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Die Geleitstage


Der Bettler lungerte am wilden Wege, und verdaute behaglich die fette Klostersuppe. Von ferne, in der Tiefe des Hohlwegs, tönte der melancholisch einförmige Schall einer Maulthierglocke, und nach kurzer Frist trabte das Thier aus der Schlucht gegen den Bettler einher, und streckte seine langen Ohren über das Gesträuch empor. Der Bettler erkannte den Klosteresel und neben demselben den Bruder Taddeo, der mit aufgeschürzter Kutte lief, mit der Sammelbüchse klapperte, und ein wenig erbauliches Lied vor sich hinsummte. »Das Trinkgeld, das Almosen, heiliger Bruder Taddeo!« rief der Bettler spöttisch durch die Hecke, und der Bruder versetzte in ähnlicher Scherzweise: »Da hast Du einen Pfennig vom Reichthume des heiligen Franziskus, schäbiger Pippo, und verzehre ihn im Frieden.« – Pippo empfand so etwas, was der Dankbarkeit ähnlich sieht, und sprach zum Klosterbruder: »Ich will Euch was vertrauen, weil Ihr stets so gut gegen mich gewesen seyd. Ich brachte heute Euerm Guardian die Ameiseneier, deren er bedarf, und erfuhr dagegen im Gespräch, daß über Euch ein strenges Gericht ergehen soll. Der Convent klagt Euch hartnäckiger Liederlichkeit an, wie auch der Geldunterschlagung, wie auch anderer Missethaten, und morgen sollt Ihr verurtheilt und auf lange Zeit an einen Ort gesperrt werden, den weder die Sonne bescheint, noch der Mond. Seht Euch daher vor, lieber Bruder Taddeo.«

Der Bruder sah betreten zur Erde nieder; nachdem er jedoch einen Augenblick überlegt, versetzte er lächelnd: »Danke schönstens; werde mich darnach richten, und fürchte mich nicht. Die faulen Bäuche im Kloster haben es mit einem Korsen zu thun: das ist genug.« – Er versetzte dem Maulesel einen tüchtigen Streich mit dem Prügel, und schlenderte singend weiter, als ob er völlig unbekümmert wäre. Indessen dem Gesichtskreise Pippo's entkommen, lenkte er in den felsigen Pfad ein, der nach dem Meere hinunter führt, und ließ vor der Hand sein Klösterlein liegen, wo es eben lag. Binnen Kurzem erreichte er eine von den zahlreichen Buchten, die Calabriens Küsten auszacken, band den Esel an einen Dornstrauch, wo die schönsten Disteln im Ueberfluß standen, und watete auf dem seichten Meeresgrund hinaus, bis zu einer Klippe, von wo er nach einem Boote fleißig spähte. Kein Fahrzeug ließ sich sehen, und der Bruder kehrte mißmuthig zu seinem Langohr zurück. »Verdammt!« murrte er vor sich hin: »Kein Brett auf den Wellen, das mich von diesem abscheulichen Gestade wegtrüge. Ich will nicht abwarten, wann meine ehrwürdigen Väter mich einmauern bis zu meinem seligen Ende. Die Heuchler, von denen nicht einer besser ist, als ich, von denen ein jeder wegen seiner Sünden in dieses wüste Land verbannt wurde! Ich sage ihnen Lebewohl, und reite, wenn es sein muß, auf ihrem eigenen Esel in's Freie, obschon die Flucht auf einem Schiffe schneller und sicherer wäre.« – Somit versank er in Pläne und Betrachtungen, und über diesen Betrachtungen kam der Abendschein, und mit dem Abendschein der Schlummer. Taddeo schlief ein, und in seinen Träumen war ihm plötzlich, als ob er Ruderschläge hörte, und das Geräusch der Fluthen vernähme. Angenehme Hoffnung durchschauerte ihn, weckte ihn, und da er die Augen aufschlug und nach der Fischerbarke forschte, wovon er geträumt, erschrack er unsäglich, da er sich umgeben sah von einem Trupp wilder Leute, die mit gezückten Waffen aus einem schwarz betheerten Schifflein sprangen, das in der Bucht lag. Die Tunesermützen der braunen Gesellen, ihre morgenländische Tracht, ihre krummen Messer, verriethen zur Genüge, wer sie waren. Taddeo zitterte unter den Fäusten algierischer Seeräuber. Er sammelte in Eile den ganzen Schatz der Frankensprache, den er in seiner Heimath und in Sardinien erworben, und sagte zu der Bande: »Eine schöne Heldenthat, wenn acht bewaffnete Kerls über einen Unbewaffneten herfallen! Was wollt Ihr von mir?« – Der Rais des Schiffs erwiederte hohnlachend: »Deine Geldbüchse, Deinen Esel und Dich selbst, Marabut!« »Ich sterbe eher, als daß ich einwillige, Euer Sklave zu werden. Ein Korse wird niemals dienstbar.« – »So gib ein billiges Lösegeld. Wir sind artige Leute. Lösegeld oder Stellvertreter für Deine Person.« – Durch Taddeo's Herz wie durch sein Gehirn zuckte der Strahl listig grausamer Rache, die von dem Charakter seiner Landsleute unzertrennlich ist. »Topp,« sagte er mit blitzenden Augen, dem Rais die Hand reichend: »Lösegeld, Proviant und acht Stellvertreter statt eines einzigen biete ich Euch für meine Freiheit, und halte noch diese Nacht mein Gebot.«

Lange, nach dem Aveläuten, als es schon stark dämmerte, pochte Taddeo an die Klosterthüre, und der Pförtner sagte, mit mürrischem Gesichte öffnend: »Du bist wieder der Letzte, mein Bruder. Du besserst Dich nie, aber es wird mit Deinen Licenzen bald ein Ende haben, vielleicht morgen schon.« – »Nein; schon heute, sage ich Dir!« antwortete Taddeo, und packte den Pförtner dergestalt bei der Kehle, daß ihm jede weitere Bemerkung verging, und die Piraten, die dem rachsüchtigen Bruder auf dem Fuße folgten, leichtes Spiel hatten. Binnen einer halben Stunde waren alle Väter des Klosters gefangen, geknebelt, und selbst der Guardian, der auf einer nahen Maierei zu übernachten Willens gewesen, wurde. Dank dem unermüdlichen Taddeo, überrumpelt, und nebst zwei hübschen braunen Calabresinnen, den Töchtern des Maiers, eine Beute der mohamedanischen Räuber. – Der Almosenkasten in der Klosterkirche, die Ersparnisse des Schaffners, die Vorräthe des Convents fielen in die Hände der Sieger, ohne daß nur ein Schuß gefallen, oder eine Glocke gezogen worden wäre. Darob freute sich der Rais, versicherte den jubelnden Taddeo seiner Freiheit, bot ihm sogar einen Theil an der Beute. Worauf Taddeo erwiederte: »Ich will nicht Geld, nicht Korn noch Wein; wohl aber habe ich Sehnsucht nach meinem Vaterlande, und begehre, daß Ihr mich an sein Gestade bringt. Ich bin zwar daraus verbannt, aber am Ende kümmert sich ein Korse nicht um das, was ihm ein Genueser oder ein Franzose befiehlt.« – »Dein Wille geschehe,« sagte alsdann der Rais einwilligend, und brachte beim ersten Morgenroth den ergiebigen Fang auf sein Ruderschiff. – Die Mönche, zur Sklaverei bestimmt, wurden in den Raum gebettet, die Calabresinnen, dem Harem des Dey zugedacht, seufzten unter dem Verdeck, und auf demselben spielte Taddeo mit den rechtschaffenen Türken von Morgen bis zu Abend Schach oder Würfel, bis ein günstiger Wind das langsame Fahrzeug gegen die Inseln trieb, die zwischen Sardinien und Korsika aus dem Meere ragen. »Dort ist Santa Maddalena,« rief Taddeo, und wies nach einer der Inseln: »Bringt mich dorthin.« – Der Corsar weigerte sich, indem die Bewohner jener Inseln den Barbaresken mehr auf den Dienst lauerten, als in Sardinien und Korsika geschah. Unfern vom Hafen des heiligen Bonifaz warf der Algierer seinen Bundesgenossen Taddeo an den Strand, und dieser, auf verfehmtem Boden stehend, hatte vor der Hand nichts Eiligeres zu thun, als im nächsten Kapuzinerkloster an der Küste die Gastfreundschaft anzuflehen. Die guten Väter bewilligten sie ihm, weil sie nicht wissen konnten, daß in demselben Augenblicke eine ganze Klostergemeinde ihrer Ordensbrüder, von dem rachedürstenden Judas verrathen, der Sklaverei entgegenschwamm.


Der Wind strich kühl vom Meere her, und erfrischte die heiße Luft des Sommertages. Der Korporal trat vor die Thüre des Wachthauses, wo ein französischer Posten von der Garnison zu Bastia stand, und sagte zu seinem Vorgesetzten: »Erlaubt, Sergeant, daß ich bis zur nächsten Ablösung einen Gang auf die Anhöhe mache, wo die schönen schattigen Bäume stehen. Ich liebe die Aussicht, und bin zu rechter Zeit wieder hier.« – »Meinetwegen, Freund Duro,« antwortete der Sergeant wichtig, »sorge nur, daß der Inspektionsoffizier keine Klage habe.«

Duro ließ sein Gewehr in der Wachtstube, schlenderte, die Hände auf dem Rücken, den bezeichneten Weg hinan, blickte ein Paarmal auf den Sergeanten zurück, dann aber sehnsüchtiger nach den Bergspitzen, die aus dem Innern des Landes emporstreben, und vertiefte sich in die schwarzen Schatten der Kastanien, die er als seiner Wanderung Ziel bezeichnet hatte. An einem Flecke, wo über bebuschte Hügel ein Seitenpfad gen Vescovato hinzieht, stand der Korporal still, und warf den Säbel sammt Kuppel und Patrontasche in einen tiefen Graben.

Hole die Franzosen alle der Teufel!« fluchte er dabei echt korsikanisch, und sprang, von Eile und Besorgniß gehetzt, dem Wege nach, der nicht nach der Kaserne, wohl aber in die Desertion führte. Je näher der Ausreißer den bedeutenderen Höhen kam, je heiterer und muthiger wurde ihm zu Sinn. Er schlich zwar um die nächsten Dörfer herum, fürchtete sich aber nicht vor den einzelnen Landleuten, die ihm entgegen kamen. Einem jeden rief er schon von Ferne zu: »Guten Tag, lieber Bruder!« – »Guten Tag, Bruder. Woher?« – »Von Bastia.« – »Wer bist Du?« – »Deserteur, lieber Bruder.« – »Braver Landsmann; viel Glück! Wohin?« – »Nach Vescovato. Bin ich recht?« – »Nur rechts die Straße gehalten; Gott schütze Dich, und verderbe die Franzosen!«

Duro war mehrere Stunden gelaufen, als der dumpfe Knall eines Kanonenschusses an sein Ohr schlug. »Das geschieht mir zu Ehren,« lachte er spöttisch in sich hinein, und lief nur um so schneller. Doch getraute er sich schon, im nächsten Bergdorfe beim ersten besten Bauern ein Glas Wein zu verlangen, und willigst wurde ihm die Erfrischung gebracht. »Gott segne Dich, Bruder,« sagte der Bauer dabei: »Du bist ein wackerer Mann, wenn Du gleich noch den Franzosenhut trägst. Wohin aber?« – »Zu meinem Ohm, dem Caporale Trio zu Vescovato, daß er mir weiter helfe.« – »Der Caporale ist ein braver Mann, von altem Schrot und Korn. Gott behüte Dich, und wenn die Patrouillen kommen, so laß uns nur sorgen. Sie haben noch keinen gefangen, den wir ihnen verhehlten, und ein Korse verräth seine Landsleute nicht.«

Bei finsterer Nacht kam Duro zum Hause seines Oheims. Der Caporale saß bei der Lampe, die schwarze Mütze von Genueser Sammt auf dem Kopfe, und studirte in den Papieren seiner zahlreichen Clienten. Ueberrascht fragte er: »Wer da? Was will der Franzose?« – »Ich bin Geronimo, Euer Neffe, und desertirte von Bastia, weil der Abschied so lange ausbleibt, den ich schon vor ein Paar Monaten vom König verlangte.« – »Du hast brav gethan, Gero. Kannst aber bei mir nicht bleiben, weil man zu Bastia weiß, daß du mein Verwandter bist.« – »Ich will es auch nicht; mein Vetter zu Cono verlangt ja nach mir.« – »Recht; Du wirst ihm viele Freude machen, bist noch ein echt korsisches Blut, wenn schon Dein Vater, Gott habe ihn selig, Dich in Frankreich erziehen ließ.« – »Er ist todt, und ich will bei meinen Verwandten leben, hatte den Dienst satt, ehe noch der Vetter Caituzzo meiner begehrte.« – »Wirf die französischen Lumpen von Dir, Nachbar Sisto soll Dir ein Sonntagskleid abtreten. Mit Sonnenaufgang mußt Du fort, denn ich habe die Schnitter von Lucca in meinem Hause, und die Luccheser sind meineidige verrätherische Hunde. Ich gebe Dir einen Zettel an den Vetter Matteo, den Pfarrer zu Isolaccio mit; in jene Pieve streifen die Franzosen nicht mehr, und über die Berge führen sichere Pfade nach Cono.«

In weniger als einer Stunde war die Verwandlung des Deserteurs vollendet, und er steckte in der groben braunen Jacke des echten Korsen, in den Sandalen von ungegerbtem Leder, in der Kapuze, die so martialisch des Korsikaners Haupt bedeckt; an seinem Gürtel trug er eine Pistole, daneben das Messer, über seine Schulter eine tüchtige Flinte, die ihm der Caporale aus seinem Waffenvorrath freigebig schenkte. Der Nachbar Sisto zeigte ihm alsdann, da der Morgen graute, den Weg nach Isolaccio, und begleitete ihn über eine Stunde Wegs.


