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Norwegen.

Aus: Die gegenwärtige Zeit.

– Die Ufer dieses Landes sind an vielen Stellen sehr gefährlich. Aus der weitesten Ferne entdeckt man das rauhe, wilde Gebirge, starre Felsen ragen in das Meer hinaus und bilden, unter den Wellen verborgene, furchtbare Felsenriffe. Durch das labyrinthische Gewinde solcher Felsen das Schiff zu führen, ist, selbst unter den günstigsten Umständen, nur dem einheimischen, gewandten Seemanne möglich; wer aber durch den Ungestüm der Winde an solches Felsengestade geschlagen wird, sieht dem unvermeidlichen Tode entgegen. An dieser rauhen Gebirgsküste wohnt der norwegische Lootse, kühn, ehrliebend, dessen fast unbegreifliches Geschick Erstaunen erregt, von Kindheit an mit dem Meere bekannt, mit Gefahren spielend. Wenn Meer und Wind mit Gefahr drohen, dann findet man ihn oft viele Meilen weit von seiner Gebirgsheimath in der See, von Nebel umhüllt, wo die hohen Wellen mit dem kleinen offenen Boote spielen. Hier lauert er, ob Jemand seiner Hülfe bedarf. Wo ein Schiff dem Untergange nahe ist, da hält ihn keine Gefahr zurück. Ein gastfreies Volk erwartet die Verunglückten am Ufer, um sie mit Liebe und Theilnahme zu empfangen. Hier sind keine Medaillen, keine sittenverderbende Blätter, die, was rein menschlich ist, durch schlechtes Lob verzerren. Der norwegische Lootse ist stolz – aber auf die Bedeutung seines ganzen Daseyns, nicht auf eine einzelne That. Oft sind ihm Vater, Großvater und Urgroßvater auf dem Meere in dem schönsten Geschäft gestorben; er erwartet den nämlichen Tod, nie sucht er ihm zu entgehen. Eine mäßige Taxe ist sein ganzer Lohn. Bewußtlos wächst seine Tugend aus dem gesunden Kern einer ursprünglich edlen Natur. So empfängt der Norwege die Nothleidenden, so wird die gefahrdrohende Härte des Landes durch die edle Natur der Einwohner gemildert. Ich berufe mich auf das einstimmige Zeugniß aller Seefahrer der nördlichen Gewässer. Doch rühmt man vorzüglich die Lootsen der südlichen und östlichen Ufer.

Tiefer in diesem Lande wohnt der norwegische Bauer. Als in frühern Zeiten die kühnen Normannen, Abenteuer suchend, die alte Heimath verließen, und im Süden mächtige Reiche stifteten, blieben die Voreltern dieser Bauern, der uralten Sitte getreu, genügsam in den einsamen Thälern des rauhen nördlichen Gebirgs. Die norwegischen fruchtbaren Thäler, Guldbrandsdalen, Tellemarken, Segnedalen, Ringeringe u. a. m., sind daher von einem höchst merkwürdigen Volke bewohnt. Das Getreide, dort von so hohem Werth, sichert den Wohlstand; getrennt von der verworrenen Welt, pflanzt sich bei ihnen alte Sitte unverändert fort. Seit vielen Jahrhunderten ist die Ruhe in diesen Thälern selten und nur vorübergehend gestört. Das abgeschlossene Daseyn hat selbst den Stamm in seltener Reinheit erhalten. Diese einsamen Wohnplätze enthalten Weniges, was die Raubgier herrschsüchtiger Großen reizen könnte, daher ist das Feudalsystem niemals in Norwegen aufgekommen. Schweden hat einen uralten, mächtigen Adel, Dänemark einen zurückgedrängten, Norwegen gar keinen. Ein Paar reiche und mächtige adelige Besitzer leben zwar dort; aber einen norwegischen Adel im deutschen Sinne giebt es nicht, vielmehr erhält sich hier noch die älteste germanische Weise, wie sie vor undenklichen Zeiten zu Grunde ging. Die meisten Bauern sind Allodialbesitzer, Freiherren im ächtesten, uralt germanischen Sinne. Eigentliche Knechte, ursprünglich Unterworfene und Unfreie findet man nicht in Norwegen; wer dienen muß, ist Mitglied eines republikanischen Familienbundes. Die bürgerliche Freiheit, nirgends in allen Verhältnissen reiner, ward seit Jahrhunderten mehr durch die Tugend der Bürger, als durch Verfassung, mehr durch Sinn, als durch Worte erhalten. Es giebt Bauern in diesen Thälern, die von den alten Königen und Jarlen abstammen, aber nur das stolze Bewußtseyn ihrer hohen Abkunft, kein äußerer Glanz, keine drückenden Vorzüge, sondern sie von den übrigen. Die widerstrebende Natur fordert zur immer fortdauernden rüstigen Thätigkeit auf und unterhält eine tüchtige Gesundheit; die Männer besonders sind schön. Ein Glaube herrscht im ganzen Lande, durch keine Abweichung gestört, durch keine falsche Aufklärung wankend gemacht. Der stolzeste Freiheitssinn konnte sich hier, wie vielleicht nirgends, mit dem ruhigsten Gehorsam, mit der reinsten Hingebung, mit der unerschütterlichsten Treue verbinden. Der wohlhabende Thalbewohner bildet daher, durch diese Vorzüge gehoben, den ächten, wahrhaft vornehmen Adel, die unversiegbare Quelle einer stets frischen, herrlichen Nationalität. Denn was aus diesem Mittelpunkte hervorquillt, das durchströmet wie ein heller, erquicklicher Lebensstrom alle Verhältnisse.

