Henrich Steffens
Was ich erlebte
Henrich Steffens

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Leben nach dem Kriege als Gelehrter und Schriftsteller in Breslau und Berlin

Ich hatte die Einsicht erlangt, daß die Naturphilosophie eine eigene selbständige Wissenschaft sei, die sich in sich selber ausbilden müsse, abhängig und doch zugleich unabhängig von aller sinnlichen Forschung. So würde ohne die sinnliche Anschauung auch die notwendige Form der Auffassung derselben als Mathematik nie da sein, und dennoch bildete sich diese, so wie sie da ist, in innerer selbständiger Form aus, unabhängig von jeder sinnlichen Anschauung. Nun ist ebenso eine günstige Auffassung, Wahrnehmung, wenn man will, Erfahrung des Naturlebens eine nie abzuweisende Voraussetzung einer jeden möglichen Naturphilosophie. Beide, jede geistige Erfahrung und ihre Form, verhalten sich nicht etwa so, daß man die erste die Ursache, die zweite die Wirkung nennen darf; sie sind vielmehr beide in- und miteinander. Diese geistige Erfahrung dämmert in einer jeden gewissenhaften Forschung und sucht ihre Form, so wie ja auch in einer jeden der sinnlichen Anschauung ganz unterworfenen Forschung ein mathematisches Verhältnis dämmert, welches nur langsam reif wird und sich zu einem festen Gesetz zu steigern vermag. Meine Absicht war nun nicht, mich in das Detail sinnlicher Naturforschung zu vertiefen, vielmehr in der fortschreitenden Wissenschaft auf die geistigen Momente zu lauschen, die allmählich hervortraten und ein gemeinschaftliches Verständnis suchten. Man hat mir es seltsamerweise vorgeworfen, daß ich mich fähig glaubte, in allen Fächern der unendlich reichen Naturwissenschaft ein Meister zu sein oder zu werden. Man könnte auf diese Weise auch den Mathematiker beschuldigen, daß er mit dem Virtuosen in der beobachtenden Astronomie, in der Experimentalphysik, in der Chemie, in der physikalischen Geographie, ja in einer jeden Richtung der Naturforschung und des menschlichen Lebens, insofern die erworbene Erfahrung für die mathematische Bestimmung reif wird, zu wetteifern und ihnen den Rang abzulaufen strebe. Ich bin in allen Fächern der Naturwissenschaft der immer lauschende, aufmerksame, lernbegierige und, ich darf es sagen, dankbare und seine Lehrer verehrende Schüler gewesen, und jetzt, da die äußeren Verhältnisse des Landes mir zukünftige Ruhe und Muße versprachen, wagte ich es zu hoffen, daß ich auf die wahre hohe Schule der fortschreitenden Naturwissenschaft, nach Berlin, versetzt werden sollte. Ich hatte schon einige 40 Jahre zurückgelegt, es war die höchste Zeit. Aber man wollte mich nicht; denn ich war schon dem Greisenalter nahe, als ich nach Berlin berufen wurde,Erst im April des Jahres 1832 wurde Steffens durch Verwendung des damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin berufen. Man glaube nicht, daß ich mit meiner Stellung zu den Naturforschern unbekannt bin.

Die Naturforscher wollen keine Philosophie, sie leugnen ganz entschieden die Steigerung der Naturforschung zur Spekulation, und selbst wenn eine jugendliche Ahnung sie, wie sie meinen, in dieser Rücksicht täuschte, weisen sie diese ab, wenn sie von der unaufhaltsam fortschreitenden Arbeit ergriffen werden; diese wird immer vereinzelter, bestimmter, und die lohnende Hoffnung neuer Entdeckungen ist so anziehend, daß sie den reiferen Mann ganz in Anspruch nimmt.

Aber der absolute abstrakte Philosoph will ebensowenig die Naturforschung; man hört ihn zuweilen mit einiger Herablassung versichern: die Naturforscher suchen doch eigentlich auch, indem sie dem Gesetzlichen nachforschen, ein vernünftiges Erkennen; aber das vornehme Kopfnicken, dieser Gruß aus der Ferne und von der Höhe herab kann freilich kein vertrauliches Gespräch einleiten. Schelling hatte zwar den nicht mehr zu verdrängenden Grund zur Naturphilosophie gelegt, aber er schwieg und bewegte sich später in einer anderen Richtung, die freilich lohnender war und von seinem großen Geiste gewaltiger beherrscht werden konnte. Viele der Jüngeren waren berühmte Zoologen, Botaniker, Mineralogen und Geognosten geworden, und wenn die Spekulation der Jugend sich hervorwagte, so erschien doch nur ein völlig abstraktes, formelles Netz, in welchem man die Natur einfangen wollte; nicht der lebendige Geist, der von innen heraus mächtig hervorquillt und sich selber zu fassen strebt. Ich kann nicht behaupten, daß ich ihm, wie man zu sagen pflegt, Treue geschworen hätte, denn er beherrschte mich ganz; man kann nicht von Treue sprechen, wo eine Trennung unmöglich ist.

*

Während ich um mich her das wilde Geschrei nach einer Freiheit hörte, die für mich keinen Sinn hatte, während man laut nach Gleichheit schrie, da, wo ich eine reiche Mannigfaltigkeit verschiedener Formen suchte, während man, wütend aufgeregt, Rechte forderte, die einen jeden den andern feindlich gegenüberstellten, da ich mich nach Liebe sehnte, die nur in wechselseitiger Hingebung gedeiht, fing ich an, meiner Jugend Träume zu begreifen. Die stille Neigung, die das Kind schon einsam in die Natur hineinzog, das wunderbar reiche Gespräch, welches unbegriffen und doch verstanden, wie das Flüstern der Blätter in dem mächtigen Walde, mich ergriff, hatte seine höchste Deutung erhalten. Wie nennst du, fragte ich, jenes weissagende Prinzip, welches eine geordnete lebendige Zukunft in sich trägt? Es war mir, als schwebte meine Kindheit vor mir, als hatte ich das Wort erkannt und könnte es nicht wiederfinden, als hatte die herrliche Mutter mir es ins Ohr geflüstert, als hätte ich es ganz leise dicht an dem Ohr vernommen, aber als klänge es jetzt mächtig und laut aus meinem Innersten wieder hervor; es war der Glaube des Kindes. Damals, leise vernommen, erhielt es innerlich eine große Kraft; jetzt trat es mir laut verkündigend entgegen: aber das innere Echo hallte von dem erstarrten Gebirge zurück und vermochte nicht, es in Bewegung zu setzen. In meiner Kindheit begriff man nicht, wie das laute, leidenschaftlich bewegte Kind zugleich ganz in unklarem Sinnen verloren die stille Einsamkeit suchte: jetzt stand, was damals unbegriffen dennoch ein ganzes Leben als sein inneres Selbstverständnis in Anspruch nahm, mit seinem ganzen Reichtum und Klarheit vor mir: ich erkannte es. Mich durchdrang eine wunderbare Freude, wenn ich es erforschte; der Schatz bot sich mir selber an, und dennoch vermochte ich nicht, mir ihn anzueignen. Ich sah es, ich erlebte es, es fing ein Wendepunkt in meinem ganzen Dasein an; ich hörte eine Stimme, die mir zurief: Du sollst wieder Kind werden! Ich hörte sie, aber sie hatte keine Macht über mich. Nur wo sie mir, wie die Pflanzen und Tiere in meiner Kindheit, als ein anderes, als ein Fremdes, als eine liebliche Natur entgegentrat, zog sie mich an, daß ich von ihr nicht lassen konnte.

Diesen Zustand meiner innern Entwicklung, wie er mich in meiner Kindheit und Jugend bewegte, habe ich aus früheren Epochen meines Lebens anzudeuten gesucht. Das Hauptresultat meiner Ansicht, insofern diese meine Lehre formte, war nun folgendes: der Staat könne nicht in der Zeit als Staat entstehen; was nicht den Keim einer lebendigen Organisation in sich trage, könne einen solchen auch niemals aus irgendeiner Einrichtung erhalten. Diesen organischen und organisierenden Keim müsse man im ganzen Staate und in einem jeden Bürger desselben vorfinden, und damit der Staat sich entwickele, müsse er schon von vornherein als ein im ganzen und auch in jedem Punkte Lebendiges betrachtet werden. Der Staat, davon hatte ich mich überzeugt, sei durch das tierische Leben vorgebildet; wie in dem Embryo alle Organe schon da sind und sich in- und miteinander entwickeln und keines hinzugefügt werden kann von außen her: so ist auch mit dem Keime, wo dieser sich als ein lebendiger Staat verwirklichen soll, niemals ein bloß allgemeines, welches so oder so sich formen läßt, vielmehr jederzeit mit dem Staate die bestimmte Form desselben gegeben. Dieser Staat ist also ein bestimmt gestalteter und ebenso wie durch das tierische Leben, so auch durch das vegetative vorgebildet, insofern es nämlich in der Zeit die verschiedenen Stadien der Entwicklung durchlauft. Zwar hängt das Gedeihen des Staats, wie das Gedeihen des wachsenden Lebens überhaupt, von Verhältnissen ab, die außer ihm zu liegen scheinen, und der Staat ist insofern durch die zahmen Tiere und Pflanzen vorgebildet, die wir vorzugsweise die kulturfähigen zu nennen pflegen: diese Tiere und Pflanzen aber sind solche, die zu einem bestimmten geschichtlichen Zweck vervielfältigt und in ihrer bestimmten Form gefördert werden sollen. So wie es nun unmöglich ist, eine Tierheit oder Pflanzlichkeit überhaupt, die sich willkürlich gestalten ließe, zugrunde zu legen, vielmehr die Tierheit so wie die Pflanzlichkeit sich schon in wirklichen Tieren und Pflanzen, Ochsen, Schafen, Pferden bis zu den Hunden herab, in Getreidearten, Gemüsen, Waldbäumen, die ihre unabänderliche Form haben, darstellen, über welche wir nichts vermögen: so sind ebenso entschieden die bestimmten kulturfähigen Momente des Staats gegeben; diese nenne ich die Bürger; und weil hier eine jede Person die nämliche Bedeutung hat, die wir bei der Gattung der Tiere und Pflanzen vorfinden, so beruht eine jede Entwickelung des Staates darauf, daß wir die Persönlichkeit der Bürger erstens erkennen, dann, wie wir sie eben erkannt haben, pflegen. Der Mensch ist, wie das Tier, ein sinnliches Wesen. Die Form seiner Sinnlichkeit ist bedingt durch eine unabänderliche Gestaltung seines Leibes; keiner kann den sinnlichen Verstand der Menschen auf eine andere Gestalt übertragen. So ist eine ganz unabänderliche Gestalt die notwendige Trägerin der menschlichen Freiheit, des Verstandes sowie der Sittlichkeit. Was dieses Unabänderliche entwickelt, offenbart die Freiheit, ja sie setzt die Gestalt in freie Tätigkeit, und wenn wir willkürlich über die Gestalt gebieten wollen, werden wir in Knechte verwandelt, wie eine jede sinnliche Ausschweifung, ein jedes unregelmäßige Dasein uns beweist. Wir sind nur geistig frei, insofern die Natur und ihre Gewalt von uns unbedingt anerkannt wird. Mens sana in corpore sano. Nun ist die Frage diese: ist der Mensch, geistig betrachtet, nur als Gattung da wie die Tiere und Pflanzen? so daß wir, wie bei diesen, nur auf die Gattung zu sehen und die nämliche Form unter die nämlichen Bedingungen der Pflege zu stellen haben, damit sie gedeihen? Also, wie der Kosmopolit, wenn er jener abstrakten Ansicht huldigt, behaupten müßte, daß eine allgemeine Menschheit an die Stelle der organischen Einheit aller Menschen, oder wie der Volkstümliche, von demselben Standpunkt aus, behaupten müßte, daß eine allgemeine Deutschheit an die Stelle der organischen Einheit aller Deutschen zu setzen sei?

Nun ist allerdings unsere Behauptung diese, daß ein jedes menschliche Individuum seine unüberwindliche Gestaltung habe, daß diese, eine geistige und geschichtliche eines jeden Menschen, aber sein Heiligstes sei, das Pfund der Heiligen Schrift, das, wozu er nicht von Menschen, auch nicht durch sich selber, sondern von Gott berufen ist. Diese Gabe kann er willkürlich gebrauchen und mißbrauchen, den Staat fördern oder unterdrücken, wie der Gärtner die bestimmte Pflanze, die seiner Obhut übertragen ist; ihre Form kann er aber niemals ändern. Da nun der Mensch, als Individuum in den Staat gesetzt, zugleich sein eigener Pfleger ist, so findet er in sich, und zwar ein jeder, je reiner er sich prüft, ein ihm Anvertrautes, welches, seiner innersten Natur nach, nicht entstanden ist in den Erscheinungen der sinnlichen Welt, nicht bedingt ist durch Natur oder geschichtliche Verhältnisse. Allerdings kommt diese bestimmte Gabe, dieser lebendige Keim nur in einer durch die göttliche Leitung der Geschichte bedingten Umgebung zum Vorschein, und sie würde gar nicht erscheinen können, wenn sie nicht von dieser genau so geordneten Natur, von dieser so geordneten Geschichte getragen würde; daß du lebst in diesem südlichen oder nördlichen Lande, daß du geboren und erzogen bist in einer armen oder reichen, vornehmen oder geringen Familie, daß du zur bestimmten Tätigkeit berufen bist, in diesem oder jenem gebildeten oder rohen Staate, hängt ebensowenig von dir ab wie dein göttlicher Beruf: aber dieser letztere ist nicht dazu da, daß er sich in der Unbestimmtheit der Umgebung verlieren soll, vielmehr dazu, seine eigenste Gestalt, sein inneres, besonderes Dasein zu behaupten.

Nun behaupte ich: das Wesen eines Staates ist eben dieses, daß ein Volk in und mit der freien Gestaltung aller seiner Bürger sich entwickelt. Allerdings hängt diese Entwicklung nicht ab von dem Gutdünken des Menschen, sie steht in einer höhern Hand; und wie zuviel Trockenheit oder Feuchtigkeit, zuviel Kälte oder Wärme den Pflanzenwuchs hemmt und selbst, als zehrende Insektenwelt, die unbändige Begierde auf lange Zeit den Samen der Zukunft zu vernichten scheint: so trifft der strafende Gott Völker und Fürsten, daß sie in der eigenen Verwirrung zugrunde gehen. Aber selbst dieser Untergang ist nur scheinbar. Auf den durch Ungewitter verwüsteten Feldern scheint jeder Keim für die Zukunft verloren, in dem zerrütteten Staate jede Hoffnung verschwunden; aber wie dort hier und da ein einzelnes Samenkorn sich dem drohenden Verhängnis entzieht, wie hier und da ein Keim unbemerkt die ersten Stufen der Entwicklung trägt: so bewahrt in stiller Zurückgezogenheit, ja selbst in scheinbarem Untergange der Mann, der seinen Beruf erkannte, nicht bloß in der harten Verschlossenheit des Samens, sondern auch in der unbemerkten Entwicklung der Familie die lebendige Zukunft des Staates; und dieses gilt, wie in der verwüsteten Gegend von einer jeden Pflanzenform, mag sie als mächtiger Baum oder als unscheinbarer Grashalm gestaltet sein, so von dem geringsten Bürger sowohl als von dem Mächtigen und Großen, ja von dem Fürsten. Wenn daher eine freudige Zeit in der Geschichte hervortritt, so tritt auch der Staat, an seine Vergangenheit geknüpft, in seiner früheren Entwicklung wieder hervor, wie die verwüstete Gegend sich mit allerlei Gewächs bedeckt. Nur daß in der Geschichte alle Gestalten eine Gesamtgestalt darstellen, von einer gemeinsamen Entwicklung ergriffen, die bestimmt ist, die sich offenbarende, leitende Liebe Gottes immer herrlicher zu enthüllen.

