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Meine Uhr.

Ich trage, wo ich gehe,
Stets eine Uhr bei mir;
Wieviel es geschlagen habe,
Genau seh ich's an ihr.

Es ist ein großer Meister,
Der künstlich ihr Werk gefügt,
Wenngleich ihr Gang nicht immer
Dem törichten Wunsche genügt.

Ich wollte, sie wär' oft rascher
Gegangen an manchem Tag;
Ich wollt', an manchem Tage
Sie hemmte den raschen Schlag.

In meinen Leiden und Freuden,
Im Sturme und in Ruh –
Was immer geschah im Leben,
Sie pochte den Takt dazu.

Sie schlug am Sarge des Vaters,
Sie schlug an des Freundes Bahr',
Sie schlug am Morgen der Liebe,
Sie schlug am Traualtar.

Sie schlug an der Wiege des Kindes,
Sie schlägt, will's Gott, noch oft,
Wenn bessere Tage kommen,
Wie meine Seel' es hofft.

Und ward sie manchmal träger,
Und drohte zu stocken ihr Lauf,
So zog sie der Meister mir immer
Großmütig wieder auf.

Doch stände sie einmal stille,
Dann wär's um sie geschehn,
Kein andrer, als der sie fügte,
Bringt die zerstörte zum Gehn!

Dann müßt' ich zum Meister wandern,
Und, ach, der wohnt gar weit,
Wohnt draußen, jenseits der Erde,
Wohnt dort in der Ewigkeit.

Dann gäb' ich sie dankbar zurücke,
Dann würd' ich kindlich flehn:
»Sieh, Herr, ich hab' nichts verdorben,
Sie blieb von selber stehn!«

Seidl


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