Geflüster meiner Begleiter unterbrochen. Kein Vogel war zu sehen, kein Thier ließ sich blicken, kein Wasser rieselte; alles Lebendige und Bewegliche schien in den tiefen Thälern wie vergraben, und der steinerne Riesengeist des erstarrten Nordens schien hier kaum hörbar athmend in seiner Felsenburg zu schlummern, während die schlanken Fichten und Tannen als ein unabsehliches Heer festgewurzelter Schildknappen seinen Schlummer bewachten. Selbst der Weg, den wir verfolgten, verlor sich, schroff hinablaufend, geheimnißvoll in einen düstern Wald, der sich vor unsern Füßen in ein enges Thal hineindrängte.

Mich durchflog eine Ahnung, als könnten die versteckten Thäler, die entfernten Gegenden, die wie verschlossene Gräber von riesenhaften Felsen und von den dunkeln Wäldern bedeckt waren, irgend eine seltsame Begebenheit in sich bewahren, als wollte ein verborgener Schmerz sich plötzlich an mein Herz drängen, und es schien mir, als müßten die Menschen, die sich in diese steinerne Welt hineingewühlt hätten, in einer grauenvollen Einsamkeit leben, als müßten die starren Berge jedes Gefühl in sich versenken, und die dunkelgrünen spitzen Nadeln der Bäume tief in das immer verwundete, blutende Herz hineinstechen.

Der fremde Begleiter ward mir immer mehr zuwider. Ganz dem Anblick hingegeben, hatte ich wohl eine ganze Stunde auf dem Berge zugebracht, und hoffte, da der Fremde offenbar Eile zu haben schien, daß er uns verlassen würde. Aber er blieb, obgleich er weniger sprach, nachdem er Alles erfahren hatte, was mein Begleiter wußte, der lange nicht so bekannt in der Gegend schien, wie er. Nur glaubte ich zu bemerken, daß er mit spähenden Augen den ganzen Gesichtskreis überschaute, besonders sah er aufmerksam nach einer Richtung hin.

Wir ritten weiter. Der Weg führte uns abwärts durch einen dunkeln Wald, und als die Abenddämmerung anfing, sahen wir in einem engen, von schroffen Felsen umschlossenen Thale ein einsames Haus liegen, welches nicht unansehnlich aussah. Ich beschloß, die Nacht da zuzubringen.

Als wir näher kamen, waren eine Menge Menschen vor der Thüre versammelt, Bauern in ihrer Nationaltracht. Schneeweiße Jacken von Wadmel (grober Wolle), unter welchen sie andere von grellen Farben, grüne, blaue, trugen, lange Beinkleider von derselben Farbe, mit bunten Bändern verziert, die Haare lang über die Schulter hangend. Die Frauen waren in schwarze Tuche gekleidet. Ich erfuhr, daß es Gäste von einer Hochzeit in der Nähe waren, im Begriffe, nach Hause zu reisen. Auch die Bewohner des Hauses waren von der Hochzeit gekommen, und wie die Uebrigen gekleidet. Ein Mann von sehr ansehnlicher Größe, von mittlerem Alter fiel mir besonders auf. Das Offene, Heitere, Verständige und Zuversichtliche in seinem Wesen mußte beim ersten Anblicke einnehmen. Gang, Miene und Haltung deutete auf ungewöhnliche körperliche Kraft.

Wir hatten uns kaum dem Hause genähert, als der widerwärtige Fremde unruhig zu werden schien. Er blieb stehen, ungewiß, wie es mir vorkam, ob er uns folgen sollte. Aber plötzlich trat der große Mann hervor, eilte ihm entgegen und faßte ihn rasch bei der Hand, daß ich ungewiß war, ob er ihn bloß begrüßen oder festhalten wollte.

Ei, Kasper, rief er, bist du da! Ich hatte nicht erwartet, dich jemals wieder zu sehen.

Kasper war offenbar verwirrt, faßte sich aber und antwortete mit seinem grinsenden Lächeln:

Bin ich doch gekommen, um euch nach langer Zeit zu besuchen. Der alte Prediger lebt doch wohl, und seine Tochter –

Wie kannst du fragen, unterbrach ihn der Bauer; weißt du doch, was sie leiden. Bringst du Nachrichten –

Von dem Herrn, meinst du? ei freilich, recht gute; aber ich spare sie für den Prediger und für die Frau –

Halt es, wie du willst, sagte der Bauer; aber jetzt darfst du nicht weiter gehen, es ist schon spät. Du mußt diese Nacht bleiben, und morgen magst du dann mit mir reisen.

Sehr gern, Eistein, antwortete Kasper, bessere Begleitung kann ich ja nicht wünschen.

Er riß sich nun von Eistein los, und mischte sich unter die Uebrigen. Diese hatten sich indessen neugierig an mich herangedrängt, ohne daß ich auf sie geachtet hatte. Ich war zu begierig, etwas über den Fremden zu erfahren, der, ich wußte nicht warum, mir immer verdächtiger wurde. Eistein sah ihm höchst mißtrauisch nach, schüttelte den Kopf, und kam nun zutraulich und mit einem zuversichtlichen Anstande, der mich fast überraschte, auf mich zu.

Verzeih', Vater, daß ich dich nicht früher begrüßt habe, sagte er, indem er mir die Hand reichte und seine Mütze abnahm; aber mit dem fatalen Burschen da mußte ich nothwendig erst ein paar Worte sprechen. Wer bist du, und wo kommst du her?

Bekannt mit der treuherzigen und unbefangenen Art der norwegischen Bauern im Innern der Gebirge, wohin selten ein Fremder kommt, ihre Neugierde zu äußern, eilte ich, meinen Namen zu nennen.

Ei, rief er erfreut, da bist du wohl gar der Steenersen, den wir so lange erwarten; dann sey uns doppelt willkommen. Ich bin Eistein Biörn, und du wirst ja wohl auch mit mir Manches zu verhandeln haben.

Ich erinnerte mich jetzt erst seines Namens, und daß ich an ihn angewiesen war.

Wohnt ihr hier, Eistein? fragte ich.

Nein, meine Wohnung ist dicht unter Gousta; du wirst bei mir wohnen müssen, denn bei dem Prediger ist es gar zu traurig.

Eine höchst theilnehmende, ja schmerzliche Miene, die etwas unbeschreiblich Einnehmendes hatte, ließ mich vermuthen, daß der Prediger in einer unglücklichen Lage sey.

Wenn ich bei dir willkommen bin, lieber Eistein –

Was das Haus vermag, giebt der Norweger gern, das weißt du wohl, erwiederte Eistein.

Indessen war die Wirthin herbeigekommen. Sie warf uns vor, daß wir so lange draußen verweilten.

Du bist ja noch gar nicht in meinem Hause gewesen, sagte sie, indem sie mich beim Arme faßte und mich gutmüthig in die Stube hineinzog.

In dem großen Gastzimmer standen zwei mächtige Betten mit blau kattunenen Gardinen. Auf den Wänden und an dem Himmel der Betten waren, auf Mannshöhe, mit auffallend großen Buchstaben Bibelstellen geschrieben, die Gottsfurcht und Häuslichkeit priesen. Die reinlichen hölzernen Tische, Bänke und Stühle waren wie hellpolirt, und auf einem Brette über der Thüre prangten drei blanke, völlig neue, kupferne Kessel. Jeden Hammerschlag konnte man noch wahrnehmen, was bezeugte, daß sie noch unberührt, wie sie aus den Händen des Kupferschmiedes gekommen waren, da lagen. Ein vierter, zum täglichen Gebrauche, hatte keinen so ausgezeichneten Platz erhalten.

Die Bauern in diesen Gegenden sind nicht von lauernden Beamten umringt, sie fürchten den Diebstahl nicht, der hier völlig fremd ist, und so mögen sie gern ihren Reichthum, den sie nicht zu verbergen Ursache haben, bekannt werden lassen.

Ein jeder solcher Kessel deutet auf tausend Thaler Kapital, welche Summe der Bauer entweder auf Zinsen anlegt, oder in seinem Hause bewahrt.

Als ich hineintrat, war schon für mich in der Gaststube ein reinlicher Tisch gedeckt. Milch, Bier, Butter, flache Gerstenbrote, alter Käse, getrocknetes Fleisch im Ueberflusse. Die Wirthin nöthigte mich auf eine gutmüthige Weise; doch war das Bier, obgleich sehr stark, für mich doch ungenießbar, wie die Butter. Ich war müde, hatte noch mancherlei für mein Geschäft zu ordnen, und bat, mich allein zu lassen.

Das ganze Haus war, wie alle Bauernhäuser in den Gebirgen, von aufeinander gelegten Balken erbaut. Die Gaststube war durch eine dünne Bretterwand von einer größern, in welcher sich Alle versammelten, getrennt, so daß ich ohne Mühe Alles verstehen konnte, was dort gesprochen ward. Das Gespräch drehte sich um mancherlei, bald ward vom Holzhandel, dann von den Aussichten des Jahres, von dem neuen Wegebau und dergleichen geredet. Mit inniger Liebe und Verehrung äußerten sich Alle über den alten Prediger in Tind, seine Tochter und Enkelin, die sie herzlich zu bedauern schienen. In alle Unterredungen mischte sich Eistein; nur fiel es mir auf, daß er stillschwieg, als von dem Prediger und seiner Familie die Rede war. Kasper schien ganz stillschweigend dazusitzen. Endlich ward das Gespräch lebhafter, daß es schwer ward, den Gegenstand zu unterscheiden. Man lachte, scherzte, und einige junge Leute machten sich bereit, den Halling-Tanz aufzuführen.

Meine nothwendigste Arbeit war beendigt, ich sah ein, daß ich doch keine Ruhe finden würde, weiter zu arbeiten, und war begierig, den Tanz, der mir freilich nicht unbekannt war, in den Gebirgen selbst zu sehen.

Zwei junge, schlank gewachsene Burschen traten hervor. Die reinliche Tracht stand ihnen sehr gut, und sie schienen es zu wissen. Indem sie hervortraten, hoben und senkten sie die Schultern, gingen leise und nicht ohne Ziererei vor, mit Wohlgefallen die bunten Bänder, die von den Hüften an bis auf die Knöchel die Beinkleider schmückten, beschauend. Die Mädchen betrachteten sie mit behaglichem Lächeln. Ein Bauernbursche strich gewandt genug, wenn auch nicht sehr anmuthig, die Violine, und der Tanz fing an. Meine Gegenwart schien den Burschen angenehm.

Die Burschen machen's gut, sagte mein Nachbar; du hast gewiß noch keinen bessern Tanz gesehen.

Und, in der That, man mußte sie bewundern. Bald wendeten sie die Füße einwärts, auf die Spitzen tretend, und schnellten sich in dieser beschwerlichen Stellung in die Höhe, dann auswärts, und traten hart und fest auf die Fersen. Während dessen erhoben sie sich wechselnd und senkten sich wieder, die Kniee auswärts biegend. Der Körper war fortdauernd in den gewaltsamsten Stellungen, vorwärts, hinterwärts, nach den Seiten, in allen möglichen Richtungen gebogen; die Arme schwenkten sie über den Kopf, dann neigten sie sich nach einer Seite, so daß der Körper auf einem Beine und einem Arme ruhte; wieder eben so nach der andern Seite, ja zuweilen schlugen sie ein Rad, und bei den höchsten Sprüngen klatschten sie, ein lautes Jubelgeschrei erhebend, mit den Händen, als wollten sie triumphirend zeigen, wie wenig Anstrengung ihnen die gewaltsamsten Bewegungen kosteten. Man kann vielleicht behaupten, daß diese Sprünge, einzeln betrachtet, etwas Verzerrtes und Bizarres haben: allein man muß die unglaubliche Leichtigkeit selbst sehn, die auffallende Anmuth der Gestalten, die sich in den größten Anstrengungen erhält, um zu begreifen, wie ein solcher Tanz, wenn er immer lebhafter, immer wilder wird, und zuletzt sich einer jubelnden Furie der Begeisterung überläßt, den Zuschauer unwillkührlich in seine Lust hineinzieht.

Alles war von dem Tanze entzückt, auch ich verfolgte die Sprünge mit immer steigendem Wohlbehagen, und mußte mir gestehen, daß ich eine solche seltsame Verbindung der unglaublichsten Anstrengung mit leichter Zierlichkeit und Anmuth noch nie gesehen hatte; als Eistein auf ein Mal mit lauter Stimme »Halt!« rief. Die erschöpften Burschen standen plötzlich still, die Violine schwieg, und Alle sahen verwundert auf ihn.

Wo ist Kasper? rief er. Man sah sich um, und fand ihn nicht.

Ist sein Reisesack da? fragte er eilig. Auch der war verschwunden.

Ein plötzlicher Zorn ergriff Eistein. Ergrimmt ballte er die Faust, stampfte mit dem Fuße auf, und sah in diesem Augenblicke so furchtbar aus, daß ich es als ein Glück betrachtete, wenn man den Entflohenen nicht sogleich ergriffe. Mir schauderte, wenn ich mir die möglichen Folgen dieses unmäßigen Zornes dachte.

Auf, Burschen! wir müssen ihn greifen, müssen ihn herschleppen. Jetzt bin ich endlich gewiß, daß der Nichtswürdige die Unthat begangen hat. Daß ich ihn aus den Augen verlor, den Niederträchtigen! Ich Thor, ich Thor, rief er, und schlug sich vor die Stirn mit der geballten Faust. Hinaus! rief er dann noch einmal.

Es war spät, nicht weit von Mitternacht; aber die helle Sommernacht in diesen nördlichen Gegenden erlaubte uns, die Gegend noch in ziemlicher Ferne zu überschauen. Alle stürmten zur Stube hinaus.

Eben war Eistein im Begriff, die Richtungen zu bestimmen, in welchen man den Entflohenen verfolgen müsse, als ich auf dem Gipfel eines Berges eine Gestalt wie einen Schatten sich bewegen sah, die sich eilig einem Walde zu nähern schien. Ich zeigte sie Eistein.

Da ist er, rief dieser. Geh du rechts in den Grund hinein, Biörge, und nimm ein Paar Burschen mit. Er könnte die steile Wand rechts hinunterklettern, obgleich das kein Kinderspiel ist. Ich will hier links die Schlucht hinauf steigen. Wir treffen da auf den einzigen Fußsteig, der hinunterführt. Folgt ihr dem Thorwald, sagte er zu ein Paar Burschen. Ihr Andern vertheilt euch in der Ferne nach allen Richtungen. Er darf uns nicht entschlüpfen. Und bindet ihn nur, wenn er sich sperrt. Ihr habt doch Stricke bei der Hand? Ich will Alles vertreten.

In einem Augenblicke waren Alle verschwunden. Man hörte, wie sie sich in den Wäldern, zwischen den fernen Felsen zuriefen, und ich sah die kecken Burschen, die mir eben nach dem anstrengenden Tanze so erschöpft schienen, mit der größten Eile und Leichtigkeit die schroffen Felsen hinanklettern. Ich war mit einigen älteren Frauen zurückgeblieben. Denn auch die Mädchen scheuten sich nicht, den Burschen bei der Verfolgung beizustehen.

Wer ist dieser Eistein? fragte ich die Wirthin.

Ich dachte, ihr kenntet ihn schon, antwortete die Frau. Ei das ist ein gar mächtiger Mann in hiesiger Gegend. –

Ist er Lehnsmann, liebe Frau, oder gehört er sonst zur Obrigkeit? –

Ach nein, antwortete sie, er ist nur ein Bauer; aber gar mächtig an Speise und Trank, an Kleidern und Vieh. Ihr findet sechs blanke Kupferkessel über seiner Thüre, und wir danken Gott, daß wir drei haben.

Sie betrachtete dabei die blinkenden Kessel über der eigenen mit sichtbarem Wohlbehagen.

Ja, Gott hat uns gesegnet reichlich in diesem Lande. Aber Eisteins Stolpebod Hölzerne Vorrathskammern, die, für sich in der Nähe der Wohnung gebaut, auf senkrechten Balken, wie auf Säulen, schwebend ruhen. solltest du sehen. Ei, du lieber Gott, was ist da für eine Fülle von Allem, Milch und Butter und Gerstenbrod (Fladbröd), und getrocknetes Fleisch und Würste; Alles so voll, daß man sich kaum rühren kann. Und dann die Menge von Kleidern und Pelzwerk, und Sättel und Zeug, Alles vom Besten. Und dann ist er auch der klügste Mann in der ganzen Gegend, und der Prediger und der Sorenskriver halten gar viel auf ihn, so daß er ihnen rathen und helfen muß bei Allem. Die Einheimischen stehlen freilich nicht: aber vor einigen Jahren waren doch ein Paar schlechte Burschen, die hatten lange bei den Regimentern in Kopenhagen gedient. Sie machten uns die Schande, hier zu stehlen. Aber was geschah? Eistein wußte genau, wo das Gestohlene verborgen war und wer es gestohlen. Wie er es erfahren hatte, weiß keiner. Seit der Zeit ist nie etwas auf viele Meilen herum weggekommen. Auch die Fremden fürchten den Eistein. Man sagt, er weiß, was die Menschen denken. Auch ist er der stärkste Mann weit umher. In seinen jüngeren Jahren ward er oft herausgefordert, sich mit den stärksten Leuten aus Rumedalen zu balgen, und er schlug sie alle. Wenn er jetzt zuweilen so herausgefordert wird, dann lacht er nur, und meint, das würde sich schlecht für ihn schicken, sich in seinem männlichen Alter mit den Burschen herum zu balgen. Und er ist bei Alle dem eine treue Seele, und so gut, wie der Tag lang ist, jetzt nämlich zur Sommerszeit, und daher liebt ihn alles Volk, alt und jung, reich und arm, und Alle thun, was er will, daß man ihn wahrlich den Herrn nennen kann in dieser Gegend. Und was er für den armen Prediger und seine Enkelin – die ein Engel ist – Alles thut. Die sind immer zusammen, und er scheint nur für sie zu leben.

Wie ist das, fragte ich wieder, mit dem Prediger und seiner Familie; es hat ihn wohl ein Unglück getroffen?

Ach, das ist, fuhr die Frau fort, eine sehr betrübte Geschichte, die du am Besten von Eistein selbst erfahren magst. Wir wissen nur, daß die Tochter des Predigers einen Herrn heirathete, der von einer gar vornehmen Familie seyn sollte. Das ist nun wohl siebzehn Jahre her. Sie lebten sehr gut zusammen, und liebten einander herzlich, und hatten eine Tochter, ein herziges, liebes Kind. Vor zwei Jahren verschwand der Mann plötzlich, und keiner hat seit der Zeit etwas von ihm gehört; im vorigen Jahre aber kam ein anderer Herr hier an, der ein Verwandter von dem Verschwundenen seyn soll, und ihm folgte der Kasper, der jetzt davon lief. Die arme Frau ist, seit ihr Mann fort, ganz trübsinnig, und seit der Verwandte da war, hat das noch zugenommen, so daß die liebe Tochter und der alte Großvater recht traurige Tage haben. Sieh, das ist Alles, was wir wissen. Ob du etwas Näheres von Eistein erfahren wirst, kann ich dir nicht sagen. Er vermeidet es stets, das Gespräch auf diese Sachen zu bringen, und wenn Andere davon reden, so schweigt er.

Weißt du nicht, liebe Mutter, was der Kasper begangen?

Gar nichts weiß ich, und die Andern, die ihn nun verfolgen, eben so wenig. Er ist seit der Zeit, daß er dem Verwandten von dem Schwiegersohne des Predigers hierher folgte, nicht hier gewesen, damals mochten ihn die Burschen hier nicht leiden; aber Eistein muß wohl wissen, was er verbrochen hat; und wenn er sagt, daß man ihm folgen soll, so thun sie es ohne Bedenken.

Ich war freilich sehr müde; da ich aber den Ausgang der Verfolgung zu erfahren begierig war, und jeden Augenblick erwarten konnte, daß der ganze Haufe lärmend wiederkehren würde, entschloß ich mich, während der nächtlichen Dämmerung die Berge in der Nähe zu besteigen. Die hellen Sommernächte im Norden haben einen seltsamen, höchst eigenthümlichen Zauber. Zwar sind die tiefen Thäler im Ganzen finsterer: aber je höher man steigt, je mehr der Horizont sich erweitert, desto heller wird es. Um Mitternacht, wenn in den gebirgigen Gegenden die Abendröthe gegen Westen noch sichtbar ist, während die Morgenröthe schon anfängt, einen hellen Schein von Osten her zu verbreiten, lagert sich eine seltsame gelblichgraue Dämmerung auf die ganze Gegend, die keineswegs mit dem Mondlichte verglichen werden kann. Alles ist in gleiche Dämmerung verhüllt, von einem gleichen halben Lichte beleuchtet, kein Schatten ist sichtbar. In diesem schattenlosen Dämmerscheine herrscht die feierlichste Stille. Die Häuser stehen klar, in jedem Theile zu übersehen, vor Augen; aber keine Bewegung ist zu spüren. Die Hunde bellen nicht, die Vögel ruhen, alle Thiere, wie die Menschen, schlafen, nur das stets bewegliche Wasser strömt rieselnd die Berge hinunter, und das Rauschen der Bäume säuselt fortdauernd in die erhabene Stille hinein. Ich verlor mich ganz in der Betrachtung der rauhen Gegend, wo die Felsen und dunkeln Tannen mir von allen Seiten entgegenstarrten. Ich weiß selbst nicht, wie ich auf einen hohen Berg gerathen war, als ich – die Morgenröthe zeigte sich deutlicher, und eine Stunde mußte ich wohl auf den Bergen herumirrend zugebracht haben – an eine wilde Schlucht kam. Der Berg, auf dem ich stand, stürzte sich plötzlich schroff und zackig hinunter, und in der Tiefe des Abgrundes herrschte die finsterste Nacht. Ein wunderbarer Gegensatz gegen die Helligkeit des Morgens, die von Osten her mir immer klarer entgegenstrahlte. Ich war nicht wenig überrascht, als ich unten in dem Grunde ein wandelndes Licht wahrnahm, welches von der einen Seite her sich der Gegend unter meinen Füßen immer mehr zu nähern schien. Vorsichtig legte ich mich an den Rand nieder, beugte das Gesicht über diesen, und schaute, horchend und gespannt, in die wilde Finsterniß hinein. Ich sah zwei Personen, und glaubte Eistein mit Kasper in einem eifrigen Gespräche wahrzunehmen. Nur wunderte es mich, nach dem, was ich früher gesehn, sie, wenn auch heftig redend, doch ruhig neben einander gehend zu bemerken. Als sie dicht unter mir ankamen, konnte ich nicht länger zweifeln. Ich erkannte Eisteins und Kaspers Stimmen ganz deutlich, und sah, wie sie immer tiefer in die Schlucht hineingingen. In einiger Entfernung schienen sie eine Zeit lang stille zu stehn. Das Licht bewegte sich in einer Richtung und ward dann ausgelöscht, und mit steigender Verwunderung erblickte ich Eistein allein den Berg erkletternd, auf welchem ich mich eben befand. Ich eilte ihm entgegen. Er kam mir tief bewegt, ja erschüttert vor.