Und wieder ein Tag sammt der darauf folgenden Nacht war vorübergegangen, und Gero wandelte auf den Höhen, welche die weite Ebene an den Ufern des Finmorbo beherrschen. Ueppige Saaten lagen zu seinen Füßen; Reben und Oelbäume winkten hinab in das Thal, und das blaue Meer begränzte den Gesichtskreis. Nicht mehr allzuweit war der Flüchtling von Isolaccio entfernt; durch die Schlucht an seiner Seite schäumte der Waldstrom Abbatesco, rings um ihn am Berge zerstreut ließen sich die seltsamen Grotten schauen, die kühnen Felsengestalten, von denen die Bauern im Lande dem Wanderer gesagt hatten. Diese Höhlen dienten als Zuflucht sowohl dem scheuen Muffolo des Gebirgs, als auch der zahmen Heerde und ihrem Hirten; der Kastaniensammlerin, die sich vor dem Sturme sicherte, und dem wilden Räuber, der seinen Ketten entsprungen war. In diesen rauhen Umgebungen, wo nur wenige Menschen gingen und kamen, empfand Geronimo das ganze Glück der Sicherheit, das Bewußtseyn selbstständiger Kraft. Zum Erstenmale seit seiner Desertion hielt er behaglich in der Wildniß seine Tafel, schmauste langsam von des Oheims Ziegenkäsen, warf, das Mahl abzuwechseln, Kastanien vom nächsten Baume, und schöpfte mit der hohlen Hand seinen Trunk aus der Quelle, die neben ihm sprudelte.

Er war beinahe erstaunt, als sich auf dem einsamen Pfade Schritte hören ließen, die schnell herankamen, und ein Mann erschien, in dem Gewande eines Mönchs, aber bewaffnet bis an die Zähne, und verdächtig anzuschauen. Die beiden Gäste der Wildniß maßen sich vorerst drohend und forschend mit den Blicken, und der gewöhnliche Gruß: »Guten Tag, Bruder,« klang beinahe wie ein argwöhnisches »Wer da.« Der Mönch ließ dann wie im Sturme die Reihe von Fragen folgen, die ein Korse dem Andern bei der ersten Begegnung zu stellen pflegt; Fragen nach dem Geburtsort, Namen und Familie. Stolz antwortete Geronimo ohne Umschweife, und, die Flinte wegwerfend, lag der Mönch an des jungen Mannes Brust, und rief mit roher Freude: »Du gehörst zu meinem Blut, ich bin ein Schwager des alten Caituzzo, und bitte Dich, ihn von mir zu grüßen, wenn Du zu ihm kommst. Bald werde ich selbst zurückkehren, und Dich wieder in meine Arme schließen.« – »Sehr erfreut; aber, wo gehst Du hin, Vetter?« – »Zum Bischof, und von da vielleicht gar nach Rom zum Ordens-General. Sieh, das Menschenleben ist oft gar wunderlich. Vor ein paar Jahren beleidigte mich der abscheuliche Nicolo Messi, und ich erstach ihn, wie sich's gehört. Dazumal aber saßen die Franzosen zu Corte, fingen mich, und der genuesische Richter schickte mich in die Verbannung. Ich stand mit meiner Familie just nicht sehr gut, und wollte auf dem Festlande abwarten, bis ein Jährchen herum gegangen seyn würde. In Rom jedoch wandelte mich eine andächtige Grille an, und ich ging als Laienbruder in ein Kloster, wo ich mich vielleicht nicht allzugut gehalten habe, weil man mich bald in ein Strafkloster nach Calabrien schickte. Daselbst hat mich nun einmal die göttliche Gnade ganz verlassen, und ich habe etwas gesündigt, wofür mich der Herr mit schwerer Krankheit strafte, sobald ich den Boden meiner Heimath wieder betrat. Ich beichtete meine Schuld, that ein Gelübde, meine Absolution beim Bischof und nöthigenfalls beim heiligen Vater selbst nachzusuchen, und erfülle jetzo dieses Gelöbniß.« – »Gott schütze Dich dabei, armer bußfertiger Vetter. Wie geht es aber dem Ohm Matteo, dem Pfarrer zu Isolaccio?« – »Ei, ich sah ihn nicht. Ich habe keinen meiner Verwandten gesehen. Die Patrioten haben hie und da Zusammenläufe, und ich möchte gewissen Leuten noch nicht unter die Augen kommen. Hab' ich einmal die Absolution vom Pabst, und einen Freibrief von Genua, der für Geld zu erlangen ist, so bin ich gleich wieder im Vaterland, um meinem Namen und meiner Sippschaft Ehre zu machen.« –

Noch eine brüderliche Umarmung, und der Vetter ging seines Wegs gen Cervione, wie Geronimo gen Isolaccio. Die Glocke rief die Gläubigen des Dorfs zur Messe. Aus den einzelnen Häusergruppen, die wie Adlernester am Felsen zerstreut hingen, strömten die Einwohner zu dem Gotteshause; die Weiber blieben außen, im Innern hielten sich bloß die Männer, ein jeder gewaffnet vom Fuß bis zum Kopf. Der Pfarrer trat an den Altar; durch einen Schlitz des Chorhemds blitzte der Griff seines Stilets, und der Kirchendiener legte zwei gespannte Pistolen neben Kelch und Evangelienbuch auf den Altar. Geronimo bemerkte diese ungewöhnlichen Zurichtungen mit um so größerm Erstaunen, als er während seiner Erziehung in Frankreich manches von korsikanischer Sitte vergessen hatte, obschon darum die französische Sitte keinen eifrigen Bekenner an ihm gefunden. – Des fremden Geronimo Eintritt erregte nicht minder Verwunderung unter den bewaffneten Andächtigen. Während des Evangeliums umzingelten ihn einige der Letztern, und befragten ihn scharf. Kaum aber hatte Geronimo seine Verwandtschaft mit dem Pfarrer gemeldet, als schon die Bewohner von Isolaccio ihm freundlich die Hände drückten, worauf sie nach der Messe ihn im Triumph zu dem Onkel führten, ja sogar vor der Kirchenthüre einige Freudenschüsse in die Luft sandten.

Nachdem sich der Pfarrer in der Sacristey seines Meßgewandes entledigt, lud er den Neffen ein, mit nach dem Pfarrhause zu gehen, und alle Männer von Isolaccio geleiteten sie mit schußfertigen Flinten, und vier von den Bauern blieben an der Thüre der bescheidenen Wohnung, lagerten sich davor wie die Wächter am heiligen Grabe. Matteo hängte die Pistolen an die Wand, setzte sich auf den breiten Rohrstuhl, und begann mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit das Gespräch. »Der Caporale empfiehlt Dich sehr, und Caituzza wird den wackern Deserteur gerne an seinem Herd empfangen. Du bist ein hübscher Bursche, und gewiß ein besserer Korse als Dein Vater, der es vorzog, dem König als ein Lieutenant zu dienen, statt in der Heimath frei zu seyn.« – »Friede seiner Asche. Ich freue mich, Euch kennen zu lernen und gesund zu finden. Warum habt Ihr Euch aber selbst am Altare gewaffnet und bewehrt? Sind die Franzosen oder die Genueser in der Nähe?« – »Die Genueser sollen mit Haut und Haar zum Hause des Teufels fahren, und die Franzosen zeigen sich nie in dieser Pieve, weil sie sich vor dem ungesunden Finmorbo fürchten, und vor dem Blei des edlen Korsen, der nicht eher schießt, als bis er seines Ziels gewiß ist. Die Ursache, warum Du mich und meine Pfarrkinder in Waffen siehst, ist eine Vendetta. Die Gemeinde ist in Streitigkeit mit denen von Prunelle, und meine Person ist insbesondere außerdem bedroht, weil man einen Verwandten der Carabelli in der Gegend streifen gesehen hat.« – »Was ist's mit dem Carabelli und seinen Verwandten?« – »Ei, das ist die Sippschaft des Nicolo Messi; doch erinnere ich mich, daß Du noch von diesen Händeln nichts weißt. Caituzzo wird dir ein Näheres mittheilen.« – »Ha, ich sprach heute mit dem Vetter, der den Nicolo erschlug.« –

Der Priester verwunderte sich sehr, und sagte, nachdem Geronimo das Wenige, was er wußte, erzählt hatte: »Ich wollte, obschon der Mensch unser Blutsfreund ist, daß er auf dem Monte rotondo von den Geiern zerhackt würde. Er hat viel Unheil über unsere Sippschaft gebracht, und am Meisten über Caituzzo, weil dieser den Carabelli's am Nächsten sitzt, und die übrige Familie leider in mehreren Pieven zerstreut wohnt. Was hilft's aber? Wir sind um unserer Ehre willen gebunden, die Vendetta fortzusetzen, und sollte sie uns den letzten Mann kosten.« – »Versteht sich, Onkel Pfarrherr,« entgegnete Geronimo mit aller Ueberzeugung eines ächten Korsen: »zudem haben die Carabelli und die Ihrigen Unrecht, weil Nicolo der erste Beleidiger war. Der Vetter kömmt indessen bald zurück, und wird, wie er versprach, nach abgemachtem Bann und Gelübde sich seiner Haut zur Ehre der Familie bestens wehren.« – »Er kann's, der kecke Waghals. Er war immer ein liederlicher Bursche, aber einen bessern Schützen sahen die Gebirge nie.« – »Ich bin hungrig, Oheim. Füllt meinen Reisesack, meine Kürbisflasche, und laßt mir den Weg gen Cono zeigen.« – »Du kommst bald hin; einer von meinen Leuten mag Dich führen, und Paola soll Deine Flinte und Deinen Mundvorrath tragen. Ich will die Gelegenheit benützen, um dem wackern Caituzzo Pulver zu schicken; ächt genuesisches Pulver, das mir ein Schleichhändler von San Pellegrino brachte. Des Himmels Segen auf Deinen Weg, lieber Neffe, weil Du doch nicht bei mir verweilen willst.«

Der Pfarrherr sorgte mit größerer Freigebigkeit für die Bedürfnisse des Neffen, als es der sparsame Caporale gethan hatte. Paola, die stämmige Magd, keuchte unter der Last des Reisesacks und der großen Gurden voll von starkem Weine; auf ihrem Rücken hing dieser Mundvorrath, auf dem Kopfe trug sie ein Fäßchen mit Pulver, unter dem Arme die Flinten Geronimo's und Neri's, seines Begleiters, der ihm bis nach Bastelica das Geleit geben sollte. Denn mit der Würde eines korsikanischen Mannes ist es unvereinbar, daß er selber irgend eine Last schleppe, wenn ein Weib um die Wege ist, solche Pflicht zu übernehmen. – So überkletterten sie auf Fußsteigen, die nur dem geübten Bergbewohner kundig sind, die steilen Höhen, die von dem großen Ghisone auslaufen, und gelangten, ohne zu ruhen, in ein Thal unfern von Bastelica. Hier zwang die Hitze die Wanderer, zu rasten. Geronimo sendete den behenden Neri hinweg, um Wasser zu holen, und Paola entfernte sich, um Beeren zu pflücken. Geronimo streckte sich in das Gras neben das Gepäck, schlug die Arme unter dem Kopf zusammen, und blickte ruhend bald auf die großen Fichtenwälder, die ihm gegenüber die Gipfel der höchsten Berge bekrönten, bald in das dunkle Laub des Kastanienbaums, der über seinem Haupte sich zum Dach wölbte. Da fielen in kleiner Entfernung zwei Schüsse, und bald brach durch ein aus verrodetem Walde aufgebuschtes Gestrüpp, das zur Seite lag, und in der Landessprache Maquis geheißen wird, ein Mann in vollem Lauf hervor, sprang auf Geronimo los, warf sich neben ihm zu Boden, und rief, obschon beinahe athemlos: »Guten Tag, Bruder. Ich begebe mich in Deinen Schutz, ich bin verfolgt, und hatte nicht Zeit, mein Gewehr zu laden.« Geronimo antwortete ruhig: »Meinetwegen, Bruder. Ruhe nur, und lade Deine Büchse nach Bequemlichkeit. Wenn sie kommen, will ich schon für Dich einen Schuß thun.« Zugleich pfiff er seinem Begleiter, und Neri zeigte sich alsobald am Saum des Waldes; in dem Maquis blieb jedoch Alles ruhig, und der Fremde sagte zufrieden: »Die Hallunken wollen es doch bleiben lassen, mir auf diesem Wege zu folgen.« – »Desto besser, sag' an indessen: wer bist Du, Dein Name, Dein Wohnort?« – »Unfern von Bastelica; ich heiße Mortagno.« – »Mortagno? mir ist, als hätt' ich diesen Namen schon gehört.«

»Was gibt's?« schrie Neri, herbeikommend; Paola folgte ihm auf dem Fuße, und kreischte: »Beim heiligen Blut! Ist der da nicht der Feind, den Stefano heut am Gerstenacker schleichen sah?« – Neri entgegnete kurz und trocken: »Ich war dabei, er ist's: Mortagno, des alten Carabelli Schwiegersohn.« – Bei diesen Worten sprang Geronimo heftig bewegt auf, griff nach der Flinte, schlug sie auf Mortagno an, und rief drohend: »Du bist des Todes! Ich bin des alten Caituzzo Vetter Duro, und seine Blutrache ist die meinige.«– Mortagno blieb ruhig auf der Erde sitzen, wehrte den aufbrausenden Jüngling nachlässig mit der Hand ab, und versetzte kalt: »Habe ich nicht Dein Wort, daß Du mich beschützen willst? Bist Du ein Korse, und willst mich tödten, da ich wehrlos in Deinen Händen bin?« – Beschämt ließ Geronimo die Waffe sinken, und Neri sagte mit völlig veränderten Mienen, indem er ebenfalls die Flinte weglegte: »Wenn es so ist, Freund Duro, so darf diesem Manne kein Haar gekrümmt werden. Reicht ihm Brod, gebt ihm Wein, damit er sich erhole. Wer verfolgt Euch, Mortagno, und wohin sollen wir Euch begleiten?«