So bewahrt allerdings ein jeder Mensch die Stätte der göttlichen Freiheit in seinem Innersten, in seinem Beruf; und nachdem ich das Gedeihen derselben erkannt hatte, da, wo in einer innern Einfachheit des Lebens, in der Tätigkeit des Mannes, der die unwandelbaren Keime des Berufs in sich trug, in der Entwicklung der stillen Familien, die im Einklange mit den gegebenen Verhältnissen, nicht gestört durch die Verwirrung der Zeit, sich anmutig vor meinen Augen darstellte, hatte sich der stille Naturgenuß meiner Kindheit und Jugend, die Idylle meines frühern Lebens zur Geschichte gesteigert, und meine frische zuversichtliche Hoffnung begrüßte den Frühling jetzt wie damals, hier wie dort.

So war mir der Staat eine höhere Natur geworden, eine in sich geschlossene Organisation, deren zukünftige höhere Reife in und mit anderen lebendigen Staaten mir als göttlicher Zweck vorschwebte.

Im Jahre 1817 unternahm Steffens eine Reise nach Karlsbad; die Zahl der Badegäste aus Preußen war groß: auch der König weilte gerade unter ihnen. Die Reise ging weiter nach Landshut; hierher war seit dem Jahre 1800 die niederbayrische Landesuniversität von Ingolstadt aus verlegt worden, bis sie im Jahre 1826 nach München kam.

Aber eine für mich höchst wichtige Bekanntschaft, die bei meiner damaligen Stimmung geeignet war, ein wichtiges Moment in der Entwicklung meines Lebens zu bilden, machte mir den kurzen Aufenthalt von wenigen Tagen in Landshut auf immer unvergeßlich. Ich lernte hier den theologischen Professor, später Bischof in Regensburg, Sailer, kennen. Seine Übersetzung von Thomas a Kempis Nachfolge Christi, war mir schon seit längerer Zeit in meinen besten Stunden ein teures Buch geworden. Wir schlossen uns innig aneinander; er verleugnete seine Gesinnung nicht, aber er drängte sich nie auf. Was mich zum Katholiken machte, wenn ich mit ihm sprach, machte ihn in meinen Augen zum Protestanten, und nie trat mir die Einheit des Christentums in allen seinen Formen inniger, tiefer entgegen; seine offene, unbefangene Freundlichkeit übte eine recht eigentliche religiöse Gewalt über mich aus, und mir war es, wenn ich ihn sah, wenn ich ihn sprechen hörte, als würden mir alle jene sonst lästigen Zeremonien, alles Nebelwerk des Katholizismus durchsichtig, daß ich den reinen innersten Herzenskern desselben entdeckte. Mein Reisegefährte ward durch seine Nähe erbaut, und wenn wir untereinander waren, galten unsere Gespräche jederzeit dem Gegenstande, der uns innerlich in Bewegung setzte. Aber Salier wußte den ernsthaftesten Gesprächen eine durchaus freie Bedeutung zu geben. Sie traten völlig natürlich hervor, sie nahmen bald eine rein menschliche, bald eine streng wissenschaftliche, dann selbst andächtige Wendung; immer aber drang das stille Element reiner christlicher Hingebung durch alle Gegenstände hindurch, und eine gläubige Zuversicht, eine unsägliche, liebevolle Freundlichkeit und Milde leuchteten aus allem hervor, was er sprach und äußerte. Traten andere hinzu, so nahm zwar die Unterhaltung eine andere Wendung, er ging in die fröhliche Richtung der Gespräche unbefangen ein. Leichte Scherze vernahm er gern und erwiderte sie, aber mir war es doch, als leuchtete das heilige Licht der ernsteren Stunden über alle diejenigen, die ihm nahe waren, nicht als ein beschwerliches blendendes, vielmehr als ein Lebenslicht, welches bewußtlos fast alle Äußerungen leitete, ja freier entwickelte, nicht hemmte oder fesselte. Sailer gehörte nicht zu den sogenannten Geistreichen. Tiefe überraschende Ideen hörte ich von ihm nie, aber der stille Friede, die reine Liebe, des Glaubens grenzenlose Macht gaben dem einfachsten Ausdruck eine wunderbar tiefe Bedeutung. Wir besuchten ihn wenige Stunden nach unserer Ankunft, und von da an trennte er sich den ganzen Tag über gar nicht von uns. Am frühen Morgen erschien er in unserem Gasthofe, begleitete uns bei allen Besuchen, horchte aufmerksam und mit einer Art kindlicher Neugierde, die unbeschreiblich liebenswürdig war, wenn FuchsEin in Landshut lebender Naturforscher. mir neu entdeckte Fossilien zeigte, mir die Resultate seiner Analysen erzählte, mir seinen genauen, für die Kristalle bestimmten Winkelmesser oder seinen verbesserten Lampenapparat zeigte. Wir waren, irre ich nicht, bei dem Professor Zimmermann zum Mittag eingeladen, und Sailer nicht. Als wir ihm aber unser Bedauern äußerten, mehrere Stunden von ihm getrennt zu sein, erwiderte er mit kindlicher Unbefangenheit: »Ich begleite euch, ich weiß, daß ich meinem guten Freunde willkommen bin.« Als unsere Abreise bestimmt war, erschien er früh, frühstückte mit uns, begleitete uns mit StahlMathematiker; Steffens' Reisebegleiter. an den Wagen, und mir war es, als hätte ein segnender Geist, dessen leise Töne wie eine höhere Atmosphäre mich umsäuselten und mir liebevolle bedeutende Worte zuflüsterten, mich nun verlassen. Was ein begleitender Engel zu bedeuten hatte, ward mir durch seine Nähe klar. Aber diese Universität blieb mir auch aus andern Gründen bedeutend. Ich hatte in Berlin schon 1811 Savigny kennen und schätzen gelernt; die Geschwister seiner Frau,Friedrich Karl von Savigny, 1779-1881, der bedeutende Begründer der Historischen Rechtsschule, welche entgegen der aus der Aufklärung erwachsenen Naturrechtslehre das geschichtlich Gewachsene alles Rechts betonte, war mit Kunigunde Brentano verheiratet. Clemens und Bettina waren mir schon früher bekannt und nahegetreten. Er war während meiner Abwesenheit im Kriege mit seiner Familie nach Breslau geflüchtet und erschien mit dieser in der traurigen Zeit als ein ermunternder Gast in meinem Hause. Ich hatte ihn eben kurz vor meiner Abreise nach Karlsbad wiedergesehen und erinnerte mich der Jahre, die er in Landshut zugebracht. Aber auch Schelling, nachdem er erst Jena, dann Würzburg verlassen hatte, brachte einige Jahre in Landshut zu und war erst vor kurzem von hier nach München berufen. So bedeutende Männer hoben zu der Zeit die Landshuter Universität, irre ich nicht, so war schon von der Verlegung derselben nach München die Rede.

Von Landshut fuhr Steffens weiter nach München.

Wir besuchten sogleich Schelling. Ich hatte ihn seit vierzehn Jahren nicht gesehen. Von dem nämlichen Standpunkte ausgehend, hatten wir uns doch wissenschaftlich in sehr verschiedenen Richtungen bewegt. Die Differenz unseres ganzen Lebens hatte sich entschiedener ausgesprochen; seine ursprünglich sprachliche und urgeschichtliche Richtung hatte der Fichteschen Abstraktion gegenüber sich der Natur zugewandt, aber je tiefer er sie auffaßte, desto klarer mußte es ihm doch werden, daß es in ihr Momente gab, die sich nicht durchschauen, nicht in der Klarheit, die er forderte, auffassen ließen. Die Natur ließ sich zwar als ein für die durchdringende Vernunft Abgeschlossenes, in dieser Abgeschlossenheit Vernünftiges begreifen, und er hat die großen ewigen Naturformen, die zugleich die vernünftigen sind, für alle Zeiten bestimmt.

Aber je tiefer Schelling untersuchte, desto unreifer erschien ihm die Naturwissenschaft eben da, wo sie ihm am wichtigsten war, da, wo sie von dem Anorganischen zum Lebendigen überging, wo sie sich auf einen gleichen Standpunkt mit der Spekulation zu stellen schien, wo die anorganische Physik in Physiologie sich verwandeln wollte.

Schelling steht dadurch unter allen in der Geschichte der Philosophie hervortretenden Meistern aller Zeiten einzig und mit keinem vergleichbar da, daß, wie er der erste war, der die in der Zeit verlorene Kunst der Philosophie wieder belebte und den Standpunkt, von welchem aus sie allein möglich war, verkündigte, er sich auch unter unseren Augen entwickelte. Die Momente dieser Entwicklung zu verfolgen, in ihrem Wesen aufzufassen, in ihrer grandiosen Metamorphose zu betrachten, ist allerdings eine Aufgabe, für welche die in sich zerrissene Philosophie unserer Tage noch nicht reif ist. Es gehört dazu eine Hingebung, der wenige fähig sind, eine Hingebung, die mächtig, wie sie sein muß, dennoch nicht eine beschränkte werden darf, die ihn vielmehr in der Mitte einer geistigen Umgebung, in dem harten Kampfe, in welchem er sich bildete und aus welchem er sich hervorhob, zu fassen und zu begreifen vermag. Es war natürlich, ja notwendig, daß Schelling einen Standpunkt suchte, eine Welt, in welcher der göttliche Entschluß noch immer als Selbstbestimmung sich verwirklicht, die Notwendigkeit der Natur ihren freien Ursprung noch immer festhält. Daher fand er sich zur Mythologie hingedrängt, alle seine früheren Studien hatten dieses Fundament vorbereitet, es war seine ursprüngliche Heimat. In ihr lag noch die Bestimmtheit der Natur als aus einem freien Entschluß entsprungen und dieser als durch ein Naturdasein verwirklicht. Nur hier entdecken wir die blühende Mannigfaltigkeit eines heiteren Lebens, welches aller späteren Geschichte zugrunde liegt. Aber ist die Geschichte hier Natur geworden, so muß sie notwendig, geistig aufgefaßt, geschichtlich werden, sie muß sich als göttliche Tat zur wahren Religion steigern, die Natur und Geschichte zugleich umfaßt und aus göttlicher Kausalität alles Dasein erklärt.

In den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts und bis zu Anfang des jetzigen hatte sich durch Claudius und Lavater im Hintergrunde eine geistige Prophezeihung, und am bedeutendsten, wenn auch dunkel, durch Hamann ein tieferer spekulativ-religiöser Sinn in der gebildeten Welt gezeigt. Es entstanden gesellige Kreise, die es liebten, ihren Gesprächen und Briefen einen platonischen Anstrich zu geben. Auch Frauen nahmen an dieser geistigen Beschäftigung teil; sie gehörten sämtlich zu den höheren Klassen der Gesellschaft. Frauen der verschiedensten Art waren unter sich und mit den geistreichsten Männern verbunden. Sophie la Laroche, Goethes Schwester, die Fürstin Galizin, Jacobis Schwester (Lene), waren die ausgezeichnetsten Mitglieder dieses Kreises. Durch die Fürstin Galizin stand HemsterhuysFranz Hemsterhuys, 1721-1790, holländischer Philosoph und Mystiker. Er entwarf ein ästhetisch-pantheistisches Weltbild, in welchem die Weltseele alle Dinge zur Einheit führt und welches im Begriffe der Schönheit gipfelt. Hemsterhuys übte mit diesen Gedanken Einfluß auf Herder, Jacobi und die pietistisch gestimmten Kreise der deutschen Romantik. mit ihnen in Verbindung. Aber den eigentlichsten, lebendigsten Mittelpunkt bildete Jacobi.Vgl. auch S. 104. Dieser liebte es, geistreiche Frauen um sich zu versammeln und anzuregen; suchte er doch in seinem Roman »Woldemar« eine Art, ohne allen Zweifel höchst unschuldiger, Bigamie als annehmlich und von hoher geistiger Bedeutung darzustellen. Eine rein platonische Ehe neben der physischen erschien hier und da als ein Zeichen höherer Bildung. Diese seltsame Grille trat in der Wirklichkeit hervor, selbst in meiner Nähe. Doch besaßen die eigentlichen Frauen selten Entsagung genug, um die doppelte eheliche Verbindung der Männer – (eine für eine höhere Sphäre, die nicht aus dieser Welt war, und eine zweite nur zur Fortpflanzung des Geschlechts) gehörig zu schätzen, auch schienen sie dem Dinge nicht recht zu trauen. Man kann in der Tat behaupten, daß hier ein, wenn auch mißlungener Versuch sich zeigte, eine platonische Akademie zu bilden, wie die frühere florentinische. Daß Goethe in diesen Kreisen mehr bewundert als verehrt wurde, war begreiflich; daß innerhalb derselben sich heftige Antagonismen entwickelten, war zu erwarten; Friedrich Stolbergs Übergang zum Katholizismus bildete ein Ereignis in diesen Kreisen, obgleich die Art, wie die Fürstin Galizin sich an Hamann anschloß, es wenigstens begreiflich machen konnte. Der merkwürdige Brief der Gräfin Bernstorff an GoetheGräfin Auguste von Bernstorff, Goethes niegesehene Jugendfreundin Auguste von Stolberg, hatte nach vierzigjähriger Schreibpause am 15. Oktober 1822 an Goethe einen Brief gerichtet, in dem sie ihn im Sinne der pietistischen Erweckungsbestrebungen zu »retten« suchte und ihn bat, »abzulassen von allem, was die Welt Kleines, Eitles, Irdisches und nicht Gutes hat, – Ihren Blick zum Ewigen zu wenden«. – Goethe antwortete in freundlicher Gelassenheit: »Bleibt uns nur das Ewige jeden Augenblick gegenwärtig, so leiden wir nicht an der vergänglichen Zeit.« gehörte diesem Kreise zu. Man versteht, glaube ich, die Darstellungsweise Jacobis nicht ganz, wenn man sie nicht gesprächsweise in den Zusammenkünften entstehen sieht. So entsprang die Erzählung von Lessings Spinozismus.

Betrachtet man diese Verbindung, wie sie am Rhein und zum Teil um Goethe her entstand, so sieht man, wie sie keineswegs durch eine Verabredung oder willkürlich sich gebildet hat. Viele gehörten ihr zu, ohne jemals miteinander in Berührung zu kommen. Einige Frauen bewunderten, was andere mit Entsetzen erfüllte. Wie in den Gesprächen und Briefen, so fand man auch in den Schriften mancherlei Anspielungen. Es war ein Hauch heiterer Anmut, der die Geselligkeit belebte. In diesen Kreisen galt nun Jacobi besonders als der Liebenswürdige. Goethe stand ans der Ferne bald mit dieser, bald mit jener Persönlichkeit in Verbindung. Er trat einmal in Düsseldorf in die Mitte des Kreises, und es zeigte sich bald, wie wenig er ihm zugehörte. Wie man in der anständigen Gesellschaft nie bis zur zudringlichen Entscheidung irgendeinen Gegenstand hervorheben und verfolgen darf, so war ein jeder entschiedene Mann, der eine bestimmte Aufgabe für das Leben hatte, wenn auch durch die feine Sitte, die das Geistreichste nicht ausschloß, vielmehr anerkennend und bewundernd in sich aufnahm, angelockt, dennoch genötigt, sich zurückzuziehen.

Ich kannte diesen Kreis, den ich in früher Jugend schon vorfand, wie er sich in den siebziger Jahren zu entwickeln angefangen hatte, der sich gegen das Ende des Jahrhunderts vielleicht am dichtesten zusammenzog und gestaltete, sich dann später wie ein leichtes Wolkengebilde ausdehnte und verzog, nur aus der Ferne. Einzelne bedeutende Frauen allerdings, die an jene Zeit und ihre Blüte zurückdachten, wurden mir später sehr lieb. Es lag in dieser Erinnerung eine keimende Sehnsucht nach Religiosität, eine dunkle Ahnung von Spekulation und eine Neigung zur Dichtung und Kunst, die sich nach dem Höchsten sehnte, ohne jedoch zu seinem Besitze zu gelangen. Einige geistig freiere Frauen behielten ihr ganzes Leben hindurch ein anmutiges Gleichmaß, eine gewisse selbständige Beweglichkeit, die selbst dem höhern Alter eine große Liebenswürdigkeit mitteilte. Ich zähle zu diesen besonders die zwar kränkliche, aber durch starken und reichen Geist noch immer tief bewegte Gräfin R., geb. v. D. Andere suchten sich im Alter durch eine bestimmte religiöse Richtung zu beruhigen. Die treffliche Witwe Sieweking stand mit diesen Kreisen in mannigfaltiger Berührung, erschien aber mit großer Selbständigkeit in ihrer Mitte. Soviel ist gewiß, sie fanden den eigentlichen Boden ihrer Ausbildung im nordwestlichen Deutschland. Preußen war noch geistig zu wenig beweglich, zu ungeschickt, der NicolaismusDer Rationalismus (Verstandeskult) um den Berliner Aufklärer Nicolai. beherrschte die Hauptstadt; Sachsen war zu pedantisch, Gottsched ließ sich nicht verdrängen.