 

– Ich sprach den boshaften Menschen, und mußte ihn gehen lassen; ja ich muß nun eben so sorgfältig verhindern, daß die Burschen ihn ergreifen, wie ich es vorhin zu befördern suchte, sprach er, und rief daher mit einer mächtigen Stimme nach den verschiedenen Richtungen hin, daß es in allen Thälern und Schluchten wiederhallte; und nun hörte man, bald hier, bald dort, die einzelnen Stimmen der vertheilten Bauern, die die seinige zu kennen schienen. Sie näherten sich von allen Seiten immer mehr und mehr, und in kürzerer Zeit, als ich vermuthen konnte, waren die meisten beisammen. Einige fehlten noch, und unruhig auf und abgehend schien Eistein diese noch zu erwarten, während er sein Karriol Zweirädrige, oft recht zierliche Wagen, die von einem Pferde gezogen werden. herbeischob, sein Pferd aus dem Stalle zog, und Alles zur Abreise fertig machte. Endlich waren auch die letzten zurückgekommen. Er redete sie Alle an.

Ich habe den Kasper gesprochen, sagte er. Alle erstaunten. Die Sache verhält sich anders, als ich glaubte. Keiner darf ihm etwas in den Weg legen; aber ich werde euch herzlich danken, wenn ihr auf ihn Acht gebt, und mir die Nachricht bringen wollt, wenn er sich irgendwo lange aufhält. Zwar versprachen Alle, ihm zu gehorchen, doch waren sie augenscheinlich verwundert. Eistein schien nichts, was um ihn vorging, zu bemerken. Aus seinen Gesichtszügen sprach die tiefste Erschütterung, und nur mühsam konnte er die Thränen zurückdrängen.

Lieber Bull! du würdest dann erst den echten norwegischen Bauer schätzen lernen, wenn du den gewaltigen stillschweigenden Schmerz, der auf seinem starken Herzen lastet, wenn Treue, Hingebung und Liebe in ihm mächtig geworden sind, kennen lerntest.

Eistein kam auf mich zu. Ich muß eiligst den Prediger besuchen, dich erwarte ich in meinem Hause, wo du Alles zu deinem Empfange bereit finden wirst, sagte er, bestieg seinen Wagen, und fuhr schnell weiter.

Also kann der kluge Eistein sich doch auch irren, riefen, als er weg war, einige Burschen. Ja, ja, wir Uebrigen sind nur einfältige Leute, aber der Kasper ist ihm zu schlau.

Was ihr schwatzet, sagte ein Anderer; Eistein weiß schon, was er thut, und der Kasper wird ihn nicht betrügen.

Weiß, was er thut? Nun, dießmal hat er es doch eben nicht gezeigt, sollte ich meinen. Fesselt ihn nur – ich will es vertreten. Sagte er nicht so? Wenn wir ihn gefunden und gefesselt hätten – Will er etwa Beides vertreten, daß wir ihn fesseln und er ihn selbst losläßt?

Freilich wird er das, sagte ein junger Bursche, und mehr dazu.

Die meisten schienen zweifelhaft, was sie glauben sollten. Offenbar übte das Geheimnißvolle, was über dem ganzen Ereignisse schwebte, eine große Gewalt über sie aus.

So aufgeregt ich auch war, behauptete dennoch die Natur ihr Recht. Ich schlief ein, und erwachte erst spät am andern Tage. Zwei Tage mußte ich in Geschäften zubringen, und so sehr nahmen mich diese in Anspruch, daß selbst die schöne Gegend, eingeschlossen von mächtigen Felsen, mir nur wie im Fluge erschien. Am dritten Tage konnte ich nun endlich Eistein aufsuchen. Die Reise ging auf dem Tindsee, einem schmalen, von schroffen Felsen dicht umringten Gebirgswasser. Eine Menge kleiner Flüsse stürzen sich von beiden Seiten lothrecht in den See, und erscheinen zum Theil, ehe sie die Wasserfläche erreichen, in Staub aufgelöst, wie weiße, herabhangende Faden. Selten eröffnet sich eine, dennoch immer beschränkte Aussicht, und es war mir seltsam zu Muthe, als ich durch die düstere Pforte der Gegend zueilte, die mir über Ereignisse, welche mir so wichtig geworden waren, Aufschlüsse versprach.

Es war in einer hellen Sommernacht, als ich hier ruderte, und die Stille um mich her, nur von den Ruderschlägen und den muntern Gesprächen der Bauern um mich unterbrochen, war mir höchst angenehm. Wir kamen kurz nach Sonnenaufgang nach einem sehr anmuthigen Thale – Westfiordthal. Grüne, liebliche Wiesen bilden den Grund, düstere Wälder reichen bis an die Spitze der Berge. Gegen Süden thürmten sich die wilden Gebirge immer mächtiger. Es sind die Kniee des gewaltigen Gousta, die den höchsten, streifenweise mit Schnee bedeckten Gipfel verbergen. Von diesen Bergen, aus engen Schluchten, stürzt sich wild rauschend ein reißender Fluß – und läuft über den rauhen, felsigen Boden schäumend durch das Thal. Mehrere Häuser, die zerstreut herumlagen, Getreidefelder, die sorgfältig bearbeitet waren, zeugten in diesen entlegenen Gegenden von Wohlstand. Unter den Häusern zeichnete sich eines durch Größe, heitern, reinlichen Anstrich und spiegelhelle Fenster aus. Fruchtbäume standen in der Nähe, ein kleiner Garten prangte mit Blumen und Küchenkräutern. Es war Eisteins Wohnung. Indem ich mich ihr näherte, sah ich von einem jäh herablaufenden Berge ein zierliches Kariol herunter rollen, und erstaunte, als ich eine sehr nett gekleidete junge Dame, die Federn an dem Hute in der Luft wehend, allein den Zügel führend, den Wagen lenken sah. Ich blieb vor dem Hause stehen, um ihn, da er noch bei dem Hause vorbeifahren mußte, zu erwarten. Eine höchst liebliche jugendliche Gestalt saß, freundlich lächelnd, in dem Wagen, die, als ich sie begrüßte, den Gruß mit vieler Anmuth und Schüchternheit erwiederte; dann aber nickte sie vertraulich offenbar jemandem zu, der hinter mir stehen mußte. Es war Eisteins Frau, die, von mir unbemerkt, herausgekommen war. Sie warf der schönen, schnell vorübereilenden Gestalt die zärtlichsten Blicke zu. Der Wagen war bald aus unseren Augen verschwunden, und ich wandte mich an die Frau. Sie war über die erste Jugend hinaus. Ohne schön zu seyn, hatte sie etwas sehr Einnehmendes, und die hellen, blauen Augen lächelten mir freundlich entgegen. Dabei schien sie, bei einiger Schüchternheit, doch etwas sehr Bestimmtes und Rühriges zu haben, so daß ich sehr bald in ihr die tüchtige Hausmutter wahrnahm.

Willkommen, sagte sie, mein Mann ist nicht da, aber ich erwarte ihn jeden Augenblick. Für dich ist Alles bereitet; denn du bist doch der Steenersen, Vater?

Ja, der bin ich, liebe Frau, antwortete ich, und ging mit wahrem Wohlbehagen in die reinliche Stube hinein. Kaum war ich eingetreten, als Eistein mit Brecheisen und Axt ankam. Er schüttelte mir die Hand.

So früh seyd ihr schon bei der Arbeit, Eistein? sagte ich.

Ja, denkt euch nur; ich habe die Aufsicht auf die Wege hier. Einen Weg, 20 Ellen lang, soll man eine Elle tiefer graben; aber außer einer Menge kleiner Steine liegen da zwei mächtige Felsblöcke, die keine menschliche Gewalt bewegen kann. Sie müssen gesprengt werden. Ich verdung die Arbeit an zwei Bauern, und sie behaupteten, sie könnten in weniger als zwei Tagen nicht fertig werden. Ich wandte mich nun an zwei der stärksten Kerle in dieser ganzen Gegend; aber auch die forderten eine eben so lange Zeit. Es ist eine Schande, sage ich dir. In meiner Jugend suchten wir jungen Burschen etwas darin, was uns aufgetragen war, schnell zu fördern, wenn es auch Tagelohn galt, so daß der Faule mehr verdiente, als der Fleißige; denn die Ehre ist dem Norweger wichtiger, als das Geld. Jetzt leider! brauchen sie mehr; sie vertrinken es in den Gasthäusern. Wenn der fatale Branntwein nur nie in unsere Gegend gekommen wäre; der verderbt uns Alle – Mutter, du hast doch einen Schluck? sagte er darauf, und leerte das Glas mit vielem Wohlbehagen. Ich lächelte. Ja, sprach er, du mußt wohl lachen, ich bin vielleicht nicht besser, als die Andern; aber habe ich deswegen weniger Recht? Nun, es mag wohl anderwärts doch noch ärger seyn, als hier. Nun weiter – ich wollte den Burschen zeigen, daß die Arbeit, für welche zwei Kerle zwei Tage forderten, nicht mehr wäre, als was ein Mann in einem Tage ausrichten könnte. Und als die faulen Burschen gestern Abend die Arbeit verließen, nahm ich Brecheisen und Axt, ging hin, brannte und sprengte die Steinblöcke, warf die Stücke die Gebirgswand hinunter, grub die zwanzig Ellen Weges eine Elle tiefer, und war fertig, als die Sonne aufging. Ja, in der Nacht arbeitet sich's trefflich in dieser Jahreszeit.

Er erzählte diese Geschichte mit augenscheinlicher Selbstzufriedenheit. Dann sah er sich um, wiegte seinen Knaben, hob ihn heraus, trug ihn liebkosend in der Stube herum, brachte getrocknetes Fleisch zum Frühstücke, briet und kochte, reinigte Tassen und Teller, und deckte den Tisch, indem er mich gutmüthig nöthigte. Für mich hatte er eine sehr freundliche Stube zurechtgemacht, und den ganzen Tag über arbeitete er, trotz der nächtlichen Anstrengung munter und unverdrossen, wie die Uebrigen. Während der Zeit saß die Frau stillschweigend und emsig am Webstuhle.

Ich bin etwas ausführlich gewesen in der Erzählung dieser ersten Ereignisse, die mir noch so lebhaft vorschweben. Ich will dir jetzt nur noch sagen, was du selbst schon vermuthen mußt, daß die junge Dame die Enkelin des Predigers war. Als ich meine Verwunderung über eine so frühe Spazierfahrt eines jungen Mädchens ohne alle Begleitung äußerte, lachte Eistein.

Wäre ich nicht in Kopenhagen gewesen, antwortete er, ich würde dich kaum verstehn. Es giebt hier unter uns norwegischen Bauern so wenig männliche Raubthiere, wie Haifische oder Krokodile in dem Tindsee. Auch war sie ja nicht ohne Begleitung.

Ich war zu sehr in ihren Anblick versunken gewesen, um einen Burschen, der hinten auf dem Wagen saß, gewahr zu werden.

Die gute Luise, sagte die Frau, bringt oft die Abende und Nächte bei einer Freundin zu, und eilt dann mit Sonnenaufgang zu ihrer kranken Mutter zurück. Aber in unserem Hause ist sie noch öfter. Sie lächelte dabei sehr zufrieden.

Ein Thing war den Tag darauf bei der Kirche in Tind versammelt, und ich erwartete dort, der Verabredung gemäß, den Amtmann, den Sorenskriver (die Gerichtsperson des Distrikts) und mehre Lehnsmänner. Früh Morgens fuhren wir hin. Einzelne Häuser, die Wohnung des Predigers, lagen hier, am Ufer des Tindsees, in der Nähe der einfachen Kirche, von Wiesen, Aeckern, Bergen und Wäldern umgeben. Die Morgensonne erleuchtete die hellen Wände eines reinlichen Hauses, und spiegelte sich brennend auf den Fensterscheiben ab. Einzelne Boote bewegten sich eilig über den See, Alles eilte jenem Gebäude zu, um welches eine Menge Bauern versammelt waren. Als wir hineintraten, waren Wirthin, Mägde, Hausknechte in voller Arbeit. In der Küche brannte auf dem Heerde ein mächtiges Feuer, und wir sahen die geschäftige Wirthin mit großem Eifer sich zu dem Empfange so vieler vornehmen Gäste vorbereiten.

Du kannst hier hineinsteigen, Vater, rief sie, als ich ankam, und öffnete die Thüre zu einer netten Stube; früh bist du gekommen, Vater, und hier ist noch Alles in Ordnung. Oude, trag die Papiere für den Herrn hinein. Guten Morgen, Eistein, wie geht es! Erich, besorg die Pferde; – was stehst du da? flink, eilig, hier darf keiner ruhen. – Trag den Thee hinein, Maren – Da läuft die Milch über, rief sie, und lief fort.

Die Bauern hatten die Hüte abgenommen, und bildeten eine Reihe, die uns umgab. Mehre kannte ich schon, diese reichten mir freundlich die Hand. Wer nicht in den innern fruchtbaren Gebirgsthälern Norwegens war, kann sich von der gutherzigen Freimüthigkeit der Einwohner keinen Begriff machen; Freiherrn sind sie, im edelsten Sinn, unabhängig, reichlich versorgt mit Allem, was das einfache Leben fordert, kühn durch eine gewaltige Statur, die sie umgiebt und die fortdauernd zu einem bedeutenden Kampfe aufregt, nur Gott, dem Könige und dem Gesetze unterworfen. Dennoch nie übermüthig; du findest nie unter ihnen die Spuren der Frechheit freigelassener Sklaven, die sich für den Druck vergangener Knechtschaft entschädigen wollen. Jeder echte norwegische Bauer ist ein wahres Heldenkind, zuversichtlich und anspruchslos, und die freiwillige Huldigung gegen höhere Bildung, die wahre Demuth und treuherzige Unterwerfung hat etwas Rührendes, Treffliches, durchaus nicht Knechtisches. Wer sie mißbrauchen will, mag sich hüten. Sein Uebermuth wird nie anerkannt, seine Anmaßung findet kein drückendes Gesetz, das ihr zur Stütze diente, und die derbe Natur weist ihn schnell sicher und auf eine demüthigende Weise in seine Schranken zurück.

Während ich mit Eistein den Thee trank, sahen wir zum Fenster hinaus, wie die Anzahl der Bauern sich vermehrte. Die kleinen Kariole rollten von den Bergen herunter, die Boote wurden an dem Ufer festgemacht, Männer und Frauen traten heraus und begrüßten sich, freundliches Bewillkommen hörte man von allen Seiten; Einzelne bildeten Gruppen, die sich unterhielten.

Indem ich diese Menge fröhlicher Menschen, von der Morgensonne in der heitern Gegend beleuchtet, mit Wohlbehagen sich bewegen sah, erblickte ich auf einem nahen Berge ein Kariol, das in ungewöhnlicher Eile herabrollte. Bald hielt es vor dem Hause still, das schnaufende Pferd war mit Schaum bedeckt, die Bauern sammelten sich neugierig um den Wagen, und ein junger, elegant angezogener Mensch stieg schnell heraus. Er schien mir bekannt, und als ich ihn genauer betrachtete, erkannte ich Franz Ulf, – den du ja auch wohl kennst, lieber Bull, nicht wenig erstaunt, ihn hier zu treffen. Ich ging ihm entgegen; und als er mich gesehen und erkannt hatte, eilte er mit großer Hast auf mich zu.

Gottlob, daß ich einen Bekannten treffe, sagte er, indem er sich ängstlich umsah.

Ich richtete meine Augen aufmerksamer auf ihn. Ein großes Schrecken sprach aus seinen Zügen, der Angstschweiß stand auf seiner Stirne, und die Augen rollten ihm wild im Kopf.

Was, um Gottes Willen, hat Sie so bestürzt gemacht? fragte ich.

Er sah mich an, blickte um sich, und schien sich zu besinnen. Endlich, nachdem er tief Athem geholt hatte, faßte er sich. –

Ich bin ja der Gefahr entronnen, sagte er; – ich habe eine gräßliche Nacht verlebt.

Was kann Ihnen denn in dieser ruhigen Gegend so Gefährliches begegnet seyn? fragte ich weiter.

Er ging mit mir in die Stube hinein; ich konnte es nicht verhindern, daß mehre Bauern sich mit hinein drängten, die, durch seine Ausrufungen aufmerksam geworden, begierig waren, das nächtliche Abenteuer des jungen Mannes zu erfahren. Da ihre Gegenwart Ulf gleichgiltig zu seyn schien, suchte ich sie um so weniger zu vermeiden. Er warf sich in einen Stuhl, ich reichte ihm Thee und Rum, er suchte sich noch mehr zu fassen, und begann endlich –

Ich war in Oesterriessör von Dänemark angekommen, und nachdem ich dort einige Handelsgeschäfte beendigt hatte, wünschte ich das nördliche Gebirge zu besuchen. Ein Handelsfreund hatte mir so Vieles von dem großen Gousta, von dem mächtigen Wasserfalle erzählt, daß ich der Lust, hierher zu reisen, nicht widerstehen konnte. Da ich von da nach Christiania gehen wollte, führte ich eine bedeutende Geldsumme bei mir, und der Kaufmann versicherte, daß ich sie ohne Bedenken mitnehmen könnte. Die Reise war höchst beschwerlich, mühsamer, ja oft gefährlicher, als ich sie mir gedacht hatte. Gestern Abend überredete mich der Bauer, der mich begleitete, spät noch weiter zu fahren, weil das Wetter so schön und die Nacht so heiter sey. Ich willigte ungern ein. Ich mußte mich diesem Menschen, den ich nicht kannte, anvertrauen, während wir in der stillen Nacht durch das öde, wilde Gebirge fuhren.

Ein leises Gemurmel ließ sich unter den Bauern hören; doch unterbrachen sie ihn nicht.

– Nach Mitternacht hielt der Wagen vor einem ganz einsam liegenden Bauerhause. Es mußte mir auffallen, daß der Bauer und einige Knechte noch wach waren. Wenn der Mensch, der dich hergeführt hat, mit diesem einverstanden dich berauben wollte, wenn du dich hier in diesen wilden Gegenden hilflos preisgegeben hättest – dachte ich; aber ich faßte mich –

Das Gemurmel nahm zu. Ulf stutzte.

Erzähl' nur weiter, sagte ein Bauer, unruhig gespannt. Ulf blickte ängstlich um sich, und schien sich zu besinnen.

Was Ihnen auch begegnet seyn mag, redete ich ihn an, Sie können es in meiner und dieser Männer Gegenwart getrost erzählen.

Nun, wohl. – Ich war, einer solchen Anstrengung ungewohnt, höchst ermüdet, und fragte nach einem Nachtlager. Ein großer, starker Mann mit harten, strengen Gesichtszügen, und mit einer Flinte bewaffnet, der Wirth, wie es schien, trat hervor und sagte kurz: Du bist willkommen; Platz und ein bequemes Ruhebette für dich werden wir wohl finden. Er winkte mir, daß ich ihm folgen sollte, und führte mich nach einem Gebäude, welches, abgetrennt von dem eigentlichen Wohnhause, eine Art Flügel bildete, öffnete eine Thüre, die nach dem Felde hinausging, und ohne irgend einen Vorhof nach einer recht saubern Stube führte. Hier setzte er ein Licht hin, zeigte mir ein reinliches Bette, und als ich auf seine Frage, ob ich vor dem Schlafengehn etwas genießen wolle, dies verneinte, bot er mir gute Nacht und verließ mich. Ich konnte nicht unterlassen, die Stube genauer zu betrachten. Zwei niedrige Fenster sahen nach einer kahlen Gebirgswand hinaus, die sich dicht hinter dem Gebäude steil und dunkel erhob, ein anderes, eben so niedriges Fenster nach dem Felde. Die Thüre war nur mit einer losen Klinke zugemacht, und obgleich ich sie mit einem Bindfaden von innen befestigte, war es doch klar, daß die geringste Gewalt von außen sie eröffnen könnte. Eine zweite Thüre, eben so wenig verschlossen, führte nach einem dunklen Schuppen, in welchem Wagen standen und allerlei Gebälk lag, und dieser war, ihr gerade gegenüber, offen. Also nirgends Sicherheit.