Mortagno that einen Zug aus der Kürbisflasche, die ihm Geronimo mit stolzer Freundlichkeit hinreichte, und erwiederte gleichgültig: »Eine Streife von Isolaccio setzte mir nach, der ich nur mit Mühe entkam.« – »Schade,« meinte Neri ganz ernsthaft: »Du wolltest dem Curato an's Leben?« – »Den Teufel auch, auf ihn war's dießmal nicht abgesehen, wohl aber auf den Taddeo, den meine Vettern, in eine Mönchskutte vermummt, im Gebirge schleichend gesehen haben wollen. Das muß eine Lüge gewesen sein, oder mir entging das Wild, das schon so lange Zeit aus dem Reviere entfloh, und die Wurzel unseres Familienhaders ist.« – »Laß das jetzt,« sprach Geronimo: »wir machen diesen Hader ein andermal aus. Wohin verlangt Ihr geführt zu sein?« – »Gar nicht weit, am Kreuze vor Bastelica scheiden sich unsere Wege.« – »Gut, so laßt uns aufbrechen, die Schatten werden länger, ich mag hier nicht verweilen.« – »Erlaubt mir zuvor, daß ich mein Gewehr völlig in Stand setze.« – »Mit Vergnügen, unsere Büchsen sind in Bereitschaft.«

Mortagno lud eine Kugel in sein Rohr, und erhob sich dann mit vieler Gemächlichkeit, schlenderte zwischen Geronimo und Neri dahin, und belehrte den landfremden Jüngling über die Lage, die Benennung und Beschaffenheit der Berge, von denen sie umgeben waren, gleich als ob er Geronimos Busenfreund und Wegweiser wäre, und kein Zwist, noch so gering, ihr Verhältniß trübte. Von Zeit zu Zeit sah er sich nach seinen Verfolgern um, aber das Feld war rein, und das Marterkreuz, einen Büchsenschuß von Bastelica, erreicht, ohne daß ein Hinderniß, eine Störung sich gezeigt hätte. An einem buschigen tiefen Seitenwege hielt Mortagno still, reichte dem Feinde lachend die Hand, und empfahl sich zu ähnlichem Gegendienste. Er setzte hinzu: »Von jenen Felsen winke ich Dir noch meinen Abendgruß herab, und dann auf Wiedersehen!« Er lief spornstreichs in die Hohlschlucht, und bald sah man ihn jenseits an dem Felssteige hinanklimmen. »Ueber jenen Felsen liegt Massa, wo der alte Carabelli wohnt,« sagte Neri, »das Dorf liegt keine halbe Meile von Cono. Wir wollen aber jetzt auf unserer Hut seyn, denn Mortagno ist der Mann, die Kugel, die er in unserm Schutze lud, zum schuldigen Dank in unser Herz zu schießen.« – Geronimo kehrte den Falkenblick nach dem Felsen, und sah, wie Mortagno just mit spaßhafter Geberde die Flinte an die Backe legte, und herüber zielte. Er drohte, während Neri entgegenzielte, dem Feinde mit dem Finger, und dieser schlug ein lautes Gelächter auf, setzte ab, und verschwand hinter den Gebüschen. Neri sprach im Weitergehen: »Es wird doch nicht übel seyn, Freund Duro, wenn ich Dich vollends nach Cono begleite. Mortagno springt wie ein Hirsch, die Carabelli kennen alle Wege und Stege in den Bergen, und leicht könnte ein Hinterhalt Euch das Lebenslicht ausblasen, ehe Ihr dem braven Caituzzo guten Abend gesagt.«


Das Thal von Cono war erreicht. Die Hütten des Dörfleins, an die Thalwände gebaut, standen, geschaart und zusammengedrängt, wie einzelne Festungen anzuschauen, umgeben von Bastionen, von einander getrennt durch Gräben. Eine der höchsten dieser Häuserinseln bezeichnete Neri als Caituzzo's Wohnung, klopfte an die nächste Hütte, rief ein Weib heraus, und belud dasselbe mit Paola's Last; dann nahm er Abschied mit den Worten: »Du bedarfst meiner nicht mehr, Freund Duro. Von hier aus ist der Weg sicher. So viel ich weiß, hat der alte Caituzzo keine Feindschaft in Cono selbst.« Das Weib aus dem Dorfe versetzte hierauf, daß dem also sey, und daß am verwichenen Sonntag die letzte Vendetta, die Caituzzo im Dorfe hatte, vor dem Altare auf ewig gesühnt worden. – »Bravo,« sagte Geronimo: »warum aber willst Du nicht einen Augenblick bei dem Vetter eintreten, Neri?« Neri schüttelte ernsthaft den Kopf und erwiederte: »Ich mag nicht. Ich bin des Pfarrers Matteo Freund, gerade weil er mein Pfarrer ist. Aber in die Händel seines Vetters will ich mich nicht mischen, und darf deßhalb nicht wohl in seinem Hause einkehren und an seinem Heerde essen. Auf Wiedersehen.« – Er entfernte sich schnell mit Paola, und Geronimo stieg langsam mit der Trägerin zwischen den Wohnungen von Cono empor. Ziemlich hoch über den ärmlichen Olivengärtchen, die an den Hütten angeklebt waren, stand Caituzzo's Haus auf einer Rasenfläche von wenigen Bäumen beschattet. Man konnte von dem Platze den größten Theil des Dorfes und alle Pfade in demselben überschauen. Alles war hier still wie im Grabe; unter einem Eichbaume lag ein ganz kleiner Bube, neben ihm ein Hund. Der Hund bellte den Fremden an, und der Bube lief eiligst nach der Wohnung, verschwand hinter dem Verhau, welcher das Haus umgab. Geronimo, mit der Flinte den bellenden Hund bedrohend, gelangte an den Rand des Pfahlzauns und wollte den Steg betreten, welcher dahinter über einen Graben führte. Seine Begleiterin hielt ihn jedoch ängstlich zurück, und sprach: »Um der Liebe Christi Willen, geht nicht von der Stelle, Herr. Der kleine Bube meldet uns schon an, und gleich wird man fragen, was Euer Begehr ist. Wolltet Ihr ohne Erlaubniß in das Haus dringen, so würde Caituzzo's Schwiegersohn Euch ohne Weiteres einen guten Schuß in den Leib jagen. Er fehlt keinen, und wenn er auf dem Gradaccio selbst säße.

Geronimo bezwang mit Mühe einen Ausruf der Verwunderung, und hatte zum Ueberlegen nicht viel Zeit, denn schon kamen drei Männer aus dem Hause an den Steg und fragten wie aus einem Munde: »Guten Abend, Bruder, wer bist Du, und was bringst Du?« – »Ein Fäßlein voll Pulver und einen Brief vom Caporale Trio und vom Pfarrer Matteo, zum Beweise, daß ich ein gutes Herz und Caituzzo's bereitwilliger Vetter Duro bin.«

Bei diesen Worten klatschte der Aelteste von den Hausbewohnern dreimal in die Hände, und rief: »Ein glücklicher Tag! umarme mich, lieber Gero. Ich war stets gut Freund mit Deinem Vater, bis er ein Franzose wurde. Du aber, bei tausend Blitzen, Du bist ein Mann, und hast die Franzosen verlassen, um zu Deinen Blutsfreunden zu gehen.« – »Ich bin desertirt, am hellen Tage, schrieb mir selbst den Abschied, den der König nicht schickte.« – Ein Sturm des Beifalls erfolgte auf diesen Bericht. »Du hast gethan wie ein wackerer Korse,« schrieen die Männer und reichten dem neuen Freunde die harten Hände. Caituzzo setzte noch hinzu: »Rührt Euch, Pepe, mein Schwiegersohn, Rajo, mein Pathe: umarmt den muthigen Vetter, und trinkt dann mit ihm einen Schluck auf gute Brüderschaft.« – Es geschah, wie der Alte wollte, und nach feierlicher Aufnahme in den Familienbund wurde Geronimo in das Haus geführt, umschlungen von dem fröhlichen Alten und dem rüstigen Pepe. Rajo hob den Steg vom Graben, eine billige Fürsorge für die einbrechende Nacht, und trug mit Freudengeschrei das Pulver nach. Geronimo war eben nicht sehr lustig gestimmt, als er die Schwelle des Hauses betrat, welches allenthalben statt der Fenster nur Schießscharten aufwies, und mit schwerer eisenbeschlagener Pforte wie ein Kerker verrammelt wurde. Die Kaserne zu Bastia war dagegen ein Paradies, die Wohnung des Caporale und das Pfarrhaus zu Isolaccio ein Palast gewesen. Das Innere dieser bäurischen Festung trug ganz das Gepräge der Landessitten, wie sie in den Bergen der Insel beobachtet wurden. Ein geräumiges Gemach war die Tagswohnung von Allen, mitten darinnen der große Herd mit flammender Glut, oben um den Schlot ein Gebälke, worauf der Kastanienvorrath zum Trocknen lag, woran Schinken und andere Fleischstücke im Rauche hingen. In einem Winkel stand der grob gezimmerte Familientisch, umstellt von Eichenklötzen, welche den Dienst der Sessel vertraten; im andern Winkel befand sich eine Art von Pritsche, worauf Ziegenfelle ausgebreitet waren: das Lager des Herrn und seines Taufkindes Rajo. In der dritten Ecke ein Vorhang, hinter welchem der uralte Vater Caituzzo's seine letzten Lebensfunken verträumte; in der vierten ein Bild der Madonna, umgeben von durchlöcherten Zielscheiben, die Caituzzo zum Gedächtniß seiner Meisterschüsse aufbewahrte. Das übrige Hausgeräthe war sehr einfach. Eine Handpresse, um den täglichen Oelbedarf zu gewinnen, einige irdene Schüsseln auf dem Herde, ein kupferner Kessel auf dem Feuer, worinnen die alte Magd Dina und Pepe's Frau die Speisen für die Hausbewohner bereiteten; ein Faß, woraus man das Getränk schöpfte, daneben ein kleineres mit dem Vorrath an Schrot und Pulver; an einer Stange mehrere Beutel von Bocksfellen, zur Bereitung der Ziegenkäse; auf einem Brette die Sonntagskleider der Weiber ausgebreitet; dabei der kleine Spiegel und die Hausapotheke des Korsen: eine Schachtel voll Wundbalsam. Die Wände waren ringsum mit Waffen geschmückt: Musketen von allen Kalibern, blanke Messer, rostige Säbel, geschliffene Waldbeile; ein Holzschnitt, das Brustbild eines bärtigen Mannes vorstellend, klebte zwischen den beiden schönsten Flinten zu Haupten von Caituzzo's Schlafstätte und vollendete die Zierde des Gemachs. »Das ist Sanpiero's Bild,« sagte Caituzzo, stolz auf den Holzschnitt deutend: »der Befreier unsers Vaterlandes war verwandt mit unsern Familien, wie Du es heute noch auf dem Stammbaume sehen kannst, der zu Bastelica im Familienhause aufbewahrt wird.« Mit einem Seufzer fuhr er fort: »Der Stammbaum war meine einzige Freude, so lange ich noch mein scharfes Gesicht hatte, und allein durch das Land streifte, und noch einen Sohn besaß. Aber seitdem die Carabelli meinen armen Domenico erschlugen, und ich halb blind wurde, so daß ich auf zehn Schritte nicht leicht den Feind vom Freunde unterscheiden kann, seitdem mag ich Sanpiero's Haus und Stammbaum nicht mehr sehen.« Der Alte senkte das Haupt, und Geronimo fragte theilnehmend, wie lange schon Domenico getödtet. Caituzzo gerieth urplötzlich in heftige Wuth, ballte die Faust und erwiederte rauh: »Ich zähle die Monate nicht, die einem Unglück nachlaufen, nur weiß ich, daß nicht zwei Sonntage herumgegangen waren seit der blutigen That, als schon der einzige Sohn des Carabelli, ein Sühnopfer für Domenico's Seele, todt im Staube lag. Pepe, Rajo und ich, wir alle Dreie schoßen zugleich auf den Burschen und werden im Paradiese erst erfahren, wessen Kugel den neidischen Batista traf.« – »Blut um Blut!« sagte Pepe mit eisernem Ernste: »Taddeo erschlug den Messi, Carabelli dafür unsern Domenico, und dafür mußte Batista in's Gras beißen. Der alte Wütherich Carabelli steht nun auch ohne Sohn, wie Vater Caituzzo, und wer weiß, ob es dabei bleibt.« – »Es darf dabei nicht bleiben,« eiferte Rajo, an sein Stilet schlagend; »Haben die Carabelli nicht auf's Neue die Feindseligkeiten begonnen, indem sie mir die Ziegen raubten, die ich auf unserm Gebiete weiden ließ? Ich weiß wohl, daß auf der Kirchweih zu Bastelica der Priester Calvi dem Alten den Vorwurf machte, daß er noch nicht seinen Sohn gerächt, wie es sich geziemt, und darum lauern uns die Spitzbuben thätiger auf, als früherhin.« – »Gleichviel,« sagte Caituzzo trotzig: »die Carabelli haben mehr Männer auf den Beinen, als wir, aber nun mein lieber Gero bei uns ist, wollen wir ihnen schon die Wage halten. Kannst Du brav nach der Scheibe schießen, mein Junge? Verstehst Du Deinen Dolch zu führen?« – »Ich schieße gut, und lernte mit dem Bajonett fechten.« – »Herrlich! Du bist ein Mann, und sollst mein Sohn werden und die Schande gut machen, die mein Weib mir anthat, indem es mir nur einen Sohn gebar. Ich habe Dich zu meinem Eidam bestimmt, und Du wirst meinem andern Schwiegersohn an Treue und Tapferkeit nicht nachstehen. Meine Fiora ist ein schönes Mädchen, und Rajo wäre schon ihr Bräutigam, wenn er nicht bereits so zu sagen in der Wiege mit der braunen Seraphine verlobt worden wäre. Dir aber, Gero, habe ich mein letztes Kleinod bestimmt. Heda, Fiora, wo steckst Du?«

Die schwermüthigen Töne einer Cetra, die in einer Nebenkammer gespielt wurde, verstummten, und langsamen Schrittes trat Fiora zu den Männern. Das Mädchen war überraschend schön, doch sprach ein finsterer Ernst aus seinen blassen Zügen, während erzwungenes Lächeln um den zierlichen Mund spielte. Mit glatten Worten und düster blikenden Augen begrüßte Fiora den Vetter, und reichte ihm die kalte Hand, als der Vater sagte: »Hier ist Dein zukünftiger Mann, meine Tochter. Nach dem ersten Probstück, das er abgelegt, sollt Ihr ein Paar werden.« – Verlegen stotterte Fiora ein paar Worte, und wendete sich dann schnell zu ihrer Schwester Lilla, Pepe's Gattin, die auch herbeikam, dem neuen Familiengenossen Salz und Brod zu überreichen. Geronimo, obgleich mit den Geheimnissen eines Weiberherzen nicht vertraut, errieth unschwer, daß Fiora vor der Hand die Wünsche ihres Vaters nicht theilte, er tröstete sich aber mit der Hoffnung, daß die Zeit Rosen bringe, und fand sich in das neue Hauswesen so schnell, als sein leichtsinniges Blut es gestattete.

