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Die gegenwärtige Zeit.

Aus: »Die gegenwärtige Zeit und wie sie geworden«. 1817.

Dem ächt spekulativen Sinne ist das menschliche Daseyn selbst das Tiefste und Höchste der Natur, diese die innerste, heiligste Darstellung seines eigensten Wesens; der Mensch ist nicht hingeworfen in eine fremde, ihn zwingende Welt, er ist heimisch in der eigenen, seine Eigenthümlichkeit, rein gefaßt, klar an das Licht geboren, ist nicht ein von der Natur Getrenntes, sie ist lebendiges Organ einer ewigen Natur, die, wie die Liebe, Alles bestätigt, bejaht, in dem eigenen Wesen nicht hemmt und stört. Freiheit und Nothwendigkeit sind nicht im Widerspruche, sie sind ursprünglich eins, denn was wir Nothwendigkeit nennen, die eigentliche, heilige der Natur, ist die der eigenen, nicht einer fremden. Dieser Sinn schaudert nicht vor der Grenze der Natur, sie ist ihm die eigentliche göttliche Gabe, der schöne Umriß der geistigen Gestalt, das Maß, innerhalb welchem Alles gedeiht, und ein jedes unendliche Streben seine Befriedigung findet. – Der Mensch unterliegt nur einem inneren Kampf, der ganz in seiner eigenen Natur liegt, dem räthselhaften mit dem Bösen; wo dieses nicht herrscht, ist er in Einklang mit der ganzen Natur, und wo Begierden und Leidenschaften Zerstörung und Verwirrung hervorrufen, da ist es die innere Zerrüttung, die ihren finstern Schatten über das Daseyn wirft. Diese Ansicht ist nicht bloß, wie bis jetzt, für den frommen Sinn da, sie ist für das Erkennen gewonnen, sie ist aus der Mitte der Reflexion entsprungen; sie hat nicht bloß die Meinungen, die mit todten Stoffen und Atomen einer Seits, mit abstrahirten sogenannten dynamischen, aber kraft- und phantasielosen, anziehenden und zurückstoßenden, kontrahirenden und expandirenden Kräften anderer Seits ein thörichtes Spiel treiben, überwunden, sie hat mit dem höchsten Skepticismus gekämpft, sie ist der Dialektik entgegengetreten, ja sie entspringt siegreich aus dieser. Seit sie in Deutschland laut geworden, ist das furchtbare Streben, die Natur aus einem chemischen Brei, aus Retorten und Kolben, durch Auflösen und Verdunsten, wahrhaft begreifen und erklären zu wollen, auf immer zurückgedrängt; man glaubt nicht das Leben durch das Zersetzen zu begreifen, und die Betrachtung, in die fröhliche, lebendige Natur heraustretend, hat einen würdigen Gegenstand gefunden. Durch diese Ansicht ist die Idee einer lebendigen Entwickelung, einer geistigen Entfaltung entstanden und begründet. Was sich in den Tiefen der Natur regte, was aus dem Innern hervorquoll, war die keimende geistige Gewalt, die in dem Menschen reif wurde; die Gegenwart des gesammten Daseyns erscheint als die Blüthe einer großen Vergangenheit, in dem Ganzen lebt ein ewiger Geist, nicht als ein Princip des bloßen Verstandes zur Erklärung ersonnen, vielmehr als der lebendige Gott, der Urquell alles Lebens, und alle wechselnde Erscheinung hat einen ewigen unwandelbaren Grund. Diese Ewigkeit ist nicht eine abstrakte Allgemeinheit, die alles Eigenthümliche und tief Persönliche vernichtet, um eine hohle Einheit zu gebären, sie ist das Leben selbst, und der Grund ist der Glaube, der gebärende Urquell, die Liebe, die Alles trägt und erhält, und ihre Frucht unsterbliche Hoffnung. Dieser Sinn hat nicht die Erfahrung verdrängt, vielmehr veredelt, sie ist nicht in den unreifen Konstruktionen, an welchen er, keimend, eine unsichere Haltung suchte, gefesselt; aber dennoch hat die Betrachtung des Lebens, die Physiologie, erst eine Bedeutung durch ihn erhalten. Die Gegner freuen sich, daß die von den flachen Anhängern verunstalteten ersten