Ich war zwar völlig erschöpft, und warf mich, angezogen wie ich war, auf das Bette; aber die Angst hielt mich lange wach. Alles um mich herum war still, nichts rührte sich, und schon fing ich, trotz meiner innern Unruhe, an einzuschlafen, als ich dicht neben mir ein Flüstern vernahm. Aber ich sah keinen Menschen, obgleich die Nacht sehr hell war. Mein Bette stand nah an einem Fenster. Ich vermuthete, daß Menschen dicht an dem Fenster seyn müßten, und daß die dünne bretterne Wand das Flüstern auch in der Stube so deutlich hören ließe. Ich schlich sacht aus dem Bette, sah vorsichtig aus dem Fenster hinaus, und erblickte mit Schrecken zwei Männer mit Flinten bewaffnet. Der Athem stockte mir, ich glaubte schon zu merken, wie sie sich dem Fenster näherten, und horchte mit Todesangst auf ihre Gespräche.

Der Ulf soll uns diesmal nicht entgehn, sagte der eine. Geh du links um das Gebäude herum, ich bleibe hier stehen. Schade nur, wenn der Herr erwacht; aber ich kann ihm nicht helfen; diese Gelegenheit kommt so leicht nicht wieder.

Also sie kannten mich, diese entsetzlichen Räuber, sie hatten ohne allen Zweifel erfahren, daß ich bedeutende Summen bei mir führe, sie hatten mir schon früher aufgelauert, und jetzt, das sah ich wohl, war ich rettungslos verloren. Ich weiß kaum, was ich that. Ein Schrei des Entsetzens entfuhr mir unwillkührlich, und ich sah, wie die Männer verschwanden, und bald durch die Thüre auf der entgegengesetzten Seite in die Stube zu kommen suchten. Sie fanden sie verschlossen, und riefen: was fehlt dir, warum schreist du? Mit einem Stoße standen sie in der Stube, und wiederholten die Frage. Ich faßte mich, wie ich konnte, ja, einen Augenblick glaubte ich, daß ich den Leuten doch wohl Unrecht thäte.

Ich hatte einen furchtbaren Traum, antwortete ich, die Ruhe ist hin, ich kann nicht schlafen, und wünsche sogleich weiter zu fahren.

Wie du willst, erwiederte der eine, den ich für den Wirth erkannte, und befahl, eilig vorzuspannen.

Wie hastig stürzte ich auf den Wagen zu, hineinzusteigen. Ich wartete nicht einmal, bis der Bauer, der mich begleiten sollte, ihn bestieg, ließ vielmehr das Pferd, so schnell es laufen konnte, davon eilen. Der Begleiter lief neben dem Wagen. Der Wagen ging bald darauf bergan, und der Begleiter dicht neben mir. Kaum hatte er die Höhe des Berges erreicht, so sah ich einen Bauer zu Pferde hinter mir herjagen; er rief mir zu – ich sah vor mir eine lange Gebirgsebene – kein Haus, kein Mensch, und der Räuber hinter mir. Ich trieb das Pferd, immer schneller, immer schleuniger über Steine und Löcher; der Wagen flog in die Höhe, die Räder hoben sich, das Pferd flog schnaubend, von mir getrieben, in rasendem Jagen. So ging es in die Thäler hinein, über Berge fort – bis diesen Augenblick, gewiß vier bis fünf Stunden. In den ersten hörte ich immer das Geschrei, und wenn ich mich umsah, ritt der Räuber in vollem Galopp hinter mir her. Zuletzt schien er zwar zurückzubleiben, aber die Angst ließ mir keine Ruhe, bis ich hierher kam.

Die Bauern schüttelten ungläubig den Kopf.

Die Furcht hat dich irre geführt, junger Mann, sagte Eistein; in unsern norwegischen Gebirgen hausen keine Räuber; aber dennoch ist die Geschichte seltsam genug.

Wer die Erzählung in der Nähe gehört hatte, schien mehr erstaunt als überzeugt. Das Schrecken, welches sich noch immer in dem Gesichte des Reisenden zeigte, die Angst, mit welcher er angekommen war, sprachen deutlich für die Wahrhaftigkeit seiner Erzählung; und dennoch vermochte keiner zu begreifen, wie ein norwegischer Bauer, der Besitzer eines ansehnlichen Gehöftes, ein Räuber seyn könnte. Aber die Geschichte theilte sich schnell mit; Alle hatten gesehn, wie der Fremde, als drohte ihm eine gefährliche Verfolgung, von Entsetzen ergriffen, herbeigestürzt war. Das Neue, Seltsame, Fürchterliche findet leicht Eingang, und von Munde zu Munde ging nun die Nachricht: es seyen Räuber in dem Gebirge, ein vornehmer junger Herr sey, völlig ausgeplündert, dem Tode kaum entronnen. Eine große Unruhe entstand unter dem Haufen; die Frauen waren erschrocken, die Männer sprachen von den nöthigen Anstalten, die Räuber zu ergreifen. Aus dem offnen Fenster bemerkte ich, wie diese Neuigkeit sich erst allmählig verbreitete, dann immer größere und größere Haufen in Bewegung setzte, endlich eine tumultuarische Unruhe unter Allen erzeugte.

Plötzlich entstand eine Stille. Man wich zurück, und ich sah einen ehrwürdigen Greis, von einer höchst anmuthigen, jugendlichen, schlanken weiblichen Gestalt begleitet, langsam auf das Haus zugehen. Er trat unter die Bauern. Die Frauen drängten sich heran, die Männer blieben mit unbedecktem Kopfe stehn. Beide grüßten freundlich nach allen Seiten und fragten, was hier eine so augenscheinliche Unruhe hervorbrächte. Alle wollten zugleich erzählen, und man hörte nur ein verworrenes Gerede, von mörderischen Anfällen, Räubern, Plünderung, welches den Greis in Erstaunen, seine Enkelin in Schrecken zu setzen schien. Er kam zu uns herein.

Etwa sechzig Jahr alt, hatte er eine imponirende Gestalt, die Gesichtszüge scharf, das Auge tief. Er sah einem im edelsten Sinne vornehmen, bedeutenden Staatsmanne ähnlicher, als einem Landprediger. Die allgemeine Achtung, die er genoß, sprach sich deutlich in dem Benehmen der Bauern aus. Seine Enkelin war wohl kaum sechzehn Jahr. Ich gestehe es, nie sah ich eine vollendetere Schönheit. Die rothen, lieblich geformten Lippen unbeschreiblich fein geschlossen, alle spielenden Züge fanden hier einen Vereinigungspunkt, wie in einer unendlich reichen, stummen Sprache der Anmuth, der Unschuld, des geistreichen Scherzes. Der stolze, schneeweiße Hals trug den lieblichen Kopf mit reizender Leichtigkeit, die schlanke Gestalt war einfach durch ein weißes Kleid geschmückt, durch keine künstliche Tracht entstellt. Die glänzenden braunen Haare hingen in freien Locken über den Rücken und die Schultern, und erhöhten das glänzende Weiß und das zarte Roth der Wangen. Als sie, die langen Augenwimpern aufschlagend, mich mit den lebhaften, großen, schwermüthigen, braunen Augen ansah, erschrak ich fast; man sah durch die Augen tief in die Seele hinein. Sie verbargen nichts, aber es war dennoch, als schaute man in einen unermeßlichen Abgrund von kindlicher Unschuld, von Heiterkeit und Trübsinn, von keimenden Gefühlen, die sich selbst noch nicht kennen, und klarem Verstande, der alles durchblickt. Niemals werde ich es vergessen, wie das liebliche Kind, unter der Menge von Bauern, mit aller bewußtlosen Anmuth der Jugend und Schönheit vor mir stand. Auch hefteten sich alle Augen auf sie, jeder, jung und alt, drängte sich hervor, sie zu sehen, und keiner wandte die Augen von ihr. Viele kannten und grüßten sie, und reichten hier und da und dort die Hände.

 

Guten Morgen, Vater Aamod! Guten Morgen, Luise! sagte Eistein, und schüttelte ihnen die Hände. Der hier ist Herr Steenersen.

Ich grüßte beide. Die Wirthin drängte sich mit Gewalt durch den Haufen.

Ich muß doch Vater Aamod und meine liebe Luise grüßen, rief sie; der Thee wird bald erscheinen – und so verschwand sie, wie sie kam.

Ulf mußte dem Prediger sein nächtliches Abenteuer vortragen, auch ihm dünkte die Geschichte, wie sie erzählt wurde, unbegreiflich. Indessen ritt ein Bauer, der einen schweren Kasten vor sich hatte, gemächlich vorbei.

Guten Morgen, Torsten, riefen ihm die andern entgegen, welch eine schwere Last schleppst du da mit dir?

Ist hier nicht ein junger geputzter Mann angekommen? fragte Torsten.

Ja freilich, er ist diese Nacht unter den Räubern gewesen, und kann Gott danken, daß er mit dem Leben davon kam.

Albernes Geschwätz, antwortete der Bauer, der ein ältlicher Mann zu seyn schien. Führt mich zu ihm hinein.

Er ist in der Stube bei Herrn Aamod und einem anderen fremden Herrn.

Torsten gab sein Pferd an den Hausknecht, trug den Kasten mit beiden Händen und trat herein. Er grüßte den Prediger und einige Bekannte flüchtig, und eilte auf Ulf zu.

Du bist so schnell abgefahren, es muß wohl der schwere Traum seyn, der dich so verwirrt machte; als ich in die Stube kam, fand ich diesen Schrein, den du wohl nicht entbehren kannst. Ich ritt dir nach, ich schrie hinter dir her, aber du fuhrst wie ein Unsinniger, daß du mein Pferd wohl ruinirt hast. Hier hast du deinen Schrein. –

Schon als Ulf den Alten hereintreten sah, war er äußerst erschrocken und verwirrt; die Anrede benahm ihm alle Haltung. Schrecken, daß er in der Todesangst die bedeutenden Summen ganz vergessen hatte, tiefe Beschämung, daß er diesen Mann aus feigherziger Furcht für einen Räuber angesehn, das Gefühl der vernichtendsten Demüthigung, in Gegenwart so vieler Menschen, in Gegenwart des schönen, lieblichen Mädchens, deren Anmuth ihn ganz fesselte, sich so bloßgestellt zu haben, alle diese Empfindungen wechselten in seinen Zügen. Er wagte die Augen nicht aufzuschlagen. Die Freude, daß so bedeutende Summen gerettet waren, fand in diesem Augenblicke keinen Zugang zu seinem verstörten Gemüthe, und ich glaube fast, daß er lieber die Angst der Nacht noch einmal, als diese Demüthigung erleben wollte.

Also du warst der Räuber, Torsten, sagten einige junge Bauern, und lachten herzlich.

Aber warum eiltest du, sagte ein anderer, es war ja nur Einer hinter dir? Du mußt wohl nicht viel Muth haben.

Die Thränen traten Ulf in die Augen. Luise schien an seiner Beschämung Theil zu nehmen, sie schlug die Augen nieder, wie in seine Seele geängstigt. Zufällig hörte Torsten Ulf nennen, und nachdem er vernommen hatte, was den jungen Mann in Schrecken gesetzt habe, trat er zu dessen Vertheidigung hervor.

Kinder, sagte er, ihr dürft den Herrn da nicht verspotten; er kennt die norwegischen Bauern nicht, er mag in andern Ländern wohl Räuber kennen gelernt haben.

– Ich war in den Händen englischer Räuber, antwortete Ulf, die mich völlig ausplünderten und mißhandelten.

Hört ihr? sprach Torsten. Nun seht, ein Wolf beunruhigte uns mehrere Nächte hintereinander. Wir erwarteten ihn wieder, und lauerten mit Flinten. Mitten in der Nacht findet der Herr uns so bewaffnet. Es mag wohl viel Geld in dem Schreine seyn.

Freilich ist eine bedeutende Summe darin, erwiederte Ulf. –

Ich dachte es wohl, antwortete Torsten, denn er fiel mir sehr schwer. Er ist in seiner Stube allein, er kennt keinen von uns, und nun hört er uns von dem Wolfe ( Ulven) reden. Er muß glauben, er sey erkannt und genannt worden. Wahrlich, der bravste Kerl kann unter solchen Umständen wohl für sein Leben zittern.

Bravo, Torsten, sagte Luise, ging auf ihn zu, und reichte ihm die Hand. Ihr müßt nicht gleich so herausplatzen, Kinder, fuhr sie fort; ganz an seiner Stelle, einsam, in einem Lande, wo ihr furchten könntet, Räuber zu finden, mit vielem Gelde, würdet ihr gewiß eben so in Schrecken gewesen seyn, wie der Herr da.

Die Burschen schämten sich, und schwiegen, indem Ulf wieder Athem schöpfte. Der Klang ihrer Rede war lieblich, man sah, welche große Gewalt sie über die Menge ausübte.

Verzeih mir, sagte ein Bursche, und reichte Ulf die Hand. Dieser, über eine solche Vertheidigerin entzückt, schlug fröhlich ein; als ein neuer Lärm drohte.

Stillschweigend war Ulf bei Seite gegangen, hatte ein sehr elegantes Reisebureau aus dem hölzernen Kasten genommen, aufgeschlossen, etwas herausgenommen, und näherte sich nun Torsten.

Ich habe dir schweres Unrecht gethan, sagte er, und wünsche nach Vermögen meinen Fehler gut zu machen. Drauf drückte er ihm etwas in die Hand.

Torsten wußte erst nicht, was das bedeuten sollte, sah ihn verwirrt an, dann betrachtete er, was Ulf ihm in die Hand gedrückt hatte. Es waren einige Goldstücke. Plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht, er glühte vor Zorn. – Dummer Junge, rief er, was soll mir dein lumpiges Geld! und schleuderte es von sich. Ulf erschrak; als der Prediger hervortrat: Du hast deinen Gast von voriger Nacht so schön vertheidigt; nun erlaube mir, ihn zu vertheidigen. In den Ländern, in welchen er gelebt hat, unter den Menschen, die er bis jetzt kannte, ist es Sitte, daß ein Dienst, wie dieser, mit Gelde belohnt wird. Was ihm hier eine so harte Rede zuzieht, würde man dort als Großmuth preisen. Nach seiner Einsicht hat er brav gehandelt, und deinen Vorwurf verdient er keinesweges.

Du hast doch immer Recht, Vater, antwortete Torsten, und versöhnte sich bald mit Ulf.

Aber dein Geld brauche ich, Gott lob! nicht. Ich bin ein Norweger, und lasse mich nicht bezahlen, bloß weil ich kein Schuft bin.

Der Thing war Nachmittags zu Ende, und ich eilte – du kannst denken, mit welcher Begierde – in die Wohnung des Predigers. Herr Ulf begleitete ihn schon früh, und beschloß auf seine Einladung, bis zum nächsten Tage hier zu verweilen, um sich von seinem Schrecken zu erholen.

Als ich in die Predigerwohnung eintrat, ward ich nicht so sehr durch Pracht, als durch eine gewisse Eleganz der häuslichen Einrichtung, wie man sie bei einem Landprediger nicht erwarten konnte, überrascht. Aber auch das ganze Benehmen, die Gespräche, der Anstand zeugten von einer geselligen Bildung, wie man sie gewöhnlich nur in höhern Kreisen findet, nur daß die Feinheit nicht als Glätte, die anmuthige Leichtigkeit nicht als Ziererei erschien, und daß die größere Gewandtheit der herzlichen, offenen Freimüthigkeit, die den Norwegern eigen ist, keinen Eintrag that. Mit dem alten Prediger war ich bald in ein lebhaftes Gespräch verflochten, und er war mit Allem, was Staaten und Menschen bürgerlich und geistig in unseren Tagen bewegt und aufregt, bekannt. Der stille Kummer, der auf seinen Zügen ruhte, schien durch das Gespräch zu weichen. Ab- und zugehend zeigte sich, sehr beschäftigt, Luise, und Ulf war in ihrer Gegenwart, sich wohl bewußt, daß die Art und Weise, wie er zuerst erschienen, ihm nicht sehr vortheilhaft sey, sehr verlegen. Und obgleich Luise ihn mit der Aufmerksamkeit behandelte, die ein Gast fordern kann, glaubte ich doch zu bemerken, daß er nicht Unrecht habe. Für ein Mädchen wie sie mußte der Mangel an Muth und Entschlossenheit als etwas durchaus Erniedrigendes erscheinen, und die Vertheidigung, die sie aus Mitleid gegen seine unangenehme Stellung in der Versammlung übernommen hatte, konnte ihre innere Achtung nicht steigern.

Unter den Gästen sah ich einen langen, dürren Mann, mit einer spitzen Nase. Er trug eine ungepuderte runde Perücke, unter welcher einzelne schwarze, struppige Haare hervorstachen, und einen schwarzen Rock, dessen Aermel, eng und kurz, die Arme nur nothdürftig bedeckten. In einer Ecke der Stube saß er, als ich hineintrat, in einen Quartanten vertieft, und nachdem er mich stumm begrüßt hatte, setzte er sich wieder, ohne von der Gesellschaft irgend Notiz zu nehmen. Er wurde mir als der Kapellan Nordahl vorgestellt. Erst später legte er das Buch hin, ging auf Eistein zu, der vertraulich, als zur Familie gehörig, sich darstellte, und sprach ihn in einem kreischenden Kanzeltone an.

Jetzt, sagte er, bin ich endlich so glücklich, euch einen wahrhaften Bericht über das alte Gemäuer, welches sich drei und fünfzig Schritt von eurem Hause befindet, abstatten zu können. Es ließ, wie mich alle Papiere belehren, weiland John Gudmundsen, damaliger Bauer und Lehnsmann, der ein reicher Mann gewesen seyn muß, im Jahre 1648, in demselbigen Jahre, in welchem Gott der Christenheit durch den westphälischen Frieden die langersehnte Ruhe gönnte, an diesem Orte einen von Grund aus gemauerten Pferdestall erbauen. Es sind seit der Zeit bis jetzt, da wir 1793 nach Christi Geburt schreiben, 145 Jahre verflossen, so daß besagtes Gemäuer schon jetzt ein sehr achtungswerthes Alter hat, und wenn ihr und eure Nachfolger, wie wir nicht anders hoffen und erwarten, ein solches Documentum vergangener Zeiten gehörig veneriret, so kann es, da es alle Tage älter wird, in zwei- bis dreihundert Jahren eine sehr respektable Ruine werden.

Schade, antwortete Eistein lächelnd, ich habe es schon abgetragen, weil es mir im Wege war; im nächsten Jahre wird man die Stelle, wo es stand, nicht mehr erkennen.

Auch der Greis konnte ein Lächeln nicht verbergen; und ich betrachtete mit Verwunderung die hagere Figur, die jetzt die runde Perücke ungeduldig von einer Seite zur andern schob, mit steifer Gravität den rechten, nur halb bedeckten Arm ausstreckte, und mit dem Zeigefinger, ihn hebend und senkend, gegen Eistein gewandt demonstrirte.

Das ist bedauernswerth, rief er aus, und sehr zu beklagen, daß man hier zu Lande solche ehrwürdige Reste des Altherthums nicht schont, weßhalb sie auch fast allenthalben verschwunden sind. Wie glücklich ist der Prediger in Vang, der in seinem Kirchspiele die merkwürdige Ruine der alten katholischen Kirche von Storhammer hat. So gehen Zeugnisse des Alterthums verloren, die schriftlichen wie die steinernen, und nichts bleibt dem fleißigen Forscher übrig. Bejammernswerth ist aber auch die Unordnung, die in alten Papieren Statt findet. Welche Widersprüche findet man da! Als ich neulich die Papiere über die Ausgaben für den bei der Predigerwohnung hieselbst aufgeführten Schaafstall für das Jahr 1728, wie ich sie glücklicher Weise auf dem Rathhause zu Stren rettete, da man sie eben kassiren wollte, mit denen des hiesigen Predigerarchives verglich, fand ich dort 25 Thlr. zwölf Schilling, hier nur 25 Thlr. acht Schilling verzeichnet. Welche Summe ist nun die richtigere?

Die kleinere Summe können Sie, lieber Herr Nordahl, unbedenklich dafür nehmen, erwiederte der Prediger.

Meinen Sie? so werde ich denn auch diese Summe in meine statistisch-topographische Beschreibung vom Tinder Kirchspiele eintragen. Sie wissen, ich schätze ihr Judicium sehr hoch.

Er war jetzt aufgeregt, und je stillschweigender er früher war, desto gesprächiger ward er.

Ich habe, fuhr er fort, und rieb sich die Hände, etwas gar Seltenes für diese Gegend entdeckt, wenn es gleich anderswo häufig genug sich vorfindet – nämlich den Calcareum rudem, oder richtiger Marmor unicolor colore fusco Wallerii, da doch unsere hiesigen Gebirge sonst nichts als Quarz, Schiefer u. dgl. enthalten.

Daß es diese Gattung ist – den Kalkstein meinen Sie, unterbrach ihn der Prediger. –

Ja allerdings, diese Gattung ist es, denn sie braust mit Essig, und muß Marmor genannt werden, weil sie Politur annimmt.

Er sprach darauf weitläuftig von Pflanzen und Thieren, die er beobachtet und gefunden hätte; in welcher Menge einige Vögel da wären; um welche Zeit sie anzukommen und zu verschwinden pflegten, indem er fortdauernd die Linneischen Benennungen, selbst statt der gewöhnlichsten, brauchte.