 

Rajo übte sich im Scheibenschießen auf dem Plane hinter Caituzzo's Hause, der Alte spielte mit Pepe und einem Nachbar im Grase liegend, Karten; Lilla und Dina waren mit der Sichel in dem spärlich bestellten Felde beschäftigt, und Geronimo hatte Lust mit Fiora zu plaudern. »Wo ist meine Braut?« fragte er den Vetter. – »Sie hütet die Ziegen auf der Waldwiese, wie gewöhnlich.« – »Ich will sie aufsuchen.« – »Vergiß nicht, Deine Flinte scharf zu laden, nimm' einen Burschen aus dem Dorfe mit Dir, hüte Dich vor den Carabelli.«– »Hm, Ihr seyd in Sorge um mich, während die Weiber ohne Schutz auf dem Felde und der Trift sind.« – »Den Weibern geschieht nichts; sie haben freien Paß, sind das Pulver nicht werth, und weder unser gutes Recht noch unsere heilige Rache gehen sie etwas an. Doch magst Du nach Fiora's Heerde schauen, damit sie der Dirne nicht abgejagt werde. – »Geronimo warf die Büchse über die Schulter, und wanderte fort. Dem Rathe Caituzzo's zuwider rief er keinen Begleiter, und stieg in den Wald hinan, der Richtung nach, die ihm von Caituzzo bezeichnet worden war. Bald jedoch gerieth er von der Fährte ab, war gezwungen, wenig betretene Spuren zu folgen, das Bett eines Waldstroms zu überschreiten, und auf sein Pfeifen wie auf seinen wiederholten Ruf durch den hallenden Wald antwortete weder das Meckern der Ziegen, noch Fiora's Stimme. Plötzlich stand er am Fuße eines wilden Abhanges, wo der Strom einen sanfteren Lauf hielt, und am jenseitigen Ufer, nur eine Klafterlänge von dem jungen Manne getrennt, saß eine Dirne, mit dem Angelhacken fischend in den braunen Wellen. Sie rief dem Irrenden verdrießlich zu: »Du wirst mir alle Fische verscheuchen, unruhiger, lärmender Jägersmann. Steige wieder die Klippen hinauf, denn hier unten lagern weder die Muffoli, noch die schlauen Füchse, noch die Heerde der Hirtin, welche Du rufst.«

Geronimo war betroffen, konnte nicht vom Platze weichen, gleichsam wie festgebannt von der Erscheinung des Mädchens. Bei weitem nicht so schön wie Fiora, war die Fischerin dennoch tausenmal anziehender; in dem unregelmäßigen Gesichte lag eine unendlich reizende Schalkhaftigkeit, in den schwarzen Augen eine Fülle von List und Witz, gepaart mit Güte und tiefer Empfindung: eine Vereinigung, wie sie in dem Auge der scheuen Gazelle sich findet. Der Mund ziemlich groß, aber besetzt mit Perlzähnen, die Lippen aufgeworfen, aber korallenroth; die Gesichtsfarbe hellgelb, dennoch zart gehoben von jugendlicher Frische: die Locken kurz und kraus und unter dem weißen Tuche hervor auf die Schläfe herabfallend, der Wuchs üppig und rund, die Kleidung zierlich und Wohlstand verrathend. Die schnellfertige Zunge redete süß, selbst da sie zürnte, und das Verbannungswort glich einem Befehl, zu bleiben. Geronimo that willig das Letztere, lagerte sich der Fremden gegenüber, und begann, da sie ihm verwundert aber lächelnd zusah: »Bevor ich gehe, will ich wissen, wer mich gehen heißt.« – »Du bist zudringlich, wie ein genuesischer Gerichtsdiener. Ich habe Dein Gesicht nie gesehen, und Du scheinst mir ein Fremder zu seyn, wenn Du gleich Dich benimmst, als wärst Du hier zu Hause. Sag' mir also Deinen Namen, wie der Fremde es zu thun verbunden ist.« – »Nicht eher, als bis ich den Deinigen weiß. Du bist nur ein Weib, ich aber der Mann.« – »Und noch obendrein ein recht ungezogener, trotziger Mann. – Indessen – mein Name ist bald gesagt, ich bin Aurea, Carabelli's Tochter, blicke dort in's Freie, wo die Häuser von Massa aus den Felsen ragen, dort wohne ich.«

Geronimo's Muth sank plötzlich tief; so gleichgültig er seine Braut Fiora angesehen, so innig gerührt hatte ihn Aurea's Reiz, und in diesem Mädchen entdeckte er nun die Tochter des Todfeindes, den er nach den unerbittlichen Gesetzen der Familienrache mit Mord und Brand zu verfolgen gehalten war. Er sprang außer sich in die Höhe, und murmelte zwischen den Zähnen: »Das ist ein unglücklicher Tag, wo ich plötzlich verliere, was ich gern um jeden Preis rauben möchte.« – »Ei, warum so zornig und erschrocken?« fragte Aurea mit spöttischem Lächeln. – »Ich darf nicht länger bleiben, es ist unnöthig, Dir meinen Namen zu sagen. Du würdest mich hassen, schönes Kind.« – »Warum denn?« lachte Aurea mit pfiffiger Miene: »Weil Du Caituzzo's Vetter bist, der Bräutigam der stolzen Fiora, und ein neuer Feind meiner Sippschaft?« – »Unglückliche, Du weißt ... woher erfuhrst Du es? Kaum habe ich mein erstes Brod in Caituzzo's Hause gegessen, und schon ...« – »Du bist ein Thor, glaubst Du, daß wir nicht unsere Spürhunde haben? Was soll ich an Mortagno ausrichten?« – »Ich begreife nun, er sagte Dir ... Du willst entfliehen, schöne Aurea?« – »Soll ich bleiben, wenn Du gehst?« – »Ach, wenn Du's befiehlst, bleibe auch ich.« – »Toller Mensch! die Blutrache trennt uns. Ich wäre ja des Todes schuldig, wenn ich nur ferner ein Wort mit Dir verlöre. Geh hin, armer Gero, und nimm Dich vor meinem Schwager in Acht.« – »Reizende Aurea, Du würdest mich nicht an Deiner Seite opfern lassen!« – »Ich müßte es; Nicolo Messi war mein Verlobter.« – »Ich Unglücklicher! Du liebtest ihn?« – »Ich liebte ihn nicht, aber ich war ihm versprochen, und sein Blut ist noch nicht gerächt.« »So tödte mich mit eigener Hand, grausame Hexe!«

Geronimo, halb von Trotz, halb von verliebtem Wahnsinn beseelt, wollte über den Bach springen, das Mädchen umfassen, als Aurea bittend die Hände gegen ihn faltete, dann gegen das Gebüsch hinter ihr deutete, den Finger auf den Mund legte, und dem Jüngling winkte, schnell zu entrinnen. – Er horchte; es raschelten Tritte in dem Busche, einige Männerstimmen wurden hörbar. Gero entsprang, und hörte, auf der nächsten Klippe rastend, wie unten am Bache Mortagno fragte. »War Jemand bei Dir, Aurea? Sprachst Du mit jemand?« – »Ei, wer weiß? Nur mit den zögernden Forellen redete ich, und mit dem anschwellenden Strome, der die Fische verscheucht,« war die Antwort der verschlagenen Dirne.

Geronimo kam erst sehr spät, ohne weiteres Abenteuer, nach Caituzzo's Hause zurück. Der Alte saß am Feuer, wo die Kastanien gebraten wurden, den Kopf in die Hände gestützt, und schweigend lagerten um ihn Pepe und Rajo. Mit stummem Kopfnicken erwiederte Caituzzo den Gruß des Jünglings, der zu ihm sprach: »Ich habe mich verirrt, Fiora nicht gefunden.« – »Gleichviel,« antwortete der Alte dumpf: »denke nicht mehr an Fiora.« »Wie, was soll das heißen?« – »Danke Gott, daß jede Schandthat an's Licht kömmt,« rief der Alte mit lauter Stimme, und drohte mit der Faust gegen Fiora's Kammer, worinnen heulende Weiberstimmen sich vernehmen ließen Dann sagte er mit düsterm Ernste: »Legt Euch schlafen, meine Kinder, sobald Ihr Eure Mahlzeit vollendet. Ich werde überlegen, was die Würde unserer Familie erfordert, und erwarten, was morgen der ausgeschickte Bote bringt, was die Familie beschließt.« – Geronimo fühlte sich von Schauer überrieselt, und fragte vergebens änqstlich nach der Ursache dieser räthselhaften Aeußerungen. Nicht der Alte, nicht Pepe noch Rajo antworteten mit einer Sylbe. Nur, da sie sich zur Ruhe begaben, schüttelten sie nach der Reihe Geronimo's Hand, flüsterten ihm traurig zu: »Gute Nacht, armer Vetter,« und überließen ihn den Qualen des Zweifels. Ungewiß ob ihm vielleicht selbst das Urtheil gelte, das am nächsten Tage gesprochen werden sollte, aber entschlossen, muthig zu erwarten, was da kommen würde, streckte er sich auf sein Ziegenfell aus, und schlief fest bis zum hellen Tage.


Caituzzo's Stimme weckte den Schläfer. Da er die Augen aufschlug, sah er alle Glieder der Familie um den Herd stehen, wo Caituzzo's neunzigjähriger Vater gleich einem Gespenste kauerte. Selbst ein Paar entferntere Verwandte, die zu Bastelica wohnten, waren gekommen, mit Flinte und Dolch bewaffnet, so wie auch die Hausbewohner alle ihre Waffen trugen. Düsteres Schweigen herrschte unter den Männern, zu denen sich Geronimo, auf Caituzzo's Wink, gesellte. Dagegen floßen bittere Thränen aus den Augen der blassen Fiora, die im nachläßigsten Gewande, von Lilla und Dina unterstützt, vor ihrem Vater stand, wie eine Missethäterin. – Nachdem das traurige Schweigen ein paar Minuten gedauert, sagte Caituzzo zu seinem eisgrauen Vater: »Marco, mein Vater, Du bist der Aelteste in unserem Stamme, und mit Recht der Vorsitzer in der kläglichen Sache, die wir heute zu schlichten haben. Aber Du bist ein schwacher, kranker Greis, mein Vater, und willst mir erlauben, daß ich an Deiner Statt rede, wenn mir gleich das Herz dabei zerspringen möchte.« – »Gerne, sobald mir die Zunge oder der Verstand den Dienst versagt,« versetzte der Greis mit dumpfer zitternder Stimme; »Ich bin aber vielleicht noch im Stande, für die Ehre meines Hauses das Wort zu führen.«

Caituzzo neigte sich ehrerbietig, und trat in die Reihe der Uebrigen. Marco begann, und seine Rede klang wie eine Trauerglocke: »Liebe Blutsverwandte und Freunde. Fiora, meine Enkelin, hat Schande über unser Haus und unsern Namen gebracht. Während ihr Vater sie hütete gleich seinem Augapfel, betrog sie seine Wachsamkeit, und beschimpfte schon durch solchen Ungehorsam unsere Familie, worinnen seit Menschengedenken weder eine Frau, noch ein Kind den Befehlen ihres Herrn und Vaters sich widersetzt hat. Aber der Frevel führt zum weiteren Verbrechen. Ein Signore, Carlo Suzzoni, der zu Carbugia wohnt, ein Freund der Genueser und Franzosen, ein Mensch ohne Sitten und reinen Stammbaum, verführte die ungehorsame Tochter in verschwiegenen Zusammenkünften, betrog sie um ihre Ehre! Dieses Verbrechen hatte Folgen ... in ihrer Verzweiflung wollte die Sünderin, von Suzzoni mit Hohn zurückgewiesen, ihr Leben endigen. Der Vater überraschte sie gestern mit der Waffe in der Hand, entlockte ihr das Gesändniß, und überliefert sie nun der ganzen Strenge der Familie.«