Was ich hier habe darstellen wollen, sind die vielen leichten Anspielungen auf Spekulation und Religiosität, welche die ganze Gesellschaft als eine solche verbanden, eine wechselseitige Zuneigung, ja Anerkennung und Bewunderung auch da hervorriefen, wo die vereinzelten Mitglieder das Gleichmaß der Vereinigung keineswegs festzuhalten vermochten. Es lag in diesen Verbindungen in der Tat mehr, als die ausgezeichnetsten weiblichen Mitglieder der Gesellschaft sich anzueignen oder ihre Schriftsteller in irgendeiner Form darzustellen vermochten.

Jacobi nun bildete den eigentlichen allverehrten Herrscher dieser Kreise, er war gelehrt genug, um als ein gebildeter Philosoph zu erscheinen.

Er war ein schlanker feiner Mann; er muß in seiner Jugend schön gewesen sein. Er erschien mir mehr als ein angenehmer Mann der höhern Gesellschaft denn als ein Gelehrter; sein Anstand hatte etwas Vornehmes, fast Diplomatisches, seine Gesichtszüge waren höchst bedeutend; eine Grazie, möchte man sagen, begleitete alle seine Bewegungen. Sein Anzug war sehr sorgfältig und zierlich; es schien fast, als widmete er ihm für sein Alter und seine Beschäftigung eine zu große Aufmerksamkeit. Er empfing mich, als ich hineintrat, in der Tat mit Freuden, und ich näherte mich ihm mit einer wehmütigen Rührung, die ich nicht zu verdrängen vermochte. Es war, ich gestehe es, Mitleid, aber doch auch Achtung, die sie hervorriefen: ein edler Geist hat die Leiden der Zeit und ihre Krankheiten tragen müssen, sagte ich mir.

Am Schluß muß ich noch, ehe ich München verlasse, einer sehr interessanten Bekanntschaft gedenken. Ich lernte hier Franz Baader1765-1841, katholischer Philosoph, der in seinem Nachsinnen über das Verhältnis von Gott und Welt auf die mystischen Gedankengänge Jakob Böhmes zurückging und sich in manchem mit dem späten Schelling berührt, daneben für den Bergbau bedeutend. »Beiträge zur dynamischen Philosophie«, 1809. zuerst persönlich kennen. Er stand so wunderbar von allen übrigen Einwohnern gesondert, so seltsam isoliert, daß auch die Betrachtung über ihn sich billig von den übrigen trennt. Im südlichen Deutschland hatte eine mystische Schule sich hier und da, wahrscheinlich von alten Zeiten her, erhalten; sie schloß sich, seit Mesmer auftrat, dem Magnetismus an, und ihre Mitglieder reichten bis an den obern Rhein und in die nördliche Schweiz hinein. Wenn ich nicht irre, standen sie auch mit den Mystikern des südlichen Frankreichs, mit St. Martin usw. in Verbindung, und Fr. Baader war in seiner Jugend mit einem gewissen Eckartshausen in Berührung gewesen. Unter allen jenen Mystikern war er der genialste und tiefste; er gab immer nur kleine Schriften von wenigen Bogen heraus, früher noch als die Schellingschen naturphilosophischen Schriften erschienen die tiefsinnigen »Beiträge zur Elementarphilosophie«; das später gedruckte »Pythagoräische Weltquadrat« bewegte uns tief. Unter seinen bedeutendsten kleinern Piecen ist eine, »Der Blitz, Vater des Lichts.« Dieser Titel könnte als Motto aller seiner Schriften gelten. Ich war schon, ehe ich nach München kam, mit ihm in Korrespondenz, und höchst begierig, ihn persönlich kennenzulernen. Als ich mich in meiner Jugend in Freiberg aufhielt, lernte ich eine Dame kennen, die wegen ihrer großen Schönheit in ihrer Jugend berühmt war. Sie hatte eine warme Neigung für Baader während seines Aufenthalts in dieser Stadt gefaßt und gestand mit liebenswürdiger Offenherzigkeit, daß sie nie einen interessanteren Mann gekannt hätte! Sie behauptete, ich sähe ihm, wie sie sich schmeichelhaft äußerte, ähnlich, und diese Ähnlichkeit, die demjenigen, der uns zusammen sah, gar nicht auffallen konnte, ward die Einleitung zu einer mir sehr angenehmen Bekanntschaft. Freilich zehn Jahre später.

Ich besuchte Franz Baader. Er war eben im Begriff auszugehen; seine Gestalt überraschte mich, denn ich hatte ihn nicht so erwartet. Er war ziemlich schlank, höchst beweglich, und sein Gesicht hatte etwas Durchgearbeitetes, daß man beim ersten Anblick vermuten konnte, einen Weltmann vor sich zu sehen, der vieles durchlebt hatte. Diese Vermutung verschwand freilich, wenn man ihn genauer betrachtete. Er empfing mich, als ich mich nannte, mit Freuden und schlug gleich vor, einen Spaziergang zu machen. Gegenstände des Gesprächs waren bald gefunden. Tiefsinnige Äußerungen wechselten ohne alle Übergänge mit sprudelnden Witzen; er sprach unaufhörlich, und wenn ein Gegenstand ihn ergriff, blieb er mitten im Gewühl der Straße stehen und fing ziemlich laut einen mehr zusammenhängenden Vortrag an. Die Vorübergehenden schienen ihn zu kennen, und sein Betragen erregte gar keine Aufmerksamkeit. Seine oft glänzenden Witze traten so überraschend hervor, wurden so schnell von andern verdrängt, der Tiefsinn so plötzlich von spielenden Einfällen überwältigt, daß mich dieses bunte Gewühl zuletzt völlig betäubte. Ein Einfall blieb mir, während die knallenden Raketen des geistigen Feuerwerks rund um mich her zerplatzten – es war die Rede von Goethe, »Ja«, sagte er, »dieser Dichter ist in der Tat die Gluckhenne der Zeit, aber sie hat Enteneier ausgebrütet, die junge Brut schwimmt, und die Henne steht ängstlich, scheltend und gackelnd am Ufer.« Später, als ich ihn in München traf, ließ er Einfälle der Art in den Stadtblättern drucken. Diese schnitt er aus und trug sie in der Westentasche, um sie Freunden vorzulesen. Als ich 1837 in München war, war ich noch nicht dazugekommen, ihn aufzusuchen, er aber suchte mich auf. Wie er in meine Stube trat und meine Frau, Tochter und mich selbst kaum begrüßt hatte, griff er sogleich in die Tasche und brachte eine Menge Papierstücke hervor, auf welche seine Witze gedruckt waren; nur einer davon ist mir erinnerlich. Die Cholera hatte Rom in Schrecken gesetzt und der Papst sich in die Engelsburg eingeschlossen. »Was wird aus der katholischen Kirche werden«, so lautete der Witz, »der Papst hat sich selbst exkommuniziert.« Überhaupt war in seinen spätern Jahren sein Verhältnis zur Kirche ein seltsam verändertes.

Als ich ihn 1817 in München traf, dachte er an nichts als an eine große kirchliche Union. Die ultramagnetische Krise seines Lebens hatte, irre ich nicht, sich überlebt. Während derselben war er mit den Heerscharen der bösen Geister bekannt geworden und hatte ihre Namen kennengelernt durch magnetische Experimente, die mir schauderhaft erschienen; jetzt war er ganz mit der Union der drei Kirchen (der katholischen, protestantischen und griechischen) beschäftigt. Die katholische und protestantische Kirche, behauptete er, bildeten einen starren Gegensatz, der sich immer steigere. Das mystische Dreieck, die Formel einer Vereinigung entstünde nur durch das Hinzutreten der griechischen Kirche. Er glaubte den Kaiser Alexander dafür zu interessieren. Fr. Baader verband sich mit dem Herrn v. Sturdza und beschloß, eine Reise nach Rußland zu machen und für die Sache zu wirken. Wie wenig er aber die äußeren Verhältnisse dort kannte, tat diese Reise recht auffallend dar. Er hätte in der Tat ebensogut nach einem ihm völlig fremden, mächtigen Lande, ohne mit irgendeinem Menschen dort in Verbindung zu stehen, hinreisen können, um dort den Thron zu stürzen, wie nach Rußland, um die Christen griechischen Glaubens zu bewegen, sich mit Protestanten und Katholiken zu verbinden. Zum Glück beschloß er, ohne allen Zweifel gewarnt, in Riga umzukehren. Er war später ein heftiger Gegner der Katholiken und stellte so die Wahrheit seiner Behauptung, daß, wenn die Union aller drei Kirchen nicht gelänge, die gegnerische Spannung der westlichen gegeneinander sich notwendig steigern müsse, durch seine eigene Person dar. Es war seltsam genug, daß der Vorschlag zu einer Union, welche die tiefste und bedeutendste Einheit aller Völker, ja wäre sie echter Art, nicht allein den äußeren, wohl früher von den Philosophen gepredigten, sondern auch den inneren ewigen Frieden in sich schließen würde, von einem Manne ausgehen sollte, dessen innere Zerrissenheit ihn selbst in seinen letzten Tagen an die jüngste deutsche Literatur anschloß, die nichts weniger als einen solchen Frieden suchte, erwartete oder nur wünschte. Fr. Baader, unfertig, wie er in jeder Rücksicht war, gehörte doch in der Tat zu den merkwürdigen Männern seiner Zeit und ward wohl von den wenigsten begriffen. In den Briefen, die ich von ihm besitze, schrieb er einst: »Ich finde mich berufen, das deutsche Volk auf ihren größten und tiefsten Mann aufmerksam zu machen; ich lebe, um die Herrlichkeit des großen Görlitzer Schusters Jakob Böhme zu verkündigen.« Ohne allen Zweifel gab es wenige Menschen, die Jakob Böhmes Schriften so wie die der Mystiker genauer kannten als er, und dennoch ist er im hohen Alter gestorben, ohne irgendein bedeutendes Wort über die ersteren gesagt zu haben.

Über Nürnberg geht die Reise nach Breslau zurück.

Einen großen geistigen Genuß gewährten mir wie die Kirchen in Nürnberg so auch die Kunstschätze dieser Stadt, in Verbindung mit den in München aufbewahrten. Was mich in dieser Stadt überraschte, waren die Meisterstücke von Rubens, der doch in Dresden etwas dürftig repräsentiert wird; noch reicher und bedeutender sollte er mir später in Wien entgegentreten. In Augsburg machte die mächtige Maximilianstraße einen tiefen Eindruck auf mich; nur wurde dieser fast verwischt durch die Menschenleere. Diese Straße war offenbar nicht entstanden, weil man breite Straßen bauen und durch sie imponieren wollte wie in Berlin, wo sie erst einigermaßen erträglich werden, indem sie sich jetzt nach und nach zu füllen anfangen. Das Gewühl einer Handelsstadt von europäischer Bedeutung machte diese Breite notwendig. Das Augsburger Rathaus, die altdeutschen Bilder von Wohlgemuth und Schön, der schöne Springbrunnen versetzten mich in die heitere Zeit meiner jugendlichen Wanderungen. Aber vor allem war mir doch Nürnberg teuer und angenehm. Ich begreife, wie Künstler und Dichter sich zu dieser Stadt hingezogen fühlen: aber, wie Goethe das Straßburger Münster, so hat doch Tieck auf seiner Wanderung als Schüler zuerst Nürnberg entdeckt. Im nördlichen Deutschland haben alle Reste des deutschen Altertums etwas traurig Runenhaftes; glauben doch viele sogenannte Kenner, dieses Düstere gehöre so wesentlich dem Altertum zu, daß man denjenigen mitleidig als einen Unkundigen betrachtet, der glaubte, irgend etwas Heiteres sei ein echt Altertümliches; Nürnberg dahingegen erschien mir jederzeit freundlich anmutig mit seinen Kirchen und Plätzen, wie ein Freund, dem man sich gern anvertraut. Die alten Bürgerfamilien erinnerten mich an die achtzigjährige Verwandte meiner Kindheit, die noch immer lustig und mitteilsam mich mit Erzählungen aus der Jugend ihrer neunzigjährigen Mutter zu ergötzen wußte. Alle Welt weiß, was in Nürnberg zu suchen ist, mir ist es dadurch nicht weniger teuer geworden.

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Da ich zwanzig Jahre hintereinander mit wenigen Ausnahmen jährlich mehrere Wochen im Riesengebirge zubrachte, so habe ich es öfters durchwandert. Die KoppeSchneekoppe. habe ich fünfzehnmal bestiegen, oft in Begleitung der Studierenden, die bei mir Geognosie hörten. Einst auf einer solchen Gebirgswanderung erreichten wir die Koppe einige Stunden nach Sonnenaufgang – unter meinen Begleitern sind mir noch erinnerlich der Professor v. d. Hagen, und der Sohn des Feldmarschalls Grafen Yorck. Während wir den steilen Weg, der von dem Koppenplan zur Koppe führt, hinaufstiegen, sank der Nebel allmählich immer tiefer, die Kapelle, die Koppenhöhe mit einer Menge Menschen, die dort versammelt waren, lagen im hellen Sonnenschein; indem wir höherstiegen, sank auch der Nebel vor und unter uns; die Sonne warf unsern Schatten auf diesen, und da sahen wir unsere Köpfe von einem großen Regenbogenkreis umgeben. Diese Erscheinung der buntgefärbten Schatten ist nicht unbekannt, aber nach den Beschreibungen, die mir zukamen, muß eine so vollkommene Ausbildung des Phänomens wie diejenige, die hier stattfand, doch äußerst selten sein. Alle Regenbogenfarben des Kreises waren blendend entwickelt, ja ein zweiter umgekehrter, wenn auch weniger deutlicher Kreis entstand um den ersten. Wenn nun mehrere sich dicht aneinanderschlossen und umarmten, so vereinigten sich die einzelnen Kreise in einen gemeinschaftlichen, der mit seinem farbigen Schein eine Gruppe von drei bis vier Köpfen zu umfassen vermochte. Ich bin überzeugt, daß die Heiligenscheine der Maler dem Anblick solcher Kreise ihre Entstehung zu verdanken haben. Während wir nun so, mit unsern verklärten Schatten sehr zufrieden, als selige Geister erschienen, traten uns die Gäste auf der Kuppe ganz anders entgegen. Am Fuße der Koppe bewegte sich der Nebel unruhig, bald in dichteren, bald in dünneren Massen, mit dem Luftstrom aus dem böhmischen Aupengrunde über den Koppenplan nach dem ebenfalls steil herabfallenden schlesischen Melzergrund zu. Die Schatten der Menschen, die sich um die Kapelle herumbewegten, fielen dunkel und farblos, gewöhnlich riesenhaft verlängert, auf diese beweglichen Wolken. Diese Gestalten nun verwandelten sich wie im wilden Traum. Arme und Beine verlängerten und verkürzten sich, die Nase wuchs zu einer grauenhaften Länge, und da die Schatten sich mit dem Wolkenstrom nach dem Melzergrund zu bewegten, hatte es nicht selten den Anschein, als stürzten sich unselige Geister in den Abgrund hinab. Es ist nicht möglich, eine Erscheinung zu erleben, die der Entstehung einer Mythe näher wäre; mir ist sie unvergeßlich geblieben.