Die Hirundo rustica, sagte er, sey heuer spät angekommen, weil der Winter so lange angehalten habe. Ein Bauer habe besonders schöne Exemplare der Columba domestica; die Fringilla domestica falle uns auch hier, wie anderswo, beschwerlich, während die Alauda pratensis uns nur selten mit ihrem anmuthigen Gesange erquicke.

Als ich ihn fragte, weshalb er die breiten und weitläuftigen Linneischen Benennungen brauche, und nicht lieber Schwalbe, Taube, Sperling und Lerche sage, was Jedermann verstehen würde, gerieth er in Eifer.

Der berühmte Linnee, behauptete er heftig, habe seit der uralten Sprachverwirrung bei dem Thurmbau zu Babel zuerst wieder, gleichsam wie ein zweiter Adam, allen lebendigen Geschöpfen Gottes, Thieren und Pflanzen, neue Namen gegeben, ja sey dazu von Gott besonders bestellt und berufen; daß es ein Frevel sey, sich diesen Benennungen zu widersetzen, vielmehr Pflicht aller Lehrer, frühzeitig den Kindern in allen Ländern und Sprachen diese allgemeingeltenden Namen beizubringen. Auch habe er hier den Versuch gemacht, nur legten ihm die ungelenken Bauerjungen große Hindernisse ist den Weg, die er aber durch Geduld und Beharrlichkeit noch zu überwinden hoffe.

Es wird dir nicht gelingen, rief Eistein; die Jungen danken Gott, wenn sie für die Vögel und Kräuter einen Namen haben, und wir Alten mögen das Kauderwälsch nicht leiden.

Ja, eure Halsstarrigkeit ist bekannt, sprach der Kapellan mit Heftigkeit, und wir hatten Mühe ihn zu besänftigen. Er entfernte sich mit Eistein, um einen Kranken zu besuchen.

Sie wundern sich, sagte der Prediger, als er fortgegangen war, über diesen seltsamen Menschen. Er ist tief in den Fünfzigen, brachte vor einigen zwanzig Jahren seine Zeit in großer Armuth und Zurückgezogenheit auf der Universität zu, und lebte seitdem, da er nicht sehr glänzend in seiner Prüfung bestand, als Hauslehrer bei Beamten. Seit acht Jahren ist er mein Gehilfe, und bei aller Sonderbarkeit eine treue Seele. Seine ungeheuchelte Frömmigkeit und sein großer Eifer haben ihm das allgemeine Vertrauen erworben, und ich darf behaupten, daß seine einfältige Lehre für das einfache Volk sehr heilsam ist. Die meisten betrachten seine Seltsamkeit gar nicht als etwas Besonderes, und halten ihn für einen grundgelehrten Mann. Seine geographischen Kenntnisse sind in der That nicht zu verachten, und da er, von ihrer frühesten Kindheit an, eine besondere Vorliebe für meine Enkelin gezeigt hat, hat sie in der Länderkunde überraschende Fortschritte gemacht. Das Beispiel einiger ausgezeichneten Prediger, die sich um die Naturbeobachtung ihrer Gegend verdient gemacht haben, wie Ström und Wilse, hat ihn angefeuert, und er läßt sich um so weniger stören, da er von den Kenntnissen, die Untersuchungen der Art erfordern, gar keinen Begriff hat.

Hier sehen Sie, fuhr der Prediger fort, indem er einen Haufen Papiere mir hinschob, ein dickes Manuskript, welches er mir mitgetheilt hat, indem er von mir verlangt, daß ich es durchsehe. Vergebens habe ich ihm versichert, daß ich mich mit solchen Gegenständen nicht beschäftige. Auch hoffe ich dadurch, daß ich zu fortdauernden Verbesserungen Anlaß gebe, den Druck des Manuskripts, dessen Betreibung ihm manche Kränkungen zuziehen würde, aufzuschieben, ja, ich habe die Schwierigkeiten so zu häufen gewußt, daß, selbst wenn ich sterbe, er doch wohl kaum während seines Lebens fertig wird. Mit der ängstlichsten Gewissenhaftigkeit sucht er die Schrift höchst vollständig zu machen. So beschäftigt er sich auf eine unschuldige Weise, es ergötzt ihn, und er wird darüber sterben. Einzelne Beobachtungen sind auch nicht ganz ohne Werth und können von Kundigeren benutzt werden. Er hat auch schon das Glück gehabt, sich öffentlich genannt zu sehn. Ich habe diesen Weg, der seine Zufriedenheit nicht stört, für den besseren gehalten; wie nothwendig es aber ist, die Bekanntmachung dieser Schrift zu verhindern, werden Sie einsehen, wenn Sie z. B. diese Stellen lesen. – Er zeigte mir folgende:

Canis familiaris, cauda sinstrorsum recurvata. Linn.

Der Haushund. Die Raritäten, die in den Häusern der Bauern befindlich sind, lassen sich schwer bestimmen und scheinen gemischter Art zu seyn. Aber ein seltenes Exemplar von Canis familiaris melitaeus var., der Bologneserhund, befindet sich in der Behausung der achtbaren Jungfrau Maren Ingleif, des weiland Lehnsmanns Herrn Ingleif hinterlassenen ehelichen Tochter.

Unter einer Menge sorgfältig angestellter Barometerbeobachtungen stand folgende Bemerkung:

Es ist höchst merkwürdig, daß das Barometer, welches ich durch einen sehr berühmten Mechanicum in Kopenhagen habe verfertigen lassen, hier oben in unserem Gebirge niemals beständiges Wetter anzeigt.

Er beobachtete Jahre lang das Barometer alle Tage, ohne zu wissen, daß die Wetterbezeichnung nur für einen Ort am Meeresufer bestimmt war.

Durch ein Gespräch von mehren Stunden hatten wir uns genähert. Der alte Prediger kannte die Familie meiner Frau, persönliche Verhältnisse, übereinstimmende Ansichten des Lebens machten uns vertraut, und bald war es mir, als hätte ich diesen herrlichen Mann schon lange gekannt, ja als hätte er schon früher einen bedeutenden Einfluß auf meine Denkweise ausgeübt. Der Kapellan und Eistein kamen zurück. Ulf war, ohne an unserem Gespräche Theil zu nehmen, verdrießlich wie es schien, weggegangen, und kehrte nun auch wieder. Die Tochter des Predigers, die Mutter der reizenden Luise, ließ sich nicht sehen, und eine geheime Scheu band meine Zunge. Alles im Hause ging nach einer stillen, ungestörten Ordnung. Man hörte keine laute Stimme, nahm keine unruhige Bewegung war, und selbst die Bauern, die den Prediger, hier durch den Thing versammelt, besuchten, schienen die herrschende Ruhe schonungsvoll zu achten.

Du wirst mir deinen Gast überlassen müssen, lieber Eistein, sagte der Prediger – und auch mir war es, als wenn es so seyn müßte.

Es wäre mir sehr lieb, antwortete dieser, wenn der Herr bei mir bliebe; aber du weißt, lieber Vater, daß ich dir gern Alles überlasse, was dir lieb ist.

Ich weiß es, erwiederte der Alte; und bald ward ein Wagen abgeschickt, um mein Gepäck nach der Predigerwohnung zu bringen. Den Tag darauf reiste Ulf weiter.

Ich wohnte schon acht Tage lang bei dem trefflichen alten Manne, die Stille in seinem Hause, die segensreiche Einwirkung auf seine Gemeinde, seine Enkelin, die, wie eine höhere Erscheinung, geräuschlos beschäftigt, dennoch Zeit fand, an unserer Unterhaltung Theil zu nehmen, wenn wir sprachen oder lasen, die selten redete, uns aber doch oft durch Bemerkungen überraschte, die das tiefste Verständniß verriethen, fesselten mich wie mit unsichtbaren Banden an diesen kleinen, von der Welt abgeschlossenen Kreis, daß ich alles Uebrige vergaß. Glücklicher Weise war mein Geschäft fast beendigt, und was fehlte, konnte ich auch hier verrichten. Ich erfuhr, daß der alte Prediger seine Jugend in einer sehr bedeutenden Umgebung zugebracht hatte, daß seltsame Ereignisse, in welche er verflochten war, ihm einen größeren Wirkungskreis zu eröffnen schienen; aber die Tochter sah ich nie, auch sprach er noch nie von ihr, oder von ihrem verschwundenen Manne, obgleich ich mir schmeicheln konnte, schon ganz sein Vertrauen zu besitzen.

An einem schönen Morgen saßen wir, Aamod, Louise und ich, in einem Boote, und ruderten bei hellem Sonnenscheine längs dem westlichen Ufer des Tindsees. Die Felsen warfen einen dunkeln Schatten auf den See, während die Sonne ihre Gipfel erleuchtete. Der Alte war diesen Morgen besonders ernst. Es war unsere Absicht, den großen Wasserfall (Riukand Fossen) unter Gousta zu besuchen, und wir wollten in der Nähe von Eisteins Wohnung aussteigen, um den übrigen Weg zurückzulegen. Indem wir fortruderten, eröffnete sich ein Abhang, auf welchem zwischen kahlen Felsen eine feuchte grüne Wiese hinaufstieg, und ein Bauermädchen saß auf einer, über den See hervorspringenden Spitze, neben sich eine Sichel. Sie schien auszuruhen, und als wir näher kamen, hörten wir sie singen. Die helle, klare Stimme tönte mächtig zwischen den Felsen. Es war eins jener einfachen Lieder, die man in den Gebirgen hört, welche oft ein geheimes Weh laut werden lassen, und tief ergreifen. Seltsam, ja phantastisch war es anzusehn, wie das Mädchen, dessen weiße Bekleidung in der Ferne sich sehr anmuthig ausnahm, feenartig und mit geisterhafter Sicherheit über dem Abgrunde schwebend dasaß, und wie die traurigen Töne in den Bergen wiederhallten. Das Lied war mir bekannt; so sang sie:

Der Seemann der küßte den Rosenmund,
Und zog die schön' Else in den Meeresgrund.

Drei Jahre in der Tiefe verflossen sind,
Die schön' Else gab dem Seemann ein einziges Kind.

Schön' Else erhob sich am weißen Strand,
Sie führte wohl das einzige Kind an der Hand.

Die Haare die trieften, das Kleid war naß,
Die Augen waren trübe und das Antlitz war blaß.

Es reißt sich das Kind von schön Else los,
Und stürzt sich schnell hinab in den Meeresschooß.

Da wandelt schön Else den schweren, schweren Gang,
Es rührten sich die Lippen, doch ohne Gesang.

Schön Else die tritt in die Kirchthür mit Graus,
Und alle hellen Lichter die löschten sich aus,
       Ja, ja,
       Alle hellen Lichter die löschten sich aus.

Sie blickt nach der Kirchenwand angstvoll und stumm,
Denn alle kleinen Bilder die wandten sich um;
       Stumm, stumm,
       Denn alle kleinen Bilder die wandten sich um.

Herr Aage erkennt die verschwundene Braut,
Schön Else ist gestorben ohne Seufzer und Laut;
       Braut, Braut,
       Schön Else ist gestorben ohne Seufzer und Laut.

Obgleich der Gesang in dieser Umgebung höchst traurig klang, so schien es mir doch, als wenn die Erschütterung, ja das Entsetzen, welches sich auf dem Antlitze des Alten und seiner Enkelin zeigte, einen tiefern Grund haben müßte. Beide schwiegen, und lange dauerte es, ehe sie sich erholen konnten. Die Gestalt war aus unsern Augen verschwunden, denn wir waren um eine Felsenecke herumgerudert, die Stimme ertönte kaum vernehmlich aus der Ferne, und verhallte zuletzt ganz.

Luise, sing' du uns einmal das Lied, sagte der Alte. Sie erschrak offenbar bei dieser Zumuthung, wandte aber nichts ein, und sang.

Ich war acht Tage in dem Hause des Predigers gewesen, und hatte sie nie singen hören. Norwegen ist kein gesangreiches Land, die Musik ist kein wesentlicher Theil der Erziehung, und es wunderte mich also gar nicht, in einer Familie, die freilich sonst durch gesellige Ausbildung sich auszeichnete, kein Instrument zu finden und keinen Gesang zu hören.

Wie erstaunte ich, als ich nun die herrlichste Altstimme vernahm, als der ausdrucksvollste Gesang dem einfachen Liede einen unbeschreiblichen Zauber verlieh. Die melodischen Klagetöne schienen über den Wellen zu schweben, wie ein laut gewordener Seufzer des Abgrunds, den sie verbargen. Als der Gesang vorbei war, bedeckte das liebliche Mädchen das Gesicht, wie in tiefen Schmerz versunken. Ein langes Stillschweigen erfolgte, und ich war von dem mir unbekannten Kummer überwältigt. Nach einigen Minuten hatte sie sich völlig gefaßt; die wallenden lockigen Haare warf sie zurück, und sah mich, noch immer ernst, aber klar und sicher an. Ich lobte den Gesang, die Stimme. –

Ich darf dieses Lob nicht zurückweisen, sprach sie, Sie würden es als eine erlogne Ziererei betrachten; aber gestehen Sie mir, auf ein unbefangenes Gemüth muß dennoch der Gesang des Mädchens am Felsen einen tiefern Eindruck machen. Die rauhe Weise des Liedes, die schroffen Umrisse, die das Furchtbarste, bloß angedeutet, roh hinstellen, ohne daß es ausgemalt würde, das ungeschickte Metrum, welches einzelne Sylben ausläßt und wieder einschiebt, gehören zum Wesen dieser Liederart, und stimmen mehr zu dem härteren, ungebildeten Naturtone, als zu unserer geglätteteren, weichlicheren Manier. Dieser scheinbar rohere Ton findet in der harten Umgebung eine natürliche Resonanz. War es nicht, während wir an den Felsen hinruderten, wo die gewaltig trauernde Stimme des Mädchens erklang, als wenn die plätschernden Wellen, an das steinige Ufer anschlagend, den geheimen Kummer der Tiefe ausplauderten, als wenn der brausende Bergstrom schreiend, heulend dazwischen tönte, als wenn die hohen Gipfel der spitzen Fichten aus innerer Angst erbebten, ja als hätten die Felsen selbst einen klagenden Ton gefunden, als wäre der uralte Schmerz laut geworden, der sie vor Zeiten versteinerte, der sie später zertrümmerte und wild zerriß.

Welche Anschauung von einem siebzehnjährigen Mädchen, unterbrach Bull den Erzählenden. Zwar diese seltsame Gebirgsblüthe mag manches Abweichende zeigen; aber in der That eine solche Aeußerung eines jugendlichen weiblichen Wesens dünkt mir fast unglaublich.

Und dennoch, fuhr Steenersen fort, ist meine Erinnerung matt; indem sie so sprach, schienen alle Gesichtszüge eine höhere Bedeutung anzunehmen, es war mir, als wenn das geheime Weh des ganzen Daseyns sich in dieser Gestalt zusammengedrängt hätte, und nun aus der innersten Tiefe ihres Wesens melodisch heraustönte. Auch dem Alten entging der Eindruck, den ihre Rede auf mich machte, nicht.

Sie erstaunen, sagte er, so Gewaltiges von einem so zarten Mädchen zu vernehmen. Aber, lieber Freund, eine mächtige Umgebung mag den Stumpfen überwältigen, daß die stärkste Empfindung, ehe sie keimt, erstickt wird, dem Empfänglichen bietet sie immer neuen Reiz dar, dann aber vor Allem, wenn ein ungewöhnliches Geschick das reizbare Gemüth aufregt; und meine arme Luise, durch einen seltenen Vater in früher Kindheit gebildet, hat das jugendliche Daseyn auf dem harten Boden des furchtbarsten Jammers aufbauen, an der Thränenquelle des namenlosen Grames in den letzten Jahren entwickeln müssen. Sie wundern sich, daß dieses Lied einen so tiefen, erschütternden Eindruck auf uns gemacht hat. Ein finsterer Dämon, noch kennen wir seinen nächtlichen Ursprung nicht, ragte aber auch in unser ruhiges, ach so glückliches, heiteres Leben hinein, und zerstörte urplötzlich, was wir unwandelbar glaubten. Wie oft rührten sich die Lippen, aber ohne Gesang, wie oft erloschen plötzlich die hellen Lichter des Lebens, wie oft wandten sich die bunten Bilder um. Heute vor achtzehn Jahren hub das Ereigniß an, welches in diesem stillen Thale aus so vielem Glücke eine so unnennbare, vernichtende Qual erzeugen sollte. Ich habe den Muth, diese Begebenheit noch einmal zu erleben, indem ich Sie nach dem Schauplatze hinführe, wo sie begann; ich traue meiner Enkelin die Stärke zu, das Unglück, welches uns so zerschmetternd traf, sich nah zu rücken; der tiefe Schmerz einer peinigenden Erinnerung verläßt uns ja doch nie ganz. Es ist heilsam, die Prüfung, die der immer gütige Gott uns zugesendet hat, genau zu durchschauen; auch die herbe Lehre muß gründlich erforscht werden. Und welche Zeit ist heilsamer, als die er selbst erwählte, die er mit aller Pracht des blühenden Jahres ausschmückte, in welcher er uns einen theilnehmenden Freund schenkte, damit wir, auch gedrückt durch Schmerz und Leid, seine liebende Vaterhuld erkennen mögen.

Er faßte meine Hand und drückte sie. Noch nie sah ich ein solches Bild ruhiger, demuthsvoller, und dennoch kräftiger Ergebung. Aus seinen Augen strahlte, so schien es mir, ein helles Licht, sein verklärtes Antlitz schien eine verborgene heilige Gestalt zu enthüllen, die nur, noch mit dem irdischen Daseyn ringend, nicht frei hervorzutreten vermochte. Luise faltete die Hände in stillem Gebete – und ich, mußte weinen; was mir das Herz gedrückt hatte seit vielen Tagen, vermochte ich nicht zu überwältigen, ich wollte es nicht. Ich ergriff die Hand des Alten, ich preßte sie gewaltsam an die Lippen, ich bedeckte sie mit Thränen. Nach einigen Minuten sprach der Alte, mit ruhiger Fassung:

Das war unsere Morgenandacht, Kinder. Aber sie soll uns stärken, nicht erdrücken, und wir bedürfen der Stärke für den heutigen Tag.

Die Bauern, die uns ruderten, waren ergriffen, wie wir, sie weinten mit uns, wie dem starken Norweger die Thränen der Theilnahme leichter als dem Südländer in die Augen treten. Wir waren sehr langsam gerudert, oft ruhten die Ruder völlig, und das Boot trieb langsam mit den Wellen. So hatten wir fast zwei Stunden gebraucht, um nach Eisteins Wohnung zu kommen, die man sonst in weniger als einer Stunde erreicht. Als wir landeten, fanden wir Eistein und ein Paar rüstige junge Leute bereit, uns zu begleiten. Eistein aber schien zu zögern, ja den Spaziergang nicht zu billigen. Ein reinliches Frühstück ward von unserer Wirthin aufgetragen, die, gegen Luisen zumal, eine ängstliche Zärtlichkeit äußerte.

Sie müssen doch mein Stübchen sehen, Herr Steenersen, sagte Luise. Ich bringe oft halbe Tage und Nächte bei dieser meiner lieben Freundin zu.

Sie öffnete eine Thüre, und ich trat in ein niedliches Zimmer hinein. Eine Guitarre hing an der Wand, ein Flügel stand unter dieser, eine kleine Büchersammlung war in einem zierlichen Schranke ausgestellt.

Meine arme Mutter kann die Musik nicht vertragen, sprach sie, nur ein leiser geistlicher Gesang gewährt ihr Trost. Es giebt Zeiten, wo auch ich ihre Gegenwart entbehren muß; dann flüchte ich mich hieher, und stürze mich in die Wellen der Tonkunst, die mich freundlich aufnehmen und Alles, was mich ängstigt und innerlich verzehren würde, in stille Wehmuth auflösen.

Wir genossen wenig, und nachdem der Alte mit Eistein allein gesprochen hatte, schien auch dieser den Gang nach dem Wassersturze zu billigen. Wir gingen. Das Thal, durch welches der schäumende Fluß hindurchbrach, ward immer enger, die Thalwände immer höher; wir stiegen auf der einen Seite immer mehr empor und wanderten durch einen dichten Tannen- und Fichten-Wald. Neben uns stürzte sich die Gebirgsmasse in unübersehbare Tiefe hinab; die gegenüberstehende Wand, wie diejenige, die wir bestiegen, war mit Wald bedeckt, Nadelhölzer und Birken untereinander gemischt. Fast eine Stunde stiegen wir langsam aufwärts, die Vertiefung des Thales erschien immer mächtiger. Der schäumende Fluß verschwand unter die bedeckenden Bäume, und das ferne Rauschen in der Tiefe belehrte uns von der bedeutenden Höhe der Thalwand. Nach einiger Zeit sahen wir, wie das Thal sich im Hintergrunde mit noch höheren, kahlen, schwarzen Felsen schloß. Die kesselförmige Vertiefung ragte dunkel und nackt aus dem dichten Walde hervor, und aus diesem Riesenkessel stieg eine mächtige Dampfsäule hoch in die klare Luft hinein. Sie verschwand und bildete sich immer wieder in bestimmten Pausen, wie der aufsteigende Dampf von einer unermeßlich kochenden Wasserfläche. Es war die Dampfsäule des rauchenden Wassersturzes (Riukand Fossen), eines der mächtigsten in Norwegen.

Die Dampfsäule steigt sehr hoch, sagte Eistein, der starke Regen hat den Fluß angeschwellt, ihr werdet den Sturz gar mächtig finden.