Marco schwieg erschöpft, und schlug wie in grimmiger Beschämung die Augen nieder. Einer der Verwandten aus Bastelica fragte trocken, ob Suzzoni sich weigere, die Verführte zu heirathen. Pepe erklärte hierauf finster, daß der Bote von Carbugia zurückgekehrt sey, und nur Schmähworte und Drohungen heimgebracht habe. – »So muß man ihm noch heute Fehde und Rache ansagen,« forderte Rajo mit Heftigkeit, und Marco versetzte: »Das wird geschehen; noch nie hat unsere Familie einen Schimpf ungeahndet getragen, sobald sie davon unterrichtet worden. Ein Geschlecht, dem der große Held Sanpiero verwandt ist, tilgt alsobald jeden Mackel.« – Der Greis schoß bei diesen Worten einen gefährlichen Drohblick unter den schneeweißen Wimpern hervor auf Fiora, und die Augen der Männer folgten diesem Blicke unwillkührlich und bekräftigen ihn, obgleich ihre Zunge noch aus Mitleid für den Vater schwieg. Caituzzo begriff, daß es jetzt an ihm sey, das Wort zu nehmen und sprach mit schwer verhaltenem Grimme: »Unser Aeltester hat Sanpiero's Namen genannt, er hat auf das Bildniß desselben gedeutet, und auf solche Mahnung müssen wir hören, die Nachkommen des tapfersten Patrioten. Sanpiero schlug den Feind, der ihn beschimpfte; er schonte aber auch nicht des eignen Bluts, wenn es sich befleckte. Mit eigenen Händen erdrosselte er sein Weib, die Mutter seiner Söhne, weil sie gewagt hatte, hinter seinem Rücken mit Genua zu unterhandeln. Solche ruhmwürdige That diene uns als Beispiel. Rache dem Feinde Strafe der Entehrten: nicht genug ist's, daß Suzzoni sterbe, ... auch Fiora erhalte ihren Lohn. Sprecht ihr Urtheil; sie sollte meines Vetters Weib werden, und hat ihren Leib geschändet; wir wollten auf den Pfad einer jungfräulichen Braut Nüsse und Waizen streuen nach dem heiligen Brauch der Väter, und sie trägt einen Bastard unter dem Herzen! Das Urtheil kann nicht zweifelhaft seyn; befreit darum schnell, meine Brüder, dieses ehrliche Haus von dem unehrlichen Gaste.«

Caituzzo wendete sich ab und starrte mit verschränkten Armen auf die Waffen seines erschlagenen Sohns Dominico, die über seinem Lager hingen neben Sanpiero 's Bildniß. Fiora stierte wie gedankenlos auf das Muttergottesbild, und Marco fragte mit wildem Tone: »Was verdient die Verbrecherin nach den heiligen Familiengesetzen unseres Landes? Der Jüngste stimme zuerst; Gero sage Deine Meinung.«

Geronimo kannte den strengen Familienkodex der Korsen viel zu genau, als daß er nicht gesagt hätte: »Sie verdient den Tod,« doch setzt er einige mildernde Worte bei, die darauf antrugen, die Strafe zu verschieben, um das unschuldige Kind zu retten. Sein Nachbar Rajo ließ ihn hierauf hart an: »Beschimpfst Du die Ehrlichkeit Deiner Mutter noch im Grabe, weil Du einem Bastard das Wort redest?« Pepe setzte zornig hinzu: »Sieh hier meine Buben; sollen diese ehrlichen Kinder etwa neben Suzzoni's Schandfleck erzogen werden? Oder wollen wir die Kreatur in's Waisenhaus nach Ajaccio schicken? Wir haben noch nie mit einem Genueser getrunken, haben noch nie einen Soldo geborgt, von dem Familienerbe niemals etwas verkauft oder verschleudert, niemals eine Vendetta aufgegeben; wir werden auch diese Schande nicht auf uns laden.« Marco bemerkte schließlich mit grausamer Kälte: »Wohl dem Bastard, welcher stirbt, noch ehe er geboren wurde, denn der hat keine Freunde auf der Welt, ist vogelfrei jedem Schimpf preisgegeben, und Niemand rächt seinen Schimpf.« – Nun sprachen Alle mit Ueberzeugung und furchtbarer Geläufigkeit das schwere Urtheil aus. Caituzzo, der Vorletzte, sagte: »Die Vaterliebe zu der ehrlosen Tochter trägt auf schleunige Vollstreckung an.« Marco setzte hinzu, ohne alle Erschütterung: »Es gebührt mir, als dem Aeltesten, den Spruch zu vollziehen. Meine Hände sind aber zu schwach, und Caituzzo, mein Sohn, übernehme daher die Pflicht.« – »Meine Augen schwimmen,« antwortete Caituzzo mit gräßlicher Fassung: »Ich würde das Ziel vielleicht fehlen. Gero, der getäuschte Bräutigam, der nach dem Vater am schwersten Beleidigte, soll das Richteramt vollstrecken. In Ermangelung eines Priesters wird Vater Marco über dem Haupte der Unseligen den Segen sprechen, und wir Alle, sobald wir aus dem hohen Walde den Schuß vernehmen, gedenken mit einem Ave Maria der armen Sünderin.« – »Amen, Amen!« riefen alle Richter, neigten sich, und Gero, der wohl wußte, daß eine Weigerung ihm nur Schande und Gefahr bringen würde, untersuchte mechanisch sein Gewehr, das er scharf geladen fand. Fiora, die mittlerweile, gleichsam gestärkt durch den Todesspruch, ihre Haltung wieder gefunden hatte, kniete vor ihrem Vater und Großvater nieder und sagte eintönig: »Alles ist wahr, wie Ihr es gesagt habt, Herr und Vater. Vergebt mir in der Todesstunde, meine Herren und Väter!« – Caituzzo antwortete nicht; von seiner Brust nahm er jedoch einen Rosenkranz, hing ihn um den Hals der Verurtheilten, und flüsterte dem Vetter in die Ohren, während Marco ein Gebet über Fiora sprach: »Oben bei dem See in den Felsen; verstehst Du mich? Triff gut, ich bitte Dich.« Gero nickte stumm, und schob die Capuze seines Mantels über die verdüsterten Augen. Eben so schnell hatte Fiora ihr Regentuch umgeworfen, und sagte mit zarter Müdigkeit zu ihm: »Wenn Du mir verziehen hast, lieber Vetter, so laß uns schnell gehen. Ich habe Eile, von diesen gerechten Blutsfreunden und dem Leben Abschied zu nehmen.«

Geronimo öffnete die Thüre, Fiora schritt muthig hinaus. Die Weiber schluchzten, aber die Männer riefen dem Schlachtopfer nach: »Fahre wohl, Fiora; auf Wiedersehen dort oben. Suzzoni wird bald zu des Teufels Hause fahren, und Deine Schmach gerächt seyn. Gero sey aber der Herold, der dem Schurken unsere Todfeindschaft ansage!«


Sie wandelten den grün überwölbten Felsenpfad empor, die Sonne schien hell durch die Blätter, die Drosseln zwitscherten anmuthig in den Wipfeln der Bäume. Die Bergabhänge funkelten in rother Glut, dicht besetzt von Hagebutensträuchern, die Natur hatte ihr schönstes Gewand angelegt, Geronimo's Herz wurde allgemach zur Milde gestimmt, und mit stummem Bedauern folgte er der Spur seines Opfers. Leise betend ging Fiora vor ihm her, und als sie den See erreicht hatten, der auf einer Waldebene zwischen Porphyrfelsen lag, warf das Mädchen beherzt das Tuch von dem Kopfe, kniete an einem Eichbaume nieder, und sagte mit männlicher Stimme: »Nimm Deinen Raum, Gero, ziele gut, und begrabe mich dann so tief als möglich, daß die wilden Thiere meine Leiche nicht ausscharren.« – Gero nickte, immer unschlüssiger werdend, entwaffnet durch die Herzhaftigkeit des Mädchens. – »Willst Du nicht mehr beten?« – »Ich habe es schon gethan; eile, Gero.« – »Du hängst nicht mehr am Leben?« – »Ich wollte mich ja selbst tödten, aber Gottes Gnade hinderte mich daran.« – »Arme Base, Du hättest verdient, ein Mann zu seyn.« – »Fiora blickte zornig in die Höhe, und versetzte rasch: »Ha, wäre ich ein Mann, Suzzoni lebte jetzt nicht mehr.« – »Sorge nicht, er wird Dir bald folgen.«

Geronimo nahm seine Weite, richtete sein Gewehr, schlug auf die Knieende an. Fiora folgte mit dem Auge seinen Bewegungen. – »Du hälst zu hoch, Gero.« »Nicht doch, schweig.« – »In Deine Hände, o Herr, befehle ich meinen Geist!« – Der Schuß krachte, in der Ferne widerhallend, daß der Wald aufzurauschen schien, die Kugel flog in die Krone des Eichbaums. Verwundert öffnete Fiora die geschlossenen Augen, und stammelte: »Du hast mich gefehlt, Unglücklicher!« – »Schweig und stehe auf; für diejenigen, die in Deines Vaters Hause jetzt ein Ave beten, bist Du todt; und Deinen Frevel sühnte hinlänglich Deine Todesangst. Folge mir aber schnell, ehe die Verwandten kommen, Dich zu begraben; zeige mir den Weg nach Suzzoni's Wohnung. Ich will den Schurken zwingen, daß er Dir die Ehre wieder gebe, oder ihn auf dem Flecke zusammenschießen. Kehren wir mit seinem Blute befleckt zurück, so ist Dir die Verzeihung Deines Vaters gewiß, und auch die Schmach getilgt, die ich verschulde, indem ich Deines Lebens schonte.« Schwankend zwischen Sehnsucht nach dem Tode und der holden Lebenslust willigte Fiora in Geronimo's Begehr, und führte ihn, nach Vergeltung dürstend, die Berge jenseits hinab gen Carbugia. Ihnen zur Seite schimmerten die Hütten von Massa, und Geronimo's Herz pochte von ungestümem Verlangen. Da jedoch keine Hoffnung war, dieses Verlangen befriedigt zu sehen, so drängte es den jungen heftigen Mann, seine tobende Brust mit irgend einem Siege, irgend einer raschen männlichen That zu beschwichtigen. Mit Vergnügen sah er bald aus dem Thalgrunde das weiße Haus emporsteigen, Carlo Suzzoni's Dach, und auch Fiora ging immer eiliger und athmete zufrieden, als endlich die Gartenthüre erreicht war, und Geronimo geklopft hatte. Ein genuesischer Diener sah durch das Gitter, und sagte auf Geronimo's Anfrage: »Der Herr ist just von seinem Mittagsschläfchen aufgestanden, und füttert die Fische in seinem Weiher. Ihr könnt mit ihm reden, wenn Ihr ihm anders eine gute Botschaft bringt.« – »Versteht sich,« erwiederte Geronimo mit listiger Besonnenheit: »Wir kommen von seinem Bruder, geraden Wegs von Ajaccio.« – »Von dem Capitular? Tretet nur ein, gute Leute; der Herr empfängt die Boten seines Bruders zu jeder Stunde.«

Der wohldienerische Genueser lief geschäftig voran, und brachte in Kurzem die Wanderer vor seinen Herrn. Suzzoni, ein hagerer Signor, mit einem Gesichte, welches regelmäßig gemalt war wie ein Apfel, und für schön hätte gelten können, wenn nicht aus den unstäten Augen Härte und Habsucht allzudeutlich gesprochen hätten, erschrack heftig bei dem Anblick des verführten Mädchens und des rüstigen Begleiters. Er biß sich in die Lippen, wollte dem Diener winken, allein dieser hatte sich schon entfernt. Daher blieb dem Signor nichts anderes übrig, als gute Miene zu dem drohenden Spiele zu machen, und er fragte mit falscher Theilnahme und heuchlerischer Gefälligkeit: »Du hier, schönste Fiora? wie freue ich mich; was begehrst Du von mir, mein Kind?« – »Meine Ehre, Treuloser,« sagte Fiora kämpfend mit Grimm und Schmerz: »Zum Letztenmale fordere ich von Dir einen Vater für unser Kind, die Erfüllung Deines Eheversprechens.« – »Kleine närrische Dirne, weigerte ich Dir je im Ernste Dein Recht? Mit Sanftmuth und Güte wickelt man mich um den Finger, nur Deinem Zorn und endlich dem Trotze Deiner Verwandten mußte ich Widerpart halten.« – Geronimo entgegnete rauh: »Unser gutes Recht ist unser Stolz, Signor. Ihr seyd vornehmer als wir, aber nicht rechtschaffener. Der große Sanpiero war mit uns verwandt, und darum wird meine Base Eurem Stammbaum keine Schande machen. Wo Ihr aber nicht zur Stunde Euer Jawort gebt, ohne Rückhalt, ohne Ausflucht, so tödte ich Euch auf der Stelle im Angesichte Euers Hauses.« – Er hob die Pistole, die an seiner linken Seite hing, und reichte an Fiora sein Stilet, welches das Mädchen verwegen schwang. Suzzoni, der sich von allen Seiten bedroht sah, und von der Entschlossenheit seiner Gegner Alles erwarten mußte, faßte sich mit übermenschlicher Kraft: »Es bedarf keines Blutvergießens; ich thue gerne, was Ihr verlangt.« – »So laßt unverzüglich den Pfarrer holen, Signor.« – »Erlaubt, daß ich meinen Leuten rufe.« – »Ruft nur einen einzigen von Euern Dienern sonst seyd Ihr des Todes.« – »Nach Befehl, guter Freund. Andrea! Hörst Du nicht? Andrea!«