Versuche verloren gegangen sind, und merken nicht, daß, was wahrhaft reell ist in ihren eigenen Bestrebungen, nur aus diesem Sinne hervorgeht; ja mit der Achtung vor lebendiger Erfahrung kann, auch in der verworrenen Arzneikunde, das fast erstorbene Organ, jenes herrliche Talent, welches durch einseitige Hypothesen, durch mechanische und chemische Ansichten, durch abstrahirte Kräfte und brownische Formeln eingeengt war, die freie Bewegung wieder erhalten. Aber auch auf die Gesinnung der Zeit hat dieser Sinn den mächtigsten Einfluß, denn er hat den furchtbarsten Gegner der Religion, den bösen Dämon, der uns irre führte, in seinen innersten Tiefen ergriffen und überwunden; die äußere Natur ist nicht mehr ein todter Bodensatz, der dem bloß endlichen Wissen zum unüberwindlichen Hinterhalt dient, sie hat ihre verborgensten Geheimnisse aufgeschlossen, die sich nicht mehr abweisen lassen. – Was in dem Volke bewußtlos schlummert, das andächtige Gefühl, welches den Frommen an die Natur auf eine heitre Weise, wie an die eigene Heimath, anknüpft, ist als Blüthe der höchsten Erforschung hervorgetreten, der Glaube darf wieder erscheinen, das innerste Gefühl ist nicht dem Spotte preisgegeben, und was wir vor Kurzem als ein Vornehmes und Herrliches verehrten, erscheint als das Flachste und Unbedeutendste. Man hat es als einen Vorwurf herausgehoben, daß die spekulative Ansicht mit der Poesie in einen Bund trat. Nun ist es zwar gewiß, daß die tiefste Erforschung streng seyn, daß sie sich eigentümlich gestalten soll, daß sie, wie Alles, in der vollständigsten Sonderung allein zu gedeihen vermag, daß alle jene spielende Versuche einer tändelnden Phantasie, die durch Schlüsse und Konstruktionen die Poesie trüben, wie die Wissenschaften durch ungeregelte Phantasie, daß die schwebenden Luftgestalten, die aus den wahren Erforschungen zusammen geronnen waren, in unsern Tagen keine Realität haben: aber eben so gewiß ist es, daß die gemeinschaftliche Natur, die die Erforschung mit der Dichtung verbindet, eben ihr größter Vorzug ist, denn sie ist ein Beweis, dass sie das Eigentlichste, Wahrste, Tiefste des Daseyns unmittelbar berührt hat. Diese spekulative Naturwissenschaft ist das ursprünglich angeborne Talent der Dichter, ohne diese giebt es keine Dichtkunst im höhern Sinne, und wenn irgend eine Eigenthümlichkeit die deutschen dichterischen Werke in unsern Tagen bezeichnet, so ist es diese.

Dieser Sinn, der freilich in jeder Richtung der nämliche ist, hat in den geschichtlichen Ansichten der Zeit seinen mächtigen Einfluß bewiesen, er hat das kümmerliche Bestreben, die großen Formen der Vergangenheit aus einer flachen Gegenwart begreifen zu wollen, verdrängt, ja er hat die Vergangenheit gerettet, die mit allen ihren Denkmälern von der Weisheit der Zeit, ihrer Diplomatik, ihren Maximen, ihren Sentenzen, verschüttet war. Waren nicht die gefährlichsten Anstalten getroffen, die ganze Vorzeit des eignen Volks, als in den furchtbarsten Verirrungen befangen, aus welchen wir uns nur mühsam herausgearbeitet haben, auf immer für die lebendige Erinnerung zu vernichten? Ja, lag nicht die Ansicht als die herrschende völlig ausgearbeitet da, daß das Geschlecht ursprünglich vom Wahnsinne ergriffen war, daß die Geschichte in ihren mythischen Tiefen, frisch wie sie aus dem Göttlichen geboren war, mit Verrücktheit anfing, daß in der alten Welt die höchste, heiterste Ausbildung mit dem blödsinnigsten Wahn ein unbegreifliches Gemenge bildete? Ward nicht alles Große in der Geschichte eben so abgewiesen, wie alles Tiefe in der Natur? Hing nicht mit dieser Einsicht alles zusammen, was in unseren Tagen Zerstörendes