Indem wir fortschritten, hörten wir nun immer vernehmlicher neben dem Rauschen des Flusses dumpfe Schläge, wie einen fernen Donner. An stillen Abenden vernimmt man sie in Tind. Der Boden schien unter unsern Füßen zu beben. Jetzt traten wir aus dem Walde heraus, und der mächtige Wassersturz lag ganz vor uns; obgleich wohl eine halbe Meile entfernt.

Aus einer engen Oeffnung, als hätte die furchtbare Gewalt der ungeheuern Wassermasse zornig so eben den Widerstand überwunden, stürzt sie wüthend hervor, ein großer, dichter Bogen, und der schneeweiße Schaum, gekräuselt, Dampf erzeugend, tanzt auf der strömenden Wölbung, sich ewig und ewig rastlos wieder gestaltend. Indem das mächtige Wasser Raum gewonnen hat, zertheilt es sich nach allen Richtungen, es bildet durchsichtige Wasserbecken, durch welche man die düstere, kahle Gebirgswand erkennt, die ruhig scheinen, aber mit gewaltigen Schlägen die nackten, schräg anstehenden, glatten, feuchten Felsen schäumend peitschen, und hier vorzüglich entsteht der aufsteigende Dampf, der, aus der Ferne erkannt, hoch in die Luft spritzt. Tausend Seitenstrahlen zertheilen sich in allen Richtungen, aber in der Mitte drängt die Hauptmasse sich zusammen, und umwirbelt von tausend Strahlen, immer wilder, wüthender vom schneeweißen, gekräuselten Schaume umtanzt, stürzt sie sich brüllend in eine grundlose Tiefe. Das Auge vermag kaum dieses ewige, unablässige Spiel, die fortdauernd wechselnden, unaufhörlichen Zersplitterungen zu verfolgen. Der ungeheure Zorn einer rasenden Natur tobt, peitscht, schäumt umher, und die der Wuth preisgegebnen Felsen scheinen vor Schrecken erstarrt. Das ganze Thal unter dem Sturze ist von einem See erfüllt, und obgleich die furchtbare Wassermasse sich unablässig brüllend hinein stürzt, so ist dennoch die Wasserfläche dicht am Sturze völlig ruhig. Dunkel, nie von einem Sonnenstrahle erleuchtet, scheint sie die erschöpfte Wuth darzustellen.

So wird das Gemüth, wenn die härtesten Schläge des Geschicks unaufhörlich das Innere treffen, äußerlich ruhig. Aber die Ruhe ist nur Schein. In der Tiefe wühlt der zurückgedrängte Zorn, und brausend, rauschend, mit erneuerter Wuth, stürzen die Fluthen über die großen eckigen Steine, als triumphirten sie über den zertrümmerten Feind.

Du hast Schaffhausen gesehn; wohl mag die Wassermasse größer, breiter seyn, aber selbst die größte Höhe des Sturzes erreicht nur fünf und siebzig Fuß; dieser Fall stürzt sich vier bis fünf hundert Fuß herunter, und noch behält die mittlere Masse, wo sie in den finsteren Abgrund hinabströmt, ihre ganze Gewalt. Die Sonne schien schräg in den Sturz hinein und erleuchtete den weißen Schaum, und der Dampf spielte blendend in ihrem Lichte. Dumpf hallte das Thal wieder von dem Gebrülle, das sich mit dem gewaltigen Rauschen des noch immer stürzenden Flusses verband. Schon hier übertönte der Sturz die menschliche Stimme. Wo der erhabene Zorn der Natur, wo das mächtige Element mit Felsen spielt, gebietet es dem Menschen Stillschweigen.

Indem wir uns dem Sturze nähern wollten, sah ich eine jäh herabfallende fast nackte Felsenwand, sie versenkte sich in die schwindelnde Tiefe. Wir waren sehr hoch, der Fluß wühlte immer tiefer unten, und wohl standen wir vierhundert Fuß über ihm. Mir schauderte, da ich diese Wand ansah – und hier ist ein Fußsteig, längs dem Abhange, Mariestien nennen ihn die Einwohner. Sie gehen ruhig, unbekümmert darüber, obgleich er in der Umgegend berüchtigt ist. Ein kleines Mädchen ist in die Tiefe hinuntergeklettert, um eine verlorne Kleinigkeit aufzuheben, ein Krämer, um die Trümmer seiner heruntergerollten Waaren zu sammeln, ja wie man berichtet, ist ein Krüppel ohne Füße auf den Knien über diesen furchtbaren Fußsteig gerutscht. Man rieth mir, die Stiefeln auszuziehn, damit ich nicht ausgleiten möge. Der Alte, selbst Luise ging leichten Fußes vorwärts, während Eistein mich mit seiner kräftigen Hand faßte. Ich wandte das Gesicht – man ist zum Theil dazu genöthigt – von der Tiefe ab, der Gebirgswand zu, aber dennoch erbebte mein Inneres, und es war mir, als zöge der Abgrund unter meinen Füßen mich unwiderstehlich hinab. Die Waldungen waren scheu vor der Gewalt des wüthenden Wassers zurückgetreten; einzelne Gebüsche nur standen, als glaubten sie von dem zornigen Elemente in ihrer kümmerlichen Kleinheit nicht bemerkt zu werden, hier und da, vermochten aber nicht die grauenhafte Tiefe zu verbergen. In der Nähe des Sturzes hatte der Fußsteig sich immer mehr geneigt, und als wir ihm zur Seite waren, konnten wir auf mächtigen Steinen, die er in seiner Wuth bei Seite geschleudert zu haben scheint, mitten in ihn hineintreten. Das Gebrüll ist hier am mächtigsten. Von furchtbaren stürzenden Wassermassen umgeben – in einem großartigen Wasserbade, – hineingetaucht in das ewige Naß, hat man auf jedem Schritte einen andern, einen veränderten Auftritt. Ueber uns sahen wir die Spalte, aus welcher der Sturz sich hervordrängt. Sie scheint so eng, daß man hinüberspringen möchte. Die Sonne schien hinein, und hier, umfluthet von spritzendem Schaume und herabrollenden Wogen, umdonnert von dem krachenden Sturze, der, wie alles Gehör vernichtend, die Felsen zittern machte, in der Mitte des entfesselten, wüthenden Elements, ergötzte uns die Natur mit einem leichten, feenartigen, bunten Spiele. Unter unserem Fuße tanzte auf dem blendend weißen, rauchenden Schaume ein völlig geschlossener Regenbogen. Die feurigen Geister, aus Licht und Schatten geboren, wählten eben die Stelle, wo das Wasser seine wildeste Wuth losließ, um im leichten Tanze das Fest des friedlichen Lichts zu feiern.

*

Wir saßen ermüdet an dem späten Mittagstische bei Eistein. Eine kräftige Brühe, Lachsforellen aus dem nahen See, frischer Rennthierbraten und vortrefflicher französischer und spanischer Wein, den der Prediger mitgebracht hatte, überzeugten uns, daß man mitten in dem Gebirge ein delikates Mahl bereiten kann, und bekamen den erschöpften Wanderern wohl. – Wie das Sonnenbild, wenn man in die Sonne gesehn hat, verfolgte mich das Bild des mächtigen Sturzes fortdauernd. Immer noch schwebte der wilde schneeweiße Schaum auf dem dunkeln nassen Felsengrunde vor mir, immer noch drohte die schwindelnde Tiefe neben meinen Füßen, immer noch hörte ich das furchtbare Gebrüll, und es waren Augenblicke, wo es mich fast ängstigte, daß die nahen Gebirge eine so gewaltige, erschütternde Scene verbargen.

Die Mahlzeit war geendigt, der alte Prediger hatte, trotz der Erschöpfung, wenig genossen, und blieb in stillen Ernst, ich möchte behaupten, in stilles Gebet versunken. Wir rückten zusammen, und der Alte begann:

Sie kennen nun den Schauplatz. Es war heut vor achtzehn Jahren; meine gute Frau war drei Monate vorher gestorben. Der Tag war heiter und lieblich, wie heut; meine Tochter, damals so alt, wie Luise jetzt, begleitete mich. Auch wir sahen den Wassersturz in seiner mächtigsten Gestalt, bewunderten den Regenbogen, und waren nach einem genußreichen Tage, im Begriffe zurückzukehren, als wir, mitten auf dem schmalen, gefährlichen Fußsteige, einen Reisenden wahrnahmen, der uns mit seinem Begleiter entgegenkam. Wir näherten uns eben einer gefährlichen Stelle, und überlegten, nicht ohne Aengstlichkeit, wie wir vorbeikommen sollten, als wir plötzlich vor uns ein lautes Geschrei hörten. Da wir bange nach den Felsen hingelehnt aufblickten, sahen wir den Reisenden schwebend über dem Abgrunde, der eine Fuß war aufgehoben, die Arme ausgebreitet, die Haare hingen wild um den Kopf, der Hut fiel ihm eben hinab in die Tiefe, und indem ich ihn so vor meinen Augen hinabstürzen zu sehen glaubte, erblickte ich zugleich Amalie, meine Tochter, vor Schrecken hingesunken, und auch vor meinen Augen verwirrten sich die Gegenstände, daß ich, von Schwindel ergriffen, mich ängstlich an die Felsenwand anklammerte. Wir erholten uns, von den rüstigen Begleitern festgehalten, noch vom Schrecken gelähmt; als wir vernahmen, daß der Reisende noch da war. Da wir hinkamen, sahen wir, wie der Begleiter ihn nur mit Mühe auf dem schroffen Abhange festzuhalten vermochte. Dieser berichtete, wie der Reisende, der ihm völlig unbekannt, bisher ganz ruhig, still und in sich gekehrt, fortgeschritten sey, überhaupt ein rüstiger Gebirgsgänger zu seyn schien, und auch auf dem gefährlichen Abhange seine Unterstützung abgewiesen habe, auf einmal in ein lautes Geschrei ausgebrochen und zugleich im Hinunterstürzen begriffen gewesen sey. Er wußte nicht, ob es eigne That oder die Folge eines plötzlichen Schwindels wäre. Es war ihm gelungen, den Hinunterstürzenden im Fallen beim Rockzipfel zu ergreifen und so wieder an sich zu ziehen. Aber er hatte alle Besinnung verloren, bewegte sich krampfhaft, und der Bauer mußte seine ganze Kraft aufbieten, damit er ihn nicht mit sich in den Abgrund risse. So wie wir hinkamen, waren unsere Begleiter zu Hilfe geeilt, und sie hielten ihn. Ich betrachtete den Fremden. Es war ein schöner, junger Mann, in einem feinen, reichen Anzuge; aber alle Züge entstellt, die Lippen bebten, eine tödtliche Blässe hatte sich über das Gesicht verbreitet.

Hört ihr, rief er, indem er die Arme ausstreckte und sich loszureißen suchte, hört ihr, wie er unten schreit? Doch nein, er schreit nicht, es sind nur die wilden Wogen, die sich freuen, daß sie seinen Leichnam gegen die Felsen schleudern und zerfleischen können. Ich komme, ich komme ja auch, schrie er laut, daß er fast den Wassersturz übertönte, und schien sich hinabstürzen zu wollen.

Wir hatten alle vier Mühe, ihn zu halten, und ich zitterte für meine Tochter. Die großartige Umgebung, die wir eben mit geheimer Scheu bewundert hatten, verkehrte sich jetzt in einen Grausen erregenden Dämon. In furchtbarem Geschrei wetteiferte der mächtige Sturz mit dem Rasenden. Bald däuchte es mir, als führten beide ein lautes gräßliches Gespräch, als wären dort im wilden Gebrüllt die Felsen wach geworden, wie hier ein zerrissenes Gemüth. Die Sonne schien nicht mehr. Dunkle Wolken hatten sich zusammengezogen, ohne daß wir es merkten, und plötzlich erhellte ein furchtbarer Blitz das finstere Thal, und ein gellender Donnerschlag, der von allen Felsen wiederhallte, schien einen dritten Geist anzukündigen, der sich in das zerschmetternde Gespräch mischen wollte. Da war es mir, als wenn aller Jammer der Welt eine Gestalt und alles Aechzen und Seufzen einen vernehmlichen Ton gefunden hätte. –

Mein Gott! rief Amalie, und ich ließ den Rasenden los, meine Tochter zu unterstützen. Langsam ging sie, von mir begleitet, langsam schleppten die Bauern den Unglücklichen, der fortwährend in das Gebrüll des Sturzes und den schmetternden Donner hineinschrie: Hört ihr, hört, wie es schreiet da unten; doch er ist es nicht, es sind die schäumenden Wogen, die seinen Leichnam zerfleischen! Häufige Blitze erleuchteten den dunkeln Grund und die feuchten, jähen Wände, an welchen wir zitternd fortschritten.

Endlich erreichten wir den Wald. Immer noch schrie der Reisende: Hört ihr, hört ihr, wie er dort unten wimmert! Drei schreckliche Stunden brachten wir auf dem Wege bis zu dieser Wohnung zu. Ich eilte, ein Boot nach meinem Hause abzusenden, um Alles zur Aufnahme des Kranken zu bereiten. Nach einer Stunde ruderte ich mit ihm fort; Amalie war zu angegriffen, und mußte hier, bei Eisteins Vater, übernachten.

Nach und nach war der Kranke still geworden. Er schien erschöpft, und ich konnte ihn, scheinbar beruhigt, über den See nach meiner Wohnung bringen. Bald zeigte es sich, daß er von einer gefährlichen nervösen Krankheit, deren drohende Symptome sich immer deutlicher entwickelten, angefallen war. Ein Arzt aus Skeen besuchte ihn, sein Zustand war immer bedenklicher, er schien ohne Hoffnung, und wir erwarteten täglich seinen Tod. Während dieser Zeit war er völlig besinnungslos, die Finger spielten auf der Decke, und was er phantasirend murmelte, konnte Niemand verstehn. Keiner in der Gegend kannte ihn. Ein Begleiter hatte ihn von den hohen Gebirgen in Numedalen gebracht, und wie dieser berichtete, war er von der Westküste über die wildesten und ödesten Gebirgszüge in Norwegen dahin gekommen. Er war stets still, in sich gekehrt und traurig gewesen. Da es mir nothwendig war, etwas Genaueres von seinen persönlichen Verhältnissen zu erfahren, hielt ich es für meine Pflicht, die Papiere, die er bei sich führte, wenigstens in sofern sie mir hinreichende Aufschlüsse geben könnten, zu untersuchen. Eine Menge Briefe und Aufsätze ließ ich unberührt liegen. Ich glaubte mich nicht berechtigt, in die Geheimnisse seiner Persönlichkeit einzudringen. Einige Briefe aber, die über seine Familienverhältnisse Aufschlüsse gaben, belehrten mich, daß er Eduard Walseth hieß. – – –

Ich wußte also, fuhr der Prediger fort, wie der Fremde hieß, ich erfuhr aber auch, daß er älternlos, im Besitze eines großen Vermögens, neulich mündig geworden sey, und daß einer meiner genausten Jugendfreunde, sein bisheriger Vormund, noch immer sein Vermögen verwaltete, und war nicht wenig erstaunt, als ich in ihm den Sohn eines mir und der Familie meiner Frau genau bekannten Mannes erblickte. Seit seiner Kindheit hatte ich nichts von ihm vernommen. Während der Schwangerschaft der Mutter ward aber der Vater, in ihrer Gegenwart, mörderisch angefallen; und das Entsetzen hatte für das Kind die traurigsten Folgen. So viel war mir bekannt. Die letzten Briefe von diesem waren nach Bergen addressirt, und es war nach einigen Zetteln, die kleine Notizen über Oerter im Innern von Hardangerfiord, wie Ullenswang, Eidsfiord enthielten, entschieden, daß er die von dem Bauer, der ihn aus Numedalen begleitete, bezeichneten beschwerlichen, einsamen und wilden Gebirge durchreist hatte.

Ich eilte, an meinen Freund in Kopenhagen zu schreiben, und als ich die Antwort erhielt, hatte die Krankheit eben den höchsten Gipfel erreicht. Mein Freund schrieb mir, daß der Kranke der Sohn eines reichen Kaufmanns in Drontheim, daß er dort geboren und erzogen sey. Er wäre in seiner Kindheit immer ernst, in sich gekehrt und still gewesen. Frühzeitig habe er sich durch angestrengten Fleiß ausgezeichnet und wäre allen übrigen Kindern vorgeeilt, so daß man von ihm die größten Hoffnungen gehegt hätte. Aber je älter er ward, desto bedenklicher wurde sein verschlossenes, nach Innen gewandtes Wesen. Bald verfiel er in religiöse Grübeleien, er warf sich vor, ein furchtbarer Sünder zu seyn, der der Gnade Gottes völlig unwürdig wäre. Oft war er wie gezwungen, still für sich wahre Gotteslästerungen zu denken, zu sprechen – und dann ergriff ihn plötzlich die schrecklichste Angst. Er habe, meinte er, sich der Sünde gegen den heiligen Geist schuldig gemacht, für welche keine Vergebung zu hoffen, weder diesseits noch jenseits; einen Prediger, der ihn vielleicht nicht richtig zu behandeln verstand, hatte er zu seinem Vertrauten gemacht, dem er seine Höllenangst und tödtende innere Qual entdeckte. Bisweilen war es ihm, als müßte er nun bald das schauderhafteste Verbrechen begehen, Vater, Mutter, Freunde ermorden; ja es kamen Augenblicke, wo er wähnte, ein solches Verbrechen schon begangen zu haben, und er konnte aus der innern vernichtenden Angst mit Grauen erwachen, wenn nun die geliebte Person, die er ermordet zu haben glaubte, plötzlich gesund vor ihm stand. Man sollte glauben, daß eine solche, an Wahnsinn gränzende innere Zerrüttung alle seine Seelenkräfte hätte lähmen müssen; aber dieß war keineswegs der Fall. Mannigfaltig bildete sich sein Geist; er sprach und las die meisten alten und neuen Sprachen, Geschichte und Poesie beschäftigten ihn vorzüglich, und es gab Wochen, ja Monate, in welchen die finstere, dämonische Begleitung ihn verließ, so daß er in seiner geistigen Beschäftigung völlig glücklich schien. Von seinem achten Jahre an war er ein Nachtwandler, und besonders bei hellem Mondscheine sah man ihn oft aufstehen, und mit starren Augen herumgehend, Manches verrichten. Dieß schien sich zu verlieren, und als er sein siebzehntes Jahr erreicht hatte, hegte man die schönsten Hoffnungen. Sein großes, blaues Auge glänzte heiterer, seine Stirn war weniger umwölkt, die öffentliche Anerkennung seiner Kenntnisse bei einer höchst rühmlich bestandenen Prüfung erfreute ihn, und jetzt, da er die Universität besuchen sollte, fühlten sich die Aeltern von dem schweren Kummer, ihren Sohn mit allen Vorzügen des Geistes von einer finstern, nächtlichen Gewalt bezwungen zu sehn, befreit. Sein Auftreten auf der Universität war glänzend. Sein spekulatives Talent, seine Kenntnisse, seine übrigen Talente, auch musikalische, erregten die allgemeine Aufmerksamkeit. Nachdem er seine Studien beendigt hatte und in die größeren geselligen Kreise trat, drängte sich Alles um ihn. Seine schöne Gestalt, sein Witz, sein gutmüthiger Humor zogen Jedermann an. Doch schien eben dieser letztere oft regellos, übertrieben, nicht selten bizarr, und sein Lachen hatte, meinte man, etwas Unheimliches. Zwei Jahre reiste er in Europa, und besonders in Deutschland lebte er mit den bedeutendsten Männern der Zeit in vertrautem Verhältnisse. Er wollte nach Italien reisen, England und Frankreich kannte er schon, als er unvermuthet die Nachricht von dem Tode seines Vaters und kurz darauf auch von dem seiner Mutter erhielt. Plötzlich erschien er wieder in Kopenhagen. In Gotha, wo er die letzte, ihn völlig zerschmetternde Nachricht erhalten hatte, ließ er alle seine Sachen stehen, und merkte nicht einmal, daß er sie vergessen habe, bis er hier ankam. Sein Zustand erregte Schrecken. Sein Auge war starr, seine Gesichtszüge wie von einem Todesschlafe festgehalten, er schloß sich ein, sprach mit keinem Menschen, und des Nachts sah man ihn in seiner Stube unruhig auf- und abgehn. Nach einiger Zeit schien er sich zu erholen, man glaubte zu bemerken, daß er in einer Gegend in der Nähe der Stadt, wo er öfter einsam zu wandeln pflegte, eine Bekanntschaft gemacht habe, die ihn anziehe; ein Mann, der unter Struensee viel Vertrauen genoß, jetzt einsam lebte, hatte, obgleich viel älter als er, allem Anscheine nach sein ganzes Vertrauen gewonnen. Man sah sie fast immer zusammen. Aber dieser wollte sich, wenn man ihn fragte, nicht äußern. Ein dritter junger Mann hatte sich an beide angeschlossen, aber ein trauriges Ereigniß, welches eine Zeit lang der Gegenstand des allgemeinen Gesprächs war, stürzte diesen jungen Mann in Wahnsinn, und trennte Walseth von seinem Freunde. Auch der Freund war in schmerzhaftester Spannung. Er beschloß nun, nach Bergen zu reisen. Er behauptete, da wichtige Geschäfte zu haben. Auch sein bisheriger Freund war dorthin gegangen. Von dem letztern erfuhr man nur, daß er auf der Westküste von Norwegen, nicht in Bergen selbst, sondern auf Bommelien, einer der vielen Inseln, südlich von Bergen liegend, angekommen, aber da spurlos verschwunden sey. Walseth hielt sich in Bergen bei einem Verwandten auf, und wußte hier seinen keimenden Wahnsinn so zu verbergen, daß man es gar nicht bedenklich fand, als er sich entschloß, eine Fußreise auf mehrere Tage zu machen. Mit einem kleinen Ränzel auf dem Rücken, war er zu Fuße weggegangen, und muß mit irgend einem Boote weiter gefahren seyn. Aber alle Erkundigungen waren bis jetzt umsonst gewesen. Die erste Nachricht seit seiner Abreise von Bergen, die mein Freund in Kopenhagen erhalten, war die, daß er todtkrank in meinem Hause läge.