Der Knecht kam, und Geronimo gebot ihm, in einer Entfernung von zehn Schritten zu bleiben, wenn er nicht eine Kugel in seinen Schädel bekommen wolle. Der Mensch gehorchte staunend, und Suzzoni sagte kaltblütig zu ihm: »Geh und bringe den Pfarrer, wenn er zu Hause ist! Ghita soll mir melden, wenn Besuch eintrifft. Mache Dich schnell von dannen!« – Lächelnd drehte sich der Signor zu Fiora, und sagte ihr: »Du bist doppelt reizend, junge Mutter. Ich habe Dich nie so verführerisch gesehen, und könnte auf Deinen Begleiter eifersüchtig werden, wäre ich nicht von Deiner Liebe überzeugt. Wer ist der junge Mann? Gib mir die Hand, Du mein zukünftiger Vetter oder Schwager.« – Geronimo reichte ihm die Hand mit ernsthafter Freundlichkeit, und zog die Capuze aus dem Gesicht. Suzzoni betrachtete ihn aufmerksam, und sprach: »Ich kenne Dich, mein Freund, Du warst im Dienste zu Bastia, warst Unteroffizier, wenn ich nicht irre. Du befreitest mich eines Abends an der Spitze einer Patrouille aus den Händen betrunkener Spitzbuben, die mich plündern wollten.« – »Wer weiß? Ihr gingt damals nicht auf den besten Wegen, Signor. Erzählt Eurer Braut davon nicht zu viel und schweigt, ich bitte Euch, über den Corporal von Bastia.« – »Ach, ich verstehe. Du nahmst den Abschied hinter der Thüre? Was geht das mich an! Ich liebe nicht die Franzosen, nicht die Genueser, wenn man mir auch Beides auf den Kopf zusagt. Genua bestiehlt Corsika um seine Freiheit, die Franzosen bestehlen Genua um Korsika. Der Teufel hole all dieses Gesindel, aber wir armen Signori müssen den Feinden schmeicheln, weil wir dann und wann mit ihnen verkehren.« – »Das ist nicht die Rede eines Mannes, verzeiht Signor.« – »Ereifere Dich nur nicht, lieber Bruder, beruhige ihn doch, liebe Braut. Geht mit mir in das Haus, daß ich Euch Erfrischungen vorsetze. Du armes Schätzchen wirst müde seyn; in Deiner Lage diesen Weg zu machen ... Wahrhaftig Du hättest mich morgen bei Deinem Vater gesehen, als fröhlichen Werber gesehen, und unsere Hochzeit wäre zu Bastelica gehalten worden. Indessen auch in Carbugia sind lustige Hochzeitsbursche, die das Pulver beim Freudenschießen nicht sparen, und meine Speisekammer ist mit Confekt gefüllt, den Gaumen der neugierigen Weiber zu vergnügen. Ihr sollt davon eine Probe machen, kommt mit mir.«

Geronimo machte Einwendungen, Fiora, von freudiger Zuversicht erfüllt, bekämpfte dieselben. Wie im Triumph führte Suzzoni Caituzzo's Tochter und Vetter in seine zierliche Herrenwohnung, wo sich dem argwöhnischen Auge Geronimo's nur eine alte Magd zeigte, die mit Verwunderung den unbekannten Gästen die Tafel mit Wein und Confekt bestellte. Wohlgefällig sah sich Fiora in den aufgeputzten Zimmern des Hauses um, und fragte, wie es komme, daß Alles so festlich glänze. »Ich erwarte Gäste,« antwortete Suzzoni mit Unbefangenheit: »die ehrlichsten Leute von der Welt. Sie kommen gerade Recht, um bei unserer Vermählung Zeuge zu seyn.« – »Wer sind die Leute?« fragte Geronimo neugierig vorgebeugt, und die Flinte aus dem Arme lassend. – »Ihr werdet mit ihnen zufrieden seyn,« erwiederte Suzzoni und stieß wie von ungefähr die Flinte mit dem Fuße um. Der gespannte Hahn ging los, das Gewehr entlud sich. »Verräther!« rief Geronimo zornig und sprang auf. »Welche Unvorsichtigkeit!« sagte Fiora erschreckt: »Der Schuß hätte eins von uns verletzen können.« – »Jesus!« kreischte die Magd zur Thüre herein: »Welch ein Lärm, und die Herren sprengen just in den Hof!«

Als Geronimo sich aufrichtete, nachdem er die Flinte vom Boden gehoben, sah er mit Entsetzen einen Schwarm von Pferden vor den Fenstern, Offiziere und Soldaten in französischen Uniformen, ihm drohend gegenüber Suzzoni, der ihm die Pistole vom Gürtel gerissen. Fiora, die sich ihren Dolch von einem hereinstürzenden Diener entwunden sah, flüchtete sich schreiend zu dem Heiligenbilde, und indessen füllte sich die Stube mit den erwarteten Gästen von Ajaccio. »Ich habe Ihnen eine gute Jagd versprochen, meine Herren,« rief Suzzoni den Freunden entgegen: »Es freut mich, Ihnen gleich zu Anfang mit einem seltenen Wildpret aufwarten zu können. Dieser Schurke ist von Ihres Königs Fahnen desertirt; im Namen des Königs und der glorreichen Republik, thun Sie Ihre Pflicht!«

Geronimo stieß einen Schrei der Wuth aus, und schwang den Flintenkolben gegen die Offiziere, die mit einem muthwilligen »Tayo, Tayo!« auf ihn losstürmten. Seine Gegenwehr fruchtete nichts, der Angreifer waren zu Viele; wie ein gehetzter Hirsch setzte er zum Fenster hinaus, schwang sich auf eines der kleinen Bergpferde, die im Hofe angebunden standen, zerschnitt mit seinem Messer den dünnen Strick, und jagte aus dem Gehöfte, dem heimischen Gebirge zu. Die Offiziere riefen dagegen ihre Fourierschützen zu Pferde, gallopirten an ihrer Spitze, hetzten die Hunde auf die Pferde, erfüllten die Thäler mit ihrem Waidruf, und verfolgten hartnäckig die versprochene Beute. Der Franzose vergißt Mahlzeit und Schlaf, wenn es einen muthwilligen Streich gilt.

Zum Erstenmal bemächtigte sich die Furcht des jungen Gero. Der Tod im Kampfe hätte ihn nicht geschreckt, aber am Galgen zu enden, war ihm entsetzlich. Dennoch blieb ihm kein anderes Loos, wenn die Verfolger ihn erreichten; seine Flinte war verloren, sein Messer ihm entfallen, seine Pistole ihm geraubt ... keine Möglichkeit des Widerstandes. Angstvoll blickte er nach Fiora um; keine Spur von ihr; sie war gefangen oder nach einer andern Seite flüchtig. Dafür saßen die Feinde stets auf seinen Fersen; wollte er hinter einem Busche ausschnaufen, glaubte er sich hinter einer Klippe verborgen, flugs schweiften schon die Hunde um ihn her, tobte das Jagdgeschrei in seiner Nähe, drohten die Jäger, ihn zu erreichen. Verzweifelnd trieb er sein Roß; das unbändige Thier, kämpfend mit dem ungewohnten Reiter, stürzte ermattet in einer Schlucht zusammen. Geronimo versuchte laufend sein Heil, ... die Verfolger verrannten ihm den Paß. Die Höhlen waren von ihnen besetzt, in die Tiefe streiften die Koppeln, die Reiter stiegen von den Pferden, um hinab zu klimmen. Nur eine Seite war frei, ein verwegener schmaler Pfad an steilen Felsenwänden hinan, wo kaum der Muffolo zu klettern wagt, und selten der unerschrockene Jäger dieser korsischen Gemse. Geronimo ergriff diesen letzten Ausweg, die Gefahr, das Genick zu brechen, schien ihm gering, die Gefangenschaft das größte Uebel. Er setzte an, und die Todesangst half ihm über Zacken und Kanten und Runsen weg, so daß seine Feinde, dem kühnen Kletterer zu folgen unvermögend, ihm verwundert nachstarrten, bis das Dornengestrüpp der Felsen ihn ihren Blicken entzog. Hinter diesen Ranken lag er ein paar Augenblicke, und zu ihm aus der Tiefe drangen die Worte: »Wir halten hier Wache, Ihr Uebrigen steigt hinauf zu beiden Seiten der Höhe; treibt den Burschen mit Flintenschüssen herab, er muß unser seyn, ehe noch die Sonne untergeht.« – Geronimo hatte keine Zeit zu verlieren, wollte er nicht umgangen seyn. Blutrünstig und ermattet klimmte er auf die Krone des Felsens, zwischen diesen Massen lagen einige Wohnungen zerstreut, ein magerer Baumgarten stand offen, der Weg führte zur Hinterthüre einer ansehnlichen Hütte. Athemlos warf sich der Flüchtling in dieselbe. Um den Herd saß die ganze zahlreiche Familie, hielt ein Mahl von trefflich duftendem Schweinefleisch und gelbem Hirsebrei. Als Geronimo sich gewaltsam an dem Rande des Herdes niederwarf, und die Worte stammelte: »Im Namen Gottes und der heiligen Mutter, verleiht mir Schutz, wer Ihr auch seyn mögt!« sprangen alle Insassen betroffen empor, und einen Augenblick war tiefe Stille. »Das ist Caituzzo's Vetter! Wo kommst Du her? Ist das eine Kriegslist von den Deinen?« fragten dann mehrere wilde Stimmen, und einige Männer liefen aus der Hütte, einem Ueberfall zu begegnen, während Andere den Lauf ihrer Gewehre auf Geronimo's Brust setzten. Dieser, seufzte unbeweglich: »Macht mit mir, was Ihr wollt, mein unschuldig Blut komme über Euch!« – »Zurück von diesem Manne, ehrt die Gastfreundschaft,« befahl eine gebieterische Stimme. Geronimo blickte matt auf, und erkannte Mortagno, wenige Schritte von ihm die zögernde und ängstlich schauende Aurea. »O weh!« murmelte er: »das Haus des Todfeindes!« – Im tiefsten Baß antwortete ihm ein rüstiger Greis mit einem löwenähnlichen Gesichte: »Ja, das ist das Haus Eures Todfeindes. Fluch über Caituzzo und sein Geschlecht, aber dreifacher Fluch über mein eigen Haupt, wenn ich das Gastrecht verletze. Das Leben eines wehrlosen vertrauenden Feindes ist einem Carabelli stets heilig gewesen.«


Die Rede des Familienoberhaupts veränderte alsobald die Scene. Die Männer, vor Kurzem noch gerüstet, den Feind zu bekriegen, eilten wieder hinaus, seine Verfolger abzuhalten, von denen er ihnen gesagt; die Frau des alten Carabelli, ein gelbes Weib mit finstern und harten Zügen, bereitete dem erschöpften Geronimo einen bequemlichen Sitz, Mortagno's Frau, des erschlagenen Batista Wittwe, brachte Speise und Trank für den feindlichen Gast; mit der Balsambüchse nahte Aurea, und fragte, ob er keine Wunden erhalten, die zu verbinden wären. Von der Dämmerung in der Nähe seines Platzes begünstigt, griff Gero nach der Hand des Mädchens, Aurea aber raunte ihm zu: »Unglücklicher, willst Du des Todes seyn?« und entfernte sich schnell von dem Kühnen. Ein junger Mann von kleiner Statur und gefährlichem Gesichte war inzwischen eingetreten, hatte im Fluge bemerkt, wie Aurea mit Geronimo verkehrte, und sagte zu ihr mit gedämpfter aber drohender Stimme: »Was zischelst Du mit dem Kerl dort? Passe auf, daß ich Dich nicht bei den Erdbeeren erwische.« – »Ei Moro,« antwortete das Mädchen schnell gefaßt, »was fällt Dir ein? Du bist thöricht oder behext, siehst, was nicht ist, und bist in jedem Falle sehr verwegen, daß Du eine Gewalt gegen mich ausübst, welche Dir noch nicht gebührt.« – »Dirne!« sagte hierauf der Vetter Moro, den Finger drohend aufhebend: »In sechs Wochen sprechen wir anders.« – Alsdann drehte er sich wieder nach der Thüre, weil in der Ferne Flintenschüsse fielen. »Die Franzosen!« schrieen die Weiber, trieben die kleinen Kinder zu dem Herde, bedeuteten dem aufmerksam horchenden Geronimo, sich ruhig zu verhalten, rissen die Gewehre von der Wand, und begannen dieselben kunstgerecht zu laden, um sie den Männern zu reichen, wenn diese sich verschossen haben würden. Moro hielt Wacht unter der Thüre, die Waffe in der Faust; die Weiber standen hinter ihm. Ihre Erwartung und Furcht wurde getäuscht. Die Franzosen kamen nicht, wohl aber kehrte Carabelli mit den Seinigen zurück. Mortagno sagte zu Geronimo, der mit einem Messer bewaffnet, das er unter seinen Händen gefunden, ihm entgegenkam: »Wo wollt Ihr hin? Was ficht Euch an?« – »Euch beistehen, so viel ich vermag.« – »Legt Euch auf's Ohr, für jetzt droht keine Gefahr.« – Carabelli setzte hinzu: »Gott verhüte, daß in meinem Hause ein Gast, den wir beschützen, selber zu den Waffen greife!« – »Was hast Du ausgerichtet, Herr? Wie steht es draußen, Herr und Vater?« fragten die Weiber den Alten und Mortagno, worauf der Letztere erwiederte: »Die Hunde von Franzosen gingen bedächtig zurück, als wir durch des Abends Schatten auf sie hinabblitzten. Wir haben einen aus dem Dorfe als Wächter aufgestellt, der ein Signal gibt, sobald sich etwas regt.« – »Wir Männer wollen heute Nacht die Augen offen halten,« sagte Carabelli: »unser Gast schlummere, seine Kräfte zu stärken. Ihr Weiber legt die Kinder schlafen, und begebt Euch dann selbst zur Ruhe. Wir wollen spielen, Eidam Mortagno, Vetter Pica, Neffe Disco. Moro mag seine Räubergeschichten erzählen, oder auf der Creta klimpern, oder schnarchen, wie es ihm gefällt. Er schläft ohnedies mit offenen Ohren und halbwachen Augen; die Eifersucht hält ihn lebendig, und einen wachsameren Mann wird Aurea im ganzen Lande nicht finden.« – »Arme Aurea!« seufzte Geronimo stille in sich hinein und schloß die Augen. Da hörte er, wie Carabelli's Weib, die alte Edita, Mortagno's und Batista's Kinder niederknieen hieß, ihnen ein Gebet vorsprach, und zum Schlusse ihnen mit feierlichem Tone sagte, wobei Männer und Weiber das ehrfurchtvollste Schweigen behaupteten: »Seht hier, Ihr Kinder Batista's, das Erbtheil, das Euer Vater Euch hinterließ. Betrachtet das blutige Hemd, zerrissen von den Kugeln seiner Feinde, ein erbärmlicher Anblick, der Euch auffordern muß, nimmer der schuldigen Blutrache zu vergessen! Kinder Mortagno's! Die Blutrache Eurer Vettern ist auch die Eurige, vergeßt das nie. Ihr Andern, Männer und Weiber, vor Allen die Wittwe Batista's, die trauernde Verlobte Nicolo's, bestärkt diese Kinder durch Euer Beispiel in ihrem Eide, in Eurer Pflicht. Fluch dem blutgierigen Geschlechte des Caituzzo, und Fortdauer der Blutrache, bis das Geschlecht vertilgt ist, oder eine Versöhnung durch Priesterspruch vor sich ging. Ihr verdient es aber nicht, Söhne aus dem Stamme des Carabelli, Männer zu seyn, wenn Ihr je die Hand zum Frieden bietet, bevor nicht von beiden Seiten eine gleiche Zahl von Opfern gefallen. Zu diesem Eide helfe Euch Gott und seine heilige Mutter!« – »Amen, Amen!« murmelten die Männer, die Frauen, lallten die unmündigen Kinder; Geronimo's Herz bebte bei dem schauerlichen Nachtgebete. – Die Weiber entfernten sich, die Waffen der Hausbewohner rasselten zur Erde, am Heerde klapperten die Würfel, zu der Cetra sang Moro ein rauhes mißtönendes Lied. Die schnarrenden Saiten wiegten den Gast ein, daß er fest schlief in dem Schooße seiner Todfeinde. Die Spieler bekümmerten sich nicht um ihn, nur Moro schielte manchmal nach ihm hin, verzerrte das Gesicht in wildem Grimme, und flüsterte endlich dem Pica zu, während die andern Würfler über einen Pasch stritten: »Wir haben den Caituzzi's noch einen Todten wett zu machen; der Bursche dort läge so ganz bequem in der Schlinge ... ein Schlag, ein Stoß, und wir wären quitt bis auf Weiteres.« – »Ho, Du sprichst wie ein Bandit. Wo bliebe das Gastrecht? Gero ist hier in sicherem Geleit. Schweig mit dem blutigen Scherze!« – »Leider muß ich schweigen, aber ich hasse den Hund, seit ich ihn zum Erstenmale sah ... für ihn wetzte ich meinen Dolch; wo ich fürder ihm begegne, und ihn das Geleit nicht schützt, ist sein Leben nur verfallen.« – »Wie es Dir beliebt, so sprichst Du als wackerer Korse.«