und Verwirrendes im öffentlichen Leben vorherrschte, – die Geringschätzung des Volks, die Begriffsweisheit der Administration, die Zurückdrängung alles dessen, was sich seit Jahrhunderten gebildet hatte, weil es nicht begriffen ward, ja die Verachtung der Religion? Dagegen erhob sich der ernste Geist der germanischen Natur, und sah in der Verwirrung selber die tiefe Wahrheit; erkannte in dieser die verschlossenen Kräfte der Welt und die eigenthümliche Größe der Zeiten. Ein neues Studium ist seitdem entstanden, geboren aus dem Sinne für die vergangene nationale Größe; man hat das Herrlichste erst jetzt entdeckt, denn auch wer wußte, daß es da war, vermochte es nicht zu erkennen; wie die alte Welt der Griechen und der Römer im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, ist die alte Welt des germanischen Stammes lebendig unter uns geworden; aber wenn damals äußere Ereignisse lang gehemmte Verbindungen eröffneten und lang verborgene Schätze zu Tage förderten, und so dem keimenden Sinne entgegen kamen, so ist in unsern Tagen Alles durch das erwachte Bestreben selbst gewonnen. Ja nicht bloß jene Schätze der Vergangenheit, die, bisher Wenigen bekannt, jetzt unter uns erscheinen, auch die Ruinen, welche die Zeit übrig ließ, werden lebendig und verstanden, nicht bloß diejenigen, die in den stolzen Gebäuden der Zeit getrotzt haben, auch diejenigen, die in dem Gemüthe des Volks sich erhielten. Dem mächtigen spekulativen Sinne verdanken wir es, daß die Eigenthümlichkeit des Volks gerettet wird, und dadurch tritt er schaffend und bildend in das öffentliche Leben hinein, und wirkt mit unwiderstehlicher Gewalt auf alle Formen des Daseyns; und, damit wir das Höchste nennen, er beugt sich vor dem Christenthum selber, das höchste Wissen der Zeit löset sich in demüthige Andacht auf, eine heiligende Sehnsucht hat die Edelsten im Volke ergriffen, der thörichte Spott ist stumpf geworden. In der lebendig religiösen Zeit der Reformation bildeten sich abgesonderte Gemeinden. Sie waren für die Zeit der überhand nehmenden Irreligiosität, was in den frühesten Zeiten die Klöster, die Stätten, in welchen die Andacht sich gegen die herrschende Verwirrung der Zeit zu retten suchte; aber diese Sonderung selbst, obgleich sie den frommen Sinn rettete, als er zu Grunde zu gehen drohete, müssen wir als einen Krankheitszustand des allgemeinen Lebens betrachten. Jetzt trat der Glaube als die höchste Blüthe der tiefsten nationalen Bildung hervor, und alle Waffen, die gegen ihn gebraucht wurden, müssen ihm dienen.

In der scheinbar trüben Verwirrung sah der Besonnene und Kundige jenen heitern Geist in jeder Richtung mächtiger werden, sah, wie er die edelsten Gemüther unwiderstehlich ergriff, wie er selbst in scheinbarem Widerstreite durch mancherlei Windungen eigenthümlicher Bestrebungen auf dasselbe Ziel hindeutete, wie die feste Ueberzeugung sich gebar, das sichere Talent sich freier bewegte, die Sprache sich veredelte, und es war ihm wohl klar, daß, was auf solche Weise geboren war, nicht zu Grunde gehen konnte. Dennoch vermochte das geistige Streben keine feste, nationale Wurzel zu fassen. Was der endliche Sinn geboren hatte, war zu mächtig, die Staatsformen hielten das Volk in einem trägen, leidenden Zustande, während sie sich selber in Aufgaben verwickelt hatten, die nicht zu lösen waren. Der Knoten der Zeit war auf die verworrenste Weise geschürzt, ja die Einsicht, daß er nicht zu lösen war, galt für die höchste Klugheit. Was durch höhere Ideen aus dem Wissen in das Leben hineinsah, erschien, eben der Trennung wegen, als Träumerei. Der Knoten konnte nur zerhauen, nicht gelöst werden.