Alles, was ich auf diese Weise erfuhr, mußte die größte Theilnahme erregen. Ich betrachtete den armen jugendlichen Mann, wie er dalag. Die blauen Lippen bewegten sich, die Augen schienen gebrochen, er röchelte, und wir erwarteten jeden Augenblick den letzten Athemzug. Plötzlich stöhnte er laut auf, das Herz klopfte nicht mehr, kein Athem war zu spüren. Amalie zerfloß in Thränen; und wer konnte sich der innigsten Wehmuth wehren, daß ein trefflicher Geist nun so enden sollte. Der Arzt kam.

Ich komme also zu spät, sagte er, ich eilte, was ich nur vermochte, denn ich hatte es erwartet.

Der einfache Sarg ward bestellt, die Beerdigung sollte still seyn; weil wir aber, wie der Arzt versicherte, keinen Grund hatten, damit zu eilen, da eben ein strenger Winter war, wurde der Sarg in eine entfernte große Stube gesetzt. Wachslichter brannten daneben, und die Stube war mäßig erwärmt, weil, um den Todten auszuzeichnen, fortdauernd zwei Frauen die Leiche bewachten.

Meine Tochter hatte den Brief gelesen, und war tief erschüttert, ja ich glaubte zu bemerken, daß sie den Todten nicht bloß als einen Fremden, dessen Tod freilich unter solchen Umständen Theilnahme erregen mußte, beweinte. Oft schlich sie sich am Tage, wenn keiner bei der Leiche war, dahin. Einmal traf ich sie, indem sie sich betrachtend über das todte Antlitz neigte: Vater, sagte sie, nie sah ich einen schönern, männlicheren, milderen, geistreicheren Mann. Wie er so ruhig daliegt! heiter scheint er mir zu seyn; ja, ihm ist wohl, allen Kummer hat er hier tragen müssen, um dort gereinigt zu erscheinen. Gewiß, es war ein herrlicher Mensch! Und die Thränen stürzten ihr aus den Augen. Ich las in ihrer Seele, denn ich kannte sie. Kaum war sie sich bewußt, wie die Liebe zu dem jungen Manne erwachte; aber so lange er lebte, würde eine geheime Scheu jede offene Aeußerung zurückgedrängt haben. Doch nun war er todt. Alles war jetzt vorbei, und das wehmüthige Andenken an einen Verstorbenen konnte sich unbefangen äußern. Mich ergriff es, wenn ich bedachte, daß ihre erste, tiefe, reine Liebe nun im Grabe ruhen sollte; und doch mußte ich gestehen, daß ich mich glücklich zu schätzen hatte, daß es so gekommen war. Konnte ich ihre Zuneigung mißbilligen? Wie er da lag, lächelte er mild wie ein Engel, und das zarte, jugendliche Antlitz zog mich unwiderstehlich an. Alles Unruhige, Leidenschaftliche war verschwunden, und es war mir, als spräche der Friede, den er nun nach so harten inneren Kämpfen genoß, vernehmlich aus seinen Zügen.

Er sollte am dritten Tage Nachmittags begraben werden. Sein Herz stockte in der zehnten Vormittagsstunde. Die Veranstaltungen zum Begräbnisse gaben im Hause manches zu thun. Auf dem Lande, wo die Wenigen, welche die Leiche zum Grabe begleiten, Gäste des Hauses sind, muß man mancherlei Vorkehrungen treffen. Ich sann über einer passenden Rede am Grabe, bei einer so ungewöhnlichen Gelegenheit. – Da stürzte Amalie in derselben zehnten Stunde in meine Stube herein: Vater, rief sie voll Entsetzen, Vater! Aber mehr vermochte sie nicht hervorzubringen. Sie zog mich mit Gewalt nach sich, bis zur Leichenstube hin. Als ich hineintrat, saß der Todte aufrecht. Amalie blieb entsetzt an der Thüre stehen, auch ich war erschrocken. Da ich aber bei der Art seines Todes wenigstens die Möglichkeit eines Wiederauflebens einsah, wenn ich sie mir gleich nicht gedacht hatte, so wandte ich mich nur kurz gegen meine Tochter, versicherte, daß Fälle der Art schon bekannt seyen, und ging auf den Wiedererwachten zu.

Er sah sich verstört in der Stube um, und schien sich zu besinnen, blickte auf seine Umgebung, besah das Leichentuch, und rief nun mit einer schwachen Stimme: Mein Gott, ich liege ja in einem Sarge! Jetzt wandte er mit Erstaunen die Augen nach mir hin, und schien zu überlegen, ob er mich kenne oder nicht. Ich bat ihn, sich zu beruhigen, versicherte ihn, daß er unter Menschen sey, die ihm wohlwollten, erzählte ihm, wie er, besinnungslos und von einer tödtlichen Krankheit ergriffen, in mein Haus gebracht worden wäre, wie wir ihn todt geglaubt hätten; daß aber dieser Scheintodt ohne allen Zweifel eine Krise wäre, die seine Krankheit gebrochen hätte.

Der Arzt, der an dem jungen Manne vielen Antheil genommen hatte, wollte ihn auch zu dem Grabe begleiten, und war zugegen. Er eilte herbei. Walseth ward aus dem Sarge gehoben und in seine Krankenstube gebracht. Er war sehr ruhig, äußerst matt, und obgleich seine Vorstellungen völlig geordnet waren, schien doch das Gedächtniß fast ganz verloren. Einige Tage lag er wie in einem Halbschlummer, erholte sich aber immer mehr und mehr, und nun fing er an zu sprechen, erzählte von seiner Reise in Frankreich, England und Deutschland; zuerst waren seine Erzählungen nur einzelne, abgebrochene Bruchstücke, und er bestrebte sich mühsam, den Zusammenhang zu finden, ohne daß es ihm gelang. Allmälig stellte sich das Gedächtniß wieder her, wehmüthig, doch ohne irgend ein beunruhigendes Symptom, besann er sich jetzt auf den Tod seiner Eltern. Dagegen wußte er von den letzten Tagen seines Aufenthalts in Kopenhagen, von seiner Reise nach Bergen und über das öde Gebirge fast nichts. Diese ganze Zeit lag wie ein wüster Traum vor ihm, und nur dunkel wußte er sich zu entsinnen, daß er von Kopenhagen abgereist war, daß er, wie im Traume, eine Seereise gemacht hatte, ohne doch diese Vorstellungen von mancherlei Phantasien seiner Krankheit sondern zu können. Immer aber schüttelte er voll Verwunderung den Kopf, wenn man den Ort nannte, wo er sich jetzt aufhielt. Ich brachte jede freie Stunde bei seinem Bette zu.

Amaliens Zustand ängstigte mich. Ihr erstes Gefühl, als sie das Schrecken überwunden hatte, war eine Freude, die sie nicht verbergen konnte. Sie sprach viel, vergaß sich in ihrem innern Jubel ganz, und überließ sich völlig einer Neigung, die sich in das eben so seltsame als glückliche Ereigniß hüllte, und deren sie sich selbst nicht deutlich bewußt war, Aber bald fing sie an, still, in sich gekehrt, ängstlich zu werden. Oft überzog eine plötzliche Schamröthe ihr Gesicht, und wechselte mit einer Leichenblässe. Wie sie mir später gestand, war es die Erinnerung an ihr Benehmen gegen den Scheintodten in meiner Gegenwart, welche sie dann peinigte. Was damals eine unbefangene Aeußerung war, erschien ihr jetzt höchst bedenklich, so wie sie sich des Grundes derselben immer klarer bewußt wurde. Sie war von jetzt an auch in meiner Gegenwart befangen und ängstlich. Früher war sie stets heiter, jetzt trüb und schweigsam. Keine Beschäftigung genügte ihr, und der stille, sich verbergende Fleiß, der sie von Jugend an ausgezeichnet hatte, war verschwunden. Beständig sorgte sie für den Kranken, sie fragte den Dienstboten, die Wärterin, die ihn pflegte, nach seinem Befinden, den Arzt mit Aengstlichkeit nach seiner Diät, und bei Allem, was sie, immer selbst, für ihn bereitete, hatte sie tausend Zweifel, ob es auch so, wie es zubereitet war, ihm heilsam wäre. Ihn selbst sah sie nie, verbarg sich vielmehr vor ihm, und ich ließ das richtige Gefühl walten.

In der Gegend hatte das Ereigniß großes Aufsehen erregt. Pfeilschnell verbreitete sich das Gerücht, und wie es zu geschehen pflegt, in fernen Gegenden gewann das Ereigniß ein völlig phantastisches Ansehen. Die mancherlei Gegenstände, mit welchen ich mich beschäftigte, mancherlei Vorfälle in fremden Ländern, die ich durch unmittelbare Korrespondenz erfuhr, und deren Kunde dann erst auf einem weit langsameren Wege in das Gebirge eindrang, meine für eine Gegend, wie diese, bedeutende Bibliothek und die vielen Bücher, die zur See immer von Neuem ankamen, dann einige Instrumente, ein Himmels- und ein Erd-Globus, ein Teleskop u. dgl., endlich mein nächtliches Studiren hatten die seltsamsten Vorstellungen in den einfachen Menschen, denen das Nächste und Natürlichste immer am fernsten liegt, erzeugt. Ich ward der kluge Prediger, der weise Mann genannt. Ich sollte die Fähigkeit besitzen, Alles, was geschehe, selbst an den entlegensten Orten, in demselben Augenblicke, wann es sich ereignete, zu wissen: und jetzt behauptete man, ich hätte einen Todten wieder belebt. Von den fernsten Gegenden in Numedalen, selbst in Valders reiste man her, um sich von dem Wunder zu überzeugen, und es kostete mir Mühe genug, den guten Leuten den ganz natürlichen Hergang der Sache glaublich zu machen.

Aber bald wurde meine Aufmerksamkeit von diesen äußeren Verhältnissen abgewendet; denn der Zustand meiner Tochter ward immer bedenklicher, ich wußte nicht, welchen Weg ich ergreifen sollte. Bisher hatte ich ihr, sie mir nichts verborgen. Offen lag ihre Seele vor mir, und auch jetzt durchschaute ich sie ganz. Aber ein Verhältniß hatte sich gewaltsam zwischen uns gedrängt, welches uns beiden die Zunge band. Walseth kannte sie nicht einmal, er hatte sie nie gesehen, besinnungslos, wie er war, bis ihn der Scheintod ergriff, hatte er Keinen von seiner Umgebung erkannt. Auch sie sagte sich, daß es so sey; aber wie sollten wir ein so zartes Verhältniß berühren? Selbst wenn der Fall eintreten sollte, daß meine Tochter einen eben so großen Eindruck auf ihn, wie er auf sie, machte: konnte ich sie ruhig verbunden sehen mit einem Manne, der, wie von bösen Geistern gepeitscht, bis jetzt ein furchtbares, fast gespensterhaftes Leben geführt hatte? Voller Sorgen sah ich der Entwicklung eines so bedenklichen Zustandes entgegen, indem ich erkannte, daß ein jedes voreilige Eingreifen unverständig seyn würde.

Walseths Gesundheit nahm indessen immer mehr zu, jede Gefahr war verschwunden, und er konnte schon Stunden lang das Krankenlager, wenn gleich noch nicht die Stube verlassen. Unsere Gespräche wurden immer lebhafter. Ich suchte jeden Gegenstand, jede Erinnerung, die ihn schmerzhaft berühren konnte, zu vermeiden, und sein reicher Geist entfaltete sich immer schöner. Die lang entbehrte geistreiche Unterhaltung wurde mir nun auf eine so unerwartete Weise zu Theil, und, ich gestehe es, ich schwelgte darin, und konnte alles Drückende, Quälende vergessen.

 

Eines Tages, als ich ihn, wie gewöhnlich, besuchte, schien er mir ängstlich über etwas nachzudenken. Er wollte sprechen, und es war, als wagte er es nicht. Ich konnte nur einen Augenblick bei ihm bleiben; Amtsgeschäfte riefen mich nach einer entfernten Gegend meines Kirchspiels und forderten eine Abwesenheit von mehreren Tagen. Als ich wegreisen sollte, verlangte meine Tochter, daß ich sie mitnähme. Ich war in der That in Verlegenheit, ich fühlte wohl, daß sie Recht hatte, und doch peinigte es mich, wenn ich bedachte, daß der Kranke in dieser Zeit ihre Pflege entbehren müßte. Indessen, wenn ich erwog, daß die Anwesenheit meiner Tochter ihm unbekannt war, daß er von ihr nichts wußte, daß die alte, sorgsame und verständige Bauersfrau, die seine Pflege übernommen hatte, ihn gewiß nicht vernachlässigen würde, so mußte ich wohl ihren Wunsch erfüllen; und sie reiste mit. Aber die augenscheinliche Aengstlichkeit, die sie nicht zu verbergen vermochte, und die Sorgfalt, mit welcher sie ein jedes Gespräch vermied, wenn es auf unser Verhältniß zu dem Kranken führen konnte, überzeugten mich nur zu sehr von der unüberwindlichen Gewalt ihrer stillen Liebe. Es war eine höchst traurige Reise. Wir wußten beide, wie wir gegen einander standen, und keiner durfte sprechen. Konnte ein Vater, der seine Tochter grenzenlos liebte, konnte eine Tochter, deren ganzes Leben bis dahin in dem vertrautesten Umgange mit einem geliebten Vater verflossen war, in eine peinlichere Lage versetzt werden? Wie auf einer einsamen Insel hatten wir Jahre lang mit einander gelebt, und das Heiligste und Beste, was wir Beide besaßen, hatten wir gemeinsam genossen, und nun saßen wir da, starrten uns an, und mußten uns gestehen, daß Schweigen und Sprechen gleich ängstlich war.

Als ich zurückkam, fand ich den Kranken sehr heiter. Er hatte Shakespeares Hamlet vor sich liegen.

So war mein Leben, sagte er, ein Spielball herrschender Empfindungen, die ich weder abzuweisen noch zu gebrauchen vermochte; aber ich fühle es, ich bin wieder auferstanden, ich fange ein neues Leben an, und je mehr die physischen Kräfte zunehmen, je klarer ich mich und meine Lage zu durchschauen vermag, desto deutlicher fühle ich es, daß ich hier leben muß, in diesem stillen, einsamen Thale, unter den natürlichen einfachen Menschen, geschützt gegen die Verwirrung der Welt durch diese Gebirge, die wie eine liebliche Heimath mich umgeben. Nur in dem Gebirge kann der Mensch ruhig leben, das flache Land hat etwas Wüstes, Unheimliches, die öde Unendlichkeit, die sich nach allen Richtungen eröffnet, läßt uns nicht zur Ruhe kommen. Wo ich große, bewohnte Sandflächen sah, da wunderte es mich, daß die Häuser stehen blieben, daß sie nicht davon gingen, wie der bewegliche Sand. Der Mensch, sagt man, soll sich beschränken; aber am natürlichsten beschränkt er sich da, wo die Gegend schon für die Schranken gesorgt hat; da hat er eine liebe, warme Heimath – ja, hier im einsam schönen Thale will ich meine unstäten Wünsche begraben, und als ein wahrhaft neu Belebter wieder erstehen.

Lieber Herr Pastor! Sie sind allein; vielleicht haben Sie eine geliebte Frau verloren, wahrscheinlich sind Ihre Kinder verheirathet, fern – Sie sind allein, seyn Sie mein Vater, nehmen Sie mich in Ihr Haus auf, dulden Sie mich wenigstens in Ihrer Nähe, lieber, mir so theurer Vater, dem ich mein Leben, mein erneuertes Daseyn verdanke.

Ich erschrak, aber ich sah wohl ein, wie tödtend eine abschlägliche Antwort wirken müßte. Wäre ich allein, wie Walseth meinte, kein größeres Glück könnte ich mir denken, als einen solchen Freund fortdauernd in meiner Nähe.

Walseth, erwiederte ich, habe ich wohl daran gedacht, Sie zu entfernen? Mein Haus könnte keinen mir liebern Gast aufnehmen, bleiben Sie, so lange es Ihnen gefällt, nur vermeiden Sie solche gar zu leidenschaftliche Scenen; glauben Sie mir, noch sind Sie nicht stark genug.

Er schien mit dieser halben Antwort nicht ganz zufrieden, er hatte eine andere erwartet. Indessen gelang es mir doch, ihn zu beruhigen.

Ich war nicht wenig verwundert, als ich sah, daß Walseth wirklich glaubte, ich wohne ganz allein mit den Dienstboten in meinem Hause; ich erfuhr aber bald, daß Amalie diesen und der Wärterin eingeschärft hatte, den Kranken nichts davon merken zu lassen, daß ich eine Tochter hätte. Ich warf mir vor, daß ich nicht, wie ich hätte thun sollen, seine Täuschung aufhob; aber ein seltsames Widerstreben im Innersten meiner Seele verhinderte es. Jetzt war es zu spät, obgleich ich wohl voraussah, daß die unvermeidliche Katastrophe nahe war, die ich nicht abzuwenden vermochte, die ich mit geheimer Angst erwartete. Sie sollte auf eine schnelle, entscheidende, mir unerwartete Weise eintreten.

An einem schönen, warmen Sommerabende, einige Tage nach diesem Gespräche mit Walseth, fuhr ich mit meiner Tochter auf dem See. Als die Dämmerung einbrach, näherten wir uns der Wohnung, und ruderten längs dem felsigen, mit Gebüsch bewachsenen Ufer hin. Amalie hatte die Guitarre mit, und nachdem sie mehrere Lieder gesungen hatte, fing sie an, während wir auf das Haus näher zu fuhren, dasselbe Lied zu singen, welches wir diesen Morgen hörten. Luise hatte die Altstimme der Mutter geerbt. Seit dem Erwachen des Kranken vom Scheintode hatte meine Tochter nicht zu Hause gesungen. Als ich etwa eine Stunde später Walseth besuchte, fand ich diesen völlig angezogen. Er saß, nachdenklich, den Kopf auf den Ellenbogen gestützt, und kam mir erhitzt und bewegt entgegen.

Ich bin etwas angegriffen, sagte er, indem er sich gleich niedersetzte, und merke nun wohl, daß ich mir zu viel zugetraut habe.

Was haben Sie gethan? rief ich, etwas bestürzt.

Sie werden schelten; aber hoffentlich wird meine Uebereilung keine schädlichen Folgen haben. Der Abend war so schön, die milde Wärme strömte erquickend zum Fenster hinein, vor mir lag nur die düstere Gebirgswand, aber hinter dem Hause hörte ich die Wellen des Sees an die steinigen Ufer schlagen. Kein Lüftchen rührte sich. Ich konnte der Lust nicht widerstehen, die freie Luft, eine freiere Gegend zu genießen, benutzte die Abwesenheit der Wärterin, und schlich hinunter. Die Treppe kostete mir etwas Mühe, auf den Stock gestützt erreichte ich den Garten, die Ufer des Sees, und genoß mit heißer Begierde, in vollen Zügen den erquickenden Luftstrom. Alles, was mir in diesen Tagen begegnet war, mein Sterben, mein Wiederaufwachen schwebte vor meinem Innern, und ich sank erschöpft, in seliger Ermattung, hinter dem Gebüsche auf eine Felsenbank hin. Da trat mit ungewöhnlicher Deutlichkeit ein Traum hervor, oder vielmehr eine Vision, eine Erscheinung, ich weiß keine passendere Benennung für ein Ereignis, welches mit aller Klarheit einer wirklichen Begebenheit mir vorschwebt, ohne daß ich es wagen darf, es so zu nennen. Eine geheime Scheu verhinderte mich, Ihnen diesen Theil meiner Krankheitsgeschichte mitzutheilen.

Er schwieg einen Augenblick, und die schwache Stimme, noch durch die Krankheit gebrochen, hatte etwas Mildes, Weiches, höchst Eindringliches.