Draußen war Alles todt und still, das Feuer brannte matt, die Spieler ließen die Würfel, streckten sich aus und schnarchten. Moro konnte nicht schlafen, von Haß und Eifersucht gepeinigt. Aurea's Vertraulichkeit mit dem Feinde folterte ihn; sein scharfes Auge hatte bemerkt, was ihn nicht freute, was er nicht wagte, den Blutsfreunden zu gestehen, die um seines Argwohns willen öfters ihn verlacht. Er dürstete nach einem Beweise, nach einem Grund, der ihn berechtigte, angeborne Blutgier zu befriedigen, er träumte von einem verschwiegenen Verständniß zwischen dem Feinde und der von ihm gelibten Dirne. Unruhig horchte er bei dem leisesten Geräusch auf, starrte nach der Kammer, wo Aurea schlief; er fürchtete, sie werde kommen, auf den Zehen schleichend, den Gast im Schlafe zu empfangen. Dann wieder horchte er auf Gero's Athemzüge, ob der Gefährliche wohl schlafe, ob er sich nicht erhebe, auf leisen Socken in Aurea's Arme zu eilen. Alles blieb ruhig, blieb still. Moro stand auf, warf mit zitternder Hand einen Myrtenbusch in die sterbende Flamme, betrachtete forschend von Ferne Geronimo's Gesicht. Die Lippen des Jünglings bewegten sich, ein süßer Traum rührte seine Zunge, er rief halblaut den Namen: »Aurea!«

Diesen Laut zu hören, den Dolch zu ziehen und nach dem Schläfer auszuholen zu einem tödtlichen Stoße war für Moro das Werk eines Moments. Doch stieß sein unsicherer Fuß an Pica, der sich schnell ermunterte, und mit starker Faust den Nachtwandler festhielt. »Was willst Du, Mondsüchtiger?« – »Laß mich.« – »Wozu das blanke Stilet?« – »Ich muß den Hund umbringen.« – »Wehe Dir! Bist Du toll?« – »Der Hund verdient nicht, daß man ihn schütze. Hörst Du? Noch einmal nennt er den Namen meiner Geliebten. Er buhlt im Traume mit ihr. Laß mich den Schimpf rächen!« – »Du bist wahnsinnig, er sah die Dirne heute zum Erstenmale. Lege Dich nieder oder Du hast's mit mir zu thun.« – »Verräther, reize mich nicht!« – Pica warf den Vetter mit Riesenstärke zu Boden, und drohte ihm mit den Worten. »So Du nicht schweigst, so Du nicht ruhst, verrathe ich dem Carabelli Deine meuchelmörderischen Vorsätze. Du weißt, was Dich erwartet: Aurea's Verlust, Verbannung aus dem Hause.«

Moro legte sich knirschend zur Ruhe, und schwor sich selbst bei allen Heiligen zu, verschwiegene Rache allein zu nehmen. Die übrigen Männer waren indessen über dem Geräusche erwacht, schürten nach gleichgültigen Fragen das Feuer, und erwarteten lauernd den ersten Sonnenstrahl.


Der Morgen war regnerisch, ein Wetter, das die Korsen nicht lieben, und Carabelli gestattete nicht, daß Geronimo, von seiner Müdigkeit genesen, die Hütte verlasse. »Warte, bis der Regen vorüber,« sagte er: »Moro soll hinausstreifen und Kundschaft einziehen, ob die Gegend rein und sicher. Was Deine Familie betrifft, die wir von Deinem Schicksal benachrichtigen müssen, so mag eines von den Weibern die Kunde nach Caituzzo's Hause bringen. Einem Manne könnte dort etwas Leides geschehen, das Weib hat nichts zu befahren.« – Ohne ein Wort zu reden nahm Moro seine Waffen, und entfernte sich; auf Befehl des Alten hüllte sich Aurea in ihren Regenmantel, und ging mit einem ausdruckvollen Blicke auf Geronimo. Carabelli rief ihr nach: »Caituzzo soll ein Geleit bis an unsere Grenze schicken, wohin ich den jungen Mann selbst geleiten will; er hat seine Waffen eingebüßt, ist jedem Feinde preisgegeben.«

Wenige Augenblicke nachher kam ein Landmann athemlos in das Haus, und sagte: »Sey auf Deiner Hut, Carabelli. Die Thäler wimmelten von Franzosen, die Besatzung von Bastia zieht mit Sack und Pack quer durchs Land nach Ajaccio. Sie lagerten verwichene Nacht in der ganzen Umgegend. Passe auf, Du bist ein Patriot, und die Franzosen, die gestern von diesem Berge mit Flintenschüssen verjagt wurden, drohen den Bewohnern von Massa mit Strafe und Execution.« – »Mein Regiment!« rief Geronimo in Bestürzung: »was soll dieser Zug bedeuten?« – »Der Teufel weiß es,« versetzte der Bauer, »man sagt, daß die Genueser Bastia besetzten, daß die Franzosen zu Ajaccia das Land verlassen werden.« – »Den Heiligen sey Dank!« schrie Carabelli mit Entzücken: »Die Patrioten werden wieder das Haupt erheben, sobald die Henker aus dem Lande sind. Mit den Schurken von Genua sind wir bald fertig und müssen frei seyn trotz allen Teufeln.« – »Möchte ich doch den Tag der Freiheit schauen!« rief Geronimo: »aber ich bin verloren, dem schimpflichsten Tod geweiht, wenn die Franzosen mich ergreifen!« – »Sey ruhig, Bruder, Dir soll in meinem Hause kein Haar gekrümmt werden.« Mortagno wiederholte Carabelli's feierliche Zusicherung, alle Glieder der Familie wiederholten sie, aber das feindliche Geschick schritt so schnell daher, daß ein Jeder für sein eigen Haupt besorgt seyn mußte. Trommeln wirbelten auf dem Wege, der gen Massa führte, erschrocken stürzte Aurea herein, und meldete die Ankunft der feindselig gesinnten Truppen. Cono sey von Soldaten besetzt, berichtete sie, die Häuser des Dorfes seyen leer, die Bewohner in die Berge geflüchtet; man fürchte die Erneuerung der Gräuel, durch welche der Marquis von Maillebois sich die Insel unterworfen. Die Bestürzung im Hause wurde allgemein: Carabelli stimmte für einen Rückzug in die Felsen, die Vettern für offenen Widerstand, die Weiber riethen zu gütlichem Entgegenkommen. Einige Bauern von Massa, die mit ihren Heerden heranflüchteten, vermehrten die Verwirrung. Man suche einen Deserteur, riefen sie, der auf den Felsen versteckt seyn müsse, die Bergesfläche sey umzingelt, nirgends ein Ausweg möglich, als durch die unwegsamsten Schluchten. Nach einigem Bedenken sprach Carabelli mit dem Muthe eines Römers: »Ich will die Weißröcke erwarten; wer mit mir bleiben will, der thue es; aber dieses Haupt« – auf Geronimo zeigend – »muß gerettet seyn, weil ich seine Sicherheit verbürgte. Diesem Landsmann gilt vor Allem die Streife nach Massa; wer will ihn begleiten?« – Mortagno trat vor mit den Worten. »Ist das eine Frage? Ich thue es; Aurea mag unsere Gewehre tragen. Um das Gastrecht völlig zu üben, leihe ich dem Feinde unseres Hauses eine von meinen Flinten, bis er in Sicherheit ist.«

In dankbarer Aufwallung wollte Geronimo Mortagno's und Carabelli's Hände drücken; die Starrköpfe verweigerten es. Das Familienhaupt entließ ihn mit einem kurzen Adio, die Neffen und Weiber geleiteten ihn auf die Schwelle, und er folgte durch das nasse Gras der Spur Mortagno's, der mitten durch heranrückende Soldatenrotten, von ihnen unbemerkt, auf finsterem Wege in die Tiefe stieg. Aurea ging weit hinter Geronimo, nach allen Seiten spähend, und ihr Busen flog, weniger besorgt für das eigene Haus, als für das Leben eines Mannes, für den sie Liebe empfand, während sie ihn als Carabelli's Tochter hassen mußte. Auf einem glatten Felsen that Mortagno einen schweren Fall. Von seinen Begleitern aufgehoben, versuchte er, weiter zu gehen; aber sein Fuß war so übel zugerichtet, daß er nicht fort konnte. »Laßt mich hier zurück,« sagte er nach mancher Verwünschung: »Der Weg ist kurz bis zu dem Teiche, in dessen Schilfgebüschen Gero indessen sich verbergen mag. Aurea, führe den jungen Mann an den bezeichneten Ort. Ich krieche, so gut es geht, zurück, und schicke den Pica, der eben so gut Bescheid weiß, wie ich, und Dich in die Berge bringen wird, wo die Leute von Cono ihre Zuflucht suchen.«

Ohne Umstände trennten sich die Wanderer. Aurea übernahm die Stelle des Führers, und glitt behende vor Geronimo den stillen Waldweg hinab, bis dorthin, wo der Forst in ein Maquis auslief, dem Aufenthalte der zahmen Ziegenheerden und der wilden Muffoli. Die Hirten waren heute fern, geschreckt von kriegerischem Lärm und dem lästigen Regen. Der Muffolo lag still und scheu in seinem Gestrüpp. Der Teich, der den Saum des Waldes begrenzte, lehnte sein Röhricht an das Maquis. Aurea, die während des Weges kein Wort mit Geronimo gewechselt, deutete auf eine Stelle, die den Eingang in den Schilfwald gestattete, und sagte dann wie Carabelli: »Adio!« – »Du gehst?« fragte Geronimo wehmüthig: »ohne ein freundliches Wort überlässest Du mich meinem Schicksal?« – »Was begehrst Du? Du bist meines Vaters Feind, ein Freund von Nicolo's Mördern. Wäre dieses nicht, ich würde Dir die Hand reichen, Dir sagen, daß Du mir gefällst. Das darf aber nicht seyn; adio!«– »Grausame, Du nimmst auch die Waffe mit Dir, bestimmt, mich zu vertheidigen?« – »Du bist hier sicher, und Pica wird nicht lange ausbleiben. Ich muß aber die Flinte wieder zurückbringen; Mortagno würde mich schelten, wenn ich eine Waffe des Hauses auf alle Gefahr hin einem Feinde überließe.« – Aurea wendete sich schnell um, und suchte den Rückweg. Nachdem er ihr eine lange Weile nachgesehen, stieg Geronimo auf eine Felsenplatte, die über den Teich eine Aussicht gewährte, blickte um sich, und hörte Stimmen hinter den Bäumen am Ufer; darum verbarg er sich ohne Verzug in dem Schilf, bis an die Kniee im Schlamme watend. Aber ein verrätherisches Auge hatte ihn wahrgenommen. In seiner Nähe, unter einer Eiche sich vor dem Regen schirmend, gedeckt von grünen Blättern, paßte Moro, den seine Kundschafterwege bis hieher verschlagen, auf einen günstigen Augenblick, den Weiher zu umkreisen, an dessen Gestaden verirrre und spähende Franzosen auf und nieder schlichen. Mit Verwunderung hatte er die Gestalt des verhaßten Feindes auf dem Felsen erscheinen gesehen; eine Kette von Wildvögeln, die aus dem Röhricht aufrauschte, verrieth ihm auch die Stelle, wo sich der Feind verbarg. Ihn zu verderben beschloß der tückische Moro ohne ferneres Bedenken. Einige von den französischen Soldaten näherten sich seinem Standpunkte, durch ein Geräusch machte er dieselben auf sich aufmerksam. »Wer da?« fragte der Eine in schlechtem Italienisch. »Gut Freund,« antwortete Moro mit geheimnißvoller Miene. – »Hast Du nicht einen verdächtigen Menschen gesehen, der vielleicht hier vorbeikam?« – »Wer weiß?« – »Deserteurs sollen hier herumstreichen.« – »Wer weiß?« – Der Franzose, ein Offizier schlug seinen Mantel auseinander, griff nach der Börse, zog ein paar Goldstücke heraus, und hielt die funkelnden Louisd'or dicht vor Moro's Augen. Der Stolz des Korsikaners wehrte sich eine Weile gegen die stumm gebotene Bestechung, endlich siegten jedoch Haß und Geiz, Moro's Hand empfing den schnöden Sold, und mit seinem stechenden Blicke bezeichnete er den Ort, wo sich Geronimo sicher wähnte. Mit leisen Schritten näherten sich die Feinde ihrer Beute, und der Aermste war in ihren Händen, ehe er nur einen Finger zu seiner Vertheidigung rühren konnte.