 

Eine tiefe Sehnsucht nach dem Lande seiner Kindheit ergriff damals Henrich Steffens. Seine Stellung als Gelehrter war gefestigt, die ersten fünfzig Jahre seines Wirkens und Schaffens waren reich an Ergebnissen. Dreißig Jahre waren vergangen, seitdem er sein Geburtsland nicht wiedergesehen hatte. Nun sehnte er sich nach den norwegischen Gebirgen, es drängte ihn, die unvollkommenen Ergebnisse seiner ersten Studienreise zu verbessern. Im Frühjahr 1824 reiste er mit seinem Neffen Holst nach Schweden. Ein halbes Jahr wurde das Land durchwandert, Upsala und Stockholm wurden besucht, dann ging es nach Kristiania weiter und von da nach Hedemarken, wo die ältere Schwester nach zwanzigjähriger Trennung wieder begrüßt wurde.

In Dänemark empfing ihn Friedrich VI. nun nicht mehr als Mitregent, sondern als König. Henrichs beide älteren Brüder hatten in seinem Dienste gewirkt und waren darin gestorben; der jüngste stand als dänischer Gouverneur in Guinea. Die Familie hatte einen guten Klang am dänischen Hofe. Das Herz des einstmaligen dänischen Untertans schloß sich auf, und Steffens fand Worte, die dem Könige zu gefallen schienen. Frühere Spannungen lösten sich, und Steffens schied mit der wiedergewonnenen Freundschaft des Herrschers.

Aber noch schönere Beweise einer heftigen Zuneigung, die ihm sein einstiges Heimatland entgegenbrachte, beglückten ihn: der Erbprinz Christian lud ihn auf sein Schloß Sorgenfrei ein, er verbrachte glückliche Tage mit ihm in Hamburg, und im Jahre 1840 erreichte den Professor Steffens und seine Frau in Berlin eine Staatseinladung zu den Krönungsfeierlichkeiten nach Kopenhagen. Dieses Glück erschien als eine Verherrlichung seiner Kindheit und Jugend, als ein erfüllender Abschluß vergangener Zeiten und Träume.

 

Schon vor der Reise nach Norwegen war ich mit dem Feldmarschall Grafen Yorck in ein für mich interessantes Verhältnis getreten. Ich habe mein vorübergehendes Zusammentreffen mit ihm im Kriege schon erwähnt. Einst beehrte er mich mit seinem Besuche, und der Grund desselben überraschte mich sehr. Graf Yorck hatte in seinem ganzen Leben etwas seine glänzende Laufbahn Begleitendes, Verhängnisvolles, obgleich er bis zu der höchsten militärischen Stufe im Staate stieg und den größten militärischen Ruf erwarb, den ein Krieger überhaupt in unsern Tagen zu erlangen vermag.

Hier ist nicht der Ort, eine Lebensbeschreibung des Grafen zu liefern, selbst wenn ich es vermöchte. Seine nicht seltenen Mitteilungen waren zu kurz abgebrochen und wenig zusammenhängend, und meine Berührungen mit ihm betrafen fast ausschließlich seine Familie. Als seine Stellung im Leben immer glänzender ward, war es natürlich, daß auch sein Name ihm als ein Bedeutendes erschien; ein Geschlecht in der Geschichte für alle Zeiten zu begründen, dessen Stifter er war, erschien ihm wichtig, ja bildete die ihn ganz beherrschende Absicht seiner letzten Jahre. Aber in dieser Rücksicht hatte er in seiner Familie ein wunderbares Unglück. In seiner Ehe hatte er eine Menge Kinder erhalten, wenn ich nicht irre, neun; sechs waren gestorben. Der jetzt gealterte Held hatte sich aus dem Kriegsdienst zurückgezogen und machte bekanntlich den Feldzug von 1815 nicht mit. Er hatte noch zwei Söhne und eine Tochter; der älteste Sohn hatte eben das Alter erreicht, um in den Kriegsdienst treten zu können. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß der alte General, so wichtig es ihm auch war, ein Geschlecht zu begründen, doch beide Söhne dem Vaterlande geopfert hätte. Der zweite hatte die Jahre noch nicht erreicht.

Als die siegreichen Preußen nach der Schlacht bei Belle-Alliance Paris besetzten, fanden einige Gefechte in der Umgegend statt; der junge Graf Yorck stand bei den Husaren, und bei einem kleinen Gefecht zwischen Paris und Versailles ward er mit einer geringen Mannschaft von einer weit überlegenen angefallen, seine Mannschaft auseinandergejagt, und der junge Offizier fiel in feindliche Gewalt; er aber glaubte, wie erzählt wird, daß ein Sohn des großen Grafen Yorck nicht als französischer Gefangener leben dürfe; er wehrte sich verzweiflungsvoll bis zu dem letzten Augenblick und fiel. Jetzt ruhte nun die ganze Hoffnung des zu begründenden Geschlechts auf dem zweiten Sohne, und die Sorge des Vaters brachte diesen zu mir. Der Graf übertrug mir die unbedingte Aufsicht über seinen Sohn. Ich sollte ihm zwar nicht Unterricht geben, wohl aber diesen leiten und die Lehrer bestimmen, bis er zur Universität reif sei. Ich gestehe, daß, so ehrenvoll das Vertrauen mir war, ein so wichtiges Geschäft mir doch bedenklich schien. Ich hatte nie gern die Aufsicht über Knaben und mein ganzes Leben hindurch, selbst als Jüngling unter andern nur auf solche junge Männer anregend gewirkt, die der Selbstbestimmung fähig waren. Doch fand ich mich durch das Vertrauen eines so großen Mannes so geehrt, daß ich mich verpflichtet glaubte, der Aufforderung zu genügen. Mehrere Jahre hindurch sah ich nun den jungen Grafen täglich in meinem Hause, und der besorgte Vater erschien oft bei mir, so wie ich wiederholt aufgefordert wurde, ihn auf seinem Gute Klein-Öls zu besuchen.

Wenn von irgendeinem Manne, kann man wohl mit Recht vom Grafen Yorck sagen, er sei durch das Leben gebildet. Das einzige, was er einer Schule verdankte, war die praktisch-militärische Ausbildung; daher behielt auch diese eine Herrschaft über sein Urteil als Krieger, und er ließ nur hier und innerhalb der Grenzen der praktischen Ausübung eine Schule gelten. Alles, was ihm außerhalb dieser zu liegen schien, hatte in seinen Augen nur geringen Wert, und der umsichtig gebildete Generalstab, wie er sich während des Krieges und nach dem Kriege gestaltete, hatte manchen harten Angriff von ihm zu dulden. Alles, was einen Entschluß im Kriege erst herbeiführen sollte, fand ihn gewöhnlich unentschlossen und besorgt; alle Beratschlagungen des Generalstabes waren ihm bedenklich, und er gehörte fortdauernd zu den Unzufriedenen. Aber diesen schwankenden Zustand trug er allein oder mit wenigen Freunden. Die Armee erblickte ihn nie so. Denn war der Entschluß gefaßt, war die bestimmte Kriegstat unvermeidlich, dann standen ihm alle Mittel zu Gebote, er beherrschte alle ihm gegebenen Verhältnisse und war bei einem jeden Schritte fest und unerschütterlich. So erschien er unter den Truppen. Daher hat nicht leicht ein preußischer Feldherr der neuern Zeit eine größere Gewalt über seine Umgebung ausgeübt als er. Er war unerbittlich streng und hart; wenn er einen Entschluß gefaßt hatte, nie zu beugen. Aber eben die unabweichbare Notwendigkeit, die seine Befehle einer Naturgewalt gleichstellte, erweckte das feste Vertrauen. Wo man weiß, daß man sich fügen muß, da scheint dasjenige, was geboten wird, wie das Naturgesetz zu unserem Wesen zu gehören. Wir unterwerfen uns diesem und fühlen uns dennoch durch die Unterwerfung frei. So bildet sich jene tiefe, innige Einheit des Gehorsams und der stolzen Freiheit, so entsteht nicht knechtische Schwäche, sondern feste, starke Selbständigkeit – eine Einheit, die freilich den zuchtlosen Schwätzern unserer Tage völlig unbegreiflich ist.

Es ist bekannt, wie entschieden und stark diese stolze, kriegerische Gesinnung bei den Yorckschen Truppen vorherrschte; so ward die große Tat möglich, die dem ganzen Kriege seinen Ursprung gab, wie das Gepräge, welches er trug. Seit Friedrich II. hat kein deutscher General einen größern Einfluß auf seine Truppen gehabt. Er konnte ihnen alles bieten, sie gehörten ihm unbedingt.

Seine Gesichtszüge sprachen die eiserne Gesinnung aus und hatten etwas Finsteres und Gebietendes. Dieses machte bei dem ersten Empfang besonders einen imponierenden Eindruck, um so mehr, da er die Gewohnheit hatte, bei einem zwar äußerlich höflichen, aber doch zugleich zurückhaltenden Benehmen mit einem durchbohrenden Blick, den er durchaus in seiner Gewalt hatte, einen jeden jungen Mann, der ihm zuerst nahe trat, zu prüfen. Ich habe es gesehen, wie er jüngere Offiziere auf diese Weise in eine große Verlegenheit setzte. Es war schwer, ihm zu gefallen, und ich habe Männer gesehen, die, wie mutig sie sonst sein mochten, durch seinen Empfang in eine unangenehme Lage versetzt wurden. Wer sich aber zu benehmen wußte, der konnte schnell seine Gunst erwerben. Wenn er in die Stadt kam, erschien er öfter in meinen Abendgesellschaften und ließ sich dann vollkommen unbefangen gehen; selbst die Studenten, die dort nicht selten erschienen, überwanden dann schnell die Scheu vor dem grauen Helden, obgleich seine Äußerungen meist hart und tadelnd waren und er selten seine Zufriedenheit mit den Zuständen des Staats oder der Wissenschaft äußerte; aber die Urteile waren gewöhnlich so allgemein, daß sie die Anwesenden nicht trafen, und eine scherzhafte Ironie stumpfte die Spitze ab; er konnte dann, obgleich seinem Charakter nie entsagend, höchst liebenswürdig sein. Wer ihn zu behandeln wußte, konnte ihn und zwar desto leichter, je entschiedener man ihm entgegentrat, gewissermaßen beherrschen, und meine Stellung war glücklicherweise so völlig unabhängig, daß ich mich nicht erinnere, persönlich irgendeine mir unangenehme Berührung mit ihm erlebt zu haben. Einige der Offiziere, die zu seiner nächsten Umgebung gehörten, übten scheinbar eine große Gewalt über ihn aus, aber im Hintergrunde blieb der unerschütterliche eigene Wille, der sich nicht immer auf gleiche Weise gestaltete. Daher hatte der Sohn eine schwere Aufgabe, und ich ward, zwar in einem viel engern Verhältnisse, an Friedrichs II. Schicksal in seiner Jugend, seinem Vater gegenüber, erinnert, wenigstens glaubte ich es nun begreifen zu können. –

Mit dem Alter wuchs der Wunsch, was mich innerlich erfüllte auszusprechen, immer mehr. Es gibt Männer, die diesen Wunsch entschieden tadeln und mir ihn nicht selten zum Vorwurf machten; es sollte, behaupteten sie, da ich nun einmal ein Gelehrter wäre, gar nicht von mir die Rede sein, sondern nur von dem Gegenstand, den ich behandelte. Ich glaubte aber zu bemerken, daß diese so hart getadelte Subjektivität, wenn von dem Höchsten die Rede war, selten oder nie verschwände, daß sie sehr oft die Miene des Gegenstandes annähme und dann auf eine für die Wissenschaft gefährliche Weise täusche. Die zugestandene freimütige Subjektivität hat wenigstens den Vorzug, daß sie das eigene Urteil über sich hervorruft und frei erhält; kann sie doch in einem weiteren Kreise nur bei Menschen verdrängt werden, die, zu wissenschaftlichen Herrschern im größten Sinne für alle Zeiten berufen, nur nach Verlauf von Jahrhunderten erscheinen. Ich bekenne, eine solche Persönlichkeit allein in Schelling erkannt zu haben, aber eben deswegen hat er einen fortdauernden, harten, mächtigen innern und äußern Kampf mit einer andern Subjektivität, die er nie ganz zu beherrschen vermag, mit der seiner Zeit. Wie sehr diese ihm von dem ersten Augenblick seines Hervortretens sich entgegengestellt hat, ist allgemein bekannt; sie verfolgt ihn unablässig und immer leidenschaftlicher. Das Gute ist zwar aus diesen Angriffen hervorgegangen, daß man in ihnen keine Spur von dem edeln Zorn großartiger Gemüter, wohl aber die blinde Wut solcher Naturen erkennt, die sich innerlich überwunden fühlen. Aber nicht bloß äußerlich hat er diesen Kampf zu bestehen, sein ganzes Leben war ein fortdauerndes Bemühen, innerlich nicht die Subjektivität zu verdrängen, wohl aber zu veredeln, daß sie nicht bloß das Vergängliche einer zeitlichen Gegenwart, sondern ein Bleibendes für die Geschichte werden mußte. Er wollte nicht durch starre Formen die Geister binden, nicht durch tote Permanenz, durch widerwärtige Sprachnormen die Geister fesseln, vielmehr eine frische, freie, reiche, in sich geordnete geistige Entwicklung fördern.

Ich bin dagegen ganz entgegengesetzter Natur, und es war wohl eben dieser Gegensatz, der uns in früher Jugend und jetzt als Greise wechselseitig anzog und miteinander verband. Mich beherrschte die Natur, die Wirklichkeit da, wo sie das Höchste andeutete. Ich suchte in allem Erkennen ihre Ruhe und ringe nur nach ihr; was ihr ursprünglich gegeben war, ist Gegenstand meines Strebens, und wer es nicht in diesem unablässigen Streben in den mancherlei Andeutungen immer als dasselbe erkennt, der hat mich nicht gefaßt, wie das innerste Zeugnis meines Bewußtseins mich mir selber darstellt. Wenn ich ein stolzes Wort und auch zugleich ein demütigendes über mich selber aussprechen darf, so möchte ich die Behauptung wagen, daß ein Gedicht, wie Dantes großes, mein ganzes Leben hindurch sich hervorarbeiten wollte, aber nicht zur Vollendung gelangte. Wer will den geheimen Zug geistiger Reinheit durch alle meine zerstreuten Schriften verfolgen? Eben da, wo diese am mächtigsten angedeutet ist, verklingt sie in einer ungenügenden Form; mir wenigstens genügte keine, und niemand fühlt es tiefer als ich, daß meine Darstellung eine mir durch die Natur aufgedrungene Aufgabe nicht so in sich gerundet zu fassen vermochte, daß sie für die Geschichte auf immer gewonnen wäre: und dennoch gewann mir das Ursprüngliche, Unwillkürliche, was, glaube ich, sich nie verdrängen ließ, viele Gemüter, und ich muß bekennen, daß, wenn mein schriftstellerisches Gewissen in stiller Selbstbetrachtung laut ward, ich mehr über den Beifall als über den Tadel mich zu wundern hatte.

Besonders ging ein Gedanke, der sich nicht abweisen ließ, durch mein ganzes Leben, der allem seine höchste Wahrheit verlieh. Durch die Religion erhielten alle Begriffe ihre höchste Bestätigung als sittlich religiöse Taten. Daher die fast krankhafte Neigung, mit der ich viel zu kämpfen hatte, mein Inneres da zu enthüllen, ja eine Beichte abzulegen, wo es weder passend noch schicklich war.

Ein Ausweg schien mir die Dichtung. Ich lebte mit meinem Verleger in einem vertrauten freundlichen Verhältnis, und als er mir vorschlug, eine Novelle auszuarbeiten, ward es mir auf einmal klar, daß hier ja eine Form vorlag, die mir eine Freiheit gab, durch welche ich vieles darstellen, manches enthüllen könnte auf eine Weise, die keine andere Form erlaubte; aber auch hier gab meine ursprüngliche Natur dem Werke eine Gestalt, die keine gewöhnliche war, Walseth und Leith»Die Familien Walseth und Leith. Ein Cyklus von Novellen von Henrich Steffens.« Drei Bande, Breslau 1827: eine Folge von Rahmenerzählungen, die von längeren Gesprächen unterbrochen werden und sich in der Form an Goethes »Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter« anschließen. entstand nicht als eine Novelle, sondern als ein Zyklus von Novellen.