Die einseitige Richtung der europäischen Kultur hatte alle Länder ergriffen, hatte Alles, was die Vorzeit Großes, Heiliges besaß, aus der lebendigen Erinnerung verdrängt. Daher sehen wir die Tempel äußerlich verfallen, innerlich verödet, den Sinn für ein allgemeineres größeres Leben, für ein erweitertes Daseyn in Liebe und Hingebung erloschen. Finanzpläne, Fabriken, stehende Heere waren die einzigen Zierden der Zeit; sie erhoben sich auf den Trümmern der Vergangenheit, verwandelten alle Menschen in Knechte tödtender Bedürfnisse, und brachten in allen Verhältnissen jenes kümmerliche Unglück hervor, welches abzuwehren alle Kräfte aufgeboten wurden, die Geldnoth. Die Könige wie die Hausväter konnten nur daran denken; ja so ganz waren wir in dieses Elend versunken, daß selbst die Liebe nichts Höheres kannte, als diese Noth von den bejammernswerthen Menschen so viel als möglich abzuwenden. Zu natürlich entsprang daraus der Egoismus, der diesen Besitz für Alles ansah, denn ein höherer Besitz verliert nicht durch die Mittheilung: das irdische Gut fordert alleinigen Besitz, und so erkalteten die Herzen. Wer Geld zu bieten vermochte, konnte Alles beherrschen; keine Macht war höher, und die Knechte des Geldes waren die Herren der Welt. Wohl war noch ein Edleres im Menschen, und er sehnte sich nach einem höheren Gute, aber wie in schweren Träumen, beschwert von verworrenen Gedanken, schlummerte der edlere Sinn, und wo er sich regte, erschien er als ein Ungeheures, als ein phantastischer Wahn, gegen welchen man sich ängstlich sträubte. – Da bildete sich das stille Verlangen in den zerstreuten Geistern des edelsten Volks. Die ersten Versuche waren zwar unvollkommen, sie entsprachen, einzeln betrachtet, der erhabenen Idee nur wenig; die ersten Anklänge bedrängter Gemüther ertönten nur unvernehmlich, indem sie, von der stolzen Erscheinung der Zeit in allen Richtungen ergriffen, wie sehr sie sich auch gegen sie sträubten, ihr dennoch angehörten. Aber desto deutlicher wird es uns, daß, was so unzusammenhängend, ja oft verworren im Einzelnen, was, so scheinbar kleinlich auf mehren Punkten entstanden, zu einer gemeinsamen, lebendigen, Alles belebenden Ansicht heranreifen konnte, eben deswegen, weil Keiner sich nennen kann, als den Urheber einen größern, erhabenern, unsichtbaren anerkennen muß. Dem Frommen ist es wohl bekannt, wie Gott dem Menschen, wenn das Verlangen nach einem himmlischen Gute in ihm keimt, harte Prüfungen zuschickt, und wie er unter schweren Drangsalen für ein höheres Daseyn heranreifen muß. Solche Zeiten der Reue und Buße sollen uns ewig heilig seyn, wir sollen die segnende Hand dankend anerkennen, die die harte Hülle der Verirrung schmerzhaft durchbricht, damit die heilige Saat gedeihe; Völker, wie Menschen erfahren sein gnadenreiches Erbarmen. Wie oft, wenn ein großes Unglück in eine Familie, in eine Stadt hineinschlug, wenn Flammen verzehrend die Häuser zertrümmerten, wenn Wehklagen und Jammer in allen Straßen erschollen, sahen wir, wie alle schöneren Gefühle, die, von der kleinen irdischen Noth gefesselt, in den ruhigen Häusern zurückgedrängt waren, wie eine entfesselte himmlische Gestalt über der brennenden Stadt schwebten; die Liebe trat inbrünstiger hervor, die Herzen erwärmten sich an der feurigen Gluth, die dasjenige verzehrte, was innerlich trennte, wenn es auch äußerlich vereinigte, und, wie in einer allgemeinen Umarmung versunken, vergaßen wir Neid und Haß und jede kleinliche Begierde. O wie oft habe ich in Tagen der allgemeinen Noth, des trostlosesten Jammers, unter tausend Thränen, die heiligsten Gefühle, die in der täglichen, gewöhnlichen Noth erkalten, entfesselt gesehen. – Wehe uns, daß die ruhige Welt den Reiz nicht hat, daß die Liebe mit der verzehrenden Flamme erkaltet, daß die harte Schale sich aus der Asche wieder gebiert, und Liebe und Hingebung enge umschließt! So verläßt der Erlahmte in einem Erdbeben die Ruhestelle, die ihn Jahre lang fesselte, – ach! die erneuerte Kraft erlöscht mit der Gefahr, und er sinkt hin, wenn sie vorüber ist.