Das Land ist reich an Produkten von mancherlei Art. Unermeßliche Wälder bedecken das Gebirge, und bilden mit den schroffen Felsen, den schäumenden Flüssen, den mächtigen Wasserfällen, den hereintretenden Meeresbusen, den großen Landseen, den schön grünenden Thälern, besonders im Süden, die reizendsten Gegenden. Die Berge enthalten einen unerschöpflichen Reichthum an Metallen, vorzüglich Eisen und Kupfer, auch Kobalt und Silber, die Meere wimmeln von Fischen. An der ganzen, über zweihundert Meilen langen Westküste, von unzählbaren, nackten, felsichten Inseln umgeben, ohne Wälder, einem rauhen, unfruchtbaren Lande, wohnen in zerstreuten Hütten, von kahlen Felsen umgeben, die Fischer, ein rohes, unsauberes Volk, das freilich wenig von der sittlichen und physischen Reinlichkeit zeigt, die die Bauern so bestimmt auszeichnet. Indessen bilden sich aus ihrer Mitte die norwegischen Seeleute, die als die gewandtesten und kühnsten unter den Engländern bekannt sind. Der reiche Fischfang hat den Norweger bis jenseit des Polarkreises hingelockt. Alten, in der Nähe vom Nordkap, fast unter 70 Graden nördlicher Breite, ist bekannt. Schöne Tannen- und Birkenwälder, lebendig grüne Wiesen, die herrlichsten Gebirgsformen und das hineintretende Meer bilden in diesem hohen Norden eine höchst anmuthige, ein Paar Monate hindurch Tag und Nacht von der Sonne beleuchtete Gegend, die von allen Reisenden, von Skiöldebrand, Buch, selbst von dem Italiener Acerbi bewundert wird. Reiset man gegen Westen, so findet man in gleicher Breite die Südspitzen von Novaja Semlia, wo einzelne Samojeden unter ewigem Eise hausen, gegen Westen aber die furchtbare, unzugängliche, von Eisfeldern eingeschlossene Ostküste von Grönland, die kein Europäer sah. Und so drängt sich eine liebliche europäische Vegetation in die Polarkreise hinein; der erstarrende Nordpol zieht seine tödtende Winterdecke zurück, indeß seine ewigen Eispaläste sich rechts und links erheben. Ueberhaupt ist die Witterung in Norwegen durch sein langes, gegen das westliche Meer abfallendes Gebirge für seine nördliche Lage äußerst gelind. Die Handelsstädte sind wohlhabend; in vielen findet man einen überraschenden Luxus. Aber selbst die norwegischen Kaufherren, die mit ganz Europa in Verbindung stehen, die an der allgemeinen Ausbildung und Verbildung Theil nehmen, haben im Lande die kecke Freimüthigkeit, die tüchtige, zuversichtliche Weise behalten. Denn der Norweger tritt fest und mannhaft auf, ist höchst lebhaft, bestimmt in seinen Urtheilen, mit einem klaren, leichtfassenden, schnelltreffenden Verstande, treuherzig und leutselig, wie alle Menschen, die eines sichern, innern Besitzes gewiß sind. Sie sind im ganzen Norden berühmt durch eine heitere sorglose Freigebigkeit, durch eine freundliche Gastfreiheit, die alles unbefangen giebt und nichts fordert, sondern einen Jeden seiner Natur, seiner Weise nach gewähren läßt. Selbst der Beamte, der in Kopenhagen seine letzte Ausbildung erhielt, nahm seine Natur meist unverändert in die freie Heimath zurück. Noch hat kein Fremder dieses Land gastlich betreten, dem nicht Land und Meer und Volk als ein tüchtiges Erzeugniß einer innerlich gesunden Natur, voller Kraft und Milde entgegentrat. Wer aus der verworrenen, verwickelten Gährung in Europa hier hinkömmt, dem ist es, als wehte ihm die frische Luft eines einfachen herrlichen Lebens erquickend entgegen, als sähe er den klaren Lebensstrom aus dem tiefen Born eines frühern, längst verwirkten Daseyns rein und kühl hervorquillen. Man könnte die Norweger die Brahminen Germaniens nennen.


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