Oft, fuhr er dann zaudernd fort, haben in den letzten Nächten die Träume mir die Zeit, während ich vom Todesschlafe überwältigt in dem Sarge lag, vor die Seele gebracht. Die Empfindung war höchst angenehm, ich war von einem stillen Entzücken durchdrungen, es war mir, als wäre der Körper die weiche, bequeme Ruhestätte, in welcher nach harter Anstrengung der ermüdete Geist voller Lust sich niederließe. Ich fühlte ein stilles Wogen und Schwanken, spürte durchaus kein Verlangen, meine Lage im Geringsten zu verändern, und überließ mich mit völliger Hingebung dem erquickenden Eindrucke einer seligen Ruhe ganz. Zuweilen schien es mir, als hörte ich aus der Ferne eine himmlische Musik, und noch, indem ich jetzt die Erinnerung mir zurückrufe, ist es mir, als durchwehte ein Gefühl der tiefen friedlichen Stille mein Innerstes. Indem ich nun so lag, sah ich eine jugendliche, schöne weibliche Gestalt sich dem Sarge nähern. Meine Augen waren fest, ja wie durch eine unwiderstehliche Gewalt, zusammengedrückt, und dennoch erblickte ich die Gestalt äußerst deutlich. Ich würde sie augenblicklich erkennen, wenn ich sie sähe, denn völlig lebendig schwebt sie fortdauernd in meiner Seele. Sie neigte sich über den Sarg, das blasse Antlitz war mit Thränen bedeckt, ich fühlte, wie sie meine Wangen benetzten. Sie bedauerte meinen Tod. O! du Lieber, Geliebter, sagte sie, so sollte ich dich nur kennen lernen, um Zeuge des furchtbaren Kampfes zu seyn, und nur der Tod vermochte den Frieden in deine Gesichtszüge zu bringen. Ich darf nicht wiederholen, was ich so hörte, jede Aeußerung versetzte mich in den Himmel. Einige Male hörte ich einen Namen rufen. Plötzlich erhob sich dann die Gestalt, trocknete die Thränen ab, und verschwand. Des Namens, den ich auf diese Weise während des Todesschlafes hörte, erinnerte ich mich jedesmal sehr deutlich in den Träumen der vergangenen Nächte; aber es war mir unmöglich, mich auf ihn zu besinnen, wenn ich erwachte. Die Unruhe, mit welcher ich diesen Namen wieder in das Gedächtnis zurückzurufen strebte, als hinge mein innerstes Wohl davon ab, mag vorzüglich dazu beigetragen haben, in den letzten Tagen das Fieber zu erzeugen, welches meinen Arzt etwas beunruhigte. Je mehr ich diese Träume mir wiederholte, desto fester überzeugte ich mich, daß diese Erscheinung, die nichts von den wilden willkürlichen Kombinationen eines Traumes zeigte, eine wirkliche Begebenheit enthielte, ich erinnerte mich, auf meiner Reise von bedeutenden Aerzten ähnliche Fälle gehört zu haben, ich hatte deren in älteren Schriften selbst gelesen. Diesen Nachmittag schlummerte ich sanft ein, die Erscheinung trat mit erschreckender Klarheit wieder vor meine Seele, und als ich erwachte, war es vorzüglich die innere Bewegung, die mich, wie ahnend, was mir begegnen sollte, in die freie Luft trieb.

Als ich nun erschöpft auf die Felsbank hinsank, hörte ich Ruderschläge in der Nähe, langsam näherte sich ein Boot, ich erkannte Ihre Stimme, Amalie sagten Sie – ich hörte nichts weiter; denn das war der lange vergebens gesuchte Name.

In der höchsten unruhigen Spannung bog ich mich über das Gebüsch, dennoch bemüht, mich zu verbergen, und sah eine jugendliche weibliche Gestalt, schlank, anmuthig, das Gesicht von mir abgewendet.

Eine Guitarre ruhte in ihren Armen und sie sang ein trauriges Volkslied. Ich erkannte Sie, theuerster Freund, und fürchtete schon, daß das Gebüsch und die Dämmerung mich nicht hinlänglich verbergen würden. Das Boot kam so nahe, die klangvolle herrliche Stimme war so klar und deutlich, daß ich jedes Wort verstehen konnte, da war es mir, als wenn der böse Geist, der mich in früher Jugend ergriffen hatte, noch einmal hervorträte, immer näher kam er, er wollte sich schon in meinem Innersten anklammern, daß ich mich ergeben mußte und alle kleinen Bilder, die wandten sich um – da ertönten die letzten Worte des Liedes – Braut, Braut – und er ist gestorben ohne Seufzer und Laut – so klangen sie in meinem Innersten wieder; der Geist verschwand, das selige Gefühl, daß er mich nun auf immer verlassen habe, durchdrang mich, und als das Lied geendigt war, fing die ferne himmlische Musik, wie ich sie im Sarge gehört hatte, an zu ertönen. Er schwieg, ich auch; aber er ließ mir keine Zeit, mich zu besinnen, was ich antworten sollte. Sie haben eine Tochter, warum haben Sie Ihre Amalie, warum hat sie sich selbst vor mir verbergen wollen? Im Sarge bin ich mit ihr verlobt. Wohl mag eine Ahnung des Traumes mich durchflogen haben, als ich Ihnen den Wunsch äußerte, hier in diesem stillen Thal mein Leben zu beschließen. Sie besitzen den Engel, der meinen bösen Dämon abwenden sollte, Sie haben mich nicht aus dem Sarge gehoben, um mich in die finsterste Nacht der schwärzesten Verzweiflung zurückzustoßen; und Amalie liebt mich, mit der seligsten Gewißheit darf ich es behaupten.

Ich sah das Unvermeidliche vor mir. Folgen Sie mir, Walseth, sagte ich; und verwundert, ungewiß, was er glauben sollte, erhob er sich. Ich reichte ihm die Hand, geleitete ihn die Treppe hinunter, in meine Arbeitsstube, wo Amalie mich beim Thee erwartete. Sie erschrak, als sie den Kranken hereintreten sah. Sehen Sie, Amalie, meine Tochter, sagte ich, indem ich sie ihm vorstellte. Amalie! rief er, und stürzte mit offenen Armen auf sie zu. Edward! antwortete sie, und sank an seine Brust. Sie haben später versichert, daß sie sich durchaus nur als lange in wechselseitiger Liebe verbunden vorgekommen wären, als sähen sie sich jetzt nach einer langen, schmerzhaften Trennung wieder vereinigt. So war der Schritt, den ich, unschlüssig schwankend, vermeiden und nicht vermeiden wollte, gethan, die Liebenden waren selig; doch trennte ich sie nach kurzer Zeit, und Amalie drang nun selbst mit Aengstlichkeit auf seine Entfernung. Ich befürchtete schlimme Folgen, meine Tochter brachte die Nacht voller Sorgen zu. Als ich aber des Morgens früh von Unruhe getrieben, mich nach Walseths Krankenstube schlich, war ich nicht wenig erstaunt, ihn völlig angezogen zu finden. Er trat mir heiter, kräftig entgegen. Diese Nacht hat alle Schwäche von mir entfernt, sagte er, ich fühlte in der letzten Zeit deutlich: nur die Qual, in welcher eine unbefriedigte Sehnsucht mich fest hielt, nur die peinigende Ungewißheit, wie ich dasjenige, was mein Traum mir als Wirklichkeit schon geschenkt hatte, das höchste Glück, was mir so nahe lag, erreichen sollte, nur dieser innere Zwiespalt war es, der meine Genesung aufhielt. Es war mir, als wenn alle Pulsschläge sich nach rascherer Bewegung sehnten, als wenn alle gesunden Kräfte des Lebens da wären, und ungeduldig auf die Entfernung der widerstrebenden Unruhe harrten. Glauben Sie nicht, daß ich die Nacht wachend, ungeduldig zugebracht habe. Ich habe vortrefflich geschlafen. So mag einem Menschen zu Muthe seyn, wenn er nach einem gewaltsamen Sturme, auf dem Meere herumgetrieben, zuerst sicher und ruhig auf dem festen Lande einschläft.

Amalie sah nach der unruhig durchwachten Nacht hinfälliger aus, als Walseth; aber die Freude, als sie ihn wie durch einen Zauber kräftig und gesund fand, wirkte fast eben so schnell auf sie.

Kinder, sagte ich, als wir ruhig beisammen saßen, – was auf eine so seltsame, so gewaltsame Weise, einer unwillkürlichen Naturthat ähnlich, geschah, dem soll der Mensch sich nicht gedankenlos hingeben. Ich kenne keine beschränktere, in vieler Rücksicht keine schädlichere Meinung, als die, welche in solchen Fällen Winke der Vorsehung sieht, der man sich willenlos ergeben solle. Alles, was von oben kömmt, nimmt die ganze volle geistige Kraft, die klare Besonnenheit in Anspruch, und was nur aus dem dunkeln, sich selbst nicht fassenden Gefühle geboren wird, ist vom Uebel. Hierin liegt der Keim der furchtbarsten Schwärmereien, die bald das Gemüth einzelner Menschen, bald größere gesellige Verbindungen, nicht selten ganze Zeitalter und Staaten durch innern Zwiespalt und gränzenlose Verwirrung zerstören. Ihr habt euch auf ungewöhnliche Weise gefunden, ihr liebt euch wechselseitig, und ich will eurer Neigung keine Hindernisse in den Weg legen. Das aber fordre ich: der gestrige Auftritt soll keinen von euch binden. Sie, lieber Walseth, sehen selbst ein, daß Sie jetzt nicht länger in meinem Hause leben können. Ich rathe, daß Sie sich noch heute eine andere Wohnung suchen, etwa bei Biörn, einem verständigen, wohlhabenden Bauer, der sie gern aufnehmen wird. Wenn Sie mich besuchen, sind Sie mir willkommen, und wenn, was so unvermuthet herbeigeführt wurde, euch beide nach einem halben Jahre noch durchdringt, dann gebe ich euch meinen Segen, wenn Gott mir bis dahin das Leben gönnt.

Leichter, als ich vermuthete, willigten beide ein; ihre Zuneigung trug überhaupt ein Gepräge der Mäßigung, alles wild Leidenschaftliche war verschwunden, und ich fing an, mich über dieses Ereigniß völlig zu beruhigen. Walseth zog noch denselben Tag in diese Wohnung, bei Eisteins Vater, ein, er wollte, gab er vor, bis zu seiner völligen Herstellung eine schriftliche Arbeit vornehmen. Hier, in dieser ruhigen Gegend, fand er eine Muße, wie er sie anderwo vergebens suchen mochte. Als seine Gesundheit völlig wieder hergestellt war, gab die noch nicht vollendete Arbeit, der heranrückende Winter, der die Abreise aus diesen rauhen Gebirgsgegenden erschwerte, hinlänglichen Vorwand, seinen Aufenthalt zu verlängern. Sein Umgang erheiterte mich, seine Arbeit – es war nicht ein bloßes Vorgeben – gewährte uns hinreichenden Stoff zur Unterhaltung, er und Amalie waren vollkommen glücklich. Auch sein vormaliger Vormund, seine entfernten Verwandten, mußten seinen Entschluß billigen, und eine stille Hochzeit verband die Beglückten, die von nun an in meinem Hause wohnten, so daß meine Tochter, wie bisher, die Wirthschaft besorgte.

So verflossen fünfzehn volle Jahre. Keine Spur der trüben Stimmung zeigte sich, und was so lange gedauert hatte, erschien uns sicher. Zuweilen, in den ersten Jahren, beschlich mich wohl die geheime Furcht, aber sie verschwand zuletzt ganz. Amalie kannte sie nicht, ihre Liebe ließ keine Besorgniß in ihr aufkommen.

Es war eine glückliche Zeit, und ich darf es nicht läugnen, ich verdanke meinem Schwiegersohne viel. Ich hatte in früher Jugend ein buntes, mannigfaltiges Leben,, voll bedeutender geistiger Anregungen, durchlebt, ich befand mich in großen Umgebungen, ich glaubte hohe Ansprüche an mein Daseyn machen zu können, und selbst nachdem ich lange hier gewohnt hatte, warf ich von diesen entfernten, abgeschlossenen Gebirgen unruhige Blicke nach der bewegten Welt. Eine jede bedeutende Nachricht aus der Hauptstadt, jedes Ereigniß zog meinen sehnsüchtigen Geist von der stillen Umgebung weg. Ich muß mir es vorwerfen, daß ich meiner Gemeinde nur mit halber Seele zugehörte. Durch Walseth lernte ich meine Einsamkeit schätzen. Sie war freilich unendlich reicher durch ihn. Er war fortdauernd thätig; er ließ keinen Augenblick unbenutzt vorübergehn, und meine Thätigkeit ward durch seine gesteigert. Er unterhielt, wie ich, eine beständige, meist literarische Korrespondenz, alle bedeutenden neuen Schriften wurden uns zugesandt, und die große Büchersammlung, die Sie in meinem Hause finden, rührt hauptsächlich von ihm her; obgleich lange Gewohnheit mich dazu brachte, auch nach dem unerwarteten Unglücke, welches uns traf, den Bücherschatz, wenn auch nicht so reich, zu vermehren. Sein ansehnliches Vermögen ward fast ganz für die Gegend verwendet, und er war der Abgott der Bauern, mit welchen, für welche er fortdauernd lebte. Nichts, behauptete er, ist thörichter, ja betrübender, als die Selbstsucht des Menschen, wenn sie selbst da sich hineindrängt, wo sie für Andere, für das allgemeine Beste, für den Staat thätig seyn wollen, und so die eigene Absicht zerstört. Ist dieses aber nicht der Fall, wenn man große weitläuftige äußere Veranstaltungen trifft, Institute bildet, und dann erst die Menschen, als etwas Sekundäres sucht, den Geist von außen hineinpflanzt, der das äußerlich Gewordene erst beleben soll? Wie viel Herrlicheres würde sich erzeugen, wenn man solche Veranstaltungen nicht aus allgemeinen Begriffen, sondern aus der lebendigen Idee eines mächtigen Geistes sich frei bilden ließe. Aber man will selbst hier, wo man für Andere zu wirken meint, immer nur wieder sich selbst, der arme Mensch vermag sich nicht loszureißen von der Selbstsucht, die ihn fest umstrickt hält. Freilich, die Großen würden nicht genannt werden als Gründer solcher Anstalten, wenn der Geist sein Recht behauptete und da herrschte, wo ihm die Gewalt gebührt. Wie vieles Große würde schon unter uns leben und gedeihen, wenn wir nicht den freien Geist in seinen Bestrebungen durch beschränkende Einrichtungen hemmten; wenn wir vielmehr diesen erst zu erkennen strebten, und ihm mehr als unsern dürftigen Anordnungen zutrauten, wenn wir uns begnügten, wo wir es vermöchten, ihm freie Bahn zu machen; ja wenn wir uns scheuten, neue Einrichtungen als nothwendig zu betrachten, bloß, weil ein besonderes Talent ihr Daseyn forderte. Aber freilich, wer diese höchste Gabe, die Geister zu unterscheiden, und die noch höhere Liebe, die, nach dem Apostel, ihr erst einen Werth giebt, besäße, den würden wir wohl Alle selbst als den ersten Geist anerkennen; und es ist wohl thöricht von mir, das Höchste und Seltenste als das Allgemeinste und Gewöhnlichste zu fordern. Das, was in den größeren, verworrenen Kreisen der Menschen nicht Statt finden kann, sollte das nicht in engeren abgeschlossenen, in unsern Thälern auszuführen seyn?

Und in diesem Sinne handelte er. Alles blieb äußerlich, wie es war, wie es sich in den einfachen Verhältnissen durch das dringende Bedürfnis seit Jahrhunderten gebildet hatte. Schulen können hier nicht bestehen. Durch Berge und unwegsame Gegenden sind die zerstreuten Wohnungen von einander getrennt. Daher findet man hier nur wandernde Schullehrer, die von einem zum Andern gehen, bald hier, bald da bei den reichen Bauern leben. Die näher Liegenden schicken dann ihre Kinder dahin, und selten bleibt ein solcher mehr, als zwei Monate, an einem Orte. Die Kenntnisse eines solchen Schullehrers sind natürlich nicht die ausgebreitetsten, und man muß sich wohl wundern, daß dessen ungeachtet unsere Bauern denen anderer Länder, wo man eben auf die Schulanstalten so viele Aufmerksamkeit verwendet, wo alle Künsteleien verschiedener Erziehungsmethoden sich wechselseitig zu verdrängen und zu überbieten suchen, was die Bildung betrifft, nicht bloß gleichgestellt werden können, sondern sogar diese übertreffen. Aber eine einfache durch die Natur, durch das Bedürfniß selbst gebotene Einrichtung behauptet ihren Werth, ihre Vorzüge. So auch diese. Was die Schullehrer nicht leisten können, müssen die Aeltern selbst ersetzen. In den kurzen ruhigen Wintertagen sieht man sie selbst den Unterricht besorgen. So wird nicht allein das Erworbene fortgepflanzt, es erhält sich auch, und jeder junge Mann, jedes Mädchen sucht nicht bloß sich durch die Schulzeit hindurch zu winden, wie durch einen lästigen Zwang; sie müssen sich, wie für den Ackerbau, den Fischfang, die Jagd, die häusliche Arbeit, so auch für den Unterricht ihrer zukünftigen Kinder ausbilden. So erhält die Ausbildung für diesen Menschen einen bleibenden Werth, und die dürftigste Mittheilung wird ein Keim, aus dem sich gesunde Früchte erzeugen, während die üppigste Mittheilung in andern, scheinbar mehr begünstigten Gegenden sich oft als nutzlos vergeudet zeigt. Jeder Bauer kann schreiben und fertig lesen. Man findet bei ihnen immer Andachtsbücher, oft die Bibel, und die Beschäftigung mit dem religiösen Unterrichte erhält den frommen Sinn. Nicht selten trifft man die alten Geschichtsschreiber des Vaterlandes, vor Allen den herrlichen, prächtigen, mit Herodot zu vergleichenden Snorro Sturleson. Manches andere nützliche Buch, fast immer ernsthaften, öfter historischen Inhalts sieht man, und dann alte Sagen, Erzählungen aus der Ritterzeit, Märchen. Ich habe nie gefunden, daß sie schädlich wären. Freilich herrschen noch viele Vorurtheile, Aberglaube, und der Bauer ist halsstarrig; er leidet es nicht, daß, was für ihn einen Werth hat, geradezu angegriffen wird, sein Stolz artet oft in widerwärtigen Eigendünkel aus, er ist zanksüchtig, und die unbändigste Rachsucht hat er von seinen Vorältern geerbt mit ihren Vorzügen; so daß wir wohl inne werden mußten, daß wir mit Menschen zu thun hätten. Aber er ist bieder und treu. Veraltete Vorurtheile, Aberglaube, der durch Jahrhunderte fortwuchs, müssen abfallen von selbst, wie überreife Auswüchse, müssen von der gesunden geistigen Organisation abgestoßen werden, und so sich allmälig ablösen, die revolutionäre Chirurgie unsrer Tage, der Schnitt, ist immer gefährlich und verletzt leicht die edelsten Theile. Wir änderten nichts in dem Bestehenden, aber sich den wandernden Schullehrern gleichstellend, unterstützte Walseth die Aeltern in dem Unterricht, indem er nichts sorgfältiger vermied, als die eigenthümliche Richtung des Geistes zu stören, die natürlichen Schranken, innerhalb welchen so vieles Herrliche gedeihen kann, niederzureißen. Er gab ihnen einen Begriff von fernen Ländern, mehr auf eine solche Weise, daß sie ein lebendiges Bild mannichfaltiger menschlicher Eigenthümlichkeiten erhielten, als indem er ihnen Tabellen und Namen, Staatsverfassungen und Einwohnerzahl beibrachte, was freilich unserm guten Kapellane besser zusagt.

In unsern Thälern, wie in allen höhern Gebirgsthälern herrscht das praktische Geschick vor, und wird durch den beständigen Kampf mit einer mächtigen Natur angeregt. Mechanische Talente sind bei uns, wie in allen Gebirgsländern, nichts Seltenes, oft erfindet ein Bauer, ohne irgend eine Anleitung, die komplicirtesten Maschinen, andere sind ganz auf ihre Weise Uhrmacher, und nicht selten übertreffen ihre eignen Arbeiten die Muster, nach welchen sie sich richten. Angebornes mathematisches Talent, welches bei der geringsten Anleitung sich wie von selbst entwickelt, findet man häufig.

In allen solchen Fällen wußte Walseth den ohne Hilfsmittel Fortstrebenden die angemessensten zu verschaffen. Wenn irgend ein solcher Bauer ein Werk unternahm, war immer die nothwendige Unterstützung da, und wenn es öfter mißlang, konnte er eben so unverdrossen und thätig für die neuen Versuche sich interessiren, als wäre es seine eigene Arbeit. Denn die That, das Streben, das Talent, welches sich dabei zu entwickeln strebte, nicht das Werk, war es, was ihn anzog. Es scheint nicht recht gehen zu wollen, sagte er dann; aber ich bin begierig, wie er sich helfen wird. Wenige nur, ein paar junge Männer, die Talent für das Zeichnen hatten, einen, der auf eigne Hand, und ohne jemals etwas Vorzügliches gesehen zu haben, eine ganz erträgliche Marmorbüste zu Stande brachte, unterstützte er, daß sie nach Kopenhagen, ja der erwähnte später nach Italien reisen konnte. Er that es immer ungern und bedauerte die Armen, daß sie das stille Thal und das ruhige Leben verlassen müßten.

So lebten wir keineswegs müßig. Nur einmal besuchten wir auf einige Monate Christiania. Alles ging hier seinen gewöhnlichen Gang, und auch die herandringenden Wellen der revolutionären Ueberschwemmung brachen sich an unsern festen Felsen, hinter welchen wir sicher und zufrieden lebten. Daß der Mann, der so thätig für die Ausbildung um sich herum wirkte, nicht seyn eignes Kind vergaß – Liebe Luise, du hast viel verloren – Er schwieg. – – –

Ich habe, fuhr Steenersen fort, geflissentlich Alles so weitläufig erzählt, wie es mir der alte Prediger mittheilte. Auch er machte die Bemerkung, daß er nur zu gern bei einer Zeit verweile, in welcher er so glücklich gelebt habe, daß er sich scheue, dem Augenblicke nahe zu treten, der Alles zerstörte.

Luise hatte sich entfernt; sie war äußerst bewegt.

Es ist mir lieb, sagte der Alte, daß sie weggegangen ist; sie scheint zu ahnen, wie in dem letzten Theil unserer Begebenheit Fälle vorkommen, die sie nicht kennt; und in der That, ich hätte Einiges verschweigen müssen, wenn sie dageblieben wäre.