Warum mußte Deutschland das Härteste erdulden? Warum die furchtbarste Schmach, die unerträglichste Demüthigung? Deshalb, weil es bestimmt ist, das Heiligste zu offenbaren, weil das Größte im Volke noch schlummert, weil das Höchste aus der geistigen Bildung sich hervordrängt, weil Liebe und Glauben und Treue frei walten sollen. Daher die Prüfung, die Alles zusammenstürzte. Noch nie, seit die germanischen Völker, als Deutsche, das Herz von Europa beherrschten, hatten sie eine solche Schmach erlebt, noch nie waren sie so scheinbar verloren. Hartes zwar hatten sie erduldet, innere Uneinigkeit und Politik fremder Völker hatten das Reich zertrümmert, aber fremde Fesseln kannte das freie Land nicht. Daher vermochten wir es nicht zu glauben, bis das Ungeheure geschehen war. Aber der Knoten, den keine irdische Gewalt zu lösen vermochte, sollte zerhauen werden, damit der keimende Geist eine neue Zukunft gestaltete. Was damals in den Zeiten der höchsten Noth dämmernd hervortrat, das sollen wir festhalten. Damals unter Jammer und Noth, unter unerträglichem Drucke ward Deutschland wiedergeboren, es war das allgemeine Losungswort, und ein Jeder nannte etwas Ueberschwengliches, etwas Heiliges, wenn er das theure Wort aussprach. Ein tiefes Gefühl, wie Erinnerung aus früher Kindheit, ergriff einen Jeden. Auch das äußerlich nicht Verstandene ward innerlich klar, und es war, als ahnete ein Jeder den großen Kampf, den er zu kämpfen habe um ein heimliches verborgenes Gut, welches, ginge es verloren, dem Leben allen Werth, dem Daseyn alle Bedeutung raubte. Deutschland hörte man allenthalben nennen. Das bisher Verschmähte ward einem Jeden ein theures Kleinod, ein Heiligenbild, welches, drohend dem Verräther, selbst geschützt von dem allgewaltigen Tyrannen, keine Ruhe ließ, mahnend den Schwachen, den Gläubigen stärkend, – ja wer recht in fröhlicher Hoffnung lebte, dem war es eine dem Feinde unsichtbare Fahne, die den verborgenen, aber sicher hervortretenden Reihen hoffnungsvoll, siegverkündigend im hellen Sonnenlicht der gläubig erwarteten Zukunft vorwehte. Nein, nicht bloß Sorge um irdische Noth ward durch dich bezeichnet, theures Wort! es war der Urväter geheimer Schatz, der verhüllt und verborgen aus den Trümmern einer nichtigen Gegenwart hervortrat. Als du unter Schmerzen und Sorgen geboren warst, himmlisches Kind, da hattest du keine Stätte, dein Haupt zu legen, und hie und da ward ausgeschickt, das Kind zu fahen und zu tödten, aber der Herr hat dich beschirmt, die himmlischen Heerschaaren verkündigten deine Geburt, und die Weisen hatten den Stern erkannt, der auf deine Ankunft deutete.