Ich erhielt nun ein mir bis dahin völlig fremdes Publikum. Ich war auch in Beziehung auf meine geistige Beschäftigung und durch die ganze Art meines Lebens, durch die Neigung zur Geselligkeit von jeher mit geistreichen Frauen in Verbindung, und eine große Menge der ausgezeichnetsten Schriftstellerinnen sind mir nähergetreten. Freilich fielen mir auch viele der geringem Sorte nicht wenig beschwerlich. Obgleich ich nun nicht zu denen gehöre, die es wünschenswert finden, wenn der Einfluß der Frauen in der Kirche und in der Literatur noch mehr wachsen sollte, als schon geschehen ist: so darf ich doch ebensowenig verschweigen, daß der Umgang mit ausgezeichneten Frauen mir ein wesentliches Bildungsmittel gewesen ist: daß ich diesen vieles verdanke. Ich glaube nicht, daß ein Gelehrter, der von Frauenumgang ausgeschlossen bleibt, Menschen und Leben auf eine richtige Weise aufzufassen vermag. Selbst die Art, wie geistreiche Frauen das Leben und manche wissenschaftliche Richtung in sich aufnehmen, ist wichtig, ihre Ansichten in ihrer Eigentümlichkeit sind oft lehrreich und anregend, und so darf auch ich nicht vergessen, was ich den Stunden, die ich mit den beiden so berühmt gewordenen Frauen Rahel v. Varnhagen und Bettina v. Arnim verlebte, zu verdanken habe.

Clemens Brentano, Bettinas Bruder, war einer meiner ersten Bekannten in Deutschland; Achim v. Arnim lernte ich mehrere Jahre vor meiner Verheiratung bei meinem Schwiegervater kennen, und als eben verheiratet erschien er mit seiner FrauBettina Brentano, die »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde« veröffentlichte. 1811 in Halle. Es gab vorübergehende Epochen in meinem Leben, in denen mein Umgang mit ihr nicht ohne geistige Bedeutung war. Ihre reiche, höchst eigentümliche, seltsame, aber zügellose Phantasie riß mich hin, ich konnte mich ihr dann völlig hingeben, wir gelangten gemeinschaftlich in wunderbare Regionen, und ich erwachte aus einem solchen Gespräch wie aus einem leichten anmutigen Traum. Blitzähnliche Gedanken fuhren während des Traumes durch meine Seele, wanden sich aus den mancherlei wechselnden bunten Gestalten hervor und erhielten sich wohl auch in der permanenten Form des Begriffs nach dem Erwachen. Seit sie Schriftstellerin geworden, haben diese geistigen Mitteilungen aufgehört; unsere Lebensansichten sind zu abweichend. Was als Traum einen Reiz für mich hatte, vermochte ich als ein geschichtliches Erwachen nicht festzuhalten: aber wie genußreich mir jene früheren Stunden gewesen sind, habe ich nicht vergessen.

Unter den Schriftstellerinnen, die mir sonst bekannt wurden, nenne ich die Frau des de la Motte Fouqué.Der Dichter der »Undine« hatte sich 1803 in zweiter Ehe mit der Schriftstellerin Karoline von Rochow vermählt. Den Mann hatte ich kurz nach dem Kriege kennengelernt. Er hatte die Gewohnheit, schnell eine vertraute Stellung einzunehmen, und als ich ihn einst in einer größern Gesellschaft bei meinem Freunde H. MeyerArzt in Berlin. zum ersten Male sah, zog er mich während eines Gesprächs über allerlei Gegenstände nach einem Fenster hin. Eine meiner Äußerungen gefiel ihm, und ich ward nicht wenig überrascht, als ich ihn ausrufen hörte: »Steffens, dies ist wie aus meiner Seele gesprochen, wir müssen näher miteinander bekannt werden«; er umarmte mich und begrüßte mich mit einem vertraulichen Du. Und so hatte ich schon tief in den fünfziger Jahren auf alte jugendliche Weise plötzlich einen vertrauten Freund erhalten. Ich habe nie ohne Wehmut an die letzte traurige Lebenszeit dieses Dichters, der doch einst einen bedeutenden Ruf erlangt hatte, denken können. Seine erste Frau schenkte mir das Vertrauen, in schriftstellerischen Angelegenheiten sich an mich zu wenden. Unglücklicherweise blieb ich mit ihrer Tätigkeit in dieser Richtung völlig unbekannt und habe mir in der Tat hierin eine Rücksichtslosigkeit vorzuwerfen, die ich kaum zu verteidigen vermag.

In den ersten Jahren in Berlin lebte ich in näherem geselligen Umgang nicht allein mit Rahel und Bettina, sondern auch mit der unglücklichen Stieglitz.Charlotte Stieglitz, geborene Willhöft, hatte sechzehnjährig geheiratet, wurde in der Ehe unglücklich, gab sich 1834 selber den Tod, um dadurch ihrem Gatten zu einer Sensation und zu literarischem Ruhm zu verhelfen. Sie war öfter in meinem Hause und schien geneigt, mir ein immer größeres Vertrauen zu schenken. Sie war anmutig und höchst liebenswürdig; meiner Überzeugung nach war sie geboren, eine schlichte häusliche Frau zu sein; und hätte sie ihre übrigen Talente auf eine naturgemäße und unbefangene Weise mit der anmutigen Erscheinung verbunden, so würde sie zu den lieblichsten, ja innerhalb ihrer naturgemäßen Grenzen zu den bedeutenderen Frauen gehört haben; eine verschwimmende dichterische Richtung der Zeit hatte sie völlig fanatisch irregeleitet. Sie wollte nicht einen Poeten, sondern die Poesie heiraten, und bis diese ihr persönlich erschien, blieb sie unglücklich und fühlte sich von aller Welt verlassen. Kurz vor der schrecklichen Katastrophe war es, als wenn ihr eine Beichte, die sie zu drücken schien, auf den Lippen schwebte. Wie bedauerte ich, daß sie nicht abgelegt wurde! Eine Badereise, von der sie mit getäuschten Hoffnungen zurückkam, schien sie zur Verzweiflung gebracht zu haben. Ich habe es, wie früher öfter auch hier, auf die traurigste Weise erlebt, wie Gedanken und Vorstellungen, mit welchen Männer ein mehr oder weniger gefährliches Spiel treiben, in den weiblichen Seelen sich nur zu ernsthaft fixieren und in einer verzehrenden Gestalt ihr ganzes Wesen verschlingen. So werden Frauen am leichtesten religiös-fanatisch, und die grauenhaftesten Ausschweifungen des religiösen Wahnsinnes zeigten sich öfters bei diesen.

Allerdings war der Selbstmord von merkwürdigen Umständen begleitet. Die unglückliche Frau hatte sich des Abends in der Abwesenheit des Mannes erdolcht. Sie hatte die Dienstmagd zu entfernen gewußt, und alle Anstalten, um dem Tode einen heitern, ja schönen Anstrich zu erteilen, waren mit vieler Besonnenheit getroffen. Sie hatte mit eigenen Händen ihr Bett reinlich zubereitet; in weißem festlichem Gewande legte sie sich hin; ein Dolch, der zum tragischen Spiel von den verirrten Eheleuten oft gebraucht wurde, endete ihr Leben; der Stoß war offenbar mit fester Hand geführt, er war tief und sicher tötend; sie hatte nach dem Stoß alles getan, um die Verblutung völlig nach innen zu leiten, hatte den Dolch aus der Wunde gezogen und den unglaublichen Mut gehabt, diese, solange ihr die Kraft übrigblieb, zu verstopfen. Nur wenige Blutstropfen fanden sich vor. So lag die junge schöne Leiche festlich geschmückt im reinlichen Bette; so sah ich sie früh am andern Morgen. Das Bild wird nie aus meinem Gedächtnis verschwinden.

Ich erschrak aber nicht wenig, als ich die Äußerung der hinzuströmenden Freunde um mich her laut werden hörte. Der traurige Selbstmord ward als eine weibliche Römertat bewundert. – Kann eine Tat, die wohl begreiflich ist, aus dem ganzen Leben einer frühern geschichtlichen Epoche willkürlich in eine spätere, ganz anders gestaltete versetzt werden? Und muß, was von allen Lebensverhältnissen getragen wird und seine Bedeutung erhält, in einer christlichen Zeit nicht völlig bedeutungslos, krankhaft, ja wahnsinnig erscheinen? Es ist bekannt, daß der Wahnsinn die Besonnenheit nicht ausschließt, nicht selten sind die Beispiele von verständiger Vorbereitung zu einer wahnsinnigen Tat; ja der Seelenkranke zeigt oft Beweise von bewunderungswürdigem Scharfsinn; der Verstand verschwindet nicht, er wird dann mit allen seinen Kräften von der starren Richtung des Wahnsinns in Anspruch genommen.

Es ist oft die Frage gewesen, inwiefern die höchste geistige Entwicklung des Geschlechts dem weiblichen Teil desselben zugänglich sein solle oder nicht. Diese Frage zu beantworten ist nicht schwierig. Die Frauen auszuschließen von dem, wozu nicht selten die Eigentümlichkeit ihrer Person sie drängt, und gewaltiger oft als die Männer, wäre höchst tadelnswert wie eine jede aus abstrakter Reflexion entstandene Ausschließung. Wenn man fragt, ob die Frauen einen bedeutenden Einfluß auf die Bildung der Gesellschaft gehabt haben, so wäre es höchst töricht, es leugnen zu wollen: aber dieser wichtige Einfluß beschränkt sich auf die Familie und den geselligen Umgang. Durch den letztern wird der Familienkreis erweitert und Männer wie Frauen in diesen hineingezogen. Die stille Gewalt der weiblichen Persönlichkeit wird dann ihrer Natur gemäß entwickelt, das Geheimnis der Weiblichkeit, das Höchste, Tiefste und Unergründlichste, erscheint, ohne verraten zu werden.

Mir ist eine Sängerin nicht allein bekannt, sie ist mir eine der liebsten und trefflichsten der Frauen, Weib und Mutter im edelsten Sinne. Eine kurze Zeit nur erschien sie auf der Bühne, und ihre Kunst wie ihre gewaltige, herrliche Stimme riß jedermann hin. Wenn sie hervortreten sollte, war ihr ganzes Wesen ergriffen, sie trennte sich dann von dem Manne, von den Freunden, schloß sich ein und lebte ganz in dem Spiel und in den Tönen, allen andern menschlichen Verhältnissen völlig entrissen. Sie erschien zu einer Zeit, wo sie mit den glänzendsten Talenten wetteifern mußte. Derjenige, der sich einer großartigen Darstellung hinzugeben vermochte, ward von ihrem Spiele hingerissen, und die Töne klangen wie aus einer höhern Welt, wenn sie durch Gluck oder Beethoven ihren Inhalt erhielten. Diese Frau, so mächtig begabt, schien die Gewalt nicht zu kennen, die sie ausübte. Jedesmal, wenn sie die Bühne betrat, ward sie von einer unermeßlichen Angst ergriffen; die ersten Töne zitterten, bis die Gewalt der großartigen Darstellung sie völlig hinriß und sie aus der Menge der horchenden Zuschauer hinweg und in die stille Einsamkeit des Gemachs versetzte. Dann brach die Gewalt des Spiels und des Gesanges hervor, als wäre es die Dichtung selbst, die ihre innere Bedeutung mächtig aussprach; aber was die besten Zuschauer in Entzücken setzte, bedrohte ihr Leben. Sie verstummte nach kurzer Zeit und lebt jetzt als stille Hausmutter und Weib, von mir geschätzt und geliebt wie ihr Mann, der mein naher Verwandter und mein teurer Freund ist und mir in eigenen Momenten meines Lebens auf eine schöne Weise geistig nahetrat.

Hätten meine Novellen für mich keine andern Früchte getragen, als daß sie mir die nähere Bekanntschaft vieler geistreicher Frauen erwarben, ich würde ihre Herausgabe segnen.

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Es wird in diesem Schlußteile meiner Schrift oft von dem, was man schlecht genug Toleranz genannt hat, die Rede sein. So tadelnswert nun diese Benennung ist, so hat sie doch ihren Grund; denn das Negative, die Intoleranz, ist dasjenige, von dem man ausgeht, und sie ist nicht weniger heftig in unseren Tagen, als sie es in den Zeiten der heftigsten Verfolgung war, weil sie sich nach innen geworfen hat und eine geistige geworden ist.

Eine heitere Gunst des Geschicks hat mich in jeder Epoche meines Daseins vor der Gewalt dieser Kritik gerettet; ich habe mich nie mit einem bloßen Sein des Denkens begnügen können, denn wo ich dieses hinrichtete, behielt ein fröhliches Dasein, welches sich von dem Denken nie trennen ließ, sein ewiges Recht; ich war gezwungen, wo ich stritt, jederzeit zugleich anzuerkennen. Man wird es nicht so ansehen, als betrachtete ich diese mir verliehene Gabe als einen sittlichen Vorzug: es würde sich schlecht zu dem Nachfolgenden passen. Meine Natur zwingt mich, dasjenige, was ich anerkennen muß, als geistig zu meinem Wesen gehörig zu betrachten, mich nie von ihm zu trennen, daher sind Haß und Neid – ich darf es mit der vollsten Wahrheit behaupten – mir mein ganzes Leben hindurch fremd geblieben, und von der Rache kann ich mir, obgleich in Skandinavien geboren, als eine eigene Tat keinen Begriff machen. Man hat mir sogar vorgeworfen, daß in diesen Erinnerungen aus meinem Leben zu wenig skandalöse Chronik vorkomme. Ich habe Tadelnswertes genug erlebt, aber ich besitze nicht ingrimmige Gesinnung genug, um es mit Freude und dann mit Erfolg darzustellen.

Diese mir durch die göttliche Gnade mitgeteilte Gunst meiner Natur erstreckte sich nicht allein über solche Persönlichkeiten, mit welchen ich während eines mannigfaltig wechselnden Lebens in nähere Berührung kam. Ich hasse keinen Menschen. Das höchst unangenehme und quälende widerwärtige Gefühl des Neides überflog mich wohl manchmal, und ich darf nicht behaupten, daß es mir ganz unbekannt ist, weil ich nach menschlicher Art mich wohl überschätzte und mich auf eine tadelnswerte Weise mit anderen verglich: aber dies Gefühl ging bald vorüber, und ich darf mit Wahrheit behaupten, daß ich keinen Menschen beneide. Aber diese unwiderstehliche Neigung des Anerkennens dehnte sich auf alle Persönlichkeiten aus, eine jede war eine mir geschenkte, innerlich mir zugehörige; ich suchte in ihr eine Einheit des Daseins, in welcher sie durch ihre tiefste Eigentümlichkeit zwar von mir getrennt schien, aber eben als innerlich mit mir verbündet, je strenger die äußere Trennung, das in sich Abgeschlossene der fremden Persönlichkeit hervortrat; und dieser Standpunkt der Betrachtung, von welchem aus die ganze Geschichte (nicht bloß die verworrene Gegenwart, in welcher ich lebe) mir entgegentrat, ließ sich nur festhalten, wenn das gesamte menschliche Geschlecht sich in eine große Organisation verwandelte, deren Gesamtentwicklung ich durch alle dunklen Partien der Geschichte zu verfolgen gezwungen war. Aber eine solche Entwicklung war nur möglich, indem ich einen Gesichtspunkt der Persönlichkeiten zum Grunde legte, der mir die Annahme ihrer Unsterblichkeit aufdrang. Eine jede Person ward daher recht eigentlich anerkannt als eine nur aus sich selber begreifliche, daher für jede menschliche Betrachtung ursprüngliche. Bis ich diese Stelle gefunden hatte, blieb mein Urteil ein unsicheres; erst mit dieser fing meine Kritik an, ja, wenn ich sie erreicht hatte, schien mir eine Kritik überflüssig, sie fiel von selbst weg, weil das entschiedene Hervorheben des Ursprünglichen allem Sekundären seinen Wert raubte.