Acht Tage nach diesem Vorfall war die ganze Ebene von Ajaccio von zuströmenden Menschen als wie besäet. Die Bergbewohner kamen in langen Zügen, in ihre Mäntel gehüllt, und schon von Ferne hörte man den dumpfen Klang der Trompetenmuscheln, wodurch die Schaaren sich zusammenhielten. Ein Festtag schien das ganze Volk zu locken: an demselben Tage sollten sich die Franzosen in Ajaccio einschiffen, und noch zuvor der Stadt das Schauspiel einer Hinrichtung geben. Zwölf arme Ausreißer, zum Theil Eingeborne, waren zum Galgen verurtheilt worden. Neugier, Hohn, Rachedurst und Trotz belebten die Menge, die nach der Stadt zog. Einzelne Stämme hatten unter den Verurtheilten Glieder ihrer Familie zu beklagen, und hofften für dieselben auf irgend einen rettenden Zufall; die Uebrigen kamen, den Franzosen ihren letzten Fluch nachzurufen, den Patriotenbund alsobald auf's Neue zu schließen, zu erwarten, ob nicht Anlaß zu blutigem Spiele, zu einer großen Mordscene gegeben werden möchte. – Sie hatten sich verrechnet; alle Zugänge und Vertheidigungswerke der Stadt waren von zahlreichem Militär, von drohendem Geschütz besetzt. Der französische Befehlshaber hatte bei Lebensstrafe den Zutritt der Landleute in die Stadt untersagt. Deßhalb war des Lärmens und Schmähens viel an allen Thoren, aber die Soldaten hatten vor des Volkes Augen scharf geladen, und mit brennenden Lunten standen die Kanoniere bei den Stücken. Auf einem schmalen Pfade längs der Mauer gingen fünf Männer und schimpften heftig gegen die Tyrannei. Carabelli war's, mit Eidam, Neffe und Vettern. »Gewalt hilft hier nicht!« sagte der alte Leue, gegen die Mauer drohend: »Die Hunde sind auf ihrer Hut, und ich muß darauf verzichten, Genugthuung für jenen Tag zu fordern, wo die Weißröcke mein Haus und meinen Keller rein ausplünderten, weil sie den Deserteur darinnen nicht fanden.« – »Könnte ich nur wenigstens den Gero Duro hängen sehen!« spottete Moro mit grausamer Schadenfreude. – Die Männer sahen sich auf diese Rede bedeutend an, und Mortagno begann nach einer Pause, da alle fünf auf einem Flecke zusammenstanden: »Es soll doch wahr seyn, daß ein Korse den armen Teufel verrathen.« – Pica versetzte: »Das glaube ich nicht.« – »Das müßte ein Bursche seyn, härter als der Bergkrystall, der mir als Flintenstein dient,« meinte Disco. Und Carabelli klopfte dem Moro auf die Achsel und fragte: »Was hältst Du davon?« – Nach einigem Besinnen antwortete Moro zögernd: »Der Mensch verdiente nicht, daß man ihn am Leben ließe.« – »So bereite Dich zum Tode,« donnerte ihm Carabelli mit fürchterlichem Grimme zu: »denn Du selbst bist jener heillose Mensch.«

Die Ueberraschung kam zu schnell; Moro's Unverschämtheit leistete nur schwachen Widerstand. Der Unglückliche stammelte: »Ich? ... Wer sagt das? ... Wer will's beweisen?« Mortagno versetzte heftig: »Aurea hat's gesehen, Elender. Von einer Klippe den Teich überschauend, wurde sie Deinen Verrath inne, aber zu spät. Das Herz des Mädchens empörte sich ob dieser Unthat, daß Aurea selbst nach Dir zielte, um Dich zu strafen, aber das Gewehr versagte. Der Regen, der das Pulver feucht gemacht hatte, gab Dir eine Woche Henkerfrist.« – »Aurea hat gelogen,« schnaubte Moro erblassend, »Sie hüte sich, daß ich nicht ihre eigene Schande an's Licht ziehe, daß ich sie nicht anklage, die Heuchlerin, auf deren glatter Stirne ich bis heute nur Wohlwollen las, während sie mich durch Verläumdung zu verderben trachtete.« – »Schweig mit Deinen Beleidigungen, Henkersknecht!« schalt Disco, und faßte ihn bei der Brust. – »Zurück!« entgegnete Moro außer sich: »Bin ich unter Mörder gefallen? Ihr seyd Alle Söhne des Judas, da Ihr mit freundlichen Mienen mich hieher locktet, und nun das Schafsfell abwerft.« – »Fingst Du nicht an, uns zu betrügen?« zürnte Carabelli: »Haben wir nicht etwa, meiner Tochter selbst mißtrauend, acht Tage lang geforscht und Deine Schuld ermittelt? Leugne, daß Du dem Severino die verruchte That erzählt, daß Du Dich vor dem jungen Rocca Sera derselben gerühmt, daß Du dem lahmen Pantaleone den Sold Deiner Missethat gezeigt. Hätten wir unsern Verdacht geoffenbart, Du hättest all jene Zeugen aus der Welt geschafft, das Blutgeld vergraben, das Du noch bei Dir trägst. Gib es heraus, das Gold der Schande. Ich, das Haupt der Familie, befehle Dir's.«

Zitternd und ehrfurchtsvoll zog Moro die zwei Louis-d'or aus der Patrontasche an seinem Gürtel, und gab sie hin mit den Worten: »Mir liegt an dem Gelde nichts, aber Alles an der Rache. Gero war in Aurea verliebt, unser aller Feind, außer Carabelli's Hause ... was konnte mich, Aurea's Verlobten, den Vetter Carabelli's, hindern, den Feind unschädlich zu machen?«

»Abschaum unsers Vaterlandes! Nicht um alle Schätze der Welt durfte ein Korse den Korsen an die Fremden verrathen!« herrschte ihm Carabelli zu, indem er ihn zu Boden drückte, daß er in die Knie sank: »Hier ist der Ort, wo Du Deine Strafe erleiden mußt! hörst Du die Glocke, welche Dein Opfer zum Tode ruft? Stirb auch Du!« Mit geübter Faust stieß der Alte dem Verräther das Stilet in die Brust, daß er nicht mehr zuckte, und sagte dann mit einem gewissen Heroismus zu Mortagno: »Trage dieses Gold zum nächsten Thor, gib es dem ersten besten Offizier, daß er es dem General zurückbringe. Er nehme das Blutgeld mit sich in seine Heimath, und gedenke mit Achtung des edeln Volks, das, obschon durch seine Tyrannen aller Gesetzlichkeit beraubt, dennoch in seinen eigenen strengen Sitten die Mittel findet, solche Niederträchtigkeit zu tilgen, wenn auch im Blut der eigenen Söhne.«

Mortagno bestellte den Auftrag, die Goldstücke wurden dem General gebracht, eine menschliche Rührung bemächtigte sich des Befehlshabers, und er gebot mit der Hinrichtung Geronimo's einzuhalten, wenn es noch Zeit wäre. – Noch befand sich der arme junge Mann unter den Lebenden, und vermochte kaum zu begreifen, woher seine Begnadigung komme. Der General ritt selbst auf den Platz, aber Geronimo fand keine Worte des Danks. »Ich beging kein Verbrechen,« sagte er ruhig: »man zögerte zu lange mit dem Abschied, und dennoch konnte er mir nicht versagt werden.« – »Trotzkopf!« rief ihm sein ehemaliger Sergeant zu: »Am Tage, da Du entwichst, kam der Abschied zu Bastia an.« – »So liefert mir ihn aus; die Genueser, in deren Klauen Ihr uns zurücklaßt, möchten sonst das Spiel von vorne wieder beginnen.« Der General lächelte und versetzte: »Der Abschied soll Dir werden. Ziehe hin in Frieden, Du Wilder, und schäme Dich, daß französische Erziehung nichts Besseres aus Dir zu machen im Stande war.«

Mit einem soldatischen Gruße empfahl sich Geronimo, und ging vom Platze, umringt von einer Menge Menschen. Ein Weib drängte sich hervor und faßte seine Hand. Kaum erkannte er in der Weinenden die Muhme Fiora. Sie war nach städtischer Sitte gekleidet und ein Offizier stand neben ihr. Zu diesem gewendet und zu einer Dame, die, am Arme des Offiziers hing, schluchzte Fiora: »Sehen Sie, mein Herr, sehen Sie, Madame, das ist der edle Mann, der mich dem Tode entriß. Sieh, Gero, diesem ritterlichen Herrn verdanke ich meine Rettung aus Suzzoni's und seiner gierigen Gesellen Klauen. Er war mit bei jenem entsetzlichen Auftritt, er nahm sich meiner an, und Suzzoni, dessen Degen sich mit dem seinigen kreuzte, fiel von seiner Hand.« – »Desto besser, so hat die Blutrache weniger zu thun.« – »Seine Wohlthat zu krönen, will mich der Herr Marquis im Gefolge seiner Gattin nach Frankreich führen, dort für meine Zukunft sorgen.« – »Desto besser auf Korsika hast Du keine Familie mehr, weil nicht die Hand eines Caituzzo sich mit Suzzoni's Blute färbte.«

Fiora sah sich zufällig um, und entfloh plötzlich mit dem Rufe: »Weh mir, der Vater!« Ihre Begleiter folgten ihr, aber Geronimo ging stracklich auf den alten Caituzzo los, der mit Pepe und Rajo und Anderen die Straße kam, nachdem er durch List und Winkelzüge den Eingang in die Stadt erbettelt. Mit tollem Geschrei des Entzückens liefen sich die Verwandten in die Arme, und Caituzzo wurde fast närrisch vor Freude, da er seines Vetters völlige Freilassung erfuhr. »Ich vergebe Dir Alles!« rief er: »selbst den Streich mit Fiora, um die ich mich nicht mehr bekümmern will. Komm' aber nur geschwind in unsere Berge, von denen wir stiegen, um Deine Leiche zu stehlen. Desto besser, daß wir einen lebendigen Burschen mit uns führen, der gewißlich vor Begierde brennt, die Carabelli's zu strafen, welche ihn verriethen.« – »Nicht doch, lieber Ohm; für die Unthat des Moro kann seine Sippschaft nichts.« – »Ei, so nimm Dich nicht der Schufte an,« brummte einer von Caituzzo's Begleitern, in dessen Zügen Geronimo Taddeo's Gesicht wieder fand: »wenn ich wieder auf unsern Bergen erscheine, so gilt's einen Vertilgungskrieg mit den Carabelli!« – »Kennst Du den Vetter nicht?« fragte Caituzzo: »Gib ihm die Hand, wir trafen ihn am Eingang in die Stadt, er geht mit uns, bleibt bei uns.« – »Wie, der Mönch im Bauerkleide? Wie begreife ich das?« – »Nichts Leichteres,« lachte Taddeo: »der Bischof hat mich absolvirt, weil die, so ich dem Corsaren verkaufte, noch schlechter waren als ich, hat mein Gelübde gelöst, und die Republik wird meinen Bann aufheben; so ist mir's versprochen. Darum bin ich der Eure in Leben und Tod.«

Während dieses Geplauders waren sie durch das Thor über die Brücke gekommen, und wendeten sich links an der Mauer hin. Eine bewaffnete Parthei kam ihnen entgegen. »Tod den Caituzzi!« schrie sie wie aus einem Munde. »Verderben den Carabelli!« antwortete Taddeo mit seinen Gesellen, und von beiden Seiten krachten in diesem plötzlichen Handgemeng die Büchsen los, blitzten die Messer in der Luft. »Heilige Maria!« brüllte Taddeo und stürzte in den Staub. Dieser jähe Tod, kaum im Beginnen des Kampfes, schaffte Ruhe, und die beiden Stämme, umgeben von den herzulaufenden Landleuten, im Angesichte der Franzosen auf den Wellen, die sich um den Streit nicht kümmerten, wie auch nicht um Moro's Tod, fingen an zu capituliren. Geronimo und Mortagno, friedlicher gesinnt, versuchten die Vermittelung. Sie rechneten vor, daß nun von beiden Seiten eine gleiche Zahl von Opfern gefallen sey, daß in Taddeo die Wurzel des Haders ausgerottet worden, daß des gemeinsamen Vaterlandes Wohlfahrt gerade jetzt Eintracht erfordere. Die Gemüther neigten sich zur Versöhnung, doch sprach Caituzzo mit aufwallendem Groll: »Wenn ich auch Alles vergessen wollte, wer vergibt den Verrath, den mein armer Gero fast mit dem Hals gebüßt hätte?« – Da führte ihn Mortagno zu der Leiche des Moro, und über diesem Opfer barbarischer Gerechtigkeit vergaben sich endlich die Alten den Tod ihrer Söhne, reichten sie sich die widerstrebenden Hände, umarmten sich alle Glieder der feindlichen Stämme. Als die Trommeln der Franzosen nach dem Hafen wirbelten, die Unterdrücker sich auf ihre leichten Schiffe warfen und Fiora der Heimath ein ewig Lebewohl sagte, gingen die Caituzzi und Carabelli in feierlichem Zuge nach der Kirche, wo vor dem Hochaltar der Priester, der die letzte Messe des Tages las, die Versöhnung der Familien einsegnete, und ihnen darauf den Leib des Herrn spendete. Wenige Monden später, mitten im neuen Sturme für des Vaterlandes Freiheit, verband der Pfarrherr von Isolaccio Geronimo's und Aurea's Hände mit der heiligen Stola.


 


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