Aber, indem ich auf die frohe Zukunft hindeuten will, ergreift mich bange Furcht, und ich will sie nicht mehr verheimlichen. Der Herr war uns wunderbar gnädig, für so lange Sünde sandte er eine kurze Prüfung, siegreich haben die Heere den Tyrannen verdrängt; aber ist uns Deutschland noch, was es uns in jenen Tagen der Gefahr und des Jammers war? Haben wir den Schatz bewahrt, der uns unter Kummer und Sorgen anvertraut ward? Ist die inbrünstige Liebe nicht wieder erkaltet? Sollte nicht eine große Buße uns fortdauernd an das Elend knüpfen, welchem wir so Vieles verdanken? – Dieselben Felder, die vor vielen Jahrhunderten der Ungarn Macht zerbrechen sahen, wo der begeisterte Gustav Adolph irdisch begründete, was Luther gebar, wo Friedrich die stolzen Nachbarn fliehen sah, dieselben sahen in kurzer Zeit unsere Schmach bei Jena, unsere Begeisterung bei Lützen, und unsere Rettung bei Leipzig. Ja in einem nahen Umkreise lag, durch wenige Tage getrennt, die höchste Demüthigung und die höchste Glorie der Nation. Sollte die Zeit vom vierzehnten Oktober bis zum achtzehnten nicht als eine nationale Charwoche betrachtet werden? Nicht die Tage der Errettung allein sollten festlich begangen werden: nur wenn wir uns demüthigen vor dem Herrn, mögen wir seiner Gnade theilhaftig werden, nur wer seine Sünde bekennt, mag des Erlösers sich erfreuen. Zu leicht verbirgt sich in jener einseitigen Feier der Siege die blinde Eitelkeit. – Sind die Schatten gänzlich verschwunden, die uns die verdiente Strafe zuzogen? Wer ist der Freche, mag er thöricht dem Volke oder niederträchtig dem Fürsten schmeicheln, der sagen darf, er kenne aus eigener Weisheit das Räthsel der Zeit, und vermöge es zu lösen? Liegt die Lösung in den Geheimnissen der Cabinette, oder in den verworrenen Wünschen des Volks?

Ist wirklich die Gerechtigkeit herrschend? Giebt es nicht ganze Länder, die unter fremdem Druck seufzen? – Wollen die Großen ihre Gewalt, die Geringen ihre thörichte Selbstsucht willig opfern? Sind wir nicht alle, so innerlich, wie äußerlich, von einem schwer zu schlichtenden Zwiespalt ergriffen? – Nichts kann uns retten, als eine reine, fromme, gläubige Gesinnung, dieselbe, die in den Tagen der Verzweiflung uns stärkte, die unter Demüthigung und Druck erzeugt wurde. Damals hing das Volk mit Treue und Zuversicht an seinem Fürsten, ja getrennt von ihm war es ihm am innigsten ergeben; damals erwarteten die Fürsten alle Rettung vom Volke, und das heiligste Zutrauen knüpfte das schönste Band; damals ward keine geistige Kraft, keine freie Gesinnung, kein eigenthümliches Daseyn verschmäht: in allem glaubte man Hoffnung zu sehen, und hat sich nicht geirrt; damals galt es für die höchste Tugend, das Schicksal des Landes als das eigene, innere zu tragen, die Verhältnisse, so weit Lage und Einsicht erlaubten, klar zu überschauen, und lebendig und thätig, nicht für sich allein, sondern für das Ganze zu leben; damals durchdrang ein reuiges Gefühl Volk und Fürst, und wir erwogen die vielen Sünden, in welche die irreführende Zeit uns verwickelt hatte, wie wir der Väter Weise treulos verlassen, und dem finstern Geiste billig unterlagen, dem wir thöricht gehuldigt hatten; damals ward aller Trost von Gott erwartet, alle Hoffnung entsprang aus ihm: damals ahneten die Besseren, eben als alles Aeußere zertrümmert war, das Heiligthum, welches uns anvertraut war, und dieser Sinn, unter den Wehen einer erschütterten Zeit, unter Augst und Beben geboren, ist Deutschland. Dieses wird nie zu Grunde gehen, die Wunder seiner Entstehung reden zu laut, die Sehnsucht aus der tiefsten Brust, die heilige Weissagung aus der lebendig gewordenen Sprache, das wundervolle, dämmernde Licht aus dem ringenden Erkennen deutet darauf. Was die Weisen träumten, was die Frommen hofften, was jede sinnende Seele ahnete, wird durch die großartige Gestalt wirklich werden, die mitten aus der gährenden Verwirrung der Zeit, ein bildender