Aber nicht allein die Geschichte forderte diese Anerkennung, alles Lebendige war ebenso, selbst in seiner endlichen Form nicht aus einem andern, sondern nur aus sich selber zu begreifen; daher erschien mir die bis dahin herrschende ideologische Ansicht als eine durchaus verwerfliche; daß irgend etwas seine eigentliche Bedeutung erhielt, indem es nur für einen andern und nichts an sich wäre, war mir durchaus unbegreiflich. Es hatte nur ein geistiges Dasein, indem es nicht für diesen oder jenen, sondern für das Ganze daseiend zugleich für sich selbst und aus sich selbst eine Bedeutung erhielt.

Das herrschende Prinzip, das innerste, blieb aber das kosmische. Wir werden bei einer jeden Betrachtung rein aus uns selber hinaus verwiesen, der Masse und ihren Gesetzen unterworfen, einer äußern Unendlichkeit preisgegeben. Diese offenbart nur eine Gesetzmäßigkeit, deren Gesetz fortdauernd verborgen bleibt. Wenn wir von einer uns fremden Unendlichkeit abhängig sind, ja in ihr untergehen, werden alle Dinge nicht in sich, sondern nur in ihren äußeren Verhältnissen gegeneinander erkannt, und die scharfe Auffassung dieser Verhältnisse, die exakte Physik, bildete die strenge mathematische Logik; die einzig mögliche wissenschaftliche Konsequenz für die Naturbetrachtung war die Mathematik.

Aber dieser mathematischen Richtung der Physik gegenüber erhielt die Betrachtung der Organisation, die alle Mathematik ausschließt, in der Geschichte einen immer größern Umfang; der Begriff organischer Einheit aller lebendigen Formen wird immer mächtiger und verspricht neben der Gravitationslehre die ihr gebührende geschichtliche Stelle einzunehmen. Diese Ansicht des allumfassenden Lebens war es, die meine Jugend, ja meine Kindheit beherrschte. Was ein nicht zu durchdringendes Gefühl ahnungs- und sehnsuchtsvoll suchte, war nicht irgendeine bloß äußerliche Beziehung der Natur, sondern jene innere geistige Einheit in allem; daher war mir das Geringste so lieb, daher war mir das kleinste Gras eben in seiner bestimmten Form so viel wert und trat mit dem unbedeutendsten Insekt in ein inneres, ich möchte sagen persönliches Verhältnis. Dunkel schwebte mir dieses bei allen meinen Studien vor, und indem ich fremde Ansichten aufnahm und teilte, kehrte ich dennoch immer von neuem zu dem zurück, was freilich lange nur freie Phantasie, eine mehr dichterische als wissenschaftliche Bedeutung hatte. Was Schelling mir ward, ist bekannt, ja ein Hauptthema meiner Lebenserinnerungen ist eben dieser Trieb, der mich zu Schelling führte, und meinem Leben seine eigene Bedeutung gab. Mir aber ist das, was ich Naturphilosophie nenne, nichts anderes als die Überzeugung, daß eine organische Konsequenz sich in der Geschichte ausbilden will, eine solche, die in allem, was Gegenstand der Forschung ist, ein Eigenes, sich aus sich selbst Entwickelndes anerkennt und durch diese Anerkennung erst seine Bedeutung für das Ganze zu fassen vermag.

Daß ich der Kirche mich hingab, aus welcher meine erste kindliche, völlig reflektionslose Religiosität entsprang, ward der erste Akt einer Pietät, der offenbar religiöser Art war. Wenn die protestantische Kirche die Behauptung, daß sie und der rechte Glaube überhaupt alle Tradition ausschließe, in ihrer ganzen Konsequenz hervorheben will, so gerät sie durch ihren Kampf gegen die katholische offenbar in einen innern Widerspruch. Es gibt Ansichten, die sich in den Protestantismus mit einer Art von religiöser Notwendigkeit hineindrängen, die sich nicht unmittelbar aus der Heiligen Schrift beweisen lassen, und die, wenn auch aus noch so früher Zeit, in der Tat traditioneller Natur sind. Ein unterrichteter und frommer Theolog machte mich auf die Kindertaufe aufmerksam, die nirgends in der Heiligen Schrift vorkommt und dennoch durch eine aus dem Innersten des Christentums hervorgehende Notwendigkeit geboten ist. Aber wie die Kirche das bewußtlose Kind in ihr gesegnetes Reich aufnimmt, so hat die Zeit, in welcher wir geboren wurden, die Familie, in deren liebender Mitte wir erzogen sind, wie das Volk, dem wir zugehören, den Gang unserer Entwicklung vor allem reflektierenden Bewußtsein schon bestimmt. Daß diese bewußtlose Bestimmtheit zu ihrem Ursprunge zurückkehrend eine reinigende Krise der Entwicklung herbeizuführen vermag, das beweist das Geschlecht im ganzen, die Entstehung der Reformation, ja im tiefsten göttlichen Sinne die Entwicklung der Religion der Liebe aus der des Gesetzes, der neuen Zeit der ganzen Geschichte aus der der alten durch den Heiland selber. Ich aber trug das geistige Geheimnis meines ganzen Lebens in mir, ein jeder Fortschritt wurzelte in der Kindheit, ja es waren die frühesten Keime, die sich immer mehr entwickelten. So verdrängte die gänzliche Hingebung nicht das geheimnisvolle Dasein der frühesten Zeit; und daß ich wieder Lutheraner ward, war keine Wahl, sondern der innere Entwicklungsgang meines in der Naturobjektivität ruhenden und aus dieser hervortretenden Lebensganges.

Nun war, als ich mich der Kirche anschloß, diese, wie sie mir aus meiner Kindheit erschien, in Gefahr. Die Union ward nicht in der religiösen Bestimmtheit, die den König leitete, von den Behörden aufgefaßt, denen er die Ausführung zu übertragen von den Verhältnissen gezwungen war.Am 27. September 1817 hatte Friedrich Wilhelm III. in einem Aufruf an die Vertreter der lutherischen und der reformierten Kirchen die Union beider vorgeschlagen; die Synode der Berliner Geistlichen unter Schleiermacher erklärte sofort ihren Beitritt, die Kirchen in Nassau, Baden und Hessen folgten in den nächsten Jahren. Eine mächtige Gegenbewegung machte sich allerdings in Preußen geltend, als der König 1822 die verschiedenen konfessionellen Kirchenordnungen durch Aufstellung einer »Unionsagende« beseitigen wollte. 1852 wurde – als Folge davon – die Zusammensetzung des Evangelischen Oberkirchenrates in Berlin aus Mitgliedern beider Bekenntnisse festgesetzt, – Steffens erklärte sich für die lutherische Gemeinde. Ihm waren die geschichtlich gewordenen symbolischen Bücher ein heiliger Schatz der Kirche, alle Geistlichen sollten auf diese verpflichtet werden. Die Zeit der Synoden war aber verschwunden; eine administrative Behörde hatte das Element der Kirche in sich aufgenommen, aber vermochte sich nicht mit dieser, wie es notwendig war, innerlich zu verbinden. Diese Trennung im Innern der Behörden pflanzte sich in der Union fort, und eine Gewalt, die einen innern Zwiespalt in sich selbst trug, konnte nicht nach außen als eine versöhnende erscheinen. Indem die Aufforderung zur Union laut ward, sprach sie zwar aus, was schon in vielen, dem Christentum zugewandten Gemütern vorherrschte: aber eben als die unierte Kirche sich gestalten wollte, mußte die Bestimmtheit zweier sich geschichtlich fortbildender kirchlicher Formen wieder klarer als bisher hervortreten. Was unter den Theologen ein Kampf dogmatischer Lehren war, erschien in den auseinandergefallenen Gemeinden deutlicher als ein traditionelles Heiligtum. Der König in seiner wahrhaft christlichen Pietät ehrte dieses, es stand denjenigen Gemeinden, die sich in der bisherigen noch immer gesetzlichen Geltung der Trennung beider Kirchen erhalten wollten, frei, in dieser zu beharren. Und in der Tat nichts läßt sich weniger durch ein Gebot einführen als eine kirchliche Union. Sie kann nur ausgesprochen werden, wo sie schon ist.

Daß ich mich am meisten nach Berlin sehnte, ist begreiflich, und daß dieser Wunsch, den ich so lange Jahre hindurch genährt hatte, endlich in meinem 59. Jahre (im April 1832) erfüllt wurde, verdanke ich allein der hohen Gnade des Kronprinzen und seiner kräftigen Verwendung. Das Ministerium hatte die Absicht, mich solange wie möglich entfernt zu halten, zu klar geäußert; ich konnte kaum irren, wenn ich annahm, daß es nur unwillig nachgab. Freilich ist es wohl möglich, daß die hohe Behörde meine Anwesenheit in der Mitte der lutherischen Gemeinde beschwerlich fand; hatte sie meine Lage genau gekannt, so würde dieses Motiv, welches ihren Entschluß, da nachzugeben, wo ein festgehaltener Widerstand ihr doch bedenklich ward, wahrscheinlich verschwunden sein. Die Gemeinden schlossen sich immer mehr und mehr in sich ab. Ich verließ Breslau und kam in Berlin den 14. April 1812 an. Ich hatte fast ein Dritteil meines ganzen Lebens in jener Stadt gewohnt; hatte dort viele Freunde gewonnen, die mir in den Religionsstreitigkeiten treu geblieben waren, und verließ die Stadt und die engere freundliche Umgebung, die durch die lange Gewohnheit des Lebens eine große Gewalt über mich erhalten hatte, nicht ohne Wehmut. Und doch war ich in der langen Zeit keineswegs in Schlesien heimisch geworden. Ich durste nicht hoffen, daß die Echtester mir, wie dem Garve,Christian Garve, 1742-1798, Professor der Philosophie in Leipzig und Breslau, Aufklärungsdenker mit volkstümlicher Ausdrucksweise. dem Manso,Johann Kaspar Manso, 1760-1828, Philologe, Übersetzer und Schriftsteller, Gymnasialprofessor in Breslau. so ein durch Gesinnung hervorgerufenes Bürgerrecht zugestanden hätten. Soviel Lobenswertes ich in der Provinz fand, so war der durch Geschichte und Verhältnisse erzeugte, in vieler Rücksicht so rühmliche, aber enge Provinzialismus doch nicht in Übereinstimmung mit meiner Natur zu bringen. Meine Phantasie, meine Wissenschaft in ihrer empirischen wie spekulativen Richtung, mein ganzer Sinn versetzte mich in die Mitte der bewegten Hauptstadt, und ich lebte in Breslau wie in einer Verbannung.

Allerdings waren die Verhältnisse in Berlin mir keineswegs günstig. Während der zwanzig Jahre halte sich hier eine wissenschaftliche Richtung ausgebildet, die mir, ich wußte es, feindlich gegenüberstand, Berlin war von jeher eine kritische Stadt, eine jede höhere Bildung befolgte diese Richtung. Das nihil admirari ist nirgends so entschieden ausgebildet wie hier: eine jede geistvolle Produktivität, ein jeder geistig anziehende Genuß wird vorläufig abgewiesen; man findet in der Hingebung etwas Knechtisches, der Selbständigkeit des Mannes Unwürdiges; und selbst eine beschränkende Religiosität, wo sie erwacht, wird ausschließend doktrinär, richtend. Hegel konnte vielleicht in ganz Deutschland keine Stadt finden, die ihm für die Ausbildung seines Systems günstiger war. Ein allgemein kritischer Sinn hebt die selbständige Stellung vor allen hervor; der Genuß, der aus einer mittelbar bewundernden Hingebung entspringt, stumpft sie dahingegen ab, und der Gegensatz zwischen Wien und Berlin ist eben, indem man beide Städte in dieser Beziehung miteinander verglich, sprichwörtlich geworden. Die Herrschaft über die Geister, die Berlin seit Friedrich II. Regierung zu erringen anfing, die allerdings während einer traurigen Mittelepoche nach dem Tode des großen Königs erschlaffte, ja ganz unterzugehen schien, gründet sich auf diese Eigentümlichkeit. Sosehr dieses geistige Übergewicht Berlins besonders im südlichen Deutschland angefeindet wird, so liegt doch in der Art dieser Anfeindung selbst die unwillige Anerkennung verborgen; aber eben daher findet eine Duldung untergeordneter Art hier in einem höhern Grade statt als in irgendeiner andern größern Stadt Europas. Das stark hervortretende Bewußtsein des eigenen Wertes gibt den sichern Maßstab des Urteils in jeder Richtung. Nicht allein bei der Universität, ebenso bei den verschiedenen Behörden hat sich diese schlechthin richtende Gesinnung hart ausgebildet, und wie die preußischen Beamten in den der Monarchie in neueren Zeiten hinzugefügten Provinzen erschienen sind, ist allgemein bekannt. Eine solche entschiedene Sicherheit des Urteils ist weit von einer eigentlichen Anerkennung entfernt. Sie sieht auf eine fremde Eigentümlichkeit, die jenseit des richtenden Maßstabes liegt, mit einer Art Mitleid herab; ihre Ohnmacht ist evident, und so läßt man sie in ihrer Schwäche gewähren.

Aber ein solches Übergewicht des kritischen, eine solche nationale Zentralisation des Geistes ist in der tiefern geschichtlichen Entwicklung dennoch nur relativ. In dem Fortgange des Geschlechtes liegen die Quellen der fortdauernden Produktion, und die Kritik würde allen Sinn verlieren, wenn sie versiegten. Das eben macht Berlin so interessant. Wie stille Gemeinden bilden sich hier enge geistige Kreise ganz eigentümlicher Art, der, wie es scheint, alles verschlingenden Kritik gegenüber. Sie sind in sich gesichert, denn der Feind glaubt gar nicht an ihre eigentliche positive Existenz. Die Gründe, aus welchen sie hervorquellen, sind ihm unbekannt, und er ahnt nicht, wie stark bewaffnet und mächtig sie werden können. Es ist in der Tat auffallend, in welcher beständigen fruchtbaren geistigen Gärung Berlin dadurch erhalten wird. Während Paris sich ein halbes Jahrhundert hindurch von wenigen politischen Begriffen, bald so, bald anders modifiziert, bewegen ließ und alle vorübergehende Ordnung aus einem praktischen Geschick, mit welchem ein Gegebenes mit Präzision aufgenommen und exakt bestimmt ward, entsprang, regte sich bei uns die innerste geistige Mannigfaltigkeit in großer Freiheit und Bedeutung, unter einer, wie es schien, alles unterdrückenden Zucht eines starren, anscheinend unüberwindlichen Formalismus. Die militärische Disziplin der Hegelschen Philosophie vermochte diese Freiheit des Geistes ebensowenig zu unterdrücken, wie die Wachtparade den lebendigen freien kriegerischen Sinn. Dadurch erhält Berlin für denjenigen, der sich in diese Stadt innerlich hineingelebt hat, einen so großen, ja unwiderstehlichen Reiz. Die Natur der Umgebung hat nichts Lockendes, die mannigfaltigen Quellen äußerer Belustigungen und die leichte Zugänglichkeit zu mancherlei zerstreuenden Genüssen bieten sich nirgends dürftiger dar als in Berlin. Erst in der neuesten Zeit scheint ein äußerlich bewegteres Leben sich gestalten zu wollen: aber die Stadt hat ihren lazedämonischen Charakter unter den europäischen Hauptstädten nie ganz verloren. Nur dadurch ist sie auf eine bedeutende Weise davon verschieden, daß sie bei ihrer strengen äußern Kälte eine innere atheniensische Glut bewahrt.

 

Im Jahre 1817 machte Steffens mit seiner Frau und seiner Tochter Clara eine Reise nach Tirol und Wien.