Siebzehn Jahre hatte die glücklichste Ehe gedauert, keiner ahnete auch nur von fern, daß der heitere thätige Mann noch Spuren der alten finstern Stimmung in sich verbergen könnte. Da fiel einmal, als einige Kaufleute aus Skeen uns besuchten, zufällig die Rede auf einen gewissen Franz Leith. Eistein, der dabei war, wollte bemerkt haben, daß Walseth, als er diesen Namen hörte, sehr gespannt auf das Gespräch horchte. Man erzählte, wie dieser Leith, der sich eine Zeit lang in der Gegend von Skeen aufgehalten hatte, vor etwa siebzehn Jahren von Kopenhagen nach Bergen gereist, wie er gar nicht diesen Ort erreicht habe, sondern seitdem spurlos verschwunden sey. Walseth war offenbar bei dieser Nachricht erschrocken, er blieb, so viele Mühe er sich auch gab, es nicht zu scheinen, zerstreut und verwirrt, und seine Frau zeigte sich zum erstenmale seinetwegen beunruhigt. Auch ich erschrak, als ich zu ahnen anfing, daß Leith's Schicksal mit der unglücklichen Periode in Walseths Leben in Verbindung stünde. Franz Leith war ein naher Verwandter meiner Frau, die jugendlichen Begebenheiten, die sein Vater mit Walseths erlebt hatte, waren seltsamer Art und mir wohl bekannt, ja mit Franz Leith war ich selber erzogen; seit langer Zeit hatte ich nur gehört, daß er unter Struensee eine bedeutende Rolle spielte, daß er es aber war, der von meinem Freund in Kopenhagen bezeichnet ward, als ich die erste Nachricht von Walseth's frühern Verhältnissen erhielt, konnte mir nicht einfallen. Zwar hatte Walseth sich den Tag darauf völlig ermannt, die lange Gewohnheit eines hellen, besonnenen Nachdenkens, einer überlegten Thätigkeit half ihm jetzt auf eine kräftigere Weise, als früher, den finstern Geist, der ihn ergreifen wollte, bekämpfen; doch bemerkten wir, daß er oft die Einsamkeit suchte, man erblickte ihn, wenn er sich allein glaubte, wie er erschüttert und angstvoll zu Gott flehte, wie er knieend und händeringend zum Himmel schaute. Eine bange Ahnung fing an mein Inneres zu durchschauern.

Seltsam ist es, fuhr der Prediger mit feierlichem Ernst fort, wie bedeutende Ereignisse, die im menschlichen Leben zum Glück oder Unglück sich entwickeln sollen, vorbereitet werden durch solche, die mit ihnen in keiner Berührung zu stehn scheinen. Der unermüdliche Eifer des guten Kapellan, alte Papiere zu durchsuchen, sollte das zur Reife bringen, was die Erzählung der Gäste in der Seele des unglücklichen Walseth angeregt hatte. Ein Beamter in Skeen war gestorben, und unter seinen Papieren fanden sich viele, die auf den vormaligen Zustand unseres Kirchspiels Bezug hatten. Er machte selbst eine Reise nach Skeen und ruhte nicht eher, bis man ihm die Erlaubniß ertheilt hatte, diese Papiere mitzunehmen und durchzuforschen. Triumphirend trat er zu uns herein, belastet mit seinem Packet, und hoffte nun endlich über manches in seinen Augen höchst Wichtige Aufschlüsse zu erhalten. Unter seinen übrigen Sachen wurden auch diese hingelegt. Zufällig ergriff Walseth die Neugierde, diese Akten flüchtig durchzublättern. Man sah ihn damit beschäftigt, und wie er ein Blatt fand, erschrocken es hinwarf, laut aufschrie, schnell auf seine Stube rannte, dort mit mancherlei herumkramte, und davon eilte – und seit der Zeit – es sind zwei Jahre seitdem verflossen – haben wir ihn gar nicht gesehn.

Es war im Junimonat. Daß er den ganzen Vormittag hindurch sich nicht sehen ließ, war etwas sehr Gewöhnliches. Als er den Mittag nicht kam, wunderten wir uns, denn er pflegte nie, ohne es uns vorher wissen zu lassen, wegzubleiben; als er aber auch den Abend nicht erschien, ward meine Tochter, die überhaupt in der letzten Zeit durch seine Stimmung geängstigt war, sehr unruhig, und als wir wartend da saßen bis gegen Mitternacht, und er immer noch nicht da war, da ergriff uns die höchste Angst. Wir weckten die Dienstboten auf und erfuhren jetzt erst, was ich eben erzählte, welches einer von ihnen wahrgenommen hatte, aber uns wiederzuerzählen sich nicht getraute. Ich eilte zu Nordahl, er mußte mir die Papiere zeigen, und als ich lange vergebens gesucht hatte, fand ich endlich, unter den vielen, unordentlich zusammengehäuften Sachen auf den Boden hingeworfen, und offenbar mit Wuth zerdrückt, folgenden damals siebzehn Jahr alten Brief, der durch einen höchst unglücklichen Zufall unter diese Papiere sich verloren hatte.

Ich habe für dich, lieber Bull, eine Abschrift genommen, sprach Steenersen, holte sie aus seiner Brieftasche hervor, und las:

 

Kopenhagen, den 8. Juni 1775.

Ja ein Thor bin ich, der ich ein verwegenes Spiel mit meinem ganzen innern Daseyn treibe – ich habe es zum dritten, hoffentlich zum letztenmale verloren. Das Leben ekelt mich an, die Menschen sind mir fremd geworden. Ich mag das alberne Spiel nicht noch einmal wagen. Was ich verlor, ist unersetzlich, ich habe keinen Begriff von einem Gewinne, der mich reizen könnte.

Als die kühne Gestalt in unserem erstarrten Norden erschien, frisch, heiter, schön; als er, der einzige, der mir bemerkenswerth war, den Muth hatte, die größte Gewalt, die unbeschränkteste in Europa als ein seinem Geiste gebührendes Eigenthum zu betrachten; als er rücksichtslos gegen jedes Hinderniß losstürmte, daß ihm die Mächtigsten weichen mußten; als neben ihm die herrlichste königliche Frau stand, die ihm ihr Vertrauen schenkte: wie schön, wie heiter erschien mir mein Leben! Und ich wurde ihm werth. Dem entfesselten Geiste sollte ich freie Bahn bereiten, die Trägen entfernen, die Schlummernden erwecken, die Starken zu einem mächtigen Bunde vereinigen. Die höchste Gewalt stand mir zu Gebote, und ich hatte den Willen, sie zu brauchen. Frei will der Mensch seyn, und dennoch sträubt er sich am meisten gegen die Freiheit, die wahre, innere, die alle Willkür verschmäht. Das höchste Glück, so glaubte ich, hatte ich errungen, und schwelgte in dem Genusse; denn eine unbegränzte Thätigkeit lag vor mir, und was ich klar dachte, das vermochte ich auch. Kein äußeres Ehrenzeichen hatte ich erhalten – ich verschmähte es, – keine Reichthümer wurden mir geboten – ich wollte sie nicht. Das verborgene Vertrauen war mir das schönste, und geheime Thätigkeit hatte für mich den größten Reiz. Ich sah es wohl, wie die Gegner flüsterten, es entging mir nicht, wie sie sich vereinigten, wie ihr verstecktes Spiel ihn immer näher umschloß.

Eine innere Angst ergriff mich; aber Struensee's völlige Sicherheit, sein Vertrauen, daß er nächtlich wandelte in der schwindeligen Höhe, als ginge er auf dem festen Boden, vernichtete jede Furcht. Als er gestürzt wurde, glaubte ich ihn am Sichersten. Der Pöbel schrie, die List, die nichts Großartiges wollte, und der eben daher durch kleinliche Mittel Alles gelingt, siegte. Ich sah ihn wanken, sah ihn gefesselt, sah ihn auf dem Blutgerüste, als einen reumüthigen Sünder, sterben, sah die königliche Frau vertrieben, und mit Schmach bedeckt. Gleichgültig war es mir, daß auch mich der Hohn der triumphirenden Stumpfheit traf. Hohnlachend betrachtete ich die wüsten Trümmer meines Glückes, meiner Hoffnungen. Ich wollte fliehen, ob aus dem Leben, oder nur aus dem Norden, wußte ich noch nicht. Da lernte ich einen seltenen, seltsamen Menschen – Walseth hieß er – kennen. Unsere Väter waren durch die seltsamsten Ereignisse, in welche auch ich hineingezogen wurde, innig verbunden, die treuesten Freunde. Man hielt ihn für halb wahnsinnig. Er floh die Welt, deren Abgott er gewesen war, die Welt ihn. Ein lichter Grund von Liebe und Treue blickte durch die finstern Wolken einer furchtbaren Schwermuth hindurch, ein heller Himmel und eine nächtliche Hölle, beide gleich grundlos, hatten ihre Wohnstätte in einer menschlichen Brust gefunden. Ein seltsames Gespräch ließ uns wechselseitig in den Abgrund einer tiefzerrütteten Seele hineinblicken. Was suchtest du? dachte ich. Kampf der Geister, und Sieg der besseren. Thor, du wähntest ihn zu finden, wo eine blödsinnige Menge um Nichtwürdiges würfelt. Ein Mensch ist mehr, als der Staat, im Innern, im Innersten ist die Stätte der mächtigsten Kämpfe, der räthselhaftesten, da ist der schönste Sieg, den Frieden zu erringen; es ist kein Wahn, denn haben nicht Viele den innern Frieden wirklich errungen? Walseth glaubte nicht an die Welt, nicht an sich; aber mir schenkte er das vollste Vertrauen. Ich wagte den Kampf mit seinen Furien, ich lächelte, wenn sie ihre Schlangenhäupter schüttelten und mich mit den starren, leichenhaften Blicken ihrer hohlen Augen durchbohren wollten; denn ein felsenfestes Vertrauen trug uns, das Feld war unser, und muthvoll führte ich den gefährlichsten Krieg. Wie oft waren wir an den Gipfel des Wahnsinnes gekommen, daß wir fragten, ob Etwas sey, daß die großen, eisernen Flügelthüren der Vernichtung sich aufthaten und hinter uns zuschlugen, uns trennten von der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, daß vor uns lag das ewige Nichts und wir an der Verzweiflung verzweifelten. Freund, hast du jemals den entzückenden Schauder, das reizende Entsetzen gekannt, wenn Alles sich wirbelnd herumdreht, wenn die erschöpfte Einbildungskraft unter den verworrenen Trümmern ihrer eigenen Herrlichkeit zusammenstürzt, sie anlächelt, wie ein Kind, und ausruft: es ist zwar zertrümmert, aber es war ja Nichts. Ich schloß mich immer fester, immer inniger an diesen mächtigen Menschen, und seinen nächtlichen Kampf an. Er schien mir so großartig, so tief, so unergründlich. Aber konnte ich es ahnen, daß das Kleinste, daß die jämmerliche Pein schwacher Seelen, daß die armseligste Megäre der Stumpfsinnigsten, daß die geringste der Furien, die das Mißtrauen erzeugt, den Verdacht unter Freunden, diese feigherzige Verbrecherin, die mit geheimer Vergiftung spielt, sich in den großen, offenen Kampf auf Tod und Leben mischen würde! Allein sie that es, und ich sank, mitten in dem heißen Kampfe, von ihrem Gifte angesteckt. Wir wurden plötzlich in eine furchtbare Begebenheit verflochten. Ich hatte für ihn gehandelt, ich mußte es – die That zerriß das letzte Band, welches mich noch an die Menschen knüpfte. Ich erwähne es nicht, als wenn es etwas Besonderes wäre. Ich achtete den Verlust nicht. Aber eben das Opfer, das ich brachte, wenn man es so nennen will, erregte den Verdacht. Wir aber waren auf immer getrennt, und ich hatte nun Alles verloren. Ein heftiger Ingrimm waffnete mich gegen Alles, was mich umgiebt, ich hasse die Menschen, bloß weil sie da sind, und eine Eiskälte macht mein Innerstes erstarren. Ich habe keine Thräne mehr und kein Mitleid, auch mit meinem eigenen Zustande keines, und ich treffe mich oft in hellem Auflachen. Nur fliehen muß ich, ich weiß nicht, wohin; du wirst aber lange nichts von mir hören.

Franz Leith.

 

Ich will, sagte der alte Prediger, nachdem er mir diesen Brief überreicht und ich ihn gelesen hatte, nicht mit einer Beschreibung der Empfindungen, die uns niederdrückten, als wir dieses Schreiben gefunden hatten, beschwerlich fallen. Es war unmöglich, es vor meiner unglücklichen Tochter zu verheimlichen. Sie lief mir nach, sie war Zeuge meines Entsetzens, als ich ihn las, sie riß ihn mir aus den Händen und sank in tiefe Ohnmacht hin, als sie den Inhalt kannte. Eine langwierige, gefährliche Krankheit nahm ihr das Bewußtseyn ihres Unglücks; und seit der Zeit sitzt sie, still, ergeben, zuweilen in Gebet versunken, und dann wieder von einem geheimen Grauen ergriffen, in völliger Einsamkeit; nur ich, ihre Tochter und eine Magd, die sie von jeher liebte, durften ihre Wohnung betreten. Ich merkte es nur zu bald, daß die gräßliche Vermuthung, die auch noch jetzt, wenn sie mich ergreift, mein Innerstes mit Entsetzen erfüllt, ihr vorschwebte. Mußten nicht die furchtbaren unwillkürlichen Aeußerungen des Unglücklichen, als wir ihn fanden, die Nachrichten über seinen früheren Zustand, seine innere Unruhe, als er nach langen Jahren den Namen Franz Leith nennen hörte, das Verschwinden dieses seines vormaligen Freundes, endlich sein eignes Verschwinden, nachdem er den Brief gefunden hatte, uns, die wir beständig über sein Schicksal nachsannen, eine Vermuthung aufdrängen, die wir uns zu nennen scheueten, die wir uns, obgleich sie immer von Neuem uns vernichtend entgegentrat, niemals wechselseitig mitzutheilen wagten? Die Heiterkeit und Ruhe, die der Unglückliche in so langer Zeit ununterbrochen zeigte, schien mit einer so entsetzlichen That im Widerspruche zu stehn. Wenn wir aber bedachten, wie er früher, und bis die Krankheit und der Scheintod als eine wohlthätige Krise eintrat, in halbem Wahnsinne lebte; wie Alles aus der letzten Zeit vor der Krankheit entweder ganz aus seinem Gedächtnisse verschwunden war, oder wie ein wüster Traum, dessen Erinnerung er floh, nicht als Wirklichkeit ihm vorschwebte: so konnte diese Ruhe nicht so ganz unerklärbar scheinen. Und dennoch werde ich durch ein mächtiges Gefühl aufrecht erhalten, durch einen Glauben, der zuweilen zwar schwankt, mich aber nie ganz verläßt. Es kann nicht wahr seyn, so tief läßt Gott den redlich Kämpfenden nie sinken; ja sein eignes Geständniß würde mir diesen Glauben nicht nehmen – der war es auch gewiß, der ihm so lange die Heiterkeit und Ruhe einer reinen Seele schenkte. Aber still und öde ist es seitdem in meinem Hause, jede Freude schweigt und tritt zurück, indem sie sich meiner Schwelle nähert. Alles trauert um mich herum, denn Jeder hat verloren, wie ich. Ich trete in kein Haus, ohne daß mir unterdrückte Seufzer entgegenkommen, keine Mutter begegnet mir, ohne mir wehmüthig die Hand zu drücken.

Wir suchten den Unglücklichen anfänglich allenthalben, wir hofften noch, ihn zu finden. Nachrichten aus Skeen zerstörten diese Hoffnungen auf immer. Er war dort erschienen, hatte vorgegeben, daß er, um einem bedeutenden Verluste seines Vermögens zu entgehen, eilig nach Hamburg reisen müßte. Aus diesem Verluste erklärte man sein zerstörtes Wesen, so wenig kannte man ihn. Er erfuhr, daß ein Schiff segelfertig nach Hamburg in Portsgrund liege und eilte dahin. Bekannt, wie er war, in der ganzen Gegend, erhielt er ohne Bedenken gleich einen Paß ausgefertigt, und schon den Tag darauf ging das Schiff ab.

In Portsgrund hatte er, was bei seinem Reichthum keine Schwierigkeiten fand, Wechsel auf Hamburg genommen. Es war, als wenn Alles seine Flucht unterstützen sollte. Der Wind war günstig, und als Verwandte in Kopenhagen, denen wir die unglückliche Nachricht mitgetheilt hatten, sich an die Häuser in Hamburg wendeten, auf welche die Wechsel gestellt waren, war er auch da verschwunden.

Vorigen Sommer kam hier ein Herr Ulf an, der Vater des jungen Mannes, der eben nicht zu seinem Vortheile sich in diesen Tagen unter uns zeigte, und der nicht bloß zufällig dieses Gebirge besuchte. Der Verwandte bewies eine große Teilnahme, erkundigte sich genau nach allen Umständen, und verließ uns, ohne daß wir über die Absichten seines Besuchs den geringsten Verdacht hatten. Ihn begleitete der Bediente, den Sie, wie mir Eistein erzählte, in Bolkesiö trafen. Kurz nach seiner Abreise vermißten wir alle Dokumente über Walseths Vermögen. In dieser Gegend hatten wir seit langen Jahren verlernt, uns gegen Diebstahl zu verwahren; wie konnten wir einen theilnehmenden Verwandten verdächtig finden? Zwar hatte er sich sehr genau nach den Vermögensumständen des Unglücklichen erkundigt, zwar ließ er sich die Dokumente zeigen; aber es geschah Alles auf die unverdächtigste Weise. Auch jetzt noch, nachdem wir diesen Verlust bemerkt hatten, mochten wir diesem unwürdigen Verdachte keinen Raum geben. Wir sollten bald die volle Ueberzeugung erhalten. Herr Ulf hatte, wie wir erst später erfuhren, einen gesetzlichen Anspruch auf einen großen Theil von Walseths Vermögen, wenn dieser erblos stürbe. Er fing jetzt darüber einen Prozess an; und um seine Ansprüche gegen meine Enkelin zu begründen, behauptete er, daß wir den bekannten Wahnsinn, an welchem Walseth gelitten, benutzt hätten, um ihn zur Heirath zu verleiten, und so zu dem Besitze seines Vermögens zu kommen. Unter den Dokumenten waren mehrere, die auch diese Behauptung vernichten mußten. Aber einige Beamte, der Arzt, Eisteins Vater, die als Zeugen der Hochzeit beigewohnt hatten, waren gestorben, nur das Kirchenbuch in meinen Händen und die Unterschriften der Zeugen bekräftigten den Akt der Vermählung. Dieser Mensch ist noch weiter gegangen; Eistein, der, als Kind in unserem Hause erzogen, Freude und Leid mit uns getheilt hat, vermuthete immer, daß Kasper der Entwender der Dokumente seyn müsse, und ward völlig davon überzeugt, als dieser zu entweichen versuchte. Als er ihn nun selbst ergriff, zog Kasper ein Papier hervor, von Walseths Hand geschrieben, in welchem dieser selbst sich als Mörder Leiths angiebt; er zeigte ferner, wie man genaue Erkundigungen über Leiths letzten Aufenthalt in der Gegend von Bergen eingezogen hätte, die deutlich bewiesen, dass dieser eben zu der Zeit, als auch Walseth sich da aufhielt, auf einmal verschwunden war. Kaspers Absicht, weshalb er sich in diese Gegend geschlichen hatte, war keine andere, als mich aufzusuchen, um, indem er mir diese Umstände vorlegte, mich zu bewegen, für meine Enkelin auf das Vermögen gutwillig Verzicht zu leisten. Dem handfesten und derben Eistein wollte er aber ausweichen. Eistein, mit allen Umständen bekannt, wie wir von der entsetzlichen Vermuthung gequält, glaubte, als er sie auf eine so unvermuthete Weise bestätigt sah, nicht etwas Gewaltsames wagen zu dürfen. Kasper, der jetzt seinen Aufenthalt in dieser Gegend bedenklich finden mochte, ist seitdem völlig verschwunden, der Sohn des Herrn Ulf unterließ aber nicht, mir alle diese Umstände drohend vorzuhalten. Ich war, ich gestehe es, zuerst unschlüssig; aber bald trat der feste Glaube mit voller Gewalt hervor. Ich erklärte ihm entschieden, daß ich die Hülfe der Obrigkeit nachsuchen würde, um Kasper als den vermuthlichen Entwender der Dokumente zur Untersuchung zu ziehen, ihnen aber überließe, ihre Sache, wie sie es vermöchten, zu betreiben. Es ist nicht von dem Vermögen die Rede. Es gilt meine Ehre, die Ehre meiner Tochter und meiner Enkelin. Zwar ist es entsetzlich, daß die Bosheit es wagt, meine in Unschuld und stillem Frieden alt gewordene Tochter vor den Gerichten als die Buhlerin eines Mörders in Anspruch zu nehmen, daß sie die Abkunft meiner lieben, reinen, unschuldigen Luise zu beschmutzen suchen; aber die Schmach, die Schande soll sie selbst treffen, und gewiß, je genauer jedes Zusammenkommen der beiden sich verkennenden Freunde untersucht wird, desto gewisser wird auch die Unschuld Walseths, deren er sich leider selbst nicht bewußt ist, hervortreten, unsern, seinen eignen Wahn zu vernichten. Diese letzteren Umstände sind für Mutter und Tochter ein Geheimniß; mögen sie nie davon etwas erfahren. –


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