Geist, sich entfalten will. Zwar hoffe Keiner, daß es hervortreten werde ohne Schatten; selbst dieses Deutschland wird eine irdische Erscheinung seyn, irdisch geboren, um irdisch zu vergehen. Wie thöricht reden diejenigen, die einen Himmel auf der Erde hoffen, die hier in den Ketten des Vergänglichen ein unvergängliches Daseyn fesseln zu können wähnen, die von einer fortschreitenden Bildung des Geschlechts in dem Sinne reden, daß sie meinen, es würde eine Zeit erscheinen, wo alle Menschen ohne Irrthum das Wahre erkennen, ein Jeder ohne Bosheit das Gute wolle, und ein Friede in aller Welt herrschen würde, den wir nur durch den Tod erringen können. Eben so thöricht zwar ist der Wahn derer, die von der Zeit Nichts erwarten, die, von den einzelnen sich widerstreitenden Erscheinungen der Zeit ergriffen, das Große, was sich entwickeln will, nicht zu fassen vermögen, und sich klug dünken im Besitz einer trostlosen Erfahrung, die alles Schöne und Hoffnungsvolle ihnen verbirgt. Was wir hoffen, ist kein Traum, es sind die Zeichen der Gegenwart und der Vergangenheit, die wir deuten. Die Geschichte sah in der alten Welt eine Zeit des Erkennens blühen, aber die Liebe, und mit dieser die lebendige Bedeutung des eigenthümlichen Daseyns, welches nur durch Liebe erhalten wird, war zurückgedrängt. Diese ward geboren, die Erlösung hatte dem Geschlecht die höchste göttliche Gabe geschenkt; da gebar sich aus unserer Mitte die glänzende Zeit der herrschenden Liebe, aber das Erkennen, und mit diesem die klare Gestaltung des Ganzen, die nur durch Erkennen gedeiht, war zurückgedrängt. Eine Zeit des Erkennens und der Liebe, ein heiteres Gleichgewicht beider – zwar ein irdisches, dessen höchste Blüthe entstehen und vergehen wird – will sich entfalten, und wir erkennen den herrlichen Keim in unserer eigenen Heimath. Daß ein zehrender Wurm sich verbirgt in allem Irdischen, daß finstere Geister, das Licht bekämpfend, gegen die hoffnungsvolle Gestalt wüthen, daß alle zeitliche Blüthe nur einen Augenblick dauert und ach! zu schnell verwelkt, sollte das unsern Muth zerknicken, unsere Hoffnung verkümmern, unser heiliges Streben erlahmen? Habt ihr je geliebt, recht innig geliebt? was ist euch dann das irdische Weib? Wißt ihr nicht, daß die Blüthe der Schönheit vergeht, daß die Zeit das glühende Verlangen mäßigen, dämpfen wird? aber in der schnell verfliegenden Umarmung ist dennoch alle Seligkeit – ja die Ewigkeit selber will uns mit ihrer Entzückung umfangen. Wer liebt, begreift allein die Zeit, das Zeitlose in ihr.

An dieses Deutschland glauben wir. Die alte Welt soll in ihrer Trefflichkeit uns vorleuchten, und das Erkennen bilden; die herrliche, eigene Vorzeit soll die erkaltete Liebe und Kraft unter uns erwecken, daher treten beide lebendig unter uns auf mit gleich großer Bedeutung; ein drittes Element, als unserer Zeit eigenthümlich, hat sich gestaltet, das ist die Natur, deren Erscheinungen uns mannichfaltig ergriffen haben, und so im Leben wie im Erkennen, nachdem wir in falscher Richtung sie fassend irre geleitet wurden, einen großen Kampf und Sieg über den mächtigsten Feind uns verspricht. Ob nach jener Prüfung, die wir eben überstanden, neue, vielleicht noch härtere uns bevorstehen, hängt lediglich von dem Sinne ab, in welchem wir die Aufgabe fassen, deren Lösung uns anvertraut ward. Denn nicht ein äußeres Glück ist uns geschenkt, nicht ohne Opfer von mancherlei Art wird das nur gedeihen, was doch nur in einer großen Anlage keimt. Aber das wissen wir und verkündigen es laut, weil wir es erkannt haben, daß sie gedeihen wird, die große Zeit, ja die größte, die die Geschichte sah, und die bedeutungsvoll vor uns liegt. Für uns, in der Fülle solcher Hoffnungen geboren, ziemt es sich nicht, mit krankhafter Sehnsucht an der Vergangenheit zu haften, vielmehr soll sie lebendig werden in einer herrlichen Zukunft, der wir uns nähern.


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