 

Unsere Reise nach den Tiroler Alpen führte uns erst nach dem reizenden heitern Tegernsee; dann fuhren wir längs dem Achensee und kamen in das großartige herrliche Inntal hinab, brachten einen Tag in Innsbruck zu, durchzogen das Pinzgauer Tal, besuchten Gastein und von da Salzburg. Nachdem wir auf solche Weise langsam fortschreitend, hier und da uns aufhaltend, in der Mitte der hohen Alpen gelebt hatten und nun sahen, wie bei Hallein die Gebirge auseinandertraten, befiel uns ein Gefühl, welches ich zwar von früher kannte, was mich aber nie so gewaltig beherrscht hatte. Der Eindruck der großen mächtigen Gebirgsnatur, der reiche Wechsel der Gebirge und Gegenstände, die Einwohner, die uns sowohl gefielen und in deren Mitte wir lebten, hatten uns in der kurzen Zeit eine eigene Heimat gebildet. Wir fühlten uns in dieser schon sicher, die scheinbar wilden Gebirge umgaben uns so milde, und wenigstens jetzt, als wir aus ihrer Mitte heraustraten, schwebten uns die mächtigsten Wasserfälle wie rieselnde Bäche vor der Seele. Wir wurden in den weiten Ebenen stumm, ein trauriges Gefühl beschlich uns, und es war uns, als drängte, indem die Gebirge voneinander wichen, eine unruhige Welt, aus welcher wir geflohen waren, gegen die wir uns gesichert fühlten, stürmisch und drohend auf uns ein. Es dauerte lange, ehe wir dieses Gefühl zu überwältigen vermochten. Und selbst das herrliche Salzburg, dessen Reiz wohlbekannt ist, vermochte uns nicht zu beruhigen.

Hier wurden wir auch in der Tat plötzlich von ganz anderen Empfindungen durchdrungen, und das Unruhige, Stürmische und Verhängnisvolle der Geschichte wechselte plötzlich mit der stolzen Sicherheit der Gebirgsnatur.

Aber indem wir uns an der schönen Natur erfreuten, während wir die Merkwürdigkeiten der Stadt sahen, sollte uns ein anderes Ereignis entgegentreten. Auf der Straße wimmelte es von Menschen, und als wir näher traten, entdeckten wir eine Menge von Auswanderern, Männer, Weiber und Kinder, die mit Kleiderbündeln und Packen aller Art beladen waren; Alte und Junge, einige stark und rüstig, die stattlich einherschritten, andere mit Lumpen bedeckt. Wagen hoch bepackt und Karren daneben. Neugierig näherten wir uns; wir sahen, wie die auswandernden Scharen teilnehmend, während sie auf der Straße rasteten, umringt wurden, wie die Ärmeren hier und da Gaben erhielten, und erfuhren nun, daß es die protestantischen Bewohner des Zillertales waren, die, durch die Verfolgungen der katholischen Geistlichkeit verdrängt, von dem Könige von Preußen aufgenommen wurden und sich im Riesengebirge niederlassen durften. Wunderliche Gedanken durchkreuzten sich. Ich dachte an die freilich viel grausamere Vertreibung der Protestanten aus Salzburg am Anfang des vorigen Jahrhunderts, und unwillkürlich drängte sich mir auch die Erinnerung an die Auswanderung der Lutheraner aus Schlesien auf. Die ganze Verwirrung der Gegenwart, innere wie äußere, trat an die Stelle der heitern Gebirgseinsamkeit, die mich eine Zeitlang umfangen und in süße Ruhe gewiegt hatte.

Seit dem Anfang des Jahrhunderts kannte ich viele der deutschen Künstler, unter diesen die ausgezeichnetsten, die eine Zierde unserer Zeit sind, aber auch jüngere hoffnungsvolle; ich lebte mit diesen, ich nahm teil an ihrem Streben und freute mich über ihre Fortschritte, selbst wenn sie mir nicht völlig gelungen schienen, wenn sie mehr Reminiszenzen aus einer früheren Zeit als ursprüngliche Produktionen waren, mehr nach einer Vergangenheit hinwiesen, als auf eine Zukunft deuteten. So lebte ich eine lange Zeit durch Thorwaldsen, RumohrFelix von Rumohr, 1785-1843, Zeichner und Radierer, machte ausgedehnte Kunstreisen nach Italien, lebte dann in Dresden, schrieb unter anderem »Drei Reisen nach Italien«, 1832. und mehrere junge Männer fast ganz wie in der Mitte der italienischen Künstler, vorzüglich der römischen. Ich kannte ihre Verhältnisse und ihre mancherlei Streitigkeiten wie die Arbeiten, mit welchen sie beschäftigt waren. Einer war mir besonders, ohne daß ich ihn persönlich kennengelernt hatte, lieb und teuer geworden, es war Cornelius;Peter, Ritter von Cornelius, 1783-1867, einer der Wiedererwecker der deutschen bildenden Kunst, Schöpfer bedeutender Fresken in Florenz, München und Berlin, 1841 nach Berlin als Direktor der Akademie berufen. ihm näherzutreten, war lange mein Wunsch gewesen, auch ich war ihm auf dieselbe Weise bekannt geworden, und es freute mich, ihn in München zu finden. Wir hatten schon seine bewundernswürdigen Kompositionen in der Glyptothek gesehen und genossen, als wir ihn in der Ludwigskirche an dem großen Altarblatt, das Jüngste Gericht, arbeitend fanden und ich ihn und sein Freskogemälde zugleich vor mir sah. Das große Werk riß mich hin und der Urheber desselben nicht weniger. Denn die offene und freimütige Weise, mit welcher er mich aufnahm, daß es mir nach wenigen Minuten war, als hätte ich ihn lange gekannt, bleibt mir unvergeßlich wie die fröhlichen Stunden, die ich in seinem Hause zubrachte, indem ich in meinem Greisenalter mit jugendlicher Begeisterung eine neue Freundschaft schloß. Der Reichtum, die Tiefe, die Einfachheit und Klarheit seiner großartigen Kompositionen geben ihm doch eine wahrhaft geschichtliche Bedeutung, die nicht bloß für die Gegenwart gilt; man darf behaupten, daß er durch die unerschöpfliche Quelle seiner Produktionen in die Mitte der bedeutungsvollsten Künstler der Vergangenheit, zugleich nach einer reichen Zukunft hinweisend, getreten ist und unter den am meisten Gefeierten seinen Platz behaupten wird. Daß ich diesen Freund in meine Nähe bekommen und Zeuge seiner immer neuen Erzeugnisse sein würde, konnte ich damals nicht ahnen.

Es war fast unvermeidlich, daß ich von dem frischen Künstlerleben in München hingerissen wurde. Die Stadt entstand von neuem; aus allen Ländern Europas strömten die Reisenden hinzu. Auch ich war aus der ruhigen Gewohnheit des Lebens herausgerissen; ausgezeichnete Künstler waren mir aus frühern Zeiten her, wenn auch nicht persönlich, bekannt, so OlivierWoldemar Friedrich von Olivier, 1791-1859, romantischer Maler, 1813 Lützowscher Jäger. und Schnorr.Julius Schnorr von Carolsfeld, 1794-1872, wandte sich als Maler ganz der romantischen Richtung zu; er malte 1827 im Münchner Neuen Königsbau Fresken zum Nibelungenlied. In der Werkstatt des leider verstorbenen StiegelmeierBildhauer aus dem Münchener Kreis. sahen wir in die Grube auf den glücklich vollendeten Guß von Thorwaldsens Kaiser Maximilian herab; wir besuchten SchwanthalersLudwig Schwanthaler, 1802-1848, Bildhauer in München, Schöpfer der Plastiken an der Nordseite der Walhalla, der Bavaria und einer Reihe anderer bekannter Denkmäler in deutschen Städten. Werkstatt, Schnorr führte uns zu seinen Fresken im Schlosse; wir trafen Ziebland,Georg Friedrich Ziebland, l800-1873, Architekt, Erbauer der Bonifatius-Basilika in München. beschäftigt mit seinem großartigen Bau; wir besuchten täglich, freundlich von Olivier begleitet, abwechselnd die Glyptothek und die Pinakothek; die Gebrüder Boisseré und ihre berühmte Sammlung,Aus der Sammlung altdeutscher Gemälde, von den Brüdern Boissere seit 1804 in Köln geschaffen, wurde der Grundstock der alten Pinakothek gelegt. die leider durch Mißverständnisse mancherlei Art für Berlin verlorenging, waren mir schon aus Heidelberg bekannt. Künstler und ihre Werke, neue wie alte, umfingen mich mit einer solchen Gewalt, daß der schlummernde Sinn aufgeweckt und ich unter den veredelten Gestalten der Kunst heimisch ward. Dazu trug die gemeinschaftliche Begeisterung der Künstler bei.

Wenn ich nun aber das Künstlerleben in München mit dem in Berlin vergleichen wollte, so darf ich nicht vergessen, daß ich hier lebe und wohne; ich darf nicht vergessen, was meine Freunde Rauch,Christian Daniel Rauch, 1777-1857, der Begründer der modernen Porträtstudie, Schöpfer der Standbildnisse der Freiheitskämpfer. Tieck,Bruder des Dichters, Maler und Zeichner des romantischen Kreises. Hensel,Wilhelm Hensel, 1794-1861, Historienmaler, Freiwilliger 1813. in dessen Haus und Familie ich meine schönsten und genußreichsten Stunden, von Musik und Malerkunst getragen, verbringe, was mir Begas,Karl Vegas, 1794-1854, Historien- und Porträtmaler. Wach,Wilhelm Karl Wach, 1787 bis 1854, religiöser Maler und Porträtist, Freiwilliger 1813. wie die Bildhauer Wichmann,Ludwig Wilhelm Wichmann, 1784-1859, Bildhauer in Berlin. DrakeFr. Joh. Heinrich Drake, 1805-1882, Bildhauer berühmter Figuren in Berlin, von Thorwaldsen beeinflußt. und KißAugust Kiß, 1802-1865, Bildhauer, Schöpfer der sechs Statuen des Wilhelmplatzes in Berlin. geworden sind. Aber was von den Reisenden heftig aufgesucht wird, was sich dem Müßigen mit Gewalt aufdrängt, das sieht der ruhig Wohnende allmählich entstehen; manches entgeht seiner Aufmerksamkeit. Alles, als gehörte es zum täglichen Leben, macht einen geringern Eindruck, und wenn die Gewalt einer neuen Erscheinung uns hinreißt, so tritt diese isoliert hervor und wird nicht von einer reichen Umgebung unterstützt und gehoben wie da, wo uns alles neu ist.

Wir reisten von München nach Landshut, trafen unterwegs einen Reisewagen, und ich glaubte Schelling und seine Frau zu sehen. Als wir nach der genannten Stadt kamen, lag das Fremdenbuch eröffnet vor uns, der zuletzt Eingeschriebene war Schelling. Er hatte die Nacht hier zugebracht, wir waren an ihm vorbeigefahren.

Wir reisten nun über Regensburg, besuchten das noch unvollendete stolze Gebäude, welches aus der Gestalt des atheniensischen Parthenons sich in ein nordisches Walhalla verwandelt hatte. Unsere Fahrt ging teilweise längs der Donau über Passau und Linz durch Deutschlands reizendste Gegenden nach Wien. Hier verweilten wir ein paar Wochen und brachten diese zu, als wären wir Wiener.

Ich sah Wien zum ersten Male, und die Stadt machte durch die weitläufigen Vorstädte, als wir, durch das Glacis fahrend, uns dem Burgtore näherten, einen sehr imposanten Eindruck. Die gebietende und stolze Physiognomie der Stadt überraschte mich; die Festung mit ihren engen Straßen bildet eine Kaiser- und Adelsburg, die sich von der bürgerlichen Stadt vornehm abscheidet und wie von einem Mittelpunkt aus sie unter Zucht hält und beherrscht. Wie ganz anders erscheint Berlin, wo alle Elemente bunter und gleichförmiger untereinander gemischt sind. Diese Physiognomie von Wien steht in einem starken Kontrast mit der dortigen gutmütigen und unbefangenen Lebensweise der Einwohner. In Berlin verhält sich alles umgekehrt. Ich vergesse nie die militärische Strenge, den kalten Ernst, der mir fast drohend entgegentrat, als ich zum eisten Male in die offene, wie es schien arglose Stadt hineintrat und ihre Straßen durchwanderte.

Wir gaben uns ganz der Natur und der Kunst hin, ergötzten uns in der Mitte des Volkes und brachten fast alle Abende im Theater zu. Es ist eine schöne Sitte der ersten Wiener Familien, daß sie den Fremden ihre Logen anbieten und diesen ganz überlassen; so ist man allein und ungeniert. Es war mir fast, als säße ich mit meiner Familie in dem Extrawagen auf der Landstraße. Es tat mir leid, Wien zu verlassen.

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Im Jahre 1840 reiste Steffens zu den Krönungsfeierlichkeiten Christians VIII. nach Kopenhagen. Er konnte auch an der Versammlung der nordischen Naturforscher teilnehmen, und bei der Eröffnungssitzung sprach er wieder über sein geliebtes Thema, über »Das Verhältnis der Naturphilosophie zur allgemeinen Naturwissenschaft«. Die nordische Reise war überreich an Eindrücken und Begegnungen und wohl geeignet, den alternden Mann zu erfreuen und zu erheitern.

 

Ich war nun täglich mit Thorwaldsen zusammen. Eine ausgezeichnete Dame, die Baronesse Stampe, hatte sich ganz seiner Pflege gewidmet, und wenn ich die Art, wie meine Landsleute ihn empfangen hatten, erwog, die Art, wie ihn der König ehrte, dann trat mir mein altes liebes Vaterland entgegen, und ich konnte nicht glauben, daß ein Volk, welches sich seinen ausgezeichneten Männern so hingab und diese auf so würdige Weise anzuerkennen verstand, das ordnende Lebensprinzip des Staats dem Götzen des Tages preisgeben sollte. Mit Thorwaldsen zu leben und von seinen Werken umgeben zu sein, ist dasselbe, man kann sie nicht von ihm trennen. Das durch ihn in plastischer antiker Darstellung hervortretende Christentum hat die größte Blüte der alten Welt für das Heiligste der neuen Bildung gewonnen, hat den Tempel in Kirche verwandelt, das strenge Gesetz der plastischen Kunst in die lebendige organische Zeit versetzt und den zu scharf gehaltenen Gegensatz zwischen dem Klassischen und Romantischen in eine höhere Einheit gebracht. Thorwaldsen ward allerdings, woraus die Engländer stolz sein können, durch diese zuerst unerkannt, aber er ward durch die Deutschen, dem französischen CanovaAntonio Canova, 1757-1822, der große italienische Bildhauer des Klassizismus, der den entscheidenden Schritt von den barocken Stilnachklängen zu seinen formvollendeten, ruhigen Marmorplastiken tat. gegenüber, geschätzt und in die europäische Kunstgeschichte eingebürgert. Wir besitzen eine bedeutende plastische Kunstschule hier im Lande; Rauch, Tieck, Wichmann, Drake, Kiß, stellen Meister dar, die in Europa geehrt sind: aber ich gestehe, ich bedaure es, daß es kein Land gibt, welches so ganz Thorwaldsens Kunstschätze entbehrt wie Preußen. Ich glaube hier eine nationale Einseitigkeit zu entdecken, die mir allenthalben schmerzlich entgegentritt, die ich wohl meinem kleinen Vaterland verzeihe, aber in Preußen am wenigsten zu finden glaubte.

Allenthalben in Deutschland, wo Thorwaldsen in seinem Greisenalter erschien, ist man ihm mit lebhaftem Enthusiasmus entgegengekommen. Einem Kinde gleich, mit rührender Naivität, empfing er eine jede Verehrung und gab sich der Umgebung gern, willig und anspruchslos hin. Aber ein stolzes Bewußtsein der mächtigen Bedeutung seines Daseins durchdrang ihn, und er hatte das Recht, es als ein würdiges Ziel zu betrachten, daß er nicht bloß durch seine Werke, sondern auch durch seine Person verewigt wurde. Das Volk hat sich verherrlicht, als es ihm entgegenkam. Alle Kunstschätze, die er besaß, eigne und fremde Werke, hat er seinem Vaterlande geweiht.

Man verzeihe es mir, wenn ich befürchte, daß, wenigstens für die nächste Zukunft, Thorwaldsen seinem geschichtlichen Rufe geschadet hat, indem er die stolzen Denkmäler seines Lebens außerhalb des großen Stroms der Geschichte im hohen Norden hinstellte. Die Frauenkirche in Kopenhagen stellt doch den ersten großen Gedanken einer echt christlichen Kirche vollendet dar, und nur die Lage hat bis jetzt verhindert, daß dieses große Werk in seiner bewunderungswürdigen Erhabenheit nicht mehr geschätzt und besprochen wird. Alle Hauptzüge der christlichen Offenbarung treten mit wahrhaft ergreifender Einfachheit und Klarheit hervor. Viele der plastischen Werke sind einzeln, wie sie in Rom entstanden, bewundert worden; mir ist aber bis jetzt keine bedeutende Äußerung über den ganzen Zusammenhang, in welchem die ganze christliche Offenbarung und Lehre uns hier ergreift, bekanntgeworden. Ein Giebelfeld deutet den Inhalt des Gebäudes an, es stellt Johannes den Täufer mit seinen Jüngern dar; die Vorhalle der Kirche durch eine Reihe von Reliefs den Heiland wundertätig, lehrend, tröstend auf eine göttliche Weise. Wenn man in die Kirche hineintritt, sieht man auf beiden Seiten die Apostel, klassische erhabene Meisterwerke. Ich finde mich verpflichtet, eine keineswegs allgemein bekannte Anekdote aus Thorwaldsens Künstlerleben hier zu erwähnen. Der Baumeister, dessen Werk durch den großen Bildhauer erst seine rechte Bedeutung erhalten hat, baute Nischen für Statuen der Apostel; aber es war keineswegs Thorwaldsens Absicht, daß diese auf eine solche Weise halb verborgen zurücktreten sollten; er wollte sie frei hinstellen, daß sie die ganze Kirche durch ihre Gestalten verherrlichten, Man hatte ihm genau das Maß der Nischen zugesandt, durch welche sie ihrer Größe nach kleiner, durch ihre Umgebung gedrückt erscheinen würden. Thorwaldsen ließ sich in keinen Streit ein: als aber die Statuen nach Kopenhagen kamen, entdeckte man mit Schrecken, daß sie größer waren, als die Nischen; man war genötigt, diese wieder auszufüllen und die Statuen frei hinzustellen. »Mein Werk ist«, sagte er, »nach allen Seiten hin künstlerisch ausgearbeitet und will so sich darstellen.« Keiner, der hereintritt, kann leugnen, daß dadurch die ganze Kirche ihre eigentümliche, hohe, gedankenvolle Bedeutung erhält und durch ihre große, klare Einfachheit uns auf göttliche Weise anspricht. Es ist der Friede, die Ruhe des in sich abgeschlossenen Christentums, welches uns umfängt. So gebietet der große Künstler, und man muß sich seinen Befehlen fügen. Vor dem Altar sehen wir einen Engel, der das Taufbecken hält, mit bewundernswürdiger Zartheit ausgeführt, und statt Altarbild schwebt vorgebeugt der segnende Heiland, dessen Erhabenheit, strafender Ernst und göttliche Milde oft bewundert worden. Hinter dem Altar läuft unter dem elliptischen Gewölbe in einem Halbkreise eine Reihe von Reliefs, welche die Hauptmomente der Leidensgeschichte tief, klar und einfach darstellen. In diesem Zauberkreis versetzt, trägt der Heiland das Ganze. Allerdings überrascht uns zuerst die leidenschaftslose Ruhe der Plastik, aber wenn wir uns der Betrachtung hingeben, ist es, als rührten sich die Statuen, und ein heiliger, versöhnender und erwärmender Friede umfängt, trägt, tröstet uns, daß wir, obgleich in den Armen des kalten Marmors, in denen der warmen, zarten, göttlichen Liebe zu ruhen wähnen. Nie sah die Geschichte ein ähnliches, nicht einmal von ferne geahntes, noch weniger gedachtes und ausgeführtes Werk.

 

Das gleiche Jahr 1840 brachte Preußen einen neuen Herrscher. Friedrich Wilhelm IV., derselbe, der als Kronprinz bereits seine besondere Aufmerksamkeit Steffens zugewandt hatte, als er von Breslau aus mit ihm seine schlesische Reise unternahm, bestieg den Königsthron, Steffens beschreibt seinen Einzug in Berlin.

 

Die Fenster in den Straßen, durch welche der König einziehen sollte, wurden für große Summen vermietet. Zwei Familien hatten sich vereinigt, wir nahmen ein Fenster ein, ich sah, wie die ganze Bevölkerung in Berlin zusammenströmte; die wenigen Bewaffneten, die sich sehen ließen, waren nur da, um Unglück zu verhüten, um das Volk, wo Gefahr drohte, gegen sich selber zu schützen. – Mir war diese Erscheinung wohl bedeutend. Es war derselbe Fürst, welcher, als ich 20 Jahre früher zuerst das Glück hatte, ihm nahezutreten, alle Polizei zurückwies, während das Volk auf ihn von allen Seiten zudrängte. So habe ich ihn kennengelernt, so ist er geblieben. Wo er in der Mitte seines Volks lebt, da lebt das wechselseitige Vertrauen zugleich; er zweifelt nie daran. – Er kennt wohl die Verhältnisse, wie sie sich verworren um ihn her entwickeln, aber die Verwirrung entspringt nach seiner Überzeugung nur aus Mißverständnissen. Man muß sich wechselseitig verständigen, nicht durch Zorn und Ungestüm die Verwirrung steigern. – Ich darf es verkündigen; denn ich habe es erlebt. – Eine treue Umgebung hat Mühe gehabt, ihn zu überzeugen, daß man, wie damals bei dem Gedränge, das Volk gegen sich selbst schützen müsse. Und mir war es, als träten die Krieger, die ich vor 40 Jahren zuerst bei großen Revuen begrüßte, als das bedeutungsvolle Symbol des preußischen Staats jetzt aus der Mitte der frei sich bewegenden Bürger zum eigenen Schutze hervor. In der Mitte dieser Bürger, welche die alten Signaturen ihrer Gewerbe hervorgehoben hatten, erschien nun das herrliche Königspaar, dessen eheliches Verhältnis ein Muster für das Land ist.

Es ist bekannt und wird in der Geschichte nicht vergessen werden, welch eine bedeutende und reiche Epoche mit dem Jahre 1840 hervortrat; reich, nicht sowohl an Ereignissen wie an Andeutungen einer viel bedeutenden Zukunft. In den langen Friedensjahren war die lebendige Nationalität, die sich in mächtiger Gesinnung ausdrückt, zurückgedrängt worden, und ein zerstörender, abstrakter Kosmopolitismus, der sich in neuen Staatsschöpfungen doktrinärer Art gefiel, war an die Stelle getreten. Eine gefahrdrohende Krise, eben aus dieser die lebendige Geschichte ermüdenden und erschlaffenden Richtung, trat mit der Julirevolution in Frankreich hervor; nicht ohne Schuld einer unglücklichen Dynastie, die durch eine dreißigjährige Erfahrung noch nicht gelernt hatte, die Zeit zu verstehen, die sie zu beherrschen bestimmt war.Die Julirevolution in Paris vom 27. bis 29. Juli 1830 machte der bourbonischen Herrschaft mit dem Sturze Karls X. ein Ende und erhob den »Bürgerkönig« Louis Philipp von Orleans auf den Thron. Alle Keime einer doktrinären sogenannten konstitutionellen Anarchie, die in Deutschland schlummerten, regten sich drohend; ein Erzeugnis allseitiger Nennungen, allseitiger Schuld. Fünfzehn Jahre waren verflossen, seit der große Kampf völlig ausgekämpft war. Wer wahrhaft an Deutschland hing, der hatte gehofft, daß nach einer so tiefen Erschütterung es sich in sich, d. h. in seiner eigentümlichen geschichtlichen Entwicklung, zusammenfassen und gestalten würde; daß es begreifen würde, wie es eine eigene tiefe Aufgabe zu lösen hatte, nicht eine fremde. Aber eben als ich erwartete, daß das Deutschland, welches seine Vergangenheit begriff, welches mich von meiner frühen Jugend an angezogen, für welches ich gelebt, gedacht, gestritten hatte, wieder aufleben sollte, sah ich mit tiefem Kummer, wie es nicht der inhaltsschweren Vergangenheit und den Keimen der festen Treue des wechselseitigen Vertrauens, der religiösen Liebe sich zuwandte, vielmehr den schwankenden Meinungen der Zeit und den leeren Verirrungen eines feindlichen Volkes, welches, wie es früher mit seinen Waffen, so jetzt mit seinen Meinungen uns zu unterstützen strebte. Zehn Jahre vergingen in dieser stets wachsenden Furcht. Alles, was durch den herrschenden Ton in der Literatur, und diese unterstützend, in den Gemütern drohend schlummerte, regte sich immer mehr; meine ganze Hoffnung ruhte in dem, was ich von einem Fürsten erwartete, dem nahezutreten mir vergönnt war. Ich sah es ein, daß der rechte Krieg gegen Frankreich, derjenige, – durch welchen es innerlich überwunden werden sollte, damit Deutschland in frischer Eigentümlichkeit innerlich aus einer Vergangenheit, nicht bloß äußerlich aus fliegenden Gedanken des Tages sich erhebe und die Stellung als leitendes Prinzip für das Festland einnehme, die ihm gebühre, – an die fürstliche Persönlichkeit geknüpft war, der ich Treue geschworen hatte. Deutschland ist – das war meine durch ein langes Leben tief begründete Überzeugung – berufen, alle kultivierten Völker des Festlandes zu befreien, nicht dadurch, daß es seine Eigentümlichkeit fremden Völkern aufzudringen suchte, vielmehr dadurch, daß es ein jedes Volk nach sich selbst und nach seiner besonderen Geschichte hinwies. Nur so konnte ein tieferes Verständnis möglich werden, und Völker, zu eigener Persönlichkeit heranwachsend, konnten jenes wechselseitige Gespräch anfangen, welches die Mißverständnisse der Zeit lösen wird und auf dessen Herannahen alle tieferen Geister der Zeit warten. So wie in Europa, Deutschland, so trat in Deutschland mir Preußen entgegen als dasjenige Land, welches als der befreiende Mittelpunkt hervortreten sollte. In der ganzen Geschichte dieses Staates ruhten alle Keime einer neuen Entwicklung, Der Große Kurfürst, der recht eigentlich die preußische Monarchie begründete, war berufen, diese zu beleben; er blieb dem deutschen Sinne treu, als jene bedeutende chaotische Mischung von Anarchie einer Volksmasse, Absolutismus des Hofes, Unglaube und verfolgender barbarischer Fanatismus, betrügerische Diplomatik und von dieser unterstützte, zerstörende Waffentat sich in Paris erhob, das ganze Festland betäubte, durch die Fronde ihren gärenden Mittelpunkt erreichte und schwankend zwischen Anarchie und Despotismus die giftige Blüte durch die Epoche Ludwigs XIV. zuerst, dann in tief erschütternder Form durch die Revolution und Napoleon aufschloß. Es war die Epoche, die an die Stelle eines Papstes einen christlichen Kalifen setzen sollte, damit man einsehe, wie selbst eine nichtige Aftergeburt der Geschichte doch nur durch einen tiefern, der Sinnlichkeit unterliegenden Grund einen vorübergehenden Glanz erhalten konnte. Dieser Absolutismus, der Paris an die Stelle des in sich gesunkenen Roms versetzte, erzeugte die Revolution und mit dieser seinen eigenen Untergang. Aber die innere, betäubende Herrschaft, die in der auflösenden Gärung ruhte, hatte eine pestartige Krankheit über das ganze Festland erzeugt; die Religion, die sittliche Gesinnung, die Sprache war angesteckt, und diese Pest herrscht in Europa noch. Frankreich soll nicht bloß äußerlich, sondern innerlich überwunden werden. Nur wenn wir geheilt sind, wird das Deutschland entstehen, dem ich mich geweiht habe, und was mir Schelling war in meiner Jugend in wissenschaftlicher, das ward mir in geschichtlicher Rücksicht die fürstliche Person, an welche ich mich anschloß in meinem Alter. Er bestieg den Thron; im Lager erzogen, mußte er als Kind noch mit seinem Vater nach den äußersten Grenzen des Reiches fliehen; er erlebte in früher Jugend den großen, siegreichen Kampf in der Mitte der Kämpfenden; sein ganzes Kindesleben und seine jugendlichen Jahre haben es ihn gelehrt, wie die rettungsloseste Lage eine Verheißung in sich einschließt, wenn sie ein göttliches Recht festhält. Er trat jetzt hervor. Wie er öffentlich erschien, in der alten Hauptstadt des Königreichs, wie er aus der Mitte des erwachten bürgerlichen Bewußtseins emporstieg, Preußen als das eigene, ihm von Gott angewiesene Reich zu beherrschen, ist uns allen in frischem Andenken. Eben in dieser Zeit zeigten sich politische Verhältnisse, die uns mit dem wichtigsten Kampfe, den wir noch zu bestehen haben, bedrohten. Wer war es, der damals das deutsche nationale Bewußtsein im innern, mächtigen Mittelpunkt vereinigte, daß es laut ward und die lange vermißte Sprache sich wiederfand? Er war es. Welche bedeutende Stellung Preußen damals einnahm, ist einem jeden bekannt. – Am Rhein ruhte ein altes Denkmal deutscher GrößeDer Kölner Dom; am 4. September 1842 legte Friedlich Wilhelm IV. nach einer bedeutenden Ansprache, in der er ganz Deutschland zur Vollendung des Domes aufforderte, den Grundstein zum Weiterbau. in seiner Art das kolossalste und zugleich das kunstreichste, welches die ganze Geschichte des Geschlechts jemals sah. Als Deutschland seine eigentliche geschichtliche Bedeutung zu verkennen anfing, erlahmten die Hände, verstummte der kunstreiche Geist, und unvollendet liegt das große Werk da. Aber es hat seinen kühnen, die Zeit beherrschenden Sinn für alle Zeiten ausgesprochen. Wir sollen den Bau aufnehmen und erneuern, nicht so wie er durch die Erlahmung der Zeit stockte, aber im frisch erneuerten Sinne. Was ein erkranktes Leben erfrischen will, muß selbst lebendig sein; es soll nicht bloß sich passiv hingeben, es soll die alte, in sich erkrankte Zeit über sich selbst aufklären, daß sie neu erstehe. Das wirklich Belebende einer neuen Zeit ist nur konservativ, indem es zugleich progressiv ist.

Hier nun an diesem Gebäude, als an dem unvergänglichen Symbol für ganz Deutschland, trat der Fürst hervor; nicht bloß von den vielen Tausenden, die, hingerissen seine Worte hörten, ward er vernommen; was von geschichtlich deutlicher Erinnerung tief schlummernd in völliger Bewußtlosigkeit versunken, von den herumirrenden Begriffen des Tages betäubt, in den Millionen Gemütern des deutschen Volkes ruhte, vernahm den Ruf. Seit der Zeit der Kreuzzüge war keine ähnliche Stimme, welche die Geschichte in sich erbeben machte, und an der nämlichen Stelle, vernommen. Verwöhnt, weil ich das Glück hatte, soviel Großes unmittelbar zu erleben, beweinte ich meine Abwesenheit wie die von Belle-Alliance.

Die Rede verstummte, die große Erhebung der Gemüter mit ihnen, alles verbarg sich in die Wolken der verwirrenden Gegenwart. Aber wir wissen, daß der Tag nahe ist; und die düstern verdunkelnden Wolken machen uns nicht irre.

*

So bin ich bereit, das Leben zu verlassen, wie ich früher mein Vaterland verließ. Die um mich herrschende Verwirrung stört mich nicht, und meine jugendliche Hoffnung liegt vor mir; sie ist nicht eine abstrakte, von mir getrennte: sie ist im vollsten Sinne meine.

Henrich Steffens. Plakette von Thorwaldsen.


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